Keine Garantenpflicht von Vorstandsmitgliedern oder Geschäftsführern gegenüber Dritten zur Verhinderung von Vermögensschäden
Anm. zu BGH, Urt. v. 10.07.2012 – VI ZR 341/10
Allein aus der Stellung als Geschäftsführer einer GmbH bzw. Mitglied des Vorstands einer AG ergibt sich keine Garantenpflicht gegenüber außenstehenden Dritten, eine Schädigung ihres Vermögens zu verhindern. Die Pflichten aus der Organstellung zur ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte der Gesellschaft aus § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG, zu denen auch die Pflicht gehört, für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft Sorge zu tragen, bestehen grundsätzlich nur dieser gegenüber und lassen bei ihrer Verletzung Schadensersatzansprüche grundsätzlich nur der Gesellschaft entstehen.
BGH, Urt. v. 10.07. 2012 − VI ZR 341/10 (OLG München)
Zum Sachverhalt:
[1] Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der N. AG. Er nimmt die Beklagten zu 2 und 3, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, wegen Beihilfe zu Untreuetaten des Vorstandsvorsitzenden der N. AG auf Schadensersatz in Anspruch.
[2] Die N. AG stellte Markenplüsch- und Geschenkartikel her. Sie stand in langjähriger Geschäftsbeziehung zu der O.-Handelsgesellschaft mbH, die u.a. Markenartikel der N. AG an verschiedene Großabnehmer absetzte. Geschäftsführer der O.-Handelsgesellschaft mbH waren seit ihrer Gründung der Beklagte zu 2 und seit 1999 auch der Beklagte zu 3. Im August 2003 übernahm der Beklagte zu 3, der an der O.-Handelsgesellschaft mbH bis dahin zu 49,43% beteiligt gewesen war, vom Beklagten zu 2 einen (weiteren) Geschäftsanteil von 35,57%. Mit Wirkung vom 28. November 2003 wurde die O.-Handelsgesellschaft mbH durch Formwechsel in eine Aktiengesellschaft – die Beklagte zu 1 – umgewandelt. Ihr Vorstand besteht aus den Beklagten zu 2 und 3.
[3] Im Zeitraum von Oktober 2002 bis August 2003 stellte die O.-Handelsgesellschaft mbH der N. AG elf Warenrechnungen über insgesamt 14.017.462,82 € netto. Die angeblich zugrunde liegenden Forderungen veräußerte sie zum Teil an ein Factoring-Unternehmen und zum Teil an eine Bank. Die N. AG zahlte die Rechnungsbeträge im Zeitraum von Februar bis November 2003 an den Factor bzw. die Bank. Im Zusammenhang mit den Warenrechnungen berechnete die O.-Handelsgesellschaft mbH der N. AG mit elf gesonderten Rechnungen darüber hinaus „Handlinggebühren“ in Höhe von insgesamt 377.509,39 € netto, die die N. AG ebenfalls beglich. Am 1. August 2006 wurde über das Vermögen der N. AG das Insolvenzverfahren eröffnet.
[4] Der Kläger behauptet, der Vorstandsvorsitzende der N. AG, P., habe, um Liquidität zu erzeugen, Scheingeschäfte initiiert. Er habe veranlasst, dass die K. P. GmbH, deren Geschäftsführer sein Bruder war, Rechnungen für die angebliche Lieferung diverser Artikel der N. AG an die Beklagte zu 1 gestellt habe, denen tatsächlich keine Warenlieferung zugrunde gelegen habe. Die Beklagte zu 1 habe die Rechnungen bezahlt und die angeblich gelieferten Artikel absprachegemäß der N. AG mit einem Aufschlag von 10% in Rechnung gestellt. In einzelnen Fällen habe die N. AG die Ware ihrerseits der Firma K. P. GmbH berechnet. Bei den Rechnungen der O.-Handelsgesellschaft mbH über insgesamt 14.017.462,82 € netto und den Handlingrechnungen über insgesamt 377.509,39 € netto handele es sich um derartige Scheinrechnungen für fingierte Warenlieferungen. Dies sei den Beklagten zu 2 und 3 bekannt gewesen.
[5] Mit der vorliegenden Teilklage begehrt der Kläger von den Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldnern die Zahlung eines Betrags in Höhe von 10.000.000 €. Das Landgericht hat die Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 8.333.603,72 € nebst Zinsen zu zahlen, und die Klage gegen die Beklagten zu 2 und 3 im Übrigen abgewiesen. […] Die Berufung der Beklagten zu 2 und 3 hatte keinen Erfolg. Auf die Anschlussberufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts dahin abgeändert, dass die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 10.000.000 € nebst Zinsen verurteilt werden. Mit den vom Senat zugelassenen Revisionen verfolgen die Beklagten zu 2 und 3 ihre Anträge auf Abweisung der Klage in vollemUmfang weiter.
Entscheidungsgründe:
A. [6] Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die Beklagten zu 2 und 3 dem Kläger aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266 Abs. 1, § 27 StGB zum Ausgleich des der N. AG entstandenen Schadens verpflichtet. Die Haupttat, zu der die Beklagten zu 2 und 3 Beihilfe geleistet hätten, sei die von P. begangene Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB). P. habe die ihm als alleinvertretungsberechtigtem Mitglied des Vorstands der N. AG obliegende Vermögensbetreuungspflicht dadurch verletzt, dass er mittels fingierter Geschäftsvorfälle den Abfluss von Vermögensbestandteilen der N. AG initiiert habe. Die N. AG habe auf seine Veranlassung auf Scheinrechnungen der O.Handelsgesellschaft mbH gezahlt, denen keine entsprechenden Forderungen zugrunde gelegen hätten. Durch die pflichtwidrigen Handlungen des P. sei der N. AG ein Schaden entstanden. Denn die Zahlungen seien aus ihrem Vermögen abgeflossen, ohne dass die N. AG einen Gegenwert hierfür erlangt habe. Es sei weder ersichtlich noch dargetan, dass P. ständig Gelder zum Ersatz des Vermögensabflusses bereitgehalten habe oder eine alsbaldige Erstattung der zu Unrecht abgezweigten Mittel aus anderen Gründen sicher habe erwartet werden können. P. habe auch vorsätzlich gehandelt. Ihm sei der Scheincharakter der Rechnungen bekannt gewesen. Durch die Erfassung der fingierten Vorfälle in den Geschäftsunterlagen der N. AG habe er die wahre Sachlage und den wahren wirtschaftlichen Hintergrund verschleiern wollen, der in der Schaffung von Liquidität zu Gunsten der N. AG und der K. P. GmbH bestanden habe. […]
[8] Der Beklagte zu 3 habe Beihilfe durch pflichtwidriges Unterlassen geleistet. Ein aktiver Gehilfenbeitrag könne ihm zwar nicht nachgewiesen werden. Der Beklagte zu 3 habe aber Kenntnis von der Tatsache der Übereinkunft zwischen P. und dem Beklagten zu 2 betreffend die Durchführung von Finanzierungsgeschäften der streitgegenständlichen Art gehabt. Er sei deshalb in seiner Funktion zunächst als Geschäftsführer der O.-Handelsgesellschaft mbH und sodann als Vorstandsmitglied der Beklagten zu 1 dazu verpflichtet gewesen, gegen die Beteiligung an Straftaten aus dem Unternehmensbereich der Beklagten zu 1 heraus einzuschreiten. Die Kenntnis des Beklagten zu 3 von den Absprachen zwischen P. und dem Beklagten zu 2 über die Scheingeschäfte ergebe sich daraus, dass sich der Beklagte zu 3 im Rahmen der Aufstockung seines Geschäftsanteils an der O.-Handelsgesellschaft mbH von 49,43% auf 85% intensiv mit den Geschäften dieser Gesellschaft befasst habe. […]
[9] Zu den zentralen Aufgaben des Beklagten zu 3 als Mitgeschäftsführer oder Vorstandsmitglied zähle die Pflicht, aus dem eigenen Unternehmen entspringende Straftaten zu verhindern. Diese Pflicht habe dem Beklagten zu 3 nicht nur im Innenverhältnis zur Beklagten zu 1, sondern auch gegenüber der N. AG als Vertragspartnerin oblegen. Da der Beklagte zu 3 durch Einschreiten die Durchführung und Fortsetzung der Absprache habe unterbinden können und ihm dies auch zumutbar gewesen sei, sei ihm der Vorwurf der Beihilfe zur Untreue des P. zu machen.
[10] Der infolge der Schutzgesetzverletzung kausal verursachte und deshalb von den Beklagten zu 2 und 3 auszugleichende Schaden bestehe im Umfang der von der N. AG auf die „Luftrechnungen“ und die damit sachlich verknüpften Handlingrechnungen geleisteten Zahlungen in Höhe der Bruttobeträge. Im Umfang der an die N. AG gelangten und dort ungeschmälert verbliebenen Rückflüsse sei allerdings ein gegenzurechnender Vorteil bzw. eine Schadenswiedergutmachung eingetreten. Die einzelnen Vorfälle begründeten jeweils einen eigenen Schadensersatzanspruch in Höhe des Zahlungsabflusses. Nur soweit der jeweils eingetretene Schaden durch einen hierauf bezogenen Zufluss ausgeglichen worden sei, könne der Zufluss Berücksichtigung finden.
[11] B. Diese Erwägungen halten weder den Angriffen der Revision des Bekl. zu 3 noch denen der Revision des Bekl. zu 2 stand.
I. Revision des Bekl. zu 3:
[12] Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des BerGer., der Bekl. zu 3 sei dem Kl. wegen Beihilfe zur Untreue gem. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 266 Abs. 1, 27 StGB zum Schadensersatz verpflichtet. […]
[14] 2. Die getroffenen Feststellungen tragen […] nicht die Annahme, dass der Bekl. zu 3 den Tatbestand der §§ 266 Abs. 1, 27 StGB verwirklicht hat.
[15] a) Gemäß § 27 Abs. 1 StGB ist Gehilfe, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Als Hilfeleistung in diesem Sinne ist grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt dieses Erfolgs in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich (BGH, NJW 2007, 384, 388 f.; StraFo 2011, 332). Dabei leistet auch derjenige dem Täter Hilfe, der die Tatförderung eines (weiteren) Gehilfen unterstützt (vgl. BGH, NJW 2001, 2409, 2410 = NStZ 2001, 364; StraFo 2011, 332, 333 m. w. Nachw.).
[16] b) Das BerGer. hat die für die Annahme von Beihilfe erforderliche, vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat zutreffend in den Untreuetaten des Vorstandsvorsitzenden der N-AG, P, gesehen. Es ist mit Recht davon ausgegangen, dass P durch die gezielte Veranlassung von Zahlungen der N-AG auf Scheinrechnungen der O-Handelsgesellschaft mbH den Tatbestand des §§ 266 Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Hiergegen erhebt die Revision auch keine Beanstandungen.
[17] c) Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Beurteilung des BerGer., der Bekl. zu 3 habe Hilfe zu den Untreuetaten des P geleistet. Nach den Feststellungen des BerGer. hat der Bekl. zu 3 weder P noch den Bekl. zu 2 bei der Tatbegehung aktiv unterstützt, so dass Beihilfe durch positives Tun ausscheidet. Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen auch nicht die Annahme, der Bekl. zu 3 habe Beihilfe durch Unterlassen geleistet.
[18] aa) Ein Unterlassen kann dem positiven Tun gem. § 13 Abs. 1 StGB nur dann gleichgestellt werden, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt, und das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht. Bei den unechten Unterlassungsdelikten muss ein besonderer Rechtsgrund festgestellt werden, wenn jemand ausnahmsweise dafür verantwortlich gemacht werden soll, dass er es unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechtsgüter aktiv tätig zu werden. Der Täter muss rechtlich verpflichtet sein, den deliktischen Erfolg abzuwenden, also eine Garantenstellung innehaben (BGH, NJW 2000, 3013, 3014 m. w. Nachw.; NJW 2010, 1087 Rn. 57). Eine sittliche Pflicht oder die bloße Möglichkeit, den Erfolg zu verhindern, genügen nicht (vgl. BGHSt 30, 391, 394 = NJW 1982, 1235; BVerfG, NJW 2003, 1030).
[19] Ob eine solche Garantenstellung besteht, die es rechtfertigt, das Unterlassen der Erfolgsabwendung dem Herbeiführen des Erfolgs gleichzustellen, ist nicht nach abstrakten Maßstäben zu bestimmen. Vielmehr hängt die Entscheidung von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab; dabei bedarf es einer Abwägung der Interessenlage und der Bestimmung des konkreten Verantwortungsbereichs der Beteiligten (vgl. BGH, NJW 2000, 3013; NJW 2010, 1087 Rdnrn. 57 f.; BGHSt 54, 44 = NZG 2009, 1356 Rdnrn. 23 ff.; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 13 Rdnr. 14).
[20] bb) Danach kann eine Garantenstellung des Bekl. zu 3 auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht bejaht werden. Das BerGer. hat keine Umstände festgestellt, aus denen sich eine rechtliche Verpflichtung des Bekl. zu 3 gegenüber der N-AG ergab, den dieser durch die Zahlung auf die Scheinrechnungen entstandenen Vermögensschaden zu verhindern.
[21] (1) Entgegen der Auffassung des BerGer. ergibt sich eine entsprechende Garantenpflicht des Bekl. zu 3 gegenüber der N-AG nicht allein aus seiner Stellung als Geschäftsführer der O-Handelsgesellschaft mbH bzw. als Mitglied des Vorstands der Bekl. zu 1.
[22] (a) Eine Garantenstellung des Bekl. zu 3 zu Gunsten der N-AG kann insbesondere nicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG oder § 93 Abs. 1 AktG abgeleitet werden. Zwar umfassen die Pflichten zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die dem Geschäftsführer einer GmbH bzw. den Mitgliedern des Vorstands einer AG auf Grund ihrer Organstellung obliegen (§ 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG), auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (Legalitätspflicht, vgl. Senat, BGHZ 133, 370, 375 = NJW 1997, 130; BGHZ 176, 204 = NJW 2008, 2437 = NZG 2008, 547 Rdnr. 38; Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. z. AktG, 3. Aufl., § 93 Rdnr. 71; Spindler, in: MünchKomm-AktG, 3. Aufl., § 93 Rdnrn. 63 f.; Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 43 Rdnrn. 23, 32; Verse, ZHR 175 [2011], 401, 403 ff.).
[23] Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden und des II. Zivilsenats besteht diese Pflicht aber grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber und nicht auch im Verhältnis zu außenstehenden Dritten. Denn die Bestimmungen der § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG regeln allein die Pflichten des Geschäftsführers bzw. Vorstandsmitglieds aus seinem durch die Bestellung begründeten Rechtsverhältnis zur Gesellschaft. Sie dienen nicht dem Zweck, Gesellschaftsgläubiger vor den mittelbaren Folgen einer sorgfaltswidrigen Geschäftsleitung zu schützen. Wie sich aus § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 AktG ergibt, lässt eine Verletzung der Pflichten zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung Schadensersatzansprüche nur der Gesellschaft, nicht hingegen der Gläubiger entstehen (vgl. Senat, NJW 1974, 1371, 1372; BGHZ 109, 297, 303 = NJW 1990, 976; BGH, NJW 1979,1829; BGHZ 110, 342, 359 f. = NJW 1990, 1725; BGHZ 125, 366, 375 f. = NJW 1994, 1801; so auch BGH, MDR 2003, 581, 582 = BeckRS 2003, 00706; OLG Frankfurt a.M., VersR 1992, 240, 241; Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, § 43 Rdnr. 166; Spindler, in: MünchKomm-AktG, § 93 Rdnrn. 273, 287; Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. z. AktG, § 93 Rdnr. 224; Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 93 Rdnrn.1, 66; Bank, in: Patzina/Bank/Schimmer/Simon-Widmann, Haftung von Unternehmensorganen, 2010, Kap. 10 Rdnrn. 36 f.; Hemeling, ZHR 175 [2011], 368, 385; Goette, ZHR 175 [2011], 388, 398; Wagner, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl., § 823 Rdnr. 393; so wohl auch BGHSt 55, 288 = NJW 2011, 88 Rdnr. 37). Aus diesem Grund sind die Bestimmungen der § 93 Abs. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG auch keine Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 BGB (BGH, NJW 1979, 1829 = WM 1979,853, 854; BGHZ 110, 342 359 f. = NJW 1990, 1725; BGHZ 125,366, 375 = NJW 1994, 1801; Fleischer, in: MünchKomm-GmbHG, § 43 Rdnr. 353; Hopt, in: Hopt/Wiedemann, AktG, 4. Aufl., § 93 Rdnr. 492) und ist zwischen den Interessen der eigenen Gesellschaft und denen außenstehender Dritter zu differenzieren (vgl. BGHSt 54, 44 = NZG 2009, 1356 Rdnr. 29: „Trennung zwischen einerseits den Interessen des eigenen Unternehmens und andererseits den Interessen außenstehender Dritter“).
[24] Eine Außenhaftung des Geschäftsführers einer GmbH oder des Mitglieds des Vorstands einer AG kommt nur in begrenztem Umfang auf Grund besonderer Anspruchsgrundlagen in Betracht (vgl. Fleischer, in: MünchKomm-GmbHG, Rdnrn. 339 f., 350 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 93 Rdnr. 308; Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl., § 43 Rdnrn. 284 f.; Hopt, in: Hopt/Wiedemann, § 93 Rdnr. 492; Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, Rdnr. 188). So haften der Geschäftsführer bzw. das Vorstandsmitglied persönlich, wenn sie den Schaden selbst durch eine unerlaubte Handlung herbeigeführt haben (vgl. Senat, NJW 1974, 1371, 1372; BGHZ 109, 297, 303 f. = NJW 1990, 976; VersR 1996, 713, 714; BGHZ 56, 73, 77 = NJW 1971, 1358; NJW 2009, 673= NZM 2009, 203 = NZBau 2009, 240 Rdnr. 12; Fleischer, in: MünchKomm-GmbHG, Rdnrn. 339, 347; Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, Rdnr. 202; Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. z. AktG, Rdnr. 223).
[25] (b) Eine außenstehenden Dritten gegenüber bestehende Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH oder des Mitglieds des Vorstands einer AG, Vermögensschäden zu verhindern, folgt entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch nicht aus der von ihr herangezogenen Rechtsprechung des I. Zivilsenats. Diese Rechtsprechung betrifft die hier nicht einschlägige Störerhaftung (vgl. BGH, NJW 1987, 127, 129 = GRUR 1986, 248 – Sporthosen; GRUR 2006, 957= MMR 2006, 672 – Stadt Geldern; GRUR 2011, 152 = MMR 2011, 172 Rdnr. 48 – Kinderhochstühle im Internet).
[26] (2) Das BerGer. hat auch keine Umstände festgestellt, die die Annahme rechtfertigten, dass der Bekl. zu 3 – über die ihm gegenüber der O-Handelsgesellschaft mbH bzw. der Bekl. zu 1 obliegenden Pflichten aus der Organstellung hinaus – weitere Pflichten übernommen hatte, die er nicht nur für diese Gesellschaften als deren Organ zu erfüllen hatte, sondern die ihn aus besonderen Gründen persönlich gegenüber der N-AG trafen und den Schutz ihrer Vermögensinteressen zum Gegenstand hatten (vgl. zur Garantenstellung aus Gewährsübernahme: BGH, NJW 2000, 2754, 2756; BGHSt 47, 224, 229 = NJW 2002, 1887; BGHSt 54, 44 = NZG 2009, 1356 Rdnr. 23; NJW 2010, 1087 Rdnr. 59; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 13 Rdnr. 20). Soweit das BerGer. eine Garantenstellung des Bekl. zu 3 zu Gunsten der N-AG daraus ableiten möchte, dass diese „Vertragspartner“ gewesen sei, übersieht es, dass nach seinen Feststellungen vertragliche Beziehungen allein zwischen der N-AG und der O-Handelsgesellschaft mbH, nicht aber zwischen der N-AG und dem Bekl. zu 3, bestanden. Abgesehen davon reichen vertragliche Pflichten aus gegenseitigen Rechtsgeschäften zur Begründung einer Garantenpflicht nicht ohne Weiteres aus (vgl. BGH, NJW 2010, 1087 Rdnr. 58 m.w. Nachw.). […]
Anmerkung:
Drei Jahre vor der hier zu besprechenden Entscheidung hatte der 5. Strafsenat des BGH eine Entscheidung mit dem amtlichen Leitsatz „Den Leiter der Innenrevision einer Anstalt des öffentlichen Rechts kann eine Garantenpflicht treffen, betrügerische Abrechnungen zu unterbinden“ getroffen. Die vorliegende Entscheidung des VI. Zivilsenats scheint dieser Rechtsprechung prima facie entgegenzustehen, weil sie eine Garantenpflicht von Vorständen und Geschäftsführern zur Verhinderung von Vermögensschäden gegenüber Dritten ausdrücklich ablehnt. Bei genauer Betrachtung verflüchtigt sich diese Diskrepanz:
Ausdrücklich hatte der – vom VI. Zivilsenat ausdrücklich in Bezug genommene – 5. Strafsenat es für zweifelhaft erachtet, dem Leiter der Innenrevision oder Rechtsabteilung eines Unternehmens eine Garantenstellung auch insoweit zuzuweisen, als er verpflichtet ist, Straftaten aus dem Unternehmen zu Lasten Dritter zu unterbinden.[1] Nur ganz ausnahmsweise, nämlich weil es sich beim damals in Rede stehenden Unternehmen um einen Stadtreinigungsbetrieb in der Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts handelte und sich die vom Angeklagten nicht unterbundene Tätigkeit auf den hoheitlichen Bereich des Unternehmens bezog, ging nach Auffassung des 5. Strafsenats die Überwachungspflicht des Angeklagten über das hinaus, was im rein privaten Unternehmen Gegenstand dieser Pflicht ist: Es gehe nicht nur um die Gewinnerzielung (i. e. Schutz des Vermögens des Unternehmens), sondern auch um den Gesetzesvollzug, den der Senat als „Kernstück“ der Tätigkeit der Stadtreinigungsbetriebe bezeichnete. Vor diesem Hintergrund zitiert in der vorliegenden Entscheidung der VI. Zivilsenat den 5. Strafsenat völlig zu Recht, indem er darauf hinweist, dass zwischen den Interessen des eigenen Unternehmens und den Interessen außenstehender Dritter zu differenzieren ist. Nach Auffassung des 5. Strafsenates – hierüber mag man streiten[2] – entfällt diese Differenzierung im hoheitlichen Bereich. Das bedeutet, dass bei rein privaten Unternehmen die Rechtsprechung des 5. Strafsenats keine Anwendung findet, sie also insoweit durchaus nicht der rechtlichen Bewertung des VI. Zivilsenats widerspricht.
In diesem Zusammenhang macht es Sinn, auch auf das obiter dictum des 5. Strafsenats in Bezug auf die strafrechtliche Garantenpflicht des Compliance Officers einzugehen: Der Senat wird im Schrifttum überwiegend so verstanden, dass sich aus der Übernahme einer Compliance-Funktion, deren Aufgabe es (auch) ist, Straftaten Unternehmensangehöriger zu verhindern, eine Garantenpflicht i. S. von § 13 StGB in Bezug auf außenstehende Dritte ergibt[3]. Dieses Verständnis ist aber nicht zwingend, macht der 5. Strafsenat doch deutlich, dass es bei der Implementierung der Compliance-Funktion darum geht, dem Unternehmen selbst erhebliche Nachteile und Haftungsrisiken oder Ansehensverlust durch deliktisches Verhalten seiner Mitarbeiter zu ersparen.[4] Die nachträgliche Auslegung Raums, der – sofern eine konkrete Einschränkung des Verantwortungsbereichs aus Art und Umfang seiner Bestellung nicht vorliegt – eine Pflicht des Compliance Officers erkennt, „die strafrechtlichen Risiken zu beobachten und zu kontrollieren, die typischerweise von solchen geschäftlichen Unternehmen ausgehen und die Allgemeinheit bedrohen“ (als Beispiel nennt er „Betrugs-, Korruptions- und Umweltdelikte, aber vor allem auch Kartellverstöße“),[5] lässt sich in der BGH-Entscheidung nicht ohne Weiteres festmachen. Von einer (unmittelbaren) Schutzpflicht zugunsten von Rechtsgütern individueller Dritter oder gar der Allgemeinheit ist dort nicht die Rede. Es ist kaum anzunehmen, dass der BGH mit diesem obiter dictum eine neue Fallgruppe einer Garantenpflicht eröffnen wollte.[6] Richtig ist, dass allenfalls dort, wo der Geschäftsbetrieb spezifische Gefahren für Außenstehende mit sich bringt, sich eine strafrechtliche Garantenpflicht der Unternehmensorgane und auch derjenigen begründen lässt, die zur Verhinderung der Realisierung dieser spezifischen Gefahren „auf Posten gestellt“ wurden bzw. in deren Aufgabenbereich sich diese Verhinderungsfunktion einfügen lässt.[7] Und auch hier bezieht sich die Garantenpflicht nur auf betriebsbezogene Straftaten, wie der 4. Strafsenat im Jahr 2011 klargestellt hat.[8] Es muss bezweifelt werden, dass sich aus diesen Grundsätzen eine strafbarkeitsbegründende Garantenpflicht eines Compliance Officers herleiten lässt, sofern dieser zur Verminderung jeglicher im Rahmen eines Unternehmensbetriebs denkbarer Straftaten wie Untreue, Betrug, Korruption, Buchhaltungsdelikte, Diebstahl, Unterschlagung usw. „auf Posten gestellt“ wurde. Es handelt sich bei ihm um eine Präventionsfunktion, deren rechtliche Verantwortlichkeit in den strafrechtlichen Kategorien der Teilnahme, der Begünstigung, der Strafvereitelung, der unterlassenen Hilfeleistung und der Nichtanzeige geplanter Straftaten zu suchen ist. Eine Unterlassensstrafbarkeit kommt hingegen nur bei vertraglicher Verantwortungsübernahme für einen ganz spezifischen Gefahrenbereich in Betracht, der deutlich abgrenzbar ist vom naturgemäß breiten Verantwortungsbereich eines Compliance Officers.
In die so verstandene Rechtsprechung des 4. und 5. Strafsenats lässt sich die vorliegende Entscheidung des VI. Zivilsenats zwanglos einfügen. Der vom Zivilsenat nochmals unterstrichenen Trennung der Interessen des Unternehmens und der Interessen außenstehender Dritter folgt, dass Unternehmensangehörige – Organmitglieder eingeschlossen – zwar für eigenes originär-deliktisches Verhalten einzustehen haben, und zwar sowohl straf- als auch zivilrechtlich. Eine rechtliche Pflicht zur Verhinderung von Straftaten Unternehmensangehöriger zum Nachteil Dritter ist hingegen nur in Ausnahmefällen von der Leitungsaufgabe der Geschäftsführungsorgane und der von ihnen insoweit besonders Beauftragten umfasst; sie ist Ausnahme, nicht Regel. Das hat der VI. Zivilsenat klargestellt.
[:en]
Anm. zu BGH, Urt. v. 10.07.2012 – VI ZR 341/10
Allein aus der Stellung als Geschäftsführer einer GmbH bzw. Mitglied des Vorstands einer AG ergibt sich keine Garantenpflicht gegenüber außenstehenden Dritten, eine Schädigung ihres Vermögens zu verhindern. Die Pflichten aus der Organstellung zur ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte der Gesellschaft aus § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG, zu denen auch die Pflicht gehört, für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft Sorge zu tragen, bestehen grundsätzlich nur dieser gegenüber und lassen bei ihrer Verletzung Schadensersatzansprüche grundsätzlich nur der Gesellschaft entstehen.
BGH, Urt. v. 10.07. 2012 − VI ZR 341/10 (OLG München)
Zum Sachverhalt:
[1] Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der N. AG. Er nimmt die Beklagten zu 2 und 3, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, wegen Beihilfe zu Untreuetaten des Vorstandsvorsitzenden der N. AG auf Schadensersatz in Anspruch.
[2] Die N. AG stellte Markenplüsch- und Geschenkartikel her. Sie stand in langjähriger Geschäftsbeziehung zu der O.-Handelsgesellschaft mbH, die u.a. Markenartikel der N. AG an verschiedene Großabnehmer absetzte. Geschäftsführer der O.-Handelsgesellschaft mbH waren seit ihrer Gründung der Beklagte zu 2 und seit 1999 auch der Beklagte zu 3. Im August 2003 übernahm der Beklagte zu 3, der an der O.-Handelsgesellschaft mbH bis dahin zu 49,43% beteiligt gewesen war, vom Beklagten zu 2 einen (weiteren) Geschäftsanteil von 35,57%. Mit Wirkung vom 28. November 2003 wurde die O.-Handelsgesellschaft mbH durch Formwechsel in eine Aktiengesellschaft – die Beklagte zu 1 – umgewandelt. Ihr Vorstand besteht aus den Beklagten zu 2 und 3.
[3] Im Zeitraum von Oktober 2002 bis August 2003 stellte die O.-Handelsgesellschaft mbH der N. AG elf Warenrechnungen über insgesamt 14.017.462,82 € netto. Die angeblich zugrunde liegenden Forderungen veräußerte sie zum Teil an ein Factoring-Unternehmen und zum Teil an eine Bank. Die N. AG zahlte die Rechnungsbeträge im Zeitraum von Februar bis November 2003 an den Factor bzw. die Bank. Im Zusammenhang mit den Warenrechnungen berechnete die O.-Handelsgesellschaft mbH der N. AG mit elf gesonderten Rechnungen darüber hinaus „Handlinggebühren“ in Höhe von insgesamt 377.509,39 € netto, die die N. AG ebenfalls beglich. Am 1. August 2006 wurde über das Vermögen der N. AG das Insolvenzverfahren eröffnet.
[4] Der Kläger behauptet, der Vorstandsvorsitzende der N. AG, P., habe, um Liquidität zu erzeugen, Scheingeschäfte initiiert. Er habe veranlasst, dass die K. P. GmbH, deren Geschäftsführer sein Bruder war, Rechnungen für die angebliche Lieferung diverser Artikel der N. AG an die Beklagte zu 1 gestellt habe, denen tatsächlich keine Warenlieferung zugrunde gelegen habe. Die Beklagte zu 1 habe die Rechnungen bezahlt und die angeblich gelieferten Artikel absprachegemäß der N. AG mit einem Aufschlag von 10% in Rechnung gestellt. In einzelnen Fällen habe die N. AG die Ware ihrerseits der Firma K. P. GmbH berechnet. Bei den Rechnungen der O.-Handelsgesellschaft mbH über insgesamt 14.017.462,82 € netto und den Handlingrechnungen über insgesamt 377.509,39 € netto handele es sich um derartige Scheinrechnungen für fingierte Warenlieferungen. Dies sei den Beklagten zu 2 und 3 bekannt gewesen.
[5] Mit der vorliegenden Teilklage begehrt der Kläger von den Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldnern die Zahlung eines Betrags in Höhe von 10.000.000 €. Das Landgericht hat die Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 8.333.603,72 € nebst Zinsen zu zahlen, und die Klage gegen die Beklagten zu 2 und 3 im Übrigen abgewiesen. […] Die Berufung der Beklagten zu 2 und 3 hatte keinen Erfolg. Auf die Anschlussberufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts dahin abgeändert, dass die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 10.000.000 € nebst Zinsen verurteilt werden. Mit den vom Senat zugelassenen Revisionen verfolgen die Beklagten zu 2 und 3 ihre Anträge auf Abweisung der Klage in vollemUmfang weiter.
Entscheidungsgründe:
A. [6] Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die Beklagten zu 2 und 3 dem Kläger aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266 Abs. 1, § 27 StGB zum Ausgleich des der N. AG entstandenen Schadens verpflichtet. Die Haupttat, zu der die Beklagten zu 2 und 3 Beihilfe geleistet hätten, sei die von P. begangene Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB). P. habe die ihm als alleinvertretungsberechtigtem Mitglied des Vorstands der N. AG obliegende Vermögensbetreuungspflicht dadurch verletzt, dass er mittels fingierter Geschäftsvorfälle den Abfluss von Vermögensbestandteilen der N. AG initiiert habe. Die N. AG habe auf seine Veranlassung auf Scheinrechnungen der O.Handelsgesellschaft mbH gezahlt, denen keine entsprechenden Forderungen zugrunde gelegen hätten. Durch die pflichtwidrigen Handlungen des P. sei der N. AG ein Schaden entstanden. Denn die Zahlungen seien aus ihrem Vermögen abgeflossen, ohne dass die N. AG einen Gegenwert hierfür erlangt habe. Es sei weder ersichtlich noch dargetan, dass P. ständig Gelder zum Ersatz des Vermögensabflusses bereitgehalten habe oder eine alsbaldige Erstattung der zu Unrecht abgezweigten Mittel aus anderen Gründen sicher habe erwartet werden können. P. habe auch vorsätzlich gehandelt. Ihm sei der Scheincharakter der Rechnungen bekannt gewesen. Durch die Erfassung der fingierten Vorfälle in den Geschäftsunterlagen der N. AG habe er die wahre Sachlage und den wahren wirtschaftlichen Hintergrund verschleiern wollen, der in der Schaffung von Liquidität zu Gunsten der N. AG und der K. P. GmbH bestanden habe. […]
[8] Der Beklagte zu 3 habe Beihilfe durch pflichtwidriges Unterlassen geleistet. Ein aktiver Gehilfenbeitrag könne ihm zwar nicht nachgewiesen werden. Der Beklagte zu 3 habe aber Kenntnis von der Tatsache der Übereinkunft zwischen P. und dem Beklagten zu 2 betreffend die Durchführung von Finanzierungsgeschäften der streitgegenständlichen Art gehabt. Er sei deshalb in seiner Funktion zunächst als Geschäftsführer der O.-Handelsgesellschaft mbH und sodann als Vorstandsmitglied der Beklagten zu 1 dazu verpflichtet gewesen, gegen die Beteiligung an Straftaten aus dem Unternehmensbereich der Beklagten zu 1 heraus einzuschreiten. Die Kenntnis des Beklagten zu 3 von den Absprachen zwischen P. und dem Beklagten zu 2 über die Scheingeschäfte ergebe sich daraus, dass sich der Beklagte zu 3 im Rahmen der Aufstockung seines Geschäftsanteils an der O.-Handelsgesellschaft mbH von 49,43% auf 85% intensiv mit den Geschäften dieser Gesellschaft befasst habe. […]
[9] Zu den zentralen Aufgaben des Beklagten zu 3 als Mitgeschäftsführer oder Vorstandsmitglied zähle die Pflicht, aus dem eigenen Unternehmen entspringende Straftaten zu verhindern. Diese Pflicht habe dem Beklagten zu 3 nicht nur im Innenverhältnis zur Beklagten zu 1, sondern auch gegenüber der N. AG als Vertragspartnerin oblegen. Da der Beklagte zu 3 durch Einschreiten die Durchführung und Fortsetzung der Absprache habe unterbinden können und ihm dies auch zumutbar gewesen sei, sei ihm der Vorwurf der Beihilfe zur Untreue des P. zu machen.
[10] Der infolge der Schutzgesetzverletzung kausal verursachte und deshalb von den Beklagten zu 2 und 3 auszugleichende Schaden bestehe im Umfang der von der N. AG auf die „Luftrechnungen“ und die damit sachlich verknüpften Handlingrechnungen geleisteten Zahlungen in Höhe der Bruttobeträge. Im Umfang der an die N. AG gelangten und dort ungeschmälert verbliebenen Rückflüsse sei allerdings ein gegenzurechnender Vorteil bzw. eine Schadenswiedergutmachung eingetreten. Die einzelnen Vorfälle begründeten jeweils einen eigenen Schadensersatzanspruch in Höhe des Zahlungsabflusses. Nur soweit der jeweils eingetretene Schaden durch einen hierauf bezogenen Zufluss ausgeglichen worden sei, könne der Zufluss Berücksichtigung finden.
[11] B. Diese Erwägungen halten weder den Angriffen der Revision des Bekl. zu 3 noch denen der Revision des Bekl. zu 2 stand.
I. Revision des Bekl. zu 3:
[12] Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des BerGer., der Bekl. zu 3 sei dem Kl. wegen Beihilfe zur Untreue gem. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 266 Abs. 1, 27 StGB zum Schadensersatz verpflichtet. […]
[14] 2. Die getroffenen Feststellungen tragen […] nicht die Annahme, dass der Bekl. zu 3 den Tatbestand der §§ 266 Abs. 1, 27 StGB verwirklicht hat.
[15] a) Gemäß § 27 Abs. 1 StGB ist Gehilfe, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Als Hilfeleistung in diesem Sinne ist grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt dieses Erfolgs in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich (BGH, NJW 2007, 384, 388 f.; StraFo 2011, 332). Dabei leistet auch derjenige dem Täter Hilfe, der die Tatförderung eines (weiteren) Gehilfen unterstützt (vgl. BGH, NJW 2001, 2409, 2410 = NStZ 2001, 364; StraFo 2011, 332, 333 m. w. Nachw.).
[16] b) Das BerGer. hat die für die Annahme von Beihilfe erforderliche, vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat zutreffend in den Untreuetaten des Vorstandsvorsitzenden der N-AG, P, gesehen. Es ist mit Recht davon ausgegangen, dass P durch die gezielte Veranlassung von Zahlungen der N-AG auf Scheinrechnungen der O-Handelsgesellschaft mbH den Tatbestand des §§ 266 Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Hiergegen erhebt die Revision auch keine Beanstandungen.
[17] c) Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Beurteilung des BerGer., der Bekl. zu 3 habe Hilfe zu den Untreuetaten des P geleistet. Nach den Feststellungen des BerGer. hat der Bekl. zu 3 weder P noch den Bekl. zu 2 bei der Tatbegehung aktiv unterstützt, so dass Beihilfe durch positives Tun ausscheidet. Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen auch nicht die Annahme, der Bekl. zu 3 habe Beihilfe durch Unterlassen geleistet.
[18] aa) Ein Unterlassen kann dem positiven Tun gem. § 13 Abs. 1 StGB nur dann gleichgestellt werden, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt, und das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht. Bei den unechten Unterlassungsdelikten muss ein besonderer Rechtsgrund festgestellt werden, wenn jemand ausnahmsweise dafür verantwortlich gemacht werden soll, dass er es unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechtsgüter aktiv tätig zu werden. Der Täter muss rechtlich verpflichtet sein, den deliktischen Erfolg abzuwenden, also eine Garantenstellung innehaben (BGH, NJW 2000, 3013, 3014 m.w. Nachw.; NJW 2010, 1087 Rn. 57). Eine sittliche Pflicht oder die bloße Möglichkeit, den Erfolg zu verhindern, genügen nicht (vgl. BGHSt 30, 391, 394 = NJW 1982, 1235; BVerfG, NJW 2003, 1030).
[19] Ob eine solche Garantenstellung besteht, die es rechtfertigt, das Unterlassen der Erfolgsabwendung dem Herbeiführen des Erfolgs gleichzustellen, ist nicht nach abstrakten Maßstäben zu bestimmen. Vielmehr hängt die Entscheidung von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab; dabei bedarf es einer Abwägung der Interessenlage und der Bestimmung des konkreten Verantwortungsbereichs der Beteiligten (vgl. BGH, NJW 2000, 3013; NJW 2010, 1087 Rdnrn. 57 f.; BGHSt 54, 44 = NZG 2009, 1356 Rdnrn. 23 ff.; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 13 Rdnr. 14).
[20] bb) Danach kann eine Garantenstellung des Bekl. zu 3 auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht bejaht werden. Das BerGer. hat keine Umstände festgestellt, aus denen sich eine rechtliche Verpflichtung des Bekl. zu 3 gegenüber der N-AG ergab, den dieser durch die Zahlung auf die Scheinrechnungen entstandenen Vermögensschaden zu verhindern.
[21] (1) Entgegen der Auffassung des BerGer. ergibt sich eine entsprechende Garantenpflicht des Bekl. zu 3 gegenüber der N-AG nicht allein aus seiner Stellung als Geschäftsführer der O-Handelsgesellschaft mbH bzw. als Mitglied des Vorstands der Bekl. zu 1.
[22] (a) Eine Garantenstellung des Bekl. zu 3 zu Gunsten der N-AG kann insbesondere nicht aus § 43 Abs. 1 GmbHG oder § 93 Abs. 1 AktG abgeleitet werden. Zwar umfassen die Pflichten zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die dem Geschäftsführer einer GmbH bzw. den Mitgliedern des Vorstands einer AG auf Grund ihrer Organstellung obliegen (§ 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG), auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (Legalitätspflicht, vgl. Senat, BGHZ 133, 370, 375 = NJW 1997, 130; BGHZ 176, 204 = NJW 2008, 2437 = NZG 2008, 547 Rdnr. 38; Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. z. AktG, 3. Aufl., § 93 Rdnr. 71; Spindler, in: MünchKomm-AktG, 3. Aufl., § 93 Rdnrn. 63 f.; Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 43 Rdnrn. 23, 32; Verse, ZHR 175 [2011], 401, 403 ff.).
[23] Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden und des II. Zivilsenats besteht diese Pflicht aber grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber und nicht auch im Verhältnis zu außenstehenden Dritten. Denn die Bestimmungen der § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG regeln allein die Pflichten des Geschäftsführers bzw. Vorstandsmitglieds aus seinem durch die Bestellung begründeten Rechtsverhältnis zur Gesellschaft. Sie dienen nicht dem Zweck, Gesellschaftsgläubiger vor den mittelbaren Folgen einer sorgfaltswidrigen Geschäftsleitung zu schützen. Wie sich aus § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 AktG ergibt, lässt eine Verletzung der Pflichten zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung Schadensersatzansprüche nur der Gesellschaft, nicht hingegen der Gläubiger entstehen (vgl. Senat, NJW 1974, 1371, 1372; BGHZ 109, 297, 303 = NJW 1990, 976; BGH, NJW 1979,1829; BGHZ 110, 342, 359 f. = NJW 1990, 1725; BGHZ 125, 366, 375 f. = NJW 1994, 1801; so auch BGH, MDR 2003, 581, 582 = BeckRS 2003, 00706; OLG Frankfurt a.M., VersR 1992, 240, 241; Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, § 43 Rdnr. 166; Spindler, in: MünchKomm-AktG, § 93 Rdnrn. 273, 287; Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. z. AktG, § 93 Rdnr. 224; Krieger/Sailer-Coceani, in: Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 93 Rdnrn.1, 66; Bank, in: Patzina/Bank/Schimmer/Simon-Widmann, Haftung von Unternehmensorganen, 2010, Kap. 10 Rdnrn. 36 f.; Hemeling, ZHR 175 [2011], 368, 385; Goette, ZHR 175 [2011], 388, 398; Wagner, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl., § 823 Rdnr. 393; so wohl auch BGHSt 55, 288 = NJW 2011, 88 Rdnr. 37). Aus diesem Grund sind die Bestimmungen der § 93 Abs. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG auch keine Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 BGB (BGH, NJW 1979, 1829 = WM 1979,853, 854; BGHZ 110, 342 359 f. = NJW 1990, 1725; BGHZ 125,366, 375 = NJW 1994, 1801; Fleischer, in: MünchKomm-GmbHG, § 43 Rdnr. 353; Hopt, in: Hopt/Wiedemann, AktG, 4. Aufl., § 93 Rdnr. 492) und ist zwischen den Interessen der eigenen Gesellschaft und denen außenstehender Dritter zu differenzieren (vgl. BGHSt 54, 44 = NZG 2009, 1356 Rdnr. 29: „Trennung zwischen einerseits den Interessen des eigenen Unternehmens und andererseits den Interessen außenstehender Dritter“).
[24] Eine Außenhaftung des Geschäftsführers einer GmbH oder des Mitglieds des Vorstands einer AG kommt nur in begrenztem Umfang auf Grund besonderer Anspruchsgrundlagen in Betracht (vgl. Fleischer, in: MünchKomm-GmbHG, Rdnrn. 339 f., 350 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 93 Rdnr. 308; Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl., § 43 Rdnrn. 284 f.; Hopt, in: Hopt/Wiedemann, § 93 Rdnr. 492; Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, Rdnr. 188). So haften der Geschäftsführer bzw. das Vorstandsmitglied persönlich, wenn sie den Schaden selbst durch eine unerlaubte Handlung herbeigeführt haben (vgl. Senat, NJW 1974, 1371, 1372; BGHZ 109, 297, 303 f. = NJW 1990, 976; VersR 1996, 713, 714; BGHZ 56, 73, 77 = NJW 1971, 1358; NJW 2009, 673= NZM 2009, 203 = NZBau 2009, 240 Rdnr. 12; Fleischer, in: MünchKomm-GmbHG, Rdnrn. 339, 347; Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, Rdnr. 202; Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. z. AktG, Rdnr. 223).
[25] (b) Eine außenstehenden Dritten gegenüber bestehende Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH oder des Mitglieds des Vorstands einer AG, Vermögensschäden zu verhindern, folgt entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch nicht aus der von ihr herangezogenen Rechtsprechung des I. Zivilsenats. Diese Rechtsprechung betrifft die hier nicht einschlägige Störerhaftung (vgl. BGH, NJW 1987, 127, 129 = GRUR 1986, 248 – Sporthosen; GRUR 2006, 957= MMR 2006, 672 – Stadt Geldern; GRUR 2011, 152 = MMR 2011, 172 Rdnr. 48 – Kinderhochstühle im Internet).
[26] (2) Das BerGer. hat auch keine Umstände festgestellt, die die Annahme rechtfertigten, dass der Bekl. zu 3 – über die ihm gegenüber der O-Handelsgesellschaft mbH bzw. der Bekl. zu 1 obliegenden Pflichten aus der Organstellung hinaus – weitere Pflichten übernommen hatte, die er nicht nur für diese Gesellschaften als deren Organ zu erfüllen hatte, sondern die ihn aus besonderen Gründen persönlich gegenüber der N-AG trafen und den Schutz ihrer Vermögensinteressen zum Gegenstand hatten (vgl. zur Garantenstellung aus Gewährsübernahme: BGH, NJW 2000, 2754, 2756; BGHSt 47, 224, 229 = NJW 2002, 1887; BGHSt 54, 44 = NZG 2009, 1356 Rdnr. 23; NJW 2010, 1087 Rdnr. 59; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 13 Rdnr. 20). Soweit das BerGer. eine Garantenstellung des Bekl. zu 3 zu Gunsten der N-AG daraus ableiten möchte, dass diese „Vertragspartner“ gewesen sei, übersieht es, dass nach seinen Feststellungen vertragliche Beziehungen allein zwischen der N-AG und der O-Handelsgesellschaft mbH, nicht aber zwischen der N-AG und dem Bekl. zu 3, bestanden. Abgesehen davon reichen vertragliche Pflichten aus gegenseitigen Rechtsgeschäften zur Begründung einer Garantenpflicht nicht ohne Weiteres aus (vgl. BGH, NJW 2010, 1087 Rdnr. 58 m.w. Nachw.). […]
Anmerkung:
Drei Jahre vor der hier zu besprechenden Entscheidung hatte der 5. Strafsenat des BGH eine Entscheidung mit dem amtlichen Leitsatz „Den Leiter der Innenrevision einer Anstalt des öffentlichen Rechts kann eine Garantenpflicht treffen, betrügerische Abrechnungen zu unterbinden“ getroffen. Die vorliegende Entscheidung des VI. Zivilsenats scheint dieser Rechtsprechung prima facie entgegenzustehen, weil sie eine Garantenpflicht von Vorständen und Geschäftsführern zur Verhinderung von Vermögensschäden gegenüber Dritten ausdrücklich ablehnt. Bei genauer Betrachtung verflüchtigt sich diese Diskrepanz:
Ausdrücklich hatte der – vom VI. Zivilsenat ausdrücklich in Bezug genommene – 5. Strafsenat es für zweifelhaft erachtet, dem Leiter der Innenrevision oder Rechtsabteilung eines Unternehmens eine Garantenstellung auch insoweit zuzuweisen, als er verpflichtet ist, Straftaten aus dem Unternehmen zu Lasten Dritter zu unterbinden.[1] Nur ganz ausnahmsweise, nämlich weil es sich beim damals in Rede stehenden Unternehmen um einen Stadtreinigungsbetrieb in der Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts handelte und sich die vom Angeklagten nicht unterbundene Tätigkeit auf den hoheitlichen Bereich des Unternehmens bezog, ging nach Auffassung des 5. Strafsenats die Überwachungspflicht des Angeklagten über das hinaus, was im rein privaten Unternehmen Gegenstand dieser Pflicht ist: Es gehe nicht nur um die Gewinnerzielung (i. e. Schutz des Vermögens des Unternehmens), sondern auch um den Gesetzesvollzug, den der Senat als „Kernstück“ der Tätigkeit der Stadtreinigungsbetriebe bezeichnete. Vor diesem Hintergrund zitiert in der vorliegenden Entscheidung der VI. Zivilsenat den 5. Strafsenat völlig zu Recht, indem er darauf hinweist, dass zwischen den Interessen des eigenen Unternehmens und den Interessen außenstehender Dritter zu differenzieren ist. Nach Auffassung des 5. Strafsenates – hierüber mag man streiten[2] – entfällt diese Differenzierung im hoheitlichen Bereich. Das bedeutet, dass bei rein privaten Unternehmen die Rechtsprechung des 5. Strafsenats keine Anwendung findet, sie also insoweit durchaus nicht der rechtlichen Bewertung des VI. Zivilsenats widerspricht.
In diesem Zusammenhang macht es Sinn, auch auf das obiter dictum des 5. Strafsenats in Bezug auf die strafrechtliche Garantenpflicht des Compliance Officers einzugehen: Der Senat wird im Schrifttum überwiegend so verstanden, dass sich aus der Übernahme einer Compliance-Funktion, deren Aufgabe es (auch) ist, Straftaten Unternehmensangehöriger zu verhindern, eine Garantenpflicht i. S. von § 13 StGB in Bezug auf außenstehende Dritte ergibt[3]. Dieses Verständnis ist aber nicht zwingend, macht der 5. Strafsenat doch deutlich, dass es bei der Implementierung der Compliance-Funktion darum geht, dem Unternehmen selbst erhebliche Nachteile und Haftungsrisiken oder Ansehensverlust durch deliktisches Verhalten seiner Mitarbeiter zu ersparen.[4] Die nachträgliche Auslegung Raums, der – sofern eine konkrete Einschränkung des Verantwortungsbereichs aus Art und Umfang seiner Bestellung nicht vorliegt – eine Pflicht des Compliance Officers erkennt, „die strafrechtlichen Risiken zu beobachten und zu kontrollieren, die typischerweise von solchen geschäftlichen Unternehmen ausgehen und die Allgemeinheit bedrohen“ (als Beispiel nennt er „Betrugs-, Korruptions- und Umweltdelikte, aber vor allem auch Kartellverstöße“),[5] lässt sich in der BGH-Entscheidung nicht ohne Weiteres festmachen. Von einer (unmittelbaren) Schutzpflicht zugunsten von Rechtsgütern individueller Dritter oder gar der Allgemeinheit ist dort nicht die Rede. Es ist kaum anzunehmen, dass der BGH mit diesem obiter dictum eine neue Fallgruppe einer Garantenpflicht eröffnen wollte.[6] Richtig ist, dass allenfalls dort, wo der Geschäftsbetrieb spezifische Gefahren für Außenstehende mit sich bringt, sich eine strafrechtliche Garantenpflicht der Unternehmensorgane und auch derjenigen begründen lässt, die zur Verhinderung der Realisierung dieser spezifischen Gefahren „auf Posten gestellt“ wurden bzw. in deren Aufgabenbereich sich diese Verhinderungsfunktion einfügen lässt.[7] Und auch hier bezieht sich die Garantenpflicht nur auf betriebsbezogene Straftaten, wie der 4. Strafsenat im Jahr 2011 klargestellt hat.[8] Es muss bezweifelt werden, dass sich aus diesen Grundsätzen eine strafbarkeitsbegründende Garantenpflicht eines Compliance Officers herleiten lässt, sofern dieser zur Verminderung jeglicher im Rahmen eines Unternehmensbetriebs denkbarer Straftaten wie Untreue, Betrug, Korruption, Buchhaltungsdelikte, Diebstahl, Unterschlagung usw. „auf Posten gestellt“ wurde. Es handelt sich bei ihm um eine Präventionsfunktion, deren rechtliche Verantwortlichkeit in den strafrechtlichen Kategorien der Teilnahme, der Begünstigung, der Strafvereitelung, der unterlassenen Hilfeleistung und der Nichtanzeige geplanter Straftaten zu suchen ist. Eine Unterlassensstrafbarkeit kommt hingegen nur bei vertraglicher Verantwortungsübernahme für einen ganz spezifischen Gefahrenbereich in Betracht, der deutlich abgrenzbar ist vom naturgemäß breiten Verantwortungsbereich eines Compliance Officers.
In die so verstandene Rechtsprechung des 4. und 5. Strafsenats lässt sich die vorliegende Entscheidung des VI. Zivilsenats zwanglos einfügen. Der vom Zivilsenat nochmals unterstrichenen Trennung der Interessen des Unternehmens und der Interessen außenstehender Dritter folgt, dass Unternehmensangehörige – Organmitglieder eingeschlossen – zwar für eigenes originär-deliktisches Verhalten einzustehen haben, und zwar sowohl straf- als auch zivilrechtlich. Eine rechtliche Pflicht zur Verhinderung von Straftaten Unternehmensangehöriger zum Nachteil Dritter ist hingegen nur in Ausnahmefällen von der Leitungsaufgabe der Geschäftsführungsorgane und der von ihnen insoweit besonders Beauftragten umfasst; sie ist Ausnahme, nicht Regel. Das hat der VI. Zivilsenat klargestellt.
[1] BGHSt 54, 44 = BGH NJW 2009, 3173, 3175 Rn. 28.
[6] Ebenso Stoffers NJW 2009, 3173, 3176. Zu den Problemen, einen einheitlichen materiellen Entstehungsgrund für Garantenpflichten zu finden, und den Ausweg über die „Fallgruppenmethode“ vgl. Schönke/Schröder/Stree/Bosch, StGB, 28. Aufl. 2010, § 13 Rn. 15 m. w. N.
[7] In dies. Richtung Gehrmann GWR 2012, 370 („nur in besonderen Konstellationen“); Rübenstahl NZG 2009, 1341 ff; Kraft/Winkler CCZ 2009, 29, 32. Plastisch wird die Problematik z.B. in der Diskussion um die Pflichtenstellung des Gewässerschutzbeauftragten (vgl. dazu nur NK-StGB/Ransiek, § 324 Rn. 67; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 324 Rn. 16; MK-StGB/Schmitz, 1. Aufl. 2006, Vor §§ 324 ff. Rn. 124; AnwKomm-StGB/Szesny, 2010, Vor §§ 324 ff. Rn. 67).