Detlev Stoffels

Pirmurat, Said: Legitimation der Errichtung des Obersten irakischen Strafgerichtshofes (ursprünglich irakisches Sondertribunal)

2012, 332 Seiten, 84,90 €, ISBN 978-3-428-13953-8

Der irakisch-stämmige Autor hat dieses Werk in der Reihe „Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht“ im Jahre 2011/2012 als Dissertation an der Georg-August-Universität in Göttingen vorgelegt. Betreut wurde er von Herrn Professor Dr. Kai Ambos.

Ich möchte Ihnen dieses Buch ans Herz legen. Nicht, weil es sich mit einer Thematik befasst, mit der Sie in der nächsten Zukunft erwarten müssen konfrontiert zu werden, sondern weil dieses Buch von dem Gegenstand unseres Berufes handelt, obgleich wir in unserer zivilisierten und hochkomplexen Gesellschaft, zumal, wenn wir im Wirtschaftsstrafrecht tätig sind, diese Form des strafrechtlich relevanten Handelns gar nicht (mehr) kennen. Dieses Buch handelt von dem, was Menschen einander antun können und von einer Gesellschaft am Boden, ohne ein funktionierendes Justizsystem und wie man versucht, Gerechtigkeit (wieder?) einzuführen. Wenn Sie Ihren Beruf mit Begeisterung ausführen, dann wird Sie dieses Buch interessieren, eben weil es nicht von dem handelt, was unser täglich Brot ist. Dieses Buch ist Ihre Chance, einen Blick über den Tellerrand zu werfen.

Verwerfen Sie meine Empfehlung nicht mit der Überlegung, der Oberste Irakische Gerichtshof sei weit weg und zudem Geschichte. Jederzeit kann es notwendig werden, in einem anderen Land ein anderes Ad-hoc-Tribunal wie im Irak zu etablieren – trotz permanentem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Lesen Sie das oder zumindest in dem Buch und erfahren Sie, wie die Zulässigkeit der Ad-hoc-Tribunale begründet wird (oder auch nicht), worin der Unterschied zum Internationalen Strafgerichtshof besteht und wie man ganz praktisch vorgehen kann, wenn ein Justizsystem neu aufgebaut werden muss. Lesen Sie etwas über ein System, das Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Ex-Supermodel Naomi Campbell schon lange vor Ihnen kennen gelernt haben. Richard von Weizsäcker, als er im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess seinen Vater vertrat und Naomi Campbell, als sie als Zeugin im Verfahren gegen den Diktator Charles Taylor vor dem Sierra Leone Tribunal von unserem britischen Kollegen Courtney Griffith als Verteidiger ebenso freundlich wie nachdrücklich befragt wurde.

Wer heutzutage als Strafverteidiger tätig ist, sollte die Ad-hoc-Tribunale kennen und den Internationalen Strafgerichtshof nicht mit dem Internationalen Gerichtshof verwechseln.

In sechs Kapiteln setzt sich der Autor systematisch mit der aus dem Titel seiner Dissertation sich ergebenden Fragestellung auseinander. Dabei lässt er den in der Thematik nicht beheimateten Leser nicht alleine, sondern führt ihn systematisch in die Problematik dieses – eines – Ad-hoc-Gerichtshofes ein.

Nachdem Pirmurat zunächst den historischen Hintergrund erläutert, womit die Rechtslage nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak gemeint ist, insbesondere die US-Zivilverwaltung unter Paul Bremer, dessen legendäres „Ladies and Gentlemen: We got him!“, am 14.12.2003 die Festnahme Saddam Husseins bestätigte, setzt er sich rechtshistorisch mit den irakischen Sonder- und Ausnahmegerichten des vergangenen Jahrhunderts auseinander. Diese Gerichte spielten eine große Rolle im Irak und wurden erst durch die irakische Übergangsverfassung von 2004 verboten.

Es folgt die Darlegung der vom Saddam Regime begangenen Verbrechen gegen die einzelnen Bevölkerungsteile, insbesondere die Kurden, die Schiiten sowie gegen die religiösen Minderheiten.

Der Hauptleidtragende der Diktatur des Saddam Hussein war das eigene Volk. Der Autor geht davon aus, dass 6 % der Bevölkerung – wie er es formuliert – „grausam ermordet“ wurden in dem arabisch-nationalistischen Wahn der irakischen Bath-Partei/Regierung, einen arabischen Nationalstaat zu gründen.

Nicht unerwähnt lässt der Autor die von Saddam Hussein begangenen Verbrechen gegen die Nachbarstaaten, den Angriffskrieg gegen den Iran, die Invasion Kuwaits und die Raketenangriffe auf Israel.

Anschließend skizziert der Autor die ersten Überlegungen zur strafrechtlichen Verfolgung der Mitglieder des Saddam Regimes. Diese Überlegungen gehen weit zurück in die Vergangenheit, bis in das Jahr 1996, als Menschenrechtsorganisationen die Organisation INDICT ins Leben riefen, die sich für die Schaffung eines Ad-hoc-Strafgerichtshofes zur Verfolgung der Verbrechen des Saddam Hussein einsetzten. Tatsächlich auf den Weg gebracht wurde das Sondertribunal jedoch erst am 10. Dezember 2003, als Paul Bremer die Anordnung Nr. 48 erließ, auf dessen Grundlage der provisorische Regierungsrat am selben Tag das Statut für das Irakische Sondertribunal beschloss. Das Sondertribunal wurde außerhalb des irakischen Gerichtsystems errichtet, mit einer eigenen Verwaltung ausgestattet und eigenen Regeln unterworfen.

Wer sich mit dem Obersten Irakischen Strafgerichtshof auseinander setzt, kommt nicht umhin, die Situation, die zur Gründung dieses Ad-hoc-Gerichtshofes führte, zu beschreiben, also die Ausgangslage vor und nach den Golfkriegen und schließlich den Einmarsch der alliierten Truppen am 20. März 2003 im Irak. Dabei setzt sich Pirmurat kritisch mit der Rechtmäßigkeit der militärischen Intervention auseinander und stellt die unterschiedlichen Begründungsansätze vor. Im Ergebnis vertritt der Autor die Auffassung, dass insbesondere die im Zusammenhang mit dem Irak verhängten UN-Resolutionen oder auch ein Selbstverteidigungsrecht der USA die Intervention nicht rechtfertigen und der Angriff auf den Irak eine nicht gerechtfertigte Verletzung des Gewaltverbotes und des Interventionsverbotes gem. Art. 2 UN-Charta darstellt und daher völkerrechtswidrig war.

Das bereits erwähnte Statut des Obersten Irakischen Strafgerichtshofes wurde nach seinem Inkrafttreten im Dezember 2003 im Oktober 2005 geändert. Der Name des Tribunals wurde in den jetzt gültigen umformuliert. Auch einige rechtliche und verfahrensrechtliche Änderungen wurden in das Statut aufgenommen. Insgesamt besteht das Statut aus 10 Teilen mit 40 Artikel. Neben dem Namen, dem Sitz des Tribunals sowie dessen strukturelle Zusammenarbeit werden in dem Statut die materielle Zuständigkeit sowie die Verbrechenstatbestände (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und spezifische Straftaten aus irakischen Gesetzen) geregelt. Ebenfalls die persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit und Zurechnung, wie Verfahrens- und Beweisregeln sowie allgemeine Grundsätze des Strafrechtes, Regeln zum Ermittlungsverfahren, zur Verfolgung und zu den Rechten des Angeklagten wie Regeln über die Hauptverhandlung, Rechtsmittel und Wiederaufnahmeverfahren finden in der Verordnung ihren Niederschlag. Auch die Rechtsfolgen, die Strafen, sind dort geregelt. Dem ein oder anderen wird noch das Hinrichtungsvideo Saddam Husseins in Erinnerung sein. Tatsächlich lässt das Statut die Todesstrafe zu.

Mit der Überschrift „Standortbestimmung des Obersten irakischen Strafgerichtshofes bezüglich internationaler und gemischter Tribunale“ leitet der Autor im fünften Kapitel die Abgrenzung dieses Gerichtshofes zu einigen Ad-hoc-Tribunale und dem permanenten Strafgerichtshof ein. Insbesondere erwähnt er den Special Court für Sierra Leone, das Sondertribunal für den Libanon, die Sonderkammern von Ost-Timor, aber auch das Tribunal von Nürnberg und das für das ehemalige Jugoslawien.

Der Hauptteil der Dissertation beschäftigt sich mit der Behandlung der Frage der Rechtmäßigkeit der Errichtung des irakischen Sondertribunals.

Systematisch prüft der Autor die Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit des Tribunals und beginnt demzufolge mit der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Gesetzes Nr. 1 aus dem Jahr 2003. Nach dem Sturz Saddam Husseins Regimes durch die alliierten Truppen etablierten die Besatzungsmächte eine Übergangsverwaltung. Der Zivilverwalter Paul Bremer seinerseits setzte die existierende irakische Verfassung außer Kraft und löste alle irakischen Institutionen auf. Für den Autor stellt sich demzufolge die Frage, ob das Besatzungsrecht eine ausreichende Legitimationsgrundlage zum Erlass dieses Gesetzes Nr. 1 sein konnte.

Im Ergebnis verneint Pirmurat diese Frage.

Weder der provisorische irakische Regierungsrat noch das Transitional Government besaß ausreichende Legitimation zur Errichtung des Obersten irakischen Strafgerichtshofes. Der Autor begründet dies damit, dass beide Institutionen den Bestimmungen des Besatzungsrechts unterliegen. Die Hoheitsgewalt dieser Institution wurde durch die Regierungen der alliierten Truppen jedoch nicht tatsächlich übertragen. Zudem lassen die Regelungen des Besatzungsrechts eine strafrechtliche Gesetzgebungsbefugnis nur in eng gesteckten Grenzen zu.

Nach der Haager Landkriegsordnung müssen die Gesetze, die durch die Besatzungsmacht erlassen werden, nicht nur im Interesse der Bevölkerung sein und deren Wohle dienen, sie dürfen zudem auch keinen endgültigen Charakter haben.

Im weiteren Verlauf seiner Prüfung stellt der Autor fest, dass auch die UN-Resolutionen 1483,1500 und 1511 keine Ermächtigungsgrundlage zur Errichtung des Strafgerichtshofes liefern können. Der Gerichtshof ist zuständig für völkerrechtliche Verbrechen, die Saddam Husseins Regime für den Zeitraum 17. Juli 1968 bis zum 1. Mai 2003 vorgeworfen wurden. Da sowohl die Verbrechen des Völkermordes als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erstmals mit dem Gesetz Nr. 1 kodifiziert wurden, verstößt eine Verurteilung aus diesen Tatbeständen gegen das Rückwirkungsverbot als Bestandteil des Legalitätsprinzips.

Schließlich stellt Pirmurat fest, dass die tatsächlich gegen Saddam Hussein verhängte Todesstrafe gegen damals geltendes Recht verstieß. Denn durch die CPA-Verordnung Nummer 7 vom 9. Juni 2003 wurde die Todesstrafe de facto abgeschafft. Auch der Ausschluss einer Begnadigungsmöglichkeit durch den Staatspräsidenten stellt einen Rechtsverstoß dar, da der Irak den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet hat, der in Art. 6 Abs. 4 dieses Recht jedem zum Tode Verurteilten zugesteht.

Pirmurat ist es gelungen, nicht nur die Rechtsgrundlagen des Obersten irakischen Strafgerichtshofes umfassend und kritisch darzustellen und zu prüfen. Er hat diesen Gerichtshof auch in der geschichtlichen Realität seiner Tage verankert und liefert dem Leser somit ein anschauliches Bild von den damaligen politischen Verhältnissen im Irak.


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2012, 332 Seiten, 84,90 €, ISBN 978-3-428-13953-8

Der irakisch-stämmige Autor hat dieses Werk in der Reihe „Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht“ im Jahre 2011/2012 als Dissertation an der Georg-August-Universität in Göttingen vorgelegt. Betreut wurde er von Herrn Professor Dr. Kai Ambos.

Ich möchte Ihnen dieses Buch ans Herz legen. Nicht, weil es sich mit einer Thematik befasst, mit der Sie in der nächsten Zukunft erwarten müssen konfrontiert zu werden, sondern weil dieses Buch von dem Gegenstand unseres Berufes handelt, obgleich wir in unserer zivilisierten und hochkomplexen Gesellschaft, zumal, wenn wir im Wirtschaftsstrafrecht tätig sind, diese Form des strafrechtlich relevanten Handelns gar nicht (mehr) kennen. Dieses Buch handelt von dem, was Menschen einander antun können und von einer Gesellschaft am Boden, ohne ein funktionierendes Justizsystem und wie man versucht, Gerechtigkeit (wieder?) einzuführen. Wenn Sie Ihren Beruf mit Begeisterung ausführen, dann wird Sie dieses Buch interessieren, eben weil es nicht von dem handelt, was unser täglich Brot ist. Dieses Buch ist Ihre Chance, einen Blick über den Tellerrand zu werfen.

Verwerfen Sie meine Empfehlung nicht mit der Überlegung, der Oberste Irakische Gerichtshof sei weit weg und zudem Geschichte. Jederzeit kann es notwendig werden, in einem anderen Land ein anderes Ad-hoc-Tribunal wie im Irak zu etablieren – trotz permanentem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Lesen Sie das oder zumindest in dem Buch und erfahren Sie, wie die Zulässigkeit der Ad-hoc-Tribunale begründet wird (oder auch nicht), worin der Unterschied zum Internationalen Strafgerichtshof besteht und wie man ganz praktisch vorgehen kann, wenn ein Justizsystem neu aufgebaut werden muss. Lesen Sie etwas über ein System, das Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Ex-Supermodel Naomi Campbell schon lange vor Ihnen kennen gelernt haben. Richard von Weizsäcker, als er im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess seinen Vater vertrat und Naomi Campbell, als sie als Zeugin im Verfahren gegen den Diktator Charles Taylor vor dem Sierra Leone Tribunal von unserem britischen Kollegen Courtney Griffith als Verteidiger ebenso freundlich wie nachdrücklich befragt wurde.

Wer heutzutage als Strafverteidiger tätig ist, sollte die Ad-hoc-Tribunale kennen und den Internationalen Strafgerichtshof nicht mit dem Internationalen Gerichtshof verwechseln.

In sechs Kapiteln setzt sich der Autor systematisch mit der aus dem Titel seiner Dissertation sich ergebenden Fragestellung auseinander. Dabei lässt er den in der Thematik nicht beheimateten Leser nicht alleine, sondern führt ihn systematisch in die Problematik dieses – eines – Ad-hoc-Gerichtshofes ein.

Nachdem Pirmurat zunächst den historischen Hintergrund erläutert, womit die Rechtslage nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak gemeint ist, insbesondere die US-Zivilverwaltung unter Paul Bremer, dessen legendäres „Ladies and Gentlemen: We got him!“, am 14.12.2003 die Festnahme Saddam Husseins bestätigte, setzt er sich rechtshistorisch mit den irakischen Sonder- und Ausnahmegerichten des vergangenen Jahrhunderts auseinander. Diese Gerichte spielten eine große Rolle im Irak und wurden erst durch die irakische Übergangsverfassung von 2004 verboten.

Es folgt die Darlegung der vom Saddam Regime begangenen Verbrechen gegen die einzelnen Bevölkerungsteile, insbesondere die Kurden, die Schiiten sowie gegen die religiösen Minderheiten.

Der Hauptleidtragende der Diktatur des Saddam Hussein war das eigene Volk. Der Autor geht davon aus, dass 6 % der Bevölkerung – wie er es formuliert – „grausam ermordet“ wurden in dem arabisch-nationalistischen Wahn der irakischen Bath-Partei/Regierung, einen arabischen Nationalstaat zu gründen.

Nicht unerwähnt lässt der Autor die von Saddam Hussein begangenen Verbrechen gegen die Nachbarstaaten, den Angriffskrieg gegen den Iran, die Invasion Kuwaits und die Raketenangriffe auf Israel.

Anschließend skizziert der Autor die ersten Überlegungen zur strafrechtlichen Verfolgung der Mitglieder des Saddam Regimes. Diese Überlegungen gehen weit zurück in die Vergangenheit, bis in das Jahr 1996, als Menschenrechtsorganisationen die Organisation INDICT ins Leben riefen, die sich für die Schaffung eines Ad-hoc-Strafgerichtshofes zur Verfolgung der Verbrechen des Saddam Hussein einsetzten. Tatsächlich auf den Weg gebracht wurde das Sondertribunal jedoch erst am 10. Dezember 2003, als Paul Bremer die Anordnung Nr. 48 erließ, auf dessen Grundlage der provisorische Regierungsrat am selben Tag das Statut für das Irakische Sondertribunal beschloss. Das Sondertribunal wurde außerhalb des irakischen Gerichtsystems errichtet, mit einer eigenen Verwaltung ausgestattet und eigenen Regeln unterworfen.

Wer sich mit dem Obersten Irakischen Strafgerichtshof auseinander setzt, kommt nicht umhin, die Situation, die zur Gründung dieses Ad-hoc-Gerichtshofes führte, zu beschreiben, also die Ausgangslage vor und nach den Golfkriegen und schließlich den Einmarsch der alliierten Truppen am 20. März 2003 im Irak. Dabei setzt sich Pirmurat kritisch mit der Rechtmäßigkeit der militärischen Intervention auseinander und stellt die unterschiedlichen Begründungsansätze vor. Im Ergebnis vertritt der Autor die Auffassung, dass insbesondere die im Zusammenhang mit dem Irak verhängten UN-Resolutionen oder auch ein Selbstverteidigungsrecht der USA die Intervention nicht rechtfertigen und der Angriff auf den Irak eine nicht gerechtfertigte Verletzung des Gewaltverbotes und des Interventionsverbotes gem. Art. 2 UN-Charta darstellt und daher völkerrechtswidrig war.

Das bereits erwähnte Statut des Obersten Irakischen Strafgerichtshofes wurde nach seinem Inkrafttreten im Dezember 2003 im Oktober 2005 geändert. Der Name des Tribunals wurde in den jetzt gültigen umformuliert. Auch einige rechtliche und verfahrensrechtliche Änderungen wurden in das Statut aufgenommen. Insgesamt besteht das Statut aus 10 Teilen mit 40 Artikel. Neben dem Namen, dem Sitz des Tribunals sowie dessen strukturelle Zusammenarbeit werden in dem Statut die materielle Zuständigkeit sowie die Verbrechenstatbestände (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und spezifische Straftaten aus irakischen Gesetzen) geregelt. Ebenfalls die persönliche strafrechtliche Verantwortlichkeit und Zurechnung, wie Verfahrens- und Beweisregeln sowie allgemeine Grundsätze des Strafrechtes, Regeln zum Ermittlungsverfahren, zur Verfolgung und zu den Rechten des Angeklagten wie Regeln über die Hauptverhandlung, Rechtsmittel und Wiederaufnahmeverfahren finden in der Verordnung ihren Niederschlag. Auch die Rechtsfolgen, die Strafen, sind dort geregelt. Dem ein oder anderen wird noch das Hinrichtungsvideo Saddam Husseins in Erinnerung sein. Tatsächlich lässt das Statut die Todesstrafe zu.

Mit der Überschrift „Standortbestimmung des Obersten irakischen Strafgerichtshofes bezüglich internationaler und gemischter Tribunale“ leitet der Autor im fünften Kapitel die Abgrenzung dieses Gerichtshofes zu einigen Ad-hoc-Tribunale und dem permanenten Strafgerichtshof ein. Insbesondere erwähnt er den Special Court für Sierra Leone, das Sondertribunal für den Libanon, die Sonderkammern von Ost-Timor, aber auch das Tribunal von Nürnberg und das für das ehemalige Jugoslawien.

Der Hauptteil der Dissertation beschäftigt sich mit der Behandlung der Frage der Rechtmäßigkeit der Errichtung des irakischen Sondertribunals.

Systematisch prüft der Autor die Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit des Tribunals und beginnt demzufolge mit der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Gesetzes Nr. 1 aus dem Jahr 2003. Nach dem Sturz Saddam Husseins Regimes durch die alliierten Truppen etablierten die Besatzungsmächte eine Übergangsverwaltung. Der Zivilverwalter Paul Bremer seinerseits setzte die existierende irakische Verfassung außer Kraft und löste alle irakischen Institutionen auf. Für den Autor stellt sich demzufolge die Frage, ob das Besatzungsrecht eine ausreichende Legitimationsgrundlage zum Erlass dieses Gesetzes Nr. 1 sein konnte.

Im Ergebnis verneint Pirmurat diese Frage.

Weder der provisorische irakische Regierungsrat noch das Transitional Government besaß ausreichende Legitimation zur Errichtung des Obersten irakischen Strafgerichtshofes. Der Autor begründet dies damit, dass beide Institutionen den Bestimmungen des Besatzungsrechts unterliegen. Die Hoheitsgewalt dieser Institution wurde durch die Regierungen der alliierten Truppen jedoch nicht tatsächlich übertragen. Zudem lassen die Regelungen des Besatzungsrechts eine strafrechtliche Gesetzgebungsbefugnis nur in eng gesteckten Grenzen zu.

Nach der Haager Landkriegsordnung müssen die Gesetze, die durch die Besatzungsmacht erlassen werden, nicht nur im Interesse der Bevölkerung sein und deren Wohle dienen, sie dürfen zudem auch keinen endgültigen Charakter haben.

Im weiteren Verlauf seiner Prüfung stellt der Autor fest, dass auch die UN-Resolutionen 1483,1500 und 1511 keine Ermächtigungsgrundlage zur Errichtung des Strafgerichtshofes liefern können. Der Gerichtshof ist zuständig für völkerrechtliche Verbrechen, die Saddam Husseins Regime für den Zeitraum 17. Juli 1968 bis zum 1. Mai 2003 vorgeworfen wurden. Da sowohl die Verbrechen des Völkermordes als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erstmals mit dem Gesetz Nr. 1 kodifiziert wurden, verstößt eine Verurteilung aus diesen Tatbeständen gegen das Rückwirkungsverbot als Bestandteil des Legalitätsprinzips.

Schließlich stellt Pirmurat fest, dass die tatsächlich gegen Saddam Hussein verhängte Todesstrafe gegen damals geltendes Recht verstieß. Denn durch die CPA-Verordnung Nummer 7 vom 9. Juni 2003 wurde die Todesstrafe de facto abgeschafft. Auch der Ausschluss einer Begnadigungsmöglichkeit durch den Staatspräsidenten stellt einen Rechtsverstoß dar, da der Irak den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet hat, der in Art. 6 Abs. 4 dieses Recht jedem zum Tode Verurteilten zugesteht.

Pirmurat ist es gelungen, nicht nur die Rechtsgrundlagen des Obersten irakischen Strafgerichtshofes umfassend und kritisch darzustellen und zu prüfen. Er hat diesen Gerichtshof auch in der geschichtlichen Realität seiner Tage verankert und liefert dem Leser somit ein anschauliches Bild von den damaligen politischen Verhältnissen im Irak.


Autorinnen und Autoren

  • Detlev Stoffels
    Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Paderborn und Seniorpartner in der Kanzlei Toeterloeh44, Kattelmann Gelhard Stoffels Süsselbeck Niermann. Sein Tätigkeitsgebiet umfasst das nationale und internationale Strafrecht. Seit 2006 ist er als Strafverteidiger am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zugelassen; er ist Vize-Präsident der International Criminal Defence Lawyers Germany e.V. (ICDL).

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)