Verschweigen nachteiliger Tatsachen durch bewusstes ‚Nichtsagen‘
Eine Analyse der Bedeutung unionsrechtlicher Rechtsakte für die dogmatische Einordnung des § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB
I. Einführung
„Ein Verschweigen nachteiliger Tatsachen i.S.d. § 264a StGB erfordert ein bewusstes ‚Nichtsagen‘ oder Verheimlichen.“[1] Anhand dieses Leitsatzes einer Entscheidung des OLG Dresden vom 30. August 2012 lässt sich das strafrechtsdogmatische Problem der Abgrenzung unechter Unterlassungsdelikte von echten Unterlassungsdelikten im Kontext aktueller kapitalmarktstrafrechtlicher Fragestellungen behandeln. Der Wortlaut des Leitsatzes bezog sich auf den Kapitalanlagebetrug gemäß § 264a StGB, dort auf dessen Abs. 1 2. Alt. und entspricht genau derjenigen Formulierung, die im Jahr 2007 bereits das Bundesverfassungsgericht[2] für seine Entscheidung zur Auslegung dieses Tatbestands wählte. Das OLG Dresden übernahm die Wendung, ohne dabei näher auszuführen, was mit bewusstem Nichtsagen eigentlich gemeint sein soll. Kann man z.B. auch unbewusst nichts sagen? Besteht ein Unterschied zwischen Nichtsagen und Verheimlichen? Aus der gewählten Formulierung lässt sich der Eindruck gewinnen, als begriffen Bundesverfassungsgericht und ihm folgend auch das OLG Dresden den Tatbestand des § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB als ein unechtes Unterlassungsdelikt – mit der Konsequenz, dass nach allgemeiner Ansicht die strengen Voraussetzungen des § 13 StGB erfüllt sein müssen. Die nachfolgenden Ausführungen beschäftigen sich mit dem Beleg dieser These, indem sie diese dogmatisch herleiten und stabilisieren.
Aktualität und besondere Brisanz erhält diese Problematik, da die Europäische Union durch Richtlinien und Verordnungen Einfluss auf das deutsche Kapitalmarktstrafrecht unter Einschluss von § 264a StGB (und seiner dogmatischer Einordnung?) nimmt. Mit der EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung existiert seit geraumer Zeit ein Regelungswerk, das spezifische Vorgaben gerade für die Inhalte solcher Prospekte macht. Dass dies aber auch darüber hinaus keine akademische Spielerei ist, sondern durchaus praktische Relevanz hat, ergibt sich nicht unbedingt aus der Zahl der Verurteilungen wegen Kapitalanlagebetrugs.[3] § 264a StGB spielt jedoch in zahlreichen Ermittlungsverfahren eine äußerst gewichtige Rolle. Häufig tritt die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift aber im Rahmen der Verurteilung nicht mehr in Erscheinung, weil der Kapitalanlagebetrug im Verhältnis zu schwereren Delikten zurücktritt[4] oder eine Einstellung nach den §§ 154, 154a StPO erfolgt.[5] Statistiken erscheinen zudem verzerrt, weil der Kapitalanlagebetrug häufig in der Formulierung „§ 263 StGB u.a.“ verloren geht. Außerdem bleibt eine nicht zu unterschätzende Relevanz für das Zivilrecht, wo § 264a StGB Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist – in diesem Zusammenhang erfolgte auch die o.g. Entscheidung des OLG Dresden.
II. Sachverhalt
In der fraglichen Entscheidung hatte sich das OLG Dresden mit dem Verkauf von Inhaberschuldverschreibungen auseinanderzusetzen, die – so der Vorwurf der Kläger – in der Absicht verkauft worden seien, diese bei Fälligkeit nicht bedienen zu können. Im Raum stand dabei ein so genanntes Schneeballsystem[6]: Zinsen und Rückzahlungen auf die Inhaberschuldverschreibungen sollten nicht aus den durch das Geschäft der Gesellschaft erzielten Einnahmen erfolgen, sondern aus neu eingehenden Anlegergeldern. In den Prospekten sei aber der Eindruck entstanden, dass der Nettoerlös der jeweiligen Anleihe für den ausgewiesenen Hauptgeschäftszweck Verwendung finde – anstatt wie realiter zur Rückzahlung von Inhaberschuldverschreibungen. Diesen Eindruck habe der Umstand hervorgerufen, dass die Verflechtungen über bestehende Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge zwischen den Protagonisten im Prospekt nicht beziehungsweise nicht hinreichend dargestellt worden seien. In dem Prospekt fanden sich zwar Angaben zu dem Beziehungsgeflecht. Nach Auffassung der Kläger aber nur „schwer verständlich und schwer zu finden“.[7] Im Kern gilt es somit die Frage zu beantworten, ob man auch durch zutreffende Angaben an versteckter Stelle oder in schwer verständlicher Form etwas „verschweigen“ kann.
III. Interpretation der Wendung „bewusstes Nichtsagen“
1. Anforderungen an das Verschweigen bei Bundesverfassungsgericht und OLG Dresden
a) Bundesverfassungsgericht
Im Zentrum des vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Falls stand der Emissionsprospekt einer GmbH & Co. KG, in dem (angeblich) die Verflechtungen und Beziehungen der Beteiligten juristischen und natürlichen Personen nur verwirrend dargestellt worden waren.[8] Unter Rekurs auf Brockhaus und Duden führte das Bundesverfassungsgericht aus, ein Verschweigen nachteiliger Tatsachen erfordere ein bewusstes „Nichtsagen” oder Verheimlichen. Ein Verschweigen hätte deswegen nur dann bejaht werden können, wenn die bestehenden Verflechtungen überhaupt nicht oder nur unvollständig im Prospekt dargestellt worden wären.[9] Da aber die Darstellung völlig zutreffend erfolgte, konnte nach Auffassung des Senats von einem Verschweigen jedenfalls im Sinne eines bewussten „Nichtsagens” keine Rede sein. Dass die betreffende Erläuterung nach Ansicht des mit der Sache befassten Oberlandesgerichts[10] schwer verständlich sei und sich an versteckter Stelle befinde, bleibe für die Subsumtion irrelevant – das gebiete schon die Wortlautgrenze.[11]
b) Zivilrechtliche Rechtsprechung
Strafurteile zu dieser Frage existieren (soweit ersichtlich) nicht. Jene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde aber durch die zivilrechtliche Rechtsprechung aufgegriffen[12]; das OLG Dresden z.B. wiederholte wortlautgleich die Passage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und führte dabei gestützt auf das Wortlautargument an, für die Subsumtion sei – auch im Zivilrecht – irrelevant, dass die betreffende Darstellung nur schwer verständlich ist und sich an versteckter Stelle befindet.[13]
2. Bewusstheit des Nichtsagens als kognitives Vorsatzelement?
Zerlegt man die Wendung nun in ihre Einzelteile „bewusst“ und „Nichtsagen“, so stellt sich zuerst die Frage, ob diese nicht identisch mit dem kognitiven Vorsatzelement sind. § 264a Abs. 1 StGB setzt – auch in der 2. Alt. – voraus, dass der Täter vorsätzlich handelt. Es ist bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale Vorsatz erforderlich, wobei dolus eventualis ausreicht.[14] Der Vorsatz setzt sich bekanntermaßen zusammen aus Wissen und Wollen, beinhaltet also ein kognitives sowie ein voluntatives Element, selbst soweit nur ein Handeln mit Eventualvorsatz verlangt ist.[15]
Für § 264a StGB hat sich der Vorsatz darauf zu richten, dass die in den Prospekten mitgeteilten vorteilhaften Angaben unrichtig bzw. die verschwiegenen Tatsachen, die der Täter kennen muss, nachteilig sind.[16] Dabei wird i.d.R. verlangt, dass sich der Täter der Erheblichkeit der betreffenden Angaben für die Anlageentscheidung auch bewusst ist, er mithin weiß, dass diese für die wirtschaftliche Bewertung der Anlage und somit unmittelbar für die Anlageentscheidung von Belang sind.[17] Wesentlich soll es demnach für das kognitive Vorsatzelement auf die Kenntnis und das Bewusstsein des Täters ankommen, etwas für die Anlageentscheidung Bedeutsames zurückzuhalten und so der Erwerbsentscheidung einen Teil ihrer Grundlage zu nehmen.[18]
Dass das Bundesverfassungsgericht mit dem Ausdruck der Bewusstheit aber das kognitive Vorsatzelement bezeichnen wollte, liegt eher fern. Denn an anderer Stelle in der Entscheidung folgen Ausführungen, bei denen der Senat just die Anforderungen an den Vorsatz genauer spezifiziert. Das Bundesverfassungsgericht erörtert dort, die potentiellen Täter hätten „ihrerseits wissen oder zumindest billigend in Kauf nehmen müssen, dass die Darstellung der Verflechtung sich trotz der eigenständigen Überschrift an versteckter Stelle im Prospekt befinde und darüber hinaus trotz der systematischen Darstellung schwer verständlich sei“.[19] Dies stand in der Entscheidung im Zusammenhang mit dem Hinweis, von den Klägern seien die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands nicht ausreichend dargetan. Hierzu heißt es: „Selbst wenn aber die Ansicht des Berufungsgerichts zuträfe (mithin, dass das Merkmal des Verschweigens auch durch zutreffende Angaben an versteckter Stelle in schwer verständlicher Form erfüllt werden kann), so muss sich zwingend der Vorsatz auf die einzelnen Elemente der Begehungsweise beziehen.“[20] Der kognitive Teil des Vorsatzes wird in der Entscheidung demnach anders und an separater Stelle umschrieben.
3. Dogmatische Einordnung
Die Bedeutung des Begriffs „bewusst“ lässt jedoch eine dogmatische Einordnung der 2. Alt. des § 264a Abs. 1 StGB erkennen.
a) Klassifizierung der Unterlassungsdelikte
In der strafrechtlichen Literatur ist umstritten, ob es sich bei § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB um ein echtes Unterlassungsdelikt[21] oder ein unechtes Unterlassungsdelikt[22], beziehungsweise ein Begehungsdelikt handelt. Bekanntermaßen lassen sich Begehungs- von Unterlassungsdelikten unterscheiden, dabei wiederum bei den Unterlassungsdelikten die so genannten echten von den unechten.[23] Unechte Unterlassungsdelikte sollen solche Tatbestände sein, die üblicherweise durch ein strafrechtlich relevantes Verhalten in Gestalt eines positiven Tuns verwirklicht werden.[24] Demgegenüber handelt es sich bei den echten Unterlassungsdelikten um Strafnormen, die bereits in ihrem Tatbestand ein Nichtstun, beziehungsweise die Nichtverhinderung eines bestimmten Erfolgs verlangen.[25]
Die Einteilung in echte und unechte Unterlassungsdelikte geht bereits auf das Jahr 1840 zurück[26] und liegt durchaus nicht ohne Weiteres auf der Hand[27] – ebenso wie ihre dogmatischen Konsequenzen. Früher sah man das Wesen des echten Unterlassungsdelikts vor allem in der Nichterfüllung eines Gebots zu einem bestimmten Handeln, während durch das unechte Unterlassungsdelikt das subjektive Recht eines Anderen verletzt werde.[28] Seither haben sich zwei unterschiedliche Ansätze zur Differenzierung herausgebildet: Ein formaler Ansatz, wonach Fälle strafbaren Unterlassens nur solche sein sollen, die das Gesetz ausdrücklich oder implizit so bezeichnet[29], sowie ein materieller Ansatz, wonach sich die echten Unterlassungsdelikte in der bloßen Nicht-Erfüllung eines von der Strafnorm selbst bezeichneten Handlungsgebots erschöpfen, während bei unechten Unterlassungsdelikten stets der Eintritt eines Verletzungs- oder Gefährdungserfolges vorausgesetzt wird[30].
Beiden Ansätzen ist gemein, dass zu den echten Unterlassungsdelikten nur solche Tatbestände gehören, bei denen das betreffende Strafgesetz eine Handlungspflicht bezeichnet.[31] Es handelt sich demnach um Straftatbestände, bei denen sich die Möglichkeit der Verwirklichung durch Unterlassen ausdrücklich oder konkludent aus dem Straftatbestand selbst ergibt (so zum Beispiel bei § 323c StGB). Dabei kann wiederum differenziert werden zwischen zwei Arten von echten Unterlassungsdelikten: Einerseits existieren Straftatbestände, mit denen der Gesetzgeber ein Handeln zur allgemeinen Rechtspflicht und das Unterlassen zur Straftat erhoben hat (beispielsweise die Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 StGB oder die unterlassene Hilfeleistung gemäß § 323c StGB).[32] Andererseits gibt es diejenigen Strafnormen, bei denen die Verantwortlichkeit gerade bestimmter Personen für den Nichteintritt eines tatbestandlichen Erfolgs ausdrücklich angeordnet wird (zum Beispiel der Adressat der Aufforderung, sich zu entfernen in § 123 Abs. 1 2. Alt. StGB).[33]
An dieser Differenzierung zeigt sich der Unterschied zwischen den Straftatbeständen, die man verwirrenderweise als echte Unterlassungsdelikte bezeichnet, und denjenigen Normen, die unechte Unterlassungsdelikte sein sollen, der vor allem darin liegt, dass letztgenannte gerade genau wie ein Begehungsdelikt – aber eben bloß durch Unterlassen realisiert werden sollen. Sie sind damit „begehungsgleich“.[34] Für die erstgenannte Gruppe der echten Unterlassungsdelikte gilt das nicht: Für sie bildet das Unterlassen den Standardfall, eine Verwirklichung durch positives Tun scheidet in der Regel[35] aus. Sie sind damit gerade nicht begehungsgleich.[36] Diese Differenzierung entspricht der herrschenden Auffassung[37], wonach der Anwendungsbereich des § 13 StGB mit der Gruppe der unechten Unterlassungsdelikte (i. e. der begehungsgleichen Unterlassungsdelikte) übereinstimmt.
b) Modalitätenäquivalenz
Für diese Taten verlangt § 13 StGB neben weiteren Voraussetzungen Modalitätenäquivalenz.[38] Nach § 13 StGB steht ein Unterlassen der aktiven Erfolgsherbeiführung nur dann gleich, wenn es der Tatbestandsverwirklichung durch Tun „entspricht“ – dies bezeichnet die Entsprechungs- oder auch Gleichstellungsklausel. Dabei geht die h. M. davon aus, dass das „Entsprechen“ nur in denjenigen Fällen gesondert festzustellen ist, in denen der Tatbestand nicht die bloße Erfolgsherbeiführung als solche verlangt (wie etwa bei § 212 StGB), sondern die Bewirkung des Erfolgs entweder in einer bestimmten Weise (zum Beispiel durch „Täuschung“ in § 263 StGB) erfordert oder – hier von Relevanz – auf einen Erfolg sogar gänzlich verzichtet.[39] In diesen Fällen soll Modalitätenäquivalenz geprüft werden, indem das Verhalten des Unterlassenden dem Verhalten eines vergleichbaren aktiven Täters gegenübergestellt wird.
c) Dogmatische Einordnung des § 264a StGB
Die (wohl noch) h.M.[40] begreift § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB als echtes, das heißt als nicht-begehungsgleiches Unterlassungsdelikt. Nach a.A.[41] handelt es sich um ein Begehungsdelikt beziehungsweise ein unechtes Unterlassungsdelikt. An deren Argumentation lassen sich jedoch durchaus Zweifel anmelden: So wird angeführt, der Täter könne eine Gebotsnorm zur Herstellung vollständiger Prospekte schon deshalb nicht verletzen, weil es eine solche gar nicht gebe.[42] Das ist allerdings so pauschal nicht gänzlich zutreffend, weil jedenfalls das Vermögensanlagengesetz und die zugehörige Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung oder auch das Wertpapierprospektgesetz sowie die EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung durchaus Vorgaben für die Prospekterstellung einschließlich der entsprechenden Inhalte machen.
In Wahrheit – so die Argumentation der Vertreter jener Ansicht weiter – verstoße der Täter gegen das Verbot, Adressaten Prospekte zugänglich zu machen, die nachteilige Tatsachen verschweigen.[43] Darin liege eine konkludente Täuschung im Sinne eines positiven Tuns. Auch diese Aussage lässt sich anzweifeln. Denn eine Täuschung verlangt eine kommunikative Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines Getäuschten. Derartiges verlangt aber der objektive Tatbestand des § 264a StGB nicht. Für eine Tatvollendung vorausgesetzt ist nur, dass der betreffende Prospekt einem größeren Kreis von Personen zugänglich gemacht wird, die Personenmehrheit also die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat – ohne dass es dabei tatsächlich zu einer kommunikativen Einwirkung kommen muss.[44]
Betrachtet man den Tatbestand des § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB, so liefert sein Wortlaut zwar nur spärliche Anhaltspunkte zur Abgrenzung. Es darf allerdings recht unstreitig gestellt werden, dass innerhalb der ersten Kategorie der echten Unterlassungsdelikte, d.h. innerhalb derjenigen, bei denen der Gesetzgeber ein Handeln zur allgemeinen Rechtspflicht und das Unterlassen zur Straftat erhoben hat, der Tatbestand immer negativ formuliert ist (zum Beispiel bei § 138 StGB: „Wer … es unterlässt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu machen“ oder bei § 323c StGB: „Wer … nicht Hilfe leistet“). § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB jedenfalls ist nicht auf diese Weise formuliert („wer … verschweigt“), weshalb der Tatbestand kein echtes Unterlassungsdelikt jedenfalls dieser ersten Kategorie sein kann.
Es bliebe also zu klären, ob es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt der zweiten Kategorie handelt, bei welcher die Verantwortlichkeit bestimmter Personen für den Nichteintritt eines tatbestandlichen Erfolgs angeordnet wird. Bei dieser Frage hilft allerdings der Wortlaut kaum weiter. Denn auch in den anderen Fällen, die überwiegend dieser Deliktsgruppe zugeordnet werden, lautet die Formulierung nicht eindeutig. Beispiele hierfür wären der Hausfriedensbruch nach § 123 Abs. 1 2. Alt. StGB, der von „verweilen“ spricht[45] oder § 170 StGB, der verlangt, dass sich der Täter seiner Unterhaltspflicht „entzieht“[46].
Eine Möglichkeit der Abgrenzung der echten Unterlassungsdelikte der zweiten Kategorie von den unechten Unterlassungsdelikten besteht nun darin, auf die Existenz einer besonderen außerstraftatbestandlichen Sicherungs- bzw. Rechtspflicht abzustellen, die sich an den potentiellen Täterkreis richtet.[47] Hierzu bildet § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g StGB ein bekanntes Beispiel. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist. Dieses Delikt soll ein unechtes Unterlassungsdelikt sein, weil es eine Sicherungspflicht voraussetzt.[48] Was diese Pflicht in concreto beinhaltet, ergibt sich aus § 15 StVO, der zum Beispiel vorschreibt, dass ein Warnblinklicht einzuschalten und mindestens ein auffällig warnendes Zeichen gut sichtbar in ausreichender Entfernung aufzustellen ist. Diese Inbezugnahme der StVO scheint mit der Wendung „obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist“ auch im Wortlaut des § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g StGB angelegt zu sein.
Übertragen auf den Kapitalanlagebetrug nach § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB muss man sich also für die dogmatische Einordnung die Frage stellen, ob die Norm eine vergleichbare Sicherungspflicht des Prospektverantwortlichen voraussetzt. Und tatsächlich beinhaltet auch der Tatbestand des Kapitalanlagebetrugs einen Verweis auf solche außerstrafrechtlichen Pflichten. Denn die Vorschrift benennt als Kriterium für strafrechtliche Relevanz der verschwiegenen nachteiligen Tatsachen, dass diese für die Anlageentscheidung erheblich sein müssen.
Für den Prospektverantwortlichen folgt daraus allein aber noch keine strafrechtlich relevante Einstandspflicht. Hierfür wäre erforderlich, dass zum Beispiel spezialgesetzliche Regelungswerke außerhalb des Strafrechts seine Einstandspflichten konkretisieren.[49] Eine derartige Spezifizierung derjenigen Angaben, die ein solcher Prospekt mindestens beinhalten muss, findet sich in § 7 des Wertpapierprospektgesetzes. Die Vorschrift besagt, dass sich die Mindestangaben nach der „Verordnung betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung“ (EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung[50]) aus dem Jahr 2004 „in der jeweils geltenden Fassung“[51] richten. § 7 WpPG setzt Art. 7 der EG-Prospektrichtlinie[52] um, hat jedoch lediglich deklaratorischen Charakter, da die EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung in ihrer zwischenzeitlich geänderten Fassung unmittelbar geltendes Recht in Deutschland darstellt.[53]
Bei § 7 WpPG handelt es sich um ein Blankett, dessen Ausfüllungsvorschriften recht detaillierte Mindestangaben enthalten. So verweist Art. 3 der EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung auf deren Anhänge eins bis siebzehn sowie zwanzig bis dreißig – das allerdings abhängig von der Art des jeweiligen Emittenten und der Art der jeweiligen Wertpapiere. Dort heißt es zum Beispiel in Anhang IV (der für Schuldtitel wie die Inhaberschuldverschreibungen in dem o.g. Fall gilt[54]) in Nr. 10.2, dass in Bezug auf bestimmte, in das Management eingebundene Personen potentielle Interessenkonflikte zwischen ihren Verpflichtungen gegenüber dem Emittenten und ihren privaten Interessen oder sonstigen Verpflichtungen klar festgehalten werden müssen.[55] Des Weiteren schreibt Anhang IV Nr. 12.1 vor, dass Personen angegeben werden müssen, die direkt oder indirekt eine Beteiligung am Kapital des Emittenten haben beziehungsweise daraus entsprechende Stimmrechte halten.[56] Beides kann auf Konstellationen wie die eingangs geschilderte zutreffen, wenn nämlich eine Person aufgrund von Gewinnabführungs- oder Beherrschungsverträgen als Mehrheitsaktionär entsprechenden Einfluss auf die Verwendung von Gewinnen ausübt.
Das allein macht aber § 7 WpPG in Verbindung mit Art. 3 der EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung sowie deren Anlagen noch nicht zu Regelungen, die für § 13 StGB ausreichende Sicherungspflichten begründen. Denn einschränkend müssten diese Vorschriften – entsprechend der These, dass die (auf einer Garantenstellung beruhende) Begehungsgleichheit das maßgebliche Kriterium der „Abschichtung“ darstellt[57] – sich ihrem Sinn und Zweck nach auf den Schutz potentieller Opfer eines Kapitalanlagebetrugs nach § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB richten. Ein Blick in die Gründe jener EG-Verordnung zeigt aber, dass diese auf der EG-Richtlinie betreffend den Prospekt basiert, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist.[58] Ziel jener Richtlinie war beziehungsweise ist wiederum nach Nr. 10 ihrer Gründe unter anderem, den Anlegerschutz sicherzustellen.[59] Diese auch der EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung zugrunde liegende Schutzrichtung mag erlauben, sie als Sicherungspflichten begründendes Regelungswerk einzuordnen – ausreichend für § 13 StGB.
Als Zwischenergebnis der vorliegenden Analyse lässt sich somit festhalten, dass § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB als ein begehungsgleiches Unterlassungsdelikt verstanden werden kann. Damit der Tatbestand erfüllt ist, müssen folglich die Voraussetzungen des § 13 StGB vorliegen; realisiert sein muss somit auch die Gleichstellungsklausel; das Unterlassen hat mithin wertungsmäßig einem positiven Tun zu entsprechen – so der Wortlaut des § 13 StGB.
IV. Schlussfolgerungen und Konsequenzen
Die Entscheidungen von Bundesverfassungsgericht und OLG Dresden lassen sich somit dahingehend auslegen, dass eine schwer verständliche oder schwer zu findende Darstellung zwar gegen Prospektgrundsätze verstoßen kann, dass allein dieser Verstoß jedoch nicht für § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB ausreicht. Kapitalanlagebetrug durch Unterlassen erfordert nämlich, dass dieses Unterlassen auch „begehungsgleich“ erfolgt, also Modalitätenäquivalenz gegeben ist.
Der Tatbestand ist dabei nur erfüllt, wenn sich das durch Unterlassen verwirklichte Unrecht dem typischerweise durch positives Tun verwirklichten Unrecht annähert. Problematischerweise können der Entsprechungsklausel selbst jedoch keine Kriterien dafür entnommen werden, wann und unter welchen Umständen von einer Gleichwertigkeit auszugehen ist. Freund[60] spricht dabei davon, dass gleichwertige Gegebenheiten vorliegen müssen und verlangt, dass die für das typische Unrecht entscheidende Zwischenstation erreicht wird.
Die ganz h.M. ordnet § 264a StGB seiner Schutzrichtung nach wie gesehen ins Vorfeld des Betrugstatbestands ein.[61] Für den Betrugstatbestand soll zentral aber das Täuschungsmerkmal sein. Auch ein Vergleich mit der ersten Alternative, dem „falsche Angaben machen“, zeigt, dass wesentlich für den Unrechtsgehalt nicht der Verstoß gegen die Prospektgrundsätze ist, sondern jener betrugsgleich darin liegt, dass bei Interessenten gezielt Fehlvorstellungen über die Anlage hervorgerufen werden. Da es aber ausreicht, dass nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Prospektinhalt eingeräumt wird, also keine kommunikative Einwirkung auf das Vorstellungsbild der Prospektadressaten erfolgen muss, kann einziges Kriterium dafür auch nur der tatsächliche Inhalt des Prospekts sein – und nicht, wie er dem potentiellen Anleger präsentiert wird. Maßgeblich und entscheidend bleibt somit nur, was überhaupt in dem Prospekt steht, und nicht, wie es dort steht. Eine solche Deutung legt auch der Umstand nahe, dass die besagte Rechtsprechung von Nichtsagen oder Verheimlichen spricht, mithin von einem Unterlassen und (ggf.) einem positiven Tun. Zudem sprechen für die Richtigkeit dieses Ergebnisses die bessere Abgrenzbarkeit sowie der Wortlaut. Damit hat diese Rechtsprechung § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB entgegen der h.M. in der Literatur – aber dogmatisch durchaus begründbar und mit sachlich richtigem Ergebnis – als unechtes Unterlassungsdelikt eingeordnet.
[:en]
Eine Analyse der Bedeutung unionsrechtlicher Rechtsakte für die dogmatische Einordnung des § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB
I. Einführung
„Ein Verschweigen nachteiliger Tatsachen i.S.d. § 264a StGB erfordert ein bewusstes ‚Nichtsagen‘ oder Verheimlichen.“[1] Anhand dieses Leitsatzes einer Entscheidung des OLG Dresden vom 30. August 2012 lässt sich das strafrechtsdogmatische Problem der Abgrenzung unechter Unterlassungsdelikte von echten Unterlassungsdelikten im Kontext aktueller kapitalmarktstrafrechtlicher Fragestellungen behandeln. Der Wortlaut des Leitsatzes bezog sich auf den Kapitalanlagebetrug gemäß § 264a StGB, dort auf dessen Abs. 1 2. Alt. und entspricht genau derjenigen Formulierung, die im Jahr 2007 bereits das Bundesverfassungsgericht[2] für seine Entscheidung zur Auslegung dieses Tatbestands wählte. Das OLG Dresden übernahm die Wendung, ohne dabei näher auszuführen, was mit bewusstem Nichtsagen eigentlich gemeint sein soll. Kann man z.B. auch unbewusst nichts sagen? Besteht ein Unterschied zwischen Nichtsagen und Verheimlichen? Aus der gewählten Formulierung lässt sich der Eindruck gewinnen, als begriffen Bundesverfassungsgericht und ihm folgend auch das OLG Dresden den Tatbestand des § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB als ein unechtes Unterlassungsdelikt – mit der Konsequenz, dass nach allgemeiner Ansicht die strengen Voraussetzungen des § 13 StGB erfüllt sein müssen. Die nachfolgenden Ausführungen beschäftigen sich mit dem Beleg dieser These, indem sie diese dogmatisch herleiten und stabilisieren.
Aktualität und besondere Brisanz erhält diese Problematik, da die Europäische Union durch Richtlinien und Verordnungen Einfluss auf das deutsche Kapitalmarktstrafrecht unter Einschluss von § 264a StGB (und seiner dogmatischer Einordnung?) nimmt. Mit der EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung existiert seit geraumer Zeit ein Regelungswerk, das spezifische Vorgaben gerade für die Inhalte solcher Prospekte macht. Dass dies aber auch darüber hinaus keine akademische Spielerei ist, sondern durchaus praktische Relevanz hat, ergibt sich nicht unbedingt aus der Zahl der Verurteilungen wegen Kapitalanlagebetrugs.[3] § 264a StGB spielt jedoch in zahlreichen Ermittlungsverfahren eine äußerst gewichtige Rolle. Häufig tritt die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift aber im Rahmen der Verurteilung nicht mehr in Erscheinung, weil der Kapitalanlagebetrug im Verhältnis zu schwereren Delikten zurücktritt[4] oder eine Einstellung nach den §§ 154, 154a StPO erfolgt.[5] Statistiken erscheinen zudem verzerrt, weil der Kapitalanlagebetrug häufig in der Formulierung „§ 263 StGB u.a.“ verloren geht. Außerdem bleibt eine nicht zu unterschätzende Relevanz für das Zivilrecht, wo § 264a StGB Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist – in diesem Zusammenhang erfolgte auch die o.g. Entscheidung des OLG Dresden.
II. Sachverhalt
In der fraglichen Entscheidung hatte sich das OLG Dresden mit dem Verkauf von Inhaberschuldverschreibungen auseinanderzusetzen, die – so der Vorwurf der Kläger – in der Absicht verkauft worden seien, diese bei Fälligkeit nicht bedienen zu können. Im Raum stand dabei ein so genanntes Schneeballsystem[6]: Zinsen und Rückzahlungen auf die Inhaberschuldverschreibungen sollten nicht aus den durch das Geschäft der Gesellschaft erzielten Einnahmen erfolgen, sondern aus neu eingehenden Anlegergeldern. In den Prospekten sei aber der Eindruck entstanden, dass der Nettoerlös der jeweiligen Anleihe für den ausgewiesenen Hauptgeschäftszweck Verwendung finde – anstatt wie realiter zur Rückzahlung von Inhaberschuldverschreibungen. Diesen Eindruck habe der Umstand hervorgerufen, dass die Verflechtungen über bestehende Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge zwischen den Protagonisten im Prospekt nicht beziehungsweise nicht hinreichend dargestellt worden seien. In dem Prospekt fanden sich zwar Angaben zu dem Beziehungsgeflecht. Nach Auffassung der Kläger aber nur „schwer verständlich und schwer zu finden“.[7] Im Kern gilt es somit die Frage zu beantworten, ob man auch durch zutreffende Angaben an versteckter Stelle oder in schwer verständlicher Form etwas „verschweigen“ kann.
III. Interpretation der Wendung „bewusstes Nichtsagen“
1. Anforderungen an das Verschweigen bei Bundesverfassungsgericht und OLG Dresden
a) Bundesverfassungsgericht
Im Zentrum des vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Falls stand der Emissionsprospekt einer GmbH & Co. KG, in dem (angeblich) die Verflechtungen und Beziehungen der Beteiligten juristischen und natürlichen Personen nur verwirrend dargestellt worden waren.[8] Unter Rekurs auf Brockhaus und Duden führte das Bundesverfassungsgericht aus, ein Verschweigen nachteiliger Tatsachen erfordere ein bewusstes „Nichtsagen” oder Verheimlichen. Ein Verschweigen hätte deswegen nur dann bejaht werden können, wenn die bestehenden Verflechtungen überhaupt nicht oder nur unvollständig im Prospekt dargestellt worden wären.[9] Da aber die Darstellung völlig zutreffend erfolgte, konnte nach Auffassung des Senats von einem Verschweigen jedenfalls im Sinne eines bewussten „Nichtsagens” keine Rede sein. Dass die betreffende Erläuterung nach Ansicht des mit der Sache befassten Oberlandesgerichts[10] schwer verständlich sei und sich an versteckter Stelle befinde, bleibe für die Subsumtion irrelevant – das gebiete schon die Wortlautgrenze.[11]
b) Zivilrechtliche Rechtsprechung
Strafurteile zu dieser Frage existieren (soweit ersichtlich) nicht. Jene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde aber durch die zivilrechtliche Rechtsprechung aufgegriffen[12]; das OLG Dresden z.B. wiederholte wortlautgleich die Passage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und führte dabei gestützt auf das Wortlautargument an, für die Subsumtion sei – auch im Zivilrecht – irrelevant, dass die betreffende Darstellung nur schwer verständlich ist und sich an versteckter Stelle befindet.[13]
2. Bewusstheit des Nichtsagens als kognitives Vorsatzelement?
Zerlegt man die Wendung nun in ihre Einzelteile „bewusst“ und „Nichtsagen“, so stellt sich zuerst die Frage, ob diese nicht identisch mit dem kognitiven Vorsatzelement sind. § 264a Abs. 1 StGB setzt – auch in der 2. Alt. – voraus, dass der Täter vorsätzlich handelt. Es ist bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale Vorsatz erforderlich, wobei dolus eventualis ausreicht.[14] Der Vorsatz setzt sich bekanntermaßen zusammen aus Wissen und Wollen, beinhaltet also ein kognitives sowie ein voluntatives Element, selbst soweit nur ein Handeln mit Eventualvorsatz verlangt ist.[15]
Für § 264a StGB hat sich der Vorsatz darauf zu richten, dass die in den Prospekten mitgeteilten vorteilhaften Angaben unrichtig bzw. die verschwiegenen Tatsachen, die der Täter kennen muss, nachteilig sind.[16] Dabei wird i.d.R. verlangt, dass sich der Täter der Erheblichkeit der betreffenden Angaben für die Anlageentscheidung auch bewusst ist, er mithin weiß, dass diese für die wirtschaftliche Bewertung der Anlage und somit unmittelbar für die Anlageentscheidung von Belang sind.[17] Wesentlich soll es demnach für das kognitive Vorsatzelement auf die Kenntnis und das Bewusstsein des Täters ankommen, etwas für die Anlageentscheidung Bedeutsames zurückzuhalten und so der Erwerbsentscheidung einen Teil ihrer Grundlage zu nehmen.[18]
Dass das Bundesverfassungsgericht mit dem Ausdruck der Bewusstheit aber das kognitive Vorsatzelement bezeichnen wollte, liegt eher fern. Denn an anderer Stelle in der Entscheidung folgen Ausführungen, bei denen der Senat just die Anforderungen an den Vorsatz genauer spezifiziert. Das Bundesverfassungsgericht erörtert dort, die potentiellen Täter hätten „ihrerseits wissen oder zumindest billigend in Kauf nehmen müssen, dass die Darstellung der Verflechtung sich trotz der eigenständigen Überschrift an versteckter Stelle im Prospekt befinde und darüber hinaus trotz der systematischen Darstellung schwer verständlich sei“.[19] Dies stand in der Entscheidung im Zusammenhang mit dem Hinweis, von den Klägern seien die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands nicht ausreichend dargetan. Hierzu heißt es: „Selbst wenn aber die Ansicht des Berufungsgerichts zuträfe (mithin, dass das Merkmal des Verschweigens auch durch zutreffende Angaben an versteckter Stelle in schwer verständlicher Form erfüllt werden kann), so muss sich zwingend der Vorsatz auf die einzelnen Elemente der Begehungsweise beziehen.“[20] Der kognitive Teil des Vorsatzes wird in der Entscheidung demnach anders und an separater Stelle umschrieben.
3. Dogmatische Einordnung
Die Bedeutung des Begriffs „bewusst“ lässt jedoch eine dogmatische Einordnung der 2. Alt. des § 264a Abs. 1 StGB erkennen.
a) Klassifizierung der Unterlassungsdelikte
In der strafrechtlichen Literatur ist umstritten, ob es sich bei § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB um ein echtes Unterlassungsdelikt[21] oder ein unechtes Unterlassungsdelikt[22], beziehungsweise ein Begehungsdelikt handelt. Bekanntermaßen lassen sich Begehungs- von Unterlassungsdelikten unterscheiden, dabei wiederum bei den Unterlassungsdelikten die so genannten echten von den unechten.[23] Unechte Unterlassungsdelikte sollen solche Tatbestände sein, die üblicherweise durch ein strafrechtlich relevantes Verhalten in Gestalt eines positiven Tuns verwirklicht werden.[24] Demgegenüber handelt es sich bei den echten Unterlassungsdelikten um Strafnormen, die bereits in ihrem Tatbestand ein Nichtstun, beziehungsweise die Nichtverhinderung eines bestimmten Erfolgs verlangen.[25]
Die Einteilung in echte und unechte Unterlassungsdelikte geht bereits auf das Jahr 1840 zurück[26] und liegt durchaus nicht ohne Weiteres auf der Hand[27] – ebenso wie ihre dogmatischen Konsequenzen. Früher sah man das Wesen des echten Unterlassungsdelikts vor allem in der Nichterfüllung eines Gebots zu einem bestimmten Handeln, während durch das unechte Unterlassungsdelikt das subjektive Recht eines Anderen verletzt werde.[28] Seither haben sich zwei unterschiedliche Ansätze zur Differenzierung herausgebildet: Ein formaler Ansatz, wonach Fälle strafbaren Unterlassens nur solche sein sollen, die das Gesetz ausdrücklich oder implizit so bezeichnet[29], sowie ein materieller Ansatz, wonach sich die echten Unterlassungsdelikte in der bloßen Nicht-Erfüllung eines von der Strafnorm selbst bezeichneten Handlungsgebots erschöpfen, während bei unechten Unterlassungsdelikten stets der Eintritt eines Verletzungs- oder Gefährdungserfolges vorausgesetzt wird[30].
Beiden Ansätzen ist gemein, dass zu den echten Unterlassungsdelikten nur solche Tatbestände gehören, bei denen das betreffende Strafgesetz eine Handlungspflicht bezeichnet.[31] Es handelt sich demnach um Straftatbestände, bei denen sich die Möglichkeit der Verwirklichung durch Unterlassen ausdrücklich oder konkludent aus dem Straftatbestand selbst ergibt (so zum Beispiel bei § 323c StGB). Dabei kann wiederum differenziert werden zwischen zwei Arten von echten Unterlassungsdelikten: Einerseits existieren Straftatbestände, mit denen der Gesetzgeber ein Handeln zur allgemeinen Rechtspflicht und das Unterlassen zur Straftat erhoben hat (beispielsweise die Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 StGB oder die unterlassene Hilfeleistung gemäß § 323c StGB).[32] Andererseits gibt es diejenigen Strafnormen, bei denen die Verantwortlichkeit gerade bestimmter Personen für den Nichteintritt eines tatbestandlichen Erfolgs ausdrücklich angeordnet wird (zum Beispiel der Adressat der Aufforderung, sich zu entfernen in § 123 Abs. 1 2. Alt. StGB).[33]
An dieser Differenzierung zeigt sich der Unterschied zwischen den Straftatbeständen, die man verwirrenderweise als echte Unterlassungsdelikte bezeichnet, und denjenigen Normen, die unechte Unterlassungsdelikte sein sollen, der vor allem darin liegt, dass letztgenannte gerade genau wie ein Begehungsdelikt – aber eben bloß durch Unterlassen realisiert werden sollen. Sie sind damit „begehungsgleich“.[34] Für die erstgenannte Gruppe der echten Unterlassungsdelikte gilt das nicht: Für sie bildet das Unterlassen den Standardfall, eine Verwirklichung durch positives Tun scheidet in der Regel[35] aus. Sie sind damit gerade nicht begehungsgleich.[36] Diese Differenzierung entspricht der herrschenden Auffassung[37], wonach der Anwendungsbereich des § 13 StGB mit der Gruppe der unechten Unterlassungsdelikte (i. e. der begehungsgleichen Unterlassungsdelikte) übereinstimmt.
b) Modalitätenäquivalenz
Für diese Taten verlangt § 13 StGB neben weiteren Voraussetzungen Modalitätenäquivalenz.[38] Nach § 13 StGB steht ein Unterlassen der aktiven Erfolgsherbeiführung nur dann gleich, wenn es der Tatbestandsverwirklichung durch Tun „entspricht“ – dies bezeichnet die Entsprechungs- oder auch Gleichstellungsklausel. Dabei geht die h. M. davon aus, dass das „Entsprechen“ nur in denjenigen Fällen gesondert festzustellen ist, in denen der Tatbestand nicht die bloße Erfolgsherbeiführung als solche verlangt (wie etwa bei § 212 StGB), sondern die Bewirkung des Erfolgs entweder in einer bestimmten Weise (zum Beispiel durch „Täuschung“ in § 263 StGB) erfordert oder – hier von Relevanz – auf einen Erfolg sogar gänzlich verzichtet.[39] In diesen Fällen soll Modalitätenäquivalenz geprüft werden, indem das Verhalten des Unterlassenden dem Verhalten eines vergleichbaren aktiven Täters gegenübergestellt wird.
c) Dogmatische Einordnung des § 264a StGB
Die (wohl noch) h.M.[40] begreift § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB als echtes, das heißt als nicht-begehungsgleiches Unterlassungsdelikt. Nach a.A.[41] handelt es sich um ein Begehungsdelikt beziehungsweise ein unechtes Unterlassungsdelikt. An deren Argumentation lassen sich jedoch durchaus Zweifel anmelden: So wird angeführt, der Täter könne eine Gebotsnorm zur Herstellung vollständiger Prospekte schon deshalb nicht verletzen, weil es eine solche gar nicht gebe.[42] Das ist allerdings so pauschal nicht gänzlich zutreffend, weil jedenfalls das Vermögensanlagengesetz und die zugehörige Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung oder auch das Wertpapierprospektgesetz sowie die EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung durchaus Vorgaben für die Prospekterstellung einschließlich der entsprechenden Inhalte machen.
In Wahrheit – so die Argumentation der Vertreter jener Ansicht weiter – verstoße der Täter gegen das Verbot, Adressaten Prospekte zugänglich zu machen, die nachteilige Tatsachen verschweigen.[43] Darin liege eine konkludente Täuschung im Sinne eines positiven Tuns. Auch diese Aussage lässt sich anzweifeln. Denn eine Täuschung verlangt eine kommunikative Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines Getäuschten. Derartiges verlangt aber der objektive Tatbestand des § 264a StGB nicht. Für eine Tatvollendung vorausgesetzt ist nur, dass der betreffende Prospekt einem größeren Kreis von Personen zugänglich gemacht wird, die Personenmehrheit also die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat – ohne dass es dabei tatsächlich zu einer kommunikativen Einwirkung kommen muss.[44]
Betrachtet man den Tatbestand des § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB, so liefert sein Wortlaut zwar nur spärliche Anhaltspunkte zur Abgrenzung. Es darf allerdings recht unstreitig gestellt werden, dass innerhalb der ersten Kategorie der echten Unterlassungsdelikte, d.h. innerhalb derjenigen, bei denen der Gesetzgeber ein Handeln zur allgemeinen Rechtspflicht und das Unterlassen zur Straftat erhoben hat, der Tatbestand immer negativ formuliert ist (zum Beispiel bei § 138 StGB: „Wer … es unterlässt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu machen“ oder bei § 323c StGB: „Wer … nicht Hilfe leistet“). § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB jedenfalls ist nicht auf diese Weise formuliert („wer … verschweigt“), weshalb der Tatbestand kein echtes Unterlassungsdelikt jedenfalls dieser ersten Kategorie sein kann.
Es bliebe also zu klären, ob es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt der zweiten Kategorie handelt, bei welcher die Verantwortlichkeit bestimmter Personen für den Nichteintritt eines tatbestandlichen Erfolgs angeordnet wird. Bei dieser Frage hilft allerdings der Wortlaut kaum weiter. Denn auch in den anderen Fällen, die überwiegend dieser Deliktsgruppe zugeordnet werden, lautet die Formulierung nicht eindeutig. Beispiele hierfür wären der Hausfriedensbruch nach § 123 Abs. 1 2. Alt. StGB, der von „verweilen“ spricht[45] oder § 170 StGB, der verlangt, dass sich der Täter seiner Unterhaltspflicht „entzieht“[46].
Eine Möglichkeit der Abgrenzung der echten Unterlassungsdelikte der zweiten Kategorie von den unechten Unterlassungsdelikten besteht nun darin, auf die Existenz einer besonderen außerstraftatbestandlichen Sicherungs- bzw. Rechtspflicht abzustellen, die sich an den potentiellen Täterkreis richtet.[47] Hierzu bildet § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g StGB ein bekanntes Beispiel. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist. Dieses Delikt soll ein unechtes Unterlassungsdelikt sein, weil es eine Sicherungspflicht voraussetzt.[48] Was diese Pflicht in concreto beinhaltet, ergibt sich aus § 15 StVO, der zum Beispiel vorschreibt, dass ein Warnblinklicht einzuschalten und mindestens ein auffällig warnendes Zeichen gut sichtbar in ausreichender Entfernung aufzustellen ist. Diese Inbezugnahme der StVO scheint mit der Wendung „obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist“ auch im Wortlaut des § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g StGB angelegt zu sein.
Übertragen auf den Kapitalanlagebetrug nach § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB muss man sich also für die dogmatische Einordnung die Frage stellen, ob die Norm eine vergleichbare Sicherungspflicht des Prospektverantwortlichen voraussetzt. Und tatsächlich beinhaltet auch der Tatbestand des Kapitalanlagebetrugs einen Verweis auf solche außerstrafrechtlichen Pflichten. Denn die Vorschrift benennt als Kriterium für strafrechtliche Relevanz der verschwiegenen nachteiligen Tatsachen, dass diese für die Anlageentscheidung erheblich sein müssen.
Für den Prospektverantwortlichen folgt daraus allein aber noch keine strafrechtlich relevante Einstandspflicht. Hierfür wäre erforderlich, dass zum Beispiel spezialgesetzliche Regelungswerke außerhalb des Strafrechts seine Einstandspflichten konkretisieren.[49] Eine derartige Spezifizierung derjenigen Angaben, die ein solcher Prospekt mindestens beinhalten muss, findet sich in § 7 des Wertpapierprospektgesetzes. Die Vorschrift besagt, dass sich die Mindestangaben nach der „Verordnung betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung“ (EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung[50]) aus dem Jahr 2004 „in der jeweils geltenden Fassung“[51] richten. § 7 WpPG setzt Art. 7 der EG-Prospektrichtlinie[52] um, hat jedoch lediglich deklaratorischen Charakter, da die EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung in ihrer zwischenzeitlich geänderten Fassung unmittelbar geltendes Recht in Deutschland darstellt.[53]
Bei § 7 WpPG handelt es sich um ein Blankett, dessen Ausfüllungsvorschriften recht detaillierte Mindestangaben enthalten. So verweist Art. 3 der EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung auf deren Anhänge eins bis siebzehn sowie zwanzig bis dreißig – das allerdings abhängig von der Art des jeweiligen Emittenten und der Art der jeweiligen Wertpapiere. Dort heißt es zum Beispiel in Anhang IV (der für Schuldtitel wie die Inhaberschuldverschreibungen in dem o.g. Fall gilt[54]) in Nr. 10.2, dass in Bezug auf bestimmte, in das Management eingebundene Personen potentielle Interessenkonflikte zwischen ihren Verpflichtungen gegenüber dem Emittenten und ihren privaten Interessen oder sonstigen Verpflichtungen klar festgehalten werden müssen.[55] Des Weiteren schreibt Anhang IV Nr. 12.1 vor, dass Personen angegeben werden müssen, die direkt oder indirekt eine Beteiligung am Kapital des Emittenten haben beziehungsweise daraus entsprechende Stimmrechte halten.[56] Beides kann auf Konstellationen wie die eingangs geschilderte zutreffen, wenn nämlich eine Person aufgrund von Gewinnabführungs- oder Beherrschungsverträgen als Mehrheitsaktionär entsprechenden Einfluss auf die Verwendung von Gewinnen ausübt.
Das allein macht aber § 7 WpPG in Verbindung mit Art. 3 der EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung sowie deren Anlagen noch nicht zu Regelungen, die für § 13 StGB ausreichende Sicherungspflichten begründen. Denn einschränkend müssten diese Vorschriften – entsprechend der These, dass die (auf einer Garantenstellung beruhende) Begehungsgleichheit das maßgebliche Kriterium der „Abschichtung“ darstellt[57] – sich ihrem Sinn und Zweck nach auf den Schutz potentieller Opfer eines Kapitalanlagebetrugs nach § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB richten. Ein Blick in die Gründe jener EG-Verordnung zeigt aber, dass diese auf der EG-Richtlinie betreffend den Prospekt basiert, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist.[58] Ziel jener Richtlinie war beziehungsweise ist wiederum nach Nr. 10 ihrer Gründe unter anderem, den Anlegerschutz sicherzustellen.[59] Diese auch der EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung zugrunde liegende Schutzrichtung mag erlauben, sie als Sicherungspflichten begründendes Regelungswerk einzuordnen – ausreichend für § 13 StGB.
Als Zwischenergebnis der vorliegenden Analyse lässt sich somit festhalten, dass § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB als ein begehungsgleiches Unterlassungsdelikt verstanden werden kann. Damit der Tatbestand erfüllt ist, müssen folglich die Voraussetzungen des § 13 StGB vorliegen; realisiert sein muss somit auch die Gleichstellungsklausel; das Unterlassen hat mithin wertungsmäßig einem positiven Tun zu entsprechen – so der Wortlaut des § 13 StGB.
IV. Schlussfolgerungen und Konsequenzen
Die Entscheidungen von Bundesverfassungsgericht und OLG Dresden lassen sich somit dahingehend auslegen, dass eine schwer verständliche oder schwer zu findende Darstellung zwar gegen Prospektgrundsätze verstoßen kann, dass allein dieser Verstoß jedoch nicht für § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB ausreicht. Kapitalanlagebetrug durch Unterlassen erfordert nämlich, dass dieses Unterlassen auch „begehungsgleich“ erfolgt, also Modalitätenäquivalenz gegeben ist.
Der Tatbestand ist dabei nur erfüllt, wenn sich das durch Unterlassen verwirklichte Unrecht dem typischerweise durch positives Tun verwirklichten Unrecht annähert. Problematischerweise können der Entsprechungsklausel selbst jedoch keine Kriterien dafür entnommen werden, wann und unter welchen Umständen von einer Gleichwertigkeit auszugehen ist. Freund[60] spricht dabei davon, dass gleichwertige Gegebenheiten vorliegen müssen und verlangt, dass die für das typische Unrecht entscheidende Zwischenstation erreicht wird.
Die ganz h.M. ordnet § 264a StGB seiner Schutzrichtung nach wie gesehen ins Vorfeld des Betrugstatbestands ein.[61] Für den Betrugstatbestand soll zentral aber das Täuschungsmerkmal sein. Auch ein Vergleich mit der ersten Alternative, dem „falsche Angaben machen“, zeigt, dass wesentlich für den Unrechtsgehalt nicht der Verstoß gegen die Prospektgrundsätze ist, sondern jener betrugsgleich darin liegt, dass bei Interessenten gezielt Fehlvorstellungen über die Anlage hervorgerufen werden. Da es aber ausreicht, dass nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Prospektinhalt eingeräumt wird, also keine kommunikative Einwirkung auf das Vorstellungsbild der Prospektadressaten erfolgen muss, kann einziges Kriterium dafür auch nur der tatsächliche Inhalt des Prospekts sein – und nicht, wie er dem potentiellen Anleger präsentiert wird. Maßgeblich und entscheidend bleibt somit nur, was überhaupt in dem Prospekt steht, und nicht, wie es dort steht. Eine solche Deutung legt auch der Umstand nahe, dass die besagte Rechtsprechung von Nichtsagen oder Verheimlichen spricht, mithin von einem Unterlassen und (ggf.) einem positiven Tun. Zudem sprechen für die Richtigkeit dieses Ergebnisses die bessere Abgrenzbarkeit sowie der Wortlaut. Damit hat diese Rechtsprechung § 264a Abs. 1 2. Alt. StGB entgegen der h.M. in der Literatur – aber dogmatisch durchaus begründbar und mit sachlich richtigem Ergebnis – als unechtes Unterlassungsdelikt eingeordnet.
Der Beitrag basiert auf einem von der Verf. im Dezember 2012 an der EBS/Law School in Wiesbaden gehaltenen Vortrag.
[1] OLG Dresden BeckRS 2012, 20211.
[3] Die Anzahl der Verurteilungen wegen Taten nach § 264a StGB ist eher gering, vgl. Momsen, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, 22. Auflage 2013, § 264a Rn. 4; ferner Wohlers, in: Münchener Kommentar zum StGB, 22. Auflage 2006, § 264a Rn. 11; siehe auch die Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes für das gesamte Bundesgebiet, abrufbar unter:
[4] Bspw. hinter § 263 StGB, siehe Samson/Günther, in: Systematischer Kommentar zum StGB, 137. ErgL. 2012, § 264a Rn. 6a; Bosch, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 1. Auflage 2009, § 264a Rn. 3.
[6] Eingehend zum Begriff OLG Köln NJW-RR 2001, 55; siehe auch bereits Volmer, GRUR 1953, S. 196 ff.; ferner Zieschang, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, § 263 StGB Rn. 67.
[10] Vorangehend OLG München, Urt. v. 23.1.2007 – Az: 6 U 5575/05 sowie 2.11.2006 – Az: 6 U 5575/05.
[14]Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Auflage 2010, § 264a Rn. 36; Momsen, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 264a Rn. 16; Wohlers, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 264a Rn. 60.
[15]Kudlich, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 15 Rn. 11; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Auflage 2010, § 15 Rn. 9.
[21] Dafür Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 264a Rn. 27; Lackner/Kühl, StGB, 27. Auflage 2011, § 264a Rn. 12 („i.d.R. echtes Unterlassen“); Möhrenschlager, wistra 1982, 207; Momsen, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 264a Rn. 13; Park, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht Handbuch, § 264a StGB Rn. 189; Tiedemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2010, § 264a Rn. 61.
[22] Dafür Hellmann, in: Nomos Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2010, § 264a Rn. 34; Hoyer, in: Systematischer Kommentar zum StGB, § 264a Rn. 14; Wohlers, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 264a Rn. 40.
[24]Frister, Strafrecht AT, 5. Auflage 2011, Kap. 22 Rn. 1 ff.; Rengier, Strafrecht AT, 4. Auflage 2012, § 10 Rn. 18, § 48 Rn. 1 ff.
[25]Rengier, Strafrecht AT, § 10 Rn. 19. Als Erfolg i.S.d. § 13 StGB gilt nach h. M. nicht nur der Erfolg i.S.d. Tatbestandslehre. Daher können auch Tätigkeitsdelikte, denen es an einem Erfolg i.d.S. fehlt, unter den Voraussetzungen des § 13 StGB durch Unterlassen verwirklicht werden; so Wohlers, in: Nomos Kommentar zum StGB, § 13 Rn. 2; vgl. auch BGHSt 46, 222; BGHSt 38, 338 f.; BGH NStZ 1997, 545; Freund, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 13 Rn. 219; Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, § 13 Rn. 3; a.A. Weigend, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 13 Rn. 15.
[27] So haftet bspw. jedem Fahrlässigkeitsdelikt, das durch positives Tun verwirklicht wird, ohne Zweifel eine Unterlassungskomponente an, die im Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt besteht; so Wohlers, in: Nomos Kommentar zum StGB, § 13 Rn. 6 („doppelrelevantes Verhalten“); krit. Herzberg, in: FS für Röhl, 2003, S. 270 ff. Zu den einzelnen Ansätzen der Abgrenzung eingehend Roxin, Strafrecht AT II, 1. Auflage 2003, § 31 Rn. 16 ff.
[29] Ähnlich Ransiek, JuS 2010, S. 491 („das in einem Tatbestand des BT beschriebene strafbare Verhalten [ist] schon als Unterlassen formuliert“); siehe auch Rengier, Strafrecht AT, § 48 Rn. 3. Dieser Ansatz geht zurück auf Kaufmann, Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 206 ff, 275 ff.
[30] In diese Richtung BGHSt 14, 281 („Bei einem ‚echten‘ Unterlassungsdelikt […] erschöpft sich das strafbare Verhalten im Verstoß gegen eine Gebotsnorm […] Daher kommt es für die Strafbarkeit nicht auf das Verhindern des ‚Erfolges‘ an.“); Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Auflage 1996, S. 605 f; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zum StGB, vor § 13 Rn. 10; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, 42. Auflage 2012, Rn. 696 f; ähnlich Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 17 ff. (Abstellend auf die gesetzliche Gleichstellung von Unterlassen und Tun).
[31] Ähnlich Ransiek, JuS 2010, S. 491 (Das Bestehen einer Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung sei eine „sachlich identische oder wenigstens ähnliche Begrenzung […] auch bei den echten Unterlassungsdelikten.“ Sie ergebe sich für echte Unterlassungsdelikte aber „aus dem Tatbestand selbst, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 13 StGB bedarf.“).
[33] Für ein echtes Unterlassungsdelikt Schäfer, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 123 Rn. 7; Rachow, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 123 Rn. 3; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, § 123 Rn. 27.
[34]Heuchemer, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 13 Rn. 74; so insbesondere auch Freund, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 13 Rn. 76 ff.
[35] Soweit nicht eine Sonderkonstellation vorliegt, in der ausnahmsweise ein echtes Unterlassungsdelikt durch positives Tun verwirklicht werden soll; siehe dazu eingehend bereits Roxin, in: FS für Engisch, 1969, S. 381 ff.
[36] Nur ausnahmsweise werden solche Tatbestände durch positives Tun verwirklicht, etwa im Fall der sog. omissio libera in causa, i.e. eine Konstellation, in der sich der Täter die Erfüllung seiner Erfolgsabwendungspflicht unmöglich macht; dazu Frister, Strafrecht AT, 5. Auflage 2011, Kap. 22 Rn. 16.
[37] So Fischer, StGB, § 13 Rn. 3; Weigend, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 13 Rn. 16; ferner auch Ransiek, JuS 2010, S. 491.
[38]Heuchemer, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 123 Rn. 32; Ransiek, JuS 2010, S. 589; Weigend, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 13 Rn. 77.
[40] Dafür Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 264a Rn. 27; Lackner/Kühl, StGB, § 264a Rn. 12 („i.d.R. echtes Unterlassen“); Möhrenschlager, wistra 1982, 207; Momsen, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 264a Rn. 13; Park, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht Handkommentar, § 264a Rn. 189; Tiedemann, in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 264a Rn. 61.
[41]Hellmann, in: Nomos Kommentar zum StGB, § 264a Rn. 34; Hoyer, in: Systematischer Kommentar zum StGB § 264a Rn. 14; Wohlers, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 264a Rn. 40.
[43]Hellmann, in: Nomos Kommentar zum StGB, § 264a Rn. 34; Hoyer, in: Systematischer Kommentar zum StGB § 264a Rn. 32.
[44]Momsen, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 264a Rn. 17; Wohlers, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 264a Rn. 68.
[45] Die Norm wird von der ganz h.M. als ein echtes Unterlassungsdelikt eingeordnet, so bspw. Schäfer, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 123 Rn. 7; Rachow, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 123 Rn. 3.
[46] Für ein echtes Unterlassungsdelikt Lackner/Kühl, StGB, § 170 Rn. 9; Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, § 170 Rn. 27; Ritscher, in: Münchener Kommentar zum StGB,, § 170 Rn. 49; Schall, in: Systematischer Kommentar zum StGB, § 170 Rn. 29; Wittig, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 170 Rn. 17; a.A. BGHSt 18, 379; für eine Verwirklichung durch positives Tun sowie alternativ durch Unterlassen Heuchemer, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 170 Rn. 21.
[47] Vgl. für § 264a StGB Fischer, StGB, § 264a Rn. 15 („unechtes Unterlassungsdelikt […], das eine außerhalb des § 264a StGB bestehende Rechtspflicht zur Offenbarung voraussetzt“).
[48]Herzog, in: Nomos Kommentar zum StGB, § 315c Rn. 14; daher ebenfalls für unechtes Unterlassungsdelikt – mit der Konsequenz der Anwendbarkeit des § 13 Abs. 2 StGB – Lackner/Kühl, StGB, § 315c Rn. 17a; vgl. auch Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 315c Rn. 25 für die Bestimmung des Sicherungspflichtigen; siehe auch Kudlich, in: Beck’scher Onlinekommentar zum StGB, § 315c Rn. 53, der das Delikt zwar als echtes Unterlassungsdelikt einordnet, gleichwohl aber ausnahmsweise eine Sicherungspflicht des Täters verlangt.
[49] Siehe Roxin, Strafrecht AT II, § 30 Rn. 17, wonach die auf einer Garantenstellung beruhende Begehungsgleichheit das maßgebliche Kriterium der „Abschichtung“ darstellt.
[50] Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29.4.2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung, ABl. Nr. L 149 S. 1, ber. ABl. Nr. L 215 S. 1, Vorschrift komplett ber. ABl. 2005 Nr. L 186 S. 3.
[51] Es handelt sich dabei um eine sog. dynamische Verweisung, so Groß, in: Groß, Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2012, § 7 WpPG Rn. 1 (dort Fn. 1) mit Verweis auf Meyer, in: Berrar/Meyer/Müller/Schnorbus/Singhof/Wolf, Frankfurter Kommentar zum WpPG und zur EU-ProspektVO, 1. Auflage 2011, § 7 WpPG Rn. 4. Um eine dynamische Verweisung handelte es sich nach h.M. bereits vor der entsprechenden Klarstellung durch das das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes durch Einfügung des Passus „in der jeweils geltenden Fassung“, vgl. BGBl. I 2012, 1375.
[52] Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. Nr. L 345 S. 64.
[53]Groß, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, Band 2, 2. Auflage 2009, Rn. IX669; Wehowsky, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 193. ErgL. 2013, § 7 WpPG Rn. 1.
[55] „Potenzielle Interessenkonflikte zwischen den Verpflichtungen gegenüber dem Emittenten von Seiten der in Punkt 10.1 genannten Personen sowie ihren privaten Interessen oder sonstigen Verpflichtungen müssen klar festgehalten werden. Falls keine derartigen Konflikte bestehen, ist eine dementsprechende Erklärung abzugeben.“
[56] „Sofern dem Emittenten bekannt, Angabe, ob an dem Emittenten unmittelbare oder mittelbare Beteiligungen oder Beherrschungsverhältnisse bestehen, und wer diese Beteiligungen hält bzw. diese Beherrschung ausübt. Beschreibung der Art und Weise einer derartigen Kontrolle und der vorhandenen Maßnahmen zur Verhinderung des Missbrauchs einer derartigen Kontrolle.“
[58] Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. Nr. L 345 S. 64.