Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft
A. Einleitung
Die Digitalisierung der Justiz schreitet immer weiter voran. Dies betrifft im zunehmenden Maße auch die Führung der Ermittlungsakten. Statt etliche Aktenordner zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft oder Verteidigung hin- und herzuschicken, reicht die Versendung eines Links oder Datenträgers. Ganz so einfach ist dies aber nicht, wenn die Akte Beschuldigten[1] in der Untersuchungshaft bereitgestellt werden soll.[2]
Was auf den ersten Blick ein Nischenproblem zu sein scheint, erweist sich in der Praxis als wiederkehrendes Problem und wird mit der zunehmenden Digitalisierung unweigerlich in den Vordergrund treten. Die Problematik tritt insbesondere in Wirtschaftsstrafverfahren hervor, in denen sich die Hauptakte schnell über eine Vielzahl an Aktenordnern erstreckt.[3] Die Akte wird digitalisiert und aus Sicherheitsgründen wie dem Brandschutz oder aus schieren Platzgründen Beschuldigten keine Papierakte im Haftraum überlassen. Meist werden Beschuldigte dann zum Aktenstudium von der entsprechenden Justizverwaltung auf die Nutzung eines Computers in der Bibliothek oder in speziellen Computerräumen zu bestimmten Nutzungszeiten verwiesen.
Angesichts dieses nur (zeitlich) eingeschränkten Einsichtsrechts bzw. der sich daraus ergebenden praktischen Probleme (z.B. mehrere Nutzungsinteressenten, Kollision mit Arbeitsdiensten oder Sportangebot) stellen manche Vollzugsanstalten bzw. Gerichte den Beschuldigten ein digitales Lesegerät zur Verfügung (Laptop oder e-book Reader).[4] Auch die BRAK hat sich zuletzt angesichts der voranschreitenden Digitalisierung hierfür ausgesprochen.[5] Widererwartend kommen dem aber nicht alle Anstalten bzw. Gerichtsbezirke nach, sodass die Praxis hier unbefriedigender Weise bereits jetzt sehr unterschiedlich ist.[6] Dieser Zustand ist angesichts der fortschreitenden Digitalisierung nicht haltbar und wird dem Beschuldigten sowie der besonderen Situation der Untersuchungshaft nicht gerecht.
B. Rechtsgrundlage
Die Rechtsgrundlage für die Entscheidung über die Nutzung eines elektronischen Lesegerätes findet sich in den entsprechenden Vollzugsgesetzen der Länder in den Vorschriften zur Ausstattung des Haftraumes.[7] Da hier überwiegend der Vollzug der Untersuchungshaft betroffen ist, sind entsprechende Einschränkungen i.S.d. § 119 StPO der Bundesgesetzgebung entzogen, sofern nicht der Zweck der Untersuchungshaft im Vordergrund steht.[8] Regelmäßig sind hiernach solche Gegenstände nicht zur Nutzung zugelassen, die die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden. Diese Sicherheitsbelange sind sodann mit den Grundrechten Beschuldigter auf ein faires Verfahren und eine angemessene Verteidigung abzuwägen und die entsprechenden Einschränkungen auf das unvermeidliche Maß zu reduzieren.[9]
Das Bundesverfassungsgericht hat sich nach Kenntnis des Autors inhaltlich noch nicht zu dieser Frage geäußert. Es hat aber bereits ablehnende Entscheidungen in Bezug auf die Gewährung eines Laptops in der Strafhaft getroffen.[10] In dieser Situation gilt: Zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung der Strafgefangenen genügt für die Feststellung einer Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt grundsätzlich eine abstrakte Eignung des zu bescheidenen Gegenstandes.[11] Dies ist bei einem Computer bzw. Laptop regelmäßig der Fall, denn er ermöglicht grundsätzlich die Speicherung sicherheits- oder vollzugsgefährdender Inhalte oder gar den Austausch mit der Außenwelt.[12]
Dennoch hat die Justizvollzugsanstalt zu prüfen, ob sie der Gefahr nur mit einem nicht erwartbaren Kontrollaufwand begegnen kann oder besondere Gründe in der Person des Gefangenen die Nutzung gebieten.[13] Die Einschränkungen sind Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Denn kann die Anstalt etwa durch technische Vorkehrungen wie Verplombungen o.ä. der Gefahr begegnen, hat sie dies vorzunehmen.[14] Bzgl. des Kontrollaufwandes spricht das Bundesverfassungsgericht den Anstalten aber eine generalisierende Betrachtung zu,[15] sodass angesichts der beschränkten personellen Kapazitäten der Anstalten eine Gewährung in der Regel ausscheidet.
Ist nun aber über die Gestattung eines Laptops für Beschuldigte zu entscheiden, ist ein weiterer Aspekt in die Abwägung einzustellen: der grundgesetzliche Anspruch auf ein faires Verfahren und eine angemessene Verteidigung.
Vorab, dies geht natürlich nicht soweit im Sinne einer absoluten Waffengleichheit Beschuldigten bereits wegen der Ausstattung der Justiz mit Computern einen solchen zuzusprechen.[16] Es erfordert aber eine Einzelfallbetrachtung. Je stärker eine angemessene Verteidigung durch einen beschränkten digitalen Aktenzugang tangiert wird, desto intensiver ist der Rechtfertigungsdruck. Hierbei wird nicht verkannt, dass verteidigten Beschuldigten zumindest nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich kein eigenes Akteneinsichtsrecht zusteht.[17] Jedoch soll Beschuldigten jedenfalls dann ein eigenes Akteneinsichtsrecht zustehen, wenn ohne dieses die Effektivität der Verteidigung beeinträchtigt sein könnte, z.B. dann, wenn den Verteidigern angesichts des Aktenumfangs nicht genügend Zeit für die Unterrichtung der Beschuldigten über den Verfahrensgegenstand verbleibt und es zudem in besonderem Maße auf dessen Kenntnis zum prozessgegenständlichen Lebenssachverhalt ankomme.[18] Gerade in umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren ist dies regelmäßig der Fall,[19] sodass diese vorliegend als Ausgangspunkt dienen sollen. Auch wenn darauf hinzuweisen ist, dass mit der zunehmenden Digitalisierung der Kommunikation und den einhergehenden Überwachungs- und Dokumentationsmöglichkeiten der Ermittlungsbehörden auch in anderen Verfahrensbereichen in Betracht kommt.[20]
C. Einwände gegen eine Laptopnutzung
In der Regel liegt der Fokus bei ablehnenden Entscheidungen auf dem angeblich nicht von der Anstalt zu erwartenden Kontrollaufwand, nicht auf der abstrakten Gefahr des Gerätes selbst.[21] Denn grundsätzlich wird anerkannt, dass es IT-Dienstleister gibt, die eine entsprechende Verplombung oder Versiegelung eines Computers vornehmen können, welche eine Manipulation zunächst ausschließen. Zudem – falls die erforderliche Sachkenntnis für entsprechende Umbaumaßnahmen nicht bei der Anstalt gegeben ist – hat sie eben einen Sachverständigen zu beauftragen bzw. heranzuziehen.[22] Den schlichten Verweis auf fehlende Sachkenntnis der Anstaltsmitarbeiter zwecks Versiegelung des Gerätes – auch wenn dieses Argument auch noch anzutreffen ist – lässt das Bundesverfassungsgericht nicht genügen.[23]
Bzgl. des Kontrollaufwandes führen viele Anstalten dann an, dass die erforderliche regelmäßige Kontrolle einen erheblichen zusätzlichen zeitlichen Aufwand erfordern würde.[24] Zudem wird auf der Ebene der Kontrolle angeführt, dass diese nicht durch Mitarbeiter der Anstalt möglich sei. Denn ihnen fehle eben die zur Kontrolle erforderliche Sachkenntnis.[25] Schließlich stelle man ja auch einen Computer zu Nutzung zur Verfügung, nur eben nicht zu jeder Uhrzeit bzw. im jeweiligen Haftraum.
Diese generalisierende – nicht selten gänzlich pauschal bleibende – Argumentation tritt in Spannung mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Zunächst soll auf die generellen Bedenken gegen ein Laptop eingegangen werden (zu I. und II.). Sodann wird das Recht der Beschuldigten auf eine angemessene Verteidigung durch Kenntnis der Ermittlungsergebnisse und Beweismittel eingegangen, welches bei den genannten ablehnenden Entscheidungen meist außer Betracht bleibt (zu III.).
I. Abstrakte Gefährlichkeit des Laptops lässt sich technisch beheben
Steht die Gefahr einer Kommunikation mit der „Außenwelt“ im Raum, so lässt sich diese auf ein vertretbares Maß durch technische Sicherheitsmaßnahmen reduzieren. Die Verplombung bzw. Versiegelung der betreffenden Schnittstellen oder der Ausbau der Gleichen verhindert zunächst gänzlich die Kommunikation nach außen. Denn auch der versierteste IT-Experte ist nur so gut wie sein Werkzeug.
Eine Kommunikation mit der Außenwelt wäre nur zu befürchten, wenn Nutzer die vorgenommenen technischen Eingriffe beheben würden. So wird regelmäßig vorgetragen, man habe zu befürchten, dass weitere Elektronik in die Untersuchungshaft geschmuggelt werden könnte und sodann mit einer Manipulation bzw. Umbau des überlassenen Laptops zu rechnen sei. Dass dies vereinzelt auch vorkommt, ist nicht zu bestreiten.[26] Dieser Einwand vermag dennoch in zweierlei Hinsicht nicht zu überzeugen: Zunächst stellt sich die rein praktische Frage, warum die Nutzer nicht etwa das reingeschmuggelte Gerät (z.B. Smartphone) nutzen sollten. Es läge doch in diesem Falle viel näher dieses für den Außenkontakt zu benutzen, anstatt erst das Gerät hineinschmuggeln zu lassen und sodann den Laptop umzubauen. Gerade dieser wird doch bzw. sollte regelmäßig kontrolliert werden. Es spricht also Einiges dafür, dass es sich bei Manipulationen um Einzelfälle handelt.
Zudem besteht hier nur scheinbar eine Gefahr durch den Laptop selbst. Denn beim Reinschmuggeln etwaiger Gegenstände resultiert die die Sicherheit und Ordnung der Anstalt beeinträchtigende Gefahr nicht aus dem bereits zur Verfügung gestellten Laptop, sondern eben aus dem reingeschmuggelten Gegenstand.[27] Die von dem reingeschmuggelten Gegenstand ausgehende Gefahr wird durch den Laptop allenfalls intensiviert. Entscheidend bleibt der reingeschmuggelte Gegenstand. Entsprechend äußerte sich bereits auch das OLG Rostock: „Soweit die Anstalt auf eine Gefährdung der Sicherheit durch die Verwendung von Zusatzgeräten, wie externen Speichern oder Netzwerkverbindungsapplikationen abhebt, ist den Vorgängen nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte derartige Geräte besitzen darf.“[28]
Nicht von der Hand zu weisen ist die Gefahr, dass etwaige Daten auf den Laptop aufgespielt werden. Denn nimmt man den Ausbau etwaiger Sendungsfunktionen (WLAN oder Bluetooth) aus Sicherheitsgründen vor, bedarf es zwingend einer verbleibenden Schnittstelle, z.B. USB oder CD, um das Gerät für die sich aktualisierende Akteneinsicht nutzbar zu halten. Zunächst gilt auch hier, dass das Hereinschmuggeln eines etwaigen Datenträgers selbstredend nicht erlaubt ist. Darüber hinaus gibt es aber bereits entsprechende USB-Port-Schlösser, die nur mit dem entsprechenden Schlüssel physisch geöffnet werden können und ein Aufspielen verhindern. Jedenfalls ist aber auch hier ist eine Verplombung zur Handhabung der Gefahr nach Aufspielen der Daten ausreichend. Zwar ist anzuerkennen ist, dass die Verplombung nicht von vornherein die Gefahr des Aufspielens und Auslesens etwaiger Daten verhindert, sondern nur die nachträgliche Feststellung dieser ermöglicht.[29] Da die Verplombung mit raschem Blick bei Aufschluss des Haftraumes aber kontrolliert werden kann, ist dies weniger eine Frage der abstrakten Gefährlichkeit als des Kontrollaufwandes. Aber auch dies vermag eine Versagung des Laptops nicht zu rechtfertigen, wie nun aufgezeigt wird.
II. Kontrollaufwand bzgl. technischer Sicherheitsvorkehrungen ist verkraftbar
Bleibt der Einwand eines unzumutbaren Kontrollaufwandes. Mag ein erhöhter Kontrollaufwand nicht von der Hand zu weisen sein, vermag auch dies nicht durchzugreifen. Zunächst wird es im Falle einer Verplombung oder Verschweißung der manipulierbaren Schnittstellen genügen diese mit raschem Blick und Griff zu kontrollieren. Eine Kontrolle des eigentlichen Datenstandes wäre nicht erforderlich, da die einzige Inputstelle des Gerätes eben verplombt wäre und nur die Anstalt selbst diese im Falle neuer aufzuspielender Daten lösen und erneut anzubringen hätte. Die Gefahr des Auslesens reingeschmuggelter Daten über wenige Tage hinweg wäre verkraftbar. Dies auch insbesondere vor dem Hintergrund, dass entsprechende Informationen auch über andere und im Aufwand vergleichbare Wege in die JVA geschmuggelt werden können, sodass eine Gefahrerhöhung mit der Gestattung eines Laptops wohl kaum einhergehen dürfte. Zudem bleibt hier eben der Verweis auf den Umstand, dass das Lösen der Verplombung und das Reinschmuggeln der Daten deutlich einfacher zu decouvrieren wäre als das Reinschmuggeln eines Smartphones.
Ferner obliegt der jeweiligen Anstalt im Falle eines geteilten Anstaltscomputers sowieso ein entsprechender Kontrollaufwand. Auch dieser ist zu kontrollieren, insbesondere da hier eine Vielzahl von Inhaftierten Zugriff auf das gleiche Gerät haben. Der jeweiligen Anstalt ist hier zwar zuzusprechen, dass bei wenigen Anstaltscomputern im Vergleich zu einer Vielzahl an individuellen elektronischen Lesegeräten ein geringerer Kontrollaufwand besteht. Doch stellt dies voraussichtlich ein Argument mit Verfallsdatum dar. Wie bereits anfangs erwähnt, die Umstellung der Aktenführung auf eine elektronische Akte ist bereits beschlossene Sache, liegt in der Umsetzung (vgl. §§ 32ff. StPO) und soll bis zum 1.1.2026 abgeschlossen sein. Nach § 32f Abs. 1 S. 1 StPO ist die Einsicht in elektronische Akten grundsätzlich durch Bereitstellen des Inhalts der Akte zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akte auf einem sicheren Übermittlungsweg zu gewähren. Nur ausnahmsweise soll der Ausdruck der Akte erfolgen (§ 32f Abs. 1 S. 3 StPO). Die digitale Akteneinsicht entspricht hierbei auch in der Untersuchungshaft dem gesetzgeberischen Willen: „Untergesetzliche Vorschriften, die die Verwendung von Kommunikationstechnik durch Gefangene untersagen, dürfen nicht angewandt werden, sofern und soweit sie der Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts durch Gefangene entgegenstehen.“[30] Im Falle der konsequenten Umsetzung wird also Beschuldigten, denen ein eigenes Akteneinsichtsrecht zugesprochen wird, entweder eine Einsicht an einem elektronischen Lesegerät gewährt werden müssen oder die elektronische Akte erneut zu Papier gebracht werden. Da letzteres wohl kaum im Sinne der gewollten Digitalisierung ist, wird es auf eine zunehmende Einsicht auf einem elektronischen Lesegerät hinauslaufen. Hierbei kann prognostiziert werden, dass dies bei festgesetzten Einsichtszeiten nur mit einer Vielzahl an Geräten machbar sein wird. Gerade dies macht aber einen erhöhten Kontrollaufwand nötig.
III. Effektive Verteidigung gebietet individualisierte Einsicht über einen Laptop
Darüber hinaus ist in die Abwägung das Recht Beschuldigter auf ein faires Verfahren und die dafür erforderliche effektive Verteidigung einzustellen. Hierbei darf nicht aus dem Blick geraten, dass nicht die umfassende Gewährleistung dieses Rechts zu begründen ist, sondern im Gegenteil jegliche Einschränkung. Die Frage der Schuld ist zum Zeitpunkt der Untersuchungshaft noch unbeantwortet, sodass jegliche Beschränkungen auf das Unvermeidbare zu reduzieren sind und dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße Rechnung zu tragen ist.[31]
Offensichtlich wird der Eingriff in das Recht auf effektive Verteidigung im Falle einer umfassenden Datenlage. Angesichts der voranschreitenden Digitalisierung etwaiger Geschäftsvorgänge – man denke an etwaige Datenbanken, E-Mailpostfächer oder Transaktionsdaten – ist es gerade in Umfangsverfahren nahezu unmöglich sich einen umfassenden, verständnisvollen Überblick in Papierform zu verschaffen. Zu denken ist hier auch an im Rahmen der Ermittlungen erstellte tabellarische Zusammenstellungen betriebswirtschaftlicher Daten, die im Grunde ohne Verknüpfung oder Filter- Sortier- oder Suchfunktionen kaum sinnvoll zu erschließen sind.[32] Dies spiegelt sich auch in der Gesetzesbegründung zu den §§ 32ff. StPO wider: „Insbesondere in umfangreichen Strafverfahren hat sich die Menge der zu erhebenden Daten stetig erhöht. Eine Darstellung und Auswertung in Papierform gestaltet sich zunehmend schwieriger.“[33] Entsprechend werden Beschuldigte bei umfassender Datenlage ihr aufgrund der Sach- bzw. Tatnähe bestehendes Sonderwissen aber nur effektiv einbringen können, wenn sie den Akteninhalt effektiv sichten und auswerten können. Ohne einen Laptop mit den gängigen Textverarbeitungs- und Suchprogrammen wäre dies schwerlich möglich.
Wird Beschuldigten in der Untersuchungshaft nur ein stationärer, der Allgemeinheit zugänglicher Anstaltscomputer zur Verfügung gestellt, bleiben drei entscheidende Unterschiede zum eigenen Laptop: die begrenzten Nutzungsmöglichkeiten, -zeiten sowie fehlende Mobilität.
Es mag auf den ersten Blick wie eine Detailfrage wirken, doch gerade die Möglichkeit zum Anbringen individueller Kommentare und Vermerke kann für eine gewissenhafte Aufbereitung von erheblichem Vorteil sein.[34] Ebenso das farbliche Markieren etwaiger Passagen. Bei umfassenden Akten wird so nicht nur die Strukturierung, sondern auch das Rückfallen auf in der Vergangenheit festgestellte Auffälligkeiten in der Akte erheblich erleichtert. Hieran kann dann der effektive Austausch mit der Verteidigung anknüpfen. Gerade Letzteres wird aber vereitelt, wenn die Daten auf dem allgemeinen Anstaltscomputer verbleiben.
Auch wird die Akteneinsicht durch die festgesetzten Nutzungszeiten beschränkt. Bei einer Zunahme der Digitalisierung der Akte sind Nutzungskonflikte vorprogrammiert. Hinzu kommt, dass es angesichts der bereits dargelegten niedrigen Risikolage des Missbrauchs schwer zu verantworten ist, den Betroffenen überhaupt die Vorbereitung der eigenen Verteidigung zeitlich einzuschränken. Man stelle sich vor: der Beschuldigte befindet sich in der Untersuchungshaft und wartet darauf zu, dass im Rahmen einer Hauptverhandlung über die nächsten Jahre seines Lebens entschieden wird. Statt sich hierauf anhand der Akte vorbereiten zu können, erfolgt der Hinweis, dass der Computerraum heute besetzt sei. Dies wird der Sachlage in keiner Hinsicht gerecht.
Schließlich sei an dieser Stelle – was für die Gefahrenlage in der Anstalt aber von keinerlei Bedeutung ist – ergänzend noch auf einen weiteren praktischen Vorteil der Bereitstellung eines elektronischen Lesegerätes in der Untersuchungshaft hingewiesen: die Mobilität. In umfangreichen Verfahren wird auch in der Hauptverhandlung regelmäßig keine Papierakte herangezogen werden oder nicht in jedem Falle verfügbar sein. Dies jedenfalls zum Zeitpunkt der vollständigen Digitalisierung. Wollen die Angeklagten ihre eigene, kommentierte Akte zur Hand haben, muss diese herbeigeschafft werden. Selbstredend betrifft dies dann aber nur den ausgedruckten Teil. Stehen den Angeklagten aber eigene Geräte zur Verfügung, können sie nicht nur während der Hauptverhandlung selbst auf die übrigen Aktenbestandteile zugreifen, sondern die Verteidigung auch auf entsprechende Stellen effizient hinweisen. Gerade bei Zeugenvernehmungen können so hilfreiche Ergänzungen erreicht werden. Die Angeklagten können so auch einfach etwaige Bezugnahmen oder Vorhalte aus der Akte ohne Umstände selbst nachverfolgen, Anmerkungen betreffend die Hauptverhandlung direkt an dem Dokument anbringen oder die Verteidigung auf etwaige Auffälligkeiten in den Dokumenten aufmerksam machen und so den ungehinderten, effektiven Verlauf der Verhandlung bzw. des Verfahrens fördern.
D. Schlussbemerkung
Wie hier dargestellt, ist jedenfalls in umfangreichen strafrechtlichen Verfahren die Bereitstellung eines Laptops an Beschuldigte nicht nur dem Verfahren förderlich, sondern zu einer effektiven Verteidigung zwingend.[35] Die mit einem solchen Lesegerät einhergehenden Bedenken lassen sich einfach und leicht kontrollierbar durch technische Vorkehrungen beheben. Mit zunehmender Digitalisierung ist eine entsprechende Umsetzung kaum noch zu vermeiden, sodass bereits jetzt ein Einschwenken hin zu einer einheitlichen Praxis zu befürworten wäre.
[1] selbstredend gilt dies in jedem Stadium des Strafverfahrens.
[2] hierzu auch bereits im Lichte der Digitalisierung Lilie-Hutz, FD-StrafR 2018, 405566; Graßie/Hiéramente in: Ory/Weth, jurisPK-ERV § 147 StPO Rn. 15ff.
[3] beispielhaft sei hier der Wirecard-Prozess gegen den Geschäftsführer genannt, in dem die Ermittlungsakte laut Pressemitteilung v. 14.3.2022 der Staatsanwaltschaft über 700 Aktenordner umfasst.
[4] so: OLG Rostock Beschl. v. 22.10.2015 – 20 Ws 276/15 = StV 2016, 168; Frankfurt a.M., Anordnung v. 24.01.2017 – 7810 Js 212451/15 = BeckRS 2017, 151068; OLG Hamm, Beschl. v. 10.6.1997 – 1 Ws 173/97 = NStZ 1997, 566; OLG Braunschweig v. 25.10.2020 – 1 Ws 47/20, juris Rn. 15; KG Berlin, Beschluss vom 23.12.2021 – 5 Ws 261/21 – 121 AR 224/21 = BeckRS 2021, 55974.
[5] https://www.brak-mitteilungen.de/flipbook/mitteilungen/2024/01/22/index.html.
[6] divergierende Entscheidungen: OLG Stuttgart Beschl. 12.8.2003, 1 Ws 195/03; KG Berlin, Beschl. v. 28.6.2002 – 1 AR 610/02-5 Ws 301/02 = BeckRS 2014, 9110; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 28.10.2020 – 3 Ws 662/20, ist nicht veröffentlicht.
[7] bspw. § 16 UVollzG M-V; §§ 11, 12 HUVollzG; Art. 14 BayUVollzG; § 11 UVollZG NRW, § 16 Bln UVollzG.
[8] hierzu Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt § 119 Rn. 2; König, NStZ 2019, 185.
[9] OLG Rostock Beschl. v. 22.10.2015 – 20 Ws 276/15 = StV 2016, 168; OLG Hamm, Beschl. v. 10.6.1997 – 1 Ws 173/97 = NStZ 1997, 566; LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 17.11.2017 -5/24 KLs 7920 Js 208925/16 (10/17) = BeckRS 2017, 143949; LG Frankfurt a. M. Anordnung v. 6.1.2017 – 5/12 KLs /7810 Js 212451/15 (12/16) = BeckRS 2017, 151068; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 7.11.2023 – 13 Qs 56/23 = BeckRS 2023, 32337.
[10] BVerfG, NStZ-RR 2019, 191 (192); NStZ 2003, 621; NStZ 1994, 453.
[11] a.a.O.
[12] a.a.O. sowie KG Beschl. v. 28.6.2002 – 1 AR 610/02-5 Ws 301/02 = BeckRS 2014, 9110.
[13] a.a.O.
[14] a.a.O.
[15] BVerfG NStZ-RR 2019, 191.
[16] BVerfG NStZ-RR 2019, 191 (192).
[17] BGH Beschl. v. 1.9.2022 – 2 StR 45/20 = BeckRS 2020, 27383; zutreffende a.A.: Kämpfer/Travers in MüKO § 147 StPO Rn. 52 m.w.N.
[18] a.a.O.
[19] so zu Umfangsverfahren: Wessing, BeckOK StPO § 147 Rn. 2; LG Frankfurt a. M. Anordnung v. 6.1.2017 – 5/12 KLs /7810 Js 212451/15 (12/16) = BeckRS 2017, 151068; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 7.11.2023 – 13 Qs 56/23 = BeckRS 2023, 32337.
[20] zuvorderst können hier die „Kryptohandyverfahren“ genannt werden, deren Akten bereits bei übersichtlichen Betäubungsmittelmengen durch umfangreiche Chatverläufe schnell etliche Aktenordner einnehmen.
[21] so etwa: OLG Stuttgart Beschl. 12.8.2003, 1 Ws 195/03; KG Berlin, Beschl. v. 28.6.2002 – 1 AR 610/02-5 Ws 301/02 = BeckRS 2014, 9110.
[22] OLG Rostock Beschl. v. 22.10.2015 – 20 Ws 276/15 = StV 2016, 168.
[23] BVerfG NStZ 2003, 621.
[24] BVerfG NStZ-RR 2019, 191;
[25] KG Berlin Beschl. v. 28.6.2002 – 1 AR 610/02-5 Ws 301/02 = BeckRS 2014, 9110; OLG Stuttgart Beschl. 12.8.2003, 1 Ws 195/03.
[26] vgl. z.B. KG Berlin, Beschluss vom 23.12.2021 – 5 Ws 261/21 – 121 AR 224/21 = BeckRS 2021, 55974.
[27] so auch OLG Hamm, Beschl. v. 10.6.1997 – 1 Ws 173/97 = NStZ 1997, 566 (568).
[28] OLG Rostock Beschl. v. 22.10.2015 – 20 Ws 276/15 = StV 2016, 168.
[29] so zutreffend OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 19.04.2013 – 3 Ws 87/13 zu einem USB-Anschluss an einem Fernsehgerät.
[30] BT Dr. 18/9416 S. 56.
[31] BVerfG, Beschl. v. 15.11.2022 – 2 BvR 1139/2 = NJW 2023, 286 (287); Beschl. v. 30.10.2014 – 2 BvR 1513/14 = NStZ-RR 2015, 79 (80).
[32] Vgl. Growe/Gutfleisch, NStZ 2020, 633 (635).
[33] BT Dr. 18/9416 S. 32.
[34] so auch Graßie/Hiéramente in: Ory/Weth, jurisPK-ERV § 147 StPO Rn. 15ff.
[35] ebenso: a.a.O.; Lilie-Hutz, FD-StrafR 2018, 405566; weitestgehend auch Reichenbach, BeckOK NJVollzG § 142 Rn. 4; Reuter, SächsUHaftVollzG § 16 Rn. 4; Hagen, BeckOK UVollzG Bln § 16 Rn. 18; Hettenbach, BeckOK SUVollzG § 16 Rn. 12; Schatz, BeckOK HmbUVollzG § 15 Rn. 21a; Kieserling, BeckOK HUVollzG § 11 Rn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, § 119 Rn. 29.