Pflichten von Geschäftsleitungs- und Überwachungsorganen bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten im Unternehmen
I. Einleitung
Das Thema „interne Sachverhaltsaufklärung“ ist in den letzten Jahren – unter den Stichworten „Internal Investigations“ und „Compliance“ – überwiegend mit medial begleiteten und teilweise im Zusammenhang mit Ermittlungen der US-Börsenaufsicht stehenden großen „Korruptionsskandalen“ in Verbindung gebracht worden. Es hat aber eine viel weitere Dimension.
Bislang wird das Problemfeld weniger aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, sondern in erster Linie aus strafrechtlicher Perspektive betrachtet und § 130 OWiG dabei eine tragende Rolle zugewiesen.[1] Seit 2009 hat das Urteil des Bundesgerichtshofs zum Leiter der Rechtsabteilung der Berliner Stadtreinigungsbetriebe[2] mit dem für viele überraschenden obiter dictum zur Garantenpflicht des Compliance Officers dazu beigetragen, das Interesse an der Fragestellung nochmals zu steigern. Schließlich nimmt der Compliance Officer nur eine abgeleitete Geschäftsleitungsaufgabe wahr. Die Pflicht, im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern, trifft – die Auffassung des Bundesgerichtshofs zum grundsätzlichen Bestehen einer Garantenpflicht zugrunde gelegt – dementsprechend zunächst einmal den Vorstand bzw. die Geschäftsführung.[3]
Als weiterer in diesem Zusammenhang zentraler Aspekt wird zu Recht die – 15 Jahre nach „ARAG/Garmenbeck“ im Grundsatz unbestrittene, in ihren Einzelheiten aber nach wie vor nicht vollständig geklärte – Pflicht von Unternehmensorganen angesehen, mögliche Schadensersatzansprüche zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen.
Die (gesellschafts-)rechtliche Grundlage für die Verpflichtung, bei vorliegendem Verdacht auf „Unregelmäßigkeiten“[4] den Sachverhalt aufzuklären, soll im Rahmen dieses Beitrags erörtert werden. Tatsächlich besteht eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung im Fall eines ernsthaften Verdachts regelmäßig und hat – anders als es im Kontext mit „Internen Ermittlungen“ teilweise anklingt[5] – eine gesetzliche Grundlage. Ausgehend von der gesetzlichen Grundlage lässt sich auch die Reichweite der Verpflichtung bestimmen. Dass das „Ob“ und „Wie“ der Sachverhaltsaufklärung einzelfallabhängig ist, wird dabei nicht überraschen; Leitlinien lassen sich gleichwohl aufzeigen.
Daneben soll im Rahmen dieses Beitrags kurz angesprochen werden, inwieweit im Fall des Verdachts straf- oder bußgeldbewehrter Handlungen innerhalb des Unternehmens – bei bereits laufendem Verfahren – eine Pflicht zur Kooperation mit der Staatsanwaltschaft oder – wenn noch keine Ermittlungen aufgenommen wurden – sogar eine Pflicht zur Einschaltung der Ermittlungsbehörden besteht. Die Befürchtung, Gerichte könnten demnächst von einer „Pflicht zur Anzeigeerstattung“ ausgehen, ist jüngst im Zusammenhang mit der den Finanzsektor betreffenden, mit Wirkung zum 01. Mai 2011 neu gefassten Regelung des § 25c Abs. 3 S. 1 KWG aufgekommen.[6]
II. Gesetzliche Grundlagen der Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung
Die Rechtsprechung hat sich mit der Frage, ob unter bestimmten Umständen eine Pflicht unternehmensinterner Sachverhaltsaufklärung besteht, soweit ersichtlich, noch nicht spezifisch auseinandergesetzt: Zitiert wird in diesem Zusammenhang regelmäßig[7] eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus den 1980er Jahren. Der Bundesgerichtshof postuliert darin, ohne dies näher zu begründen, der Geschäftsführer einer GmbH sei nicht nur verpflichtet, den Geschäftsgang so zu überwachen, das mit einer ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte gerechnet werden könne, sondern müsse vielmehr „sofort eingreifen, wenn sich Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten zeigen.“[8] Auch eine in diesem Kontext bisweilen angeführte[9] oberlandesgerichtliche Entscheidung[10] verhält sich eher zu der (zukunftsbezogenen) Pflicht zur Reaktion auf festgestellte Verstöße als zu der vorgelagerten Frage, welche Maßnahmen ein Geschäftsleiter zur Untersuchung von Verstößen ergreifen muss.
Im Schrifttum wird – auch gerade in der Diskussion um „Interne Ermittlungen“ – häufig die Frage gestellt, ob und unter welchen Voraussetzungen die damit verbundenen Maßnahmen zulässig sind, während die Frage, ob sie geboten sind, eher am Rande behandelt wird.[11]
1) Pflicht zur Wahrung des Unternehmensinteresses
Zutreffend ist zunächst, die Verpflichtung der Geschäftsleitung[12] zu interner Sachverhaltsaufklärung primär im Gesellschaftsrecht zu verorten, namentlich in der – gesetzlich in §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG verankerten und vielfach auch für Organe von Gesellschaften anderer Rechtsform geltenden – Pflicht, das Unternehmensinteresse zu wahren und Schaden vom Unternehmen abzuwenden.[13]
§ 76 Abs. 1 AktG, der den Vorstand dazu anhält, die Gesellschaft „unter eigener Verantwortung zu leiten“, ist zwar zunächst eine Kompetenzabgrenzungsnorm, die die Aufgabe zur eigenverantwortlichen Leitung (im Sinne eines „herausgehobenen Teilbereichs der Geschäftsführung“) dem Kollegialorgan Vorstand zuweist und gleichzeitig Hauptversammlung und Aufsichtsrat von dieser Aufgabe ausschließt.[14] In der kryptischen Formulierung des § 76 Abs. 1 AktG wird allerdings auch die Verpflichtung des Vorstands verortet, dem Unternehmensinteresse zu dienen, konkreter: Den Bestand des Unternehmens zu sichern und für eine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen.[15] Auch die – im Grundsatz unbestrittene – Verantwortung für regelgetreues Verhalten („Compliance“) soll als Bestandteil der Unternehmenskontrolle Leitungsaufgabe sein.[16]
§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG enthält mit dem Verweis auf die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ zunächst den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab für Vorstandshandeln. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG normiert in erster Linie einen Haftungsausschluss für Entscheidungen, bei denen der Vorstand auf Grundlage angemessener Informationen vernünftigerweise davon ausgehen konnte, sie würden dem Unternehmenswohl dienen, spricht damit aber mittelbar wiederum die Pflicht des Vorstands an, das Gesellschaftswohl zu fördern.[17]
2) Aufklärung vergangener Verstöße zur Vermeidung zukünftiger Verstöße
a) Ziel: Verhinderung von Vermögensschädigungen
Eine zukunftsbezogene Pflicht der Geschäftsleitung, Rechtsverstöße im Rahmen der allgemeinen Pflicht zur Einhaltung der Rechtsordnung und nicht zuletzt, weil sie auf vielfältige Weise zu Vermögensschädigungen führen können,[18] nach Möglichkeit zu verhindern, ergibt sich aus den genannten Normen ohne weiteres. Dass sie – vergangenheitsbezogen – auch Grundlage einer Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung im Fall eines Verdachts auf begangene Verstöße sein können, ist gedanklich nur ein kleiner Schritt: Um Gesetzes- und Regelverletzungen in der Zukunft zu vermeiden, wird es vielfach angezeigt sein, begangene Verstöße aufzuklären, um „Schwachstellen“ erkennen zu können, die zu dichten sind. Die rückblickende Sachverhaltsaufklärung kann auch die Sensibilität für (andauernde) vergleichbare gegenwärtige Verstöße erhöhen, die es – wiederum zukunftsbezogen – zu verhindern gilt.[19]
b) Bedeutung von § 130 OWiG
Kommen die Verantwortlichen ihrer Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht nach, kann dies bei zukünftigen Verstößen gegen straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Bestimmungen im Rahmen der Ahndungsmöglichkeiten der §§ 130, 9 OWiG relevant sein. Eine aus diesen Normen abgeleitete – und im Fall des Eintretens der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen[20] bußgeldbewehrte – Aufklärungspflicht[21] ist allerdings auf Fälle beschränkt, in denen erkennbar ist, dass nur eine Untersuchung vergangener Verstöße die Begehung vergleichbarer Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten in der Zukunft verhindern kann: § 130 OWiG ist nur einschlägig, wenn die Anknüpfungstat durch die gebotenen Aufsichtsmaßnahmen verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Denkbar ist dies etwa, wenn nahe liegt, dass vergleichbare Regelverstöße sich wiederholen, durch die Erkenntnis, dass regelwidriges Verhalten nicht aufgeklärt und sanktioniert wird, Regelverstöße generell befördert werden oder die Sachverhaltsaufklärung unabdingbar ist, um Organisationsmängel zu erkennen, die Regelverstöße bedingen, und diese zu beheben.[22]
Die Einhaltung der nach § 130 OWiG bestehenden Pflichten schuldet der Geschäftsleiter auch der Gesellschaft.[23] Dies ergibt sich ohne weiteres daraus, dass Bußgelder nach §§ 130, 30 OWiG, Abschöpfungsmaßnahmen (§ 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG) oder Verfallsanordnungen (§§ 29a OWiG, 73 Abs. 3 StGB) nicht im Unternehmensinteresse liegen. Originärer Rechtsgrund für die Verpflichtung des Geschäftsleiters, die ihm nach § 130 OWiG obliegenden Aufsichtspflichten zu erfüllen und in diesem Rahmen unter Umständen auch vergangene Verstöße zu untersuchen, ist aber nicht § 130 OWiG. Die §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG begründen diese Pflicht des Geschäftsleiters gegenüber der Gesellschaft.[24]
c) Bedeutung von § 912 AktG
„Zukunftsbezogene Vergangenheitsbewältigung“ kann auch im Zusammenhang mit der von § 91 Abs. 2 AktG geforderten Risikofrüherkennung Bedeutung erlangen. Nach wohl überwiegender Auffassung ist § 91 Abs. 2 AktG jedenfalls auf große, komplexe Unternehmen anderer Rechtsform entsprechend anwendbar.[25] Der Wortlaut der aktienrechtlichen Norm fordert vom Vorstand, geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen frühzeitig erkannt werden. Dass aus Rechtsverstößen bestandsgefährdende Risiken entstehen können, wird häufig als selbstverständlich vorausgesetzt.[26] Außerdem ist anerkannt, dass die Verpflichtung des Vorstands nicht aufhört, wenn das „Risikofrüherkennungssystem“ einmal eingerichtet ist, sondern die eingeleiteten Maßnahmen stetig daraufhin zu überprüfen sind, ob sie für den verfolgten Zweck geeignet sind oder Anpassungsbedarf besteht.[27] Insoweit wird eine Sachverhaltsaufklärung auch im Lichte des § 91 Abs. 2 AktG jedenfalls in Fällen geboten sein, in denen sie zur Überprüfung der „Systemfunktionalität“ erforderlich ist.[28]
3) Pflicht zur Prüfung und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen
Unmittelbareren Vergangenheitsbezug hat die Pflicht, bei Anhaltspunkten für schadensbegründende Pflichtverletzungen mögliche Schadensersatzansprüche zu prüfen und gegebenenfalls – weil das Unternehmensinteresse dies gebietet – geltend zu machen. Vom Bundesgerichtshof im Fall „ARAG/Garmenbeck“[29] als Pflicht des Aufsichtsrats im Fall möglicher Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder postuliert, ist unbestritten, dass eine entsprechende Verpflichtung auch den Vorstand treffen kann, sofern Ansprüche gegen Mitarbeiter oder (ehemalige) Aufsichtsratsmitglieder in Rede stehen.[30] Das Versäumnis, Schadensersatzansprüche zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen, kann eine eigene zivilrechtliche Haftung der jeweils Verpflichteten bzw. im Extremfall deren Strafbarkeit nach § 266 StGB begründen.[31]
4) Keine Entbindung von der Pflicht wegen staatlicher Ermittlungsverfahren
Die Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung entfällt nicht dadurch, dass ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde oder eröffnet wird. Dafür gibt es diverse Gründe: Weil die Staatanwaltschaft mit anderer Zielrichtung tätig wird, werden die Ermittlungsergebnisse in aller Regel allein keine geeignete Basis für die zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen bieten können. Sie werden auch häufig nicht rechtzeitig bzw. zumindest nicht umfassend zur Verfügung stehen, weil Akteneinsichtsrechte nach §§ 406e, 475 StPO zwar möglicherweise bestehen, bis zum Abschluss der Ermittlungen aber nicht uneingeschränkt.[32] Nicht zuletzt wird ohne parallele interne Ermittlungen im Regelfall keine ausreichende Informationsbasis für das im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft unternehmensseitig angezeigte Verhalten bestehen.[33]
III. Umfang der gebotenen Sachverhaltsaufklärung
1) Kein Zwang zur Durchführung von „Internal Investigations“
Auch wenn das zuständige Organ[34] bei einem Verdacht auf Normverstöße nach dem oben Gesagten in der Regel[35] nicht untätig bleiben darf und – davon abgesehen – auch häufig ein unmittelbares Eigeninteresse daran haben wird, den Sachverhalt aufzuklären, um das Fehlen eigener Verantwortlichkeit nachweisen zu können: Ob eine (nähere) Sachverhaltsaufklärung geboten ist und welchen Umfang die Aufklärungsmaßnahmen annehmen müssen, bestimmen die Umstände des Einzelfalls. Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Eine Verpflichtung, eine großangelegte „Internal Investigation“ durch externe Berater zu veranlassen, besteht in aller Regel nicht[36] bzw. jedenfalls dann nicht, wenn anderweitig eine angemessene und zweckentsprechende Sachverhaltsaufklärung gewährleistet ist.[37]
Grundsätzlich kommen verschiedene Mittel für die – „(unternehmens-)intern“ oder „extern“ durchgeführte Untersuchung der Verdachtsmomente in Betracht, wobei die Aufarbeitung der „Aktenlage“ zweckmäßigerweise häufig am Anfang stehen wird,[38] aber insbesondere auch Gespräche mit – betroffenen ebenso wie nicht unmittelbar betroffenen – Mitarbeitern vielfach angezeigt sein werden.
2) Kriterien für den Umfang der Sachverhaltsaufklärung
In welchem Umfang und mit welchen Mitteln eine Sachverhaltsaufklärung geboten ist, richtet sich zunächst nach den mit der Untersuchung verbundenen Zielen:[39] Entscheidung über die Geltendmachung von Haftungsansprüchen und / oder über arbeits- oder dienstvertragsrechtliche Schritte, Verbesserungen des Compliance- und / oder Risikofrüherkennungssystems, Wahrung des Unternehmensinteresses bei behördlichen Untersuchungen, Entscheidung über die Erstattung einer Strafanzeige, Vermeidung von Imageschäden durch demonstrative „Selbstreinigung“, Notwendigkeit steuerlicher Berichtigungen – um nur einige zu nennen. Die Zielrichtung kann sich dabei im Laufe der Sachverhaltsuntersuchungen und je nach den getroffenen Feststellungen, aber auch etwa in Abhängigkeit vom Verlauf eines parallel geführten behördlichen Verfahrens selbstverständlich ändern, ausweiten oder verengen.
Maßgeblich für den Aufklärungsumfang ist auch die Schwere möglicher Pflichtverletzungen, ob etwa „nur“ Verletzungen formaler Bestimmungen im Raum stehen oder – auf der anderen Seite – Verstöße gegen strafrechtliche Bestimmungen nahe liegen. Zu berücksichtigen ist, ob Regeln nur in Einzelfällen verletzt wurden oder es – andererseits – Hinweise auf systematische Regelverstöße gibt. Von Bedeutung ist auch die Höhe (möglicherweise) eingetretener oder bei weiteren, vergleichbaren Verstößen drohender Schäden. Kommen Haftungsansprüche in Betracht, wird regelmäßig nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, inwieweit Ansprüche wirtschaftlich realisierbar wären, wobei etwa maßgeblich sein kann, ob eine (D&O-)Versicherung besteht, ob sie den Fall in versicherungsrechtlicher Hinsicht abdeckt und wie hoch die Versicherungssumme ist. Ein drohender Rechtsverlust durch Verjährung und die sich mit Zeitablauf verschlechternde Beweissituation können zur Eile gebieten; im Hinblick auf Reputationsrisiken kann auch von Bedeutung sein, dass die Öffentlichkeit eine zügige Aufklärung der in Rede stehenden Sachverhalte erwartet. Umgekehrt kann für den Fall, dass etwaige Haftungsansprüche nicht zeitnah zu verjähren drohen, grundsätzlich Berücksichtigung finden, dass „äußere“ Umstände, etwa das Vorliegen von Ermittlungsergebnissen in einem laufenden Strafverfahren oder der Ausgang von Parallelprozessen, nicht unerheblich zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können und unter Aufwands- und Kostengesichtspunkten deshalb sinnvollerweise abgewartet werden sollten.
3) Beurteilungsspielraum
Letztlich wird stets eine Abwägungsentscheidung zwischen (voraussichtlichen) „Informationsbeschaffungskosten“ und (voraussichtlichem) Informationsnutzen zu treffen und den verpflichteten Organen hierbei ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen sein.[40]
Die Auffassung, im Hinblick auf das „Ob“ der Sachverhaltsaufklärung bestehe kein Ermessensspielraum,[41] kann dabei nicht uneingeschränkt richtig sein:[42] Steht etwa fest, dass die Regelverstöße, die in der Vergangenheit vorgekommen sind, sich nicht wiederholen können, weil die Art von Geschäften, mit denen sie in untrennbarem Zusammenhang standen, nicht mehr getätigt wird, wird man das zuständige Organ kaum für verpflichtet halten können, eine umfassende, kostenintensive Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ausgeschlossen ist, dass aus den Regelwidrigkeiten noch Konsequenzen gezogen werden müssen – etwa weil mangels Schädigung des Gesellschaftsvermögens Haftungsansprüche nicht in Betracht kommen und die Betroffenen bereits aus dem Unternehmen ausgeschieden sind. Auch wenn Schadensersatzansprüche grundsätzlich in Betracht kommen, aber von vornherein feststeht, dass die Kosten einer Sachverhaltsaufklärung den Ertrag selbst im Fall erfolgreicher zivilrechtlicher Geltendmachung übersteigen würden, etwa weil die Betroffenen wirtschaftlich nicht leistungsfähig sind und kein Versicherungsschutz besteht, liegt eine umfassende Sachverhaltsaufklärung nicht im Unternehmensinteresse.
Der Bundesgerichtshof formuliert in der „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung zwar einschränkungslos, die Entscheidung des Aufsichtsrats, ob ein Vorstandsmitglied in Anspruch genommen werden solle, erfordere „zunächst die Feststellung des zum Schadensersatz verpflichtenden Tatbestandes in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht sowie eine Analyse des Prozessrisikos und der Beitreibbarkeit der Forderung.“ Eine „Entscheidungsprärogative“ könne der Aufsichtsrat für diesen Teil seiner Entscheidung nicht in Anspruch nehmen und für Fragen, die nicht den Handlungs-, sondern den Erkenntnisbereich beträfen, komme „allenfalls die Zubilligung eines begrenzten Beurteilungsspielraums in Betracht.“ In Fällen, in denen aufgrund der Komplexität des Sachverhalts und der rechtlichen Beurteilung bereits die detaillierte Sachverhaltsaufklärung und rechtliche Prüfung ganz erhebliche Kosten verursachen würde, während feststeht, dass – etwa aus den oben genannten Gründen – Konsequenzen nicht zu ziehen sein werden, muss allerdings aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auch ein Verzicht auf die Beauftragung einer ins Einzelne gehenden Prüfung möglich sein.[43] Zur Sachverhaltsaufklärung um ihrer selbst Willen besteht keine Verpflichtung.
Freilich: Vollständig wird das zuständige Organ auch in solchen Fällen nicht davon absehen können, den Sachverhalt zu erfassen. Die Sachverhaltsaufklärung muss aber eben nur so weit gehen, bis ein Erkenntnisstand erreicht ist, auf dessen Basis eine vernünftige Abwägung der Kosten und Chancen einer weiteren Sachverhaltsaufklärung möglich ist.[44] Leitlinie ist die Vorgabe, dass für unternehmerische (Folge-)Entscheidungen – nicht zuletzt im Hinblick auf das Risiko eigener Haftung – eine angemessene Informationsbasis geschaffen werden muss.[45] Auch die viel kritisierte Formulierung des Bundesgerichtshofs, die Haftungsprivilegierung der Business Judgement Rule setze voraus, „alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art“ auszuschöpfen,[46] wird man dabei nicht wörtlich nehmen können, weil eine entsprechende Vorgabe schlicht unwirtschaftlich wäre. Empfehlenswert scheint aber, gegebenenfalls zu dokumentieren, aus welchen Gründen eine Entscheidungsgrundlage als ausreichend angesehen und aufgrund welcher Erwägungen von weiteren, theoretisch noch möglichen Aufklärungsmaßnahmen abgesehen wird.
4) Pflicht zur Beauftragung externer Berater?
Die Beauftragung externer Berater wird regelmäßig höhere Kosten verursachen. In Fällen gravierender Pflichtverstöße, strafrechtlich relevanter Sachverhalte und/oder hoher Schadenssummen dürfte mit Blick auf die „angemessene Entscheidungsgrundlage“ andererseits vielfach kein Weg daran vorbeiführen, zumindest ergänzend zu internen Ressourcen (häufig nahe liegend: Interne Revision) wegen der grundsätzlich zu vermutenden stärkeren Unabhängigkeit, Unbeeinflussbarkeit[47] und speziellen Erfahrung und Expertise externen Sachverstand hinzuzuziehen.[48] Richtig ist aber auch, dass die Sachverhaltsaufklärung in aller Regel auf die Unterstützung durch Unternehmensangehörige angewiesen ist, die mit den Organisationsstrukturen und Prozessabläufen vertraut sind.[49]
5) Begrenzung des Aufklärungsumfangs durch das Unternehmensinteresse
Das Unternehmensinteresse kann die Sachverhaltsaufklärung nicht nur gebieten, sondern deren Umfang – nicht nur wegen der unmittelbar dadurch verursachten, oft signifikanten Kosten – auf der anderen Seite auch erheblich einschränken: Eine medienwirksame, umfangreiche „Internal Investigation“ wird, weil sie den öffentlichen Blick in der Regel primär auf die untersuchten Verstöße lenkt und nur nebenbei auch auf die lobenswerte Bereitschaft, diese aufzuklären und gegebenenfalls zu sanktionieren, nicht selten eher rufschädigend als -fördernd wirken.[50] Selbstverständlich bedeutet das aber nicht, dass Regelverstöße „unter den Teppich gekehrt“ werden dürfen. Entscheidend ist, bei Aufklärungsmaßnahmen jeweils auch die damit korrespondierenden Nachteile im Blick zu haben und maßvoll zu agieren.
IV. Zuständigkeit für die Sachverhaltsaufklärung
Welches Organ innerhalb des Unternehmens die Kompetenz und Verantwortung für die Sachverhaltsaufklärung innehat, ist davon abhängig, wem nach der bestehenden Verdachtslage Rechtsverstöße anzulasten sind.
Soweit (nur) Mitarbeiter oder aber (ehemalige) Aufsichtsratsmitglieder betroffen sind, ist regelmäßig die Geschäftsleitung zuständig, und zwar – ausgehend davon, dass hier Leitungsaufgaben wahrzunehmen sind – als Kollegialorgan. Je nach Schwere, möglichen Folgen und notwendigen Konsequenzen der im Raum stehenden Verstöße kommt eine Delegation auf einzelne Vorstandsmitglieder oder nachgeordnete Mitarbeiter in Betracht.[51] Eine Kontrollverantwortung des (Gesamt-)Vorstands, der sich deshalb über Stand und Ergebnisse der Untersuchungen regelmäßig berichten lassen sollte, bleibt dabei wie stets in Fällen von „horizontaler“ oder „vertikaler“ Aufgabendelegation[52] bestehen.[53]
Trifft der Verdacht rechtswidrigen Verhaltens den Vorstand, ist im Hinblick auf §§ 111 Abs. 1, 112 S. 1 AktG grundsätzlich der Aufsichtsrat am Zug.[54] Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats richtet sich auch auf Vorgänge aus der Vergangenheit[55] und seine Zuständigkeit besteht auch dann, wenn nur einzelne Vorstandsmitglieder betroffen sind. Die gesetzliche Kompetenzzuweisung und deren Zweck, Interessenskonflikte zu vermeiden, sprechen gegen die teilweise vertretene Auffassung,[56] der Aufsichtsrat könne sich darauf beschränken, die Sachverhaltsaufklärung durch die übrigen Vorstandsmitglieder zu überwachen, wenn sich der Verdacht nur gegen einzelne Vorstandsmitglieder richtet. Eine Verpflichtung des Aufsichtsrats, einzuschreiten und unter Umständen selbst Sachverhaltsermittlungen zu veranlassen, besteht schließlich, wenn der Vorstand seiner Pflicht zur Aufklärung von Rechtsverstößen nicht nachkommt.
Sofern – etwa durch anonyme Schreiben – „unspezifizierte“ Vorwürfe an den Vorstand herangetragen werden, kann sich die Frage stellen, ob der Vorstand zu „Voraufklärungsmaßnahmen“ berechtigt und verpflichtet ist. Im Schrifttum wird dies bejaht. Ergeben sich aus den Voruntersuchungen nur die geringsten Anhaltspunkte für eine mögliche Pflichtwidrigkeit eines (ehemaligen) Vorstandsmitglieds, soll der Vorstand allerdings verpflichtet sein, den Aufsichtsrat unverzüglich zu informieren, damit dieser seinen Kontroll- und Prüfungspflichten nachkommen kann.[57]
V. Pflicht zur Kooperation mit der Staatsanwaltschaft?
Stehen Verstöße gegen Strafrechtsnormen im Raum, stellt sich häufig die Frage, ob eine Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden zweckmäßig ist. Eine pauschale Antwort gibt es darauf nicht; viel zu unterschiedlich sind die Konstellationen und auch Ziele, die ein Unternehmen mit einer solchen Kooperation verfolgen kann. Deshalb in diesem Zusammenhang nur einige grundsätzliche Bemerkungen:
Eine generelle Pflicht zur Kooperation bei bestehendem Verdacht auf strafrechtlich relevante Sachverhalte gibt es nicht. Insbesondere besteht in aller Regel keine Pflicht zur Einschaltung der – noch nicht tätigen – Ermittlungsbehörden.
Außerhalb des § 138 StGB kennt das deutsche Strafrecht keine Pflicht zur Anzeigeerstattung.[58] Eine Verpflichtung, begangene Straftaten anzuzeigen, kann sich auch grundsätzlich nicht aus einer Garantenpflicht ergeben, weil diese nur auf die Verhinderung andauernder oder zukünftiger Straftaten zielt.[59] Zur Anzeige strafbarer Handlungen zwingt schließlich im Finanzsektor der neu gefasste § 25 Abs. 3 S. 1 KWG nicht. Richtig ist, dass § 25 Abs. 3 S. 1 KWG in der mit Wirkung zum 01. Mai 2011[60] neu gefassten Form Institute konkret dazu verpflichtet, Sachverhalte, die auf strafbare, das Vermögen des Instituts gefährdende Handlungen hindeuten, intern zu untersuchen.[61] § 25c Abs. 1 KWG verpflichtet Institute zur Unterhaltung eines angemessenen Risikomanagements und zur Einrichtung von Verfahren und Grundsätzen im Hinblick auf die Verhinderung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstige strafbare Handlungen, die zu einer Gefährdung des Vermögens des Instituts führen können.[62] § 25 Abs. 3 S. 1 KWG normiert insoweit eine Pflicht zur Untersuchung „zweifelhafter oder ungewöhnlicher Sachverhalte,“ wobei der Gesetzgeber davon ausgeht, dass bereits ein sehr geringer Verdachtsgrad die Untersuchungspflicht begründet.[63] Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die Pflicht nicht nur Kredit-, sondern auch Finanzdienstleistungsinstitute betreffen und unabhängig davon bestehen, auf welche Art und Weise die Ungewöhnlichkeiten oder Auffälligkeiten festgestellt wurden.[64] Dass Gerichte aus dem Wortlaut des § 25c Abs. 3 S. 1 KWG, nach dem Institute auffällige Sachverhalte untersuchen müssen, um „gegebenenfalls […] die Erstattung einer Strafanzeige gemäß § 158 der Strafprozessordnung prüfen zu können“, eine generelle Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige ableiten werden, erscheint jedoch wenig nahe liegend.
Unabhängig davon kann es selbstverständlich in Einzelfällen empfehlenswert sein, bereits „vorbeugend“ Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufzunehmen, wenn – etwa aufgrund von Medienberichterstattung – die Einleitung eines Verfahrens droht und die Offenlegung des Sachverhalts dies entweder bereits verhindern oder die Signalisierung von Kooperationsbereitschaft voraussichtlich jedenfalls den Verlauf des Verfahrens erleichtern kann.[65] Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft kann in besonderen Konstellationen auch angezeigt sein, wenn nur staatliche Zwangsmittel (gegen ausgeschiedene Mitarbeiter oder außenstehende Beteiligte) eine ausreichende Sachverhaltsaufklärung versprechen.[66] Läuft bereits ein Verfahren, wird eine Kooperation im Rahmen der StPO sehr häufig zweckmäßig sein[67] und – um wieder zur Ursprungsfrage zurückzukehren, welche Pflichten Unternehmensorgane beim Vorliegen eines Verdachts auf Unregelmäßigkeiten haben – auch vielfach vor dem Hintergrund der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG geboten. Ein Anspruch darauf, dass bei möglichen Sanktionen gegen das Unternehmen interne Bemühungen zur Sachverhaltsaufklärung berücksichtigt werden, besteht zwar nicht; die Hoffnung, dass Kooperationsbereitschaft honoriert wird, wird dagegen im Regelfall legitim sein.[68] Ein nicht unbedeutender Aspekt kann daneben sein, dass eingriffsintensive Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die Reputation des Unternehmens weit mehr schädigen dürften als ein – im Idealfall geräuschloses – Zu- und Zusammenarbeiten[69] im Rahmen der durch die StPO gezogenen Grenzen. Auf der anderen Seite kann beispielsweise Bedeutung erlangen, dass über Akteneinsichtsgesuche die der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellten Ergebnisse interner Aufklärung und Bewertung Dritten zugänglich werden können, was etwa die Position des Unternehmens im Rahmen der Abwehr von Schadensersatzansprüchen schwächen oder aus sonstigen Gründen (Stichwort: Kenntnisnahme von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch Wettbewerber) nachteilig sein kann. Bestehende Ermessensspielräume sind in jedem Fall nach pflichtgemäßer Abwägung der Chancen und Risiken[70] und unter Berücksichtigung des Rechtsrats auf diesem Gebiet spezialisierter Anwälte auszuüben.
Selbstverständlich ist, dass stets eine ausreichende eigene Kenntnisbasis bestehen sollte, um einschätzen zu können, welche Folgen die Einschaltung der Staatsanwaltschaft haben kann bzw. welchen Einfluss die Übermittlung von Informationen auf den Verlauf des Verfahrens voraussichtlich haben wird. Insoweit ist wiederum – hier schließt sich der Kreis – die unternehmensinterne Sachverhaltsaufklärung unverzichtbar.
[:en]
I. Einleitung
Das Thema „interne Sachverhaltsaufklärung“ ist in den letzten Jahren – unter den Stichworten „Internal Investigations“ und „Compliance“ – überwiegend mit medial begleiteten und teilweise im Zusammenhang mit Ermittlungen der US-Börsenaufsicht stehenden großen „Korruptionsskandalen“ in Verbindung gebracht worden. Es hat aber eine viel weitere Dimension.
Bislang wird das Problemfeld weniger aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, sondern in erster Linie aus strafrechtlicher Perspektive betrachtet und § 130 OWiG dabei eine tragende Rolle zugewiesen.[1] Seit 2009 hat das Urteil des Bundesgerichtshofs zum Leiter der Rechtsabteilung der Berliner Stadtreinigungsbetriebe[2] mit dem für viele überraschenden obiter dictum zur Garantenpflicht des Compliance Officers dazu beigetragen, das Interesse an der Fragestellung nochmals zu steigern. Schließlich nimmt der Compliance Officer nur eine abgeleitete Geschäftsleitungsaufgabe wahr. Die Pflicht, im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern, trifft – die Auffassung des Bundesgerichtshofs zum grundsätzlichen Bestehen einer Garantenpflicht zugrunde gelegt – dementsprechend zunächst einmal den Vorstand bzw. die Geschäftsführung.[3]
Als weiterer in diesem Zusammenhang zentraler Aspekt wird zu Recht die – 15 Jahre nach „ARAG/Garmenbeck“ im Grundsatz unbestrittene, in ihren Einzelheiten aber nach wie vor nicht vollständig geklärte – Pflicht von Unternehmensorganen angesehen, mögliche Schadensersatzansprüche zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen.
Die (gesellschafts-)rechtliche Grundlage für die Verpflichtung, bei vorliegendem Verdacht auf „Unregelmäßigkeiten“[4] den Sachverhalt aufzuklären, soll im Rahmen dieses Beitrags erörtert werden. Tatsächlich besteht eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung im Fall eines ernsthaften Verdachts regelmäßig und hat – anders als es im Kontext mit „Internen Ermittlungen“ teilweise anklingt[5] – eine gesetzliche Grundlage. Ausgehend von der gesetzlichen Grundlage lässt sich auch die Reichweite der Verpflichtung bestimmen. Dass das „Ob“ und „Wie“ der Sachverhaltsaufklärung einzelfallabhängig ist, wird dabei nicht überraschen; Leitlinien lassen sich gleichwohl aufzeigen.
Daneben soll im Rahmen dieses Beitrags kurz angesprochen werden, inwieweit im Fall des Verdachts straf- oder bußgeldbewehrter Handlungen innerhalb des Unternehmens – bei bereits laufendem Verfahren – eine Pflicht zur Kooperation mit der Staatsanwaltschaft oder – wenn noch keine Ermittlungen aufgenommen wurden – sogar eine Pflicht zur Einschaltung der Ermittlungsbehörden besteht. Die Befürchtung, Gerichte könnten demnächst von einer „Pflicht zur Anzeigeerstattung“ ausgehen, ist jüngst im Zusammenhang mit der den Finanzsektor betreffenden, mit Wirkung zum 01. Mai 2011 neu gefassten Regelung des § 25c Abs. 3 S. 1 KWG aufgekommen.[6]
II. Gesetzliche Grundlagen der Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung
Die Rechtsprechung hat sich mit der Frage, ob unter bestimmten Umständen eine Pflicht unternehmensinterner Sachverhaltsaufklärung besteht, soweit ersichtlich, noch nicht spezifisch auseinandergesetzt: Zitiert wird in diesem Zusammenhang regelmäßig[7] eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus den 1980er Jahren. Der Bundesgerichtshof postuliert darin, ohne dies näher zu begründen, der Geschäftsführer einer GmbH sei nicht nur verpflichtet, den Geschäftsgang so zu überwachen, das mit einer ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte gerechnet werden könne, sondern müsse vielmehr „sofort eingreifen, wenn sich Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten zeigen.“[8] Auch eine in diesem Kontext bisweilen angeführte[9] oberlandesgerichtliche Entscheidung[10] verhält sich eher zu der (zukunftsbezogenen) Pflicht zur Reaktion auf festgestellte Verstöße als zu der vorgelagerten Frage, welche Maßnahmen ein Geschäftsleiter zur Untersuchung von Verstößen ergreifen muss.
Im Schrifttum wird – auch gerade in der Diskussion um „Interne Ermittlungen“ – häufig die Frage gestellt, ob und unter welchen Voraussetzungen die damit verbundenen Maßnahmen zulässig sind, während die Frage, ob sie geboten sind, eher am Rande behandelt wird.[11]
1) Pflicht zur Wahrung des Unternehmensinteresses
Zutreffend ist zunächst, die Verpflichtung der Geschäftsleitung[12] zu interner Sachverhaltsaufklärung primär im Gesellschaftsrecht zu verorten, namentlich in der – gesetzlich in §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG verankerten und vielfach auch für Organe von Gesellschaften anderer Rechtsform geltenden – Pflicht, das Unternehmensinteresse zu wahren und Schaden vom Unternehmen abzuwenden.[13]
§ 76 Abs. 1 AktG, der den Vorstand dazu anhält, die Gesellschaft „unter eigener Verantwortung zu leiten“, ist zwar zunächst eine Kompetenzabgrenzungsnorm, die die Aufgabe zur eigenverantwortlichen Leitung (im Sinne eines „herausgehobenen Teilbereichs der Geschäftsführung“) dem Kollegialorgan Vorstand zuweist und gleichzeitig Hauptversammlung und Aufsichtsrat von dieser Aufgabe ausschließt.[14] In der kryptischen Formulierung des § 76 Abs. 1 AktG wird allerdings auch die Verpflichtung des Vorstands verortet, dem Unternehmensinteresse zu dienen, konkreter: Den Bestand des Unternehmens zu sichern und für eine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen.[15] Auch die – im Grundsatz unbestrittene – Verantwortung für regelgetreues Verhalten („Compliance“) soll als Bestandteil der Unternehmenskontrolle Leitungsaufgabe sein.[16]
§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG enthält mit dem Verweis auf die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ zunächst den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab für Vorstandshandeln. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG normiert in erster Linie einen Haftungsausschluss für Entscheidungen, bei denen der Vorstand auf Grundlage angemessener Informationen vernünftigerweise davon ausgehen konnte, sie würden dem Unternehmenswohl dienen, spricht damit aber mittelbar wiederum die Pflicht des Vorstands an, das Gesellschaftswohl zu fördern.[17]
2) Aufklärung vergangener Verstöße zur Vermeidung zukünftiger Verstöße
a) Ziel: Verhinderung von Vermögensschädigungen
Eine zukunftsbezogene Pflicht der Geschäftsleitung, Rechtsverstöße im Rahmen der allgemeinen Pflicht zur Einhaltung der Rechtsordnung und nicht zuletzt, weil sie auf vielfältige Weise zu Vermögensschädigungen führen können,[18] nach Möglichkeit zu verhindern, ergibt sich aus den genannten Normen ohne weiteres. Dass sie – vergangenheitsbezogen – auch Grundlage einer Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung im Fall eines Verdachts auf begangene Verstöße sein können, ist gedanklich nur ein kleiner Schritt: Um Gesetzes- und Regelverletzungen in der Zukunft zu vermeiden, wird es vielfach angezeigt sein, begangene Verstöße aufzuklären, um „Schwachstellen“ erkennen zu können, die zu dichten sind. Die rückblickende Sachverhaltsaufklärung kann auch die Sensibilität für (andauernde) vergleichbare gegenwärtige Verstöße erhöhen, die es – wiederum zukunftsbezogen – zu verhindern gilt.[19]
b) Bedeutung von § 130 OWiG
Kommen die Verantwortlichen ihrer Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht nach, kann dies bei zukünftigen Verstößen gegen straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Bestimmungen im Rahmen der Ahndungsmöglichkeiten der §§ 130, 9 OWiG relevant sein. Eine aus diesen Normen abgeleitete – und im Fall des Eintretens der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen[20] bußgeldbewehrte – Aufklärungspflicht[21] ist allerdings auf Fälle beschränkt, in denen erkennbar ist, dass nur eine Untersuchung vergangener Verstöße die Begehung vergleichbarer Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten in der Zukunft verhindern kann: § 130 OWiG ist nur einschlägig, wenn die Anknüpfungstat durch die gebotenen Aufsichtsmaßnahmen verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Denkbar ist dies etwa, wenn nahe liegt, dass vergleichbare Regelverstöße sich wiederholen, durch die Erkenntnis, dass regelwidriges Verhalten nicht aufgeklärt und sanktioniert wird, Regelverstöße generell befördert werden oder die Sachverhaltsaufklärung unabdingbar ist, um Organisationsmängel zu erkennen, die Regelverstöße bedingen, und diese zu beheben.[22]
Die Einhaltung der nach § 130 OWiG bestehenden Pflichten schuldet der Geschäftsleiter auch der Gesellschaft.[23] Dies ergibt sich ohne weiteres daraus, dass Bußgelder nach §§ 130, 30 OWiG, Abschöpfungsmaßnahmen (§ 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG) oder Verfallsanordnungen (§§ 29a OWiG, 73 Abs. 3 StGB) nicht im Unternehmensinteresse liegen. Originärer Rechtsgrund für die Verpflichtung des Geschäftsleiters, die ihm nach § 130 OWiG obliegenden Aufsichtspflichten zu erfüllen und in diesem Rahmen unter Umständen auch vergangene Verstöße zu untersuchen, ist aber nicht § 130 OWiG. Die §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 1 AktG begründen diese Pflicht des Geschäftsleiters gegenüber der Gesellschaft.[24]
c) Bedeutung von § 912 AktG
„Zukunftsbezogene Vergangenheitsbewältigung“ kann auch im Zusammenhang mit der von § 91 Abs. 2 AktG geforderten Risikofrüherkennung Bedeutung erlangen. Nach wohl überwiegender Auffassung ist § 91 Abs. 2 AktG jedenfalls auf große, komplexe Unternehmen anderer Rechtsform entsprechend anwendbar.[25] Der Wortlaut der aktienrechtlichen Norm fordert vom Vorstand, geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen frühzeitig erkannt werden. Dass aus Rechtsverstößen bestandsgefährdende Risiken entstehen können, wird häufig als selbstverständlich vorausgesetzt.[26] Außerdem ist anerkannt, dass die Verpflichtung des Vorstands nicht aufhört, wenn das „Risikofrüherkennungssystem“ einmal eingerichtet ist, sondern die eingeleiteten Maßnahmen stetig daraufhin zu überprüfen sind, ob sie für den verfolgten Zweck geeignet sind oder Anpassungsbedarf besteht.[27] Insoweit wird eine Sachverhaltsaufklärung auch im Lichte des § 91 Abs. 2 AktG jedenfalls in Fällen geboten sein, in denen sie zur Überprüfung der „Systemfunktionalität“ erforderlich ist.[28]
3) Pflicht zur Prüfung und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen
Unmittelbareren Vergangenheitsbezug hat die Pflicht, bei Anhaltspunkten für schadensbegründende Pflichtverletzungen mögliche Schadensersatzansprüche zu prüfen und gegebenenfalls – weil das Unternehmensinteresse dies gebietet – geltend zu machen. Vom Bundesgerichtshof im Fall „ARAG/Garmenbeck“[29] als Pflicht des Aufsichtsrats im Fall möglicher Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder postuliert, ist unbestritten, dass eine entsprechende Verpflichtung auch den Vorstand treffen kann, sofern Ansprüche gegen Mitarbeiter oder (ehemalige) Aufsichtsratsmitglieder in Rede stehen.[30] Das Versäumnis, Schadensersatzansprüche zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen, kann eine eigene zivilrechtliche Haftung der jeweils Verpflichteten bzw. im Extremfall deren Strafbarkeit nach § 266 StGB begründen.[31]
4) Keine Entbindung von der Pflicht wegen staatlicher Ermittlungsverfahren
Die Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung entfällt nicht dadurch, dass ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde oder eröffnet wird. Dafür gibt es diverse Gründe: Weil die Staatanwaltschaft mit anderer Zielrichtung tätig wird, werden die Ermittlungsergebnisse in aller Regel allein keine geeignete Basis für die zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen bieten können. Sie werden auch häufig nicht rechtzeitig bzw. zumindest nicht umfassend zur Verfügung stehen, weil Akteneinsichtsrechte nach §§ 406e, 475 StPO zwar möglicherweise bestehen, bis zum Abschluss der Ermittlungen aber nicht uneingeschränkt.[32] Nicht zuletzt wird ohne parallele interne Ermittlungen im Regelfall keine ausreichende Informationsbasis für das im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft unternehmensseitig angezeigte Verhalten bestehen.[33]
III. Umfang der gebotenen Sachverhaltsaufklärung
1) Kein Zwang zur Durchführung von „Internal Investigations“
Auch wenn das zuständige Organ[34] bei einem Verdacht auf Normverstöße nach dem oben Gesagten in der Regel[35] nicht untätig bleiben darf und – davon abgesehen – auch häufig ein unmittelbares Eigeninteresse daran haben wird, den Sachverhalt aufzuklären, um das Fehlen eigener Verantwortlichkeit nachweisen zu können: Ob eine (nähere) Sachverhaltsaufklärung geboten ist und welchen Umfang die Aufklärungsmaßnahmen annehmen müssen, bestimmen die Umstände des Einzelfalls. Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Eine Verpflichtung, eine großangelegte „Internal Investigation“ durch externe Berater zu veranlassen, besteht in aller Regel nicht[36] bzw. jedenfalls dann nicht, wenn anderweitig eine angemessene und zweckentsprechende Sachverhaltsaufklärung gewährleistet ist.[37]
Grundsätzlich kommen verschiedene Mittel für die – „(unternehmens-)intern“ oder „extern“ durchgeführte Untersuchung der Verdachtsmomente in Betracht, wobei die Aufarbeitung der „Aktenlage“ zweckmäßigerweise häufig am Anfang stehen wird,[38] aber insbesondere auch Gespräche mit – betroffenen ebenso wie nicht unmittelbar betroffenen – Mitarbeitern vielfach angezeigt sein werden.
2) Kriterien für den Umfang der Sachverhaltsaufklärung
In welchem Umfang und mit welchen Mitteln eine Sachverhaltsaufklärung geboten ist, richtet sich zunächst nach den mit der Untersuchung verbundenen Zielen:[39] Entscheidung über die Geltendmachung von Haftungsansprüchen und / oder über arbeits- oder dienstvertragsrechtliche Schritte, Verbesserungen des Compliance- und / oder Risikofrüherkennungssystems, Wahrung des Unternehmensinteresses bei behördlichen Untersuchungen, Entscheidung über die Erstattung einer Strafanzeige, Vermeidung von Imageschäden durch demonstrative „Selbstreinigung“, Notwendigkeit steuerlicher Berichtigungen – um nur einige zu nennen. Die Zielrichtung kann sich dabei im Laufe der Sachverhaltsuntersuchungen und je nach den getroffenen Feststellungen, aber auch etwa in Abhängigkeit vom Verlauf eines parallel geführten behördlichen Verfahrens selbstverständlich ändern, ausweiten oder verengen.
Maßgeblich für den Aufklärungsumfang ist auch die Schwere möglicher Pflichtverletzungen, ob etwa „nur“ Verletzungen formaler Bestimmungen im Raum stehen oder – auf der anderen Seite – Verstöße gegen strafrechtliche Bestimmungen nahe liegen. Zu berücksichtigen ist, ob Regeln nur in Einzelfällen verletzt wurden oder es – andererseits – Hinweise auf systematische Regelverstöße gibt. Von Bedeutung ist auch die Höhe (möglicherweise) eingetretener oder bei weiteren, vergleichbaren Verstößen drohender Schäden. Kommen Haftungsansprüche in Betracht, wird regelmäßig nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, inwieweit Ansprüche wirtschaftlich realisierbar wären, wobei etwa maßgeblich sein kann, ob eine (D&O-)Versicherung besteht, ob sie den Fall in versicherungsrechtlicher Hinsicht abdeckt und wie hoch die Versicherungssumme ist. Ein drohender Rechtsverlust durch Verjährung und die sich mit Zeitablauf verschlechternde Beweissituation können zur Eile gebieten; im Hinblick auf Reputationsrisiken kann auch von Bedeutung sein, dass die Öffentlichkeit eine zügige Aufklärung der in Rede stehenden Sachverhalte erwartet. Umgekehrt kann für den Fall, dass etwaige Haftungsansprüche nicht zeitnah zu verjähren drohen, grundsätzlich Berücksichtigung finden, dass „äußere“ Umstände, etwa das Vorliegen von Ermittlungsergebnissen in einem laufenden Strafverfahren oder der Ausgang von Parallelprozessen, nicht unerheblich zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können und unter Aufwands- und Kostengesichtspunkten deshalb sinnvollerweise abgewartet werden sollten.
3) Beurteilungsspielraum
Letztlich wird stets eine Abwägungsentscheidung zwischen (voraussichtlichen) „Informationsbeschaffungskosten“ und (voraussichtlichem) Informationsnutzen zu treffen und den verpflichteten Organen hierbei ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen sein.[40]
Die Auffassung, im Hinblick auf das „Ob“ der Sachverhaltsaufklärung bestehe kein Ermessensspielraum,[41] kann dabei nicht uneingeschränkt richtig sein:[42] Steht etwa fest, dass die Regelverstöße, die in der Vergangenheit vorgekommen sind, sich nicht wiederholen können, weil die Art von Geschäften, mit denen sie in untrennbarem Zusammenhang standen, nicht mehr getätigt wird, wird man das zuständige Organ kaum für verpflichtet halten können, eine umfassende, kostenintensive Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ausgeschlossen ist, dass aus den Regelwidrigkeiten noch Konsequenzen gezogen werden müssen – etwa weil mangels Schädigung des Gesellschaftsvermögens Haftungsansprüche nicht in Betracht kommen und die Betroffenen bereits aus dem Unternehmen ausgeschieden sind. Auch wenn Schadensersatzansprüche grundsätzlich in Betracht kommen, aber von vornherein feststeht, dass die Kosten einer Sachverhaltsaufklärung den Ertrag selbst im Fall erfolgreicher zivilrechtlicher Geltendmachung übersteigen würden, etwa weil die Betroffenen wirtschaftlich nicht leistungsfähig sind und kein Versicherungsschutz besteht, liegt eine umfassende Sachverhaltsaufklärung nicht im Unternehmensinteresse.
Der Bundesgerichtshof formuliert in der „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung zwar einschränkungslos, die Entscheidung des Aufsichtsrats, ob ein Vorstandsmitglied in Anspruch genommen werden solle, erfordere „zunächst die Feststellung des zum Schadensersatz verpflichtenden Tatbestandes in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht sowie eine Analyse des Prozessrisikos und der Beitreibbarkeit der Forderung.“ Eine „Entscheidungsprärogative“ könne der Aufsichtsrat für diesen Teil seiner Entscheidung nicht in Anspruch nehmen und für Fragen, die nicht den Handlungs-, sondern den Erkenntnisbereich beträfen, komme „allenfalls die Zubilligung eines begrenzten Beurteilungsspielraums in Betracht.“ In Fällen, in denen aufgrund der Komplexität des Sachverhalts und der rechtlichen Beurteilung bereits die detaillierte Sachverhaltsaufklärung und rechtliche Prüfung ganz erhebliche Kosten verursachen würde, während feststeht, dass – etwa aus den oben genannten Gründen – Konsequenzen nicht zu ziehen sein werden, muss allerdings aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auch ein Verzicht auf die Beauftragung einer ins Einzelne gehenden Prüfung möglich sein.[43] Zur Sachverhaltsaufklärung um ihrer selbst Willen besteht keine Verpflichtung.
Freilich: Vollständig wird das zuständige Organ auch in solchen Fällen nicht davon absehen können, den Sachverhalt zu erfassen. Die Sachverhaltsaufklärung muss aber eben nur so weit gehen, bis ein Erkenntnisstand erreicht ist, auf dessen Basis eine vernünftige Abwägung der Kosten und Chancen einer weiteren Sachverhaltsaufklärung möglich ist.[44] Leitlinie ist die Vorgabe, dass für unternehmerische (Folge-)Entscheidungen – nicht zuletzt im Hinblick auf das Risiko eigener Haftung – eine angemessene Informationsbasis geschaffen werden muss.[45] Auch die viel kritisierte Formulierung des Bundesgerichtshofs, die Haftungsprivilegierung der Business Judgement Rule setze voraus, „alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art“ auszuschöpfen,[46] wird man dabei nicht wörtlich nehmen können, weil eine entsprechende Vorgabe schlicht unwirtschaftlich wäre. Empfehlenswert scheint aber, gegebenenfalls zu dokumentieren, aus welchen Gründen eine Entscheidungsgrundlage als ausreichend angesehen und aufgrund welcher Erwägungen von weiteren, theoretisch noch möglichen Aufklärungsmaßnahmen abgesehen wird.
4) Pflicht zur Beauftragung externer Berater?
Die Beauftragung externer Berater wird regelmäßig höhere Kosten verursachen. In Fällen gravierender Pflichtverstöße, strafrechtlich relevanter Sachverhalte und/oder hoher Schadenssummen dürfte mit Blick auf die „angemessene Entscheidungsgrundlage“ andererseits vielfach kein Weg daran vorbeiführen, zumindest ergänzend zu internen Ressourcen (häufig nahe liegend: Interne Revision) wegen der grundsätzlich zu vermutenden stärkeren Unabhängigkeit, Unbeeinflussbarkeit[47] und speziellen Erfahrung und Expertise externen Sachverstand hinzuzuziehen.[48] Richtig ist aber auch, dass die Sachverhaltsaufklärung in aller Regel auf die Unterstützung durch Unternehmensangehörige angewiesen ist, die mit den Organisationsstrukturen und Prozessabläufen vertraut sind.[49]
5) Begrenzung des Aufklärungsumfangs durch das Unternehmensinteresse
Das Unternehmensinteresse kann die Sachverhaltsaufklärung nicht nur gebieten, sondern deren Umfang – nicht nur wegen der unmittelbar dadurch verursachten, oft signifikanten Kosten – auf der anderen Seite auch erheblich einschränken: Eine medienwirksame, umfangreiche „Internal Investigation“ wird, weil sie den öffentlichen Blick in der Regel primär auf die untersuchten Verstöße lenkt und nur nebenbei auch auf die lobenswerte Bereitschaft, diese aufzuklären und gegebenenfalls zu sanktionieren, nicht selten eher rufschädigend als -fördernd wirken.[50] Selbstverständlich bedeutet das aber nicht, dass Regelverstöße „unter den Teppich gekehrt“ werden dürfen. Entscheidend ist, bei Aufklärungsmaßnahmen jeweils auch die damit korrespondierenden Nachteile im Blick zu haben und maßvoll zu agieren.
IV. Zuständigkeit für die Sachverhaltsaufklärung
Welches Organ innerhalb des Unternehmens die Kompetenz und Verantwortung für die Sachverhaltsaufklärung innehat, ist davon abhängig, wem nach der bestehenden Verdachtslage Rechtsverstöße anzulasten sind.
Soweit (nur) Mitarbeiter oder aber (ehemalige) Aufsichtsratsmitglieder betroffen sind, ist regelmäßig die Geschäftsleitung zuständig, und zwar – ausgehend davon, dass hier Leitungsaufgaben wahrzunehmen sind – als Kollegialorgan. Je nach Schwere, möglichen Folgen und notwendigen Konsequenzen der im Raum stehenden Verstöße kommt eine Delegation auf einzelne Vorstandsmitglieder oder nachgeordnete Mitarbeiter in Betracht.[51] Eine Kontrollverantwortung des (Gesamt-)Vorstands, der sich deshalb über Stand und Ergebnisse der Untersuchungen regelmäßig berichten lassen sollte, bleibt dabei wie stets in Fällen von „horizontaler“ oder „vertikaler“ Aufgabendelegation[52] bestehen.[53]
Trifft der Verdacht rechtswidrigen Verhaltens den Vorstand, ist im Hinblick auf §§ 111 Abs. 1, 112 S. 1 AktG grundsätzlich der Aufsichtsrat am Zug.[54] Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats richtet sich auch auf Vorgänge aus der Vergangenheit[55] und seine Zuständigkeit besteht auch dann, wenn nur einzelne Vorstandsmitglieder betroffen sind. Die gesetzliche Kompetenzzuweisung und deren Zweck, Interessenskonflikte zu vermeiden, sprechen gegen die teilweise vertretene Auffassung,[56] der Aufsichtsrat könne sich darauf beschränken, die Sachverhaltsaufklärung durch die übrigen Vorstandsmitglieder zu überwachen, wenn sich der Verdacht nur gegen einzelne Vorstandsmitglieder richtet. Eine Verpflichtung des Aufsichtsrats, einzuschreiten und unter Umständen selbst Sachverhaltsermittlungen zu veranlassen, besteht schließlich, wenn der Vorstand seiner Pflicht zur Aufklärung von Rechtsverstößen nicht nachkommt.
Sofern – etwa durch anonyme Schreiben – „unspezifizierte“ Vorwürfe an den Vorstand herangetragen werden, kann sich die Frage stellen, ob der Vorstand zu „Voraufklärungsmaßnahmen“ berechtigt und verpflichtet ist. Im Schrifttum wird dies bejaht. Ergeben sich aus den Voruntersuchungen nur die geringsten Anhaltspunkte für eine mögliche Pflichtwidrigkeit eines (ehemaligen) Vorstandsmitglieds, soll der Vorstand allerdings verpflichtet sein, den Aufsichtsrat unverzüglich zu informieren, damit dieser seinen Kontroll- und Prüfungspflichten nachkommen kann.[57]
V. Pflicht zur Kooperation mit der Staatsanwaltschaft?
Stehen Verstöße gegen Strafrechtsnormen im Raum, stellt sich häufig die Frage, ob eine Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden zweckmäßig ist. Eine pauschale Antwort gibt es darauf nicht; viel zu unterschiedlich sind die Konstellationen und auch Ziele, die ein Unternehmen mit einer solchen Kooperation verfolgen kann. Deshalb in diesem Zusammenhang nur einige grundsätzliche Bemerkungen:
Eine generelle Pflicht zur Kooperation bei bestehendem Verdacht auf strafrechtlich relevante Sachverhalte gibt es nicht. Insbesondere besteht in aller Regel keine Pflicht zur Einschaltung der – noch nicht tätigen – Ermittlungsbehörden.
Außerhalb des § 138 StGB kennt das deutsche Strafrecht keine Pflicht zur Anzeigeerstattung.[58] Eine Verpflichtung, begangene Straftaten anzuzeigen, kann sich auch grundsätzlich nicht aus einer Garantenpflicht ergeben, weil diese nur auf die Verhinderung andauernder oder zukünftiger Straftaten zielt.[59] Zur Anzeige strafbarer Handlungen zwingt schließlich im Finanzsektor der neu gefasste § 25 Abs. 3 S. 1 KWG nicht. Richtig ist, dass § 25 Abs. 3 S. 1 KWG in der mit Wirkung zum 01. Mai 2011[60] neu gefassten Form Institute konkret dazu verpflichtet, Sachverhalte, die auf strafbare, das Vermögen des Instituts gefährdende Handlungen hindeuten, intern zu untersuchen.[61] § 25c Abs. 1 KWG verpflichtet Institute zur Unterhaltung eines angemessenen Risikomanagements und zur Einrichtung von Verfahren und Grundsätzen im Hinblick auf die Verhinderung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstige strafbare Handlungen, die zu einer Gefährdung des Vermögens des Instituts führen können.[62] § 25 Abs. 3 S. 1 KWG normiert insoweit eine Pflicht zur Untersuchung „zweifelhafter oder ungewöhnlicher Sachverhalte,“ wobei der Gesetzgeber davon ausgeht, dass bereits ein sehr geringer Verdachtsgrad die Untersuchungspflicht begründet.[63] Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die Pflicht nicht nur Kredit-, sondern auch Finanzdienstleistungsinstitute betreffen und unabhängig davon bestehen, auf welche Art und Weise die Ungewöhnlichkeiten oder Auffälligkeiten festgestellt wurden.[64] Dass Gerichte aus dem Wortlaut des § 25c Abs. 3 S. 1 KWG, nach dem Institute auffällige Sachverhalte untersuchen müssen, um „gegebenenfalls […] die Erstattung einer Strafanzeige gemäß § 158 der Strafprozessordnung prüfen zu können“, eine generelle Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige ableiten werden, erscheint jedoch wenig nahe liegend.
Unabhängig davon kann es selbstverständlich in Einzelfällen empfehlenswert sein, bereits „vorbeugend“ Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufzunehmen, wenn – etwa aufgrund von Medienberichterstattung – die Einleitung eines Verfahrens droht und die Offenlegung des Sachverhalts dies entweder bereits verhindern oder die Signalisierung von Kooperationsbereitschaft voraussichtlich jedenfalls den Verlauf des Verfahrens erleichtern kann.[65] Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft kann in besonderen Konstellationen auch angezeigt sein, wenn nur staatliche Zwangsmittel (gegen ausgeschiedene Mitarbeiter oder außenstehende Beteiligte) eine ausreichende Sachverhaltsaufklärung versprechen.[66] Läuft bereits ein Verfahren, wird eine Kooperation im Rahmen der StPO sehr häufig zweckmäßig sein[67] und – um wieder zur Ursprungsfrage zurückzukehren, welche Pflichten Unternehmensorgane beim Vorliegen eines Verdachts auf Unregelmäßigkeiten haben – auch vielfach vor dem Hintergrund der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG geboten. Ein Anspruch darauf, dass bei möglichen Sanktionen gegen das Unternehmen interne Bemühungen zur Sachverhaltsaufklärung berücksichtigt werden, besteht zwar nicht; die Hoffnung, dass Kooperationsbereitschaft honoriert wird, wird dagegen im Regelfall legitim sein.[68] Ein nicht unbedeutender Aspekt kann daneben sein, dass eingriffsintensive Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die Reputation des Unternehmens weit mehr schädigen dürften als ein – im Idealfall geräuschloses – Zu- und Zusammenarbeiten[69] im Rahmen der durch die StPO gezogenen Grenzen. Auf der anderen Seite kann beispielsweise Bedeutung erlangen, dass über Akteneinsichtsgesuche die der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellten Ergebnisse interner Aufklärung und Bewertung Dritten zugänglich werden können, was etwa die Position des Unternehmens im Rahmen der Abwehr von Schadensersatzansprüchen schwächen oder aus sonstigen Gründen (Stichwort: Kenntnisnahme von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch Wettbewerber) nachteilig sein kann. Bestehende Ermessensspielräume sind in jedem Fall nach pflichtgemäßer Abwägung der Chancen und Risiken[70] und unter Berücksichtigung des Rechtsrats auf diesem Gebiet spezialisierter Anwälte auszuüben.
Selbstverständlich ist, dass stets eine ausreichende eigene Kenntnisbasis bestehen sollte, um einschätzen zu können, welche Folgen die Einschaltung der Staatsanwaltschaft haben kann bzw. welchen Einfluss die Übermittlung von Informationen auf den Verlauf des Verfahrens voraussichtlich haben wird. Insoweit ist wiederum – hier schließt sich der Kreis – die unternehmensinterne Sachverhaltsaufklärung unverzichtbar.
[1] Vgl. die Bezugnahmen auf § 130 OWiG etwa bei Fleischer, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 8 Rn. 34 f.; Moosmayer, Compliance, 2. Aufl. 2012, S. 94, 4; Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2012, 15. Teil Rn. 36; Grützner/Leisch, DB 2012, 787, 791; Dann, AnwBl 2009, 84; Sidhu/von Saucken/Ruhmannseder, NJW 2011, 881, 882.
[3] Grützner/Leisch, DB 2012, 787, 789; Reichert, ZIS 2011, 113, 115; Rönnau/F. Schneider, ZIP 2010, 53, 54 ff.; Rübenstahl, NZG 2009, 1341, 1343 f.; Wybitul, BB 2009, 2590, 2591 f.
[5] Vgl. etwa Momsen, ZIS 2011, 508, 511: „Außerhalb des Finanzsektors keine gesetzliche Pflicht, aber […] zweckmäßiges Instrument des Krisenmanagements.“
[7] Vgl. etwa Fleischer, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 8 Rn. 35; Moosmayer, Compliance, 2. Aufl. 2012, S. 4; Grützner/Leisch, BB 2012, 787, 791 f.; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176.
[8] BGH, Urteil v. 08.10.1984 – II ZR 175/83; nicht vollständig abgedruckt in GmbHR 1985, 143. Das Gericht behandelte den Problemkreis im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Geschäftsführerin neben ihrem Vorgänger nach § 109 RAO für die Steuerschulden der Gesellschaft haftet, weil sie nach dem Ausscheiden ihres Vorgängers die in den von diesem abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen nicht erfassten Umsätze nicht nachmeldete.
[9] Vgl. etwa Fleischer, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 8 Rn. 35; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176; Rönnau/F. Schneider, ZIP 2010, 53, 59.
[10] OLG Koblenz, ZIP 1991, 870 (Widerruf einer Bankvollmacht nach Feststellung unberechtigter Entnahmen).
[11] Vgl. etwa Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2012, 15. Teil Rn. 20 ff. und Knierim, StV 2009, 324, 328.
[13] So mit ausführlicher Begründung etwa Knauer, ZWH 2012, 41, 46 f. und Wagner, CCZ 2009, 8, 12 ff.; §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG und § 130 OWiG nennend Rönnau/F. Schneider, ZIP 2010, 53, 59; § 93 Abs. 1 S. 1 AktG „i.V.m. § 130 Abs. 1 OWiG“ heranziehend Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176 und Reichert, ZIS 2011, 113, 117.
[14]Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 76 Rn. 1, 7 f.; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 76 Rn. 1 ff.
[18] Häufig angesprochen wird in diesem Zusammenhang das Risiko, dass das Unternehmen Adressat einer Unternehmensgeldbuße nach §§ 130, 30 OWiG werden oder von Verfalls- oder Vermögensabschöpfungsmaßnahmen betroffen sein kann. Auch Reputationsschäden, die mit öffentlich werdenden Regelverstößen einhergehen, werden sich in aller Regel wirtschaftlich negativ auswirken. Von noch unmittelbarerem Interesse dürfte allerdings vielfach sein, dass sich Regelverstöße, auch und gerade gegen unternehmensinterne Richtlinien, wirtschaftlich direkt nachteilig auswirken können. Als Beispiel seien hier etwa Verstöße gegen interne Kreditvergabeleitlinien genannt. Solche Regelungen bestehen nicht aus „Selbstzweck“, sondern beschränken das Risiko unter Konkretisierung bankaufsichtsrechtlicher Vorgaben auf das betriebswirtschaftlich vernünftige Maß.
[19] Mit dieser Schwerpunktsetzung („Compliance durch Interne Ermittlungen“) etwa Dann, AnwBl 2009, 84, 84 f.; Momsen, ZIS 2011, 508, 509 ff.; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176 . Vgl. auch Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 126.
[23] Fleischer, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 8 Rn. 34 m.w.N.; Wagner, CCZ 2009, 8, 12.
[25] Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 35 Rn. 33; vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf des KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15: Für GmbHs gelte je nach ihrer Größe, Komplexität ihrer Struktur usw. nichts anderes und die Neuregelung (§ 91 Abs. 2 AktG) habe „Ausstrahlungswirkung“ auf den Pflichtenrahmen der Geschäftsführer auch anderer Gesellschaftsformen.
[26] Vgl. bereits die Vorstellung des Gesetzgebers, nach der zu den bestandsgefährdenden Entwicklungen insbesondere „risikobehaftete Geschäfte, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften“ gehören sollen, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft wesentlich auswirken (BT-Drucks. 13/9712, S. 15); auch Knierim, StV 2009, 324, 326 f.
[27] Bihr/Kalinowsky, DStR 2008, 620, 621; Dobler, DStR 2001, 2086, 2087; vgl. auch LG München I, NZG 2008, 319, 320: Pflicht zur Dokumentation des eingerichteten Frühwarn- und Überwachungssystems.
[30] Hölters, in: Hölters, AktG, 2011, § 93 Rn. 166; Thum/Klofat, NZG 2010, 1087 (jeweils in Bezug auf etwaige Ansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder).
[31] In der Praxis wird freilich regelmäßig der Nachweis eines durch das Unterlassen der Prüfung und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen verursachten Vermögensschadens Schwierigkeiten bereiten, weil hinsichtlich des hypothetischen Verhandlungs- oder Prozessausgangs Unsicherheiten bestehen. Abgesehen von eindeutigen Haftungsfällen dürfte das Risiko, dass sich die jeweils Verantwortlichen durch das Unterlassen der Prüfung und Verfolgung tatsächlich selbst einer Haftung aussetzen, daher regelmäßig gering sein. Bereits die Befürchtung, sich einer – wenn auch unberechtigten – zivil- oder strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, dürfte allerdings Anlass genug sein, potentielle Schadensersatzansprüche nicht ungeprüft zu lassen.
[36] Minoggio, in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, 2011, Kapitel 15 Rn. 23; Knauer, ZWH 2012, 41, 47; vgl. auch Knierim, StV 2009, 324, 328, der die „Erforschung der Wahrheit“ in den Vordergrund stellt.
[37] Wagner, CCZ 2009, 8, 16. Vgl. auch Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176: Auswahlermessen bezüglich der Aufklärungsmethoden nur dann reduziert, wenn andere Formen der Sachverhaltsaufklärung keinen vergleichbaren Aufklärungserfolg versprechen.
[41] So Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176; Reichert, ZIS 2011,113, 117 und Wagner, CCZ 2009, 8, 15 f.
[42] So dezidiert auch Kocher, CCZ 2009, 215, 220 f.; vgl. außerdem Lutter, ZIP 2007, 841, 844 f. mit Verweis auf die Gesetzesbegründung.
[43]Vgl. auch Dann, AnwBl 2009, 84, 85: Durchführung kosten- und zeitintensiver Aufklärungsmaßnahmen, die wenig Aussicht auf Erfolg bieten, nicht zumutbar. Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2176 sind darüber hinaus der Auffassung, dass nach dem konkreten Entscheidungszusammenhang der „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung der „Erkenntnisbereich“ nach dem Verständnis des Senats auf die Würdigung der bereits ermittelten Sachverhaltskenntnisse beschränkt sein solle, während die Informationsbeschaffung dem Handlungsbereich zuzuordnen und damit vom Geltungsbereich der Business Judgement Rule erfasst sei, so dass dem Vorstand hinsichtlich der zur Informationsbeschaffung einzusetzenden Mittel – ein „Entschließungsermessen“ verneinen die Autoren von vornherein – „Auswahlermessen“ zukomme. Ebenso Reichert, ZIS 2011, 113, 117 f.
[44] Anders Reichert, ZIS 2011, 113, 117: „In Abwesenheit außergewöhnlicher Umstände […] umfassende Aufklärung des Geschehens […], partielle oder unvollkommene Sachverhaltsermittlung genügt grundsätzlich nicht.“
[47] Freilich: Die Vorstellung, dass externe Berater, die vom Unternehmen beauftragt und bezahlt werden, stets und uneingeschränkt „neutral“ handeln und urteilen, wäre lebensfremd.
[48] Sehr bestimmt Minoggio, in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, 2011, Kapitel 15, Rn. 23 ff. mit – am Rande – zutreffendem Hinweis darauf, dass nach der Neufassung des § 160a StPO mit Wirkung zum 01. Februar 2011 der (faktische) Schutz des Datenmaterials vor dem Zugriff der Ermittlungsbehörden beim externen Anwalt deutlich höher ist als „inhouse“; vgl. auch Dann, AnwBl 2009, 84, 86 („in komplexen und umfangreichen Fällen nahezu unverzichtbar“). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang weiterhin die „ISION“-Entscheidung (BGH NZG 2011, 1271), in deren Rahmen der Bundesgerichtshof kürzlich im Zuge einer Haftungsklage gegen den Vorstand ausgeführt hat, der Vorstand müsse sich, um den strengen Anforderungen an die ihm obliegende Prüfung der Rechtslage und die Beachtung von Gesetz und Rechtsprechung zu genügen, unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lassen und die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterziehen, sofern er selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfüge.
[49] Minoggio, in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, 2011, Kapitel 15 Rn. 31; Dann, AnwBl 2009, 84, 86; Knierim, StV 2009, 324, 328.
[52] Hierzu (für die AG) etwa Hölters, in: Hölters, AktG, 2011, § 93 Rn. 43 ff. und (für die GmbH) Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rn. 170 ff.
[58] Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 138 Rn. 2; Knauer, ZWH 2012, 41, 45; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2180.
[60] Entsprechend dem BaFin-Rundschreiben 7/2011(GW) – Verwaltungspraxis zu § 25c Absätze 1 und 9 KWG (sonstige strafbare Handlungen) vom 16. Juni 2011 war mit aufsichtlichen Maßnahmen bei noch nicht angemessenem Risikomanagementsystem in Bezug auf sonstige strafbare Handlungen vor dem 01. April 2012 allerdings nicht zu rechnen.
[62] Hierzu näher etwa Achtelik, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl. 2012, § 25c KWG Rn. 5 ff.
[64] BT-Drucks. 17/3023, S. 60. Der Wortlaut, der auf § 25c Abs. 2 S. 1 KWG und damit auf die Pflicht (nur) von Kreditinstituten zum Betreiben von Datenverarbeitungsystemen verweist, legt zunächst eine andere Interpretation nahe.
[65] Vgl. etwa Dann, AnwBl 2009, 84, 85 (Sachverhaltsaufklärung als „erster Baustein einer strafrechtlichen Unternehmensverteidigung“) und Knierim, StV 2009, 324, 331. Weiterhin Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 135: Wenn Risikoeinschätzung in Korruptionsfällen ergibt, dass es bei der nächsten steuerlichen Betriebsprüfung ohnehin zu einer Mitteilung des Falls an die Staatsanwaltschaft kommen würde.
[67] So etwa auch Knauer, ZWH 2012, 41, 48; Momsen, ZIS 2011, 508, 510; vgl. außerdem die Thesen der Bundesrechtsanwaltskammer zum Unternehmensanwalt im Strafrecht (BRAK-Stellungnahme Nr. 35/2010), S. 7.