Gercke/Julius/Temming/Zöller (Hrsg.), Heidelberger Kommentar, Strafprozessordnung
5. Auflage (2012), C.F. Müller, 159,95 €, 2845 S.
Drei Jahre nach dem Erscheinen der Vorauflage ist die Neuauflage des Heidelberger Kommentars zu Strafprozessordnung auf den – an Kommentierungen dieses Gesetzes nicht armen – Buchmarkt gekommen. Es darf vorweggenommen werden, dass das auf über 2840 Seiten – und damit gegenüber der Vorauflage um mehr als 250 Seiten – angewachsene Werk die durch die Vorauflagen geweckten hohen Erwartungen (vgl. etwa die Rezension von Krenberger NJ 2009, 465) erfüllt. Wäre der Heidelberger Kommentar zur StPO – wie zur Zeit – stets auf dem neuesten Stand, d.h. erschiene er in noch kürzeren Abständen, bestünde kein zwingender Anlass, ergänzend auf ein allseits bekanntes einbändiges Anmerkungsbuch zur StPO zurückzugreifen. Aber auch so ist das besprochene Werk – mit dem der Rezensent sehr gerne und häufig arbeitet – ein wichtiges Korrektiv zu dem einflussreichen, besonders rechtsprechungsnahen StPO-Kommentar Meyer-Goßners. Eine klare Kaufempfehlung sei daher vorweg ausgesprochen. Der Kreis der Autoren hat sich im Vergleich zur Vorauflage erheblich verändert. Ausgeschieden sind altersbedingt der Mitbegründer und Mitherausgeber des Werkes, Ministerialdirigent a.D. Professor Dr. Lemke und der langjährige Mitkommentator Bundesanwalt a.D. Dr. Kurth. Erweitert und verjüngt wurde das Kommentatorenteam durch das Hinzutreten von Rechtsanwalt Dr. Ahlbrecht, Düsseldorf, des leitenden Oberstaatsanwalts bei der Staatsanwaltschaft Trier, Dr. Brauer, des Vorsitzenden Richters am OLG Hamm Posthoff, des Richters am Landgericht Osnabrück, Schmidt, sowie von Frau Professor Dr. Weißer (Universität Münster). Durch die Auswahl der neuen Autoren wurde zum einen sichergestellt, dass die fruchtbare und ausgewogene Mischung von Kommentatoren aus Justiz, Anwaltschaft und Wissenschaft beibehalten wird, zum anderen – durch die Vergrößerung des Autorenkreises – aber auch, dass die einzelnen Autoren ihre Kommentierungstätigkeit auf eine kleinere Zahl an Normen konzentrieren konnten. Gerade Letzteres macht sich bereits in der besprochenen Neuauflage anhand der Intensität und Vertiefung zahlreicher Kommentierungen sehr positiv bemerkbar. Vielerorts wird eine im besten Sinne praxisbezogene Herangehensweise der Autoren sichtbar, die – für den Rechtsanwender – einen weiteren großen Vorteil des Kommentars darstellt. In formaler Hinsicht ist zudem festzuhalten, dass der Kommentar durch seine ausgeprägte Lesbarkeit besticht, die durch eine maßvolle und durchdachte Wiedergabe von (nicht zu vielen, sondern der wichtigen) Fundstellen, durch Hervorhebungen im Fettdruck durch eine ausreichende Schriftgröße und besonders durch einen – im Vergleich zu Referenzwerken – größeren Zeilenabstand bewirkt wird. Eigene inhaltliche Akzente setzt der Kommentar besonders mit Ausführungen zu der verfassungsrechtlichen Positionen des Beschuldigten, zum – primär aus anwaltlicher Sicht auszuschöpfen – Argumentationspotential der EMRK, zur – gerade der verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterworfenen – Verständigung im Strafverfahren, sowie zu Besonderheiten im Wirtschaftsstrafverfahren. Letzteres begrüßt der Rezensent tätigkeitsbedingt besonders. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang unter anderem die Ausführungen von Gercke zur Vermögensabschöpfung (§§ 111b ff. StPO) und die sehr gründliche und eingehende Kommentierung von Temming zur Verständigung im Strafverfahren gemäß § 257c StPO, die in der Praxis einen hauptsächlichen Anwendungsbereich im Bereich der Wirtschaftsstrafverfahren, insbesondere im Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftsstrafkammern (§ 74c GVG), findet. Ähnliches gilt für die Kommentierung der §§ 153, 153a StPO durch Gercke. Sehr gelungen sind auch die sehr eingehenden, EMRK-Aspekte und die Interessenlage des Verteidigers umfassend berücksichtigenden Kommentierungen der §§ 136, 136a StPO durch Ahlbrecht. Qualitativ sehr hochwertig und zugleich außergewöhnlich tiefgründig sind auch die umfangreichen Kommentierungen der §§158-160a, 161-177 StPO durch Zöller, denen die umfangreiche Forschungs- und Publikationstätigkeit des Autors – insbesondere auch zum Verhältnis des Strafprozessrechts zu polizeirechtlichen und nachrichtendienstlichen Maßnahmen und den diesbezüglichen Rechtsrahmen – ersichtlich zu Gute kommt. Hervorgehoben seien hier die hervorragenden Kommentierungen Zöllers zu § 160a StPO n. F. (Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger), zu § 161 StPO (Ermittlungen) und zu § 163 StPO (Erster Zugriff der Polizei), die nach Qualität, Umfang und Intensität durchaus auch einem Großkommentar gut anstehen würden. Eine große Stärke des Kommentars liegt zudem in der klaren und verständlichen Schilderung des Potentials elektronischer Datenverarbeitung, technischer Ermittlungsmaßnahmen und ihrer prozessrechtlichen Einordnung im Kontext der jeweils einschlägigen strafverfahrensrechtlichen Eingriffsgrundlagen. Beispielhaft kann hier auf die Ausführungen Gerckes zu § 94 StPO im Zusammenhang mit EDV-Anlagen und Daten (Rn. 17 ff.) verwiesen werden. Durch diese Einzelhinweise sollen jedoch die übrigen Autoren und Beiträge keinesfalls abgewertet werden. Insgesamt kann – was bei elf Autoren nicht selbstverständlich ist – auch bezüglich der hier nicht im einzelnen angesprochenen Kommentierungen von einer durchgehend sehr guten Qualität der kommentierenden Anmerkungen gesprochen werden, nicht nur in zentralen Bereichen – wie in der Kommentierung des Rechts der Hauptverhandlung durch Julius (vgl. etwa die umfangreiche und gut strukturierte Kommentierung zu § 261 StPO) bzw. der Untersuchungshaft durch Posthoff (vgl. die Kommentierung zu § 112 StPO) – sondern gerade auch bei Vorschriften, die üblicherweise nicht zu den zentralen Normen der Strafprozessordnung gerechnet werden (etwa im Bereich des Rechts der Nebenklage; der Akteneinsichtsrecht der gemäß §§ 406e, 475 StPO; des Strafvollstreckungs- und Kostenrechts). Sehr vorteilhaft ist, dass der Heidelberger Kommentar nunmehr auch eine praxisnahe Kommentierung der GVG-Vorschriften enthält (ca. 240 Seiten), die für die Neuauflage von Schmidt und Temming übersichtlich, gut lesbar und aus einem Guss gefertigt wurde. Das Ziel, schwerpunktmäßig die praxisrelevanten Fehlerquellen aus dem Bereich des GVG darzustellen und im Übrigen die GVG-Kommentierung nicht zu überfrachten, erscheint sinnvoll und wurde erreicht. Sander hatte in einer Besprechung der 2. Auflage zum Heidelberger Kommentar noch angemerkt, die „äußere Aufmachung“ des Buches sei „eher schlicht“ und die „praktische Handhabung wäre erleichtert, wenn das zwar übersichtliche, aber teilweise etwas grobmaschige Stichwortverzeichnis zukünftig verfeinert würde“. Beiden Kritikpunkten sind meines Erachtens Autoren und Verlag inzwischen bestens gerecht geworden. Gerade das Stichwortverzeichnis besticht inzwischen – jedenfalls aus Sicht des Rezensenten – nicht nur durch Übersichtlichkeit, sondern auch durch Vollständigkeit. Soweit überhaupt noch (konstruktive) Kritik veranlasst ist, könnte diese an die ebenfalls bereits von Sander ausgesprochene Anregung anknüpfen, der „wachsenden Bedeutung der EMRK“ nicht nur durch eine Kommentierung „an Ort und Stelle“ im Text, sondern durch eine „zusammenhängende kommentierende Darstellung der strafprozessual relevanten Artikel“ Rechnung zu tragen. Die Kommentierung der GVG-Vorschriften weist hier meines Erachtens der 6. Auflage den richtigen Weg. Der Bezug der EMRK zu den StPO-Vorschriften sollte durch präzise wechselseitige Verweise hergestellt werden.
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5. Auflage (2012), C.F. Müller, 159,95 €, 2845 S.
Drei Jahre nach dem Erscheinen der Vorauflage ist die Neuauflage des Heidelberger Kommentars zu Strafprozessordnung auf den – an Kommentierungen dieses Gesetzes nicht armen – Buchmarkt gekommen. Es darf vorweggenommen werden, dass das auf über 2840 Seiten – und damit gegenüber der Vorauflage um mehr als 250 Seiten – angewachsene Werk die durch die Vorauflagen geweckten hohen Erwartungen (vgl. etwa die Rezension von Krenberger NJ 2009, 465) erfüllt. Wäre der Heidelberger Kommentar zur StPO – wie zur Zeit – stets auf dem neuesten Stand, d.h. erschiene er in noch kürzeren Abständen, bestünde kein zwingender Anlass, ergänzend auf ein allseits bekanntes einbändiges Anmerkungsbuch zur StPO zurückzugreifen. Aber auch so ist das besprochene Werk – mit dem der Rezensent sehr gerne und häufig arbeitet – ein wichtiges Korrektiv zu dem einflussreichen, besonders rechtsprechungsnahen StPO-Kommentar Meyer-Goßners. Eine klare Kaufempfehlung sei daher vorweg ausgesprochen. Der Kreis der Autoren hat sich im Vergleich zur Vorauflage erheblich verändert. Ausgeschieden sind altersbedingt der Mitbegründer und Mitherausgeber des Werkes, Ministerialdirigent a.D. Professor Dr. Lemke und der langjährige Mitkommentator Bundesanwalt a.D. Dr. Kurth. Erweitert und verjüngt wurde das Kommentatorenteam durch das Hinzutreten von Rechtsanwalt Dr. Ahlbrecht, Düsseldorf, des leitenden Oberstaatsanwalts bei der Staatsanwaltschaft Trier, Dr. Brauer, des Vorsitzenden Richters am OLG Hamm Posthoff, des Richters am Landgericht Osnabrück, Schmidt, sowie von Frau Professor Dr. Weißer (Universität Münster). Durch die Auswahl der neuen Autoren wurde zum einen sichergestellt, dass die fruchtbare und ausgewogene Mischung von Kommentatoren aus Justiz, Anwaltschaft und Wissenschaft beibehalten wird, zum anderen – durch die Vergrößerung des Autorenkreises – aber auch, dass die einzelnen Autoren ihre Kommentierungstätigkeit auf eine kleinere Zahl an Normen konzentrieren konnten. Gerade Letzteres macht sich bereits in der besprochenen Neuauflage anhand der Intensität und Vertiefung zahlreicher Kommentierungen sehr positiv bemerkbar. Vielerorts wird eine im besten Sinne praxisbezogene Herangehensweise der Autoren sichtbar, die – für den Rechtsanwender – einen weiteren großen Vorteil des Kommentars darstellt. In formaler Hinsicht ist zudem festzuhalten, dass der Kommentar durch seine ausgeprägte Lesbarkeit besticht, die durch eine maßvolle und durchdachte Wiedergabe von (nicht zu vielen, sondern der wichtigen) Fundstellen, durch Hervorhebungen im Fettdruck durch eine ausreichende Schriftgröße und besonders durch einen – im Vergleich zu Referenzwerken – größeren Zeilenabstand bewirkt wird. Eigene inhaltliche Akzente setzt der Kommentar besonders mit Ausführungen zu der verfassungsrechtlichen Positionen des Beschuldigten, zum – primär aus anwaltlicher Sicht auszuschöpfen – Argumentationspotential der EMRK, zur – gerade der verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterworfenen – Verständigung im Strafverfahren, sowie zu Besonderheiten im Wirtschaftsstrafverfahren. Letzteres begrüßt der Rezensent tätigkeitsbedingt besonders. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang unter anderem die Ausführungen von Gercke zur Vermögensabschöpfung (§§ 111b ff. StPO) und die sehr gründliche und eingehende Kommentierung von Temming zur Verständigung im Strafverfahren gemäß § 257c StPO, die in der Praxis einen hauptsächlichen Anwendungsbereich im Bereich der Wirtschaftsstrafverfahren, insbesondere im Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftsstrafkammern (§ 74c GVG), findet. Ähnliches gilt für die Kommentierung der §§ 153, 153a StPO durch Gercke. Sehr gelungen sind auch die sehr eingehenden, EMRK-Aspekte und die Interessenlage des Verteidigers umfassend berücksichtigenden Kommentierungen der §§ 136, 136a StPO durch Ahlbrecht. Qualitativ sehr hochwertig und zugleich außergewöhnlich tiefgründig sind auch die umfangreichen Kommentierungen der §§158-160a, 161-177 StPO durch Zöller, denen die umfangreiche Forschungs- und Publikationstätigkeit des Autors – insbesondere auch zum Verhältnis des Strafprozessrechts zu polizeirechtlichen und nachrichtendienstlichen Maßnahmen und den diesbezüglichen Rechtsrahmen – ersichtlich zu Gute kommt. Hervorgehoben seien hier die hervorragenden Kommentierungen Zöllers zu § 160a StPO n. F. (Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger), zu § 161 StPO (Ermittlungen) und zu § 163 StPO (Erster Zugriff der Polizei), die nach Qualität, Umfang und Intensität durchaus auch einem Großkommentar gut anstehen würden. Eine große Stärke des Kommentars liegt zudem in der klaren und verständlichen Schilderung des Potentials elektronischer Datenverarbeitung, technischer Ermittlungsmaßnahmen und ihrer prozessrechtlichen Einordnung im Kontext der jeweils einschlägigen strafverfahrensrechtlichen Eingriffsgrundlagen. Beispielhaft kann hier auf die Ausführungen Gerckes zu § 94 StPO im Zusammenhang mit EDV-Anlagen und Daten (Rn. 17 ff.) verwiesen werden. Durch diese Einzelhinweise sollen jedoch die übrigen Autoren und Beiträge keinesfalls abgewertet werden. Insgesamt kann – was bei elf Autoren nicht selbstverständlich ist – auch bezüglich der hier nicht im einzelnen angesprochenen Kommentierungen von einer durchgehend sehr guten Qualität der kommentierenden Anmerkungen gesprochen werden, nicht nur in zentralen Bereichen – wie in der Kommentierung des Rechts der Hauptverhandlung durch Julius (vgl. etwa die umfangreiche und gut strukturierte Kommentierung zu § 261 StPO) bzw. der Untersuchungshaft durch Posthoff (vgl. die Kommentierung zu § 112 StPO) – sondern gerade auch bei Vorschriften, die üblicherweise nicht zu den zentralen Normen der Strafprozessordnung gerechnet werden (etwa im Bereich des Rechts der Nebenklage; der Akteneinsichtsrecht der gemäß §§ 406e, 475 StPO; des Strafvollstreckungs- und Kostenrechts). Sehr vorteilhaft ist, dass der Heidelberger Kommentar nunmehr auch eine praxisnahe Kommentierung der GVG-Vorschriften enthält (ca. 240 Seiten), die für die Neuauflage von Schmidt und Temming übersichtlich, gut lesbar und aus einem Guss gefertigt wurde. Das Ziel, schwerpunktmäßig die praxisrelevanten Fehlerquellen aus dem Bereich des GVG darzustellen und im Übrigen die GVG-Kommentierung nicht zu überfrachten, erscheint sinnvoll und wurde erreicht. Sander hatte in einer Besprechung der 2. Auflage zum Heidelberger Kommentar noch angemerkt, die „äußere Aufmachung“ des Buches sei „eher schlicht“ und die „praktische Handhabung wäre erleichtert, wenn das zwar übersichtliche, aber teilweise etwas grobmaschige Stichwortverzeichnis zukünftig verfeinert würde“. Beiden Kritikpunkten sind meines Erachtens Autoren und Verlag inzwischen bestens gerecht geworden. Gerade das Stichwortverzeichnis besticht inzwischen – jedenfalls aus Sicht des Rezensenten – nicht nur durch Übersichtlichkeit, sondern auch durch Vollständigkeit. Soweit überhaupt noch (konstruktive) Kritik veranlasst ist, könnte diese an die ebenfalls bereits von Sander ausgesprochene Anregung anknüpfen, der „wachsenden Bedeutung der EMRK“ nicht nur durch eine Kommentierung „an Ort und Stelle“ im Text, sondern durch eine „zusammenhängende kommentierende Darstellung der strafprozessual relevanten Artikel“ Rechnung zu tragen. Die Kommentierung der GVG-Vorschriften weist hier meines Erachtens der 6. Auflage den richtigen Weg. Der Bezug der EMRK zu den StPO-Vorschriften sollte durch präzise wechselseitige Verweise hergestellt werden.