Zu den Zumessungskriterien für die Unternehmensgeldbuße

Anm. zu OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 Ss 63/11

1. Vor der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße wegen einer Ordnungswidrigkeit, die nicht zu den geringfügigen Ordnungswidrigkeiten zählt, sind Feststellungen zur Leistungsfähigkeit und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmens zu treffen. (Ls. d. Red.)

2. Auch bei der Verhängung einer Unternehmensgeldbuße sind rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen zu kompensieren und eine lange Verfahrensdauer ist als Milderungsgrund bei der Geldbußbemessung zu berücksichtigen. (Ls. d. Red.)

3. Bei der Geldbußbemessung sind zur Wahrung des Doppelbestrafungsverbots die Beteiligungsverhältnisse zwischen Organ und juristischer Person zu berücksichtigen. Eine derartige Abstimmung von Haupt- und Nebensanktion ist umso mehr geboten, wenn Organ und Gesellschafter weitgehend oder gar völlig identisch sind, denn in solchen Fällen würde bei zusätzlicher Sanktionierung der juristischen Person wirtschaftlich gesehen die gleiche Person getroffen wie bereits durch die Hauptsanktion. (amtl. Ls.)

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 Ss 63/11[1]

 

I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe:

Der Angeklagte ist alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Nebenbeteiligten. Das zweitinstanzliche Landgericht Frankfurt am Main hat ihn mit Urteil vom 18. Oktober 2010 wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr sowie wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je EUR 60,00 verurteilt. Hiervon galten 60 Tagessätze wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen als gezahlt. Eine Geldbuße von EUR 10.000,00 setzte das Landgericht gegen die Nebenbeteiligte fest. Gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main richteten sich die Revisionen des Angeklagten und der Nebenbeteiligten. Einzig die Revision der Nebenbeteiligten hatte Erfolg, soweit sie sich gegen den sie betreffenden Rechtsfolgenausspruch richtete.

In seiner Begründung schloss sich das OLG Frankfurt am Main im Wesentlichen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt vom 12. April 2011 an. Diese hatte zunächst darauf hingewiesen, dass eine Geldbuße in Höhe von EUR 10.000,00 nicht für eine geringfügige Ordnungswidrigkeit festgesetzt werde. Insofern sei es erforderlich, vor der Verhängung und Bemessung der Geldbuße gegen das Unternehmen Feststellungen zu seiner Leistungsfähigkeit und damit zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmens zu treffen. Diesem Erfordernis würden die Urteilsfeststellungen nicht gerecht. Das Landgericht habe insoweit lediglich festgestellt, dass die Nebenbeteiligte einen Umsatzrückgang von EUR 31 Mio. im Jahre 2000 auf EUR 7 Mio. im Jahre 2007 erlitten habe und der Nebenbeteiligten die Insolvenz gedroht habe. Zum 31. Dezember 2009 habe ein Bilanzverlust von EUR 1,2 Mio. bestanden. Zum Zwecke der Sanierung des Unternehmens habe der Angeklagte der Nebenbeteiligten Gesellschafterdarlehen in Höhe von EUR 1,5 Mio. gewährt und seit dem Jahre 2003 auf ein Geschäftsführergehalt verzichtet. Mit diesen Feststellungen sei zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Nebenbeteiligten zum relevanten Zeitpunkt der Berufungsentscheidung wenig gesagt. Aus den Umsatzzahlen könne nicht auf die Ertragssituation geschlossen werden. Hinweise auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ergäben sich weder aus dem – möglicherweise noch durch Verlustvorträge aus Vorjahren verursachten – Bilanzverlust, noch aus der Tatsache, dass zu einem früheren Zeitpunkt durch Zuführung von Eigenkapital eine drohende Insolvenz abgewendet wurde.

Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Nebenbeteiligte weitere Angaben zu ihrer aktuellen wirtschaftlichen Situation verweigert hätte, da das Landgericht nicht angegeben habe, auf Schätzungen angewiesen zu sein. Insofern hätte es weitergehender Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Nebenbeteiligten bedurft. Ohne diese könne nicht nachgeprüft werden, ob die Festsetzung der relativ hohen Geldbuße auf einer rechtlich tragfähigen Grundlage beruht.

Darüber hinaus hätte die festgestellte – und zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigte – rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung i. S. d. Art. 6 MRK kompensiert werden müssen. Daneben hätte die ungewöhnlich lange Verfahrensdauer bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden müssen. Zu einer Kompensation wegen Verletzung des Art. 6 MRK und einer daneben gebotener Milderung wegen überlanger Verfahrensdauer verhalte sich das Berufungsurteil nicht.

Da wegen noch notwendiger Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen ein rechtsfehlerfreier Zumessungssachverhalt nicht vorliege, bedürfe es einer Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch.

Dieser Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft trat der Senat bei und ergänzte mit Hinweis auf die Standardkommentierung zum OWiG, „dass bei der Geldbußbemessung zur Wahrung des Doppelbestrafungsverbots die Beteiligungsverhältnisse zwischen Organ und juristischer Person zu berücksichtigen sind. Eine derartige Abstimmung von Haupt- und Nebensanktion wird umso mehr geboten sein, wenn Organ und Gesellschafter weitgehend oder gar völlig identisch sind; denn in solchen Fällen würde bei zusätzlicher Sanktionierung der juristischen Person wirtschaftlich gesehen die gleiche Person getroffen wie bereits durch die Hauptsanktion, so dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der zweifachen Ahndung jeweils gegenseitig berücksichtigt werden müssen (vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl. § 30 Rn. 35; OLG Hamm, NJW 1973, 1851).“ Der Senat hob das Urteil im Rechtsfolgenausspruch gegen die Nebenbeteiligte mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verwies die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main.

II. Anmerkung

Die Entscheidung befasst sich mit drei Gesichtspunkten der Geldbußbemessung gegenüber Unternehmen. Zum einen mit den Feststellungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens, zweitens mit der Berücksichtigung rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen und der Verfahrensdauer und schließlich mit der Wahrung des Doppelbestrafungsverbot. Der Beschluss des OLG ist im Ergebnis in allen Punkten zustimmungswürdig.

1. Feststellungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens

Zunächst hat das OLG Frankfurt entschieden, dass vor der Bemessung der Geldbuße Feststellungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu treffen sind, da eine Geldbuße in Höhe von EUR 10.000,00 nicht für eine geringfügige Ordnungswidrigkeit festgesetzt wird. Damit lässt sich der Beschluss in eine Reihe von Judikaten einordnen, die die Regelung des § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG de facto – und unter Verweis auf eine entsprechende Kommentierung – gegenüber Unternehmen anwenden, sich jedoch nicht ausdrücklich zur Anwendbarkeit der Norm verhalten.[2] In der Literatur wird der Anwendung des § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG auf die Unternehmensgeldbuße überwiegend zugestimmt.

Nach § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG kommt eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters bei der Bemessung der Geldbuße „in Betracht“, wenn die Ordnungswidrigkeit nicht lediglich geringfügig[3] ist. In der Praxis wird die Norm dahingehend interpretiert, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber den in § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG genannten Zumessungsgesichtspunkten der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und des Vorwurfs, der den Täter trifft, eine nachrangige Bedeutung haben.[4] Entsprechend handelt es sich bei der Einbeziehung der wirtschaftlichen Verhältnisse in die Bußgeldbemessung um ein Korrektiv, welches bei jeder nicht geringfügigen Geldbuße nach den Grundüberlegungen zur Bedeutung und zum Vorwurf der Tat zur Anwendung kommt. Dies ist notwendig, da von der Leistungsfähigkeit des Täters abhängt, wie empfindlich er durch die Geldbuße getroffen wird.[5]

Hinsichtlich der Anwendung der in § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG normierten Zumessungskriterien gegenüber Unternehmen wird teilweise vertreten, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens könnten im Rahmen „allgemeiner Zumessungsgrundsätze“[6] berücksichtigt werden. Da § 30 Abs. 3 OWiG allerdings nicht auf § 17 Abs. 3 OWiG, sondern nur auf die §§ 17 Abs. 4, 18 OWiG verweise, sei § 17 Abs. 3 OWiG nicht entsprechend auf die Unternehmensgeldbuße anzuwenden.[7] Zudem könnten an die Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Unternehmens nicht die gleichen strengen Anforderungen gestellt werden wie bei natürlichen Personen.[8]

Die überwiegende Ansicht in der Literatur geht jedoch dahin, die Zumessungskriterien des § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG – auch ohne ausdrückliche Verweisung – auf die Bemessung der Geldbuße nach § 30 OWiG anzuwenden.[9]

Eine gesetzessystematische Auslegung könnte tatsächlich zu dem Ergebnis gelangen, dass die in § 17 OWiG geregelten allgemeinen Zumessungskriterien nur für die Bußgeldbemessung gegenüber dem Täter anzuwenden sind. Sowohl die Vorschrift zur „Höhe der Geldbuße“ als auch die Vorschrift zur „Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigung“ finden sich im allgemeinen Teil des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Der Vorschrift des § 17 OWiG kommt insofern keine übergeordnete Stellung zu, die eine allgemeine Anwendung auch auf die Geldbuße gegenüber Unternehmen zwingend erscheinen lässt. Zudem spricht die eingeschränkte Verweisung des § 30 Abs. 3 OWiG grundsätzlich dafür, nur die ausdrücklich inbezuggenommene Vorschrift des § 17 Abs. 4 OWiG anzuwenden.

Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 17 OWiG eher allgemein mit „Höhe der Geldbuße“ bezeichnet und insoweit keine eingeschränkte Geltung nur gegenüber dem Täter normiert. Damit könnten die Regelungen des § 17 OWiG als allgemeine Zumessungsgrundlagen zu verstehen sein. Zu den Regelungen des § 17 Abs. 1 und 2 OWiG (Bußgeldrahmen) trifft § 30 OWiG abweichende Bestimmungen, so dass eine Verweisung insoweit ohnehin nicht in Betracht kommt. Dass der Gesetzgeber eine Verweisung auf § 17 Abs. 4 OWiG vorgenommen hat, während er nicht auf § 17 Abs. 3 OWiG verweist, kann mit dem unterschiedlichen Charakter beider Vorschriften begründet werden. § 17 Abs. 3 OWiG enthält die allgemeinen Regelungen zur Bußgeldzumessung. § 17 Abs. 4 OWiG hingegen konstituiert zusätzlich den Abschöpfungscharakter der Geldbuße. § 17 Abs. 4 OWiG beschreibt damit eine über die bloße Ahndung des Unternehmens hinausgehende Rechtsfolge einer Ordnungswidrigkeit. Diese muss gesetzlich bestimmt sein.[10] Derartige Bestimmtheitsanforderungen werden an Zumessungskriterien für Strafen und Geldbußen, zu denen die Regelung des § 17 Abs. 3 OWiG zählt, nicht gestellt. Sie sind vielfach nicht positivrechtlich niedergelegt.[11] Bei der Straf- und Bußgeldbemessung ist es im Gegenteil erforderlich, innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Straf- und Bußgeldrahmen Raum für die Einbeziehung aller im Einzelfall zu berücksichtigenden Umstände zu lassen.[12] Daher bedarf es eines Verweises auf § 17 Abs. 3 OWiG in § 30 OWiG nicht – weder aus rechtlichen noch aus deklaratorischen Gründen.

Anders liegt es in Bezug auf § 17 Abs. 4 OWiG. Hier macht der klarstellende Verweis durchaus Sinn: Hätte der Gesetzgeber in § 30 OWiG keine Verweisung auf § 17 Abs. 4 OWiG vorgenommen, wäre die Abschöpfungsfunktion der Geldbuße nicht aus § 30 OWiG ersichtlich. Dem mag entgegengehalten werden, dass auch andere Ordnungswidrigkeitentatbestände nicht auf § 17 Abs. 4 OWiG verweisen. Ein klarstellender Verweis ist jedoch umso mehr geboten, als § 30 OWiG – ebenso wie § 81 GWB – auch eigene, von § 17 OWiG abweichende Bemessungsregeln aufstellt und vom Rechtsanwender deshalb als abschließende Regelung (miss-) verstanden werden könnte.

Diese Überlegungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit des § 17 Abs. 3 OWiG auf die Unternehmensgeldbuße werden durch den gesetzgeberischen Willen gestützt: Der Gesetzgeber hat die Einführung der Unternehmensgeldbuße gerade mit der Notwendigkeit, ein Unternehmen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen bebußen zu können, begründet. Insofern verweist die Gesetzesbegründung auf den Fall des Einzelunternehmers. Gegen diesen werde im Falle einer Verletzung der ihm als Unternehmer obliegenden Pflichten durch eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine Sanktion unter Berücksichtigung „des wirtschaftlichen Wertes seines Unternehmens und der für das Unternehmen erzielten oder beabsichtigten Vorteile festgesetzt.“[13] Das Organ einer Gesellschaft werde jedoch nur entsprechend seiner persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse sanktioniert. Dadurch werde zum einen der Einzelunternehmer gegenüber den Organen einer Gesellschaft schlechter gestellt. Zum anderen – so die Gesetzesbegründung – stehe es oftmals in keinem angemessenen Verhältnis zur Tat, lediglich den Täter nach seinen persönlichen Verhältnissen zu sanktionieren anstatt das Unternehmen als Nutznießer der Tat. Entsprechend dem Einzelkaufmann müssten juristische Personen und Personenvereinigungen nicht nur die Vorteile, sondern auch die Nachteile, die bei Straftaten im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigung entstehen können, tragen.[14] Der gesetzgeberische Wille, ein Unternehmen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen zu bebußen, ist damit unzweifelhaft.

Unabhängig davon, wie man sich im Ergebnis zur Anwendbarkeit des § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG auf die Unternehmensgeldbuße verhält, ist die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Geldbußbemessung zwingend geboten. Sie entspricht der Vorstellung des Gesetzgebers. Zudem ist nicht ersichtlich, warum ein Unternehmen unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit bebußt werden sollte. Wie auch Geldbußen gegenüber natürlichen Personen werden mit der Unternehmensgeldbuße präventive und repressive Zwecke verfolgt.[15] Eine Geldbuße, die in keinem Verhältnis zur Leistungsfähigkeit und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmens steht, verfehlt diese Zwecke. Eine Geldbuße, die die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens übersteigt, kann statt einer Sanktionierung eine Eliminierung der wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten des Unternehmens bedeuten. Und auch umgekehrt ist eine Geldbuße, die ein Unternehmen im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht empfindlich trifft, unter Umständen nicht zur Normverdeutlichung geeignet.

Dem OLG Frankfurt ist jedenfalls im Ergebnis darin zuzustimmen, bei der Bemessung der Unternehmensgeldbuße die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens zu beachten.

2. Berücksichtigung von Verfahrensverzögerung und Verfahrensdauer

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass eine Kompensation von rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen i. S. d. Art. 6 MRK und daneben eine Berücksichtigung der ungewöhnlich langen Verfahrensdauer bei der Bemessung von Geldbußen auch gegenüber Unternehmen zu erfolgen hat. Beides ist bei der Sanktionierung von natürlichen Personen und auch bei der Bebußung von Unternehmen wegen Kartellrechtsverstößen bereits anerkannt.[16] Das OLG hält dabei im Hinblick auf die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eine „Kompensation“ für erforderlich. Demnach soll – wie auch im Kartellrecht – die Verzögerung durch einen Abschlag nach der Geldbußbemessung kompensiert werden (sog. Vollstreckungslösung[17]). Die überlange Verfahrensdauer ist hingegen ein Milderungsgrund, der bereits bei der Geldbußbemessung zur Anwendung gelangt.

Die Rechtsprechung der Kartellgerichte hat bereits Kriterien aufgestellt, an denen sich die Auswirkungen einer Verfahrensverzögerung und einer überlangen Verfahrensdauer auf das Unternehmen bewerten lassen. Demnach ist zu berücksichtigen, ob das Unternehmen wegen der langen Verfahrensdauer über einen langen Zeitraum Rücklagen bilden musste[18], ob durch die Verzögerung eine verstärkte Beeinträchtigung des Unternehmens durch die mit dem Ermittlungsverfahren verbundenen Unsicherheiten bei der Investitions- und Zukunftsplanung eingetreten ist[19] sowie, ob andere schwerwiegende und nachhaltige Konsequenzen wirtschaftlicher Art das Unternehmen belasten.[20]

3. Wahrung des Doppelbestrafungsverbots

Das OLG weist darauf hin, dass zur Wahrung des Doppelbestrafungsverbotes eine Berücksichtigung der Beteiligungsverhältnisse des ebenfalls sanktionierten Organs an dem Unternehmen geboten ist.[21] Insofern müssen beide Maßnahmen – insbesondere bei weitgehender oder völliger Identität zwischen Organ und Gesellschafter – aufeinander abgestimmt werden, da wirtschaftlich die gleiche Person getroffen wird.

Auffallend ist, dass das OLG Frankfurt von einer „Hauptsanktion“ (gegenüber der natürlichen Person) und einer „Nebensanktion“ (gegenüber dem Unternehmen) spricht. Dies scheint dadurch begründet, dass es einige Passagen aus einem Urteil des OLG Hamm aus dem Jahr 1973 übernimmt.[22] Bis 1986 wurde die Unternehmensgeldbuße in § 26 und später in § 30 OWiG noch als „Nebenfolge“ bezeichnet. Diese sog. Nebenfolgelösung wurde jedoch vom Gesetzgeber aufgegeben, um eine selbstständige Verhängung der Unternehmensgeldbuße – ohne die Einleitung eines Verfahrens gegen eine natürliche Person – zu ermöglichen.[23] Im Ergebnis kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass das OLG Frankfurt die Unternehmensgeldbuße als eine von der Hauptsanktion abhängige Nebensanktion begreift.

Richtigerweise stehen die Sanktionen gegenüber dem Täter einerseits und gegenüber dem Unternehmen andererseits nach der heutigen Gesetzesfassung selbstständig nebeneinander. Trotz dessen sind – dies hatte auch schon der historische Gesetzgeber im Blick[24] – beide Sanktionen zur Wahrung des Verfassungsgrundsatzes des Doppelbestrafungsverbotes aufeinander abzustimmen und entsprechend zu mildern. Insofern haben Bußgeldbehörden und Gerichte frühzeitig Feststellungen über die Beteiligungsverhältnisse des Unternehmens zu treffen.[25] Dies gilt konsequenterweise auch, wenn lediglich eine Teilidentität zwischen der sanktionierten Leitungsperson und den Gesellschaftern des Unternehmens besteht.[26]

III. Fazit

In seinem Beschluss wendet das OLG Frankfurt am Main Zumessungskriterien auf die Unternehmensgeldbuße an, die bisher hauptsächlich bei der Sanktionierung von natürlichen Personen herangezogen wurden. Bei Geldbußen wegen Kartellrechtsverstößen gem. § 81 GWB werden bereits heute umfangreiche Abwägungen im Rahmen der Geldbußbemessung vorgenommen. Im Verhältnis zu den hohen Compliance-Anforderungen, der hohen Dichte zu befolgender Rechtsnormen und der verstärkten Einbeziehung von Unternehmen in die Sanktionierung ist die bisherige Rechtsprechung zu den Zumessungskriterien der Unternehmensgeldbuße übersichtlich. Der Beschluss des OLG Frankfurt bedeutet insoweit einen Schritt in die richtige Richtung. Eine Fortschreibung dieser Rechtsprechung auch unter Berücksichtigung anderer in der Literatur bereits angesprochener Zumessungskriterien[27] wie z.B. Compliance-Bemühungen oder der Frage, wie sich Organisationsmängel auf die Geldbußbemessung auswirken,[28] wäre wünschenswert.

[:en]

Anm. zu OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 Ss 63/11

1. Vor der Festsetzung einer Unternehmensgeldbuße wegen einer Ordnungswidrigkeit, die nicht zu den geringfügigen Ordnungswidrigkeiten zählt, sind Feststellungen zur Leistungsfähigkeit und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmens zu treffen. (Ls. d. Red.)

2. Auch bei der Verhängung einer Unternehmensgeldbuße sind rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen zu kompensieren und eine lange Verfahrensdauer ist als Milderungsgrund bei der Geldbußbemessung zu berücksichtigen. (Ls. d. Red.)

3. Bei der Geldbußbemessung sind zur Wahrung des Doppelbestrafungsverbots die Beteiligungsverhältnisse zwischen Organ und juristischer Person zu berücksichtigen. Eine derartige Abstimmung von Haupt- und Nebensanktion ist umso mehr geboten, wenn Organ und Gesellschafter weitgehend oder gar völlig identisch sind, denn in solchen Fällen würde bei zusätzlicher Sanktionierung der juristischen Person wirtschaftlich gesehen die gleiche Person getroffen wie bereits durch die Hauptsanktion. (amtl. Ls.)

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 Ss 63/11[1]


I. Sachverhalt und Entscheidungsgründe:

Der Angeklagte ist alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Nebenbeteiligten. Das zweitinstanzliche Landgericht Frankfurt am Main hat ihn mit Urteil vom 18. Oktober 2010 wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr sowie wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je EUR 60,00 verurteilt. Hiervon galten 60 Tagessätze wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen als gezahlt. Eine Geldbuße von EUR 10.000,00 setzte das Landgericht gegen die Nebenbeteiligte fest. Gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main richteten sich die Revisionen des Angeklagten und der Nebenbeteiligten. Einzig die Revision der Nebenbeteiligten hatte Erfolg, soweit sie sich gegen den sie betreffenden Rechtsfolgenausspruch richtete.

In seiner Begründung schloss sich das OLG Frankfurt am Main im Wesentlichen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt vom 12. April 2011 an. Diese hatte zunächst darauf hingewiesen, dass eine Geldbuße in Höhe von EUR 10.000,00 nicht für eine geringfügige Ordnungswidrigkeit festgesetzt werde. Insofern sei es erforderlich, vor der Verhängung und Bemessung der Geldbuße gegen das Unternehmen Feststellungen zu seiner Leistungsfähigkeit und damit zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmens zu treffen. Diesem Erfordernis würden die Urteilsfeststellungen nicht gerecht. Das Landgericht habe insoweit lediglich festgestellt, dass die Nebenbeteiligte einen Umsatzrückgang von EUR 31 Mio. im Jahre 2000 auf EUR 7 Mio. im Jahre 2007 erlitten habe und der Nebenbeteiligten die Insolvenz gedroht habe. Zum 31. Dezember 2009 habe ein Bilanzverlust von EUR 1,2 Mio. bestanden. Zum Zwecke der Sanierung des Unternehmens habe der Angeklagte der Nebenbeteiligten Gesellschafterdarlehen in Höhe von EUR 1,5 Mio. gewährt und seit dem Jahre 2003 auf ein Geschäftsführergehalt verzichtet. Mit diesen Feststellungen sei zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Nebenbeteiligten zum relevanten Zeitpunkt der Berufungsentscheidung wenig gesagt. Aus den Umsatzzahlen könne nicht auf die Ertragssituation geschlossen werden. Hinweise auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ergäben sich weder aus dem – möglicherweise noch durch Verlustvorträge aus Vorjahren verursachten – Bilanzverlust, noch aus der Tatsache, dass zu einem früheren Zeitpunkt durch Zuführung von Eigenkapital eine drohende Insolvenz abgewendet wurde.

Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Nebenbeteiligte weitere Angaben zu ihrer aktuellen wirtschaftlichen Situation verweigert hätte, da das Landgericht nicht angegeben habe, auf Schätzungen angewiesen zu sein. Insofern hätte es weitergehender Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Nebenbeteiligten bedurft. Ohne diese könne nicht nachgeprüft werden, ob die Festsetzung der relativ hohen Geldbuße auf einer rechtlich tragfähigen Grundlage beruht.

Darüber hinaus hätte die festgestellte – und zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigte – rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung i. S. d. Art. 6 MRK kompensiert werden müssen. Daneben hätte die ungewöhnlich lange Verfahrensdauer bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden müssen. Zu einer Kompensation wegen Verletzung des Art. 6 MRK und einer daneben gebotener Milderung wegen überlanger Verfahrensdauer verhalte sich das Berufungsurteil nicht.

Da wegen noch notwendiger Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen ein rechtsfehlerfreier Zumessungssachverhalt nicht vorliege, bedürfe es einer Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch.

Dieser Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft trat der Senat bei und ergänzte mit Hinweis auf die Standardkommentierung zum OWiG, „dass bei der Geldbußbemessung zur Wahrung des Doppelbestrafungsverbots die Beteiligungsverhältnisse zwischen Organ und juristischer Person zu berücksichtigen sind. Eine derartige Abstimmung von Haupt- und Nebensanktion wird umso mehr geboten sein, wenn Organ und Gesellschafter weitgehend oder gar völlig identisch sind; denn in solchen Fällen würde bei zusätzlicher Sanktionierung der juristischen Person wirtschaftlich gesehen die gleiche Person getroffen wie bereits durch die Hauptsanktion, so dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der zweifachen Ahndung jeweils gegenseitig berücksichtigt werden müssen (vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl. § 30 Rn. 35; OLG Hamm, NJW 1973, 1851).“ Der Senat hob das Urteil im Rechtsfolgenausspruch gegen die Nebenbeteiligte mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verwies die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main.

 

II. Anmerkung

Die Entscheidung befasst sich mit drei Gesichtspunkten der Geldbußbemessung gegenüber Unternehmen. Zum einen mit den Feststellungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens, zweitens mit der Berücksichtigung rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen und der Verfahrensdauer und schließlich mit der Wahrung des Doppelbestrafungsverbot. Der Beschluss des OLG ist im Ergebnis in allen Punkten zustimmungswürdig.  

1. Feststellungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens

Zunächst hat das OLG Frankfurt entschieden, dass vor der Bemessung der Geldbuße Feststellungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu treffen sind, da eine Geldbuße in Höhe von EUR 10.000,00 nicht für eine geringfügige Ordnungswidrigkeit festgesetzt wird. Damit lässt sich der Beschluss in eine Reihe von Judikaten einordnen, die die Regelung des § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG de facto – und unter Verweis auf eine entsprechende Kommentierung – gegenüber Unternehmen anwenden, sich jedoch nicht ausdrücklich zur Anwendbarkeit der Norm verhalten.[2] In der Literatur wird der Anwendung des § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG auf die Unternehmensgeldbuße überwiegend zugestimmt.

Nach § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG kommt eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters bei der Bemessung der Geldbuße „in Betracht“, wenn die Ordnungswidrigkeit nicht lediglich geringfügig[3] ist. In der Praxis wird die Norm dahingehend interpretiert, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber den in § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG genannten Zumessungsgesichtspunkten der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und des Vorwurfs, der den Täter trifft, eine nachrangige Bedeutung haben.[4] Entsprechend handelt es sich bei der Einbeziehung der wirtschaftlichen Verhältnisse in die Bußgeldbemessung um ein Korrektiv, welches bei jeder nicht geringfügigen Geldbuße nach den Grundüberlegungen zur Bedeutung und zum Vorwurf der Tat zur Anwendung kommt. Dies ist notwendig, da von der Leistungsfähigkeit des Täters abhängt, wie empfindlich er durch die Geldbuße getroffen wird.[5]

Hinsichtlich der Anwendung der in § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG normierten Zumessungskriterien gegenüber Unternehmen wird teilweise vertreten, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens könnten im Rahmen „allgemeiner Zumessungsgrundsätze“[6] berücksichtigt werden. Da § 30 Abs. 3 OWiG allerdings nicht auf § 17 Abs. 3 OWiG, sondern nur auf die §§ 17 Abs. 4, 18 OWiG verweise, sei § 17 Abs. 3 OWiG nicht entsprechend auf die Unternehmensgeldbuße anzuwenden.[7] Zudem könnten an die Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Unternehmens nicht die gleichen strengen Anforderungen gestellt werden wie bei natürlichen Personen.[8]

Die überwiegende Ansicht in der Literatur geht jedoch dahin, die Zumessungskriterien des § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG – auch ohne ausdrückliche Verweisung – auf die Bemessung der Geldbuße nach § 30 OWiG anzuwenden.[9]

Eine gesetzessystematische Auslegung könnte tatsächlich zu dem Ergebnis gelangen, dass die in § 17 OWiG geregelten allgemeinen Zumessungskriterien nur für die Bußgeldbemessung gegenüber dem Täter anzuwenden sind. Sowohl die Vorschrift zur „Höhe der Geldbuße“ als auch die Vorschrift zur „Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigung“ finden sich im allgemeinen Teil des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Der Vorschrift des § 17 OWiG kommt insofern keine übergeordnete Stellung zu, die eine allgemeine Anwendung auch auf die Geldbuße gegenüber Unternehmen zwingend erscheinen lässt. Zudem spricht die eingeschränkte Verweisung des § 30 Abs. 3 OWiG grundsätzlich dafür, nur die ausdrücklich inbezuggenommene Vorschrift des § 17 Abs. 4 OWiG anzuwenden.

Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 17 OWiG eher allgemein mit „Höhe der Geldbuße“ bezeichnet und insoweit keine eingeschränkte Geltung nur gegenüber dem Täter normiert. Damit könnten die Regelungen des § 17 OWiG als allgemeine Zumessungsgrundlagen zu verstehen sein. Zu den Regelungen des § 17 Abs. 1 und 2 OWiG (Bußgeldrahmen) trifft § 30 OWiG abweichende Bestimmungen, so dass eine Verweisung insoweit ohnehin nicht in Betracht kommt. Dass der Gesetzgeber eine Verweisung auf § 17 Abs. 4 OWiG vorgenommen hat, während er nicht auf § 17 Abs. 3 OWiG verweist, kann mit dem unterschiedlichen Charakter beider Vorschriften begründet werden. § 17 Abs. 3 OWiG enthält die allgemeinen Regelungen zur Bußgeldzumessung. § 17 Abs. 4 OWiG hingegen konstituiert zusätzlich den Abschöpfungscharakter der Geldbuße. § 17 Abs. 4 OWiG beschreibt damit eine über die bloße Ahndung des Unternehmens hinausgehende Rechtsfolge einer Ordnungswidrigkeit. Diese muss gesetzlich bestimmt sein.[10] Derartige Bestimmtheitsanforderungen werden an Zumessungskriterien für Strafen und Geldbußen, zu denen die Regelung des § 17 Abs. 3 OWiG zählt, nicht gestellt. Sie sind vielfach nicht positivrechtlich niedergelegt.[11] Bei der Straf- und Bußgeldbemessung ist es im Gegenteil erforderlich, innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Straf- und Bußgeldrahmen Raum für die Einbeziehung aller im Einzelfall zu berücksichtigenden Umstände zu lassen.[12] Daher bedarf es eines Verweises auf § 17 Abs. 3 OWiG in § 30 OWiG nicht – weder aus rechtlichen noch aus deklaratorischen Gründen.

Anders liegt es in Bezug auf § 17 Abs. 4 OWiG. Hier macht der klarstellende Verweis durchaus Sinn: Hätte der Gesetzgeber in § 30 OWiG keine Verweisung auf § 17 Abs. 4 OWiG vorgenommen, wäre die Abschöpfungsfunktion der Geldbuße nicht aus § 30 OWiG ersichtlich. Dem mag entgegengehalten werden, dass auch andere Ordnungswidrigkeitentatbestände nicht auf § 17 Abs. 4 OWiG verweisen. Ein klarstellender Verweis ist jedoch umso mehr geboten, als § 30 OWiG – ebenso wie § 81 GWB – auch eigene, von § 17 OWiG abweichende Bemessungsregeln aufstellt und vom Rechtsanwender deshalb als abschließende Regelung (miss-) verstanden werden könnte.

Diese Überlegungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit des § 17 Abs. 3 OWiG auf die Unternehmensgeldbuße werden durch den gesetzgeberischen Willen gestützt: Der Gesetzgeber hat die Einführung der Unternehmensgeldbuße gerade mit der Notwendigkeit, ein Unternehmen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen bebußen zu können, begründet. Insofern verweist die Gesetzesbegründung auf den Fall des Einzelunternehmers. Gegen diesen werde im Falle einer Verletzung der ihm als Unternehmer obliegenden Pflichten durch eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine Sanktion unter Berücksichtigung „des wirtschaftlichen Wertes seines Unternehmens und der für das Unternehmen erzielten oder beabsichtigten Vorteile festgesetzt.“[13] Das Organ einer Gesellschaft werde jedoch nur entsprechend seiner persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse sanktioniert. Dadurch werde zum einen der Einzelunternehmer gegenüber den Organen einer Gesellschaft schlechter gestellt. Zum anderen – so die Gesetzesbegründung – stehe es oftmals in keinem angemessenen Verhältnis zur Tat, lediglich den Täter nach seinen persönlichen Verhältnissen zu sanktionieren anstatt das Unternehmen als Nutznießer der Tat. Entsprechend dem Einzelkaufmann müssten juristische Personen und Personenvereinigungen nicht nur die Vorteile, sondern auch die Nachteile, die bei Straftaten im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigung entstehen können, tragen.[14] Der gesetzgeberische Wille, ein Unternehmen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen zu bebußen, ist damit unzweifelhaft.

Unabhängig davon, wie man sich im Ergebnis zur Anwendbarkeit des § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG auf die Unternehmensgeldbuße verhält, ist die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Geldbußbemessung zwingend geboten. Sie entspricht der Vorstellung des Gesetzgebers. Zudem ist nicht ersichtlich, warum ein Unternehmen unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit bebußt werden sollte. Wie auch Geldbußen gegenüber natürlichen Personen werden mit der Unternehmensgeldbuße präventive und repressive Zwecke verfolgt.[15] Eine Geldbuße, die in keinem Verhältnis zur Leistungsfähigkeit und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmens steht, verfehlt diese Zwecke. Eine Geldbuße, die die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens übersteigt, kann statt einer Sanktionierung eine Eliminierung der wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten des Unternehmens bedeuten. Und auch umgekehrt ist eine Geldbuße, die ein Unternehmen im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht empfindlich trifft, unter Umständen nicht zur Normverdeutlichung geeignet.

Dem OLG Frankfurt ist jedenfalls im Ergebnis darin zuzustimmen, bei der Bemessung der Unternehmensgeldbuße die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens zu beachten.

2. Berücksichtigung von Verfahrensverzögerung und Verfahrensdauer

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass eine Kompensation von rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen i. S. d. Art. 6 MRK und daneben eine Berücksichtigung der ungewöhnlich langen Verfahrensdauer bei der Bemessung von Geldbußen auch gegenüber Unternehmen zu erfolgen hat. Beides ist bei der Sanktionierung von natürlichen Personen und auch bei der Bebußung von Unternehmen wegen Kartellrechtsverstößen bereits anerkannt.[16] Das OLG hält dabei im Hinblick auf die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eine „Kompensation“ für erforderlich. Demnach soll – wie auch im Kartellrecht – die Verzögerung durch einen Abschlag nach der Geldbußbemessung kompensiert werden (sog. Vollstreckungslösung[17]). Die überlange Verfahrensdauer ist hingegen ein Milderungsgrund, der bereits bei der Geldbußbemessung zur Anwendung gelangt.

Die Rechtsprechung der Kartellgerichte hat bereits Kriterien aufgestellt, an denen sich die Auswirkungen einer Verfahrensverzögerung und einer überlangen Verfahrensdauer auf das Unternehmen bewerten lassen. Demnach ist zu berücksichtigen, ob das Unternehmen wegen der langen Verfahrensdauer über einen langen Zeitraum Rücklagen bilden musste[18], ob durch die Verzögerung eine verstärkte Beeinträchtigung des Unternehmens durch die mit dem Ermittlungsverfahren verbundenen Unsicherheiten bei der Investitions- und Zukunftsplanung eingetreten ist[19] sowie, ob andere schwerwiegende und nachhaltige Konsequenzen wirtschaftlicher Art das Unternehmen belasten.[20]

3. Wahrung des Doppelbestrafungsverbots

Das OLG weist darauf hin, dass zur Wahrung des Doppelbestrafungsverbotes eine Berücksichtigung der Beteiligungsverhältnisse des ebenfalls sanktionierten Organs an dem Unternehmen geboten ist.[21] Insofern müssen beide Maßnahmen – insbesondere bei weitgehender oder völliger Identität zwischen Organ und Gesellschafter – aufeinander abgestimmt werden, da wirtschaftlich die gleiche Person getroffen wird.

Auffallend ist, dass das OLG Frankfurt von einer „Hauptsanktion“ (gegenüber der natürlichen Person) und einer „Nebensanktion“ (gegenüber dem Unternehmen) spricht. Dies scheint dadurch begründet, dass es einige Passagen aus einem Urteil des OLG Hamm aus dem Jahr 1973 übernimmt.[22] Bis 1986 wurde die Unternehmensgeldbuße in § 26 und später in § 30 OWiG noch als „Nebenfolge“ bezeichnet. Diese sog. Nebenfolgelösung wurde jedoch vom Gesetzgeber aufgegeben, um eine selbstständige Verhängung der Unternehmensgeldbuße – ohne die Einleitung eines Verfahrens gegen eine natürliche Person – zu ermöglichen.[23] Im Ergebnis kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass das OLG Frankfurt die Unternehmensgeldbuße als eine von der Hauptsanktion abhängige Nebensanktion begreift.

Richtigerweise stehen die Sanktionen gegenüber dem Täter einerseits und gegenüber dem Unternehmen andererseits nach der heutigen Gesetzesfassung selbstständig nebeneinander. Trotz dessen sind – dies hatte auch schon der historische Gesetzgeber im Blick[24] – beide Sanktionen zur Wahrung des Verfassungsgrundsatzes des Doppelbestrafungsverbotes aufeinander abzustimmen und entsprechend zu mildern. Insofern haben Bußgeldbehörden und Gerichte frühzeitig Feststellungen über die Beteiligungsverhältnisse des Unternehmens zu treffen.[25] Dies gilt konsequenterweise auch, wenn lediglich eine Teilidentität zwischen der sanktionierten Leitungsperson und den Gesellschaftern des Unternehmens besteht.[26]

 

III. Fazit

In seinem Beschluss wendet das OLG Frankfurt am Main Zumessungskriterien auf die Unternehmensgeldbuße an, die bisher hauptsächlich bei der Sanktionierung von natürlichen Personen herangezogen wurden. Bei Geldbußen wegen Kartellrechtsverstößen gem. § 81 GWB werden bereits heute umfangreiche Abwägungen im Rahmen der Geldbußbemessung vorgenommen. Im Verhältnis zu den hohen Compliance-Anforderungen, der hohen Dichte zu befolgender Rechtsnormen und der verstärkten Einbeziehung von Unternehmen in die Sanktionierung ist die bisherige Rechtsprechung zu den Zumessungskriterien der Unternehmensgeldbuße übersichtlich. Der Beschluss des OLG Frankfurt bedeutet insoweit einen Schritt in die richtige Richtung. Eine Fortschreibung dieser Rechtsprechung auch unter Berücksichtigung anderer in der Literatur bereits angesprochener Zumessungskriterien[27] wie z.B. Compliance-Bemühungen oder der Frage, wie sich Organisationsmängel auf die Geldbußbemessung auswirken,[28] wäre wünschenswert.

[1] OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 Ss 63/11 = BeckRS 2012, 10887.

[2] So auch: OLG Hamm, wistra 2000, 393, 394; OLG Hamm, wistra 2000, 433, 434. Das OLG Düsseldorf hat bei der Bemessung der Unternehmensgeldbuße wegen eines Kartellrechtsverstoßes den § 17 Abs. 3 OWiG in den Katalog anzuwendender Vorschriften aufgenommen, Urteil vom 05. April 2006 – 2 Kart 5 6/05 = BeckRS 2007, 00379.

[3] In der Regel wird eine Geringfügigkeit bei einer Geldbuße in Höhe von EUR 250,00 nicht mehr vorliegen, vgl. OLG Celle, NStZ 2009, 295; Hanseatisches OLG Bremen, NZV 2010, 42, 44; OLG Schleswig, NZV 2011, 410; OLG Jena, Beschluss vom 1. September 2011 – 1 Ss Bs 66/11 = BeckRS 2011, 28896.

[4] Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl. 2006, § 17 Rn. 84; vgl. auch Gürtler in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 16. Aufl. 2012, § 17 Rn. 15 und 22.

[5] Gürtler in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 16. Aufl. 2012, § 17 Rn. 22; Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl. 2006, § 17 Rn. 84.

[6] Gürtler in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 16. Aufl. 2012, § 30 Rn. 36a.

[7] So Gürtler in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 16. Aufl. 2012, § 30 Rn. 36a; Korte, NStZ 2001, 582, 584.

[8] Korte, NStZ 2001, 582, 584.

[9] Bohnert, OWiG, 3. Aufl. 2010, § 30 Rn. 41; Cramer/Pananis in: Loewenheim/Meesen/Riesenkampf, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 81 GWB Rn. 60; Dannecker/Biermann in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht: GWB, 4. Aufl. 2007, § 81 GWB Rn. 360; Lemke/Mosbacher, OWiG, 2. Aufl. 2005, § 30 Rn. 63; Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl. 2006, § 30 Rn. 115 m. z. w. N.; Wegner, wistra 2000, 361, 362 m. z. w. N.

[10] Zum Schmidt-Aßmann Bestimmtheitsgebot hinsichtlich Art und Umfang der Sanktion auch im Ordnungswidrigkeitenrecht: Schmid-Aßmann in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 66. Ergänzungslieferung 2012, Art. 103 Abs. 2 GG Rn. 194 ff.

[11] Vgl. Stree/Kinzig in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, § 46 Rn. 1; Theune in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2006, § 46 Rn. 1.

[12] BVerfG, StV 2002, 247 ff. zum Spannungsverhältnis zwischen dem Gebot der Gesetzesbestimmtheit und dem Schuldprinzip.

[13] BT-Drucks. V/1269, S. 59.

[14] BT-Drucks. V/1269, S. 59.

[15] Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl. 2006, § 30 Rn. 16.

[16] Für das Kartellrecht: OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. März 2009 – VI-2 Kart 10/08 OWi = BeckRS 2009, 28250; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. Juni 2009 – VI-2a Kart 2 06/08 OWi = BeckRS 2010, 04805, wobei sich hinsichtlich der Verfahrensverzögerung beide Entscheidungen mit einer Feststellung der selbigen begnügen und keinen Anlass sehen, eine Kompensation auszusprechen.

[17] Zur Vollstreckungslösung: BGH, NJW 2008, 860 ff.

[18] OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. Juni 2009 – VI-2a Kart 2 06/08 OWi = BeckRS 2010, 04805.

[19] OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. März 2009 – VI-2 Kart 10/08 OWi = BeckRS 2009, 28250.

[20] OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. März 2009 – VI-2 Kart 10/08 OWi = BeckRS 2009, 28250.

[21] So auch Gürtler in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 16. Aufl. 2012, § 30 Rn. 35.

[22] Vgl. OLG Hamm, NJW 1973, 1851, 1853 f.

[23] BT-Drucks. 10/5058, S. 36.

[24] BT-Drucks. V/1269, S. 61.

[25] OLG Hamm, NJW 1973, 1851, 1854.

[26] OLG Hamm, NJW 1973, 1851, 1854.

[27] Vgl. hierzu Dannecker/Biermann in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht: GWB, 4. Aufl. 2007, § 81 GWB Rn. 394 f. und auch Gürtler in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 16. Aufl. 2012, § 30 Rn. 36a.

[28] Strittig: Vgl. Gürtler in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 16. Aufl. 2012, § 30 Rn. 36a.

WiJ

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