Mag. Katrin Ehrbar, Mag. Phillip Bischof, Mag. Julian Korisek, Anna Katharina Radschek, cand. Iur. Katharina Biowski

Länderbericht Österreich

Die Frage der Bestellung von Sachverständigen in Wirtschaftsstrafverfahren hat im Schrifttum seit Inkrafttreten des österreichischen Strafprozessreformgesetzes, in jüngster Vergangenheit auch in der österreichischen Tagespresse für Diskussionen gesorgt.[1] Auch im Rahmen des 10. Österreichischen StrafverteidigerInnentages am 23./24.03.2012 in Wien ist die Praxis der nahtlosen Übernahme der sachverständigen Person vom Ermittlungs- ins Hauptverfahren von den Vortragenden am Panel, Katrin Ehrbar, Thomas Kralik, Norbert Wess und Gerhard Ruhri, scharf kritisiert worden:

I. „Der Kampf um Sachverständigengutachten in Wirtschaftsstrafprozessen“ (Vortrag Katrin Ehrbar)

Der Begriff „Kampf“ ist gemessen an der gerichtlichen Praxis in Wirtschaftsstrafprozessen ein durchaus angemessener, gewinnt doch die Verteidigung nicht selten den Eindruck, das gerichtliche Sachverständigengutachten sei „in Stein gemeißelt“.

Bereits die Ausgangslage zu Beginn der Hauptverhandlung ist eine im Sinne des Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. d EMRK durchaus bedenkliche: Gängige Praxis ist, dass die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren Sachverständige beauftragt, deren Gutachten meist als Basis für die Anklageschrift dienen; fast immer werden dieselben Sachverständigengutachten sowie der Sachverständige selbst in der Hauptverhandlung als Beweis bzw. Beweismittel herangezogen. Und dies, obwohl die Staatsanwaltschaft ab Beginn des Hauptverfahrens Verfahrensbeteiligte ist und das Gericht eigentlich für Zwecke der Beweisaufnahme einen anderen oder zumindest einen zusätzlichen Sachverständigen bestellen müsste. Es gibt gute Gründe dafür, dass ein Richter nach § 43 Abs. 1 Ziff. 3 StPO vom Hauptverfahren ausgeschlossen ist, wenn er im Ermittlungsverfahren Beweise aufgenommen hat (§ 104 StPO), ein gegen den Beschuldigten gerichtetes Zwangsmittel bewilligt, über einen von ihm erhobenen Einspruch oder einen Antrag auf Einstellung entschieden oder an einer Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens oder an einem Urteil mitgewirkt hat, das infolge eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs aufgehoben wurde. Für einen Sachverständigen soll dies nicht gelten, obwohl er nicht nur bereits im Ermittlungsverfahren tätig war, sondern – sollten in der Hauptverhandlung Gutachtensmängel hervortreten – zudem schadenersatzpflichtig wird.

Gemäß ständiger Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofes (in der Folge kurz: OGH) taugen Privatgutachten, auch von gerichtlich beeideten Sachverständigen, nicht als Beweismittel. Nach der ständigen Rechtsprechung sind also die Gerichte nicht verpflichtet, Privatgutachten einer Würdigung zu unterziehen. Begründet wird das damit, dass nicht klar ist, ob und wie der Gutachter vom Verteidiger den vollständigen Sachverhalt mitgeteilt bekommen hat.

Zwar kann der Angeklagte nach § 249 Abs. 3 StPO in der Hauptverhandlung einen Privatsachverständigen zur Befragung eines bestellten Sachverständigen beiziehen, jedoch kann das die Beweiskraft eines schriftlichen Gegengutachtens nicht ersetzen.

Als Ausweg schlägt der OGH nun in seinem Tätigkeitsbericht vor, „die Bestellung von Sachverständigen und die Auftragserteilung an diese im Ermittlungsverfahren dem Gericht zu übertragen“. Dies würde eine Rückkehr zur alten Rechtslage bedeuten. Einer anderen geforderten Variante, einen neuen Gutachter für das Hauptverfahren zu bestellen, ist aus meiner Sicht ebenso nichts abzugewinnen. Abgesehen davon, dass sich die Gutachterkosten dadurch automatisch verdoppeln, würden sich gerade die schwierigen (Wirtschaftsstraf-) Verfahren zwangsläufig weiter in die Länge ziehen. Die Verteidigung sollte vielmehr verstärkt ihren eigenen Gutachter ins Verfahren einbringen können, konsequenterweise bereits im Ermittlungsverfahren, damit sich dieser kritisch mit der Arbeit des Staatsanwalts-/Gerichtsgutachters auseinandersetzen kann. Die von der Verteidigung beauftragten Gutachten sollten schon im Ermittlungsverfahren als Beweismittel zugelassen werden.

Bis zu einer Lösung dieses Dilemmas bleibt nur, einen kurzen Überblick über bereits jetzt zur Verfügung stehende Möglichkeiten der Verteidigung zu geben:

1) Rechte des Beschuldigten:

a) Informationsrecht

Der Beschuldigte ist vor Bestellung des Sachverständigen zu verständigen und hat das Recht, Einwände gegen die Wahl des Sachverständigen vorzubringen. Die Nichtverständigung ist die Verletzung eines subjektiven Informationsrechtes. Dennoch wird das in der Praxis immer wieder unterlassen und ist mit Einspruch gem. § 106 Abs. 1 Ziff. 1 StPO zu rügen, hat aber keine Nichtigkeitsfolgen.

b) Antrag gem. § 55 Abs. 1 StPO

Der Beschuldigte kann im Rahmen eines Beweisantrages (§ 55 Abs. 1 StPO) die Bestellung eines Sachverständigen und die Erteilung eines Gutachtensauftrages beantragen. Folgt die Staatsanwaltschaft diesem Antrag nicht, so hat sie den Beschuldigten unter Anführung der Gründe vom Unterbleiben des Sachverständigenbeweises zu verständigen. Der Antragsteller kann die unterbliebene Beweisaufnahme als Rechtsverletzung mit Einspruch geltend machen, über den der Einzelrichter des Landesgerichts entscheidet. Der Einzelrichter kann der Staatsanwaltschaft die Beweisaufnahme auftragen.

c) Einwendungsrecht

Die Frist zur Erhebung von Einwänden gem. § 126 Abs. 3 letzter Satz StPO gilt nicht für Einwände wegen Befangenheit oder fehlender Qualifikation des Sachverständigen. Diese können auch später erhoben werden, stellen sie sich in der Praxis ja meist erst später heraus.

Für Sachverständige gelten die Befangenheitsgründe des § 47 Abs. 1 StPO sinngemäß. Soweit sie befangen sind oder ihre Sachkunde in Zweifel steht, sind sie von der Staatsanwaltschaft, im Falle einer Bestellung durch das Gericht von diesem, von Amts wegen oder auf Grund von Einwänden (Abs. 3) ihres Amtes zu entheben, bei Vorliegen eines Befangenheitsgrundes gemäß § 47 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 StPO bei sonstiger Nichtigkeit. Im Hauptverfahren kann die Befangenheit eines Sachverständigen nicht bloß mit der Begründung geltend gemacht werden, dass er bereits im Ermittlungsverfahren tätig gewesen ist.

In der Praxis häufig auftretendes Beispiel (vgl. OGH 26.11.1992, 15Os103/92): Hat der Masseverwalter als gesetzlicher Vertreter der Konkursmasse und Treuhänder der Massegläubiger, somit Interessenvertreter gegenüber Personen, die die Masse durch deliktische Handlung schädigten und denen gegenüber er allenfalls Schadenersatzforderungen in einem Adhäsionsverfahren geltend zu machen hat, womit er auch prozessual die Stellung eines Gegners dieses Angeklagten einnimmt, einen Buchsachverständigen als Hilfsorgan beigezogen, so sind Einwendungen gegen eine Bestellung eben desselben Sachverständigen im Strafverfahren als erheblich und damit berechtigt anzusehen, ohne dass es darüber hinaus noch der Dartuung spezieller, eine Befangenheit des Sachverständigen indizierender Gründe bedürfte. Ob sich der Sachverständige subjektiv befangen fühlt, ist angesichts der durch die Gesetzeslage bedingten potentiellen Interessenkollision nicht entscheidend.

d) Antrag gem. § 127 Abs. 3 S. 1 StPO

Nach Erstattung des Gutachtens kann kein Einwand wegen mangelnder Sachkunde gegen den Sachverständigen mehr erhoben werden, sondern nur mehr ein begründeter Antrag auf Heranziehung eines zweiten Sachverständigen (§ 127 Abs. 3 S. 1 StPO). Dieser Antrag ist damit zu begründen, dass der Befund mangelhaft oder das Gutachten widersprüchlich oder mangelhaft ist. Formalvoraussetzung für die Verfahrensrüge ist, dass das zur Mängelbehebung vorgesehene Verbesserungsverfahren erfolglos bleibt und der Antrag mit Beschluss abgelehnt wurde (§ 238 Abs. 1 StPO).

[OGH 08.04.2010, 12 Os 18/10d: Ein weiterer Sachverständiger ist im Strafverfahren nur beizuziehen, wenn das bereits vorliegende Gutachten mangelhaft im Sinne des § 127 Abs. 3 StPO ist und diese Bedenken durch nochmalige Befragung des bestellten Sachverständigen nicht behoben werden können. Ein aus § 345 Abs. 1 Ziff. 5 StPO garantiertes Überprüfungsrecht hinsichtlich eines bereits durchgeführten Sachverständigenbeweises hat der Beschwerdeführer demnach nur dann, wenn er in der Hauptverhandlung einen in § 127 Abs. 3 S. 1 StPO angeführten Mangel von Befund oder Gutachten aufzeigt und das dort beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos bleibt.[2] Siehe auch OGH 23.12.2010, 14 Os 143/09z: Eine auf mangelnde Sachkunde des Sachverständigen gegründete Einwendung gegen diesen ist nach Erstattung von Befund und Gutachten zufolge der Spezialregelung des § 127 Abs. 3 S. 1 StPO nicht mehr zulässig. Da spätestens mit der Abgabe des schriftlichen Gutachtens die Meinungsbildung erfolgt ist, liegt Befangenheit im Sinn des § 47 Abs. 1 Ziff. 3 StPO (iVm § 126 Abs. 4 StPO) in solchen Fällen nur vor, wenn die Annahme indiziert ist, der Sachverständige werde sein Gutachten auch dann nicht ändern, wenn die Beweisergebnisse dessen Unrichtigkeit aufzeigen.]

Sachverständigengebühren sind ein gewaltiger Kostenfaktor. In Strafverfahren werden die Sachverständigenkosten im Hinblick auf das Legalitätsprinzip und den Untersuchungsgrundsatz weitgehend durch den Staat getragen. Gem. § 381 Abs. 1 StPO umfassen die Kosten des Strafverfahrens, die von der zum Kostenersatz verpflichteten Partei zu ersetzen sind die Gebühren der Sachverständigen.

2) Kosten

Gem. § 25 Abs. 1a GebAG hat der Sachverständige das Gericht beziehungsweise die Staatsanwaltschaft rechtzeitig auf die voraussichtlich entstehende Gebührenhöhe hinzuweisen, wenn zu erwarten ist, dass die tatsächlich entstehende Gebühr EUR 4.000,00 übersteigen wird, wenn das Gericht beziehungsweise die Staatsanwaltschaft den oder die Sachverständige nicht anlässlich des Auftrags von dieser Verpflichtung befreit hat. Unterlässt der Sachverständige diesen Hinweis, so entfällt insoweit der Gebührenanspruch.

Die Warnung hat der Sachverständige gegenüber dem Gericht auszusprechen. Die Warnung muss ausdrücklich (schriftlich, mündlich zu Protokoll, zumindest gerichtlicher Aktenvermerk) erfolgen und objektive, nachvollziehbare Angaben über den voraussichtlichen Kostenaufwand enthalten. Die eigene Kostenschätzung des Sachverständigen hat die Wirkung eines verbindlichen Kostenvoranschlages nach § 1170a Abs. 1 ABGB.

Die Warnpflicht des Sachverständigen verpflichtet nicht nur zu einer ersten Bekanntgabe der voraussichtlichen Kosten, sondern der Sachverständige muss auch warnen, wenn sich zeigt, dass er die voraussichtliche Gebühr zu gering geschätzt hat.[3] Die Warnpflicht beinhaltet also eine laufende Verpflichtung.

Die Kosten für Privatgutachten sind von den Auftraggebern zu bezahlen. Nur wenn die Gutachtenseinholung für die gerichtliche Rechtsverfolgung notwendig und zweckmäßig war, besteht die Möglichkeit, diese Kosten auch im Verfahren geltend zu machen.

Auch der Revisor kann eine Befangenheit des Sachverständigen geltend machen. Damit entfällt der Gebührenanspruch des Sachverständigen (vgl. auch JSt 1/2012 S. 16ff von Katrin Ehrbar).

3) Kein Recht auf Vertagung der Hauptverhandlung zur Beiziehung eines Privatsachverständigen

Im Sinne des § 249 Abs. 2 StPO ist es zulässig, einen Sachverständigen bei seiner Befragung mit wissenschaftlich fundierten Lehrmeinungen zu konfrontieren, aus denen Zweifel an von ihm gezogenen Schlüssen entstehen sollen. Dazu kann der Verteidiger die Hilfe eines sogenannten Privatsachverständigen („Person mit besonderen Fachwissen“) in Anspruch nehmen, dem es nicht verwehrt werden darf, neben dem Verteidiger Platz zu nehmen, ohne allerdings selbst das Fragerecht ausüben zu dürfen (§ 249 Abs. 3 StPO).

Der Sachverständige hat diese Fragen zu beantworten. Sieht er sich hierzu nicht sofort in der Lage, ist die Hauptverhandlung zu unterbrechen oder zu vertagen. Umgekehrt kann man aber nicht eine Hauptverhandlung vertagen lassen, nur weil man sich nicht auf die Hauptverhandlung unter Beiziehung eines Privatsachverständigen vorbereitet hat.

Dem Angeklagten kommt kein Recht auf Vertagung der Hauptverhandlung zur Beiziehung einer Person mit besonderem Fachwissen zu, wenn er rechtzeitig von der Aufnahme des Sachverständigenbeweises Kenntnis hatte.

In der Entscheidung vom 30.08.2011, 14 Os 59/11z beschäftigte sich der OGH unter anderem mit der Problematik, wonach der Verteidiger in der Hauptverhandlung unmittelbar nach Gutachtenerstattung durch den Sachverständigen beantragt hatte, „der Verteidigung ausreichend Zeit zu geben zur Sichtung der beantworteten Fragen des Sachverständigen, da diese erst jetzt schriftlich ausgeteilt werden“, und solcherart die Vertagung der Hauptverhandlung gar nicht deutlich und bestimmt verlangte.

Laut OGH kommt dem Angeklagten kein Recht auf Vertagung der Hauptverhandlung zu, soweit er – wie hier – rechtzeitig von der Aufnahme des Sachverständigenbeweises Kenntnis hatte (ebenso für den Fall der [vorliegend gar nicht begehrten] Beiziehung einer Person mit besonderem Fachwissen gemäß § 249 Abs. 3 StPO, vgl. 15 Os 131/08s). Im gegenständlichen Fall wurde dem tatsächlich vom Verteidiger gestellten Antrag im Übrigen nach Auffassung des OGH dadurch Rechnung getragen, dass die im Wesentlichen zwei Seiten umfassende Stellungnahme zu den vom Verteidiger der Beschwerdeführerin schriftlich gestellten vier Fragen mündlich in der Hauptverhandlung vorgetragen wurde und diesem auch die Möglichkeit ergänzender Fragestellung eingeräumt war.

II. Privatbeteiligtenanschluss unterbricht Verjährung

Gerade in Wirtschaftsstrafprozessen werden oft zivilrechtliche Entschädigungen im Rahmen einer Privatbeteiligung im Strafverfahren geltend gemacht.

Anschlussberechtigter ist jeder, der durch eine strafgesetzwidrige Tat des Beschuldigten in Rechten verletzt worden ist, die zur Geltendmachung eines privatrechtlichen Anspruchs berechtigen.[4]

Damit sind jene Personen umfasst, die durch die Begehung einer Straftat einen unmittelbaren oder mittelbaren Schaden erlitten haben. Das Opfer hat das Recht, den Ersatz des durch die Straftat erlittenen Schadens oder eine Entschädigung für die Beeinträchtigung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter zu begehren.

Privatbeteiligte haben weitgehende, über die Opferrechte hinausgehende verfahrensrechtliche Möglichkeiten.

Im Unterschied zur deutschen Rechtslage wird in Österreich nicht zwischen dem Nebenkläger und dem Adhäsionsverfahren unterschieden.

Durch den Anschluss als Privatbeteiligter hat dieser zum einen ähnliche Rechte wie der Staatsanwalt, und zum anderen wird über Schadenersatzansprüche entschieden. Er kann alles prozessual Zulässige tun, um die Schuld des Angeklagten zu beweisen. Zu diesem Zweck ist er berechtigt, Beweismittel dem Gericht vorzulegen oder die Aufnahme solcher zu beantragen. Zusätzlich zu den allgemeinen Opferrechten (vgl. § 66 Abs. 1 StPO) muss der Privatbeteiligte zur Hauptverhandlung geladen werden und die Möglichkeit haben, zur Schuldfrage Stellung zu nehmen.

Tritt die Staatsanwaltschaft von der Anklage zurück, hat der Privatbeteiligte das Recht als Subsidiarankläger das Strafverfahren weiterzuführen sowie gegen die gerichtliche Einstellung des Verfahrens Beschwerde einzulegen. Der Privatbeteiligte kann gegen einen Freispruch die Nichtigkeitsbeschwerde ergreifen, wenn er wegen eines Freispruchs auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde und die Abweisung des von ihm in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrags bzw. der Beweisanträge für die Geltendmachung seiner privatrechtlichen Ansprüche nachteilig war (§ 282 Abs. 2 StPO). Der Privatbeteiligte kann Berufung einlegen, wenn er in einem verurteilenden Erkenntnis ganz oder teilweise auf den Zivilrechtsweg verwiesen wird, obwohl seine privatrechtlichen Ansprüche begründet und entscheidungsreif sind (§ 283 Abs. 4, § 366 Abs. 3, § 465 Abs. 2, 3 StPO).

Neben der Erlangung der Stellung eines Opfers hat jede betroffene Person erweiterte verfahrensrechtliche Möglichkeiten:

  • Privatbeteiligung (§ 65 Ziff. 2 StPO): Das Opfer kann sich am Verfahren beteiligen, um Ersatz für den erlittenen (materiellen) Schaden oder die erlittene Beeinträchtigung (ideeller Interessen) zu begehren; die Privatbeteiligung hat die Wiedergutmachung des Schadens zum Ziel.
  • Privatanklage (§ 65 Ziff. 3 StPO): In den Fällen einer nicht von Amts wegen zu verfolgenden Straftat kann das Opfer eine Anklage oder einen anderen Antrag auf Einleitung des Hauptverfahrens bei Gericht einbringen.
  • Subsidiaranklage (§ 65 Ziff. 4 StPO): Ein Opfer, das sich als Privatbeteiligte(r) dem Verfahren angeschlossen hat, kann eine von der Staatsanwaltschaft zurückgezogene Anklage aufrecht halten.
  • Fortführungsantrag (§ 195 StPO): Das Opfer kann unter bestimmten Voraussetzungen die Fortführung eines von der Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahrens beantragen.

Die Rechte eines Opfers sind ausführlich in den §§ 66 ff. StPO geregelt. Diese Rechte sind den Opfern von Amts wegen zu gewähren. Sie können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Persönlichkeitsschutzrechte (Recht auf Achtung und Anerkennung der persönlichen Würde).
  • Belehrungs- und Informationsrechte sowie Kommunikationsgarantien (Gegenstand und Fortgang des Verfahrens, Akteneinsicht, Übersetzungshilfe): Hier ist wichtig, dass es sich um eine aktive Informationspflicht durch Sicherheitsbehörden, Gerichte und Staatsanwaltschaft handelt.
  • Verfahrens- und Beteiligungsrechte: Das Recht auf Entschädigung ist im Wesentlichen durch die Möglichkeit der Privatbeteiligung nach § 67 StPO gewährleistet, wonach Opfer „das Recht [haben], den Ersatz des durch die Straftat erlittenen Schadens oder eine Entschädigung für die Beeinträchtigung ihrer strafrechtlich geschützten Rechtsgüter zu begehren.“

Der Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren hat die gleichen rechtlichen Wirkungen iSd § 1497 ABGB wie eine Klage. Zur Unterbrechung der Verjährung kommt es aber letztlich nur dann, wenn der Privatbeteiligte seinen Anspruch nach Beendigung des Strafverfahrens innerhalb angemessener Frist im Streitverfahren geltend macht. Ob insoweit eine ungewöhnliche Untätigkeit vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. In dem vom OGH geprüften Sachverhalt wurde die Klage am Vortag jenes Tages eingebracht, an dem sich die Urteilsverkündung (samt Verweisung der privatrechtlichen Ansprüche auf den Zivilrechtsweg) zum dritten Mal jährte. Laut OGH komme es hier nur darauf an, dass der Schadenersatzanspruch nach Beendigung des Strafverfahrens gehörig (weiter) verfolgt hätte werden müssen. Für das Zuwarten mit der Schadenersatzklage über einen Zeitraum von knapp drei Jahren ab Beendigung des Strafverfahrens war nach Meinung des OGH keine sachliche Rechtfertigung zu erkennen.[5]

III. Rechtsprechung

1) VfGH hebt Gerichtsgebühren für selbst angefertigte Kopien auf

Gerade in Wirtschaftstrafprozessen sind die Kopierkosten für die meist mehrere Bände umfassenden Akten ein großer Kostenfaktor.

Das Gerichtsgebührengesetz (GGG) war in jüngster Zeit häufig Gegenstand von Gesetzesänderungen. Die der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zugrunde liegenden Sachverhalte ereigneten sich im Jahr 2010. Prüfungsgegenstand im Verfahren vor dem VfGH war daher das GGG in der Fassung BGBl I 2009/52. Danach wurden die betreffenden Bestimmungen jährlich geändert und erhöht.

Daher war besonders in der letzten Zeit die Erhebung einer Gebühr für das Anfertigen von Ablichtungen mittels von der Partei selbst mitgebrachter Geräte (wie Scanner oder Digitalkameras) ein vieldiskutiertes Thema in der Anwaltschaft.

Der VfGH hat nunmehr in seinem Erkenntnis vom 13.12.2011[6] die entsprechenden Passagen des Gerichtsgebührengesetzes[7] zum 30.6.2012 als verfassungswidrig aufgehoben bzw festgestellt, dass diese verfassungswidrig waren. Die Erlässe und Verordnungen dazu wurden als gesetzwidrig aufgehoben. Grundsätzlich widerspreche die Einhebung von Gebühren für die Anfertigung von Kopien durch Parteien in gleicher Höhe – unabhängig davon, ob die Infrastruktur des Gerichtes genutzt wird oder nicht – dem Gleichheitsgrundsatz. Überhaupt widerspreche diesem auch die Erhebung einer Gebühr für das Anfertigen von Ablichtungen mittels von der Partei selbst mitgebrachter Geräte (wie Scanner oder Digitalkameras). Dies stelle „bloß eine im Rahmen der Akteneinsicht vorgenommene, zeitgemäße Form der Abschriftnahme“ dar, so der VfGH. Auch die Bestimmung des § 29a GGG, welche die Einhebung derartiger Kopierkosten im Strafverfahren ermögliche, sei nicht verfassungskonform.

Zuletzt wurden für vom Gericht hergestellte Kopien EUR 1,10 pro Seite eingehoben, für selbst erstellte Kopien je EUR 0,60. Durch das Budgetbegleitgesetz 2012[8] wurden diese Kosten, nach lang andauernder Kritik, vor allem von Seiten der Rechtsanwaltschaft, reduziert: Die Kosten für vom Gericht angefertigte Kopien wurden auf EUR 0,60 herabgesetzt, für selbst hergestellte Kopien werden immer noch EUR 0,30 eingehoben. Seit Inkrafttreten des 2. Stabilitätsgesetzes 2012[9] sind jedoch selbst hergestellte Aktenabschriften, -ablichtungen und sonstige Kopien, die ohne Inanspruchnahme gerichtlicher Infrastruktur hergestellt werden, gebührenfrei.

2) Kein Anspruch auf Bekanntgabe von Stammdaten, wenn die Verarbeitung von Verkehrsdaten zur Erlangung dieser erforderlich ist (OGH vom 14.07.2009, 4 Ob 41/09x)

In seinem Rechtssatz (RS0124952) hielt der OGH fest: Die Durchsetzung eines Anspruchs nach § 87b Abs. 3 UrhG kann daran scheitern, dass die begehrte Auskunft nur aufgrund einer rechtswidrigen Verarbeitung von Verkehrsdaten erteilt werden könnte.

Sachverhalt: Die Klägerin, eine österreichische Verwertungsgesellschaft, welche die Rechte von Tonträgerherstellern und ausübenden Künstlern, die den Vortrag von Werken der Tonkunst öffentlich zur Verfügung zu stellen, treuhändig wahrnimmt, verfolgt Nutzer von File-Sharing-Systemen im Internet. Dazu ließ sie die File-Sharing-Systeme durch ein beauftragtes Unternehmen auf rechtsverletzende Angebote überprüfen. Dabei wurden in File-Sharing-Systemen verschiedene Musiktitel nachgefragt und durch die Software jeweils auf Computer eines anderen Teilnehmers zugegriffen, von welchem die nachgefragten Musikdateien zur Verfügung gestellt wurden. Die Dateien, welche Datum und Uhrzeit des Test-Downloads, die IP-Adresse, die dem Computer des Tauschpartners in diesem Zeitraum zugeordnet war, Name und Anschrift des Access-Providers und den „Nickname“ des Tauschpartners enthielten, wurden zu Beweiszwecken heruntergeladen.

Einige der dokumentierten Fälle betrafen Kunden der Beklagten, welche als Access-Provider ihren Kunden den Zugang zum Internet vermittelt. Dafür wird den Kunden (zumeist) eine dynamische IP-Adresse zugewiesen. Durch die von ihr gespeicherten Logfiles kann die Beklagte jene Anschlussinhaber identifizieren, denen zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte IP-Adresse zugeordnet war.

Die Klägerin ersuchte die Beklagte um Bekanntgabe von Name und Anschrift jener Kunden, denen im jeweiligen Zeitraum die vom beauftragten Unternehmen ermittelte IP-Adresse zugeordnet war, da die Beklagte als Access-Provider Vermittler im Sinne des § 81 Abs. 1a UrhG sei, welcher der Umsetzung von Art. 8 Abs. 3 der RL 2001/29/EG (Info-RL) dient, und daher nach § 87b Abs. 3 UrhG zur Auskunft verpflichtet sei. Denn es würden nur Stammdaten im Sinne von § 92 Abs. 3 Ziff. 3 TKG 2003 weitergegeben und Verkehrsdaten allenfalls nur verwertet, aber nicht offen gelegt, weswegen keine Missbrauchsgefahr bestehe.

Die Beklagte verweigerte die Bekanntgabe von Name und Anschrift der Anschlussinhaber, da für die Identifikation dieser der Öffentlichkeit unbekannten Nutzer der IP-Adressen das Auswerten von Logfiles erforderlich sei, wobei es sich um eine Auswertung von Zugangsdaten (Verkehrsdaten) und deren Speicherung handle. Darüber hinaus sei ein Access-Provider nicht Vermittler im Sinne von § 81 Abs. 1a UrhG. Daher sei eine Auskunftserteilung ohne Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen des TKG 2003 nicht möglich. Nur zur Verfolgung schwerer Straftaten werde das Fernmeldegeheimnis durchbrochen, dies zeige sich auch an der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Jedenfalls erfordere eine Auskunft jedoch eine vorherige richterliche Genehmigung.

Entscheidungsgründe: Hierzu stellte der OGH ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, in welchem er diesem die Frage nach der gemeinschaftsrechtlichen Auslegung des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (in der Folge kurz „Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation“) vorlegte.

Der EuGH hielt im Beschluss C-557/07 in Beantwortung der gestellten Fragen fest, dass die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran hindere, eine Verpflichtung zur Weitergabe personenbezogener Verkehrsdaten an private Dritte zum Zweck der zivilgerichtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverstößen aufzustellen. Auch wurde festgestellt, dass ein Access-Provider, der den Nutzern nur den Zugang zum Internet verschafft, ohne weitere Dienste anzubieten oder eine rechtliche oder faktische Kontrolle über den genutzten Dienst auszuüben, „Vermittler“ im Sinne des Art 8. Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 sei.

Daher entschied der OGH, dass die Beklagte in den Anwendungsbereich der Bestimmung der §§ 81 und 87 UrhG falle und dass § 87b Abs. 3 UrhG einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch anordne, es müsse aber ein „ausreichend begründetes“ Verlangen des Verletzten vorliegen, das „insbesondere hinreichend konkretisierte Angaben über die den Verdacht der Rechtsverletzung begründenden Tatsachen“ zu enthalten habe. Die Beurteilung der Frage, ob eine Rechtsverletzung durch Nutzung einer bestimmten IP-Adresse bescheinigt ist, obliegt gemäß § 87b Abs. 3 UrhG dem Provider. Anders als in Deutschland (vgl. § 101 Abs. 9 deutsches UrhG) ist aber kein obligatorisches gerichtliches Verfahren für die Auskunftserteilung vorgesehen; vielmehr haben die Gerichte nur dann zu entscheiden, wenn der Vermittler die Erfüllung eines nach Auffassung des Verletzten bestehenden Anspruchs verweigert.

Allerdings könnte in diesem Fall eine Stammdatenauskunft nur erfolgen, wenn die Beklagte (intern) nur für eine bestimmte Zeit zugewiesene (dynamische) IP-Adressen, welche in die Kategorie Zugangs- und damit Verkehrsdaten einzuordnen sind, verarbeitet. Es sei daher nicht möglich, auf die Bekanntgabe von Stammdaten abzustellen und die Vorgänge bei deren Ermittlung völlig auszublenden, denn dies sei auch gemeinschaftsrechtlich nicht gangbar. Grundsätzlich stehe es den einzelnen Mitgliedstaaten aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht frei, zum Schutz von Urheberinteressen die Speicherung und Verarbeitung von Verkehrsdaten auch für die Erteilung von Auskünften über nähere Umstände von Urheberrechtsverletzungen zu gestatten. Österreich hat von dieser Möglichkeit bislang jedoch keinen Gebrauch gemacht, weshalb die Verarbeitung von Verkehrsdaten zum Zweck der Erteilung von Auskünften nach § 87b Abs. 3 UrhG unzulässig ist. Eine implizite Ableitung aus der urheberrechtlichen Bestimmung ist nicht möglich. Denn es ließe sich den Materialien der UrhG-Novellen 2003 und 2006 nicht entnehmen, dass dem Gesetzgeber die gemeinschaftsrechtliche Problematik der Verarbeitung von Verkehrsdaten überhaupt bewusst war. Dies unterscheidet § 87b Abs. 3 UrhG von der ausdrücklich auf die Verarbeitung von Verkehrsdaten Bezug nehmenden Regelung des § 101 Abs. 9 deutsches UrhG.

Daher müssen Ansprüche nach § 87b Abs. 3 UrhG derzeit aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen am Speicherverbot und der Löschungsverpflichtung nach § 99 Abs. 1 TKG 2003, welche die Umsetzung des Art. 6 Abs. 1 RL 2002/58/EG darstellt, scheitern, wenn diese nur durch eine rechtswidrige Verarbeitung von Verkehrsdaten erfüllt werden können, da man nicht zu einem rechtswidrigen Verhalten verpflichtet werden kann.

3) Kein Auskunftsbegehren gegen einen Host-Provider nach § 18 Abs. 4 ECG, wenn nur die IP-Adresse bekannt ist (OGH vom 22.06.2012, 6 Ob 119/11k)

Ein Auskunftsbegehren über die IP-Adresse eines Nutzers gegen den Betreiber eines Internet-Diskussionsforums als Host-Provider nach § 18 Abs. 4 ECG scheitert daran, dass mit der begehrten IP-Adresse Name und Adresse des Posters auf legalem Weg nicht eruiert werden können.

Sachverhalt: Anfang November 2009 postete ein Nutzer mit der Bezeichnung „Budesheer-Fan“ im Online-Diskussionsforum eines Internetportals der Beklagten einen Eintrag mit die Klägerin, ein weiblicher Hauptmann, beleidigendem Inhalt. Da die Klägerin keine Vorstellung hatte, wer das Posting in diesem Online-Diskussionsforum geschaltet hatte, forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr die Identität des Posters bekanntzugeben, um strafrechtliche Schritte gegen diesen einleiten zu können und stützte ihren Anspruch auf § 18 Abs. 4 ECG, da dies die vorrangige Spezialvorschrift gegenüber § 93 Abs. 1 TKG sei. Die Beklagte sei verpflichtet, die Daten, über die sie verfüge zur Verfügung zu stellen.

Der Beklagten ist die Identität des als „Bundesheer-Fan“ auftretenden Posters nicht bekannt, da der Poster in einem anonymen Forum ein anonymes Posting machte, für welches er sich lediglich einen „Nicknamen“ zulegen musste und den Inhalt, der gepostet werden sollte, bekannt zu geben hatte. Der Beklagten ist nur die konkrete IP-Adresse bekannt, über die das Posting des „Bundesheer-Fans“ in das Forum gelangte.

Anhand dieser kann die Beklagte nicht beurteilen, ob es sich dabei um eine dynamische oder um eine statische IP-Adresse handelt. Nur im Fall einer statischen IP-Adresse wird vom Provider tatsächlich immer die gleiche IP-Adresse als Ausgangspunkt einer Sendung vergeben, im Falle der dynamischen IP-Adresse ordnet der eigene Provider des Versenders je nach Verfügbarkeit einmal die eine, einmal eine andere IP-Adresse zu. In diesem Fall kann also nicht gesagt werden, dass mit Bekanntwerden der IP-Adresse auch gleich das konkrete Absendegerät identifiziert ist.

Daher verweigerte die Beklagte über die IP-Adresse des Nutzers „Bundesheer-Fan“ Auskunft zu erteilen und wendete ein, dass § 18 Abs. 4 ECG nicht einschlägig sei. Denn weder Name noch Anschrift des Posters seien bekannt, und eine IP-Adresse sei keine „Adresse“ im Sinne des § 18 Abs. 4 ECG. Diese Vorschrift sei auch keine Grundlage für die Auswertung von Log-Dateien, bei IP-Adressen handle es sich um „personenbezogene Daten“ im Sinne des DSG 2000, deren erlaubte Verwendung im Zusammenhang mit gerichtlich strafbaren Handlungen abschließend in § 8 Abs. 4 DSG geregelt sei, sodass der Klägerin auch aus diesem Grund kein Anspruch auf die Herausgabe der IP-Adresse zustehe. Überdies sei die konkrete IP-Adresse ein temporäres technisches Merkmal, das dem Kommunikationsgeheimnis nach § 93 TKG unterliege, sodass dessen rechtswidrige Weitergabe nicht durchsetzbar sei und berief sich hierfür auf die oben angeführte Entscheidung 4 Ob 41/09x.

Außerdem nütze der Klägerin die Kenntnis der IP-Adresse nichts, weil sie keinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Provider besitze, der den Namen und die Anschrift des Inhabers der IP-Adresse im fraglichen Zeitpunkt kenne. Der Klägerin fehle somit das von § 18 Abs. 4 ECG geforderte rechtliche Interesse.

§ 18 Abs. 4 ECG lautet:

„Die in § 16 genannten Diensteanbieter haben den Namen und die Adresse eines Nutzers ihres Dienstes, mit dem sie Vereinbarungen über die Speicherung von Informationen abgeschlossen haben, auf Verlangen dritten Personen zu übermitteln, sofern diese ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität eines Nutzers und eines bestimmten rechtswidrigen Sachverhalts sowie überdies glaubhaft machen, dass die Kenntnis dieser Informationen eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet.“

Entscheidungsgründe: Der OGH hielt fest, dass der Betreiber eines Internet-Diskussionsforums  in Rechtsprechung und Lehre als Host-Provider anerkannt ist und hierin ein wesentlicher Unterschied zu dem Erkenntnis 4 Ob 41/09x läge, da hier ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Betreiber einer Website bzw. eines darauf enthaltenen Diskussionsportals erhoben werde. Das Telekommunikationsrecht kenne den Begriff des Host-Providers nicht. Datenschutzkommission und VwGH gehen davon aus, dass der Betreiber eines Internet-Chat-Forums kein Telekommunikationsdienstebetreiber ist,[10] weshalb die Vorschriften des TKG auf Betreiber eines Internet-Diskussionsforums nicht anzuwenden sind.

Zu einem etwaigen Anspruch nach § 18 Abs. 4 ECG hielt der OGH fest, dass die Klägerin zwar das überwiegende rechtliche Interesse an der Feststellung der Identität des Posters „Bundesheer-Fan“ und einen rechtswidrigen Sachverhalt glaubhaft gemacht habe, doch sei fraglich, ob die Klägerin nach einer allfälligen Bekanntgabe der IP-Adresse in einem weiteren Schritt oder mehreren weiteren Schritten auf legalem Weg den Inhaber dieser IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt herausfinden könnte. Gelänge ihr dies nicht, so fehle es an der nach § 18 Abs. 4 ECG glaubhaft zu machenden Voraussetzung, dass die Kenntnis dieser Information eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet.

Aufgrund der unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes hatte der OGH davon auszugehen, dass es sich bei der fraglichen IP-Adresse um eine dynamische handle. Daher hatte sich der OGH mit der Frage der Zulässigkeit der Verarbeitung von Verkehrsdaten durch einen Access-Provider zu beschäftigen. Wie schon in der Entscheidung des 4. Senats zu 4 Ob 41/09x hielt der OGH fest, dass Access-Providing ein Telekommunikationsdienst im Sinne der § 3 Ziff. 9 TKG bzw. Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 RL 2002/58/EG i.V.m. Art. 2 Buchst. c, ErwGr 10 RL 2002/21/EG ist. Daher sind auf Access-Provider die Datenschutzvorschriften der RL 2002/58/EG sowie der §§ 92 ff. TKG jedenfalls anwendbar.

Somit würde der Access-Provider gegen die in den §§ 92 ff. TKG normierten Pflichten verstoßen, wenn er nach Bekanntgabe der dynamischen IP-Adresse des Posters „Bundesheer-Fan“ durch die Klägerin die Identität dieses Posters preisgäbe. Die Klägerin könne also mit der IP-Adresse des Posters „Bundesheer-Fan“ auf legalem Weg Namen und Adresse des Posters nicht erlangen. Es fehle daher für den Auskunftsanspruch nach § 18 Abs. 4 ECG an der Voraussetzung, dass die Kenntnis der IP-Adresse eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet.

4) Ermittlung der IP-Adresse bei „offener Kommunikation“ zulässig (VfGH vom 29.06.2012, B 1031/11‐20)

Sachverhalt: Anfang November 2009 kommunizierte der Beschwerdeführer von seinem PC aus im Internet unter einem „Nicknamen“ (oder englisch „nickname“) in einem auf sexuelle Kontakte spezialisierten Chatroom mit der ihm zugeteilten IP‐Adresse. Hierbei erweckte er bei einem Chatpartner den Eindruck, unmündige Personen für sexuelle Handlungen anzubieten. Dieser Sachverhalt wurde dem Landeskriminalamt Wien unter Bekanntgabe der Internetseite und des vom Beschwerdeführer verwendeten „Nicknamen“ bekanntgegeben. Es wurde von einer konkret und unmittelbar drohenden Gefahr für die Sicherheit Unmündiger ausgegangen, weshalb die zuständigen Beamten gemäß § 53 Abs. 3a Ziff. 2 und 3 Sicherheitsgesetz im Wege einer „Whois“‐Abfrage den Provider, dem die IP‐Adresse innerhalb eines Adressenblocks zugeordnet war, und über diesen schließlich Namen und Adresse des Beschwerdeführers als Anschlussinhaber und Benutzer ausforschten. Auf dieser Grundlage wurde er gemeinsam mit einer Reihe weiterer Personen wegen des Verdachts der versuchten Bestimmung zum schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen sowie zur entgeltlichen Förderung fremder Unzucht (§§ 15, 12 i.V.m. § 206 und § 214 StGB) bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt.

Der Beschwerdeführer brachte gegen die Bundespolizeidirektion Wien und gegen das Landespolizeikommando Wien (LPK Wien) bei der Datenschutzkommission Beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten ein, in der er einen Eingriff in das gemäß Art. 10a StGG verfassungsgesetzlich geschützte Fernmeldegeheimnis behauptete und das Fehlen einer bei verfassungskonformem Verständnis des § 53 Abs. 3a Ziff. 2 Sicherheitspolizeigesetz (in der Folge kurz: SPG) bzw. mit Blick auf § 18 Abs. 2 ECG erforderlichen gerichtlichen Bewilligung rügte. Bei der IP‐Adresse und Benutzernamen handle es sich um Verkehrsdaten im Sinne des § 92 Abs. 3 Ziff. 4 TKG 2003. Da der Betreiber des Chatrooms für die Ermittlung dieser Daten seine „Logfiles“ durchsuchen müsse, würden die verlangten Auskünfte dem Richtervorbehalt des Art. 10a StGG unterliegen; diese Verfassungsbestimmung gelte auch für Stammdaten.

Bei einer verfassungskonformen Interpretation des § 53 Abs. 3a Ziff. 2 SPG sei dieser Paragraph so zu verstehen, dass zumindest die Ermittlung von IP‐Adressen einer gerichtlichen Bewilligung bedürfe.

Die Datenschutzkommission legte die Verwaltungsakten an den österreichischen Verfassungsgerichtshof (in der Folge kurz: VfGH) vor, da ihr keine Entscheidungsbefugnis in Bezug auf allfällige Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis zukomme und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Entscheidungsgründe: Der VfGH entschied, dass die Bestimmungen des § 53 Abs. 3a Ziff. 2 SPG und aus folgenden Gründen nicht in den Schutz des Fernmeldegeheimnisses im Sinne des Art. 10a StGG eingreifen:

Ob eine im Wege des Internets übermittelte Nachricht vom Schutzbereich des Art. 10a StGG erfasst ist, hänge davon ab, ob es sich um eine Kommunikation handelt, die dem Telegraphen‐ und Fernmeldeverkehr entspricht. Dabei handelt es sich um ein mit dem Briefgeheimnis „verwandtes Recht“, das die Vertraulichkeit aller „nicht für die Öffentlichkeit bestimmten, im Wege des Fernmeldeverkehrs übermittelten Nachrichten oder Mitteilungen“ schützt. Dabei kommt es auf die Bestimmung der Information für „eine konkrete Person“ an, und nicht darauf, ob die Nachricht allgemein bekannt geworden ist. „Maßnahmen der rein technischen Überwachung des Fernmeldeverkehrs“ stellen keine Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis dar, weil „ein geordneter und sicher funktionierender Fernmeldeverkehr ohne entsprechende betriebliche und technische Aufsicht nicht denkbar“ sei. Dem Schutz unterliegt daher – wie beim Briefgeheimnis, das die Vertraulichkeit des Briefinhaltes garantiert – der weitergegebene Gedankeninhalt, ohne äußere Gesprächsdaten zu erfassen.

Daraus lasse sich der Schluss ziehen, der Nachrichtenaustausch sei jedenfalls dann geschützt, wenn bestimmte Teilnehmer miteinander kommunizieren wollen und die Nachricht jeweils nur für diese Teilnehmer bestimmt ist, es sich also um eine sogenannte geschlossene Kommunikation – wie etwa bei einem E‐Mail‐Verkehr – handle. Daraus folge, dass Art. 10a StGG zwar die Vertraulichkeit des Inhalts der über Telekommunikation weitergegebenen Nachricht schütze, nicht aber sämtliche andere damit zusammenhängende Daten.

Gemäß § 53 Abs. 3a Ziff. 2 SPG ist den Sicherheitsbehörden die Ausforschung einer IP‐Adresse ausschließlich auf Grund einer bestimmten, ihnen durch Mitteilung eines Kommunikationspartners oder durch offene, jedermann zugängliche Internetkommunikation bekannt gewordenen Nachricht erlaubt. Sobald der Inhalt einer solchen Nachricht von den Sicherheitsbehörden aus einer offenen Kommunikation rechtmäßig ermittelt wurde oder aus einer geschlossenen Kommunikation von einem der Teilnehmer der Sicherheitsbehörde zugänglich gemacht wurde, sind die so ermittelten (Einzel‐)Daten nicht vom Schutzbereich des Art. 10a StGG erfasst, sodass die Übermittlung der Verkehrsdaten und so möglich gewordene Ermittlung jener Personen, die an dem Nachrichtenverkehr teilgenommen haben, nicht als Eingriff in das Fernmeldegeheimnis zu qualifizieren ist.

Dies ermächtigt jedoch von vornherein weder zur geheimen Überwachung des Internetverkehrs oder den Zugang zu einer Nachricht aus einem geschlossenen Internetforum noch ermächtigen sie zur vorsorglichen anlasslosen Speicherung oder zur systematischen Verknüpfung von Datensträngen. Der Betreiber dürfe vielmehr bloß punktuelle Auskünfte erteilen, die keinen Rückschluss auf andere, nicht bekannte Inhalte erlauben. Doch sei auch diese Grenze nicht überschritten worden.

Es liegt auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Datenschutz gemäß § 1 Abs. 2 DSG 2000 vor. Denn Eingriffe einer staatlichen Behörde aufgrund eines Gesetzes, die aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Gründen notwendig sind und die ausreichend präzise regeln, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw. die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben erlaubt sind, wird durch § 53 Abs. 3a Ziff. 2 und 3 SPG Rechnung getragen. Auch eine richterliche Genehmigung staatlicher Überwachungsmaßnahmen ist durch Art. 8 EMRK nicht geboten.

5) Entziehung der Gewerbeberechtigung

Einem gewerblichen Vermögensberater wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 26.01.2012 die Gewerbeberechtigung „Gewerbliche Vermögensberatung mit Berechtigung zur Vermittlung von Lebens- und Unfallversicherungen in der Form Versicherungsmakler und Berater in Versicherungs-Angelegenheiten“ entzogen.

Über den Vermögensberater waren im Zeitraum von Oktober 2009 bis April 2011 aus seiner Tätigkeit als gewerberechtlicher Geschäftsführer eines Vermögensberatergewerbes fünf rechtskräftige Verwaltungsstrafen und aus der Tätigkeit seines eigenen Vermögensberatergewerbes drei rechtskräftige Verwaltungsstrafen, also insgesamt acht Verwaltungsstrafen, verhängt worden.

Der Vermögensberater hatte im Zuge von angebotenen Vermittlungen von Personalkrediten Unterlagen für die Gewährung eines Kredites (Informationen über die Kreditkonditionen wie Ratenhöhe, Zinsen und Kreditdauer) gegen eine Nachnahmegebühr als Provisionsvorschuss an die Kreditwerber übermittelt. Damit hat er gegen § 367 Ziff. 22 und § 69 Abs. 2 Gewerbeordnung 1994 (in der Folge kurz: GewO) i.V.m. den §§ 2 und 3 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Standes- und Ausübungsregeln für das Gewerbe der Personalkreditvermittler und § 7 Abs. 1 Maklergesetz verstoßen. Diese Bestimmungen untersagen die Verrechnung einer Nachnahmegebühr als Provisionsvorschuss an die Kreditwerber, da der Anspruch auf Provision erst mit der Rechtswirksamkeit des vermittelten Geschäftes entsteht und der Personalkreditvermittler keinen Anspruch auf einen Vorschuss hat.

Ein ähnlich gelagerter Sachverhalt hat auch zu einer gerichtlichen Verurteilung des Vermögensberaters geführt. Mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom 05.10.2010 war der Vermögensberater wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB für schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt worden. Er habe im Frühjahr 2010 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten einer getäuschten Person unrechtmäßig zu bereichern, eine Person durch Täuschung über Tatsachen, nämlich mit dem falschen Versprechen, ihr werde ein Kredit vermittelt, zur Einzahlung einer Nachnahmegebühr für die Übersendung von Unterlagen, sohin zu einer Handlung veranlasst, die diese Person an ihrem Vermögen geschädigt hat.

Eine Berufung gegen dieses Urteil wurde mit Urteil vom 11.04.2011 abgewiesen und u.a. damit begründet, dass die Tat einen bedeutenden Handlungsunwert aufweise, weil es dazu einer raffinierten Vorgangsweise bedurft habe. Dem Vermögensberater wurde eine Überzeugungstäterschaft bescheinigt, weil er bis zum Ende der Berufungsverhandlung hartnäckig seine betrügerische Vorgangsweise geleugnet und wortreich versucht habe, dies als gewöhnliche Vermögensberatung darzustellen.

Nach der GewO ist (neben speziellen taxativ aufgezählten gerichtlichen Verurteilungen) gem. § 13 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. b von der Ausübung eines Gewerbes ausgeschlossen, wer „wegen einer sonstigen strafbaren Handlung zu einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen“ verurteilt wurde, solange die Verurteilung nicht getilgt ist.

Dieser Ausschlussgrund von der Gewerbeausübung war mit dem bezirksgerichtlichen Urteil vom 05.10 2010 nicht verwirklicht worden, da lediglich eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen verhängt worden war.

Dem Vermögensberater wurde die Gewerbeberechtigung mit Bescheid vom 26.01.2012 aber auf anderer gesetzlicher Grundlage, nämlich des § 87 Abs. 1 Ziff. 3 GewO, entzogen. Nach dieser Bestimmung ist die Gewerbeberechtigung von der Behörde zu entziehen, „wenn der Gewerbeinhaber infolge schwerwiegender Verstöße gegen die im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen, insbesondere auch zur Wahrung des Ansehens des Berufsstandes, die für die Ausübung dieses Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt“.

Der Entzug der Gewerbeberechtigung wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer auch nach der Verurteilung durch das Bezirksgericht am 05.10.2010 wegen der gleichen standeswidrigen Geschäftspraxis, aufgrund derer die Behörde erster Instanz bereits sechs Strafen ausgesprochen habe, kein Einsehen erkennen lassen, weshalb er wiederum habe bestraft werden müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof (in der Folge kurz: VwGH) hatte über eine Beschwerde des Vermögensberaters gegen den Bescheid vom 26.01.2012 zu erkennen, mit dem dem Vermögensberater die Gewerbeberechtigung entzogen worden war.

Der VwGH hat zum Entziehungstatbestand des § 87 Abs. 1 Ziff. 3 GewO 1994 auf die Gesetzesmaterialien verwiesen, nach denen ein Verstoß dann als schwerwiegend anzusehen ist, „wenn er geeignet ist, das Ansehen des betreffenden Berufszweiges herabzusetzen; außerdem muss es sich um Verstöße gegen Rechtsvorschriften und Schutzinteressen handeln, die bei der Ausübung gerade des gegenständlichen Gewerbes „besonders“ zu beachten sind, wozu etwa Verstöße gegen die Ausübungs- und Standesregeln gehören.“

Bei der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Standes- und Ausübungsregeln für das Gewerbe der Personalkreditvermittler[11] , deren Bestimmungen nach §§ 2 und 3 der Vermögensberater ausgehend von seinen rechtskräftigen Bestrafungen übertreten hat, handelt es sich gerade um derartige, nach § 69 Abs. 2 GewO erlassene Ausübungs- und Standesregeln.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kann das in § 87 Abs. 1 Ziff. 3 GewO enthaltene Tatbestandsmerkmal der „schwerwiegenden Verstöße“ nicht nur durch an sich als schwerwiegend zu beurteilende Verstöße erfüllt werden, sondern auch durch eine Vielzahl geringfügiger Verletzungen der im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften. Entscheidend ist somit, dass sich aus dieser Vielzahl unter Berücksichtigung der Art der verletzten Schutzinteressen und der Schwere ihrer Verletzung der Schluss ziehen lässt, der Gewerbetreibende sei nicht mehr als zuverlässig anzusehen.

Die Beschwerde des Vermögensberaters gegen den Entzug seiner Gewerbeberechtigung wurde vom VwGH daher abgewiesen.[12]

6) Zustellvollmacht in Abgabensachen

Das Finanzamt für Gebühren, Verkehrssteuern und Glücksspiel hat in einer Aussendung Anfang 2012 darauf hingewiesen, dass mit der Umstellung von sogenannten Einmal- auf Dauerkonten Anfang 2011 von der in § 213 Abs. 2 BAO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht worden sei, künftig auch nicht wiederkehrend zu erhebende Abgaben zusammengefasst zu verbuchen. Seither bestehen für jeden Abgabenpflichtigen nur noch Dauerkonten.

Daraus ergibt sich dem Finanzamt zufolge i.V.m. § 103 Abs. 2 BAO, dass eine bekanntgegebene Zustellvollmacht unwirksam ist, wenn sie ausdrücklich auf ein bestimmtes Abgabenverfahren beschränkt ist. Erledigungen werden zukünftig nur mehr dann an den Bevollmächtigten zugestellt, wenn die Vollmacht nach der Aktenlage für die Zustellung aller Erledigungen der zusammengefasst verbuchten Abgaben erteilt wurde. In diesem Fall erfolgt die Zustellung sämtlicher Erledigungen aller gemeinsam verbuchten Abgaben an den Bevollmächtigten.

Gibt es mehrere Zustellbevollmächtigte, gelte die Zustellung gem. § 9 Abs. 4 S. 2 Zustellgesetz als bewirkt, sobald sie an einen der Zustellbevollmächtigten vorgenommen worden ist. Auch wenn vom Vertragserrichter eine uneingeschränkte Zustellvollmacht bekannt gegeben wurde, erlischt die Zustellvollmacht des anderen Zustellbevollmächtigten nicht automatisch.

[:en]

Die Frage der Bestellung von Sachverständigen in Wirtschaftsstrafverfahren hat im Schrifttum seit Inkrafttreten des österreichischen Strafprozessreformgesetzes, in jüngster Vergangenheit auch in der österreichischen Tagespresse für Diskussionen gesorgt.[1] Auch im Rahmen des 10. Österreichischen StrafverteidigerInnentages am 23./24.03.2012 in Wien ist die Praxis der nahtlosen Übernahme der sachverständigen Person vom Ermittlungs- ins Hauptverfahren von den Vortragenden am Panel, Katrin Ehrbar, Thomas Kralik, Norbert Wess und Gerhard Ruhri, scharf kritisiert worden:

I. „Der Kampf um Sachverständigengutachten in Wirtschaftsstrafprozessen“ (Vortrag Katrin Ehrbar)

Der Begriff „Kampf“ ist gemessen an der gerichtlichen Praxis in Wirtschaftsstrafprozessen ein durchaus angemessener, gewinnt doch die Verteidigung nicht selten den Eindruck, das gerichtliche Sachverständigengutachten sei „in Stein gemeißelt“.

Bereits die Ausgangslage zu Beginn der Hauptverhandlung ist eine im Sinne des Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. d EMRK durchaus bedenkliche: Gängige Praxis ist, dass die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren Sachverständige beauftragt, deren Gutachten meist als Basis für die Anklageschrift dienen; fast immer werden dieselben Sachverständigengutachten sowie der Sachverständige selbst in der Hauptverhandlung als Beweis bzw. Beweismittel herangezogen. Und dies, obwohl die Staatsanwaltschaft ab Beginn des Hauptverfahrens Verfahrensbeteiligte ist und das Gericht eigentlich für Zwecke der Beweisaufnahme einen anderen oder zumindest einen zusätzlichen Sachverständigen bestellen müsste. Es gibt gute Gründe dafür, dass ein Richter nach § 43 Abs. 1 Ziff. 3 StPO vom Hauptverfahren ausgeschlossen ist, wenn er im Ermittlungsverfahren Beweise aufgenommen hat (§ 104 StPO), ein gegen den Beschuldigten gerichtetes Zwangsmittel bewilligt, über einen von ihm erhobenen Einspruch oder einen Antrag auf Einstellung entschieden oder an einer Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens oder an einem Urteil mitgewirkt hat, das infolge eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs aufgehoben wurde. Für einen Sachverständigen soll dies nicht gelten, obwohl er nicht nur bereits im Ermittlungsverfahren tätig war, sondern – sollten in der Hauptverhandlung Gutachtensmängel hervortreten – zudem schadenersatzpflichtig wird.

Gemäß ständiger Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofes (in der Folge kurz: OGH) taugen Privatgutachten, auch von gerichtlich beeideten Sachverständigen, nicht als Beweismittel. Nach der ständigen Rechtsprechung sind also die Gerichte nicht verpflichtet, Privatgutachten einer Würdigung zu unterziehen. Begründet wird das damit, dass nicht klar ist, ob und wie der Gutachter vom Verteidiger den vollständigen Sachverhalt mitgeteilt bekommen hat.

Zwar kann der Angeklagte nach § 249 Abs. 3 StPO in der Hauptverhandlung einen Privatsachverständigen zur Befragung eines bestellten Sachverständigen beiziehen, jedoch kann das die Beweiskraft eines schriftlichen Gegengutachtens nicht ersetzen.

Als Ausweg schlägt der OGH nun in seinem Tätigkeitsbericht vor, „die Bestellung von Sachverständigen und die Auftragserteilung an diese im Ermittlungsverfahren dem Gericht zu übertragen“. Dies würde eine Rückkehr zur alten Rechtslage bedeuten. Einer anderen geforderten Variante, einen neuen Gutachter für das Hauptverfahren zu bestellen, ist aus meiner Sicht ebenso nichts abzugewinnen. Abgesehen davon, dass sich die Gutachterkosten dadurch automatisch verdoppeln, würden sich gerade die schwierigen (Wirtschaftsstraf-) Verfahren zwangsläufig weiter in die Länge ziehen. Die Verteidigung sollte vielmehr verstärkt ihren eigenen Gutachter ins Verfahren einbringen können, konsequenterweise bereits im Ermittlungsverfahren, damit sich dieser kritisch mit der Arbeit des Staatsanwalts-/Gerichtsgutachters auseinandersetzen kann. Die von der Verteidigung beauftragten Gutachten sollten schon im Ermittlungsverfahren als Beweismittel zugelassen werden.

Bis zu einer Lösung dieses Dilemmas bleibt nur, einen kurzen Überblick über bereits jetzt zur Verfügung stehende Möglichkeiten der Verteidigung zu geben:

1) Rechte des Beschuldigten:

a) Informationsrecht

Der Beschuldigte ist vor Bestellung des Sachverständigen zu verständigen und hat das Recht, Einwände gegen die Wahl des Sachverständigen vorzubringen. Die Nichtverständigung ist die Verletzung eines subjektiven Informationsrechtes. Dennoch wird das in der Praxis immer wieder unterlassen und ist mit Einspruch gem. § 106 Abs. 1 Ziff. 1 StPO zu rügen, hat aber keine Nichtigkeitsfolgen.

b) Antrag gem. § 55 Abs. 1 StPO

Der Beschuldigte kann im Rahmen eines Beweisantrages (§ 55 Abs. 1 StPO) die Bestellung eines Sachverständigen und die Erteilung eines Gutachtensauftrages beantragen. Folgt die Staatsanwaltschaft diesem Antrag nicht, so hat sie den Beschuldigten unter Anführung der Gründe vom Unterbleiben des Sachverständigenbeweises zu verständigen. Der Antragsteller kann die unterbliebene Beweisaufnahme als Rechtsverletzung mit Einspruch geltend machen, über den der Einzelrichter des Landesgerichts entscheidet. Der Einzelrichter kann der Staatsanwaltschaft die Beweisaufnahme auftragen.

c) Einwendungsrecht

Die Frist zur Erhebung von Einwänden gem. § 126 Abs. 3 letzter Satz StPO gilt nicht für Einwände wegen Befangenheit oder fehlender Qualifikation des Sachverständigen. Diese können auch später erhoben werden, stellen sie sich in der Praxis ja meist erst später heraus.

Für Sachverständige gelten die Befangenheitsgründe des § 47 Abs. 1 StPO sinngemäß. Soweit sie befangen sind oder ihre Sachkunde in Zweifel steht, sind sie von der Staatsanwaltschaft, im Falle einer Bestellung durch das Gericht von diesem, von Amts wegen oder auf Grund von Einwänden (Abs. 3) ihres Amtes zu entheben, bei Vorliegen eines Befangenheitsgrundes gemäß § 47 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 StPO bei sonstiger Nichtigkeit. Im Hauptverfahren kann die Befangenheit eines Sachverständigen nicht bloß mit der Begründung geltend gemacht werden, dass er bereits im Ermittlungsverfahren tätig gewesen ist.

In der Praxis häufig auftretendes Beispiel (vgl. OGH 26.11.1992, 15Os103/92): Hat der Masseverwalter als gesetzlicher Vertreter der Konkursmasse und Treuhänder der Massegläubiger, somit Interessenvertreter gegenüber Personen, die die Masse durch deliktische Handlung schädigten und denen gegenüber er allenfalls Schadenersatzforderungen in einem Adhäsionsverfahren geltend zu machen hat, womit er auch prozessual die Stellung eines Gegners dieses Angeklagten einnimmt, einen Buchsachverständigen als Hilfsorgan beigezogen, so sind Einwendungen gegen eine Bestellung eben desselben Sachverständigen im Strafverfahren als erheblich und damit berechtigt anzusehen, ohne dass es darüber hinaus noch der Dartuung spezieller, eine Befangenheit des Sachverständigen indizierender Gründe bedürfte. Ob sich der Sachverständige subjektiv befangen fühlt, ist angesichts der durch die Gesetzeslage bedingten potentiellen Interessenkollision nicht entscheidend.

d) Antrag gem. § 127 Abs. 3 S. 1 StPO

Nach Erstattung des Gutachtens kann kein Einwand wegen mangelnder Sachkunde gegen den Sachverständigen mehr erhoben werden, sondern nur mehr ein begründeter Antrag auf Heranziehung eines zweiten Sachverständigen (§ 127 Abs. 3 S. 1 StPO). Dieser Antrag ist damit zu begründen, dass der Befund mangelhaft oder das Gutachten widersprüchlich oder mangelhaft ist. Formalvoraussetzung für die Verfahrensrüge ist, dass das zur Mängelbehebung vorgesehene Verbesserungsverfahren erfolglos bleibt und der Antrag mit Beschluss abgelehnt wurde (§ 238 Abs. 1 StPO).

[OGH 08.04.2010, 12 Os 18/10d: Ein weiterer Sachverständiger ist im Strafverfahren nur beizuziehen, wenn das bereits vorliegende Gutachten mangelhaft im Sinne des § 127 Abs. 3 StPO ist und diese Bedenken durch nochmalige Befragung des bestellten Sachverständigen nicht behoben werden können. Ein aus § 345 Abs. 1 Ziff. 5 StPO garantiertes Überprüfungsrecht hinsichtlich eines bereits durchgeführten Sachverständigenbeweises hat der Beschwerdeführer demnach nur dann, wenn er in der Hauptverhandlung einen in § 127 Abs. 3 S. 1 StPO angeführten Mangel von Befund oder Gutachten aufzeigt und das dort beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos bleibt.[2]Siehe auch OGH 23.12.2010, 14 Os 143/09z: Eine auf mangelnde Sachkunde des Sachverständigen gegründete Einwendung gegen diesen ist nach Erstattung von Befund und Gutachten zufolge der Spezialregelung des § 127 Abs. 3 S. 1 StPO nicht mehr zulässig. Da spätestens mit der Abgabe des schriftlichen Gutachtens die Meinungsbildung erfolgt ist, liegt Befangenheit im Sinn des § 47 Abs. 1 Ziff. 3 StPO (iVm § 126 Abs. 4 StPO) in solchen Fällen nur vor, wenn die Annahme indiziert ist, der Sachverständige werde sein Gutachten auch dann nicht ändern, wenn die Beweisergebnisse dessen Unrichtigkeit aufzeigen.]

Sachverständigengebühren sind ein gewaltiger Kostenfaktor. In Strafverfahren werden die Sachverständigenkosten im Hinblick auf das Legalitätsprinzip und den Untersuchungsgrundsatz weitgehend durch den Staat getragen. Gem. § 381 Abs. 1 StPO umfassen die Kosten des Strafverfahrens, die von der zum Kostenersatz verpflichteten Partei zu ersetzen sind die Gebühren der Sachverständigen.

2) Kosten

Gem. § 25 Abs. 1a GebAG hat der Sachverständige das Gericht beziehungsweise die Staatsanwaltschaft rechtzeitig auf die voraussichtlich entstehende Gebührenhöhe hinzuweisen, wenn zu erwarten ist, dass die tatsächlich entstehende Gebühr EUR 4.000,00 übersteigen wird, wenn das Gericht beziehungsweise die Staatsanwaltschaft den oder die Sachverständige nicht anlässlich des Auftrags von dieser Verpflichtung befreit hat. Unterlässt der Sachverständige diesen Hinweis, so entfällt insoweit der Gebührenanspruch.

Die Warnung hat der Sachverständige gegenüber dem Gericht auszusprechen. Die Warnung muss ausdrücklich (schriftlich, mündlich zu Protokoll, zumindest gerichtlicher Aktenvermerk) erfolgen und objektive, nachvollziehbare Angaben über den voraussichtlichen Kostenaufwand enthalten. Die eigene Kostenschätzung des Sachverständigen hat die Wirkung eines verbindlichen Kostenvoranschlages nach § 1170a Abs. 1 ABGB.

Die Warnpflicht des Sachverständigen verpflichtet nicht nur zu einer ersten Bekanntgabe der voraussichtlichen Kosten, sondern der Sachverständige muss auch warnen, wenn sich zeigt, dass er die voraussichtliche Gebühr zu gering geschätzt hat.[3]Die Warnpflicht beinhaltet also eine laufende Verpflichtung.

Die Kosten für Privatgutachten sind von den Auftraggebern zu bezahlen. Nur wenn die Gutachtenseinholung für die gerichtliche Rechtsverfolgung notwendig und zweckmäßig war, besteht die Möglichkeit, diese Kosten auch im Verfahren geltend zu machen.

Auch der Revisor kann eine Befangenheit des Sachverständigen geltend machen. Damit entfällt der Gebührenanspruch des Sachverständigen (vgl. auch JSt 1/2012 S. 16ff von Katrin Ehrbar).

3) Kein Recht auf Vertagung der Hauptverhandlung zur Beiziehung eines Privatsachverständigen

Im Sinne des § 249 Abs. 2 StPO ist es zulässig, einen Sachverständigen bei seiner Befragung mit wissenschaftlich fundierten Lehrmeinungen zu konfrontieren, aus denen Zweifel an von ihm gezogenen Schlüssen entstehen sollen. Dazu kann der Verteidiger die Hilfe eines sogenannten Privatsachverständigen („Person mit besonderen Fachwissen“) in Anspruch nehmen, dem es nicht verwehrt werden darf, neben dem Verteidiger Platz zu nehmen, ohne allerdings selbst das Fragerecht ausüben zu dürfen (§ 249 Abs. 3 StPO).

Der Sachverständige hat diese Fragen zu beantworten. Sieht er sich hierzu nicht sofort in der Lage, ist die Hauptverhandlung zu unterbrechen oder zu vertagen. Umgekehrt kann man aber nicht eine Hauptverhandlung vertagen lassen, nur weil man sich nicht auf die Hauptverhandlung unter Beiziehung eines Privatsachverständigen vorbereitet hat.

Dem Angeklagten kommt kein Recht auf Vertagung der Hauptverhandlung zur Beiziehung einer Person mit besonderem Fachwissen zu, wenn er rechtzeitig von der Aufnahme des Sachverständigenbeweises Kenntnis hatte.

In der Entscheidung vom 30.08.2011, 14 Os 59/11z beschäftigte sich der OGH unter anderem mit der Problematik, wonach der Verteidiger in der Hauptverhandlung unmittelbar nach Gutachtenerstattung durch den Sachverständigen beantragt hatte, „der Verteidigung ausreichend Zeit zu geben zur Sichtung der beantworteten Fragen des Sachverständigen, da diese erst jetzt schriftlich ausgeteilt werden“, und solcherart die Vertagung der Hauptverhandlung gar nicht deutlich und bestimmt verlangte.

Laut OGH kommt dem Angeklagten kein Recht auf Vertagung der Hauptverhandlung zu, soweit er – wie hier – rechtzeitig von der Aufnahme des Sachverständigenbeweises Kenntnis hatte (ebenso für den Fall der [vorliegend gar nicht begehrten] Beiziehung einer Person mit besonderem Fachwissen gemäß § 249 Abs. 3 StPO, vgl. 15 Os 131/08s). Im gegenständlichen Fall wurde dem tatsächlich vom Verteidiger gestellten Antrag im Übrigen nach Auffassung des OGH dadurch Rechnung getragen, dass die im Wesentlichen zwei Seiten umfassende Stellungnahme zu den vom Verteidiger der Beschwerdeführerin schriftlich gestellten vier Fragen mündlich in der Hauptverhandlung vorgetragen wurde und diesem auch die Möglichkeit ergänzender Fragestellung eingeräumt war.

II. Privatbeteiligtenanschluss unterbricht Verjährung

Gerade in Wirtschaftsstrafprozessen werden oft zivilrechtliche Entschädigungen im Rahmen einer Privatbeteiligung im Strafverfahren geltend gemacht.

Anschlussberechtigter ist jeder, der durch eine strafgesetzwidrige Tat des Beschuldigten in Rechten verletzt worden ist, die zur Geltendmachung eines privatrechtlichen Anspruchs berechtigen.[4]

Damit sind jene Personen umfasst, die durch die Begehung einer Straftat einen unmittelbaren oder mittelbaren Schaden erlitten haben. Das Opfer hat das Recht, den Ersatz des durch die Straftat erlittenen Schadens oder eine Entschädigung für die Beeinträchtigung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter zu begehren.

Privatbeteiligte haben weitgehende, über die Opferrechte hinausgehende verfahrensrechtliche Möglichkeiten.

Im Unterschied zur deutschen Rechtslage wird in Österreich nicht zwischen dem Nebenkläger und dem Adhäsionsverfahren unterschieden.

Durch den Anschluss als Privatbeteiligter hat dieser zum einen ähnliche Rechte wie der Staatsanwalt, und zum anderen wird über Schadenersatzansprüche entschieden. Er kann alles prozessual Zulässige tun, um die Schuld des Angeklagten zu beweisen. Zu diesem Zweck ist er berechtigt, Beweismittel dem Gericht vorzulegen oder die Aufnahme solcher zu beantragen. Zusätzlich zu den allgemeinen Opferrechten (vgl. § 66 Abs. 1 StPO) muss der Privatbeteiligte zur Hauptverhandlung geladen werden und die Möglichkeit haben, zur Schuldfrage Stellung zu nehmen.

Tritt die Staatsanwaltschaft von der Anklage zurück, hat der Privatbeteiligte das Recht als Subsidiarankläger das Strafverfahren weiterzuführen sowie gegen die gerichtliche Einstellung des Verfahrens Beschwerde einzulegen. Der Privatbeteiligte kann gegen einen Freispruch die Nichtigkeitsbeschwerde ergreifen, wenn er wegen eines Freispruchs auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde und die Abweisung des von ihm in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrags bzw. der Beweisanträge für die Geltendmachung seiner privatrechtlichen Ansprüche nachteilig war (§ 282 Abs. 2 StPO). Der Privatbeteiligte kann Berufung einlegen, wenn er in einem verurteilenden Erkenntnis ganz oder teilweise auf den Zivilrechtsweg verwiesen wird, obwohl seine privatrechtlichen Ansprüche begründet und entscheidungsreif sind (§ 283 Abs. 4, § 366 Abs. 3, § 465 Abs. 2, 3 StPO).

Neben der Erlangung der Stellung eines Opfers hat jede betroffene Person erweiterte verfahrensrechtliche Möglichkeiten:

  • Privatbeteiligung (§ 65 Ziff. 2 StPO): Das Opfer kann sich am Verfahren beteiligen, um Ersatz für den erlittenen (materiellen) Schaden oder die erlittene Beeinträchtigung (ideeller Interessen) zu begehren; die Privatbeteiligung hat die Wiedergutmachung des Schadens zum Ziel.
  • Privatanklage (§ 65 Ziff. 3 StPO): In den Fällen einer nicht von Amts wegen zu verfolgenden Straftat kann das Opfer eine Anklage oder einen anderen Antrag auf Einleitung des Hauptverfahrens bei Gericht einbringen.
  • Subsidiaranklage (§ 65 Ziff. 4 StPO): Ein Opfer, das sich als Privatbeteiligte(r) dem Verfahren angeschlossen hat, kann eine von der Staatsanwaltschaft zurückgezogene Anklage aufrecht halten.
  • Fortführungsantrag (§ 195 StPO): Das Opfer kann unter bestimmten Voraussetzungen die Fortführung eines von der Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahrens beantragen.

Die Rechte eines Opfers sind ausführlich in den §§ 66 ff. StPO geregelt. Diese Rechte sind den Opfern von Amts wegen zu gewähren. Sie können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Persönlichkeitsschutzrechte (Recht auf Achtung und Anerkennung der persönlichen Würde).
  • Belehrungs- und Informationsrechte sowie Kommunikationsgarantien (Gegenstand und Fortgang des Verfahrens, Akteneinsicht, Übersetzungshilfe): Hier ist wichtig, dass es sich um eine aktive Informationspflicht durch Sicherheitsbehörden, Gerichte und Staatsanwaltschaft handelt.
  • Verfahrens- und Beteiligungsrechte: Das Recht auf Entschädigung ist im Wesentlichen durch die Möglichkeit der Privatbeteiligung nach § 67 StPO gewährleistet, wonach Opfer „das Recht [haben], den Ersatz des durch die Straftat erlittenen Schadens oder eine Entschädigung für die Beeinträchtigung ihrer strafrechtlich geschützten Rechtsgüter zu begehren.“

Der Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren hat die gleichen rechtlichen Wirkungen iSd § 1497 ABGB wie eine Klage. Zur Unterbrechung der Verjährung kommt es aber letztlich nur dann, wenn der Privatbeteiligte seinen Anspruch nach Beendigung des Strafverfahrens innerhalb angemessener Frist im Streitverfahren geltend macht. Ob insoweit eine ungewöhnliche Untätigkeit vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. In dem vom OGH geprüften Sachverhalt wurde die Klage am Vortag jenes Tages eingebracht, an dem sich die Urteilsverkündung (samt Verweisung der privatrechtlichen Ansprüche auf den Zivilrechtsweg) zum dritten Mal jährte. Laut OGH komme es hier nur darauf an, dass der Schadenersatzanspruch nach Beendigung des Strafverfahrens gehörig (weiter) verfolgt hätte werden müssen. Für das Zuwarten mit der Schadenersatzklage über einen Zeitraum von knapp drei Jahren ab Beendigung des Strafverfahrens war nach Meinung des OGH keine sachliche Rechtfertigung zu erkennen.[5]

III. Rechtsprechung

1) VfGH hebt Gerichtsgebühren für selbst angefertigte Kopien auf

Gerade in Wirtschaftstrafprozessen sind die Kopierkosten für die meist mehrere Bände umfassenden Akten ein großer Kostenfaktor.

Das Gerichtsgebührengesetz (GGG) war in jüngster Zeit häufig Gegenstand von Gesetzesänderungen. Die der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zugrunde liegenden Sachverhalte ereigneten sich im Jahr 2010. Prüfungsgegenstand im Verfahren vor dem VfGH war daher das GGG in der Fassung BGBl I 2009/52. Danach wurden die betreffenden Bestimmungen jährlich geändert und erhöht.

Daher war besonders in der letzten Zeit die Erhebung einer Gebühr für das Anfertigen von Ablichtungen mittels von der Partei selbst mitgebrachter Geräte (wie Scanner oder Digitalkameras) ein vieldiskutiertes Thema in der Anwaltschaft.

Der VfGH hat nunmehr in seinem Erkenntnis vom 13.12.2011[6] die entsprechenden Passagen des Gerichtsgebührengesetzes[7] zum 30.6.2012 als verfassungswidrig aufgehoben bzw festgestellt, dass diese verfassungswidrig waren. Die Erlässe und Verordnungen dazu wurden als gesetzwidrig aufgehoben. Grundsätzlich widerspreche die Einhebung von Gebühren für die Anfertigung von Kopien durch Parteien in gleicher Höhe – unabhängig davon, ob die Infrastruktur des Gerichtes genutzt wird oder nicht – dem Gleichheitsgrundsatz. Überhaupt widerspreche diesem auch die Erhebung einer Gebühr für das Anfertigen von Ablichtungen mittels von der Partei selbst mitgebrachter Geräte (wie Scanner oder Digitalkameras). Dies stelle „bloß eine im Rahmen der Akteneinsicht vorgenommene, zeitgemäße Form der Abschriftnahme“ dar, so der VfGH. Auch die Bestimmung des § 29a GGG, welche die Einhebung derartiger Kopierkosten im Strafverfahren ermögliche, sei nicht verfassungskonform.

Zuletzt wurden für vom Gericht hergestellte Kopien EUR 1,10 pro Seite eingehoben, für selbst erstellte Kopien je EUR 0,60. Durch das Budgetbegleitgesetz 2012[8] wurden diese Kosten, nach lang andauernder Kritik, vor allem von Seiten der Rechtsanwaltschaft, reduziert: Die Kosten für vom Gericht angefertigte Kopien wurden auf EUR 0,60 herabgesetzt, für selbst hergestellte Kopien werden immer noch EUR 0,30 eingehoben. Seit Inkrafttreten des 2. Stabilitätsgesetzes 2012[9] sind jedoch selbst hergestellte Aktenabschriften, -ablichtungen und sonstige Kopien, die ohne Inanspruchnahme gerichtlicher Infrastruktur hergestellt werden, gebührenfrei.

2) Kein Anspruch auf Bekanntgabe von Stammdaten, wenn die Verarbeitung von Verkehrsdaten zur Erlangung dieser erforderlich ist (OGH vom 14.07.2009, 4 Ob 41/09x)

In seinem Rechtssatz (RS0124952) hielt der OGH fest: Die Durchsetzung eines Anspruchs nach § 87b Abs. 3 UrhG kann daran scheitern, dass die begehrte Auskunft nur aufgrund einer rechtswidrigen Verarbeitung von Verkehrsdaten erteilt werden könnte.

Sachverhalt: Die Klägerin, eine österreichische Verwertungsgesellschaft, welche die Rechte von Tonträgerherstellern und ausübenden Künstlern, die den Vortrag von Werken der Tonkunst öffentlich zur Verfügung zu stellen, treuhändig wahrnimmt, verfolgt Nutzer von File-Sharing-Systemen im Internet. Dazu ließ sie die File-Sharing-Systeme durch ein beauftragtes Unternehmen auf rechtsverletzende Angebote überprüfen. Dabei wurden in File-Sharing-Systemen verschiedene Musiktitel nachgefragt und durch die Software jeweils auf Computer eines anderen Teilnehmers zugegriffen, von welchem die nachgefragten Musikdateien zur Verfügung gestellt wurden. Die Dateien, welche Datum und Uhrzeit des Test-Downloads, die IP-Adresse, die dem Computer des Tauschpartners in diesem Zeitraum zugeordnet war, Name und Anschrift des Access-Providers und den „Nickname“ des Tauschpartners enthielten, wurden zu Beweiszwecken heruntergeladen.

Einige der dokumentierten Fälle betrafen Kunden der Beklagten, welche als Access-Provider ihren Kunden den Zugang zum Internet vermittelt. Dafür wird den Kunden (zumeist) eine dynamische IP-Adresse zugewiesen. Durch die von ihr gespeicherten Logfiles kann die Beklagte jene Anschlussinhaber identifizieren, denen zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte IP-Adresse zugeordnet war.

Die Klägerin ersuchte die Beklagte um Bekanntgabe von Name und Anschrift jener Kunden, denen im jeweiligen Zeitraum die vom beauftragten Unternehmen ermittelte IP-Adresse zugeordnet war, da die Beklagte als Access-Provider Vermittler im Sinne des § 81 Abs. 1a UrhG sei, welcher der Umsetzung von Art. 8 Abs. 3 der RL 2001/29/EG (Info-RL) dient, und daher nach § 87b Abs. 3 UrhG zur Auskunft verpflichtet sei. Denn es würden nur Stammdaten im Sinne von § 92 Abs. 3 Ziff. 3 TKG 2003 weitergegeben und Verkehrsdaten allenfalls nur verwertet, aber nicht offen gelegt, weswegen keine Missbrauchsgefahr bestehe.

Die Beklagte verweigerte die Bekanntgabe von Name und Anschrift der Anschlussinhaber, da für die Identifikation dieser der Öffentlichkeit unbekannten Nutzer der IP-Adressen das Auswerten von Logfiles erforderlich sei, wobei es sich um eine Auswertung von Zugangsdaten (Verkehrsdaten) und deren Speicherung handle. Darüber hinaus sei ein Access-Provider nicht Vermittler im Sinne von § 81 Abs. 1a UrhG. Daher sei eine Auskunftserteilung ohne Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen des TKG 2003 nicht möglich. Nur zur Verfolgung schwerer Straftaten werde das Fernmeldegeheimnis durchbrochen, dies zeige sich auch an der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Jedenfalls erfordere eine Auskunft jedoch eine vorherige richterliche Genehmigung.

Entscheidungsgründe: Hierzu stellte der OGH ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, in welchem er diesem die Frage nach der gemeinschaftsrechtlichen Auslegung des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (in der Folge kurz „Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation“) vorlegte.

Der EuGH hielt im Beschluss C-557/07 in Beantwortung der gestellten Fragen fest, dass die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran hindere, eine Verpflichtung zur Weitergabe personenbezogener Verkehrsdaten an private Dritte zum Zweck der zivilgerichtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverstößen aufzustellen. Auch wurde festgestellt, dass ein Access-Provider, der den Nutzern nur den Zugang zum Internet verschafft, ohne weitere Dienste anzubieten oder eine rechtliche oder faktische Kontrolle über den genutzten Dienst auszuüben, „Vermittler“ im Sinne des Art 8. Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 sei.

Daher entschied der OGH, dass die Beklagte in den Anwendungsbereich der Bestimmung der §§ 81 und 87 UrhG falle und dass § 87b Abs. 3 UrhG einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch anordne, es müsse aber ein „ausreichend begründetes“ Verlangen des Verletzten vorliegen, das „insbesondere hinreichend konkretisierte Angaben über die den Verdacht der Rechtsverletzung begründenden Tatsachen“ zu enthalten habe. Die Beurteilung der Frage, ob eine Rechtsverletzung durch Nutzung einer bestimmten IP-Adresse bescheinigt ist, obliegt gemäß § 87b Abs. 3 UrhG dem Provider. Anders als in Deutschland (vgl. § 101 Abs. 9 deutsches UrhG) ist aber kein obligatorisches gerichtliches Verfahren für die Auskunftserteilung vorgesehen; vielmehr haben die Gerichte nur dann zu entscheiden, wenn der Vermittler die Erfüllung eines nach Auffassung des Verletzten bestehenden Anspruchs verweigert.

Allerdings könnte in diesem Fall eine Stammdatenauskunft nur erfolgen, wenn die Beklagte (intern) nur für eine bestimmte Zeit zugewiesene (dynamische) IP-Adressen, welche in die Kategorie Zugangs- und damit Verkehrsdaten einzuordnen sind, verarbeitet. Es sei daher nicht möglich, auf die Bekanntgabe von Stammdaten abzustellen und die Vorgänge bei deren Ermittlung völlig auszublenden, denn dies sei auch gemeinschaftsrechtlich nicht gangbar. Grundsätzlich stehe es den einzelnen Mitgliedstaaten aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht frei, zum Schutz von Urheberinteressen die Speicherung und Verarbeitung von Verkehrsdaten auch für die Erteilung von Auskünften über nähere Umstände von Urheberrechtsverletzungen zu gestatten. Österreich hat von dieser Möglichkeit bislang jedoch keinen Gebrauch gemacht, weshalb die Verarbeitung von Verkehrsdaten zum Zweck der Erteilung von Auskünften nach § 87b Abs. 3 UrhG unzulässig ist. Eine implizite Ableitung aus der urheberrechtlichen Bestimmung ist nicht möglich. Denn es ließe sich den Materialien der UrhG-Novellen 2003 und 2006 nicht entnehmen, dass dem Gesetzgeber die gemeinschaftsrechtliche Problematik der Verarbeitung von Verkehrsdaten überhaupt bewusst war. Dies unterscheidet § 87b Abs. 3 UrhG von der ausdrücklich auf die Verarbeitung von Verkehrsdaten Bezug nehmenden Regelung des § 101 Abs. 9 deutsches UrhG.

Daher müssen Ansprüche nach § 87b Abs. 3 UrhG derzeit aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen am Speicherverbot und der Löschungsverpflichtung nach § 99 Abs. 1 TKG 2003, welche die Umsetzung des Art. 6 Abs. 1 RL 2002/58/EG darstellt, scheitern, wenn diese nur durch eine rechtswidrige Verarbeitung von Verkehrsdaten erfüllt werden können, da man nicht zu einem rechtswidrigen Verhalten verpflichtet werden kann.

3) Kein Auskunftsbegehren gegen einen Host-Provider nach § 18 Abs. 4 ECG, wenn nur die IP-Adresse bekannt ist (OGH vom 22.06.2012, 6 Ob 119/11k)

Ein Auskunftsbegehren über die IP-Adresse eines Nutzers gegen den Betreiber eines Internet-Diskussionsforums als Host-Provider nach § 18 Abs. 4 ECG scheitert daran, dass mit der begehrten IP-Adresse Name und Adresse des Posters auf legalem Weg nicht eruiert werden können.

Sachverhalt: Anfang November 2009 postete ein Nutzer mit der Bezeichnung „Budesheer-Fan“ im Online-Diskussionsforum eines Internetportals der Beklagten einen Eintrag mit die Klägerin, ein weiblicher Hauptmann, beleidigendem Inhalt. Da die Klägerin keine Vorstellung hatte, wer das Posting in diesem Online-Diskussionsforum geschaltet hatte, forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr die Identität des Posters bekanntzugeben, um strafrechtliche Schritte gegen diesen einleiten zu können und stützte ihren Anspruch auf § 18 Abs. 4 ECG, da dies die vorrangige Spezialvorschrift gegenüber § 93 Abs. 1 TKG sei. Die Beklagte sei verpflichtet, die Daten, über die sie verfüge zur Verfügung zu stellen.

Der Beklagten ist die Identität des als „Bundesheer-Fan“ auftretenden Posters nicht bekannt, da der Poster in einem anonymen Forum ein anonymes Posting machte, für welches er sich lediglich einen „Nicknamen“ zulegen musste und den Inhalt, der gepostet werden sollte, bekannt zu geben hatte. Der Beklagten ist nur die konkrete IP-Adresse bekannt, über die das Posting des „Bundesheer-Fans“ in das Forum gelangte.

Anhand dieser kann die Beklagte nicht beurteilen, ob es sich dabei um eine dynamische oder um eine statische IP-Adresse handelt. Nur im Fall einer statischen IP-Adresse wird vom Provider tatsächlich immer die gleiche IP-Adresse als Ausgangspunkt einer Sendung vergeben, im Falle der dynamischen IP-Adresse ordnet der eigene Provider des Versenders je nach Verfügbarkeit einmal die eine, einmal eine andere IP-Adresse zu. In diesem Fall kann also nicht gesagt werden, dass mit Bekanntwerden der IP-Adresse auch gleich das konkrete Absendegerät identifiziert ist.

Daher verweigerte die Beklagte über die IP-Adresse des Nutzers „Bundesheer-Fan“ Auskunft zu erteilen und wendete ein, dass § 18 Abs. 4 ECG nicht einschlägig sei. Denn weder Name noch Anschrift des Posters seien bekannt, und eine IP-Adresse sei keine „Adresse“ im Sinne des § 18 Abs. 4 ECG. Diese Vorschrift sei auch keine Grundlage für die Auswertung von Log-Dateien, bei IP-Adressen handle es sich um „personenbezogene Daten“ im Sinne des DSG 2000, deren erlaubte Verwendung im Zusammenhang mit gerichtlich strafbaren Handlungen abschließend in § 8 Abs. 4 DSG geregelt sei, sodass der Klägerin auch aus diesem Grund kein Anspruch auf die Herausgabe der IP-Adresse zustehe. Überdies sei die konkrete IP-Adresse ein temporäres technisches Merkmal, das dem Kommunikationsgeheimnis nach § 93 TKG unterliege, sodass dessen rechtswidrige Weitergabe nicht durchsetzbar sei und berief sich hierfür auf die oben angeführte Entscheidung 4 Ob 41/09x.

Außerdem nütze der Klägerin die Kenntnis der IP-Adresse nichts, weil sie keinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Provider besitze, der den Namen und die Anschrift des Inhabers der IP-Adresse im fraglichen Zeitpunkt kenne. Der Klägerin fehle somit das von § 18 Abs. 4 ECG geforderte rechtliche Interesse.

§ 18 Abs. 4 ECG lautet:

„Die in § 16 genannten Diensteanbieter haben den Namen und die Adresse eines Nutzers ihres Dienstes, mit dem sie Vereinbarungen über die Speicherung von Informationen abgeschlossen haben, auf Verlangen dritten Personen zu übermitteln, sofern diese ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität eines Nutzers und eines bestimmten rechtswidrigen Sachverhalts sowie überdies glaubhaft machen, dass die Kenntnis dieser Informationen eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet.“

Entscheidungsgründe: Der OGH hielt fest, dass der Betreiber eines Internet-Diskussionsforums  in Rechtsprechung und Lehre als Host-Provider anerkannt ist und hierin ein wesentlicher Unterschied zu dem Erkenntnis 4 Ob 41/09x läge, da hier ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Betreiber einer Website bzw. eines darauf enthaltenen Diskussionsportals erhoben werde. Das Telekommunikationsrecht kenne den Begriff des Host-Providers nicht. Datenschutzkommission und VwGH gehen davon aus, dass der Betreiber eines Internet-Chat-Forums kein Telekommunikationsdienstebetreiber ist,[10] weshalb die Vorschriften des TKG auf Betreiber eines Internet-Diskussionsforums nicht anzuwenden sind.

Zu einem etwaigen Anspruch nach § 18 Abs. 4 ECG hielt der OGH fest, dass die Klägerin zwar das überwiegende rechtliche Interesse an der Feststellung der Identität des Posters „Bundesheer-Fan“ und einen rechtswidrigen Sachverhalt glaubhaft gemacht habe, doch sei fraglich, ob die Klägerin nach einer allfälligen Bekanntgabe der IP-Adresse in einem weiteren Schritt oder mehreren weiteren Schritten auf legalem Weg den Inhaber dieser IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt herausfinden könnte. Gelänge ihr dies nicht, so fehle es an der nach § 18 Abs. 4 ECG glaubhaft zu machenden Voraussetzung, dass die Kenntnis dieser Information eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet.

Aufgrund der unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes hatte der OGH davon auszugehen, dass es sich bei der fraglichen IP-Adresse um eine dynamische handle. Daher hatte sich der OGH mit der Frage der Zulässigkeit der Verarbeitung von Verkehrsdaten durch einen Access-Provider zu beschäftigen. Wie schon in der Entscheidung des 4. Senats zu 4 Ob 41/09x hielt der OGH fest, dass Access-Providing ein Telekommunikationsdienst im Sinne der § 3 Ziff. 9 TKG bzw. Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 RL 2002/58/EG i.V.m. Art. 2 Buchst. c, ErwGr 10 RL 2002/21/EG ist. Daher sind auf Access-Provider die Datenschutzvorschriften der RL 2002/58/EG sowie der §§ 92 ff. TKG jedenfalls anwendbar.

Somit würde der Access-Provider gegen die in den §§ 92 ff. TKG normierten Pflichten verstoßen, wenn er nach Bekanntgabe der dynamischen IP-Adresse des Posters „Bundesheer-Fan“ durch die Klägerin die Identität dieses Posters preisgäbe. Die Klägerin könne also mit der IP-Adresse des Posters „Bundesheer-Fan“ auf legalem Weg Namen und Adresse des Posters nicht erlangen. Es fehle daher für den Auskunftsanspruch nach § 18 Abs. 4 ECG an der Voraussetzung, dass die Kenntnis der IP-Adresse eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet.

4) Ermittlung der IP-Adresse bei „offener Kommunikation“ zulässig (VfGH vom 29.06.2012, B 1031/11‐20)

Sachverhalt: Anfang November 2009 kommunizierte der Beschwerdeführer von seinem PC aus im Internet unter einem „Nicknamen“ (oder englisch „nickname“) in einem auf sexuelle Kontakte spezialisierten Chatroom mit der ihm zugeteilten IP‐Adresse. Hierbei erweckte er bei einem Chatpartner den Eindruck, unmündige Personen für sexuelle Handlungen anzubieten. Dieser Sachverhalt wurde dem Landeskriminalamt Wien unter Bekanntgabe der Internetseite und des vom Beschwerdeführer verwendeten „Nicknamen“ bekanntgegeben. Es wurde von einer konkret und unmittelbar drohenden Gefahr für die Sicherheit Unmündiger ausgegangen, weshalb die zuständigen Beamten gemäß § 53 Abs. 3a Ziff. 2 und 3 Sicherheitsgesetz im Wege einer „Whois“‐Abfrage den Provider, dem die IP‐Adresse innerhalb eines Adressenblocks zugeordnet war, und über diesen schließlich Namen und Adresse des Beschwerdeführers als Anschlussinhaber und Benutzer ausforschten. Auf dieser Grundlage wurde er gemeinsam mit einer Reihe weiterer Personen wegen des Verdachts der versuchten Bestimmung zum schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen sowie zur entgeltlichen Förderung fremder Unzucht (§§ 15, 12 i.V.m. § 206 und § 214 StGB) bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt.

Der Beschwerdeführer brachte gegen die Bundespolizeidirektion Wien und gegen das Landespolizeikommando Wien (LPK Wien) bei der Datenschutzkommission Beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten ein, in der er einen Eingriff in das gemäß Art. 10a StGG verfassungsgesetzlich geschützte Fernmeldegeheimnis behauptete und das Fehlen einer bei verfassungskonformem Verständnis des § 53 Abs. 3a Ziff. 2 Sicherheitspolizeigesetz (in der Folge kurz: SPG) bzw. mit Blick auf § 18 Abs. 2 ECG erforderlichen gerichtlichen Bewilligung rügte. Bei der IP‐Adresse und Benutzernamen handle es sich um Verkehrsdaten im Sinne des § 92 Abs. 3 Ziff. 4 TKG 2003. Da der Betreiber des Chatrooms für die Ermittlung dieser Daten seine „Logfiles“ durchsuchen müsse, würden die verlangten Auskünfte dem Richtervorbehalt des Art. 10a StGG unterliegen; diese Verfassungsbestimmung gelte auch für Stammdaten.

Bei einer verfassungskonformen Interpretation des § 53 Abs. 3a Ziff. 2 SPG sei dieser Paragraph so zu verstehen, dass zumindest die Ermittlung von IP‐Adressen einer gerichtlichen Bewilligung bedürfe.

Die Datenschutzkommission legte die Verwaltungsakten an den österreichischen Verfassungsgerichtshof (in der Folge kurz: VfGH) vor, da ihr keine Entscheidungsbefugnis in Bezug auf allfällige Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis zukomme und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Entscheidungsgründe: Der VfGH entschied, dass die Bestimmungen des § 53 Abs. 3a Ziff. 2 SPG und aus folgenden Gründen nicht in den Schutz des Fernmeldegeheimnisses im Sinne des Art. 10a StGG eingreifen:

Ob eine im Wege des Internets übermittelte Nachricht vom Schutzbereich des Art. 10a StGG erfasst ist, hänge davon ab, ob es sich um eine Kommunikation handelt, die dem Telegraphen‐ und Fernmeldeverkehr entspricht. Dabei handelt es sich um ein mit dem Briefgeheimnis „verwandtes Recht“, das die Vertraulichkeit aller „nicht für die Öffentlichkeit bestimmten, im Wege des Fernmeldeverkehrs übermittelten Nachrichten oder Mitteilungen“ schützt. Dabei kommt es auf die Bestimmung der Information für „eine konkrete Person“ an, und nicht darauf, ob die Nachricht allgemein bekannt geworden ist. „Maßnahmen der rein technischen Überwachung des Fernmeldeverkehrs“ stellen keine Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis dar, weil „ein geordneter und sicher funktionierender Fernmeldeverkehr ohne entsprechende betriebliche und technische Aufsicht nicht denkbar“ sei. Dem Schutz unterliegt daher – wie beim Briefgeheimnis, das die Vertraulichkeit des Briefinhaltes garantiert – der weitergegebene Gedankeninhalt, ohne äußere Gesprächsdaten zu erfassen.

Daraus lasse sich der Schluss ziehen, der Nachrichtenaustausch sei jedenfalls dann geschützt, wenn bestimmte Teilnehmer miteinander kommunizieren wollen und die Nachricht jeweils nur für diese Teilnehmer bestimmt ist, es sich also um eine sogenannte geschlossene Kommunikation – wie etwa bei einem E‐Mail‐Verkehr – handle. Daraus folge, dass Art. 10a StGG zwar die Vertraulichkeit des Inhalts der über Telekommunikation weitergegebenen Nachricht schütze, nicht aber sämtliche andere damit zusammenhängende Daten.

Gemäß § 53 Abs. 3a Ziff. 2 SPG ist den Sicherheitsbehörden die Ausforschung einer IP‐Adresse ausschließlich auf Grund einer bestimmten, ihnen durch Mitteilung eines Kommunikationspartners oder durch offene, jedermann zugängliche Internetkommunikation bekannt gewordenen Nachricht erlaubt. Sobald der Inhalt einer solchen Nachricht von den Sicherheitsbehörden aus einer offenen Kommunikation rechtmäßig ermittelt wurde oder aus einer geschlossenen Kommunikation von einem der Teilnehmer der Sicherheitsbehörde zugänglich gemacht wurde, sind die so ermittelten (Einzel‐)Daten nicht vom Schutzbereich des Art. 10a StGG erfasst, sodass die Übermittlung der Verkehrsdaten und so möglich gewordene Ermittlung jener Personen, die an dem Nachrichtenverkehr teilgenommen haben, nicht als Eingriff in das Fernmeldegeheimnis zu qualifizieren ist.

Dies ermächtigt jedoch von vornherein weder zur geheimen Überwachung des Internetverkehrs oder den Zugang zu einer Nachricht aus einem geschlossenen Internetforum noch ermächtigen sie zur vorsorglichen anlasslosen Speicherung oder zur systematischen Verknüpfung von Datensträngen. Der Betreiber dürfe vielmehr bloß punktuelle Auskünfte erteilen, die keinen Rückschluss auf andere, nicht bekannte Inhalte erlauben. Doch sei auch diese Grenze nicht überschritten worden.

Es liegt auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Datenschutz gemäß § 1 Abs. 2 DSG 2000 vor. Denn Eingriffe einer staatlichen Behörde aufgrund eines Gesetzes, die aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Gründen notwendig sind und die ausreichend präzise regeln, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw. die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben erlaubt sind, wird durch § 53 Abs. 3a Ziff. 2 und 3 SPG Rechnung getragen. Auch eine richterliche Genehmigung staatlicher Überwachungsmaßnahmen ist durch Art. 8 EMRK nicht geboten.

5) Entziehung der Gewerbeberechtigung

Einem gewerblichen Vermögensberater wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 26.01.2012 die Gewerbeberechtigung „Gewerbliche Vermögensberatung mit Berechtigung zur Vermittlung von Lebens- und Unfallversicherungen in der Form Versicherungsmakler und Berater in Versicherungs-Angelegenheiten“ entzogen.

Über den Vermögensberater waren im Zeitraum von Oktober 2009 bis April 2011 aus seiner Tätigkeit als gewerberechtlicher Geschäftsführer eines Vermögensberatergewerbes fünf rechtskräftige Verwaltungsstrafen und aus der Tätigkeit seines eigenen Vermögensberatergewerbes drei rechtskräftige Verwaltungsstrafen, also insgesamt acht Verwaltungsstrafen, verhängt worden.

Der Vermögensberater hatte im Zuge von angebotenen Vermittlungen von Personalkrediten Unterlagen für die Gewährung eines Kredites (Informationen über die Kreditkonditionen wie Ratenhöhe, Zinsen und Kreditdauer) gegen eine Nachnahmegebühr als Provisionsvorschuss an die Kreditwerber übermittelt. Damit hat er gegen § 367 Ziff. 22 und § 69 Abs. 2 Gewerbeordnung 1994 (in der Folge kurz: GewO) i.V.m. den §§ 2 und 3 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Standes- und Ausübungsregeln für das Gewerbe der Personalkreditvermittler und § 7 Abs. 1 Maklergesetz verstoßen. Diese Bestimmungen untersagen die Verrechnung einer Nachnahmegebühr als Provisionsvorschuss an die Kreditwerber, da der Anspruch auf Provision erst mit der Rechtswirksamkeit des vermittelten Geschäftes entsteht und der Personalkreditvermittler keinen Anspruch auf einen Vorschuss hat.

Ein ähnlich gelagerter Sachverhalt hat auch zu einer gerichtlichen Verurteilung des Vermögensberaters geführt. Mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom 05.10.2010 war der Vermögensberater wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB für schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt worden. Er habe im Frühjahr 2010 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten einer getäuschten Person unrechtmäßig zu bereichern, eine Person durch Täuschung über Tatsachen, nämlich mit dem falschen Versprechen, ihr werde ein Kredit vermittelt, zur Einzahlung einer Nachnahmegebühr für die Übersendung von Unterlagen, sohin zu einer Handlung veranlasst, die diese Person an ihrem Vermögen geschädigt hat.

Eine Berufung gegen dieses Urteil wurde mit Urteil vom 11.04.2011 abgewiesen und u.a. damit begründet, dass die Tat einen bedeutenden Handlungsunwert aufweise, weil es dazu einer raffinierten Vorgangsweise bedurft habe. Dem Vermögensberater wurde eine Überzeugungstäterschaft bescheinigt, weil er bis zum Ende der Berufungsverhandlung hartnäckig seine betrügerische Vorgangsweise geleugnet und wortreich versucht habe, dies als gewöhnliche Vermögensberatung darzustellen.

Nach der GewO ist (neben speziellen taxativ aufgezählten gerichtlichen Verurteilungen) gem. § 13 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. b von der Ausübung eines Gewerbes ausgeschlossen, wer „wegen einer sonstigen strafbaren Handlung zu einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen“ verurteilt wurde, solange die Verurteilung nicht getilgt ist.

Dieser Ausschlussgrund von der Gewerbeausübung war mit dem bezirksgerichtlichen Urteil vom 05.10 2010 nicht verwirklicht worden, da lediglich eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen verhängt worden war.

Dem Vermögensberater wurde die Gewerbeberechtigung mit Bescheid vom 26.01.2012 aber auf anderer gesetzlicher Grundlage, nämlich des § 87 Abs. 1 Ziff. 3 GewO, entzogen. Nach dieser Bestimmung ist die Gewerbeberechtigung von der Behörde zu entziehen, „wenn der Gewerbeinhaber infolge schwerwiegender Verstöße gegen die im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen, insbesondere auch zur Wahrung des Ansehens des Berufsstandes, die für die Ausübung dieses Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt“.

Der Entzug der Gewerbeberechtigung wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer auch nach der Verurteilung durch das Bezirksgericht am 05.10.2010 wegen der gleichen standeswidrigen Geschäftspraxis, aufgrund derer die Behörde erster Instanz bereits sechs Strafen ausgesprochen habe, kein Einsehen erkennen lassen, weshalb er wiederum habe bestraft werden müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof (in der Folge kurz: VwGH) hatte über eine Beschwerde des Vermögensberaters gegen den Bescheid vom 26.01.2012 zu erkennen, mit dem dem Vermögensberater die Gewerbeberechtigung entzogen worden war.

Der VwGH hat zum Entziehungstatbestand des § 87 Abs. 1 Ziff. 3 GewO 1994 auf die Gesetzesmaterialien verwiesen, nach denen ein Verstoß dann als schwerwiegend anzusehen ist, „wenn er geeignet ist, das Ansehen des betreffenden Berufszweiges herabzusetzen; außerdem muss es sich um Verstöße gegen Rechtsvorschriften und Schutzinteressen handeln, die bei der Ausübung gerade des gegenständlichen Gewerbes „besonders“ zu beachten sind, wozu etwa Verstöße gegen die Ausübungs- und Standesregeln gehören.“

Bei der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über Standes- und Ausübungsregeln für das Gewerbe der Personalkreditvermittler[11] , deren Bestimmungen nach §§ 2 und 3 der Vermögensberater ausgehend von seinen rechtskräftigen Bestrafungen übertreten hat, handelt es sich gerade um derartige, nach § 69 Abs. 2 GewO erlassene Ausübungs- und Standesregeln.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kann das in § 87 Abs. 1 Ziff. 3 GewO enthaltene Tatbestandsmerkmal der „schwerwiegenden Verstöße“ nicht nur durch an sich als schwerwiegend zu beurteilende Verstöße erfüllt werden, sondern auch durch eine Vielzahl geringfügiger Verletzungen der im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften. Entscheidend ist somit, dass sich aus dieser Vielzahl unter Berücksichtigung der Art der verletzten Schutzinteressen und der Schwere ihrer Verletzung der Schluss ziehen lässt, der Gewerbetreibende sei nicht mehr als zuverlässig anzusehen.

Die Beschwerde des Vermögensberaters gegen den Entzug seiner Gewerbeberechtigung wurde vom VwGH daher abgewiesen.[12]

6) Zustellvollmacht in Abgabensachen

Das Finanzamt für Gebühren, Verkehrssteuern und Glücksspiel hat in einer Aussendung Anfang 2012 darauf hingewiesen, dass mit der Umstellung von sogenannten Einmal- auf Dauerkonten Anfang 2011 von der in § 213 Abs. 2 BAO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht worden sei, künftig auch nicht wiederkehrend zu erhebende Abgaben zusammengefasst zu verbuchen. Seither bestehen für jeden Abgabenpflichtigen nur noch Dauerkonten.

Daraus ergibt sich dem Finanzamt zufolge i.V.m. § 103 Abs. 2 BAO, dass eine bekanntgegebene Zustellvollmacht unwirksam ist, wenn sie ausdrücklich auf ein bestimmtes Abgabenverfahren beschränkt ist. Erledigungen werden zukünftig nur mehr dann an den Bevollmächtigten zugestellt, wenn die Vollmacht nach der Aktenlage für die Zustellung aller Erledigungen der zusammengefasst verbuchten Abgaben erteilt wurde. In diesem Fall erfolgt die Zustellung sämtlicher Erledigungen aller gemeinsam verbuchten Abgaben an den Bevollmächtigten.

Gibt es mehrere Zustellbevollmächtigte, gelte die Zustellung gem. § 9 Abs. 4 S. 2 Zustellgesetz als bewirkt, sobald sie an einen der Zustellbevollmächtigten vorgenommen worden ist. Auch wenn vom Vertragserrichter eine uneingeschränkte Zustellvollmacht bekannt gegeben wurde, erlischt die Zustellvollmacht des anderen Zustellbevollmächtigten nicht automatisch.

[1] Krekeler/Werner, Unternehmer und Strafrecht, Rn. 774.

[2] Die in diesem Artikel angeführten Rechtsnormen beziehen sich auf die österreichische Rechtsordnung, sofern im Einzelnen nicht ausdrücklich auf andere Rechtsordnungen verwiesen wird.

[3] Vgl. RIS- Justiz RS0117263; Ratz, WK-StPO § 281 Rz. 351.

[4] Entscheidungstext OGH 07.02.2011, 16 Ok 7/10.

[5] EvBl. 1966/147.

[6] OGH 20.03.2012, 5 Ob 25/12 f ZAK 2012/305, 154 (Heft 8).

[7] G 85, 86/11-17, V 77-81/11-17.

[8] Anmerkung 6 zu TP 15 GGG idF BGBl. I 2009/52 und BGBl. II 2009/188 sowie § 29a GGG i.d.F. BGBl. I 2008/100.

[9] BGBl. I 2011/112, seit 1. 1. 2012 in Kraft.

[10] BGBl. Nr. 35/2012 vom 24.04.2012.

[11] DSK 03.10.2007, K121.279/0017-DSK/2007; VwGH 27.05.2009, 2007/05/0280.

[12] BGBl. Nr. 505/1996.

[13] Gz. 2012/04/0026 vom 18.06.2012.

Autorinnen und Autoren

  • Mag. Katrin Ehrbar
    RA Mag. Katrin Ehrbar verfügt über jahrelange Erfahrung in der Führung auch sehr komplexer, grenzüberschreitender, multijurisdiktioneller, strafrechtlicher und zivilrechtlicher Prozesse. Sie hat in den renommierten Wirtschaftsgroßkanzleien DLA Piper Weiss Tessbach und Wolf Theiss viele Jahre bekannte Wirtschaftsstrafcausen betreut und sich 2009 mit einer Rechtsanwaltskanzlei, spezialisiert auf Wirtschaftsstrafrecht, selbständig gemacht.
  • Mag. Phillip Bischof
    RA Mag. Josef Phillip Bischof ist selbständiger Rechtsanwalt in Wien, Gründungs- und Vorstandsmitglied der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen, Generalsekretär des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie, langjähriger Verteidiger in Straf- und Wirtschaftsstrafsachen. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er durch Filme bzw. Dokumentationen über aufsehenerregende Prozesse, in denen er als Verteidiger auftrat, wie „Operation spring“ oder „der Prozess“, bekannt.
  • Mag. Julian Korisek
    RA Mag. Julian Korisek MBA, LL.M.ist Rechtsanwaltsanwärter in der Rechtsanwaltskanzlei Ehrbar. Er betreut schwerpunktmäßig Finanzdienstleistungsunternehmen im Bereich Compliance und Geldwäscheprävention, einschließlich deren Vertretung in aufsichtsrechtlichen und gerichtlichen Verfahren. Julian Korisek ist geprüfter Börsehändler (Börsehändlerdiplom Kassa-und Terminmarkt der Wiener Börse AG) und legte die Befähigungsprüfung für gewerbliche Vermögensberatung ab. Er hat mehr als 10 Jahre Erfahrung als Top-Bankenjurist.
  • Anna Katharina Radschek
    RAA Mag. Anna Katharina Radschek ist Rechtsanwaltsanwärterin in der Rechtsanwaltskanzlei Ehrbar. Sie ist Mitglied der YAAP (Young Austrian Arbitration Practitioners) und nahm als Mitglied des Teams der Juridischen Fakultät der Universität Wien am Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot Court 2010/11 teil. Den Schwerpunkt ihrer Ausbildung legt Anna Katharina Radschek auf internationales Recht und absolvierte die Zusatzausbildung ILPL (International Legal Practice and Language).
  • cand. Iur. Katharina Biowski
    Katharina Biowski ist iuristische Mitarbeiterin in der Rechtsanwaltskanzlei Ehrbar. Zusätzlich zum Studium der Rechtswissenschaften absolviert sie das Studium der Internationalen Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien. Während ihres Rechtsstudiums arbeitete sie als Studienassistentin am Institut für Strafrecht und Kriminologie für den Institutsvorstand o. Univ.-Prof. Dr. Helmut Fuchs.

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)