Dr. Markus Rübenstahl, Mag. iur., Dr. Christoph Skoupil

Internal Investigations, Status Quo – Pflicht zur Strafanzeige?

I. Einleitung

Im Nachgang zu einer Internal Investigation oder auch schon während diese durchgeführt wird, stellt sich stets die Frage, ob und inwieweit das Unternehmen potentiell strafrechtlich relevante Sachverhalte und deren mutmaßliche Urheber den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen hat. Hier sind grundsätzlich zwei Fragen zu unterscheiden: Liegt es – u. U. bereits deshalb, weil parallel ein Ermittlungsverfahren zum selben Sachverhalt geführt wird – im Interesse des Unternehmens bzw. ist es sogar faktisch unumgänglich, belastende Ermittlungsresultate – ggf. alle Ermittlungsergebnisse – offenzulegen und damit der Sache nach Strafanzeige zu erstatten (vgl. § 158 StPO)? Oder besteht ggf. für bestimmte Sachverhaltskonstellationen sogar eine zwingende Rechtspflicht zur Erstattung gerade einer Strafanzeige bei den Strafverfolgungsbehörden auf der Basis strafrechtlicher, privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Normen, ggf. auch auf der Basis von untergesetzlichen Rechtsnormen oder gar Verwaltungsanweisungen und Kodices? Wäre Letzteres der Fall, läge nahe, dass unter Risikogesichtspunkten eine Ermessensentscheidung zur Nichtoffenlegung orientiert am Unternehmensinteresse gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG („Business Judgement Rule“) regelmäßig nicht mehr in Betracht kommt, selbst wenn die Verletzung der Anzeigepflicht nicht straf- oder sanktionsbedroht ist. Die Frage stellt sich in verschärfter Form, wenn es um Unternehmen geht, die besonders intensiv reguliert werden (z. B. Finanzdienstleistungsunternehmen), oder um solche, für die zusätzlich eine Art untergesetzliches Sonderrecht geschaffen wurde, beispielhaft seien börsennotierte Kapitalgesellschaften oder Unternehmen im Eigentum von Körperschaften des Öffentlichen Rechts genannt. Für beide gilt zudem, – aus unterschiedlichen Gründen – dass das Bekanntwerden von Gesetzesverletzungen – besonders eine rechtswidrige Verheimlichung strafbaren Verhaltens im Unternehmen – zu besonders intensiven Imageschäden führen kann. Bei Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, kommt hinzu, dass diese der Allgemeinheit gehören, oft besonders intensiven (partei-)politischen Einflüssen ausgesetzt sind und deren Leitungsgremien daher von der öffentlichen Meinung den besonders strengen rechtlichen und politisch-moralischen Maßstäben unterworfen werden, die auch an politische Amtsträger gestellt werden.

Vor diesem Hintergrund wird oft angefragt, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen unter Zugrundelegung des ermittelten Sachverhalts eine Strafanzeigepflicht, insbesondere gegen (ausgeschiedene) Mitarbeiter oder Organe, auch bei Tochtergesellschaften besteht. In den typischen Fällen besteht der Verdacht der Begehung von Vergehen gem. §§ 263 ff., 266 ff., 299 f., 331 ff. StGB, 370 AO, nicht aber von Verbrechen (§ 12 StGB). Unter Berücksichtigung der Sondersituation von Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand wird nachfolgend erörtert, inwiefern – entgegen der Intuition – möglicherweise doch eine Rechtspflicht zur Erstattung einer Strafanzeige bestehen könnte.

II. Mögliche Rechtsgrundlagen einer Strafanzeigepflicht

1) Materielles Strafrecht

Im Bereich des materiellen Strafrechts ist bzgl. einer möglicherweise (indirekt) zur Anzeige verpflichtenden Norm an die §§ 13, 25 ff., 138, 258, 258a StGB zu denken.

a) Beteiligung an der (noch andauernden bzw. erneut bevorstehenden) Straftat (§ 13, 25 ff. StGB)

Fraglich ist, ob sich eine Pflicht zur Strafanzeige bzgl. aus dem Unternehmen heraus begangener Straftaten nach den Grundsätzen der §§ 13, 25 ff. StGB ergibt.

Im Falle der Untätigkeit des Geschäftsherrn trotz Kenntnis von etwaigen Verstößen seiner Mitarbeiter ist seine strafrechtliche Haftung nur über eine nicht beachtete Handlungsverpflichtung zu begründen. Die Verpflichtung, gegen im Unternehmen stattfindende Straftaten einzuschreiten, setzt jedenfalls das Bestehen einer Garantenpflicht i.S.d. § 13 StGB voraus. Eine solche sog. Geschäftsherrenhaftung ist zwar im Einzelnen umstritten[1], wird aber von der wohl h.M. anerkannt[2]. Sie lässt sich aus der mit der Betriebsorganisation einhergehenden erhöhten Gefahr für die Begehung von Delikten – quasi als Kehrseite der Freiheit ein Unternehmen betreiben zu dürfen – begründen.[3] Anerkannt ist aber, dass sich diese Pflicht ausschließlich auf die Verhinderung betriebsbezogener Straftaten bezieht und solche Taten, die der Mitarbeiter lediglich bei Gelegenheit seiner Tätigkeit begeht, nicht umfasst.[4]

Oftmals wird die Verpflichtung zur Vornahme unternehmensinterner Maßnahmen zur Sicherstellung rechtskonformen Verhaltens auf sog. Compliance Officer übertragen. Ziel der Geschäftsleitung ist es, ihre insofern bestehenden Pflichten (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) wirksam auf die Errichtung, Organisation und Überwachung eines Compliance-Systems zu beschränken.[5] Ob den Compliance Officer dann aber per se eine Garantenpflicht trifft, ist fraglich. Zu diesem Problemkreis nahm der 5. Strafsenat des BGH jüngst in der BSR-Entscheidung[6] im Rahmen eines obiter dictums Stellung. Danach sei eine solche Garantenstellung „regelmäßig“[7] anzunehmen. Sie entstehe als notwendige Kehrseite der „gegenüber der Unternehmensleitung übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu unterbinden […].“[8] Eine erste – zutreffende – Einschränkung des von ihm aufgestellten Grundsatzes deutet der BGH in seiner Entscheidung bereits selbst an: Zum einen muss die Straftat in einem Betriebsbezug stehen (s.o.). Zum anderen müssen dem Unternehmen „erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust“[9] drohen.[10] Darüber hinaus ist die vom BGH propagierte Regelmäßigkeit der Garantenstellung weiter einzuschränken: Die Garantenpflicht des Compliance Officers resultiert aus seinem vertraglich und faktisch übernommenen[11] Pflichtenkreis bzw. richtet sich in ihrem Umfang danach, inwieweit die Aufgaben durch die Leitungsorgane auf ihn in zulässiger Form delegiert wurden.[12] Mithin ist jeweils eine Einzelfallbetrachtung unter maßgeblicher Berücksichtigung der konkreten Stellenbeschreibung des Compliance Officers vorzunehmen.[13] Insoweit ist zu beachten, dass dieser in der Praxis regelmäßig gerade nicht mit Entscheidungs- und Weisungsrechten ausgestattet ist.[14] Vielmehr beschränkt sich seine Verpflichtung zumeist auf die Aufdeckung von Regelverstößen und den Bericht derselben in einem festgelegten unternehmensinternen Berichtsverfahren.[15]

Eine weitergehende Offenlegung bzw. Anzeige etwaiger Straftaten durch den Compliance Officer gegenüber unternehmensexternen Stellen kann dagegen nicht verlangt werden. Hierfür fehlt es an einer geschriebenen Grundlage.[16] Gegen den Rückgriff auf eine allgemeine, aber ungeschriebene Verpflichtung spricht, dass der Gesetzgeber, sofern er denn eine externe Berichts- bzw. Anzeigepflicht für erforderlich hält, ausdrücklich tätig geworden ist, diese Regelungen aber zugleich mit einem stark eingeschränkten Anwendungsbereich versehen hat (vgl. § 138 StGB, § 11 GwG). Überdies indiziert auch die Neuregelung des § 46b StGB, der in seinem Abs. 1 eine Strafmilderung im Falle des freiwilligen Offenbarens von Wissen bzgl. einer Straftat ermöglicht, dass insofern keine Verpflichtung besteht.[17] Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass das „Angebot“ des Gesetzgebers, Wissen über Straftaten an externe Stellen weiterzugeben, gerade im Falle von besonders schweren Verfehlungen (Katalogtaten i.S.d. § 100a Abs. 2 StPO) gilt; selbst in diesem Bereich der schweren Kriminalität wird also keine externe Informationspflicht statuiert.[18]

Die soeben genannten Gesichtspunkte sprechen auch gegen eine Verpflichtung der Leitungsorgane zur Strafanzeige. Auf welche Art und Weise sie dem durch § 13 StGB erteilten Auftrag gerecht werden, müssen sie vielmehr unter Berücksichtigung der Unternehmensinteressen selbst entscheiden. Einzig für die Fälle, in denen die Straftat ausschließlich durch eine Anzeige gegenüber den Ermittlungsbehörden zu verhindern wäre, ließe sich eine Verpflichtung hierzu denken. Dieses Szenario wird aber in der Praxis aufgrund der weitreichenden Entscheidungs- und Weisungsrechte des Arbeitgebers selten einschlägig sein. Überdies müssten auch in dieser Situation noch die durch den Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Wertungen beachtet werden: Es wäre ein erhebliches (etwaige entgegenstehende Unternehmsinteressen überwiegendes) öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu fordern. Die in Frage stehende Straftat müsste also mit denjenigen Taten, hinsichtlich derer eine ausdrückliche Anzeigepflicht normiert ist, vergleichbar sein. Einen solchen Schweregrad werden die hier in Rede stehenden typischen Vergehen aber nicht erreichen.

Mithin ergibt sich aus den §§ 13, 25 ff. StGB, selbst wenn man eine entsprechende Garantenstellung für die Leitungsorgane bzw. den Compliance Officer im konkreten Fall bejaht, keine Verpflichtung, eine externe Strafanzeige vorzunehmen.

b) Strafvereitelung, Strafvereitelung im Amt (§§ 258, 258a StGB)

Nach § 258 Abs. 1 StGB (Strafvereitelung) wird bestraft, „Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft […] wird, […]“ oder wer dies versucht (Abs. 4). § 258a StGB (Strafvereitelung im Amt) schreibt strafverschärfend vor: „Ist in den Fällen des § 258 Abs. 1 der Täter als Amtsträger zur Mitwirkung bei dem Strafverfahren […] berufen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe […].“

Der Täter muss durch die Vereitelungshandlung den Eintritt eines bestimmten Vereitelungserfolgs herbeiführen, d.h. der Vortäter muss durch die Hilfeleistung im Hinblick auf die Strafverfolgung tatsächlich besser gestellt worden sein.[19] Strafbar ist zunächst allein ein aktives Tun, das den Erfolg der Strafvereitelung bewirkt: Es ist ausreichend, dass die Ahndung der Straftat für „geraume Zeit“ nicht verwirklicht wird.[20] Die Definition der erforderlichen Zeitspanne erfolgt in Literatur und Rspr. uneinheitlich. Als ausreichend angesehen werden Verzögerungen von zehn bis zwölf Tagen bzw. drei Wochen.[21] Aus der Natur des § 258 StGB als Erfolgsdelikt ergibt sich, dass die Vereitelungshandlung des Täters für den Taterfolg ursächlich sein muss. Insoweit kann eine vollendete Strafvereitelung nur dann angenommen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Bestrafung ohne die (aktive) Vereitelungshandlung geraume Zeit früher erfolgt wäre.[22] In Anbetracht der Vielfältigkeit und Komplexität des Ermittlungs-, Verhandlungs- und Urteilsfindungsprozesses im Strafverfahren sind jedoch eine derartige Kausalitätsfeststellung und deren Nachweis häufig nicht möglich. Scheitert die Subsumtion allein an der Kausalitätsfeststellung, kommt allerdings nach dem Grundsatz in dubio pro reo eine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung (§§ 258 Abs. 1, Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB) in Betracht.[23]

Ein aktives, strafvereitelndes Tun im Sinne der §§ 258, 258a StGB wird seitens des Unternehmens regelmäßig nicht beabsichtigt oder gar zu beobachten sein. In Betracht kommt damit allein die bloße Untätigkeit. Es ist daher zu fragen, ob das Unterlassen einer Strafanzeige ein tatbestandliches „Vereiteln“ im Sinne dieser Vorschrift sein kann: Dies setzt wiederum voraus, dass dem Täter eine Garantenpflicht (§ 13 Abs. 1 StGB) hinsichtlich der Sicherstellung der Strafverfolgung obliegt.[24] Der Unterlassende muss demnach dazu berufen sein, an der Strafverfolgung mitzuwirken und in irgendeiner Weise dafür Sorge zu tragen, dass Straftäter ihrer Bestrafung oder sonstigen strafrechtlichen Maßnahmen zugeführt werden.[25]

Eine solche Verpflichtung kommt bei Privaten regelmäßig nicht in Betracht.[26] Eine entsprechende Handlungspflicht trifft (i.R.d. § 258a StGB) jedoch solche Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB), die dienstlich mit der Strafverfolgung betraut sind, so z.B. Strafrichter, Staatsanwälte und ihre Ermittlungspersonen sowie Polizeibeamte (vgl. §§ 152, 160, 161, 163 Abs. 1 StPO, § 152 GVG). Allerdings sind selbst Entscheidungsträger in Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand offensichtlich nicht dienstlich mit der Strafverfolgung betraut. Sie trifft mithin auch keine Strafanzeigepflicht im Sinne des § 258a StGB.

Für Amtsträger, die nicht zum oben genannten Kreis des § 258a StGB gehören, besteht nach § 258 StGB keine Pflicht, ihnen bekannt gewordene Straftaten zur Strafanzeige zu bringen.[27] Deren Garantenstellung würden allein spezielle gesetzliche Anzeigepflichten begründen, die gerade den Zweck haben, den Strafverfolgungsbehörden Tatsachen, die dienstlich in Erfahrung gebracht wurden und die den Verdacht einer Straftat begründen, mitzuteilen.[28]

Ob Organe und Mitarbeiter von privatrechtlich organisierten und erwerbswirtschaftlich tätigen Unternehmen mit kommunaler bzw. staatlicher Beteiligung Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB (insbesondere „sonstige Stellen“ i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB) sind, beurteilt sich nach einer Gesamtbetrachtung.[29] Danach wären privatrechtlich organisierte Unternehmen einer Behörde allenfalls dann gleichzustellen, wenn sie bei Wertung der sie kennzeichnenden Merkmale „gleichsam als verlängerter Arm des Staates“ erschienen.[30] Insofern herrscht jedoch eine restriktive Betrachtungsweise vor:[31]

Im FRAPORT-Fall[32] hat der BGH darauf abgestellt, dass die Aufgaben der FRAPORT ebenso auch von Privaten erfüllt werden könnten, dass FRAPORT wesentliche Einnahmen jenseits der Gewährleistung des bloßen Flugbetriebes erziele und zudem keine öffentlichen Zuwendungen erhielte. Es falle auch nicht ins Gewicht, dass die Aktionäre der FRAPORT ausschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechts seien, weil dieser Umstand für sich allein keinen so weitgehenden Einfluss der öffentlichen Hand auf die laufenden Geschäfte des Unternehmens eröffne, dass es als eingegliedert angesehen werden könne.[33]

Selbst die Deutsche Bahn AG unterliegt nach der Rspr. nicht derartig staatlicher Steuerung, dass sie einer Behörde gleichgestellt werden kann.[34] Da es im Bereich der Daseinsvorsorge neben der Organisationsprivatisierung zunehmend zu einer Aufgabenprivatisierung kommt und der Aufgabenbereich der Daseinsvorsorge auch privaten Marktteilnehmern offensteht und der Hoheitsträger die Funktion einem privatrechtlich organisierten und marktwirtschaftlich agierenden Unternehmen der öffentlichen Hand überträgt, trägt dessen Handeln ebenso einen ausschließlich erwerbswirtschaftlichen Charakter, wie dasjenige der rein privaten Mitbewerber, weshalb insofern schon die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe zweifelhaft ist.[35]

Sogar, wenn man annehmen wollte, dass es sich bei den Organen bzw. Entscheidungsträgern der als juristische Personen des Privatrechts organisierten Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand um Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB handeln würde, wären keine speziellen gesetzlichen Anzeigepflichten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ersichtlich: Bloße dienstrechtliche Anzeigepflichten begründen nach herrschender Auffassung keine Garantenpflicht zur Strafanzeige im Sinne des § 13 StGB, da diese ausschließlich der Gewährleistung eines funktionsfähigen und ordnungsgemäßen Dienstbetriebs dienen, nicht aber das Strafverfolgungsinteresse im Auge haben.[36] Auch ein Dienstvorgesetzter macht sich nicht strafbar, wenn er es unterlässt, Straftaten seiner Untergebenen anzuzeigen.[37] Privatpersonen sind erst recht nicht dazu verpflichtet, die Strafverfolgung anderer zu gewährleisten. Ferner lässt sich auch aus einem privatrechtlichenVertragsverhältnis eine Garantenstellung zum Schutz der staatlichen Rechtspflege nicht herleiten.[38]

Nach alledem ist eine Strafanzeigepflicht basierend auf den §§ 258, 258a StGB nicht gegeben.

c) Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB)

Rein theoretisch käme auch eine strafrechtlich sanktionierte Anzeigepflicht gem. § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten) in Betracht. Da in den typischen Fällen aber lediglich die Verwirklichung von Vergehenstatbeständen[39] (vgl. § 12 StGB) in Frage steht, ist § 138 StGB nicht anwendbar: Die dort genannte Anzeigepflicht bezieht sich ausschließlich auf die Katalogtaten – ganz überwiegend schwere Verbrechen – die in § 138 Abs. 1, Abs. 2 StGB ausdrücklich aufgezählt werden. Eine analoge Anwendung der Vorschrift ist nicht möglich.[40],[41]

2) Keine Strafanzeigepflicht auf der Basis des § 130 OWiG

Gemäß § 130 Abs. 1 OWiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben oder Unternehmen) wird folgendes Verhalten gegenüber dem Inhaber eines Unternehmens – aber auch eines Organs einer Kapitalgesellschaft – als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld bedroht: „Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens [auch des öffentlichen Unternehmens, vgl. Abs. 2] vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, handelt ordnungswidrig, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören auch die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen.“

Geahndet wird durch § 130 OWiG also das vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen durch die zuständigen Organe der Gesellschaft, die generell geeignet sind, Gefahren für die Rechtsordnung aus strafbaren oder bußgeldpflichtigen Pflichtverletzungen von Mitarbeitern abzuwenden. Die konkrete Zuwiderhandlung des Mitarbeiters ist objektive Bedingung der Bußgeldpflichtigkeit des Inhabers bzw. Geschäftsleiters.[42] Gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG gehört zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen „auch“ die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen. Diese Pflicht lässt sich im Konzern auf die von der Muttergesellschaft gestellten Aufsichtsorgane im Verhältnis zu den Geschäftsleitern der Tochtergesellschaften erstrecken. Daraus kann sich im Extremfall auch die Verpflichtung zum Austausch ungeeigneten Personals in einer compliance-relevanten Position ergeben. Im Grundsatz gilt, dass die Aufsicht so wahrzunehmen ist, dass die betriebsbezogenenPflichten voraussichtlich eingehalten werden.[43] Es handelt sich daher bei § 130 OWiG um eine zukunftsgerichtete, präventiv geprägte Pflichtenstellung.

Eine Strafanzeige kann hierbei nicht als eine im Einzelfall erforderliche Aufsichtsmaßnahme gelten. Eine über die sonstigen Aufsichtsmaßnahmen hinausgehende, effektivere präventive Wirkung gegenüber der Gefahr der Verletzung von betriebsbezogenen Pflichten durch Organe bzw. Mitarbeiter des Unternehmens kann ihr nicht zugeschrieben werden: Der Mehrwert einer etwaigen – allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht eintretenden – Abschreckung der Mitarbeiter und Organe durch eine Strafanzeige würde jedenfalls durch die mit der Anzeige einhergehenden negativen Wirkung aufgezehrt: So könnte sich eine solche hemmend auf die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern im Rahmen der erforderlichen Aufarbeitung auswirken und die Ruhe des Betriebs stören, da die Mitarbeiter dann befürchten könnten, dass sie selbst (zu Unrecht) ebenfalls eine solche Maßnahme treffen könnte und dass sie deshalb im Eigeninteresse nicht offen über etwaige noch bestehende Compliance-Mängel sprechen können.

3) Keine Strafanzeigepflicht auf der Basis anwendbarer Steuergesetze

Im steuerrechtlichen Bereich geben insbesondere die Normen der §§ 116, 153 AO Anlass, über eine Strafanzeigepflicht des Unternehmens nachzudenken.

a) Anzeige von Steuerstraftaten (§ 116 AO)

§ 116 Abs. 1 S. 1 AO konstituiert für bestimmte Behörden und für Gerichte eine Anzeigepflicht für dienstlich bekannt gewordene Tatsachen, die auf die Begehung einer Steuerstraftat hindeuten: „Gerichte und die Behörden von Bund, Ländern und kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung, die nicht Finanzbehörden sind, haben Tatsachen, die sie dienstlich erfahren und die auf eine Steuerstraftat schließen lassen, dem Bundeszentralamt für Steuern oder, soweit bekannt, den für das Steuerstrafverfahren zuständigen Finanzbehörden mitzuteilen.“ Es müssen also Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer Steuerstraftat (§ 369 AO) begründen. Es ist aber nicht erforderlich, dass das Vorliegen einer Steuerstraftat feststeht, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist oder sonst ein i.S.d. §§ 111a Abs. 1, 112 Abs. 1, 203 StPO qualifizierter Tatverdacht besteht. Es besteht keine Verpflichtung, dienstlich bekanntgewordenen, als Verdachtsanhaltspunkt nicht ausreichenden Tatsachen (Mutmaßungen) durch eigene Ermittlungen nachzugehen.[44]

§ 116 AO bezieht sich – neben Gerichten – auf Behörden i.S.d. § 6 Abs. 1 AO, § 1 Abs. 4 VwVfG, d.h. auf Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen.[45] Hier sind aber mit „kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung“ nach h.M. nur Behörden von Gebietskörperschaften angesprochen.[46] Behörden im weiteren Sinne des § 6 Abs. 1 AO – dies könnten auch beliehene Unternehmen sein – [47] werden von der Anzeigepflicht gem. § 116 Abs. 1 S. 1 AO gerade nicht erfasst. Vor diesem Hintergrund scheidet eine Anzeigepflicht von als juristische Personen des Privatrechts organisierten Unternehmen generell und unabhängig davon, ob eine Beteiligung der öffentlichen Hand gegeben ist, aus: Diese sind zweifelsfrei keine Behörden einer kommunalen Gebietskörperschaft, sondern selbständige Privatrechtssubjekte. [48]

b) Amtshilfepflicht (§ 111 AO)

Eine Pflicht zur Amtshilfeleistung zur Durchführung der Besteuerung gem. § 111 AO besteht nur für „alle Gerichte und Behörden“. Privatrechtlich organisierte Unternehmen sind mithin hiervon nicht betroffen (s.o.).

c) Berichtigung von Erklärungen (§ 153 AO)

Gemäß § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ist der Steuerpflichtige zur Anzeige und Berichtigung unzutreffender Steuererklärungen verpflichtet. Erkennt ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der steuerlichen Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO), „dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist […] so ist er verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Die Verpflichtung trifft auch […] die […] für […] den Steuerpflichtigen handelnden Personen.“

Da die Vorschrift unstrittig nur der materiellen Richtigkeit der Besteuerung dient (vgl. § 85 AO), ergänzt § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO lediglich die rein steuerlichen Erklärungspflichten gem. §§ 149, 150 AO i.V.m. den (steuerlichen) Erklärungspflichten in den Einzelgesetzen (KStG, UStG, EStG) indem er die Wahrheitspflicht des § 150 Abs. 2 S. 1 AO für Angaben in der Steuererklärung auch nach Abgabe der Erklärung fortbestehen lässt.[49] Mithin erfordert § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO keine Strafanzeige, sondern allein eine rein steuerliche Nacherklärung.[50]

4) Keine Strafanzeigepflicht auf der Basis gesellschaftsrechtlicher Vorschriften zur Compliance (§§ 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 S. 1 AktG, § 43 GmbHG)

Gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden; für die Geschäftsführer einer GmbH gilt dies entsprechend gem. § 43 GmbHG. Der Vorstand hat auf Grund dessen eine Kontroll- und Überwachungspflicht bzgl. der nachgelagerten Unternehmensebenen. Wie er diese erfüllt, liegt in seinem unternehmerischen Ermessen.[51] Allerdings enthält die Regelung des § 91 Abs. 2 AktG immerhin die Verpflichtung zur Einrichtung eines Überwachungssystems zur Vermeidung von den Fortbestand des Unternehmens gefährdenden Entwicklungen (IKS). Es ist weitgehend anerkannt, dass die Compliance-Organisation präventive sowie repressive Maßnahmen vorzusehen hat: Ein Compliance-System muss gewährleisten, dass bei Verdachtsfällen ermittelt wird, dass Informationen über Fehlverhalten im Unternehmen weitergeleitet und dass entsprechende Regressmaßnahmen bei nachgewiesenem Fehlverhalten eingeleitet werden.[52]

Nach wohl herrschender Auffassung ist daher die Androhung von Sanktionen für den Fall der Zuwiderhandlung als Komponente des Compliance-Systems sinnvoll. Als Sanktionen kommen u.a. eine Regressforderung, eine Kündigung oder das Stellen einer Strafanzeige in Betracht.[53] Zugleich ist aber festzuhalten, dass nach h.M. im Falle eines Compliance-Verstoßes keine rechtsverbindlich-zwingende Sanktionspflicht des Vorstands bzw. der Geschäftsführung – bezogen auf irgendeine Form der Sanktion – existiert.[54] Erforderlich ist vielmehr eine Abwägung der Unternehmensinteressen i.S.d. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, wonach sich eine Pflicht zur Reaktion u.U. ergeben kann, wenn eine Sanktionierung zum Schutz des Unternehmensinteresses notwendig ist. Dies ist etwa der Fall, wenn ein besonders großer Vermögensverlust entstanden ist und durch Publikwerden der Verstöße dem Unternehmen kein erheblicher Reputationsverlust droht, andererseits aber befürchtet werden muss, dass das Absehen von Sanktionierung seitens der Behörden als ein Indiz für das Billigen der Rechtsverletzung durch die Gesellschaft gesehen wird.[55] Jedoch verdichtet sich all dies regelmäßig nicht zur Pflicht der Erstattung einer Strafanzeige, sondern allenfalls zur Pflicht zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen oder zur Kündigung eines Mitarbeiters.[56] Das Stellen einer Strafanzeige dürfte allenfalls dann geboten sein, wenn allein über diesen Weg Beweise für spätere Schadensersatzklagen ermittelt werden können.[57] Auch dies gilt aber nur, wenn die Abwägung gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ergibt, dass die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber anderen Aspekten im vorrangigen Unternehmensinteresse liegt.

Überdies ist im Übrigen anerkannt, dass ein Unternehmen verbindlich auf die Erstattung von Strafanzeigen verzichten kann: Einen umfassenden Schutz vor Strafverfolgungsmaßnahmen kann das Unternehmen (ehemaligen) Mitarbeitern rechtlich zwar nicht gewähren.[58] Es ist jedoch – beispielsweise im Zusammenhang mit sogenannten partiellen oder generellen „Amnestien“ bei unternehmensinternen Ermittlungen – anerkannt, dass die bei dieser Gelegenheit häufig zu findende Zusage, wonach der Arbeitgeber auf die strafrechtliche Verfolgung einzelner Mitarbeiter verzichtet, meint, dass sich der Arbeitgeber verpflichtet, keine Strafanzeige oder keinen Strafantrag (§ 158 StPO) zu stellen, und dass dies nicht gegen arbeitsrechtliche oder gesellschaftsrechtliche Pflichten verstößt.[59] Dies ergibt sich nach h.M. auch daraus, dass eine generelle Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige für bereits begangene Straftaten strafprozessual nicht besteht.[60] Daher wird auch die Vereinbarung eines entsprechenden vertraglichen Verzichts einer Strafanzeige oder eines Strafantrags als möglich angesehen, sofern nicht die Grenzen des § 138 BGB überschritten werden.[61]

Nach alledem besteht aus gesellschaftsrechtlicher Sicht ebenfalls keine Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige.

5) Keine Strafanzeigepflicht auf der Basis anwendbarer öffentlich-rechtlicher Vorschriften

a) Öffentliches Bundesrecht

Im Bundesrecht bestehen strafprozessual geprägte Anzeigepflichten, die allerdings auf privatrechtlich organisierte Unternehmen von vornherein nicht zutreffen können.[62]

Auch sonst sind im öffentlichen Bundesrecht vereinzelt Anzeigepflichten vorgesehen: Gemäß § 6 SubvG haben Gerichte und Behörden von Bund, Ländern und kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung Tatsachen, die sie dienstlich erfahren und die den Verdacht eines Subventionsbetrugs begründen, den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen. Einzig in Betracht kommt insofern eine Anwendbarkeit auf gemischtwirtschaftliche Unternehmen. Diese sind aber – wie die Identität des Wortlauts mit § 116 AO zeigt (s.o.) – keine Behörden von kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung.

Nach § 11 Abs. 1 S. 1 GwG besteht eine Verdachtsmeldepflicht gegenüber dem Bundeskriminalamt – Zentralstelle für Verdachtsmeldungen – und der zuständigen Strafverfolgungsbehörde, wenn Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass es sich bei Vermögenswerten, die mit einer Transaktion oder Geschäftsbeziehung im Zusammenhang stehen, um den Gegenstand einer Straftat nach § 261 StGB (Geldwäsche) handelt oder die Vermögenswerte im Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung stehen. Die danach grundsätzlich statuierte Anzeigepflicht betrifft mithin nicht den Bereich der hier in Bezug genommenen „typischen“ Vergehen[63]. Überdies erfährt der Kreis der Verpflichteten durch § 2 Abs. 1 GwG eine Einschränkung.

b) Landesrecht sowie verwaltungsinterne Erlasse

Auch die landesrechtliche Normenebene ist bei der Prüfung einer Strafanzeigepflicht zu berücksichtigen. Selbiges gilt für etwaige verwaltungsinterne Erlasse. Die gebotene Untersuchung soll hier aufgrund des Kanzleisitzes der Autoren am Beispiel der für Hessen einschlägigen Rechtsvorschriften vorgenommen werden. Vergleichbare, wenn auch nicht unbedingt identische, Gesetze und Erlasse dürften in allen Bundesländern anzutreffen sein.

aa) Hessisches Beamtengesetz (HessBG)

§ 84 HessBG macht lediglich Vorgaben zur Genehmigungspflicht zur Vorteilsannahme bei Beamten – im staatsrechtlichen Sinne – und ist somit nicht einschlägig. Er enthält überdies eindeutig keine Anzeigepflicht.

bb) Erlasse der Landesregierung und des Innenministers

Daneben war die Hessische Landesregierung und das Hessische Ministerium des Inneren verschiedentlich durch Erlasse bzw. gemeinsame Runderlasse bemüht, die Korruption in der öffentlichen Verwaltung zu bekämpfen. Der mögliche Anwendungsbereich dieser verwaltungsinternen Vorschriften erstreckt sich damit von vornherein nur auf gemischtwirtschaftliche Unternehmen. Allerdings ergibt sich im Ergebnis auch insofern keine Rechtspflicht zur Erstattung einer Strafanzeige:

  • Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 15. Dezember 2008

Der Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 15. Dezember 2008[64] sieht in Abs. 3 S. 1 („Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft“) vor: „Die Kommune soll anonyme und offene Anzeigen oder Hinweise grundsätzlich der Staatsanwaltschaft zuleiten“. Darin könnte eine Anzeigepflicht (oder zumindest ein gebundenes Ermessen) gesehen werden, die sich allerdings nicht an privatrechtlich organisierte Unternehmen richtet. Der Anwendungsbereich wird im Titel sowie in den Einzelvorschriften deutlich auf die Kommunalverwaltungen beschränkt. Die privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand sind aber keine Behörden und ihre Mitarbeiter sind keine Amtsträger. Es kann daher nicht angenommen werden, diese seien Teil der Kommunalverwaltung. Gemeint sind erkennbar nur kommunale Beamte und kommunale Angestellte, da zu Beginn des Erlasses davon die Rede ist, dass die Kommunen – d.h. die Gemeinden und andere kommunale Gebietskörperschaften – Dienstanweisungen für ihre Bediensteten erlassen sollen (Nr. I.1).[65]

  • Gemeinsamer Runderlass der hessischen Landesregierung betreffend das Öffentliche Auftragswesen („Schwarze Liste“) vom 16. Februar 1995

Der Gemeinsame Runderlass der hessischen Landesregierung betreffend das Öffentliche Auftragswesen („Schwarze Liste“)[66] ist nach § 55 der Landeshaushaltsordnung von den Behörden des Landes Hessen anzuwenden. Danach führen nachgewiesene (Nr. 3) Verstöße gem. Nr. 2 („Schwere Verfehlungen“) grundsätzlich zum Ausschluss von der Vergabe von öffentlichen Aufträgen des Landes (Nr. 4.1). Vor dem Ausschluss hat die ausschließende Behörde (Nr. 5.1 S. 1) die übergeordneten Behörden auf dem Dienstweg zu unterrichten (Nr. 5.1 S. 2). Zudem ist der Ausschluss gegenüber der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main zu melden (Nr. 7.1, 7.2).

Demnach würde, selbst wenn ein Verdacht auf entsprechende Straftaten („schwere Verfehlungen“) nachgewiesen sein sollte, eine Ausschluss- und Meldepflicht im Sinne der Nr. 4.1, 5.1, 7.1 nur bei der Behörde bestehen, die für Ausschreibungen zuständig ist, d.h. deren Adressat ist, nicht aber bei dem Unternehmen selbst. Zudem ist der Erlass – da er für die hessische Landesverwaltung gilt – auf Organe und Mitarbeiter privatrechtlicher (gemischtwirtschaftlicher) Unternehmen schon nicht anwendbar (s.o.): Letztere sind keine Behörden; ihre Mitarbeiter keine Amtsträger.

  • Verwaltungsvorschriften des Hessischen Ministerium des Innern und für Sport vom 17. Oktober 2006

Schließlich sind die „Verwaltungsvorschriften des Hessischen Ministerium des Innern und für Sport vom 17. Oktober 2006 “[67], nämlich „Verwaltungsvorschriften zur Korruptionsbekämpfung in der Landesverwaltung; hier: Verwaltungsvorschriften für Beschäftigte des Landes über die Annahme von Belohnungen und Geschenken“ in Betracht zu ziehen: Gemäß Nr. 9.1 gelten diese Verwaltungsvorschriften einheitlich für alle „Beschäftigten des Landes Hessen“ und regeln daher nur das Verbot der Annahme von Vorteilen durch Landesbeschäftigte. Eine Geltung auch für die Mitarbeiter von privatrechtlich organisierten Unternehmen liegt dagegen nicht vor.[68]

6) Keine Strafanzeigepflicht auf der Basis des Deutschen Corporate Governance Kodex und des Public Corporate Governance Kodex

a) Deutscher Corporate Governance Kodex (2010)

Der deutsche Corporate Governance Kodex in seiner geltenden Fassung vom 26. Mai 2010[69] enthält keine Regelung zur Erstattung einer Strafanzeige im Falle der Feststellung mutmaßlicher Straftaten, die durch Mitarbeiter im Rahmen ihrer Tätigkeit begangen wurden.

b) Public Corporate Governance Kodex des Bundes (2009)

Das Finanzministerium der Bundesrepublik Deutschland (BMF) hat „Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes“ (dazu unter anderem gehörend „Teil A. Public Corporate Governance Kodex des Bundes“; „PCGK“) veröffentlicht.[70] Ausweislich Gliederungsziffer 1.3 des PCGK („Anwendungsbereich“) sind dessen Empfehlungen ausschließlich auf privatrechtlich organisierte Unternehmen anwendbar, an denen die Bundesrepublik Deutschland als Gesellschafter bzw. Anteilseigner beteiligt ist, oder auf Unternehmen, die öffentlich-rechtlich organisiert sind.

Sofern danach der Anwendungsbereich eröffnet ist, muss Folgendes beachtet werden: Eine Verpflichtung der Geschäftsleitung oder der Aufsichtsgremien von Unternehmen mit Beteiligung des Bundes zur Erstattung von Strafanzeige ist dem PCGK nicht zu entnehmen. Ausweislich Gliederungsziffer 4.1.2 hat die „Geschäftsleitung […] für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auch auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance)“. Zudem ist sie gem. 4.1.3. zur Korruptionsprävention verpflichtet. Diese beiden – zukunftsbezogen-präventiven Pflichten – implizieren aber auch unter Berücksichtigung der Anmerkungen des BMF zum PCGK keine Pflicht zur Erstattung von Strafanzeige bezüglich bereits begangener Straftaten.

c) Public Corporate Governance Kodices auf kommunaler Ebene

Ferner sind auch – sofern sie denn existieren – die entsprechenden auf kommunaler Ebene bestehenden Richtlinien zu berücksichtigen. So hat beispielsweise die Stadt Frankfurt am Main[71] entsprechende Richtlinien guter Unternehmensführung für ihre Beteiligungen an privatrechtlichen Unternehmen erlassen (Public Corporate Governance Kode, „PCGKF“)[72]. Sie mögen im Folgenden als Grundlage einer beispielhaften Betrachtung dienen.[73]

Die Vorgaben der Stadt Frankfurt richten sich primär an Unternehmen in der Rechtsform der GmbH, sollen aber entsprechend auch auf Unternehmen anderer Rechtsform angewandt werden.[74] Auch sie enthalten jedoch keine Verpflichtung zur Erstattung von Strafanzeigen wegen des Verdachts von unternehmensbezogenen Straftaten durch Organe oder Mitarbeiter von Gesellschaften mit direkter oder indirekter städtischer Beteiligung: Gemäß Ziff. 3.2.2.1 des PCGKF[75] trifft Aufsichtsratsmitglieder lediglich die Verpflichtung, die etwaige Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Gesellschaft zu prüfen, d.h. diese nicht zwingend auch geltend zu machen. Hervorzuheben ist ebenfalls, dass damit die Erstattung einer Strafanzeige als Regelfolge gerade nicht vorgesehen ist. Gemäß Ziff. 3.3.2 des PCGKF[76] hat die Geschäftsleitung der Beteiligungsunternehmen angemessene Maßnahmen zur Risikokontrolle und der Korruptionsprävention zu treffen. Auch danach müssen allein präventive Maßnahmen zur Abwehr zukünftiger Straftaten ergriffen werden. Es ist hingegen an keiner Stelle des PCGKF vorgesehen, dass zwingend repressiv mit strafrechtlichen Mitteln gegen straffällige Mitarbeiter oder Organe vorgegangen werden muss.

7) Zwischenergebnis

Für privatrechtlich organisierte Unternehmen besteht bzgl. der im Rahmen von Internal Investigations typischerweise aufgedeckten Vergehen keine Pflicht zur Strafanzeige. Dies gilt ebenfalls ohne Einschränkungen für Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist. Auch aus den insoweit anzulegenden besonders strengen rechtlichen und politisch-moralischen Maßstäben ergibt sich nichts Abweichendes: Sie können das Fehlen einer (ausdrücklich) normierten Strafanzeigepflicht nicht überwinden. Schließlich vermögen sich auch die an börsennotierte Kapitalgesellschaften gerichteten besonders weitgehenden Sorgfaltsanforderungen regelmäßig nicht zu einer Pflicht zur Strafanzeige zu verdichten.

Eine Rechtspflicht zur Anzeige lässt sich schon dem materiellen Strafrecht nicht entnehmen: Weder ist sie aus den i.R.d. § 13 StGB entwickelten Grundsätzen der Geschäftsherrenhaftung ableitbar, noch ergibt sie sich aus den §§ 258, 258a, 13 StGB, da die Entscheidungsträger insofern schon keine entsprechende Garantenpflicht trifft. § 138 StGB ist bereits seinem Wortlaut nach nur auf bestimmte Katalogtaten – überwiegend schwere Verbrechen – beschränkt. Das präventiv geprägte Pflichtenprogramm des § 130 OWiG sieht lediglich die Erfüllung erforderlicher Aufsichtsmaßnahmen vor. Es beinhaltet allerdings nicht auch die Pflicht zur Strafanzeige. Nichts anderes ist den steuergesetzlichen Regelungen zu entnehmen: I.R.d. §§ 116, 111 AO sind die in Bezug genommenen Unternehmen schon keine tauglichen Adressaten. Gem. § 153 AO besteht nur eine rein steuerliche Nacherklärungspflicht. Auch aus gesellschaftsrechtlichen Normen (§§ 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 AktG, § 43 GmbHG) resultiert grundsätzlich keine Verpflichtung zur Strafanzeige. Die Form einer etwaig durchzuführenden Sanktion orientiert sich vielmehr an einer am Unternehmensinteresse ausgerichteten Abwägung. Die im öffentlichen Bundesrecht kodifizierten Anzeigepflichten sind größtenteils auf privatrechtlich organisierte Unternehmen mit oder ohne Beteiligung der öffentlichen Hand schon nicht anwendbar (vgl. § 159 Abs. 1 StPO, § 183 S. 1 GVG, § 41 Abs. 1 OWiG, § 6 SubvG). Der Anwendungsbereich von § 11 Abs. 1 GWG erfährt eine Einschränkung durch § 2 Abs. 1 GWG. Zudem ist die Norm nur bei Taten im Zusammenhang mit Geldwäsche (§ 261 StGB) bzw. der Terrorismusfinanzierung einschlägig. Das hessische Landesrecht und die verwaltungsinternen Erlasse beinhalten ebenfalls keine Rechtspflicht zur Anzeige: § 84 HessBG normiert schon keine Anzeigepflicht. Überdies unterliegen selbst gemischtwirtschaftliche Unternehmen nicht dem Geltungsbereich der relevanten öffentlich-rechtlichen Erlasse. Schließlich ergibt sich auch aus den hier geprüften (von verschiedenen Ebenen erlassenen) Corporate Governance Kodices keine Strafanzeigepflicht.

III. Fazit

Eine zwingende gesetzliche oder untergesetzliche Rechtspflicht zur Erstattung einer Strafanzeige durch die Unternehmensführung bei unternehmensbezogenen Wirtschaftsstraftaten (insb. §§ 263, 266, 299, 331 ff. StGB, 370 AO) von Mitarbeitern bzw. Organen ist nicht anzuerkennen. Die Entscheidung über die Offenlegung solcher unternehmensbezogener Straftaten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden liegt somit im pflichtgemäßen Ermessen der Geschäftsleitung des betroffenen Unternehmens. Dieses Ermessen wird fehlerfrei ausgeübt, wenn die Mitglieder der Geschäftsleitung bei einer Entscheidung über die (Nicht-)Anzeige vernünftigerweise annehmen dürfen, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs.1 S. 2 AktG (analog)).

Die Unterlassung von Strafanzeigen gegen straffällige (ehemalige) Organe und Mitarbeiter ist für das Unternehmen nicht selten per saldo ökonomisch und insgesamt unternehmenspolitisch sinnvoll, auch weil andere Reaktions- und Sanktionsformen effizienter und einschneidender sein können. Erforderlich ist eine Entscheidung anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls. Mitunter kann (nur) durch die Unterlassung der Strafanzeige ein für das Unternehmen imageschädigendes und haftungsträchtiges (vgl. §§ 73 ff. StGB, 29a, 30 OWiG) Strafverfahren gegen die (gegebenenfalls ehemaligen) Mitarbeiter bzw. Organe in öffentlicher Verhandlung und – u. U. mit negativer Berichterstattung der Medien – vermieden werden[77]. Eine nichtöffentliche Beendigung von Rechtsstreitigkeiten mit einer Straftat verdächtigen (ehemaligen) Mitarbeitern und Organen unter Vermeidung von Imageschäden kann auch für den Rechts- und Betriebsfrieden förderlich sein und hat auch deshalb oft einen nicht unerheblichen – wenn auch nicht ohne weiteres exakt bezifferbaren – wirtschaftlichen Wert für das Unternehmen. Auch werden so weder potentielle Kunden, noch aktuelle Geschäftspartner von Geschäftsbeziehungen abgeschreckt, die durch ein der Öffentlichkeit bekanntes Strafverfahren u. U. von der Geschäftsbeziehung abgehalten werden würden. Im Falle der gütlichen Erledigung von arbeitsrechtlichen oder zivilrechtlichen Streitigkeiten mit ehemaligen Mitarbeitern und Organen durch einen Aufhebungsvertrag muss auch weniger befürchtet werden, dass bisherige Geschäftsbeziehungen oder Unternehmensinterna – insbesondere Betriebsgeheimnisse (§§ 17, 18 UWG) – an die Öffentlichkeit geraten, was bei einer Eskalation – auch etwa bei Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche – jedenfalls wohl wahrscheinlicher wird[78], da nahe liegend ist, dass sich ein ehemaliger Beschäftigter, der sich in die Enge getrieben fühlt, u. U. auch unter Verletzung von Rechtspflichten verteidigen und Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse offen legen könnte. Die Offenlegung solcher Geheimnisse könnte bereits für sich betrachtet eine erhebliche Gefährdung des Rufs und ggf. des Vermögens des Unternehmens nach sich ziehen, letzteres insbesondere, wenn Betriebsgeheimnisse an Kunden oder die Konkurrenz gelangen. Vor diesem Hintergrund lässt sich zumindest außerhalb eines bereits laufenden Strafverfahrens mit Unternehmensbezug oft gut begründen, dass vernünftigerweise anzunehmen war, dass die Entscheidung zur Nichtanzeige des straffälligen Mitarbeiters nach Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft erfolgte.

Umgekehrt kann u. U. – gerade in Einzelfällen eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens, in das das Unternehmen und einzelne Mitarbeiter bzw. Organe involviert sind – ein kooperatives Verhältnis zu den Strafverfolgungsbehörden essentiell im Unternehmensinteresse liegen, insbesondere zur Vermeidung bzw. Minimierung von unternehmensbezogenen Rechtsfolgen. Diese Kooperation kann u. U. auch die Offenlegung von Sachverhalten beinhalten, die durch das Unternehmen selbständig aufgedeckt wurden und aus denen auf unternehmensbezogene Straftaten von Mitarbeitern bzw. Organen zu schließen ist.

[:en]

I. Einleitung

Im Nachgang zu einer Internal Investigation oder auch schon während diese durchgeführt wird, stellt sich stets die Frage, ob und inwieweit das Unternehmen potentiell strafrechtlich relevante Sachverhalte und deren mutmaßliche Urheber den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen hat. Hier sind grundsätzlich zwei Fragen zu unterscheiden: Liegt es – u. U. bereits deshalb, weil parallel ein Ermittlungsverfahren zum selben Sachverhalt geführt wird – im Interesse des Unternehmens bzw. ist es sogar faktisch unumgänglich, belastende Ermittlungsresultate – ggf. alle Ermittlungsergebnisse – offenzulegen und damit der Sache nach Strafanzeige zu erstatten (vgl. § 158 StPO)? Oder besteht ggf. für bestimmte Sachverhaltskonstellationen sogar eine zwingende Rechtspflicht zur Erstattung gerade einer Strafanzeige bei den Strafverfolgungsbehörden auf der Basis strafrechtlicher, privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Normen, ggf. auch auf der Basis von untergesetzlichen Rechtsnormen oder gar Verwaltungsanweisungen und Kodices? Wäre Letzteres der Fall, läge nahe, dass unter Risikogesichtspunkten eine Ermessensentscheidung zur Nichtoffenlegung orientiert am Unternehmensinteresse gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG („Business Judgement Rule“) regelmäßig nicht mehr in Betracht kommt, selbst wenn die Verletzung der Anzeigepflicht nicht straf- oder sanktionsbedroht ist. Die Frage stellt sich in verschärfter Form, wenn es um Unternehmen geht, die besonders intensiv reguliert werden (z. B. Finanzdienstleistungsunternehmen), oder um solche, für die zusätzlich eine Art untergesetzliches Sonderrecht geschaffen wurde, beispielhaft seien börsennotierte Kapitalgesellschaften oder Unternehmen im Eigentum von Körperschaften des Öffentlichen Rechts genannt. Für beide gilt zudem, – aus unterschiedlichen Gründen – dass das Bekanntwerden von Gesetzesverletzungen – besonders eine rechtswidrige Verheimlichung strafbaren Verhaltens im Unternehmen – zu besonders intensiven Imageschäden führen kann. Bei Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, kommt hinzu, dass diese der Allgemeinheit gehören, oft besonders intensiven (partei-)politischen Einflüssen ausgesetzt sind und deren Leitungsgremien daher von der öffentlichen Meinung den besonders strengen rechtlichen und politisch-moralischen Maßstäben unterworfen werden, die auch an politische Amtsträger gestellt werden.

Vor diesem Hintergrund wird oft angefragt, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen unter Zugrundelegung des ermittelten Sachverhalts eine Strafanzeigepflicht, insbesondere gegen (ausgeschiedene) Mitarbeiter oder Organe, auch bei Tochtergesellschaften besteht. In den typischen Fällen besteht der Verdacht der Begehung von Vergehen gem. §§ 263 ff., 266 ff., 299 f., 331 ff. StGB, 370 AO, nicht aber von Verbrechen (§ 12 StGB). Unter Berücksichtigung der Sondersituation von Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand wird nachfolgend erörtert, inwiefern – entgegen der Intuition – möglicherweise doch eine Rechtspflicht zur Erstattung einer Strafanzeige bestehen könnte.

II. Mögliche Rechtsgrundlagen einer Strafanzeigepflicht

1) Materielles Strafrecht

Im Bereich des materiellen Strafrechts ist bzgl. einer möglicherweise (indirekt) zur Anzeige verpflichtenden Norm an die §§ 13, 25 ff., 138, 258, 258a StGB zu denken.

a) Beteiligung an der (noch andauernden bzw. erneut bevorstehenden) Straftat (§ 13, 25 ff. StGB)

Fraglich ist, ob sich eine Pflicht zur Strafanzeige bzgl. aus dem Unternehmen heraus begangener Straftaten nach den Grundsätzen der §§ 13, 25 ff. StGB ergibt.

Im Falle der Untätigkeit des Geschäftsherrn trotz Kenntnis von etwaigen Verstößen seiner Mitarbeiter ist seine strafrechtliche Haftung nur über eine nicht beachtete Handlungsverpflichtung zu begründen. Die Verpflichtung, gegen im Unternehmen stattfindende Straftaten einzuschreiten, setzt jedenfalls das Bestehen einer Garantenpflicht i.S.d. § 13 StGB voraus. Eine solche sog. Geschäftsherrenhaftung ist zwar im Einzelnen umstritten[1], wird aber von der wohl h.M. anerkannt[2]. Sie lässt sich aus der mit der Betriebsorganisation einhergehenden erhöhten Gefahr für die Begehung von Delikten – quasi als Kehrseite der Freiheit ein Unternehmen betreiben zu dürfen – begründen.[3] Anerkannt ist aber, dass sich diese Pflicht ausschließlich auf die Verhinderung betriebsbezogener Straftaten bezieht und solche Taten, die der Mitarbeiter lediglich bei Gelegenheit seiner Tätigkeit begeht, nicht umfasst.[4]

Oftmals wird die Verpflichtung zur Vornahme unternehmensinterner Maßnahmen zur Sicherstellung rechtskonformen Verhaltens auf sog. Compliance Officer übertragen. Ziel der Geschäftsleitung ist es, ihre insofern bestehenden Pflichten (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) wirksam auf die Errichtung, Organisation und Überwachung eines Compliance-Systems zu beschränken.[5] Ob den Compliance Officer dann aber per se eine Garantenpflicht trifft, ist fraglich. Zu diesem Problemkreis nahm der 5. Strafsenat des BGH jüngst in der BSR-Entscheidung[6] im Rahmen eines obiter dictums Stellung. Danach sei eine solche Garantenstellung „regelmäßig“[7] anzunehmen. Sie entstehe als notwendige Kehrseite der „gegenüber der Unternehmensleitung übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu unterbinden […].“[8] Eine erste – zutreffende – Einschränkung des von ihm aufgestellten Grundsatzes deutet der BGH in seiner Entscheidung bereits selbst an: Zum einen muss die Straftat in einem Betriebsbezug stehen (s.o.). Zum anderen müssen dem Unternehmen „erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust“[9] drohen.[10] Darüber hinaus ist die vom BGH propagierte Regelmäßigkeit der Garantenstellung weiter einzuschränken: Die Garantenpflicht des Compliance Officers resultiert aus seinem vertraglich und faktisch übernommenen[11] Pflichtenkreis bzw. richtet sich in ihrem Umfang danach, inwieweit die Aufgaben durch die Leitungsorgane auf ihn in zulässiger Form delegiert wurden.[12] Mithin ist jeweils eine Einzelfallbetrachtung unter maßgeblicher Berücksichtigung der konkreten Stellenbeschreibung des Compliance Officers vorzunehmen.[13] Insoweit ist zu beachten, dass dieser in der Praxis regelmäßig gerade nicht mit Entscheidungs- und Weisungsrechten ausgestattet ist.[14] Vielmehr beschränkt sich seine Verpflichtung zumeist auf die Aufdeckung von Regelverstößen und den Bericht derselben in einem festgelegten unternehmensinternen Berichtsverfahren.[15]

Eine weitergehende Offenlegung bzw. Anzeige etwaiger Straftaten durch den Compliance Officer gegenüber unternehmensexternen Stellen kann dagegen nicht verlangt werden. Hierfür fehlt es an einer geschriebenen Grundlage.[16] Gegen den Rückgriff auf eine allgemeine, aber ungeschriebene Verpflichtung spricht, dass der Gesetzgeber, sofern er denn eine externe Berichts- bzw. Anzeigepflicht für erforderlich hält, ausdrücklich tätig geworden ist, diese Regelungen aber zugleich mit einem stark eingeschränkten Anwendungsbereich versehen hat (vgl. § 138 StGB, § 11 GwG). Überdies indiziert auch die Neuregelung des § 46b StGB, der in seinem Abs. 1 eine Strafmilderung im Falle des freiwilligen Offenbarens von Wissen bzgl. einer Straftat ermöglicht, dass insofern keine Verpflichtung besteht.[17] Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass das „Angebot“ des Gesetzgebers, Wissen über Straftaten an externe Stellen weiterzugeben, gerade im Falle von besonders schweren Verfehlungen (Katalogtaten i.S.d. § 100a Abs. 2 StPO) gilt; selbst in diesem Bereich der schweren Kriminalität wird also keine externe Informationspflicht statuiert.[18]

Die soeben genannten Gesichtspunkte sprechen auch gegen eine Verpflichtung der Leitungsorgane zur Strafanzeige. Auf welche Art und Weise sie dem durch § 13 StGB erteilten Auftrag gerecht werden, müssen sie vielmehr unter Berücksichtigung der Unternehmensinteressen selbst entscheiden. Einzig für die Fälle, in denen die Straftat ausschließlich durch eine Anzeige gegenüber den Ermittlungsbehörden zu verhindern wäre, ließe sich eine Verpflichtung hierzu denken. Dieses Szenario wird aber in der Praxis aufgrund der weitreichenden Entscheidungs- und Weisungsrechte des Arbeitgebers selten einschlägig sein. Überdies müssten auch in dieser Situation noch die durch den Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Wertungen beachtet werden: Es wäre ein erhebliches (etwaige entgegenstehende Unternehmsinteressen überwiegendes) öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu fordern. Die in Frage stehende Straftat müsste also mit denjenigen Taten, hinsichtlich derer eine ausdrückliche Anzeigepflicht normiert ist, vergleichbar sein. Einen solchen Schweregrad werden die hier in Rede stehenden typischen Vergehen aber nicht erreichen.

Mithin ergibt sich aus den §§ 13, 25 ff. StGB, selbst wenn man eine entsprechende Garantenstellung für die Leitungsorgane bzw. den Compliance Officer im konkreten Fall bejaht, keine Verpflichtung, eine externe Strafanzeige vorzunehmen.

b) Strafvereitelung, Strafvereitelung im Amt (§§ 258, 258a StGB)

Nach § 258 Abs. 1 StGB (Strafvereitelung) wird bestraft, „Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft […] wird, […]“ oder wer dies versucht (Abs. 4). § 258a StGB (Strafvereitelung im Amt) schreibt strafverschärfend vor: „Ist in den Fällen des § 258 Abs. 1 der Täter als Amtsträger zur Mitwirkung bei dem Strafverfahren […] berufen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe […].“

Der Täter muss durch die Vereitelungshandlung den Eintritt eines bestimmten Vereitelungserfolgs herbeiführen, d.h. der Vortäter muss durch die Hilfeleistung im Hinblick auf die Strafverfolgung tatsächlich besser gestellt worden sein.[19] Strafbar ist zunächst allein ein aktives Tun, das den Erfolg der Strafvereitelung bewirkt: Es ist ausreichend, dass die Ahndung der Straftat für „geraume Zeit“ nicht verwirklicht wird.[20] Die Definition der erforderlichen Zeitspanne erfolgt in Literatur und Rspr. uneinheitlich. Als ausreichend angesehen werden Verzögerungen von zehn bis zwölf Tagen bzw. drei Wochen.[21] Aus der Natur des § 258 StGB als Erfolgsdelikt ergibt sich, dass die Vereitelungshandlung des Täters für den Taterfolg ursächlich sein muss. Insoweit kann eine vollendete Strafvereitelung nur dann angenommen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Bestrafung ohne die (aktive) Vereitelungshandlung geraume Zeit früher erfolgt wäre.[22] In Anbetracht der Vielfältigkeit und Komplexität des Ermittlungs-, Verhandlungs- und Urteilsfindungsprozesses im Strafverfahren sind jedoch eine derartige Kausalitätsfeststellung und deren Nachweis häufig nicht möglich. Scheitert die Subsumtion allein an der Kausalitätsfeststellung, kommt allerdings nach dem Grundsatz in dubio pro reo eine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung (§§ 258 Abs. 1, Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB) in Betracht.[23]

Ein aktives, strafvereitelndes Tun im Sinne der §§ 258, 258a StGB wird seitens des Unternehmens regelmäßig nicht beabsichtigt oder gar zu beobachten sein. In Betracht kommt damit allein die bloße Untätigkeit. Es ist daher zu fragen, ob das Unterlassen einer Strafanzeige ein tatbestandliches „Vereiteln“ im Sinne dieser Vorschrift sein kann: Dies setzt wiederum voraus, dass dem Täter eine Garantenpflicht (§ 13 Abs. 1 StGB) hinsichtlich der Sicherstellung der Strafverfolgung obliegt.[24] Der Unterlassende muss demnach dazu berufen sein, an der Strafverfolgung mitzuwirken und in irgendeiner Weise dafür Sorge zu tragen, dass Straftäter ihrer Bestrafung oder sonstigen strafrechtlichen Maßnahmen zugeführt werden.[25]

Eine solche Verpflichtung kommt bei Privaten regelmäßig nicht in Betracht.[26] Eine entsprechende Handlungspflicht trifft (i.R.d. § 258a StGB) jedoch solche Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB), die dienstlich mit der Strafverfolgung betraut sind, so z.B. Strafrichter, Staatsanwälte und ihre Ermittlungspersonen sowie Polizeibeamte (vgl. §§ 152, 160, 161, 163 Abs. 1 StPO, § 152 GVG). Allerdings sind selbst Entscheidungsträger in Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand offensichtlich nicht dienstlich mit der Strafverfolgung betraut. Sie trifft mithin auch keine Strafanzeigepflicht im Sinne des § 258a StGB.

Für Amtsträger, die nicht zum oben genannten Kreis des § 258a StGB gehören, besteht nach § 258 StGB keine Pflicht, ihnen bekannt gewordene Straftaten zur Strafanzeige zu bringen.[27] Deren Garantenstellung würden allein spezielle gesetzliche Anzeigepflichten begründen, die gerade den Zweck haben, den Strafverfolgungsbehörden Tatsachen, die dienstlich in Erfahrung gebracht wurden und die den Verdacht einer Straftat begründen, mitzuteilen.[28]

Ob Organe und Mitarbeiter von privatrechtlich organisierten und erwerbswirtschaftlich tätigen Unternehmen mit kommunaler bzw. staatlicher Beteiligung Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB (insbesondere „sonstige Stellen“ i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB) sind, beurteilt sich nach einer Gesamtbetrachtung.[29] Danach wären privatrechtlich organisierte Unternehmen einer Behörde allenfalls dann gleichzustellen, wenn sie bei Wertung der sie kennzeichnenden Merkmale „gleichsam als verlängerter Arm des Staates“ erschienen.[30] Insofern herrscht jedoch eine restriktive Betrachtungsweise vor:[31]

Im FRAPORT-Fall[32] hat der BGH darauf abgestellt, dass die Aufgaben der FRAPORT ebenso auch von Privaten erfüllt werden könnten, dass FRAPORT wesentliche Einnahmen jenseits der Gewährleistung des bloßen Flugbetriebes erziele und zudem keine öffentlichen Zuwendungen erhielte. Es falle auch nicht ins Gewicht, dass die Aktionäre der FRAPORT ausschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechts seien, weil dieser Umstand für sich allein keinen so weitgehenden Einfluss der öffentlichen Hand auf die laufenden Geschäfte des Unternehmens eröffne, dass es als eingegliedert angesehen werden könne.[33]

Selbst die Deutsche Bahn AG unterliegt nach der Rspr. nicht derartig staatlicher Steuerung, dass sie einer Behörde gleichgestellt werden kann.[34] Da es im Bereich der Daseinsvorsorge neben der Organisationsprivatisierung zunehmend zu einer Aufgabenprivatisierung kommt und der Aufgabenbereich der Daseinsvorsorge auch privaten Marktteilnehmern offensteht und der Hoheitsträger die Funktion einem privatrechtlich organisierten und marktwirtschaftlich agierenden Unternehmen der öffentlichen Hand überträgt, trägt dessen Handeln ebenso einen ausschließlich erwerbswirtschaftlichen Charakter, wie dasjenige der rein privaten Mitbewerber, weshalb insofern schon die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe zweifelhaft ist.[35]

Sogar, wenn man annehmen wollte, dass es sich bei den Organen bzw. Entscheidungsträgern der als juristische Personen des Privatrechts organisierten Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand um Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB handeln würde, wären keine speziellen gesetzlichen Anzeigepflichten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ersichtlich: Bloße dienstrechtliche Anzeigepflichten begründen nach herrschender Auffassung keine Garantenpflicht zur Strafanzeige im Sinne des § 13 StGB, da diese ausschließlich der Gewährleistung eines funktionsfähigen und ordnungsgemäßen Dienstbetriebs dienen, nicht aber das Strafverfolgungsinteresse im Auge haben.[36] Auch ein Dienstvorgesetzter macht sich nicht strafbar, wenn er es unterlässt, Straftaten seiner Untergebenen anzuzeigen.[37] Privatpersonen sind erst recht nicht dazu verpflichtet, die Strafverfolgung anderer zu gewährleisten. Ferner lässt sich auch aus einem privatrechtlichenVertragsverhältnis eine Garantenstellung zum Schutz der staatlichen Rechtspflege nicht herleiten.[38]

Nach alledem ist eine Strafanzeigepflicht basierend auf den §§ 258, 258a StGB nicht gegeben.

c) Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB)

Rein theoretisch käme auch eine strafrechtlich sanktionierte Anzeigepflicht gem. § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten) in Betracht. Da in den typischen Fällen aber lediglich die Verwirklichung von Vergehenstatbeständen[39] (vgl. § 12 StGB) in Frage steht, ist § 138 StGB nicht anwendbar: Die dort genannte Anzeigepflicht bezieht sich ausschließlich auf die Katalogtaten – ganz überwiegend schwere Verbrechen – die in § 138 Abs. 1, Abs. 2 StGB ausdrücklich aufgezählt werden. Eine analoge Anwendung der Vorschrift ist nicht möglich.[40],[41]

2) Keine Strafanzeigepflicht auf der Basis des § 130 OWiG

Gemäß § 130 Abs. 1 OWiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben oder Unternehmen) wird folgendes Verhalten gegenüber dem Inhaber eines Unternehmens – aber auch eines Organs einer Kapitalgesellschaft – als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld bedroht: „Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens [auch des öffentlichen Unternehmens, vgl. Abs. 2] vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, handelt ordnungswidrig, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören auch die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen.“

Geahndet wird durch § 130 OWiG also das vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen durch die zuständigen Organe der Gesellschaft, die generell geeignet sind, Gefahren für die Rechtsordnung aus strafbaren oder bußgeldpflichtigen Pflichtverletzungen von Mitarbeitern abzuwenden. Die konkrete Zuwiderhandlung des Mitarbeiters ist objektive Bedingung der Bußgeldpflichtigkeit des Inhabers bzw. Geschäftsleiters.[42] Gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG gehört zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen „auch“ die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen. Diese Pflicht lässt sich im Konzern auf die von der Muttergesellschaft gestellten Aufsichtsorgane im Verhältnis zu den Geschäftsleitern der Tochtergesellschaften erstrecken. Daraus kann sich im Extremfall auch die Verpflichtung zum Austausch ungeeigneten Personals in einer compliance-relevanten Position ergeben. Im Grundsatz gilt, dass die Aufsicht so wahrzunehmen ist, dass die betriebsbezogenenPflichten voraussichtlich eingehalten werden.[43] Es handelt sich daher bei § 130 OWiG um eine zukunftsgerichtete, präventiv geprägte Pflichtenstellung.

Eine Strafanzeige kann hierbei nicht als eine im Einzelfall erforderliche Aufsichtsmaßnahme gelten. Eine über die sonstigen Aufsichtsmaßnahmen hinausgehende, effektivere präventive Wirkung gegenüber der Gefahr der Verletzung von betriebsbezogenen Pflichten durch Organe bzw. Mitarbeiter des Unternehmens kann ihr nicht zugeschrieben werden: Der Mehrwert einer etwaigen – allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht eintretenden – Abschreckung der Mitarbeiter und Organe durch eine Strafanzeige würde jedenfalls durch die mit der Anzeige einhergehenden negativen Wirkung aufgezehrt: So könnte sich eine solche hemmend auf die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern im Rahmen der erforderlichen Aufarbeitung auswirken und die Ruhe des Betriebs stören, da die Mitarbeiter dann befürchten könnten, dass sie selbst (zu Unrecht) ebenfalls eine solche Maßnahme treffen könnte und dass sie deshalb im Eigeninteresse nicht offen über etwaige noch bestehende Compliance-Mängel sprechen können.

3) Keine Strafanzeigepflicht auf der Basis anwendbarer Steuergesetze

Im steuerrechtlichen Bereich geben insbesondere die Normen der §§ 116, 153 AO Anlass, über eine Strafanzeigepflicht des Unternehmens nachzudenken.

a) Anzeige von Steuerstraftaten (§ 116 AO)

§ 116 Abs. 1 S. 1 AO konstituiert für bestimmte Behörden und für Gerichte eine Anzeigepflicht für dienstlich bekannt gewordene Tatsachen, die auf die Begehung einer Steuerstraftat hindeuten: „Gerichte und die Behörden von Bund, Ländern und kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung, die nicht Finanzbehörden sind, haben Tatsachen, die sie dienstlich erfahren und die auf eine Steuerstraftat schließen lassen, dem Bundeszentralamt für Steuern oder, soweit bekannt, den für das Steuerstrafverfahren zuständigen Finanzbehörden mitzuteilen.“ Es müssen also Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer Steuerstraftat (§ 369 AO) begründen. Es ist aber nicht erforderlich, dass das Vorliegen einer Steuerstraftat feststeht, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist oder sonst ein i.S.d. §§ 111a Abs. 1, 112 Abs. 1, 203 StPO qualifizierter Tatverdacht besteht. Es besteht keine Verpflichtung, dienstlich bekanntgewordenen, als Verdachtsanhaltspunkt nicht ausreichenden Tatsachen (Mutmaßungen) durch eigene Ermittlungen nachzugehen.[44]

§ 116 AO bezieht sich – neben Gerichten – auf Behörden i.S.d. § 6 Abs. 1 AO, § 1 Abs. 4 VwVfG, d.h. auf Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen.[45] Hier sind aber mit „kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung“ nach h.M. nur Behörden von Gebietskörperschaften angesprochen.[46] Behörden im weiteren Sinne des § 6 Abs. 1 AO – dies könnten auch beliehene Unternehmen sein – [47] werden von der Anzeigepflicht gem. § 116 Abs. 1 S. 1 AO gerade nicht erfasst. Vor diesem Hintergrund scheidet eine Anzeigepflicht von als juristische Personen des Privatrechts organisierten Unternehmen generell und unabhängig davon, ob eine Beteiligung der öffentlichen Hand gegeben ist, aus: Diese sind zweifelsfrei keine Behörden einer kommunalen Gebietskörperschaft, sondern selbständige Privatrechtssubjekte. [48]

b) Amtshilfepflicht (§ 111 AO)

Eine Pflicht zur Amtshilfeleistung zur Durchführung der Besteuerung gem. § 111 AO besteht nur für „alle Gerichte und Behörden“. Privatrechtlich organisierte Unternehmen sind mithin hiervon nicht betroffen (s.o.).

c) Berichtigung von Erklärungen (§ 153 AO)

Gemäß § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ist der Steuerpflichtige zur Anzeige und Berichtigung unzutreffender Steuererklärungen verpflichtet. Erkennt ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der steuerlichen Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO), „dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist […] so ist er verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Die Verpflichtung trifft auch […] die […] für […] den Steuerpflichtigen handelnden Personen.“

Da die Vorschrift unstrittig nur der materiellen Richtigkeit der Besteuerung dient (vgl. § 85 AO), ergänzt § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO lediglich die rein steuerlichen Erklärungspflichten gem. §§ 149, 150 AO i.V.m. den (steuerlichen) Erklärungspflichten in den Einzelgesetzen (KStG, UStG, EStG) indem er die Wahrheitspflicht des § 150 Abs. 2 S. 1 AO für Angaben in der Steuererklärung auch nach Abgabe der Erklärung fortbestehen lässt.[49] Mithin erfordert § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO keine Strafanzeige, sondern allein eine rein steuerliche Nacherklärung.[50]

4) Keine Strafanzeigepflicht auf der Basis gesellschaftsrechtlicher Vorschriften zur Compliance (§§ 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 S. 1 AktG, § 43 GmbHG)

Gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden; für die Geschäftsführer einer GmbH gilt dies entsprechend gem. § 43 GmbHG. Der Vorstand hat auf Grund dessen eine Kontroll- und Überwachungspflicht bzgl. der nachgelagerten Unternehmensebenen. Wie er diese erfüllt, liegt in seinem unternehmerischen Ermessen.[51] Allerdings enthält die Regelung des § 91 Abs. 2 AktG immerhin die Verpflichtung zur Einrichtung eines Überwachungssystems zur Vermeidung von den Fortbestand des Unternehmens gefährdenden Entwicklungen (IKS). Es ist weitgehend anerkannt, dass die Compliance-Organisation präventive sowie repressive Maßnahmen vorzusehen hat: Ein Compliance-System muss gewährleisten, dass bei Verdachtsfällen ermittelt wird, dass Informationen über Fehlverhalten im Unternehmen weitergeleitet und dass entsprechende Regressmaßnahmen bei nachgewiesenem Fehlverhalten eingeleitet werden.[52]

Nach wohl herrschender Auffassung ist daher die Androhung von Sanktionen für den Fall der Zuwiderhandlung als Komponente des Compliance-Systems sinnvoll. Als Sanktionen kommen u.a. eine Regressforderung, eine Kündigung oder das Stellen einer Strafanzeige in Betracht.[53] Zugleich ist aber festzuhalten, dass nach h.M. im Falle eines Compliance-Verstoßes keine rechtsverbindlich-zwingende Sanktionspflicht des Vorstands bzw. der Geschäftsführung – bezogen auf irgendeine Form der Sanktion – existiert.[54] Erforderlich ist vielmehr eine Abwägung der Unternehmensinteressen i.S.d. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, wonach sich eine Pflicht zur Reaktion u.U. ergeben kann, wenn eine Sanktionierung zum Schutz des Unternehmensinteresses notwendig ist. Dies ist etwa der Fall, wenn ein besonders großer Vermögensverlust entstanden ist und durch Publikwerden der Verstöße dem Unternehmen kein erheblicher Reputationsverlust droht, andererseits aber befürchtet werden muss, dass das Absehen von Sanktionierung seitens der Behörden als ein Indiz für das Billigen der Rechtsverletzung durch die Gesellschaft gesehen wird.[55] Jedoch verdichtet sich all dies regelmäßig nicht zur Pflicht der Erstattung einer Strafanzeige, sondern allenfalls zur Pflicht zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen oder zur Kündigung eines Mitarbeiters.[56] Das Stellen einer Strafanzeige dürfte allenfalls dann geboten sein, wenn allein über diesen Weg Beweise für spätere Schadensersatzklagen ermittelt werden können.[57] Auch dies gilt aber nur, wenn die Abwägung gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ergibt, dass die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber anderen Aspekten im vorrangigen Unternehmensinteresse liegt.

Überdies ist im Übrigen anerkannt, dass ein Unternehmen verbindlich auf die Erstattung von Strafanzeigen verzichten kann: Einen umfassenden Schutz vor Strafverfolgungsmaßnahmen kann das Unternehmen (ehemaligen) Mitarbeitern rechtlich zwar nicht gewähren.[58] Es ist jedoch – beispielsweise im Zusammenhang mit sogenannten partiellen oder generellen „Amnestien“ bei unternehmensinternen Ermittlungen – anerkannt, dass die bei dieser Gelegenheit häufig zu findende Zusage, wonach der Arbeitgeber auf die strafrechtliche Verfolgung einzelner Mitarbeiter verzichtet, meint, dass sich der Arbeitgeber verpflichtet, keine Strafanzeige oder keinen Strafantrag (§ 158 StPO) zu stellen, und dass dies nicht gegen arbeitsrechtliche oder gesellschaftsrechtliche Pflichten verstößt.[59] Dies ergibt sich nach h.M. auch daraus, dass eine generelle Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige für bereits begangene Straftaten strafprozessual nicht besteht.[60] Daher wird auch die Vereinbarung eines entsprechenden vertraglichen Verzichts einer Strafanzeige oder eines Strafantrags als möglich angesehen, sofern nicht die Grenzen des § 138 BGB überschritten werden.[61]

Nach alledem besteht aus gesellschaftsrechtlicher Sicht ebenfalls keine Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige.

5) Keine Strafanzeigepflicht auf der Basis anwendbarer öffentlich-rechtlicher Vorschriften

a) Öffentliches Bundesrecht

Im Bundesrecht bestehen strafprozessual geprägte Anzeigepflichten, die allerdings auf privatrechtlich organisierte Unternehmen von vornherein nicht zutreffen können.[62]

Auch sonst sind im öffentlichen Bundesrecht vereinzelt Anzeigepflichten vorgesehen: Gemäß § 6 SubvG haben Gerichte und Behörden von Bund, Ländern und kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung Tatsachen, die sie dienstlich erfahren und die den Verdacht eines Subventionsbetrugs begründen, den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen. Einzig in Betracht kommt insofern eine Anwendbarkeit auf gemischtwirtschaftliche Unternehmen. Diese sind aber – wie die Identität des Wortlauts mit § 116 AO zeigt (s.o.) – keine Behörden von kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung.

Nach § 11 Abs. 1 S. 1 GwG besteht eine Verdachtsmeldepflicht gegenüber dem Bundeskriminalamt – Zentralstelle für Verdachtsmeldungen – und der zuständigen Strafverfolgungsbehörde, wenn Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass es sich bei Vermögenswerten, die mit einer Transaktion oder Geschäftsbeziehung im Zusammenhang stehen, um den Gegenstand einer Straftat nach § 261 StGB (Geldwäsche) handelt oder die Vermögenswerte im Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung stehen. Die danach grundsätzlich statuierte Anzeigepflicht betrifft mithin nicht den Bereich der hier in Bezug genommenen „typischen“ Vergehen[63]. Überdies erfährt der Kreis der Verpflichteten durch § 2 Abs. 1 GwG eine Einschränkung.

b) Landesrecht sowie verwaltungsinterne Erlasse

Auch die landesrechtliche Normenebene ist bei der Prüfung einer Strafanzeigepflicht zu berücksichtigen. Selbiges gilt für etwaige verwaltungsinterne Erlasse. Die gebotene Untersuchung soll hier aufgrund des Kanzleisitzes der Autoren am Beispiel der für Hessen einschlägigen Rechtsvorschriften vorgenommen werden. Vergleichbare, wenn auch nicht unbedingt identische, Gesetze und Erlasse dürften in allen Bundesländern anzutreffen sein.

aa) Hessisches Beamtengesetz (HessBG)

§ 84 HessBG macht lediglich Vorgaben zur Genehmigungspflicht zur Vorteilsannahme bei Beamten – im staatsrechtlichen Sinne – und ist somit nicht einschlägig. Er enthält überdies eindeutig keine Anzeigepflicht.

bb) Erlasse der Landesregierung und des Innenministers

Daneben war die Hessische Landesregierung und das Hessische Ministerium des Inneren verschiedentlich durch Erlasse bzw. gemeinsame Runderlasse bemüht, die Korruption in der öffentlichen Verwaltung zu bekämpfen. Der mögliche Anwendungsbereich dieser verwaltungsinternen Vorschriften erstreckt sich damit von vornherein nur auf gemischtwirtschaftliche Unternehmen. Allerdings ergibt sich im Ergebnis auch insofern keine Rechtspflicht zur Erstattung einer Strafanzeige:

  • Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 15. Dezember 2008

Der Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 15. Dezember 2008[64] sieht in Abs. 3 S. 1 („Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft“) vor: „Die Kommune soll anonyme und offene Anzeigen oder Hinweise grundsätzlich der Staatsanwaltschaft zuleiten“. Darin könnte eine Anzeigepflicht (oder zumindest ein gebundenes Ermessen) gesehen werden, die sich allerdings nicht an privatrechtlich organisierte Unternehmen richtet. Der Anwendungsbereich wird im Titel sowie in den Einzelvorschriften deutlich auf die Kommunalverwaltungen beschränkt. Die privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand sind aber keine Behörden und ihre Mitarbeiter sind keine Amtsträger. Es kann daher nicht angenommen werden, diese seien Teil der Kommunalverwaltung. Gemeint sind erkennbar nur kommunale Beamte und kommunale Angestellte, da zu Beginn des Erlasses davon die Rede ist, dass die Kommunen – d.h. die Gemeinden und andere kommunale Gebietskörperschaften – Dienstanweisungen für ihre Bediensteten erlassen sollen (Nr. I.1).[65]

  • Gemeinsamer Runderlass der hessischen Landesregierung betreffend das Öffentliche Auftragswesen („Schwarze Liste“) vom 16. Februar 1995

Der Gemeinsame Runderlass der hessischen Landesregierung betreffend das Öffentliche Auftragswesen („Schwarze Liste“)[66] ist nach § 55 der Landeshaushaltsordnung von den Behörden des Landes Hessen anzuwenden. Danach führen nachgewiesene (Nr. 3) Verstöße gem. Nr. 2 („Schwere Verfehlungen“) grundsätzlich zum Ausschluss von der Vergabe von öffentlichen Aufträgen des Landes (Nr. 4.1). Vor dem Ausschluss hat die ausschließende Behörde (Nr. 5.1 S. 1) die übergeordneten Behörden auf dem Dienstweg zu unterrichten (Nr. 5.1 S. 2). Zudem ist der Ausschluss gegenüber der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main zu melden (Nr. 7.1, 7.2).

Demnach würde, selbst wenn ein Verdacht auf entsprechende Straftaten („schwere Verfehlungen“) nachgewiesen sein sollte, eine Ausschluss- und Meldepflicht im Sinne der Nr. 4.1, 5.1, 7.1 nur bei der Behörde bestehen, die für Ausschreibungen zuständig ist, d.h. deren Adressat ist, nicht aber bei dem Unternehmen selbst. Zudem ist der Erlass – da er für die hessische Landesverwaltung gilt – auf Organe und Mitarbeiter privatrechtlicher (gemischtwirtschaftlicher) Unternehmen schon nicht anwendbar (s.o.): Letztere sind keine Behörden; ihre Mitarbeiter keine Amtsträger.

  • Verwaltungsvorschriften des Hessischen Ministerium des Innern und für Sport vom 17. Oktober 2006

Schließlich sind die „Verwaltungsvorschriften des Hessischen Ministerium des Innern und für Sport vom 17. Oktober 2006 “[67], nämlich „Verwaltungsvorschriften zur Korruptionsbekämpfung in der Landesverwaltung; hier: Verwaltungsvorschriften für Beschäftigte des Landes über die Annahme von Belohnungen und Geschenken“ in Betracht zu ziehen: Gemäß Nr. 9.1 gelten diese Verwaltungsvorschriften einheitlich für alle „Beschäftigten des Landes Hessen“ und regeln daher nur das Verbot der Annahme von Vorteilen durch Landesbeschäftigte. Eine Geltung auch für die Mitarbeiter von privatrechtlich organisierten Unternehmen liegt dagegen nicht vor.[68]

6) Keine Strafanzeigepflicht auf der Basis des Deutschen Corporate Governance Kodex und des Public Corporate Governance Kodex

a) Deutscher Corporate Governance Kodex (2010)

Der deutsche Corporate Governance Kodex in seiner geltenden Fassung vom 26. Mai 2010[69] enthält keine Regelung zur Erstattung einer Strafanzeige im Falle der Feststellung mutmaßlicher Straftaten, die durch Mitarbeiter im Rahmen ihrer Tätigkeit begangen wurden.

b) Public Corporate Governance Kodex des Bundes (2009)

Das Finanzministerium der Bundesrepublik Deutschland (BMF) hat „Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes“ (dazu unter anderem gehörend „Teil A. Public Corporate Governance Kodex des Bundes“; „PCGK“) veröffentlicht.[70] Ausweislich Gliederungsziffer 1.3 des PCGK („Anwendungsbereich“) sind dessen Empfehlungen ausschließlich auf privatrechtlich organisierte Unternehmen anwendbar, an denen die Bundesrepublik Deutschland als Gesellschafter bzw. Anteilseigner beteiligt ist, oder auf Unternehmen, die öffentlich-rechtlich organisiert sind.

Sofern danach der Anwendungsbereich eröffnet ist, muss Folgendes beachtet werden: Eine Verpflichtung der Geschäftsleitung oder der Aufsichtsgremien von Unternehmen mit Beteiligung des Bundes zur Erstattung von Strafanzeige ist dem PCGK nicht zu entnehmen. Ausweislich Gliederungsziffer 4.1.2 hat die „Geschäftsleitung […] für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auch auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance)“. Zudem ist sie gem. 4.1.3. zur Korruptionsprävention verpflichtet. Diese beiden – zukunftsbezogen-präventiven Pflichten – implizieren aber auch unter Berücksichtigung der Anmerkungen des BMF zum PCGK keine Pflicht zur Erstattung von Strafanzeige bezüglich bereits begangener Straftaten.

c) Public Corporate Governance Kodices auf kommunaler Ebene

Ferner sind auch – sofern sie denn existieren – die entsprechenden auf kommunaler Ebene bestehenden Richtlinien zu berücksichtigen. So hat beispielsweise die Stadt Frankfurt am Main[71] entsprechende Richtlinien guter Unternehmensführung für ihre Beteiligungen an privatrechtlichen Unternehmen erlassen (Public Corporate Governance Kode, „PCGKF“)[72]. Sie mögen im Folgenden als Grundlage einer beispielhaften Betrachtung dienen.[73]

Die Vorgaben der Stadt Frankfurt richten sich primär an Unternehmen in der Rechtsform der GmbH, sollen aber entsprechend auch auf Unternehmen anderer Rechtsform angewandt werden.[74] Auch sie enthalten jedoch keine Verpflichtung zur Erstattung von Strafanzeigen wegen des Verdachts von unternehmensbezogenen Straftaten durch Organe oder Mitarbeiter von Gesellschaften mit direkter oder indirekter städtischer Beteiligung: Gemäß Ziff. 3.2.2.1 des PCGKF[75] trifft Aufsichtsratsmitglieder lediglich die Verpflichtung, die etwaige Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Gesellschaft zu prüfen, d.h. diese nicht zwingend auch geltend zu machen. Hervorzuheben ist ebenfalls, dass damit die Erstattung einer Strafanzeige als Regelfolge gerade nicht vorgesehen ist. Gemäß Ziff. 3.3.2 des PCGKF[76] hat die Geschäftsleitung der Beteiligungsunternehmen angemessene Maßnahmen zur Risikokontrolle und der Korruptionsprävention zu treffen. Auch danach müssen allein präventive Maßnahmen zur Abwehr zukünftiger Straftaten ergriffen werden. Es ist hingegen an keiner Stelle des PCGKF vorgesehen, dass zwingend repressiv mit strafrechtlichen Mitteln gegen straffällige Mitarbeiter oder Organe vorgegangen werden muss.

7) Zwischenergebnis

Für privatrechtlich organisierte Unternehmen besteht bzgl. der im Rahmen von Internal Investigations typischerweise aufgedeckten Vergehen keine Pflicht zur Strafanzeige. Dies gilt ebenfalls ohne Einschränkungen für Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist. Auch aus den insoweit anzulegenden besonders strengen rechtlichen und politisch-moralischen Maßstäben ergibt sich nichts Abweichendes: Sie können das Fehlen einer (ausdrücklich) normierten Strafanzeigepflicht nicht überwinden. Schließlich vermögen sich auch die an börsennotierte Kapitalgesellschaften gerichteten besonders weitgehenden Sorgfaltsanforderungen regelmäßig nicht zu einer Pflicht zur Strafanzeige zu verdichten.

Eine Rechtspflicht zur Anzeige lässt sich schon dem materiellen Strafrecht nicht entnehmen: Weder ist sie aus den i.R.d. § 13 StGB entwickelten Grundsätzen der Geschäftsherrenhaftung ableitbar, noch ergibt sie sich aus den §§ 258, 258a, 13 StGB, da die Entscheidungsträger insofern schon keine entsprechende Garantenpflicht trifft. § 138 StGB ist bereits seinem Wortlaut nach nur auf bestimmte Katalogtaten – überwiegend schwere Verbrechen – beschränkt. Das präventiv geprägte Pflichtenprogramm des § 130 OWiG sieht lediglich die Erfüllung erforderlicher Aufsichtsmaßnahmen vor. Es beinhaltet allerdings nicht auch die Pflicht zur Strafanzeige. Nichts anderes ist den steuergesetzlichen Regelungen zu entnehmen: I.R.d. §§ 116, 111 AO sind die in Bezug genommenen Unternehmen schon keine tauglichen Adressaten. Gem. § 153 AO besteht nur eine rein steuerliche Nacherklärungspflicht. Auch aus gesellschaftsrechtlichen Normen (§§ 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 AktG, § 43 GmbHG) resultiert grundsätzlich keine Verpflichtung zur Strafanzeige. Die Form einer etwaig durchzuführenden Sanktion orientiert sich vielmehr an einer am Unternehmensinteresse ausgerichteten Abwägung. Die im öffentlichen Bundesrecht kodifizierten Anzeigepflichten sind größtenteils auf privatrechtlich organisierte Unternehmen mit oder ohne Beteiligung der öffentlichen Hand schon nicht anwendbar (vgl. § 159 Abs. 1 StPO, § 183 S. 1 GVG, § 41 Abs. 1 OWiG, § 6 SubvG). Der Anwendungsbereich von § 11 Abs. 1 GWG erfährt eine Einschränkung durch § 2 Abs. 1 GWG. Zudem ist die Norm nur bei Taten im Zusammenhang mit Geldwäsche (§ 261 StGB) bzw. der Terrorismusfinanzierung einschlägig. Das hessische Landesrecht und die verwaltungsinternen Erlasse beinhalten ebenfalls keine Rechtspflicht zur Anzeige: § 84 HessBG normiert schon keine Anzeigepflicht. Überdies unterliegen selbst gemischtwirtschaftliche Unternehmen nicht dem Geltungsbereich der relevanten öffentlich-rechtlichen Erlasse. Schließlich ergibt sich auch aus den hier geprüften (von verschiedenen Ebenen erlassenen) Corporate Governance Kodices keine Strafanzeigepflicht.

III. Fazit

Eine zwingende gesetzliche oder untergesetzliche Rechtspflicht zur Erstattung einer Strafanzeige durch die Unternehmensführung bei unternehmensbezogenen Wirtschaftsstraftaten (insb. §§ 263, 266, 299, 331 ff. StGB, 370 AO) von Mitarbeitern bzw. Organen ist nicht anzuerkennen. Die Entscheidung über die Offenlegung solcher unternehmensbezogener Straftaten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden liegt somit im pflichtgemäßen Ermessen der Geschäftsleitung des betroffenen Unternehmens. Dieses Ermessen wird fehlerfrei ausgeübt, wenn die Mitglieder der Geschäftsleitung bei einer Entscheidung über die (Nicht-)Anzeige vernünftigerweise annehmen dürfen, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs.1 S. 2 AktG (analog)).

Die Unterlassung von Strafanzeigen gegen straffällige (ehemalige) Organe und Mitarbeiter ist für das Unternehmen nicht selten per saldo ökonomisch und insgesamt unternehmenspolitisch sinnvoll, auch weil andere Reaktions- und Sanktionsformen effizienter und einschneidender sein können. Erforderlich ist eine Entscheidung anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls. Mitunter kann (nur) durch die Unterlassung der Strafanzeige ein für das Unternehmen imageschädigendes und haftungsträchtiges (vgl. §§ 73 ff. StGB, 29a, 30 OWiG) Strafverfahren gegen die (gegebenenfalls ehemaligen) Mitarbeiter bzw. Organe in öffentlicher Verhandlung und – u. U. mit negativer Berichterstattung der Medien – vermieden werden[77]. Eine nichtöffentliche Beendigung von Rechtsstreitigkeiten mit einer Straftat verdächtigen (ehemaligen) Mitarbeitern und Organen unter Vermeidung von Imageschäden kann auch für den Rechts- und Betriebsfrieden förderlich sein und hat auch deshalb oft einen nicht unerheblichen – wenn auch nicht ohne weiteres exakt bezifferbaren – wirtschaftlichen Wert für das Unternehmen. Auch werden so weder potentielle Kunden, noch aktuelle Geschäftspartner von Geschäftsbeziehungen abgeschreckt, die durch ein der Öffentlichkeit bekanntes Strafverfahren u. U. von der Geschäftsbeziehung abgehalten werden würden. Im Falle der gütlichen Erledigung von arbeitsrechtlichen oder zivilrechtlichen Streitigkeiten mit ehemaligen Mitarbeitern und Organen durch einen Aufhebungsvertrag muss auch weniger befürchtet werden, dass bisherige Geschäftsbeziehungen oder Unternehmensinterna – insbesondere Betriebsgeheimnisse (§§ 17, 18 UWG) – an die Öffentlichkeit geraten, was bei einer Eskalation – auch etwa bei Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche – jedenfalls wohl wahrscheinlicher wird[78], da nahe liegend ist, dass sich ein ehemaliger Beschäftigter, der sich in die Enge getrieben fühlt, u. U. auch unter Verletzung von Rechtspflichten verteidigen und Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse offen legen könnte. Die Offenlegung solcher Geheimnisse könnte bereits für sich betrachtet eine erhebliche Gefährdung des Rufs und ggf. des Vermögens des Unternehmens nach sich ziehen, letzteres insbesondere, wenn Betriebsgeheimnisse an Kunden oder die Konkurrenz gelangen. Vor diesem Hintergrund lässt sich zumindest außerhalb eines bereits laufenden Strafverfahrens mit Unternehmensbezug oft gut begründen, dass vernünftigerweise anzunehmen war, dass die Entscheidung zur Nichtanzeige des straffälligen Mitarbeiters nach Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft erfolgte.

Umgekehrt kann u. U. – gerade in Einzelfällen eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens, in das das Unternehmen und einzelne Mitarbeiter bzw. Organe involviert sind – ein kooperatives Verhältnis zu den Strafverfolgungsbehörden essentiell im Unternehmensinteresse liegen, insbesondere zur Vermeidung bzw. Minimierung von unternehmensbezogenen Rechtsfolgen. Diese Kooperation kann u. U. auch die Offenlegung von Sachverhalten beinhalten, die durch das Unternehmen selbständig aufgedeckt wurden und aus denen auf unternehmensbezogene Straftaten von Mitarbeitern bzw. Organen zu schließen ist.

[1] Vgl. Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 83 m.w.N.

[2] Wohlers in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Auflage, 2010, § 13 Rn. 53; Fischer, StGB, 59. Auflage, 2012, § 13, Rn. 37; Lackner/Kühl, StGB, 27. Auflage, 2011, § 13, Rn. 14; Stree/Bosch in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Auflage, [2010], § 13, Rn. 53. Für den Bereich der öffentlichen Verwaltung sieht § 357 StGB eine ausdrückliche Regelung vor.

[3] Wohlers in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Auflage, 2010, § 13, Rn. 53 m.w.N.

[4] BGH, NStZ 2012, 142, 143; Fischer, StGB, 59. Auflage, 2012, § 13, Rn. 38.

[5] Vgl. Rübenstahl, NZG 2009, 1341, 1343 m.w.N.

[6] BGH NJW 2009, 3173 ff.

[7] BGH NJW 2009, 3173, 3175.

[8] BGH NJW 2009, 3173, 3175.

[9] BGH NJW 2009, 3173, 3175.

[10] Dies ist bei betriebsbezogenem Bagatellunrecht – insbesondere geringfügigen Vermögensdelikten, Beleidigungen etc. – nicht der Fall; vgl. Rübenstahl, NZG 2009, 1341, 1342.

[11] Vgl. BGH NJW 2008, 1897.

[12] Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 86.

[13] Rübenstahl, NZG 2009, 1341, 1342.

[14] Kraft/Winkler, CCZ 2009, 29, 32; Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 86.

[15] Rübenstahl, NZG 2009, 1341, 1342 f.

[16] Bürkle, CCZ 2010, 4, 10 ff.; Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 87.

[17] Bürkle, CCZ 2010, 4, 10.

[18] Bürkle, CCZ 2010, 4, 10.

[19] BGH NJW 1984, 135; Walter in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage, 2010, § 258, Rn. 35; Wessels/Hettinger, BT/I, 35. Auflage, 2011, Rn. 724; Dessecker, GA 2005, 142, 147.

[20] BGH NJW 1999, 2908, 2909 = BGHSt 45, 97, 100 f.; BGH, wistra 1995, 143; OLG Koblenz, NStZ 1992, 146, 147; OLG München, NStZ-RR 2011, 56.

[21] BGH wistra 1995, 143; OLG Stuttgart, NJW 1976, 2084; vgl. Beulke/Ruhmannseder, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 2. Auflage, 2010, Rn. 132 f. m.w.N.

[22] Vgl. BGH NJW 1984, 135.

[23] BGH wistra 1995, 143.

[24] Vgl. BGH,NStZ 1993, 383; BGH NStZ 1992, 540, 541.

[25] BGH, NStZ 1997, 597 = BGHSt 43, 82, 84 f.; Cramer in: MünchKomm, StGB, 1. Auflage, 2003, § 258, Rn. 16.

[26] Fischer, StGB, 59. Auflage, 2012, § 258, Rn. 11.

[27] BGHSt 43, 82, 84 ff. = BGH NStZ 1997, 597 f.

[28] MünchKomm/Cramer, StGB, 1. Auflage, 2003, § 258, Rn. 17; § 258a, Rn. 8; Bülte, NStZ 2009, 57, 58 ff.; Grunst, StV 2005, 453, 456; Rengier, BT/I, 12. Auflage, 2010, § 21, Rn. 16.

[29] BGHSt 45, 16 ff. = NJW 1999, 2378.

[30] BGHSt 43, 370 ff.; 45, 16 ff.; 49, 214 ff.; BGH, NStZ 2006, 628; BGH, NJW 2004, 693; NJW 2001, 3062.

[31] Vgl. für die Literatur MünchKomm/Radtke, StGB, 2. Auflage, 2011, § 11, Rn. 42 ff. m.w.N. und für die Rspr. nur die folgenden Beispiele.

[32] Vgl. BGHSt 45, 16 ff.

[33] BGHSt 45, 16 ff.

[34] BGHSt 49, 214, 219 ff.

[35] Vgl. BGHSt 50, 299 ff.; sowie BGH, NJW 2007, 2932, für den Fall einer erwerbswirtschaftlich ausgerichteten kommunalen Wohnungsbaugesellschaft, die mit anderen Wohnraumanbietern in Konkurrenz steht.

[36] MünchKomm/Cramer, StGB, 1. Auflage, 2003, § 258, Rn. 19; Hoyer in: Systematischer Kommentar, StGB, 130. Ergänzungslieferung, Stand Okt. 2011, § 258, Rn. 32; Roxin, AT II, 1. Auflage, 2003, § 32, Rn. 81; Grunst, StV 2005, 453, 457; Rudolphi, NStZ 1997, 599, 600; ders. NStZ 1991, 361, 364 f.; auch der BGH hat eine solche Pflicht bisher nicht angenommen (BGH, NStZ 1997, 597, 598 = BGHSt 43, 82, 86 ff.).

[37] BGH, NStZ 1997, 597, 598 = BGHSt 43, 82, 86; AG Frankfurt/M, NStZ 1986, 72, 76; Altenhain in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Auflage, 2010, § 258, Rn. 44; Wohlers in: Systematischer Kommentar, StPO, 64. Ergänzungslieferung, Stand Okt. 2009, § 158, Rn. 9; Rudolphi, NStZ 1991, 361, 366 f.

[38] Walter in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage, 2010, § 258, Rn. 92.

[39] Zum Beispiel der §§ 263 ff., 266 ff., 299 f., 331 ff. StGB, 370 AO.

[40] Vgl. statt aller Lackner/Kühl, StGB, 27. Auflage, 2011, § 138, Rn. 2 m.w.N.

[41] Zudem besteht eine Anzeigepflicht nur, wenn die Ausführung oder (bei Kenntniserlangung erst nach Tatbeginn) der Erfolg der Straftat noch abgewendet werden kann (BGHSt 42, 86). Hieran fehlt es, sofern es nur um die Anzeige bereits vollendeter oder sogar beendeter (§ 78a StGB) Straftaten geht.

[42] Vgl. Bohnert, OWiG, 3. Auflage, 2010, § 130, Rn. 2.

[43] Vgl. BGHSt 9, 319, 322 f. = NJW 1956, 1568; 25, 158, 163 = NJW 1973, 1511; OLG Stuttgart, NJW 1977, 1410; OLG Düsseldorf, wistra 1991, 39; OLG Zweibrücken, NStZ-RR 1998, 312.

[44] Klein/Rätke, AO, 10. Auflage, 2009, § 116, Rn. 4.

[45] Bülte, NStZ 2009, 57, 58 f.

[46] Zöllner in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage, 2009, § 116, Rn. 3.

[47] Zöllner in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage, 2009, § 111, Rn. 6.

[48] Zudem sind die Unternehmen oftmals schon nicht mit hoheitlichen Aufgaben beliehen, da sie im marktwirtschaftlich regulierten Wettbewerb um Kunden gewinnorientiert tätig sind (s.o.). Überdies wird es häufig an einem Bestellungsakt bzgl. des Unternehmens zur Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung – eine solche Bestellung müsste ein öffentlich-rechtlicher Akt sein, unabhängig von der Rechtsnatur des Grundverhältnisses (BGHSt 43, 96; 43, 370, 380; OLG Stuttgart, StV 2009, 77, 79) – sowie an einer Eingliederung in die kommunale Verwaltungsorganisation mangeln, sodass auch keine Behördenäquivalenz im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB konstruiert werden kann.

[49] Cöster in:Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage, 2009, § 153, Rn. 3.

[50] Bei vorsätzlichem Verstoß gegen die Anzeigepflicht gem. § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO (diese Anzeige ist an die zuständige Finanzbehörde – nicht die Strafverfolgungsbehörde – zu richten; vgl. BFH/NV 2008, 1017) machen sich der Steuerpflichtige bzw. – handelt es sich um eine Gesellschaft – seine Organe wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar (vgl. FG Düsseldorf, EFG 1989, 491; FG Berlin, EFG 1999, 680). Soweit der Anzeigepflichtige nicht selbst Steuerschuldner, sondern gesetzlicher Vertreter ist – wie ein Geschäftsführer oder Vorstand – und die unterlassene Anzeige Steuerhinterziehung darstellt, kann er nach § 71 AO persönlich als steuerlicher Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden.

[51] Hauschka/Bürkle, Corporate Compliance, 2. Auflage, 2010,§ 8, Rn. 15.

[52] Hölters, AktG, 1. Auflage, 2011, § 93, Rn. 99.

[53] Hölters, AktG, 1. Auflage, 2011, § 93, Rn. 109.

[54] Hölters, AktG, 1. Auflage, 2011, § 93, Rn. 109; Mengel, CCZ 2008, 85, 88; a.A. Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2178; vgl. Kremer/Klahold in: Krieger/Schneider,Handbuch Managerhaftung, 1. Auflage, 2007, § 18, Rn. 73 ff.

[55] Hölters, AktG, 1. Auflage, 2011, § 93, Rn. 109; Mengel, CCZ 2008, 85, 88; vgl. auch BGH NStZ 1986, 34, 35.

[56] Buchert, CCZ 2008, 148, 150; Mengel, CCZ 2008, 85, 88.

[57] Hölters, AktG, 1. Auflage, 2011, § 93, Rn. 109; Buchert, CCZ 2008, 148, 150. Dies ist nicht der Fall, wenn sich die etwa bestehenden Ansprüche aus Buchhaltungsunterlagen rekonstruieren lassen.

[58] Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 727 f.

[59] Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 727 f.

[60] Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 728; Wache in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, 2003, § 158, Rn. 25.

[61] RGSt 77, 157, 159; BGH, NJW 1991, 1046; Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Auflage, 2010, § 77, Rn. 31; Mitsch in MünchKomm, StGB, 1. Auflage, 2005, § 77 d, Rn. 7.

[62] Vgl. insoweit jeweils den Wortlaut von § 159 Abs. 1 StPO, § 183 S. 1 GVG, § 41 Abs. 1 OWiG.

[63] Vgl. Einleitung.

[64] „Korruptionsvermeidung in hessischen Kommunalverwaltungen“ (Hess. StAnz. 2009, 132 ff.).

[65] Auch die weiteren Gliederungspunkte zeigen, dass es nur um unmittelbar weisungspflichtiges Personal der Kommune gehen kann, denn es wird u.a. auf „Personalführung“ und „Dienstaufsicht“ abgestellt.

[66] Ursprünglich vom 16. Februar 1995, neu gefasst am 29. Juli 1997 (Hess. StAnz. 2590 ff.), von der Landesregierung als erneut überarbeiteter Erlass über Vergabesperren zur Korruptionsbekämpfung vom 14. November 2007 für die gesamte hessische Landesverwaltung bekannt gemacht (Hess. StAnz. 2007, 2327 ff.).

[67] Hess. StAnz. 2006, 2490 ff. Die Geltungsdauer des Erlasses in der bisher geltenden Fassung wurde mit Erlass vom 14.12.2011 bis zum 30. Juni 2012 verlängert.

[68] Dies ergibt sich auch aus Nr. 9.2 des Erlasses: Danach wird „Gemeinden, Gemeindeverbänden und sonstigen der Landesaufsicht unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts [] empfohlen, entsprechend zu verfahren“. Ersichtlich bezieht sich diese Vorgabe aber ausschließlich auf juristische Personen des öffentlichen Rechts. Sofern denn der Geltungsbereich – in einer anderen als der hier betrachteten Konstellation – eröffnet sein sollte, könnte sich eine Anzeigepflicht lediglich aus Nr. 6 des Erlasses („Strafrechtliche Folgen“) ergeben. Dieser deutet jedoch allenfalls eine Anzeigepflicht für passive Bestechungsstraftaten gem. §§ 331, 332 StGB an.

[70] Stand: 30. Juni 2009.

[71] Durch Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Frankfurt am Main am 25. März 2010.

[73] Grundsätzlich ähnlich strukturierte Public Corparate Governance Kodices haben z.B. folgende Städte erlassen: Berlin, Bremen, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Hamburg, Mannheim, Münster, Potsdam, Rostock, Saarbrücken, Solingen und Stuttgart.

[74] Vgl. Präambel Seite 4 (Fn. 72): „Die Regeln und Handlungsempfehlungen des Kodex gelten für die Stadt Frankfurt am Main und alle Unternehmen, an denen sie mehrheitlich (direkt und indirekt) beteiligt ist. Durch Gesellschafterbeschluss werden die Organe der Beteiligungsunternehmen verpflichtet, die Regelungen und Standards des Kodex anzuerkennen, um den Anforderungen an die Steuerung und Kontrolle bei öffentlichen finanzierten Unternehmen und an die Transparenz gerecht zu werden. Eine diesbezügliche Entsprechenserklärung verpflichtet die Beteiligungsunternehmen, die im Folgenden aufgeführten Standards zur Transparenz und Kontrolle bei ihrer Unternehmensführung zu beachten oder Abweichungen davon mit Grund darzulegen. Sofern der Umsetzung der Handlungsempfehlungen bei den oben genannten Unternehmen Rechte Dritter entgegenstehen sowie bei allen anderen Unternehmen sollen die Vertreter/-innen der Stadt Frankfurt am Main in der Gesellschafterversammlung und die auf Veranlassung der Stadt Frankfurt am Main berufenen Mitglieder des Aufsichtsrates, des Verwaltungsrates oder ähnlicher Organe darauf hinwirken, dass die Regeln und Handlungsempfehlungen in weitest möglichem Umfang beachtet werden“.

[75] „Jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied ist dafür verantwortlich, dass der Aufsichtsrat als Ganzes seine Überwachungspflicht erfüllt. Erkennt der Aufsichtsrat Fehler der Geschäftsführung, ist er verpflichtet, einzuschreiten. Je nach Schwere des Pflichtverstoßes sind ggf. die Abberufung und die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu prüfen.“

[76] „Die Geschäftsführung hat für den Aufbau und die Einhaltung eines angemessenen Risikomanagementsystems Sorge zu tragen und hierfür ein wirksames Kontrollsystem zu implementieren. […] Die Geschäftsführung hat ausreichende Maßnahmen zur Korruptionsvorbeugung zu treffen. In korruptionsanfälligen Bereichen ist neben anderen geeigneten Maßnahmen insbesondere auch das Vier-Augen-Prinzip umzusetzen.“

[77] Vgl. Hoffmann/Wissmann, StV 2001, 251; Ignor/Rixen, wistra 2000, 450.

[78] Vgl. Ignor/Rixen, wistra 2000, 450.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Markus Rübenstahl, Mag. iur.
    Der Autor ist Gründer der Kanzlei Rübenstahl Rechtsanwälte in Frankfurt am Main und Lehrbeauftragter der Universität Freiburg i. Br. Er ist seit 2002 als Verteidiger, Unternehmensvertreter und beratend im Bereich Wirtschafts- und Steuerstrafrecht tätig und befasst sich auch mit internationalen Aspekten des Wirtschaftsstrafrechts sowie mit Internal Investigations und Tax Compliance. Er ist Mitherausgeber der wistra, Mitglied des Vorstands der WisteV und Mitherausgeber sowie Redaktionsmitglied der WiJ.
  • Dr. Christoph Skoupil
    Dr. Christoph Skoupil ist Rechtsanwalt der im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Knierim |Huber. Sein Ta?tigkeitsspektrum umfasst neben der Individualverteidigung insbesondere die Beratung von Unternehmen im Zusammenhang mit Compliance-Fragen sowie die Begleitung von Internal Investigations.

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)