Philippe Litzka

Korruptionsstrafrecht für niedergelassene Vertragsärzte – Eine kritische Bestandsaufnahme zu diskutierten Gesetzgebungsinitiativen

I. Einleitung

„Krankenkassen fordern Strafen für korrupte Ärzte“ titelte die Zeitschrift „Die Welt“[1] Anfang des Jahres. Diese und vergleichbare Meldungen zum Jahreswechsel 2012/2013 brachten auch der allgemeinen Öffentlichkeit erneut den Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 29.03.2012[2] in Erinnerung. In dieser Entscheidung hatte der Bundesgerichtshof festgestellt, dass der niedergelassene Vertragsarzt, also der freiberuflich tätige Arzt, der eine sogenannte „Kassenzulassung“ innehat, weder Beauftragter im Sinne des § 299 StGB im Verhältnis zu den Krankenkassen ist, noch die Amtsträgereigenschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB inne hat, mit der Folge, dass weder der Tatbestand der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) noch die für die Amtsträger geltenden Korruptionsvorschriften der §§ 331 ff. StGB für ihn Anwendung finden (können). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.03.2012 war angesichts der in der Literatur[3] bzw. von den Instanzgerichten[4] vertretenen Auffassungen über Strafbarkeit und insbesondere Strafwürdigkeit angeblich korruptiver Verhaltensweisen niedergelassener Vertragsärzte nicht zwingend zu erwarten gewesen. Auch die von Einzelfallentscheidungen geprägte Rechtsprechung zum sogenannten „Amtsträgerbegriff“ machte die Prognose schwierig[5]. In dem auf die Entscheidung folgenden Monat waren Anzahl und Intensität der Reaktionen der am Gesundheitssystem beteiligten „Mitspieler“ angesichts der vorher erfolgten Veröffentlichungen[6] und des in der Vergangenheit kolportierten wirtschaftlichen Schadens der angeblich weit verbreiteten Verhaltensweisen der Ärzteschaft eher gering.

Erst spät im Jahr 2012 erfolgten durch die Literatur Kommentierungen[7] der Entscheidung. Erst zum Jahreswechsel 2012/2013 verschärfte sich die Diskussion über die nunmehr von Gesetzgeber zu entfaltenden Aktivitäten, um die „entstandene Strafbarkeitslücke zu schließen“.

Der vorliegende Beitrag nimmt die insoweit in Gang gekommene Diskussion über die strafrechtliche Sanktion korrupter Verhaltensweisen von niedergelassenen Vertragsärzten zum Anlass, der Bestandsaufnahme der inmitten stehenden Rechtslage auf Basis der Gesetze bzw. der einschlägigen Rechtsprechung vorzunehmen. Hieran schließt sich eine Zusammenstellung der maßgeblichen Forderungen und Positionierungen der am Gesundheitssystem beteiligten Interessengruppen an[8], um sodann nachfolgend die Frage zu stellen und zu beantworten, ob – wie in vielen vergleichbaren Fällen – der Ruf nach dem Strafrecht zur Klärung dieser als vermeintlich strafwürdig erkannter Verhaltensweisen vorliegend berechtigt oder ob nicht auf Basis der bestehenden Gesetzeslage eine ausreichender Schutz der inmitten stehenden Rechtsgüter gewährleistet ist.

II. Bestandsaufnahme

Bei der Diskussion über die rechtspolitische oder rechtliche Notwendigkeit strafrechtlicher Normen bei bestimmten Verhaltensweisen von Ärzten ist es zunächst einmal erforderlich, die tatsächlichen strukturellen Gegebenheiten einer tatsächlichen sowie rechtlichen Bestandsaufnahme zuzuführen. Um was geht es vorliegend? Was war Gegenstand der Entscheidung des Großen Senates? Was nicht?

1. In der Regel sind Gegenstand des sogenannten „Pharmamarketings“[9] Vereinbarungen zwischen Medikamentenherstellern und Ärzten, die letztlich zum Gegenstand haben, dass der das Medikament eines bestimmten Herstellers verschreibende Arzt für diese Verschreibung ein Entgelt in Form eines Rabattes, einer Rückzahlung, eines Kick-backs oder einer sonstigen Vergünstigung[10] erhält. Vorliegend soll nicht weiter thematisiert werden, dass solche Vorteilsgewährungen in der Vergangenheit häufig noch in Geldzahlungen für tatsächlich nicht gehaltene oder inhaltlich hinterfragbare Vorträge oder medizinisch fragwürdige Anwendungsbeobachtungen[11] oder ähnliche Zuwendungskonstrukte[12] „verpackt“ wurden. Vorliegend geht es zunächst um die Frage, ob es rechtlich zulässig oder unzulässig (bzw. strafrechtlich relevant) ist oder sein soll, wenn der niedergelassene Vertragsarzt für die Durchführung einer bestimmten Verschreibung ein Entgelt seitens des Pharmaunternehmens erhält. In dieser Konstellation ist für die weiteren rechtlichen Überlegungen noch zu unterscheiden, ob die vom Arzt durchgeführte Verschreibung im konkreten Fall medizinisch indiziert oder tatsächlich nicht indiziert ist. Diese Unterscheidung wird für die weiteren Überlegungen noch von zentraler Bedeutung sein.

a) In der bereits zitierten Entscheidung vom 29.03.2012[13] hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass ein niedergelassener Vertragsarzt kein Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB ist, mit der Folge, dass die für Amtsträger geltenden Strafvorschriften der Vorteilsnahme bzw. Bestechlichkeit für ihn nicht gelten[14]. Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang aus, dass – namentlich aufgrund der Eigenschaft der gesetzlichen Krankenkassen als sonstige Stelle der öffentlichen Verwaltung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB – zwar ein gewisser öffentlich-rechtlicher Bezug bei einer Vertragsarzttätigkeit gegeben sei, jedoch sei der freiberuflich tätige Arzt trotz dieser vom Zulassungsausschuss verliehenen Kassenzulassung nicht dazu bestellt, im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen diese sog. „Aufgaben der öffentlichen Verwaltung“ wahrzunehmen. Maßgebliches Argument ist damit insbesondere die Stellung des Arztes sowie Ausübung des Arztberufs in freiberuflicher Tätigkeit, bei der der Arzt dem Patienten eben nicht als ausführendes Organ hoheitlicher Gewalt gegenübersteht, sondern als gleichgeordneter Vertragspartner. Auch die Konkretisierung des gesetzlichen Leistungsanspruches des Patienten auf Sachleistungen[15] durch die Verordnung des Kassenarztes rechtfertigt keine andere Beurteilung, da diese Verordnung untrennbar mit dem vertraglich begründeten Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient verknüpft sei.

b) Auf entsprechende Vorlage des 5. Strafsenates hat der Bundesgerichtshof allerdings auch entschieden, dass freiberuflich tätige, niedergelassene Vertragsärzte darüber hinaus auch nicht Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes im Sinne des § 299 Abs. 1 StGB, damit also nicht Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen sind. Weder rechtfertigen eine etwaige (vorliegend verneinte[16]) Vertretereigenschaft des Arztes noch seine Rechtsmacht zur Konkretisierung des Anspruchs des gesetzlich Versicherten auf Sachleistungen[17] noch die sich aus der Pflicht zur Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes[18] ergebenden rechtlichen Bindungen die Anwendung des § 299 StGB.[19] Aufgrund des bereits bei der Beurteilung der Amtsträgerschaft zitierten hervorgehobenen Patienteninteresses sei ein Handeln im Interessen der Krankenkassen letztlich zu verneinen.

c) Der BGH verschloss sich in seiner Entscheidung angesichts der im Schrifttum geführten Diskussion bzw. wegen der bisherigen Gesetzesinitiativen ausdrücklich nicht der grundsätzlichen Berechtigung des Anliegens, korruptem Verhalten im Gesundheitswesen auch mit Mitteln des Strafrechts entgegenzutreten. Gleichzeitig sah er jedoch nicht die Möglichkeit, die zur Überprüfung vorgelegte Sachverhaltskonstellation der Vertragsarzttätigkeit unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze unter die §§ 299 ff. StGB bzw. §§ 331 ff. StGB zu subsumieren. Die Schaffung einer strafrechtlichen Norm hierfür – so der BGH – sei alleinige Aufgabe des Gesetzgebers.

2. Nicht Gegenstand der Entscheidung des BGH war die ebenfalls vorgelegte Frage bezüglich der strafrechtlichen Würdigung im Falle der Verordnung von Hilfsmitteln. Die Entscheidung hierüber wurde vom Großen Senat einstweilen zurückgestellt.[20] Krüger[21] hat bereits auf die sich hieraus ergebenden prozessualen und materiell-rechtlichen Fragestellungen hingewiesen. Insoweit wird abzuwarten sein, wie der BGH prozessual, aber auch inhaltlich die Verordnung von Hilfsmitteln gegen Entgelt beurteilen wird. Eine inhaltliche Abweichung von der Entscheidung des Großen Senates erscheint allerdings schwerlich möglich, so dass von einer Nichtanwendbarkeit des § 299 StGB sowie der §§ 331 ff. StGB auch im Bereich der medizinischen Hilfsmittel auszugehen sein wird. Dies wird allerdings ebenfalls den Ruf nach der Schließung von Strafbarkeitslücken zur Folge haben.

3. Ebenfalls nicht behandelt hat der Große Senat das sogenannte „Einweisungsentgelt“. Hierbei erhält der niedergelassene (Vertrags-)Arzt von einem Krankenhaus einen geldwerten Vorteil dafür, dass er den Patienten an dieses Krankenhaus zuweist. Auch hier ist auf Basis der Erwägungen des Großen Senats zur Beauftragteneigenschaft im Sinne des § 299 StGB einerseits bzw. der Amtsträgereigenschaft im Sinne des § 11 StGB andererseits davon auszugehen, dass einschlägige Vertragskonstrukte und deren tatsächliche Umsetzungen strafrechtlich irrelevant sind und die Normen des § 299 StGB bzw. der § 331 ff. StGB somit nicht einschlägig sind[22]. Dies gilt im Übrigen schon deswegen, weil eine Zuweisung an ein bestimmtes Krankenhaus rechtlich verbindlich von einem Arzt nicht entschieden werden kann.

4. Eine ebenfalls in der Öffentlichkeit als versteckte Geldzuwendung bekannt gewordene Form der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Pharmaindustrie stellt die Anwendungsbeobachtung dar. Hierbei wird nach der Zulassung eines Medikaments das Präparat in seiner täglichen (Anwendungs-)Praxis einer Dokumentation durch den Arzt zugeführt, wobei im Gegensatz zur klinischen Prüfung kein vorab festgelegter Prüfplan existiert. Anwendungsbeobachtungen sind damit sog. nicht-interventionelle Studien im Sinne des § 4 Abs. 23 S. 3 AMG, müssen aber gemäß § 67 Abs. 6 AMG diversen Behörden und Institutionen angezeigt werden. Im Rahmen der Anwendungsbeobachtungen erhält der Arzt für seinen Dokumentationsaufwand ein Entgelt.

Üblicherweise werden die Anwendungsbeobachtungen als Vehikel zur Geldzahlung zu Gunsten eines Arztes qualifiziert, wenn entweder der Inhalt der Dokumentation wissenschaftlich nahezu irrelevant ist und/oder das Entgelt nicht äquivalent zum tatsächlichen Dokumentationsaufwand des Arztes ist und auf diese Weise eine Verschreibung des konkreten Medikamentes durch den Arzt erreicht werden soll. Dies ist der Grund dafür, dass Anwendungsbeobachtungen jedenfalls bei Klinikärzten besonderen strafrechtlichen Überprüfungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren – namentlich unter dem Aspekt des § 331 StGB – unterzogen werden.

Der Große Strafsenat hat sich zu dieser Form der Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie nicht geäußert. Folgt man allerdings der Entscheidung des Großen Senats und wendet sie auf Anwendungsbeobachtungen an, dürfte bei niedergelassenen Vertragsärzten die Strafbarkeit nach § 299 bzw. §§ 331 ff. StGB auch im Falle wissenschaftlich unsinniger bzw. überteuerter Anwendungsbeobachtungen nicht gegeben sein.[23]

5. Nicht Gegenstand der Entscheidung war der von der Vorteilsnahme bzw. Bestechlichkeit abzugrenzende Fall des sog. Abrechnungsbetruges, also der Fallgestaltung, dass der Vertragsarzt nicht erbrachte, nicht durch ihn oder in der abgerechneten Form oder Umfang erbrachte Leistungen gegenüber den Krankenkassen abrechnet. Ein solches Verhalten unterfällt nach derzeitiger Rechtslage grundsätzlich dem Tatbestand des Betruges nach § 263 StGB.[24]

III. Zu den öffentlichen Forderungen zur Schließung der angeblichen Strafbarkeitslücken

Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zu der Frage der Anwendbarkeit des § 299 StGB auf niedergelassene Vertragsärzte bzw. zur Amtsträgereigenschaft dieser Personengruppe führte bei den Beteiligten des Gesundheitssystems zu erwartungsgemäß unterschiedlichen Reaktionen.

1. Von Seiten der gesetzlichen Krankenkassen erfolgte eine Positionierung seitens des GKV-Spitzenverbandes[25] bereits am 24.10.2012. Angesichts der Entscheidung des Großen Strafsenats des BGH votierte der GKV-Spitzenverband für eine Neuregelung in Form einer neuen Strafvorschrift speziell für niedergelassene Ärzte. Dabei ist der zentrale Ausgangsgedanke auf Seiten des GKV-Spitzenverbandes ein angeblich zu Tage tretender Wertungswiderspruch, wonach ein bei einem MVZ[26] oder bei einer Berufsausübungsgemeinschaft[27] angestellter Arzt bei der Verordnung von Arznei- und Hilfsmitteln als Angestellter die geltende Strafvorschrift des § 299 Abs. 1. StGB erfüllen könne, während der im gleichen MVZ oder in der gleichen Berufsausübungsgemeinschaft niedergelassener Vertragsarzt als Inhaber selbst nicht Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB sei. Es wurde somit ein Vergleich gezogen zwischen dem niedergelassenem Vertragsarzt (Inhaber) und einem angestellten Arzt, der sich nach § 299 StGB strafbar machen kann, wenn er einen eigenen Vorteil (zu Gunsten oder zu Lasten seines Arbeitgebers) vereinnahmt.

Der GKV-Spitzenverband weist darüber hinaus darauf hin, dass die bestehenden sozialgesetzlichen und berufsrechtlichen Verbote nicht ausreichend seien, um korruptes Verhalten im Gesundheitswesen wirksam zu verhindern und zu bekämpfen. Insbesondere wird die Regelung des § 128 SGB V[28] als nicht ausreichend angesehen. Darüber hinaus sei auch das berufsrechtliche Verbot der Zuweisung gegen Entgelt gemäß § 31 MBO-Ä[29] nicht geeignet, korruptem Verhalten niedergelassener Vertragsärzte sachgerecht entgegenzutreten. Berufsrechtliche Sanktionen der zuständigen Landesärztekammern seien nach den Erfahrungen des GKV-Spitzenverbandes selten. Diese Ergebnisse sollen auch durch das Resultat einer aktuellen empirischen Studie der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg[30] bestätigt werden. Nicht nur, dass nach dieser Studie die Befragten durchaus relevante Erfahrungen zur tatsächlichen Praxis von unzulässigen Zuweisungen gegen Entgelt, Zuwendungen etc. bestätigten, sie berichteten auch von konkreten Nachteilen im Falle der Verweigerung an der Teilnahme wettbewerbswidriger Verhaltensweisen.[31] Die Möglichkeit, bei nachgewiesenen berufsrechtlichen Verstößen mit der Sanktion der Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung zu reagieren, beinhalte kein genügend hohes Abschreckungspotential, da diese Sanktion die Berufswahl in einem derart hohen Maße einschränke, dass sie in ihrer Wirkung einer Beschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG nahe komme. Sie sei damit nur bei schweren, wiederholten und grob pflichtwidrigen Verletzungen vertragsärztlicher Pflichten überhaupt denkbar.

Zu diesem Zweck schlägt der GKV-Spitzenverband konkret eine Neuregelung im Rahmen des (neu zu schaffenden) § 308 SGB V vor, der wie folgt gefasst werden soll.

§ 308 Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen

Wer als angestellter Arzt, Vertragsarzt oder Leistungserbringer im Gesundheitswesen einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen gesetzlichen Aufgaben eine Handlung vorgenommen hat oder zukünftig vornehme und dadurch seine Pflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Ebenso wird bestraft, wer einen angestellten Arzt, Vertragsarzt oder Leistungserbringer im Gesundheitswesen einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen gesetzlichen Aufgaben eine Handlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Pflichten verletzt hat oder verletzen würde.

2. Erwartungsgemäß gegenläufig ist die Positionierung der Ärzteschaft. In einem Statement vom 02.01.2013[32] erklärte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. FrankUlrich Montgomery, dass es nicht nur auf ein Sonderstrafrecht für Ärzte ankomme, sondern dass alle am Gesundheitswesen Beteiligten in wirksame Lösungen einbezogen werden müssen. Korruption werde schon jetzt bei Ärzten berufsrechtlich sanktioniert, auch das Kassenarztrecht selbst verbiete Vorteilsannahmen klar und eindeutig. Die Ärzteschaft benötige allerdings mehr Ermittlungskompetenzen, um selbst gegen „schwarze Schafe“ in den eigenen Reihen vorgehen zu können. Eine weitere Möglichkeit wäre es, in Korruptionsfällen schneller die Aberkennung der Kassenzulassung zu ermöglichen. Auch von Seiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wurde die geltende Gesetzeslage als ausreichend angesehen.[33] Auf die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten bis hin zum Zulassungsentzug bzw. bestehende Straftatbestände bei Abrechnungsbetrug wurde ausdrücklich hingewiesen.

3. Von Seiten der Pharmaindustrie erfolgten unterschiedliche Kommentierungen des Urteils. Der vfa[34] begrüßte die Entscheidung des Bundesgerichtshofs als eine Bestätigung des Berufsbilds des niedergelassenen Vertragsarztes[35]. Auf den im Jahr 2004 geschaffenen Kodex der „freiwilligen Selbstkontrolle“ für die Arzneimittelindustrie sowie den im Nachgang hierzu etablierten „Fachkreise-Verhaltenskodex“ der freiwilligen Selbstkontrolle und deren Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Mitgliedsunternehmen (Geldbußen bis zu EUR 400.000,00) wurde besonders verwiesen. Auch der Verein Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V. selbst wies auf die Selbstkontrolle durch die FSA-Mitgliedsunternehmen hin. Weitergehende gesetzliche Regelungen wurden nicht gefordert. Ausdrücklich betonte der FSA in seiner Pressemitteilung, dass sich auch Nicht-Mitgliedsunternehmen den strikten Kodexregelungen nicht entziehen könnten. Denn bei einem Fehlverhalten gehe der FSA als Wettbewerbsverein zivilrechtlich gegen diese Nicht-Mitgliedsunternehmen vor.[36] Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) gab erkennbar keine Stellungnahme ab.

4. Auch von der politischen Seite erfolgten Positionierungen zu der etwaigen Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung.[37] Von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums erfolgte noch keine abschließende Entscheidung für eine konkrete gesetzliche Regelung. Derzeit würden Stellungnahmen, die von den beteiligten Landesministerien und sonstigen betroffenen Institutionen eingeholt wurden, geprüft.[38] Allerdings wolle es bei Korruption und Bestechung von Ärzten „juristische Ermittlungen“ ermöglichen.[39] Die Prüfung möglicher neuer gesetzlicher Regelungen, die noch für diese Legislaturperiode angekündigt wurden[40], benötige aber noch Zeit. Auch von Seiten des Bundesjustizministeriums wird durchaus eine gesetzliche Regelung erwägt.[41] Zwar würden Regelungen des ärztlichen Standesrechts bzw. des Kassenarztrechts existieren. Von diesen müsse allerdings auch Gebrauch gemacht werden. Im Falle der tatsächlichen Feststellung eines erheblichen Vollzugsdefizits müsse die Bundesregierung über gesetzliche Regelungen zur Ärztekorruption nachdenken.[42]

IV. Notwendigkeit einer neuen strafrechtlichen Regelung?

Die Frage betreffend die Notwendigkeit einer neuen, zusätzlichen gesetzlichen Regelung zur Korruptionsstrafbarkeit eines niedergelassenen Vertragsarztes lässt sich zunächst am besten beantworten, wenn die Prüfung überhaupt eine Strafbarkeitslücke zu Tage fördert. Selbst wenn eine Strafbarkeitslücke für die beanstandeten Verhaltensweisen der Verschreibung gegen Entgelt, aber auch der weiteren oben dargestellten Verhaltensweisen bestehen sollte, stellt sich nachfolgend die Frage, ob bestehende berufsrechtliche und kassenärztliche Regelungen zur Sanktionierung gleichwohl ausreichend sind oder ob strafrechtliche Regelungen auch unter Beachtung des Ultima-Ratio-Grundsatzes des Strafrechts[43] notwendig sind:

1. In Ansehung etwaiger Strafbarkeitslücken ist zunächst festzuhalten, dass die bereits oben angesprochene Konstellation der Verschreibung eines bestimmten Medikaments durch den Kassenarzt und der hierfür erfolgenden Zuwendung durch das Pharmaunternehmen bereits nach heutiger Rechtslage strafrechtlich relevant ist, wenn das Präparat medizinisch nicht indiziert ist. Bereits im Jahr 2003 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass nach den Prinzipien des kassenärztlichen Abrechnungssystems der Vertragssatz bei der Ausstellung seiner Verordnung als Vertreter der Krankenkasse[44] agiere, indem er an ihrer Stelle bzw. für sie das Rahmenrecht des einzelnen Versicherten auf medizinische Versorgung konkretisiert. Der Arzt darf den materiellen und formellen Rahmen der kassenärztlichen Versorgung nicht verlassen[45] und er darf deshalb Leistungen, die jenseits der Bandbreite offener Wertungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst nicht eindeutig notwendig, nicht ausreichend oder unzweckmäßig sind, nicht verordnen. Verschreibt der Arzt dennoch ein Medikament zu Lasten der Krankenkassen, obwohl er weiß, dass er die Leistung hier nicht bewirken darf, missbraucht er diese vom Gesetz eingeräumte Befugnis. Damit verletzt er die Betreuungspflicht gegenüber dem betroffenen Vermögen der Krankenkasse.[46] Ob diese Rechtsprechung nach den neuen Entscheidungen des BSG[47] bzw. auf Basis der verfassungsrechtlichen Vorgaben[48] zur eingeschränkten Anwendung des § 266 StGB zukünftig aufrecht erhalten bleibt, kann an dieser Stelle nicht prognostiziert werden. Nach heutiger Rechtslage muss das konkrete Strafbarkeitsrisiko jedoch bejaht werden, wenn ein Vertragsarzt zu Lasten der Krankenkasse ein medizinisch nicht indiziertes Präparat verschreibt. Soweit er nach den jeweiligen Feststellungen des Einzelfalles für die beanstandete Verschreibung seitens des beteiligten (und bevorzugten) Pharmaunternehmens sogar einen wirtschaftlichen Vorteil erhält, kann dies in der Strafzumessung besonders gewürdigt werden. Auch eine Strafschärfung nach §§ 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB kommt bei gewerbsmäßiger Verhaltensweise des Arztes in Betracht.

Die Notwendigkeit eines gesonderten (!) Korruptionsstraftatbestandes, im Rahmen dessen im Übrigen die erfolgte Zuwendung bzw. die Unrechtsvereinbarung zwischen Arzt und Pharmaunternehmen als zusätzliche Voraussetzungen ermittelt, bewiesen und festgestellt werden müsste, ist damit nicht zwangsläufig gegeben.

2. Es stellt sich darauf aufbauend die Frage, ob eine strafrechtliche Relevanz des Verhaltens des Arztes unter dem Aspekt der Untreue nach § 266 StGB auch gegeben ist, wenn das verschriebene Medikament tatsächlich medizinisch indiziert ist. Auch hier lässt sich aus der Entscheidung des Großen Senates jedoch einiges herleiten. Der BGH hat insoweit ausgeführt, dass dem Arzt in der Praxis häufig gar nicht die Entscheidung obliegt, das konkret abzugebende Präparat auszuwählen. Nach heutiger Rechtslage verschreibt der Arzt auf dem Rezept grundsätzlich kein Präparat, sondern einen Wirkstoff und der Apotheker[49] wählt dann das kostengünstigste Medikament aus. Selbst wenn der Arzt ein Präparat namentlich nennt, hat der Apotheker die Möglichkeit bzw. unter Umständen die Verpflichtung, ein wirkstoffgleiches, aber preisgünstigeres Medikament abzugeben.[50] Diese sog. aut-idem-Substitution kann der Arzt nur durch einen aktiven (!) Ausschluss auf dem einschlägigen Rezept (einschließlich einer fachlichen Begründung) verhindern. Erfolgt dieser Ausschluss pflichtwidrig sowie ohne medizinisch valide Begründung, wird man dies der medizinisch nicht indizierten Verschreibung gleichsetzen müssen, mit der Folge, dass eine Untreuestrafbarkeit in Betracht kommt. Auch insoweit fehlt es daher an der öffentlich beklagten Strafbarkeitslücke.

3. Neben der vorbeschriebenen Strafbarkeit unter dem Aspekt des § 266 StGB stellt sich weitergehend die Frage, ob die Schutzzwecke der §§ 299, 331 ff. StGB eine Anwendung von Korruptionsstrafrecht auf den niedergelassenen Vertragsarzt bzw. eine gesetzliche Neuregelung überhaupt fordern.

Schutzzweck der Delikte im 30. Abschnitt des Strafgesetzbuches ist die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes sowie das Vertrauen der Allgemeinheit in diese Lauterkeit.[51] Zwar ist festzustellen, dass der Amtsträgerbegriff einer der unschärfsten und ein von der Vielzahl von Einzelentscheidungen geprägter Begriff des deutschen Strafrechts ist, jedoch/gleichwohl kann eine Strafbarkeitslücke nur dann angenommen werden, wenn zwei vergleichbare Fälle ohne sachlichen Grund als strafrechtlich relevant bzw. strafrechtlich irrelevant qualifiziert werden. Anders als bei einem angestellten Klinikarzt ist – wie auch der Große Senat für Strafsachen ausführt – der niedergelassene Vertragsarzt in erster Linie Freiberufler und seine Tätigkeit von der vertrauensvollen zivilrechtlichen Dienstleistung gegenüber seiner Patienten geprägt. Wie der BGH ausführt, fehlt es dagegen bei Rechtsbeziehungen im Rahmen öffentlicher Verwaltung typischerweise an dem bestimmenden Element individuell begründeten Vertrauens, der Gleichordnung und der Gestaltungsfreiheit[52]. Dies ist auch der Grund, wieso der BGH letztlich die Amtsträgereigenschaft des Vertragsarztes abgelehnt hat. Wenn er sie allerdings abgelehnt hat, kann man auch nicht, namentlich nicht unter dem oben dargestellten Schutzzweck der Norm zur Amtsträgerkorruption, von einer Strafbarkeitslücke sprechen. Insbesondere deswegen nicht, weil im konkreten Tätigkeitsbild eines niedergelassenen Arztes ohne Kassenzulassung strukturell, inhaltlich, aber auch in der konkreten Einzelausführung gegenüber dem Patienten kein Unterschied zum niedergelassenen Vertragsarzt mit Kassenzulassung zu erkennen ist.

Auch der „Ruf“ nach der Anwendbarkeit des § 299 StGB bei der Verschreibung gegen Entgelt ist unter dem Aspekt des Schutzzweckes der Norm besonders zu beleuchten. Anerkanntermaßen ist das zu schützende Rechtsgut des § 299 StGB der freie Wettbewerb[53], im Falle der Konstellation „Verschreibung gegen Entgelt“ somit der Wettbewerb unter den Pharmaunternehmen des Marktes. Ob in dieser Konstellation auch noch ein besonderer Schutz des Wettbewerbes der Pharmaunternehmen durch eine eigene Strafnorm notwendig ist, erscheint vorliegend zweifelhaft. Dies insbesondere, wenn man – wie oben gezeigt wurde – den Schutz des Vermögens der Krankenkassen bzw. der Versicherten durch andere Normen, namentlich durch den § 266 StGB, tatsächlich erreichen kann. Auch der durch den GKV-Spitzenverband vorgenommene und als Rechtfertigung für die Gesetzesinitiative herangezogene Vergleich zwischen einem bei einem MVZ oder bei einer Berufsausübungsgemeinschaft angestellten Arzt und dem Inhaber des MVZ bzw. Berufsausübungsgemeinschaft ist nicht zielführend. Schließlich ist es bei § 299 StGB immer so, dass der Inhaber des Unternehmens[54] straflos Vorteile annehmen und sich durch diese bei seinen Beschaffungsentscheidungen leiten lassen kann, während etwa der bei ihm angestellte Mitarbeiter, der die Tatbestandmerkmale des § 299 StGB aufgrund seiner Anstellung erfüllt, strafrechtlichen Sanktionen unterworfen ist. Das maßgebliche Unterscheidungskriterium ist somit nicht die Beauftragteneigenschaft des angestellten Arztes für die Krankenkasse, sondern die Beauftragteneigenschaft für seinen Arbeitgeber.

4. Aber auch bei den weiteren Erscheinungsformen der Zusammenarbeit von Ärzten mit Dritten ist eine Strafbarkeitslücke tatsächlich nicht gegeben. Im Bereich der Anwendungsbeobachtung gilt das zur Verschreibung bereits Festgestellte: Wird ein medizinisch nicht indiziertes Medikament oder im Rahmen einer Substitutionsmöglichkeit pflichtwidrig ein bestimmtes Medikament, ohne dass ein sachlicher Grund gegen ein kostengünstigeres Präparat spricht, verschrieben oder angewandt, steht die Untreue gemäß § 266 StGB im Raum. Für die Anwendbarkeit des § 266 StGB ist der gewährte Vorteil in Form der Dokumentationspauschale gegebenenfalls im Bereich der Strafzumessung relevant.[55] Im Bereich der Einweisungsentgelte („Kopfprämien“) muss insbesondere ab einer gewissen Intensität der Forderung des Arztes zum Erhalt einer solchen Kopfprämie vom Krankenhaus eine (versuchte) Erpressung geprüft werden.[56]

5. Hinzu treten die bestehenden berufsrechtlichen bzw. kassenarztrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten, die gegen neue strafrechtliche Spezialnormen für Vertragsärzte sprechen. Dem niedergelassenen Vertragsarzt ist es nach der nunmehr angepassten Regelung des § 31 MBO-Ä verboten „für die Verordnung und über den Bezug von Arznei – oder Hilfsmitteln oder Medizinprodukten ein Entgelt oder einem anderen Vorteil zu fordern, sich oder einen Dritten versprechen oder gewähren zu lassen“. Auch die dargestellte Einweisungsvergütung ist berufswidrig. Unzulässig ist es nach § 32 MBO-Ä „Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern oder sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird“. Die berufsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten reichen über die Verwarnung und dem Verweis bis zu der Geldbuße bzw. – in manchen Bundesländern – der Feststellung der Berufsunwürdigkeit. Die gravierendste Sanktion ist der Widerruf der Approbation, also der Zulassung zur Ärzteschaft. Hierzu muss der Arzt unzuverlässig und unwürdig im Sinn der Bundesärzteordnung sein, was jedenfalls im Falle wiederholter schwerer berufsrechtlicher Verfehlungen zu bejahen sein wird.[57] Unter diesen Voraussetzungen ist die Rücknahme oder der Widerruf der Approbation durchaus angezeigt. Einer strafrechtlichen Verurteilung bedarf es hierfür gerade nicht.[58] Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Notwendigkeit eines Widerrufs der Approbation nicht zwingend dadurch entfällt, dass der betroffene Arzt seine Kassenarztzulassung zurückgegeben hat.[59] Natürlich ist zu beachten, dass die Grundrechtseinschränkung[60] im Falle eines Widerrufs der Approbation eine hohe Schwelle bedeutet. Die Verhaltensweisen des Arztes, die zur Rücknahme oder zum Widerruf der Approbation führen, müssen in ihrer inhaltlichen Schwere, der Begehensweise und hinsichtlich der Folgen als gravierend angesehen werden. Die spezifische Unzuverlässigkeit der Ausübung des ärztlichen Berufs muss zu bejahen sein.[61] In den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen unterscheidet sich damit der Entzug der Approbation nicht wesentlich von einem strafrechtlichen Berufsverbot nach § 70 StGB, dessen Verhängung die Feststellung einer groben Verletzung der Berufspflichten und die Gefahr der Begehungweiterer erheblicher rechtswidriger Taten erfordert.

Aber auch in Ansehung der Kassenzulassung selbst existieren seitens des zuständigen Zulassungsausschusses folgenschwere Sanktionsmöglichkeiten. In Betracht kommt die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen der Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung gegenüber den Krankenkassen.[62] Im Rahmen des Disziplinarverfahrens können Sanktionen wie die Verwarnung, der Verweis sowie eine Geldbuße bis zu EUR 10.000,00 ausgesprochen werden. Die vertragsärztliche Zulassung kann nach § 95 Abs. 6 SGB V entzogen werden, wenn Voraussetzungen zur Erteilung nicht mehr vorliegen.[63] Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arzt die vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Hinzu tritt die Möglichkeit der Anordnung des Ruhens der Kassenzulassung für die Dauer von bis zu zwei Jahren. Die Entscheidung unterliegt einem erheblichen Auswahlermessen mit der Folge, dass ein ordentliches Gericht sie nur nach Maßgabe des § 54 Abs. 2 S. 2 SGG überprüfen kann.[64]

Die nach dem Berufsrecht bzw. nach dem Kassenarztrecht verhängbaren Sanktionen sind in der Regel – jedenfalls ab einer bestimmten Schwere des Verstoßes – auch in tatsächlicher Hinsicht für den Arzt gefährlicher als strafrechtliche Sanktionen in Form von üblicherweise auszusprechenden Geldstrafen bzw. Bewährungsstrafen. Die strafrechtliche Verteidigungs-Praxis zeigt insgesamt bei Berufsträgern, die auch ständischen Berufspflichten unterliegen[65], dass die strafrechtliche Sanktion einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheits- oder gar nur Geldstrafe weniger „Gefährdungspotential“ durch den Berufsträger entgegengebracht wird als berufsrechtlichen Berufs- bzw. Tätigkeitsverboten. Bei leichten Verstößen sind die berufsrechtlichen Folgen zwar in der Regel gering. Sobald die dem Arzt nachweisbaren Verstöße allerdings eine gewisse Relevanz haben bzw. sich wiederholen, stellen berufsrechtlichen Berufs- bzw. Tätigkeitsverbote bzw. der Entzug der Kassenzulassung für den Arzt empfindliche Sanktionen dar, mit der Folge, dass der generalpräventive Aspekt dieser Sanktionen nicht zu vernachlässigen ist.

V. Zusammenfassung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass mit Blick auf die Schutzzwecke von §§ 299 bzw. 331 StGB eine Strafbarkeitslücke durch die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen beim Bundesgerichtshof nicht „entstanden“ ist. Ein Großteil der in der Literatur und Presse diskutierten, angeblich korrupten Verhaltensweisen von Ärzten können durch andere Straftatbestände, namentlich der Untreue nach § 266 StGB, abgedeckt werden. An einer Strafbarkeitslücke fehlt es daher von vornherein. Soweit Verhaltensweisen, die in der Vergangenheit unter die Korruptionstatbestände fallen sollten, unter Umständen nunmehr strafrechtlich nicht mehr sanktionierbar sind, existiert gleichwohl ein ganzes Bündel berufsrechtlicher Sanktionsmöglichkeiten. Bei sachgerechter Anwendung dieser Sanktionsmöglichkeiten sind insbesondere geforderte generalpräventive Aspekte, namentlich durch Berufsverbote bzw. Zulassungswiderruf, gewahrt. Ob angesichts der in der Öffentlichkeit laut gewordenen Rufe[66] nach einer eigenen strafrechtlichen Regelung für Vertragsärzte gesetzgeberische Initiativen zur Schaffung eines Sonderstrafrechts für Vertragsärzte mittelfristig abgewehrt werden können, bleibt abzuwarten. Insoweit ist die Ärzteschaft selbst aufgefordert, durch ein sachgerechtes Aufdecken und konsequente, berufsrechtliche Ahndung von zu beanstandenden Verhaltensweisen dafür Sorge zu tragen, dass diese Sanktionierungen auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und der in der Vergangenheit allzu beliebte Ruf nach strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten durch Untätigkeit und Wegschweigen nicht auch noch zum Erfolg verholfen wird.

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I. Einleitung

„Krankenkassen fordern Strafen für korrupte Ärzte“ titelte die Zeitschrift „Die Welt“[1] Anfang des Jahres. Diese und vergleichbare Meldungen zum Jahreswechsel 2012/2013 brachten auch der allgemeinen Öffentlichkeit erneut den Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 29.03.2012[2] in Erinnerung. In dieser Entscheidung hatte der Bundesgerichtshof festgestellt, dass der niedergelassene Vertragsarzt, also der freiberuflich tätige Arzt, der eine sogenannte „Kassenzulassung“ innehat, weder Beauftragter im Sinne des § 299 StGB im Verhältnis zu den Krankenkassen ist, noch die Amtsträgereigenschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB inne hat, mit der Folge, dass weder der Tatbestand der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) noch die für die Amtsträger geltenden Korruptionsvorschriften der §§ 331 ff. StGB für ihn Anwendung finden (können). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.03.2012 war angesichts der in der Literatur[3] bzw. von den Instanzgerichten[4] vertretenen Auffassungen über Strafbarkeit und insbesondere Strafwürdigkeit angeblich korruptiver Verhaltensweisen niedergelassener Vertragsärzte nicht zwingend zu erwarten gewesen. Auch die von Einzelfallentscheidungen geprägte Rechtsprechung zum sogenannten „Amtsträgerbegriff“ machte die Prognose schwierig[5]. In dem auf die Entscheidung folgenden Monat waren Anzahl und Intensität der Reaktionen der am Gesundheitssystem beteiligten „Mitspieler“ angesichts der vorher erfolgten Veröffentlichungen[6] und des in der Vergangenheit kolportierten wirtschaftlichen Schadens der angeblich weit verbreiteten Verhaltensweisen der Ärzteschaft eher gering.

Erst spät im Jahr 2012 erfolgten durch die Literatur Kommentierungen[7] der Entscheidung. Erst zum Jahreswechsel 2012/2013 verschärfte sich die Diskussion über die nunmehr von Gesetzgeber zu entfaltenden Aktivitäten, um die „entstandene Strafbarkeitslücke zu schließen“.

Der vorliegende Beitrag nimmt die insoweit in Gang gekommene Diskussion über die strafrechtliche Sanktion korrupter Verhaltensweisen von niedergelassenen Vertragsärzten zum Anlass, der Bestandsaufnahme der inmitten stehenden Rechtslage auf Basis der Gesetze bzw. der einschlägigen Rechtsprechung vorzunehmen. Hieran schließt sich eine Zusammenstellung der maßgeblichen Forderungen und Positionierungen der am Gesundheitssystem beteiligten Interessengruppen an[8], um sodann nachfolgend die Frage zu stellen und zu beantworten, ob – wie in vielen vergleichbaren Fällen – der Ruf nach dem Strafrecht zur Klärung dieser als vermeintlich strafwürdig erkannter Verhaltensweisen vorliegend berechtigt oder ob nicht auf Basis der bestehenden Gesetzeslage eine ausreichender Schutz der inmitten stehenden Rechtsgüter gewährleistet ist.

 

II. Bestandsaufnahme

Bei der Diskussion über die rechtspolitische oder rechtliche Notwendigkeit strafrechtlicher Normen bei bestimmten Verhaltensweisen von Ärzten ist es zunächst einmal erforderlich, die tatsächlichen strukturellen Gegebenheiten einer tatsächlichen sowie rechtlichen Bestandsaufnahme zuzuführen. Um was geht es vorliegend? Was war Gegenstand der Entscheidung des Großen Senates? Was nicht?

1. In der Regel sind Gegenstand des sogenannten „Pharmamarketings“[9] Vereinbarungen zwischen Medikamentenherstellern und Ärzten, die letztlich zum Gegenstand haben, dass der das Medikament eines bestimmten Herstellers verschreibende Arzt für diese Verschreibung ein Entgelt in Form eines Rabattes, einer Rückzahlung, eines Kick-backs oder einer sonstigen Vergünstigung[10] erhält. Vorliegend soll nicht weiter thematisiert werden, dass solche Vorteilsgewährungen in der Vergangenheit häufig noch in Geldzahlungen für tatsächlich nicht gehaltene oder inhaltlich hinterfragbare Vorträge oder medizinisch fragwürdige Anwendungsbeobachtungen[11] oder ähnliche Zuwendungskonstrukte[12] „verpackt“ wurden. Vorliegend geht es zunächst um die Frage, ob es rechtlich zulässig oder unzulässig (bzw. strafrechtlich relevant) ist oder sein soll, wenn der niedergelassene Vertragsarzt für die Durchführung einer bestimmten Verschreibung ein Entgelt seitens des Pharmaunternehmens erhält. In dieser Konstellation ist für die weiteren rechtlichen Überlegungen noch zu unterscheiden, ob die vom Arzt durchgeführte Verschreibung im konkreten Fall medizinisch indiziert oder tatsächlich nicht indiziert ist. Diese Unterscheidung wird für die weiteren Überlegungen noch von zentraler Bedeutung sein.

a) In der bereits zitierten Entscheidung vom 29.03.2012[13] hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass ein niedergelassener Vertragsarzt kein Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB ist, mit der Folge, dass die für Amtsträger geltenden Strafvorschriften der Vorteilsnahme bzw. Bestechlichkeit für ihn nicht gelten[14]. Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang aus, dass – namentlich aufgrund der Eigenschaft der gesetzlichen Krankenkassen als sonstige Stelle der öffentlichen Verwaltung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB – zwar ein gewisser öffentlich-rechtlicher Bezug bei einer Vertragsarzttätigkeit gegeben sei, jedoch sei der freiberuflich tätige Arzt trotz dieser vom Zulassungsausschuss verliehenen Kassenzulassung nicht dazu bestellt, im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen diese sog. „Aufgaben der öffentlichen Verwaltung“ wahrzunehmen. Maßgebliches Argument ist damit insbesondere die Stellung des Arztes sowie Ausübung des Arztberufs in freiberuflicher Tätigkeit, bei der der Arzt dem Patienten eben nicht als ausführendes Organ hoheitlicher Gewalt gegenübersteht, sondern als gleichgeordneter Vertragspartner. Auch die Konkretisierung des gesetzlichen Leistungsanspruches des Patienten auf Sachleistungen[15] durch die Verordnung des Kassenarztes rechtfertigt keine andere Beurteilung, da diese Verordnung untrennbar mit dem vertraglich begründeten Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient verknüpft sei.

b) Auf entsprechende Vorlage des 5. Strafsenates hat der Bundesgerichtshof allerdings auch entschieden, dass freiberuflich tätige, niedergelassene Vertragsärzte darüber hinaus auch nicht Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes im Sinne des § 299 Abs. 1 StGB, damit also nicht Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen sind. Weder rechtfertigen eine etwaige (vorliegend verneinte[16]) Vertretereigenschaft des Arztes noch seine Rechtsmacht zur Konkretisierung des Anspruchs des gesetzlich Versicherten auf Sachleistungen[17] noch die sich aus der Pflicht zur Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes[18] ergebenden rechtlichen Bindungen die Anwendung des § 299 StGB.[19] Aufgrund des bereits bei der Beurteilung der Amtsträgerschaft zitierten hervorgehobenen Patienteninteresses sei ein Handeln im Interessen der Krankenkassen letztlich zu verneinen.

c) Der BGH verschloss sich in seiner Entscheidung angesichts der im Schrifttum geführten Diskussion bzw. wegen der bisherigen Gesetzesinitiativen ausdrücklich nicht der grundsätzlichen Berechtigung des Anliegens, korruptem Verhalten im Gesundheitswesen auch mit Mitteln des Strafrechts entgegenzutreten. Gleichzeitig sah er jedoch nicht die Möglichkeit, die zur Überprüfung vorgelegte Sachverhaltskonstellation der Vertragsarzttätigkeit unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze unter die §§ 299 ff. StGB bzw. §§ 331 ff. StGB zu subsumieren. Die Schaffung einer strafrechtlichen Norm hierfür – so der BGH – sei alleinige Aufgabe des Gesetzgebers.

2. Nicht Gegenstand der Entscheidung des BGH war die ebenfalls vorgelegte Frage bezüglich der strafrechtlichen Würdigung im Falle der Verordnung von Hilfsmitteln. Die Entscheidung hierüber wurde vom Großen Senat einstweilen zurückgestellt.[20] Krüger[21] hat bereits auf die sich hieraus ergebenden prozessualen und materiell-rechtlichen Fragestellungen hingewiesen. Insoweit wird abzuwarten sein, wie der BGH prozessual, aber auch inhaltlich die Verordnung von Hilfsmitteln gegen Entgelt beurteilen wird. Eine inhaltliche Abweichung von der Entscheidung des Großen Senates erscheint allerdings schwerlich möglich, so dass von einer Nichtanwendbarkeit des § 299 StGB sowie der §§ 331 ff. StGB auch im Bereich der medizinischen Hilfsmittel auszugehen sein wird. Dies wird allerdings ebenfalls den Ruf nach der Schließung von Strafbarkeitslücken zur Folge haben.

3. Ebenfalls nicht behandelt hat der Große Senat das sogenannte „Einweisungsentgelt“. Hierbei erhält der niedergelassene (Vertrags-)Arzt von einem Krankenhaus einen geldwerten Vorteil dafür, dass er den Patienten an dieses Krankenhaus zuweist. Auch hier ist auf Basis der Erwägungen des Großen Senats zur Beauftragteneigenschaft im Sinne des § 299 StGB einerseits bzw. der Amtsträgereigenschaft im Sinne des § 11 StGB andererseits davon auszugehen, dass einschlägige Vertragskonstrukte und deren tatsächliche Umsetzungen strafrechtlich irrelevant sind und die Normen des § 299 StGB bzw. der § 331 ff. StGB somit nicht einschlägig sind[22]. Dies gilt im Übrigen schon deswegen, weil eine Zuweisung an ein bestimmtes Krankenhaus rechtlich verbindlich von einem Arzt nicht entschieden werden kann.

4. Eine ebenfalls in der Öffentlichkeit als versteckte Geldzuwendung bekannt gewordene Form der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Pharmaindustrie stellt die Anwendungsbeobachtung dar. Hierbei wird nach der Zulassung eines Medikaments das Präparat in seiner täglichen (Anwendungs-)Praxis einer Dokumentation durch den Arzt zugeführt, wobei im Gegensatz zur klinischen Prüfung kein vorab festgelegter Prüfplan existiert. Anwendungsbeobachtungen sind damit sog. nicht-interventionelle Studien im Sinne des § 4 Abs. 23 S. 3 AMG, müssen aber gemäß § 67 Abs. 6 AMG diversen Behörden und Institutionen angezeigt werden. Im Rahmen der Anwendungsbeobachtungen erhält der Arzt für seinen Dokumentationsaufwand ein Entgelt.

Üblicherweise werden die Anwendungsbeobachtungen als Vehikel zur Geldzahlung zu Gunsten eines Arztes qualifiziert, wenn entweder der Inhalt der Dokumentation wissenschaftlich nahezu irrelevant ist und/oder das Entgelt nicht äquivalent zum tatsächlichen Dokumentationsaufwand des Arztes ist und auf diese Weise eine Verschreibung des konkreten Medikamentes durch den Arzt erreicht werden soll. Dies ist der Grund dafür, dass Anwendungsbeobachtungen jedenfalls bei Klinikärzten besonderen strafrechtlichen Überprüfungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren – namentlich unter dem Aspekt des § 331 StGB – unterzogen werden.

Der Große Strafsenat hat sich zu dieser Form der Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie nicht geäußert. Folgt man allerdings der Entscheidung des Großen Senats und wendet sie auf Anwendungsbeobachtungen an, dürfte bei niedergelassenen Vertragsärzten die Strafbarkeit nach § 299 bzw. §§ 331 ff. StGB auch im Falle wissenschaftlich unsinniger bzw. überteuerter Anwendungsbeobachtungen nicht gegeben sein.[23]

5. Nicht Gegenstand der Entscheidung war der von der Vorteilsnahme bzw. Bestechlichkeit abzugrenzende Fall des sog. Abrechnungsbetruges, also der Fallgestaltung, dass der Vertragsarzt nicht erbrachte, nicht durch ihn oder in der abgerechneten Form oder Umfang erbrachte Leistungen gegenüber den Krankenkassen abrechnet. Ein solches Verhalten unterfällt nach derzeitiger Rechtslage grundsätzlich dem Tatbestand des Betruges nach § 263 StGB.[24]

 

III. Zu den öffentlichen Forderungen zur Schließung der angeblichen Strafbarkeitslücken

Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zu der Frage der Anwendbarkeit des § 299 StGB auf niedergelassene Vertragsärzte bzw. zur Amtsträgereigenschaft dieser Personengruppe führte bei den Beteiligten des Gesundheitssystems zu erwartungsgemäß unterschiedlichen Reaktionen.

1. Von Seiten der gesetzlichen Krankenkassen erfolgte eine Positionierung seitens des GKV-Spitzenverbandes[25] bereits am 24.10.2012. Angesichts der Entscheidung des Großen Strafsenats des BGH votierte der GKV-Spitzenverband für eine Neuregelung in Form einer neuen Strafvorschrift speziell für niedergelassene Ärzte. Dabei ist der zentrale Ausgangsgedanke auf Seiten des GKV-Spitzenverbandes ein angeblich zu Tage tretender Wertungswiderspruch, wonach ein bei einem MVZ[26] oder bei einer Berufsausübungsgemeinschaft[27] angestellter Arzt bei der Verordnung von Arznei- und Hilfsmitteln als Angestellter die geltende Strafvorschrift des § 299 Abs. 1. StGB erfüllen könne, während der im gleichen MVZ oder in der gleichen Berufsausübungsgemeinschaft niedergelassener Vertragsarzt als Inhaber selbst nicht Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB sei. Es wurde somit ein Vergleich gezogen zwischen dem niedergelassenem Vertragsarzt (Inhaber) und einem angestellten Arzt, der sich nach § 299 StGB strafbar machen kann, wenn er einen eigenen Vorteil (zu Gunsten oder zu Lasten seines Arbeitgebers) vereinnahmt.

Der GKV-Spitzenverband weist darüber hinaus darauf hin, dass die bestehenden sozialgesetzlichen und berufsrechtlichen Verbote nicht ausreichend seien, um korruptes Verhalten im Gesundheitswesen wirksam zu verhindern und zu bekämpfen. Insbesondere wird die Regelung des § 128 SGB V[28] als nicht ausreichend angesehen. Darüber hinaus sei auch das berufsrechtliche Verbot der Zuweisung gegen Entgelt gemäß § 31 MBO-Ä[29] nicht geeignet, korruptem Verhalten niedergelassener Vertragsärzte sachgerecht entgegenzutreten. Berufsrechtliche Sanktionen der zuständigen Landesärztekammern seien nach den Erfahrungen des GKV-Spitzenverbandes selten. Diese Ergebnisse sollen auch durch das Resultat einer aktuellen empirischen Studie der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg[30] bestätigt werden. Nicht nur, dass nach dieser Studie die Befragten durchaus relevante Erfahrungen zur tatsächlichen Praxis von unzulässigen Zuweisungen gegen Entgelt, Zuwendungen etc. bestätigten, sie berichteten auch von konkreten Nachteilen im Falle der Verweigerung an der Teilnahme wettbewerbswidriger Verhaltensweisen.[31] Die Möglichkeit, bei nachgewiesenen berufsrechtlichen Verstößen mit der Sanktion der Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung zu reagieren, beinhalte kein genügend hohes Abschreckungspotential, da diese Sanktion die Berufswahl in einem derart hohen Maße einschränke, dass sie in ihrer Wirkung einer Beschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG nahe komme. Sie sei damit nur bei schweren, wiederholten und grob pflichtwidrigen Verletzungen vertragsärztlicher Pflichten überhaupt denkbar.

Zu diesem Zweck schlägt der GKV-Spitzenverband konkret eine Neuregelung im Rahmen des (neu zu schaffenden) § 308 SGB V vor, der wie folgt gefasst werden soll.

§ 308 Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen

Wer als angestellter Arzt, Vertragsarzt oder Leistungserbringer im Gesundheitswesen einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen gesetzlichen Aufgaben eine Handlung vorgenommen hat oder zukünftig vornehme und dadurch seine Pflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Ebenso wird bestraft, wer einen angestellten Arzt, Vertragsarzt oder Leistungserbringer im Gesundheitswesen einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen gesetzlichen Aufgaben eine Handlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Pflichten verletzt hat oder verletzen würde.

2. Erwartungsgemäß gegenläufig ist die Positionierung der Ärzteschaft. In einem Statement vom 02.01.2013[32] erklärte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. FrankUlrich Montgomery, dass es nicht nur auf ein Sonderstrafrecht für Ärzte ankomme, sondern dass alle am Gesundheitswesen Beteiligten in wirksame Lösungen einbezogen werden müssen. Korruption werde schon jetzt bei Ärzten berufsrechtlich sanktioniert, auch das Kassenarztrecht selbst verbiete Vorteilsannahmen klar und eindeutig. Die Ärzteschaft benötige allerdings mehr Ermittlungskompetenzen, um selbst gegen „schwarze Schafe“ in den eigenen Reihen vorgehen zu können. Eine weitere Möglichkeit wäre es, in Korruptionsfällen schneller die Aberkennung der Kassenzulassung zu ermöglichen. Auch von Seiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wurde die geltende Gesetzeslage als ausreichend angesehen.[33] Auf die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten bis hin zum Zulassungsentzug bzw. bestehende Straftatbestände bei Abrechnungsbetrug wurde ausdrücklich hingewiesen.

3. Von Seiten der Pharmaindustrie erfolgten unterschiedliche Kommentierungen des Urteils. Der vfa[34] begrüßte die Entscheidung des Bundesgerichtshofs als eine Bestätigung des Berufsbilds des niedergelassenen Vertragsarztes[35]. Auf den im Jahr 2004 geschaffenen Kodex der „freiwilligen Selbstkontrolle“ für die Arzneimittelindustrie sowie den im Nachgang hierzu etablierten „Fachkreise-Verhaltenskodex“ der freiwilligen Selbstkontrolle und deren Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Mitgliedsunternehmen (Geldbußen bis zu EUR 400.000,00) wurde besonders verwiesen. Auch der Verein Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V. selbst wies auf die Selbstkontrolle durch die FSA-Mitgliedsunternehmen hin. Weitergehende gesetzliche Regelungen wurden nicht gefordert. Ausdrücklich betonte der FSA in seiner Pressemitteilung, dass sich auch Nicht-Mitgliedsunternehmen den strikten Kodexregelungen nicht entziehen könnten. Denn bei einem Fehlverhalten gehe der FSA als Wettbewerbsverein zivilrechtlich gegen diese Nicht-Mitgliedsunternehmen vor.[36] Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) gab erkennbar keine Stellungnahme ab.

4. Auch von der politischen Seite erfolgten Positionierungen zu der etwaigen Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung.[37] Von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums erfolgte noch keine abschließende Entscheidung für eine konkrete gesetzliche Regelung. Derzeit würden Stellungnahmen, die von den beteiligten Landesministerien und sonstigen betroffenen Institutionen eingeholt wurden, geprüft.[38] Allerdings wolle es bei Korruption und Bestechung von Ärzten „juristische Ermittlungen“ ermöglichen.[39] Die Prüfung möglicher neuer gesetzlicher Regelungen, die noch für diese Legislaturperiode angekündigt wurden[40], benötige aber noch Zeit. Auch von Seiten des Bundesjustizministeriums wird durchaus eine gesetzliche Regelung erwägt.[41] Zwar würden Regelungen des ärztlichen Standesrechts bzw. des Kassenarztrechts existieren. Von diesen müsse allerdings auch Gebrauch gemacht werden. Im Falle der tatsächlichen Feststellung eines erheblichen Vollzugsdefizits müsse die Bundesregierung über gesetzliche Regelungen zur Ärztekorruption nachdenken.[42]

 

IV. Notwendigkeit einer neuen strafrechtlichen Regelung?

Die Frage betreffend die Notwendigkeit einer neuen, zusätzlichen gesetzlichen Regelung zur Korruptionsstrafbarkeit eines niedergelassenen Vertragsarztes lässt sich zunächst am besten beantworten, wenn die Prüfung überhaupt eine Strafbarkeitslücke zu Tage fördert. Selbst wenn eine Strafbarkeitslücke für die beanstandeten Verhaltensweisen der Verschreibung gegen Entgelt, aber auch der weiteren oben dargestellten Verhaltensweisen bestehen sollte, stellt sich nachfolgend die Frage, ob bestehende berufsrechtliche und kassenärztliche Regelungen zur Sanktionierung gleichwohl ausreichend sind oder ob strafrechtliche Regelungen auch unter Beachtung des Ultima-Ratio-Grundsatzes des Strafrechts[43] notwendig sind:

1. In Ansehung etwaiger Strafbarkeitslücken ist zunächst festzuhalten, dass die bereits oben angesprochene Konstellation der Verschreibung eines bestimmten Medikaments durch den Kassenarzt und der hierfür erfolgenden Zuwendung durch das Pharmaunternehmen bereits nach heutiger Rechtslage strafrechtlich relevant ist, wenn das Präparat medizinisch nicht indiziert ist. Bereits im Jahr 2003 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass nach den Prinzipien des kassenärztlichen Abrechnungssystems der Vertragssatz bei der Ausstellung seiner Verordnung als Vertreter der Krankenkasse[44] agiere, indem er an ihrer Stelle bzw. für sie das Rahmenrecht des einzelnen Versicherten auf medizinische Versorgung konkretisiert. Der Arzt darf den materiellen und formellen Rahmen der kassenärztlichen Versorgung nicht verlassen[45] und er darf deshalb Leistungen, die jenseits der Bandbreite offener Wertungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst nicht eindeutig notwendig, nicht ausreichend oder unzweckmäßig sind, nicht verordnen. Verschreibt der Arzt dennoch ein Medikament zu Lasten der Krankenkassen, obwohl er weiß, dass er die Leistung hier nicht bewirken darf, missbraucht er diese vom Gesetz eingeräumte Befugnis. Damit verletzt er die Betreuungspflicht gegenüber dem betroffenen Vermögen der Krankenkasse.[46] Ob diese Rechtsprechung nach den neuen Entscheidungen des BSG[47] bzw. auf Basis der verfassungsrechtlichen Vorgaben[48] zur eingeschränkten Anwendung des § 266 StGB zukünftig aufrecht erhalten bleibt, kann an dieser Stelle nicht prognostiziert werden. Nach heutiger Rechtslage muss das konkrete Strafbarkeitsrisiko jedoch bejaht werden, wenn ein Vertragsarzt zu Lasten der Krankenkasse ein medizinisch nicht indiziertes Präparat verschreibt. Soweit er nach den jeweiligen Feststellungen des Einzelfalles für die beanstandete Verschreibung seitens des beteiligten (und bevorzugten) Pharmaunternehmens sogar einen wirtschaftlichen Vorteil erhält, kann dies in der Strafzumessung besonders gewürdigt werden. Auch eine Strafschärfung nach §§ 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB kommt bei gewerbsmäßiger Verhaltensweise des Arztes in Betracht.

Die Notwendigkeit eines gesonderten (!) Korruptionsstraftatbestandes, im Rahmen dessen im Übrigen die erfolgte Zuwendung bzw. die Unrechtsvereinbarung zwischen Arzt und Pharmaunternehmen als zusätzliche Voraussetzungen ermittelt, bewiesen und festgestellt werden müsste, ist damit nicht zwangsläufig gegeben.

2. Es stellt sich darauf aufbauend die Frage, ob eine strafrechtliche Relevanz des Verhaltens des Arztes unter dem Aspekt der Untreue nach § 266 StGB auch gegeben ist, wenn das verschriebene Medikament tatsächlich medizinisch indiziert ist. Auch hier lässt sich aus der Entscheidung des Großen Senates jedoch einiges herleiten. Der BGH hat insoweit ausgeführt, dass dem Arzt in der Praxis häufig gar nicht die Entscheidung obliegt, das konkret abzugebende Präparat auszuwählen. Nach heutiger Rechtslage verschreibt der Arzt auf dem Rezept grundsätzlich kein Präparat, sondern einen Wirkstoff und der Apotheker[49] wählt dann das kostengünstigste Medikament aus. Selbst wenn der Arzt ein Präparat namentlich nennt, hat der Apotheker die Möglichkeit bzw. unter Umständen die Verpflichtung, ein wirkstoffgleiches, aber preisgünstigeres Medikament abzugeben.[50] Diese sog. aut-idem-Substitution kann der Arzt nur durch einen aktiven (!) Ausschluss auf dem einschlägigen Rezept (einschließlich einer fachlichen Begründung) verhindern. Erfolgt dieser Ausschluss pflichtwidrig sowie ohne medizinisch valide Begründung, wird man dies der medizinisch nicht indizierten Verschreibung gleichsetzen müssen, mit der Folge, dass eine Untreuestrafbarkeit in Betracht kommt. Auch insoweit fehlt es daher an der öffentlich beklagten Strafbarkeitslücke.

3. Neben der vorbeschriebenen Strafbarkeit unter dem Aspekt des § 266 StGB stellt sich weitergehend die Frage, ob die Schutzzwecke der §§ 299, 331 ff. StGB eine Anwendung von Korruptionsstrafrecht auf den niedergelassenen Vertragsarzt bzw. eine gesetzliche Neuregelung überhaupt fordern.

Schutzzweck der Delikte im 30. Abschnitt des Strafgesetzbuches ist die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes sowie das Vertrauen der Allgemeinheit in diese Lauterkeit.[51] Zwar ist festzustellen, dass der Amtsträgerbegriff einer der unschärfsten und ein von der Vielzahl von Einzelentscheidungen geprägter Begriff des deutschen Strafrechts ist, jedoch/gleichwohl kann eine Strafbarkeitslücke nur dann angenommen werden, wenn zwei vergleichbare Fälle ohne sachlichen Grund als strafrechtlich relevant bzw. strafrechtlich irrelevant qualifiziert werden. Anders als bei einem angestellten Klinikarzt ist – wie auch der Große Senat für Strafsachen ausführt – der niedergelassene Vertragsarzt in erster Linie Freiberufler und seine Tätigkeit von der vertrauensvollen zivilrechtlichen Dienstleistung gegenüber seiner Patienten geprägt. Wie der BGH ausführt, fehlt es dagegen bei Rechtsbeziehungen im Rahmen öffentlicher Verwaltung typischerweise an dem bestimmenden Element individuell begründeten Vertrauens, der Gleichordnung und der Gestaltungsfreiheit[52]. Dies ist auch der Grund, wieso der BGH letztlich die Amtsträgereigenschaft des Vertragsarztes abgelehnt hat. Wenn er sie allerdings abgelehnt hat, kann man auch nicht, namentlich nicht unter dem oben dargestellten Schutzzweck der Norm zur Amtsträgerkorruption, von einer Strafbarkeitslücke sprechen. Insbesondere deswegen nicht, weil im konkreten Tätigkeitsbild eines niedergelassenen Arztes ohne Kassenzulassung strukturell, inhaltlich, aber auch in der konkreten Einzelausführung gegenüber dem Patienten kein Unterschied zum niedergelassenen Vertragsarzt mit Kassenzulassung zu erkennen ist.

Auch der „Ruf“ nach der Anwendbarkeit des § 299 StGB bei der Verschreibung gegen Entgelt ist unter dem Aspekt des Schutzzweckes der Norm besonders zu beleuchten. Anerkanntermaßen ist das zu schützende Rechtsgut des § 299 StGB der freie Wettbewerb[53], im Falle der Konstellation „Verschreibung gegen Entgelt“ somit der Wettbewerb unter den Pharmaunternehmen des Marktes. Ob in dieser Konstellation auch noch ein besonderer Schutz des Wettbewerbes der Pharmaunternehmen durch eine eigene Strafnorm notwendig ist, erscheint vorliegend zweifelhaft. Dies insbesondere, wenn man – wie oben gezeigt wurde – den Schutz des Vermögens der Krankenkassen bzw. der Versicherten durch andere Normen, namentlich durch den § 266 StGB, tatsächlich erreichen kann. Auch der durch den GKV-Spitzenverband vorgenommene und als Rechtfertigung für die Gesetzesinitiative herangezogene Vergleich zwischen einem bei einem MVZ oder bei einer Berufsausübungsgemeinschaft angestellten Arzt und dem Inhaber des MVZ bzw. Berufsausübungsgemeinschaft ist nicht zielführend. Schließlich ist es bei § 299 StGB immer so, dass der Inhaber des Unternehmens[54] straflos Vorteile annehmen und sich durch diese bei seinen Beschaffungsentscheidungen leiten lassen kann, während etwa der bei ihm angestellte Mitarbeiter, der die Tatbestandmerkmale des § 299 StGB aufgrund seiner Anstellung erfüllt, strafrechtlichen Sanktionen unterworfen ist. Das maßgebliche Unterscheidungskriterium ist somit nicht die Beauftragteneigenschaft des angestellten Arztes für die Krankenkasse, sondern die Beauftragteneigenschaft für seinen Arbeitgeber.

4. Aber auch bei den weiteren Erscheinungsformen der Zusammenarbeit von Ärzten mit Dritten ist eine Strafbarkeitslücke tatsächlich nicht gegeben. Im Bereich der Anwendungsbeobachtung gilt das zur Verschreibung bereits Festgestellte: Wird ein medizinisch nicht indiziertes Medikament oder im Rahmen einer Substitutionsmöglichkeit pflichtwidrig ein bestimmtes Medikament, ohne dass ein sachlicher Grund gegen ein kostengünstigeres Präparat spricht, verschrieben oder angewandt, steht die Untreue gemäß § 266 StGB im Raum. Für die Anwendbarkeit des § 266 StGB ist der gewährte Vorteil in Form der Dokumentationspauschale gegebenenfalls im Bereich der Strafzumessung relevant.[55] Im Bereich der Einweisungsentgelte („Kopfprämien“) muss insbesondere ab einer gewissen Intensität der Forderung des Arztes zum Erhalt einer solchen Kopfprämie vom Krankenhaus eine (versuchte) Erpressung geprüft werden.[56]

5. Hinzu treten die bestehenden berufsrechtlichen bzw. kassenarztrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten, die gegen neue strafrechtliche Spezialnormen für Vertragsärzte sprechen. Dem niedergelassenen Vertragsarzt ist es nach der nunmehr angepassten Regelung des § 31 MBO-Ä verboten „für die Verordnung und über den Bezug von Arznei – oder Hilfsmitteln oder Medizinprodukten ein Entgelt oder einem anderen Vorteil zu fordern, sich oder einen Dritten versprechen oder gewähren zu lassen“. Auch die dargestellte Einweisungsvergütung ist berufswidrig. Unzulässig ist es nach § 32 MBO-Ä „Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern oder sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird“. Die berufsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten reichen über die Verwarnung und dem Verweis bis zu der Geldbuße bzw. – in manchen Bundesländern – der Feststellung der Berufsunwürdigkeit. Die gravierendste Sanktion ist der Widerruf der Approbation, also der Zulassung zur Ärzteschaft. Hierzu muss der Arzt unzuverlässig und unwürdig im Sinn der Bundesärzteordnung sein, was jedenfalls im Falle wiederholter schwerer berufsrechtlicher Verfehlungen zu bejahen sein wird.[57] Unter diesen Voraussetzungen ist die Rücknahme oder der Widerruf der Approbation durchaus angezeigt. Einer strafrechtlichen Verurteilung bedarf es hierfür gerade nicht.[58] Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Notwendigkeit eines Widerrufs der Approbation nicht zwingend dadurch entfällt, dass der betroffene Arzt seine Kassenarztzulassung zurückgegeben hat.[59] Natürlich ist zu beachten, dass die Grundrechtseinschränkung[60] im Falle eines Widerrufs der Approbation eine hohe Schwelle bedeutet. Die Verhaltensweisen des Arztes, die zur Rücknahme oder zum Widerruf der Approbation führen, müssen in ihrer inhaltlichen Schwere, der Begehensweise und hinsichtlich der Folgen als gravierend angesehen werden. Die spezifische Unzuverlässigkeit der Ausübung des ärztlichen Berufs muss zu bejahen sein.[61] In den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen unterscheidet sich damit der Entzug der Approbation nicht wesentlich von einem strafrechtlichen Berufsverbot nach § 70 StGB, dessen Verhängung die Feststellung einer groben Verletzung der Berufspflichten und die Gefahr der Begehungweiterer erheblicher rechtswidriger Taten erfordert.

Aber auch in Ansehung der Kassenzulassung selbst existieren seitens des zuständigen Zulassungsausschusses folgenschwere Sanktionsmöglichkeiten. In Betracht kommt die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen der Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung gegenüber den Krankenkassen.[62] Im Rahmen des Disziplinarverfahrens können Sanktionen wie die Verwarnung, der Verweis sowie eine Geldbuße bis zu EUR 10.000,00 ausgesprochen werden. Die vertragsärztliche Zulassung kann nach § 95 Abs. 6 SGB V entzogen werden, wenn Voraussetzungen zur Erteilung nicht mehr vorliegen.[63] Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arzt die vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Hinzu tritt die Möglichkeit der Anordnung des Ruhens der Kassenzulassung für die Dauer von bis zu zwei Jahren. Die Entscheidung unterliegt einem erheblichen Auswahlermessen mit der Folge, dass ein ordentliches Gericht sie nur nach Maßgabe des § 54 Abs. 2 S. 2 SGG überprüfen kann.[64]

Die nach dem Berufsrecht bzw. nach dem Kassenarztrecht verhängbaren Sanktionen sind in der Regel – jedenfalls ab einer bestimmten Schwere des Verstoßes – auch in tatsächlicher Hinsicht für den Arzt gefährlicher als strafrechtliche Sanktionen in Form von üblicherweise auszusprechenden Geldstrafen bzw. Bewährungsstrafen. Die strafrechtliche Verteidigungs-Praxis zeigt insgesamt bei Berufsträgern, die auch ständischen Berufspflichten unterliegen[65], dass die strafrechtliche Sanktion einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheits- oder gar nur Geldstrafe weniger „Gefährdungspotential“ durch den Berufsträger entgegengebracht wird als berufsrechtlichen Berufs- bzw. Tätigkeitsverboten. Bei leichten Verstößen sind die berufsrechtlichen Folgen zwar in der Regel gering. Sobald die dem Arzt nachweisbaren Verstöße allerdings eine gewisse Relevanz haben bzw. sich wiederholen, stellen berufsrechtlichen Berufs- bzw. Tätigkeitsverbote bzw. der Entzug der Kassenzulassung für den Arzt empfindliche Sanktionen dar, mit der Folge, dass der generalpräventive Aspekt dieser Sanktionen nicht zu vernachlässigen ist.

 

V. Zusammenfassung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass mit Blick auf die Schutzzwecke von §§ 299 bzw. 331 StGB eine Strafbarkeitslücke durch die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen beim Bundesgerichtshof nicht „entstanden“ ist. Ein Großteil der in der Literatur und Presse diskutierten, angeblich korrupten Verhaltensweisen von Ärzten können durch andere Straftatbestände, namentlich der Untreue nach § 266 StGB, abgedeckt werden. An einer Strafbarkeitslücke fehlt es daher von vornherein. Soweit Verhaltensweisen, die in der Vergangenheit unter die Korruptionstatbestände fallen sollten, unter Umständen nunmehr strafrechtlich nicht mehr sanktionierbar sind, existiert gleichwohl ein ganzes Bündel berufsrechtlicher Sanktionsmöglichkeiten. Bei sachgerechter Anwendung dieser Sanktionsmöglichkeiten sind insbesondere geforderte generalpräventive Aspekte, namentlich durch Berufsverbote bzw. Zulassungswiderruf, gewahrt. Ob angesichts der in der Öffentlichkeit laut gewordenen Rufe[66] nach einer eigenen strafrechtlichen Regelung für Vertragsärzte gesetzgeberische Initiativen zur Schaffung eines Sonderstrafrechts für Vertragsärzte mittelfristig abgewehrt werden können, bleibt abzuwarten. Insoweit ist die Ärzteschaft selbst aufgefordert, durch ein sachgerechtes Aufdecken und konsequente, berufsrechtliche Ahndung von zu beanstandenden Verhaltensweisen dafür Sorge zu tragen, dass diese Sanktionierungen auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und der in der Vergangenheit allzu beliebte Ruf nach strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten durch Untätigkeit und Wegschweigen nicht auch noch zum Erfolg verholfen wird.

[1] Die Welt am 04.01.2013, 14:33 Uhr, abrufbar unter http://www.welt.de/112338826.

[2] BGH NJW 2012, 2530.

[3] Statt aller: Neupert, NJW 2006, 2811; Pragal, NStZ 2005, 133; Sturm, ZWH 2011, 41.

[4] Statt aller: OLG Braunschweig NStZ 2010, 392.

[5] Kölbel, StV 2012, 592.

[6] Eine Zählung der Veröffentlichungen findet sich bei Kölbel, StV 2012, 592, dort Fn. 2.

[7] Exemplarisch: Krüger, StraFo 2012, 308; Kölbel, StV 2012, 592.

[8] Berücksichtigt sind Veröffentlichungen und Verlautbarungen bis Februar 2013.

[9] Der Begriff „Pharmamarketing“ wird regelmäßig mit korrupter Verhaltensweise
gleichgesetzt.

[10] Nicht selten etwa eine Einladung zu einer „Fortbildungsveranstaltung“ an
einem freizeitrelevanten Ort mit untergeordnetem medizinisch-fachlichem
Programm.

[11] Im Grundsatz ist eine Anwendungsbeobachtung eine nach § 67 AMG geforderte
Überprüfung der tatsächlichen Nutzung eines Medikamentes in der täglichen Praxis und
damit ein rechtlich gestattetes Instrument, die Wirksamkeit und Effektivität eines
Medikamentes zu prüfen. In der Praxis ist der Missbrauch von
Anwendungsbeobachtungen aber wiederholt zu Tage getreten.

[12] Z.B.: Unentgeltliche Zurverfügungstellung von technischen Geräten.

[13] BGH NJW 2012, 2530.

[14] Anders ist dies bei Ärzten, die bei staatlichen, kommunalen oder sonstigen
öffentlichen Krankenhäusern angestellt sind, unabhängig davon in welcher konkreten
Rechtsform (etwa in Form einer mehrheitlich öffentlich gehaltenen GmbH) das
Krankenhaus betrieben wird. Diese Ärzte sind als Amtsträger zu qualifizieren. Vgl.
auch Sturm, ZHW 2011, 41. Nicht jedoch trifft die Amtsträgereigenschaft Ärzte, die an
kirchlich oder mehrheitlich privat getragenen Krankenhäusern tätig sind, vgl. BGH
vom 09.10.1990, Az.: 1 StR 538/89; für diese gilt gegebenenfalls § 299 StGB.

[15] § 2 Abs. 2 Satz SGB V.

[16] Insoweit widersprach der BGH dem OLG Braunschweig NStZ 2010, 392.

[17] BGH NJW 2012, 2530 m.V.a. BSGE 73, 271.

[18] §§ 70 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 SGB V.

[19] Kritisch hierzu: Kölbel, StV 2012, 592.

[20] BGH NJW 2012, 2530.

[21] Krüger, StraFo 2012, 308.

[22] Zur rechtlichen Bewertung solcher auch als Kopfprämien bezeichneten
Zuwendungen in speziellen Fällen: vgl. Krüger, StraFo 2012, 308.

[23] Krüger, StraFo 2012, 308.

[24] Fischer, StGB, 58. Aufl. 2010, § 263 Rn. 35 m.w.N.

[25] Position des GKV-Spitzenverbandes zu dem Expertengespräch über
Konsequenzen aus dem BGH-Beschluss zur Strafbarkeit von Kassenärzten
wegen Bestechlichkeit am 24.10.2012, abrufbar unter
http://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/presse/
http://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/presse/pressemitteilungen/2013/Position_G-KV_BGH-Urteil_zu_Korruption.pdf.

[26] MVZ: Medizinisches Versorgungszentrum.

[27] Praxisgemeinschaft oder Gemeinschaftspraxis.

[28] Informationspflicht der Krankenkassen gegenüber der zuständigen
Ärztekammer sowie der kassenärztlichen Vereinigung im Falle von
Verdachtsmomenten.

[29] (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen
und Ärzte – MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen
Ärztetages 2011 in Kiel, abrufbar unter: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/MBO_08_20111.pdf.

[31] TNS Emnid befragte hierzu bundesweit 600 niedergelassene Ärzte, 180 leitende Angestellte von stationären Einrichtungen und 361 nicht-ärztliche Leistungserbringer telefonisch.

[34] Verband der forschenden Pharmaunternehmen, http://www.vfa.de.

[36] Pressemitteilung vom 02.01.2013: „Pharmaindustrie hat klare Regelungen gegen Korruption, FS Arzneimittelindustrie e.V. ahndet Verstöße gegen Selbstverpflichtung
konsequent“, abrufbar unter: http://www.fs-arzneimittelindustrie.de.

[37] Noch vor der Entscheidung des Großen Senates war Ende April im
Gesundheitsausschluss eine Initiative der SPD abgelehnt worden, vgl. BT-Drucksache 17/3685.

[42] Strafe für bestechliche Mediziner? Legal Tribune online 03.01.2012, http://www.lto.de
/persistent/a_id/7899/
.

[43] Zum ultimo-ratio-Prinzip des Strafrecht bzw. zum sog. fragmentarischen Charakter
des Strafrechts instruktiv: Hefendehl, JA 2011, 401.

[44] Die Vertreterstellung ist vom Großen Senat allerdings in Zweifel gezogen worden.

[45] BSGE 73, 271.

[46] BGHSt 49, 17; bestätigt durch BGH NStZ 2004, 568.

[47] BSG Urteil vom 17.12.2009, – B 3 KR 13/08.

[48] BVerfGE 126, 170.

[49] Dies führt zu der Folgefrage zur Stellung des Apothekers in dem
gesamten Gefüge der Medikamentenverschreibung.

[50] BGH NJW 2012, 2530 mit Verweis auf das Arzneimittel-Begrenzungsgesetz (AAGB)
vom 15.02.2002 (BGBl. I 2002, 684); vgl. auch § 129 Abs. 1 SGB V.

[51] BGHSt 10, 241; 14, 310; 15, 96; 30, 48; 31, 246; 39, 45; 47, 22; NStZ 1985, 497.

[52] BGH NJW 2012, 2530.

[53] Fischer, StGB, 58. Aufl. 2010, Vorb § 298 Rn. 1 m.w.N.

[54] Fischer, StGB, 58. Aufl. 2010, § 299 Rn. 8a m.w.N.

[55] Siehe hierzu schon oben IV. 1.

[56] Krüger, StraFO, 2012, 308.

[57] Es muss festgestellt werden, dass der Arzt das für die zuverlässige ärztliche
Versorgung der Bevölkerung notwendige Vertrauen in einer nur am Patientenwohl
ausgerichteten ärztlichen Berufsausübung nicht mehr gewährleistet.

[58] BVerwG NJW 1990, 3425; OVG Koblenz NJW 1990, 1553.

[59] Laufs/Ulmenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 151 Rn. 34 mit Verweis
auf OVG Koblenz NJW 1990, 1553.

[60] Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG.

[61] OVG Münster MedR 1989, 44.

[62] § 81 Abs. 5 SGB V in Verbindung mit der jeweiligen Disziplinarordnung der
kassenärztlichen Vereinigung, z.B. Disziplinarordnung der KV Nordrhein, abrufbar unter
http://www.kvno.de/downloads/disziplinarordnung.pdf; dort ist sogar ein
Regelmaßnahmenkatalog genannt.

[63] Dem Arzt ist dann nur noch die Privatliquidation möglich.

[64] Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 151 Rn. 39 mit Verweis
auf LSG Bad-Württ MedR, 1995, 39.

[65] Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Ärzte.

[66] Nicht hilfreich sind pauschale und öffentlichkeitswirksame Meldungen über
strafrechtlich relevante Fälle, in denen sämtliche denkbaren Formen der Schädigung des
Vermögens der Krankenkassen herangezogen werden. Vgl. etwa: Krankenkassen ermitteln
53.000 Betrugsfälle, FAZ vom 17.01.2013, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell
/wirtschaft/wirtschaftspolitik/schummelnde-aerzte-krankenkassen-ermitteln-53-000-
betrugsfaelle-12028723.html
.

Autorinnen und Autoren

  • Philippe Litzka
    Rechtsanwalt Dr. Philippe Litzka, Rechtsanwalt seit 1999, Partner in der Sozietät Westpfahl Spilker Wastl, München und schwerpunktmäßig tätig in den Bereichen Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Das Tätigkeitsprofil betrifft sowohl die Individualverteidigung als auch die Beratung von Unternehmen im präventiven und repressiven Bereich sowie damit thematisch verbundene Fragestellungen zivilrechtlicher sowie anderer Rechtsgebiete. (Fotostudio Meinen, Copyright)

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

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  • Dr. Ricarda Schelzke

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