Folker Bittmann

WisteV-Standards

Fortsetzung aus WiJ 1/2012, S. 62 – 80 (Themenblöcke 1 – 3); WiJ 2/2012, S. 142 – 148 (Themenblöcke 4 – 6) und WiJ 3/2012, S. 213 – 220 (Themenblöcke 7 – 9)

In der WiJ werden aktuelle Thesen und Fragestellungen von Folker Bittmann, Dessau-Roßlauer Leitender Oberstaatsanwalt, in aufbereiteter und von ihm redaktionell verantworteter Form vorgestellt. Sie versuchen, den innerhalb von WisteV erzielten Diskussionsstand repräsentativ widerzuspiegeln, können aber nicht durchweg Ergebnis eines vereinsweiten Diskussionsprozesses sein. Sie stellen schon deshalb nie unverrückbare Endpunkte dar.

Vielmehr sind die Leser, ob WisteV-Mitglieder oder nicht, aufgerufen, sich am steten Prozess der Aktualisierung und Weiterentwicklung zu beteiligen und sich unter Angabe ihres Berufes zu einzelnen, bereits benannten oder auch zusätzlichen Aspekten zu positionieren. Im besten Falle findet so eine permanente Qualifizierung statt, die allen Interessierten eine verlässliche Orientierung bietet.

Anregungen, Kritik oder Widerspruch können gerichtet werden an: standards@wi-j.de.

WisteV ist ein Zusammenschluss verschiedener am Wirtschaftsstrafrecht beteiligter Berufsgruppen. Das bietet den Vorteil, Themen aus unterschiedlicher Sicht betrachten zu können. Auch damit wird es allerdings nicht gelingen, in jeglicher Hinsicht Konsens herzustellen. Bereits das Anstreben eines solchen Zieles wäre von vorn herein, weil völlig unrealistisch, zum Scheitern verurteilt. Aber mehr Klarheit zu schaffen, hinsichtlich des Trennenden wie des Gemeinsamen, erscheint als wünschenswert, sinnvoll und vor allem erreichbar. Ungewissheiten mögen zwar den professionell am Wirtschaftsstrafrecht Beteiligten aus unterschiedlichen bis gegensätzlichen Gründen durchaus zupass kommen, weil dabei die Chance argumentativer Beeinflussung des Ergebnisses größer ist als beim Bewegen auf gesichertem Terrain. Aber derjenige, der sich fragt, wie er auf rechtmäßige Weise ein (wirtschaftliches) Ziel erreichen kann, der hat keinerlei Interesse an Ungewissheiten. Er strebt nach einem ‚safe harbour‘. Dieses Interesse ist völlig legitim: in einer freiheitlichen Gesellschaft darf – prinzipiell, trotz des faktisch erforderlichen Freischwimmens in einem Meer <und Mehr!> aus Bürokratie – frei gehandelt und damit auch frei gewirtschaftet werden. Um von dieser Freiheit innerhalb des legalen Rahmens Gebrauch machen zu können, bedarf es der Rechtssicherheit. Diese wird in einer sich wandelnden Welt immer nur partiell erreicht werden können. Das stellt die Sinnhaftigkeit dieses Ziels allerdings nicht in Frage.

WisteV hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, für möglichst viele Themenfelder Standards dergestalt zu entwickeln, dass einerseits Konsentiertes und andererseits Kontroverses formuliert wird. Geeignete Ausgangspunkte sind WisteV-Veranstaltungen zu aktuellen Themen. Deshalb sind insbesondere diejenigen, die Regional- oder Facharbeitskreis-Veranstaltungen organisieren, aufgerufen, das Diskutierte in diesen beiden Kategorien möglichst tiefgehend zusammenzufassen. Es ist allerdings auch ohne weiteres denkbar, derartige Aufstellungen auch aus anderem Anlass zu formulieren.

Die vorliegende Ausgabe des WiJ enthält keine neuen Themenblöcke. Zum Themenblock 8 (WiJ 2012, 216 – 218) hat jedoch der WisteV Arbeitskreis Compliance, Fraud und Investigations aufgrund seiner Treffen in Frankfurt am Main am 15.11.2011 und 21.3.2012 sowie in Bonn am 14.6.2012 folgende Ergänzungsvorschläge erarbeitet (breits abgedruckte Thesen sind farblich in grau abgesetzt):

8) Themenblock: Compliance

a) Begriffliches (siehe WiJ 4/2012, S. 216)

b) Compliance im engeren Sinne

8. Zwingende Vorschriften an die Organisation gibt es nur ausnahmsweise (AktG, KWG, WpHG). Die Gestaltung ist weitgehend frei. In Betracht kommen

  • Unternehmensrichtlinien mit Verhaltenskodices, z.B. Compliance-Richtlinien,
  • die Bestellung eines Compliance-Officers,
  • der Aufbau einer Compliance-Abteilung,
  • die Übertragung der Aufgaben auf die bestehende Innenrevision,
  • die Übernahme seitens der Geschäftsleitung selbst (in kleineren Unternehmen),
  • Information, Schulung und Beratung der Verantwortlichen wie der Mitarbeiter,
  • Rotation,
  • Vier-Augen-Prinzip
  • Kontrollmaßnahmen (Auswertung von Beschäftigtendaten, akustische und optische Überwachung, Ombudsmann, Whistleblowing).
  • Schulungen

Der weitgehend freie Gestaltungsrahmen wird jedoch jedoch eingeschränkt durch die Notwendigkeit, bereichsspezifische Regelungen einzuhalten, z.B.

  • BaFin, Rundschreiben 4/2010 [WA] vom 14.6.2011 – Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen [MaComp].
  • aus dem Ausland: Ministry of Justice, Bribery Act 2010 Guidance, 2011.

Zum Thema Internal Investigations hat sich der Arbeitskreis auf folgende ausdifferenziertere Fassung verständigt:

c) Internal Investigations

1. Internal Investigations als Aufarbeitung möglicherweise begangener Regelverstöße richten den Blick in die Vergangenheit.

2. Bei einem Verdacht auf Verstöße gegen gesetzliche und/oder unternehmensinterne Regelungen sind die Geschäftsleitungs- bzw. Überwachungsorgane regelmäßig aufgrund ihrer Pflicht, eine Schädigung des Unternehmens abzuwenden oder zu begrenzen (unter anderem gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG), zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Die Sachverhaltsaufklärung muss dazu bestimmt und erforderlich sein, zukünftige Pflichtverletzungen zu vermeiden, das Bestehen oder Nichtbestehen von Schadensersatzansprüchen festzustellen und/oder Imageschäden zu vermeiden.

3. Internal Investigations sind eine Form der Sachverhaltsaufklärung. Daneben besteht die Möglichkeit einer Straf- oder Ordnungswidrigkeitenanzeige. In der Regel besteht für das Geschäftsleitungs- oder Überwachungsorgan keine unmittelbare Pflicht zur Anzeige eines Verdachts bei der Staatsanwaltschaft oder einer anderen Behörde (anders z. B. in Fällen des § 8 GwG und § 10 WpHG).

4. Der Umfang von Internal Investigations richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls:

  • Bedeutung des (potentiellen) Regelverstoßes (Verstoß gegen unternehmensinterne Richtlinie; Straftat oder Ordnungswidrigkeit; Hinweise auf „Systemfehler“; Verschuldensgrad; Höhe des eingetretenen Schadens),
  • Schwere des Verdachts,
  • bereits vorhandenes Wissen und zur Verfügung stehende Informationsquellen (z. B. aus Ermittlungsverfahren oder „Parallelprozessen“),
  • abstrakt und konkret drohende Folgen für das Unternehmen,
  • Regelungsfähigkeit und wirtschaftliche Realisierbarkeit von Schadensersatzansprüchen,
  • Kosten der Internal Investigations.

5. Das Geschäftsleitungsorgan kann die Zuständigkeit für Internal Investigations im Unternehmen an geeignete Stellen – unbeschadet seiner Gesamtverantwortung – delegieren. Besteht der Verdacht gegen das Geschäftsleitungsorgan oder eines seiner Mitglieder, liegt die Zuständigkeit bei dem Überwachungsorgan. Die Zuständigkeit des Überwachungsorgans ist regelmäßig begründet, wo wegen einer besonderen gesetzlichen Einstandshaftung der Verdacht eines Regelverstoßes sich stets gegen ein Geschäftsleitungsmitglied richtet (z. B. dem Ausfuhrverantwortlichen im Außenwirtschaftsrecht).

6. Bei Internal Investigations werden Externe eingeschaltet, um entweder bereits bekannte oder (nur oder auch) vermutete Regelverstöße durch Unbeteiligte mit vorhandenem Spezialwissen aufzuklären.

7. Soweit Internal Investigations mit der Erhebung personenbezogener Daten verbunden sind, unterliegen sie stets den Anforderungen des Bundesdatenschutzgesetzes, und zwar auch wenn es sich um keine automatisierte Datenverarbeitung handelt (§ 32 Abs. 2 BDSG). Daneben können weitere Verbotstatbestände zu beachten sein (StGB, TKG).

7. Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungserfordernisse sind einzuhalten.

8. Internal Investigations müssen auf die Feststellung der Wahrheit gerichtet sein und dürfen nicht der „Steuerung“ späterer Strafverfahren dienen.

9. Auf bekannt werdende Informationen ist sachgerecht zu reagieren (Organisatorische, ggf. personelle Konsequenzen, Verfolgung zivilrechtlicher Haftungsansprüche, <Verdachts->Kündigung, steuerliche Selbstanzeige, evtl. Übermittlung der Erkenntnisse <nebst Unterlagen> an Strafverfolgungsbehörden (z.B. zwecks Ergreifen vermögensabschöpfender Maßnahmen).

10. Internal Investigations können behindert werden durch ein geringeres Aufklärungsinteresse in solchen Unternehmen, in denen bereits ein objektiver Rechtsverstoß eine Verantwortlichkeit eines Geschäftsleitungsmitglieds auslöst (Einstandshaftung) und der daran anknüpfende Verdacht fehlender Zuverlässigkeit wiederum eine verwaltungsrechtliche Suspendierung laufender Genehmigungsverfahren zur Folge hat (z. B. bei einem Ausfuhrverantwortlichen im Außenwirtschaftsrecht).

11. Internal Investigations begegnen immer größer werdenden (elektronischen) Datenmengen. Die Auswertung erfordert die Verwendung von IT-Systemen, um Zeit, Kosten und andere Ressourcen für die Beweisermittlung und Datenverarbeitung zu minimieren. Softwarelösungen können Vertraulichkeit, Integrität und Schutz vor Manipulation fallbezogener Daten sicherstellen. Die sinnvolle Verwendung von IT-Systemen verlangt jedoch vorab Kenntnis und Lokalisierung der Daten, die für die Sachverhaltsaufarbeitung relevant sind.

Verwertung und Verwendung in Strafverfahren

12. Eine Verfügungsbefugnis über Beweismittel, die während einer internen Ermittlung gewonnen wurden, hat ein Unternehmen nicht, wenn es Strafanzeige wegen eines Offizialdelikts erhebt.

13. Vertraulichkeitszusagen privater Vernehmungspersonen binden staatliche Ermittlungsbehörden nicht. Jedoch kann der Betroffene ein Auskunftsverweigungsrecht als „gefährdeter Zeuge“ (§ 55 StPO) haben.

14. Der bei einer internen Ermittlung von einer privaten Vernehmungsperson befragte Beschäftigte erlangt nicht den strafprozessualen Beschuldigtenstatus.

Kontrovers:

Frage 1: Gestattet das Datenschutzrecht interne Ermittlungen bereits bei Vorliegen einer Einwilligung des Betroffenen unerachtet einer weiteren Interessenabwägung?

Frage 2: Kann ein Geschäftsleitungs- oder Überwachungsorgan seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung auch (und ausschließlich) durch Veranlassung eines Ermittlungsverfahrens (Straf- oder Ordnungswidrigkeitenanzeige) erfüllen? Ist das Organ durch ein vorhandenes Ermittlungsverfahren seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung – dauerhaft oder einstweilen bis zum Abschluss des Verfahrens – enthoben?

Frage 3: Gibt es Umstände, unter denen ein Geschäftsleitungs- oder Überwachungsorgan den Verdacht einer Straftat der Staatsanwaltschaft oder einer anderen Behörde allein im Unternehmensinteresse anzuzeigen hat (etwa um die Einleitung eines zu erwartenden Ermittlungsverfahrens zu verhindern oder staatliche Zwangsmittel für eine anderweitig unmögliche Sachverhaltsaufklärung zu veranlassen)?

Frage 4: Besteht eine Auskunftspflicht auch bezüglich eigener (auch in unterlassener Überwachung bestehender) Rechtsverstöße, gar strafbarer Handlungen?

Frage 5: Sind auf arbeits- oder gesellschaftsvertraglicher Basis pflichtgemäß erteilte Informationen strafprozessual verwertbar?

Frage 6: Wenn solche Angaben nicht verwertbar sein sollten, besteht dann auch ein darüber hinausgehendes strafprozessuales Verwendungsverbot?

Frage 7: Bestehen etwaige strafprozessuale Verwertungs- oder Verwendungsverbote nur im Verhältnis zum Aussagenden? Ist eventuell auch danach zu differenzieren, ob ein oder mehrere Ermittlungs- bzw. Strafverfahren geführt werden?

[:en]

Fortsetzung aus WiJ 1/2012, S. 62 – 80 (Themenblöcke 1 – 3); WiJ 2/2012, S. 142 – 148 (Themenblöcke 4 – 6) und WiJ 3/2012, S. 213 – 220 (Themenblöcke 7 – 9)

In der WiJ werden aktuelle Thesen und Fragestellungen von Folker Bittmann, Dessau-Roßlauer Leitender Oberstaatsanwalt, in aufbereiteter und von ihm redaktionell verantworteter Form vorgestellt. Sie versuchen, den innerhalb von WisteV erzielten Diskussionsstand repräsentativ widerzuspiegeln, können aber nicht durchweg Ergebnis eines vereinsweiten Diskussionsprozesses sein. Sie stellen schon deshalb nie unverrückbare Endpunkte dar.

Vielmehr sind die Leser, ob WisteV-Mitglieder oder nicht, aufgerufen, sich am steten Prozess der Aktualisierung und Weiterentwicklung zu beteiligen und sich unter Angabe ihres Berufes zu einzelnen, bereits benannten oder auch zusätzlichen Aspekten zu positionieren. Im besten Falle findet so eine permanente Qualifizierung statt, die allen Interessierten eine verlässliche Orientierung bietet.

Anregungen, Kritik oder Widerspruch können gerichtet werden an: standards@wi-j.de.

WisteV ist ein Zusammenschluss verschiedener am Wirtschaftsstrafrecht beteiligter Berufsgruppen. Das bietet den Vorteil, Themen aus unterschiedlicher Sicht betrachten zu können. Auch damit wird es allerdings nicht gelingen, in jeglicher Hinsicht Konsens herzustellen. Bereits das Anstreben eines solchen Zieles wäre von vorn herein, weil völlig unrealistisch, zum Scheitern verurteilt. Aber mehr Klarheit zu schaffen, hinsichtlich des Trennenden wie des Gemeinsamen, erscheint als wünschenswert, sinnvoll und vor allem erreichbar. Ungewissheiten mögen zwar den professionell am Wirtschaftsstrafrecht Beteiligten aus unterschiedlichen bis gegensätzlichen Gründen durchaus zupass kommen, weil dabei die Chance argumentativer Beeinflussung des Ergebnisses größer ist als beim Bewegen auf gesichertem Terrain. Aber derjenige, der sich fragt, wie er auf rechtmäßige Weise ein (wirtschaftliches) Ziel erreichen kann, der hat keinerlei Interesse an Ungewissheiten. Er strebt nach einem ‚safe harbour‘. Dieses Interesse ist völlig legitim: in einer freiheitlichen Gesellschaft darf – prinzipiell, trotz des faktisch erforderlichen Freischwimmens in einem Meer <und Mehr!> aus Bürokratie – frei gehandelt und damit auch frei gewirtschaftet werden. Um von dieser Freiheit innerhalb des legalen Rahmens Gebrauch machen zu können, bedarf es der Rechtssicherheit. Diese wird in einer sich wandelnden Welt immer nur partiell erreicht werden können. Das stellt die Sinnhaftigkeit dieses Ziels allerdings nicht in Frage.

WisteV hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, für möglichst viele Themenfelder Standards dergestalt zu entwickeln, dass einerseits Konsentiertes und andererseits Kontroverses formuliert wird. Geeignete Ausgangspunkte sind WisteV-Veranstaltungen zu aktuellen Themen. Deshalb sind insbesondere diejenigen, die Regional- oder Facharbeitskreis-Veranstaltungen organisieren, aufgerufen, das Diskutierte in diesen beiden Kategorien möglichst tiefgehend zusammenzufassen. Es ist allerdings auch ohne weiteres denkbar, derartige Aufstellungen auch aus anderem Anlass zu formulieren.

Die vorliegende Ausgabe des WiJ enthält keine neuen Themenblöcke. Zum Themenblock 8 (WiJ 2012, 216 – 218) hat jedoch der WisteV Arbeitskreis Compliance, Fraud und Investigations aufgrund seiner Treffen in Frankfurt am Main am 15.11.2011 und 21.3.2012 sowie in Bonn am 14.6.2012 folgende Ergänzungsvorschläge erarbeitet (breits abgedruckte Thesen sind farblich in grau abgesetzt):

8) Themenblock: Compliance

a) Begriffliches (siehe WiJ 4/2012, S. 216)

b) Compliance im engeren Sinne

8. Zwingende Vorschriften an die Organisation gibt es nur ausnahmsweise (AktG, KWG, WpHG). Die Gestaltung ist weitgehend frei. In Betracht kommen

  • Unternehmensrichtlinien mit Verhaltenskodices, z.B. Compliance-Richtlinien,
  • die Bestellung eines Compliance-Officers,
  • der Aufbau einer Compliance-Abteilung,
  • die Übertragung der Aufgaben auf die bestehende Innenrevision,
  • die Übernahme seitens der Geschäftsleitung selbst (in kleineren Unternehmen),
  • Information, Schulung und Beratung der Verantwortlichen wie der Mitarbeiter,
  • Rotation,
  • Vier-Augen-Prinzip
  • Kontrollmaßnahmen (Auswertung von Beschäftigtendaten, akustische und optische Überwachung, Ombudsmann, Whistleblowing).
  • Schulungen

Der weitgehend freie Gestaltungsrahmen wird jedoch jedoch eingeschränkt durch die Notwendigkeit, bereichsspezifische Regelungen einzuhalten, z.B.

  • BaFin, Rundschreiben 4/2010 [WA] vom 14.6.2011 – Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen [MaComp].
  • aus dem Ausland: Ministry of Justice, Bribery Act 2010 Guidance, 2011.

Zum Thema Internal Investigations hat sich der Arbeitskreis auf folgende ausdifferenziertere Fassung verständigt:

c) Internal Investigations

1. Internal Investigations als Aufarbeitung möglicherweise begangener Regelverstöße richten den Blick in die Vergangenheit.

2. Bei einem Verdacht auf Verstöße gegen gesetzliche und/oder unternehmensinterne Regelungen sind die Geschäftsleitungs- bzw. Überwachungsorgane regelmäßig aufgrund ihrer Pflicht, eine Schädigung des Unternehmens abzuwenden oder zu begrenzen (unter anderem gemäß §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG), zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Die Sachverhaltsaufklärung muss dazu bestimmt und erforderlich sein, zukünftige Pflichtverletzungen zu vermeiden, das Bestehen oder Nichtbestehen von Schadensersatzansprüchen festzustellen und/oder Imageschäden zu vermeiden.

3. Internal Investigations sind eine Form der Sachverhaltsaufklärung. Daneben besteht die Möglichkeit einer Straf- oder Ordnungswidrigkeitenanzeige. In der Regel besteht für das Geschäftsleitungs- oder Überwachungsorgan keine unmittelbare Pflicht zur Anzeige eines Verdachts bei der Staatsanwaltschaft oder einer anderen Behörde (anders z. B. in Fällen des § 8 GwG und § 10 WpHG).

4. Der Umfang von Internal Investigations richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls:

  • Bedeutung des (potentiellen) Regelverstoßes (Verstoß gegen unternehmensinterne Richtlinie; Straftat oder Ordnungswidrigkeit; Hinweise auf „Systemfehler“; Verschuldensgrad; Höhe des eingetretenen Schadens),
  • Schwere des Verdachts,
  • bereits vorhandenes Wissen und zur Verfügung stehende Informationsquellen (z. B. aus Ermittlungsverfahren oder „Parallelprozessen“),
  • abstrakt und konkret drohende Folgen für das Unternehmen,
  • Regelungsfähigkeit und wirtschaftliche Realisierbarkeit von Schadensersatzansprüchen,
  • Kosten der Internal Investigations.

5. Das Geschäftsleitungsorgan kann die Zuständigkeit für Internal Investigations im Unternehmen an geeignete Stellen – unbeschadet seiner Gesamtverantwortung – delegieren. Besteht der Verdacht gegen das Geschäftsleitungsorgan oder eines seiner Mitglieder, liegt die Zuständigkeit bei dem Überwachungsorgan. Die Zuständigkeit des Überwachungsorgans ist regelmäßig begründet, wo wegen einer besonderen gesetzlichen Einstandshaftung der Verdacht eines Regelverstoßes sich stets gegen ein Geschäftsleitungsmitglied richtet (z. B. dem Ausfuhrverantwortlichen im Außenwirtschaftsrecht).

6. Bei Internal Investigations werden Externe eingeschaltet, um entweder bereits bekannte oder (nur oder auch) vermutete Regelverstöße durch Unbeteiligte mit vorhandenem Spezialwissen aufzuklären.

7. Soweit Internal Investigations mit der Erhebung personenbezogener Daten verbunden sind, unterliegen sie stets den Anforderungen des Bundesdatenschutzgesetzes, und zwar auch wenn es sich um keine automatisierte Datenverarbeitung handelt (§ 32 Abs. 2 BDSG). Daneben können weitere Verbotstatbestände zu beachten sein (StGB, TKG).

7. Betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungserfordernisse sind einzuhalten.

8. Internal Investigations müssen auf die Feststellung der Wahrheit gerichtet sein und dürfen nicht der „Steuerung“ späterer Strafverfahren dienen.

9. Auf bekannt werdende Informationen ist sachgerecht zu reagieren (Organisatorische, ggf. personelle Konsequenzen, Verfolgung zivilrechtlicher Haftungsansprüche, <Verdachts->Kündigung, steuerliche Selbstanzeige, evtl. Übermittlung der Erkenntnisse <nebst Unterlagen> an Strafverfolgungsbehörden (z.B. zwecks Ergreifen vermögensabschöpfender Maßnahmen).

10. Internal Investigations können behindert werden durch ein geringeres Aufklärungsinteresse in solchen Unternehmen, in denen bereits ein objektiver Rechtsverstoß eine Verantwortlichkeit eines Geschäftsleitungsmitglieds auslöst (Einstandshaftung) und der daran anknüpfende Verdacht fehlender Zuverlässigkeit wiederum eine verwaltungsrechtliche Suspendierung laufender Genehmigungsverfahren zur Folge hat (z. B. bei einem Ausfuhrverantwortlichen im Außenwirtschaftsrecht).

11. Internal Investigations begegnen immer größer werdenden (elektronischen) Datenmengen. Die Auswertung erfordert die Verwendung von IT-Systemen, um Zeit, Kosten und andere Ressourcen für die Beweisermittlung und Datenverarbeitung zu minimieren. Softwarelösungen können Vertraulichkeit, Integrität und Schutz vor Manipulation fallbezogener Daten sicherstellen. Die sinnvolle Verwendung von IT-Systemen verlangt jedoch vorab Kenntnis und Lokalisierung der Daten, die für die Sachverhaltsaufarbeitung relevant sind.

Verwertung und Verwendung in Strafverfahren

12. Eine Verfügungsbefugnis über Beweismittel, die während einer internen Ermittlung gewonnen wurden, hat ein Unternehmen nicht, wenn es Strafanzeige wegen eines Offizialdelikts erhebt.

13. Vertraulichkeitszusagen privater Vernehmungspersonen binden staatliche Ermittlungsbehörden nicht. Jedoch kann der Betroffene ein Auskunftsverweigungsrecht als „gefährdeter Zeuge“ (§ 55 StPO) haben.

14. Der bei einer internen Ermittlung von einer privaten Vernehmungsperson befragte Beschäftigte erlangt nicht den strafprozessualen Beschuldigtenstatus.

Kontrovers:

Frage 1: Gestattet das Datenschutzrecht interne Ermittlungen bereits bei Vorliegen einer Einwilligung des Betroffenen unerachtet einer weiteren Interessenabwägung?

Frage 2: Kann ein Geschäftsleitungs- oder Überwachungsorgan seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung auch (und ausschließlich) durch Veranlassung eines Ermittlungsverfahrens (Straf- oder Ordnungswidrigkeitenanzeige) erfüllen? Ist das Organ durch ein vorhandenes Ermittlungsverfahren seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung – dauerhaft oder einstweilen bis zum Abschluss des Verfahrens – enthoben?

Frage 3: Gibt es Umstände, unter denen ein Geschäftsleitungs- oder Überwachungsorgan den Verdacht einer Straftat der Staatsanwaltschaft oder einer anderen Behörde allein im Unternehmensinteresse anzuzeigen hat (etwa um die Einleitung eines zu erwartenden Ermittlungsverfahrens zu verhindern oder staatliche Zwangsmittel für eine anderweitig unmögliche Sachverhaltsaufklärung zu veranlassen)?

Frage 4: Besteht eine Auskunftspflicht auch bezüglich eigener (auch in unterlassener Überwachung bestehender) Rechtsverstöße, gar strafbarer Handlungen?

Frage 5: Sind auf arbeits- oder gesellschaftsvertraglicher Basis pflichtgemäß erteilte Informationen strafprozessual verwertbar?

Frage 6: Wenn solche Angaben nicht verwertbar sein sollten, besteht dann auch ein darüber hinausgehendes strafprozessuales Verwendungsverbot?

Frage 7: Bestehen etwaige strafprozessuale Verwertungs- oder Verwendungsverbote nur im Verhältnis zum Aussagenden? Ist eventuell auch danach zu differenzieren, ob ein oder mehrere Ermittlungs- bzw. Strafverfahren geführt werden?

Autorinnen und Autoren

  • Folker Bittmann
    Nach dem ersten Staatsexamen 1980 in Heidelberg und dem zweiten 1985 in Stuttgart war LOStA a.d. Rechtsanwalt Folker Bittmann zunächst kurze Zeit Rechtsanwalt in Heidelberg. 1986 wechselte er zur Staatsanwaltschaft Darmstadt, 1987 zur Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main und übernahm dort nach gut einem halben Jahr ein insolvenzrechtliches Dezernat und 1992 zusätzlich die Koordination der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, bevor ihm 1993 die Leitung der Wirtschafts- und Korruptionsabteilungen der Staatsanwaltschaft Halle übertragen wurde. Seit 2005 leitete er die Staatsanwaltschaft Dessau, seit 2007 Dessau-Roßlau. Seit Sommer 2018 ist er Rechtsanwalt bei verte|rechtsanwälte.

WiJ

  • Dr. Tino Haupt

    Der Zugriff auf Fahrzeugdaten aus strafprozessualer Perspektive

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Florian Neuber

    Verteidigung ohne Grenzen?

    Internationales Strafrecht

  • Dr. Max Schwerdtfeger , Philip N. Kroner

    Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und parallel geführte Wirtschaftsstrafverfahren

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)