Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung zum Arbeitsstrafrecht
I. Einleitung
Die Bedeutung des Arbeitsstrafrechts hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Es wurden u.a. neue Straf- und Bußgeldtatbestände eingeführt oder schon bestehende Tatbestände verschärft. Parallel dazu wurde ein spezifischer arbeitsstrafrechtlicher Ermittlungsapparat auf- bzw. weiter ausgebaut. Im Bereich der illegalen Beschäftigung ist insbesondere die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) geschaffen und mit einer großen personellen Kapazität und weitreichenden Ermittlungsbefugnissen ausgestattet worden. Mit dieser Entwicklung ist nach wie vor ein großer anwaltlicher Beratungs- und Verteidigungsbedarf verbunden. Auch in der Strafrechtswissenschaft wird dem Gebiet des Arbeitsstrafrechts zunehmend mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
In den WiJ-Ausgaben 04-2012 und 01-2013 sind bereits zwei Beiträge der Autoren zu den Grundzügen des Arbeitsstrafrechts erschienen: Der 1. Teil setzt sich neben Begriffserklärungen, Normadressaten sowie dem einschlägigen Behördenaufbau mit dem Straftatbestand des § 266a StGB und den wesentlichen Tatbeständen im Zusammenhang mit illegaler Beschäftigung auseinander. Im 2. Teil werden die wesentlichen Tatbestände zum sozialen Arbeits- bzw. Arbeitnehmerschutz, zum öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz und zum Schutz der Betriebsverfassungsorgane dargestellt. Mit diesem Beitrag werden nun einige relevante Entscheidungen aus jüngster Zeit besprochen und damit zugleich die Ausführungen in den soeben genannten Beiträgen aktualisiert und ergänzt.
II. Aktuelle Entscheidungen zum Arbeitsstrafrecht
1. BGH 1 Str 626/12
In einem Beschluss vom 05.06.2013 setzt sich der BGH mit dem Arbeitgeberbegriff i.S.v. § 266a StGB auseinander.[1]
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Angeklagte hatte es mehreren Baukolonnenführern ermöglicht, ihre Bauleistungen „schwarz“ zu erbringen, indem sie ihnen eine nur zum Schein als Baufirma auftretende GmbH zur Verfügung stellte. Sie erstellte unter dem Namen der GmbH Rechnungen an die jeweiligen Auftraggeber und reichte die eingegangenen Zahlungen nach Abzug einer Provision an die Kolonnenführer weiter. Diese verwendeten die Gelder teilweise zur Auszahlung von Schwarzlöhnen und behielten den Überschuss als Gewinn ein. Die Angeklagte wurde durch das LG Frankfurt a.M. wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO tateinheitlich mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 und 2 Nr. 2 StGB in 18 Fällen verurteilt. Auf die Revision der Angeklagten hat der BGH das Verfahren in einem Fall eingestellt, weil die in Fall 18 abgeurteilte Tat nicht Gegenstand der Anklage war.
Nach Auffassung des BGH sind die Baukolonnenführer als Arbeitgeber i.S.v. § 266a StGB und damit als Haupttäter zu betrachten. Die Bestimmung des Arbeitgeberbegriffs richte sich hier nach dem Sozialrecht, das seinerseits auf das Arbeitsrecht verweise.[2] Der BGH legt insoweit die folgende Definition zugrunde: „Arbeitgeber ist danach derjenige, dem der Arbeitnehmer nicht selbständige Dienste gegen Entgelt leistet und zu dem er in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit steht, das sich vornehmlich in seiner regelmäßig mit einem Weisungsrecht des Arbeitgebers verbundenen Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers äußert.“[3] Weiter heißt es, dass für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliege, allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich seien.[4] Die Kolonnenführer hatten im vorliegenden Fall die Planung und Durchführung der Bauarbeiten von den Auftraggebern übernommen, die für die jeweilige Baustelle erforderlichen Arbeiter gestellt, angewiesen und überwacht.
In dem Beitrag „Grundzüge des Arbeitsstrafrechts (I)“ hatten die Autoren bereits darauf hingewiesen, dass das Strafrecht keinen eigenständigen Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerbegriff kennt, sodass regelmäßig auf die jeweiligen Bezugsnormen zurückzugreifen ist. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerbegriffe im arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Sinne von Bedeutung.[5] Greeve erklärt in einer Anmerkung zu dem hier besprochenen Urteil des BGH, dass für die strafrechtliche Bewertung bei § 266a StGB letztlich nicht das Arbeits-, sondern das Sozialrecht maßgebend sei, weil die Beitragspflichten im Sozialrecht angesiedelt seien.[6] Das entspricht auch der Argumentation des OLG Celle in seinem Beschluss vom 03.07.2013 (1 Ws 123/13).[7] Dort heißt es, dass sich der strafrechtliche Begriff des Arbeitnehmers primär nach dem Sozialversicherungsrecht richte.[8] Da der in § 7 Abs. 1 SGB IV geregelte Begriff des „sozialversicherungsrechtlichen „Beschäftigungsverhältnisses“ im Wesentlichen dem des „Arbeitsverhältnisses“ entspricht, ergeben sich jedoch gegenüber der Anknüpfung an das Arbeitsrecht praktisch keine maßgeblichen Unterschiede.[9]
2. BGH 1 StR 296/12 und BGH 1 StR 577/12
In seinem Beschluss vom 08.08.2012 kommt der BGH (1 StR 296/12) zu dem Ergebnis, dass „eine Anklageschrift […] auch dann die für ihre Wirksamkeit erforderliche Individualisierungs- und Umgrenzungsfunktion (vgl. § 200 I 1 StPO) [erfüllt], wenn die dem Angeklagten zur Last liegende Höhe der Steuerverkürzung – hier Lohnsteuerhinterziehung bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen – auf einer Schätzung beruht, indes eine genauere Berechnung der Verkürzung möglich gewesen wäre.“[10] Für den Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) soll nichts Abweichendes gelten.[11]
Nach ständiger Rechtsprechung führen (schwerwiegende) Mängel der Umgrenzungsfunktion des Anklagesatzes zur Unwirksamkeit der Anklage,[12] da die tatkonkretisierenden Angaben nicht erkennen lassen, auf welchen Sachverhalt sich die Anklage bezieht und welchen Umfang damit die Rechtskraft eines Urteils haben würde.[13] Der BGH geht in seiner Entscheidung allerdings davon aus, dass Ausführungen zur Schadensberechnung keinen Beitrag zur Individualisierung der Tat leisten könnten.[14] Er geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt sich auf den Standpunkt, dass Schadensberechnungen im Anklageansatz sogar mitunter dem Ziel zuwiderlaufen könnten, den Tatvorwurf klar, übersichtlich und verständlich darzustellen.[15]
Demnach kommen nur (noch) Mängel der Informationsfunktion in Betracht. Solche Mängel führen jedoch nach h.M. nicht zur Unwirksamkeit der Anklage.[16] Davon geht zuletzt auch das OLG Celle in seiner bereits angeführten Entscheidung vom 03.07.2013 (1 Ws 123/13) aus. Es argumentiert dahingehend, dass allein der Umstand, dass es sich bei der Anklage um eine weniger gut gelungene handelt, diese nicht unwirksam mache;[17] darüber hinaus sollen Mängel der Informationsfunktion auch nicht zur Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 204 StPO) berechtigen.[18] Entsprechend führt auch der BGH aus, dass die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens allein wegen einer aus Sicht des Gerichts nicht tragfähigen Schätzung in der Anklage nicht in Betracht komme.[19]
Dieser Auffassung muss aus der Verteidigerperspektive Folgendes entgegengesetzt werden: Ist schon im Ermittlungsverfahren keine ausreichende Information über den Tatvorwurf gewährleistet, muss der Beschuldigte gerade im Zwischenverfahren in Erfahrung bringen (können), wogegen er sich zu verteidigen hat.[20] Dabei können insbesondere auch fehlende Angaben zur Schadenshöhe zur Unwirksamkeit der Anklage führen, wenn für den Beschuldigten nicht erkennbar ist, auf welchen Zeitraum des Tatvorwurfs die Verteidigung auszurichten ist.[21] Es muss verhindert werden, dass sich die Staatsanwaltschaft ihrer Ermittlungspflicht (§ 160 StPO) entzieht und deren Erfüllung dem Hauptverfahren überlässt.[22]
Die vorstehenden Ausführungen müssen ebenfalls Geltung für Mängel bei der Darstellung des wesentlichen Ermittlungsergebnisses beanspruchen. Auch der BGH stellt im vorliegenden Fall fest, dass es im Hinblick auf die Informationsfunktion der Anklageschrift regelmäßig angezeigt sei, im wesentlichen Ermittlungsergebnis die für eine nachvollziehbare Darstellung der Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie (Steuer-)Berechnungen oder Schätzungen anzuführen.[23] Zwar erwähnt der 1. Senat, dass die für Urteile geltenden Darstellungsmaßstäbe angesichts der unterschiedlichen Anforderungen nicht auf Anklageschriften übertragen werden könnten,[24] jedoch heißt es an anderer Stelle zutreffend: „Auch erscheint es zweckmäßig, die Ausführungen bereits an den für das Gericht geltenden Maßstäben auszurichten.“[25] Diese Argumentation hätte nahegelegt, bei diesbezüglichen Mängeln der Anklageschrift auch entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Jedenfalls für die Fälle der illegalen Beschäftigung sind auch schon an die Anklageschrift hohe Anforderungen zu stellen. Schließlich muss die Anklageschrift die Tatsachen darlegen, aus denen sich ein hinreichender Tatverdacht ergibt.[26] Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie im vorliegenden Fall – eine genauere Berechnung möglich gewesen wäre.
Diese Sichtweise würde auch im Einklang mit der Entscheidung des BGH vom 06.02.2013 (1 StR 577/12) zu den Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen stehen.[27] Danach „ist [es] dem Tatrichter grundsätzlich gestattet, bei der Bestimmung des Beitragsschadens nach § 266a StGB bzw. der hinterzogenen Lohnsteuer die Höhe des an Arbeitnehmer ausbezahlten Schwarzlohns zu schätzen, soweit zu einer konkreteren Bestimmung – etwa anhand erbrachter Arbeitszeiten und konkreter, branchenüblicher oder tarifvertraglicher Stundenlöhne – keine zuverlässigen Beweismittel zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen sind […].“[28] Hiermit bestätigt der BGH im Übrigen die bestehende Rechtsprechung.[29]
3. BGH 1 StR 662/11 (und KG Berlin 121 Ss 210/12)
Dem Beschluss des BGH vom 07.03.2012 (1 StR 662/11)[30] ging eine Entscheidung des LG Augsburg voraus, durch welche der Angeklagte wegen Anstiftung zu 115 Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt wurde. Die Revision des Angeklagten führte zu einem Teilerfolg: Da der neu gefasste Tatbestand des § 266a StGB[31] auch betrugsähnliche Begehungsweisen erfasse, gehe die Vorenthaltung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen nach neuem Recht dem Betrug als lex specialis vor; diese Gesetzeslage sei als die dem Angeklagten günstigere gemäß § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung zu bringen, so dass die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen Betruges entfallen müsse.[32] Damit hält der BGH an der bestehenden Rechtsprechung fest.[33]
Auch im Übrigen setzt der Senat die ständige Rechtsprechung fort, wenn er feststellt, „dass bei echten Unterlassungsdelikten wie § 266a I StGB und II Nr. 2 StGB die Taten erst beendet sind, wenn die Beitragspflicht erloschen ist, sei es durch Beitragsentrichtung, sei es durch Wegfall des Beitragsschuldners.“[34] Das KG Berlin schließt sich dem in seiner Entscheidung vom 08.01.2013 (121 Ss 210/12) an.[35] Die Beitragspflicht würde damit im schlimmsten Fall erst mit der Verjährung der Beitragsschuld entfallen, bei der vorsätzlichen Beitragsvorenthaltung gemäß § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV also erst nach 30 Jahren.[36]
Eine andere, aus Sicht der Autoren vorzugswürdige Auffassung geht hingegen davon aus, dass die Tat beendet ist, wenn die Beiträge bei Fälligkeit nicht gezahlt wurden.[37] Der herrschenden Meinung ist entgegenzuhalten, dass sie nicht zwischen zivilrechtlicher und strafrechtlicher Handlungspflicht unterscheidet. Letztere bezieht sich aber nur auf die Zahlung „bei Fälligkeit“. Mit der Nichtzahlung zu diesem Zeitpunkt ist bereits der tatbestandlich relevante Schaden irreversibel eingetreten; auch § 266a Abs. 6 StGB lässt die Tatbestandsmäßigkeit nicht entfallen. Aus dem Sozialrecht bzw. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB ergibt sich zwar eine Pflicht zur Nachzahlung, nicht mehr aber aus der Strafnorm selbst.[38] Letztlich steht hier auch eine überlange Verjährungsfrist dem rechtspolitischen Ziel, Rechtsfrieden zu schaffen, entgegen.[39]
4. BGH 5 StR 288/11
Dem viel beachteten Beschluss des 5. Strafsenats vom 15.03.2012 (5 StR 288/11)[40] liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Inhaberin eines Gewerbebetriebes hatte bei ihren Arbeitnehmern den Mindestlohn unterschritten. Daraus errechnete das Hauptzollamt nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von etwa EUR 3.000,00. Die Staatsanwaltschaft stellte das wegen Verdachts einer Straftat nach § 266a StGB eingeleitete Ermittlungsverfahren nach Bezahlung einer Geldauflage von EUR 400,00 endgültig ein. Parallel dazu erließ das Hauptzollamt einen Bußgeldbescheid in Höhe von EUR 15.000, u.a. wegen Mindestlohnunterschreitung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG a.F.). Nach Einspruch stellte das AG Braunschweig das Verfahren gemäß § 46 OWiG, § 206a StPO wegen des sich aus der endgültigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153a Abs. 1 StPO ergebenden Strafklageverbrauchs ein. Hiergegen erhob die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde, welcher die Generalstaatsanwaltschaft beitrat. Das OLG Braunschweig[41] wollte dem Antrag der Generalsstaatsanwaltschaft entsprechen, sah sich jedoch daran durch Beschlüsse des OLG Oldenburg[42] sowie des Thüringer Oberlandesgerichts[43] gehindert und hat die Sache dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.
Der BGH schloss sich der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts an: „Sieht die Staatsanwaltschaft nach der Erfüllung von Auflagen von der Verfolgung eines Vergehens des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Beiträgen (§ 266a StGB) nach § 153a Abs. 1 StPO endgültig ab, so steht § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG aF (nunmehr § 23 Abs. 1 Nr. 1 AEntG) wegen der Unterschreitung von Mindestlöhnen (§ 1 Abs. 1 AEntG aF) nicht entgegen.“[44] Er begründete dies damit, dass zwischen den Taten nach § 266a StGB und der Nichtzahlung des Mindestlohns (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG aF) weder materiell-rechtliche Tateinheit bestehe noch eine Tat im prozessualen Sinne (§ 264 StPO) vorliege.[45] Bei seiner Bewertung ging der BGH von einer materiell-rechtlichen Betrachtung aus, weil materiell-rechtlich selbständige Taten in der Regel auch prozessual selbständig seien.[46] Bei Unterlassungsdelikten sei entscheidend, ob die mehrfachen Gesetzesverletzungen durch eine einheitliche Unterlassung begangen worden seien. Das könne wiederum nur im Hinblick auf die Handlungspflichten beurteilt werden: Seien mehrere Pflichten durch „ein und dieselbe Handlung“ zu erfüllen, so könne in ihrer Unterlassung regelmäßig nur eine Handlung – im weiteren Sinne – gesehen werden. Seien hingegen mehrere Handlungen erforderlich, um mehreren – selbst gleichartigen – Pflichten nachzukommen, so seien in ihrer Nichtvornahme in aller Regel mehrere Unterlassungen zu finden (also Tatmehrheit).[47] Nach Auffassung des Senats stehen § 266a StGB und § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG a.F. im Verhältnis der Tatmehrheit, weil der Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis zur Lohnzahlung an den Arbeitnehmer und aufgrund § 28e Abs. 1 SGB IV gegenüber der Einzugsstelle zur Leistung der Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet sei.[48] Schließlich sollen Aspekte des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebenden Vertrauensschutzes keine andere Bewertung gebieten.[49]
In der Praxis hat diese Entscheidung sicherlich für mehr Rechtssicherheit gesorgt. Für den Strafverteidiger ist jedoch umso mehr Vorsicht geboten: Waßmer weist zu Recht auf verschiedene Anmerkungen hin, die dem Verteidiger dazu raten, bei einer Verständigung über die Einstellung von Vorwürfen nach § 266a StGB auch die weitergehenden Verstöße gegen das AEntG zu berücksichtigen.[50] Stets ist auch auf eine „Miterledigung“ der Ordnungswidrigkeit (z.B. nach §§ 42, 47 OWiG) hinzuwirken.[51] Der Verstoß gegen § 23 Abs. 1 Nr. 1 AEntG kann beispielsweise mit einer Geldbuße bis zu EUR 500.000,00 geahndet werden. Die rechtskräftige Bußgeldentscheidung wird in das Gewerbezentralregister eingetragen (vgl. § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO). Außerdem werden Daten über Verstöße in einer zentralen Prüfungs- und Ermittlungsdatenbank gespeichert, die der Arbeitsbereich Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung führt (§ 16 Abs. 2 SchwarzArbG). Auch besteht die Möglichkeit einer Vergabesperre nach § 21 Abs. 1 AEntG.[52] Letztlich steht für die Betroffenen also häufig „die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel“.[53]
5. OLG Celle 1 Ws 123/13
Die hier bereits mehrfach erwähnte Entscheidung des OLG Celle (1 Ws 123/13) vom 03.07.2013 hat folgenden Sachverhalt zum Gegenstand[54]: Die Angeschuldigten sollen als Geschäftsführer einer GmbH die Sozialabgaben für als Rettungsfahrer beschäftigte Personen im Bereich des mobilen Krankentransportdienstes sowie die für diese Personen entstehenden Lohnsteuern und Solidaritätsbeiträge nicht abgeführt haben. Sie sollen die Fahrer als Honorarkräfte behandelt haben, obwohl es sich bei diesen Personen (nach Auffassung der Staatsanwaltschaft) um abhängig beschäftigte Arbeitnehmer gehandelt haben soll. Demnach wurde den Angeschuldigten durch die Anklage ein Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB und eine Lohnsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO vorgeworfen. Das LG Hannover hatte das Hauptverfahren insbesondere wegen formaler Bedenken gegen die Anklageschrift nicht eröffnet.[55] Das OLG Celle hat diese Nichteröffnungsentscheidung des Landgerichts korrigiert.
Das OLG Celle geht in seinen Ausführungen insbesondere auch auf die Problematik des Eventualvorsatzes bei § 266a StGB ein. Danach genüge es, „dass der Täter um sämtliche Umstände weiß, die die Arbeitnehmereigenschaft der eingesetzten Personen begründen und daher den wesentlichen Bedeutungsgehalt des Merkmals „Arbeitnehmer“ und die daraus folgenden Pflichten erfasst. Die möglicherweise fehlerhafte Subsumtion unter den Begriff „Arbeitnehmer“ führt daher nicht zu einem Tatbestandsirrtum, sondern stellt einen Subsumtionsirrtum dar, der allein bei Unvermeidbarkeit Auswirkungen auf die Vorwerfbarkeit haben könnte.“[56]
Dagegen wird insbesondere vorgebracht, dass es sich bei der „Arbeitgebereigenschaft“ um ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal handele, welches der Betreffende zumindest nach Laienart erfasst haben müsse. Sofern er seine Arbeitnehmer irrtümlicherweise für selbständig halte, fehle es bereits am Tatbestandsvorsatz. Ansonsten sei für den Betroffenen keine Berechenbarkeit mehr gegeben, ob sein Verhalten mit Strafe bewehrt sei oder nicht.[57] Nach Ansicht des OLG Celle stellt die möglicherweise rechtlich fehlerhafte Subsumtion unter den Begriff „Arbeitnehmer“ lediglich einen Subsumtionsirrtum dar, der allein bei Unvermeidbarkeit Auswirkungen auf die Vorwerfbarkeit haben könnte. Soweit vertreten werde, dass bei einem derart rechtlich komplexen normativen Tatbestandselement eine Verlagerung des Irrtums vom Verbotsirrtums zum Tatbestandsirrtum (verfassungsrechtlich) geboten sei, verkenne diese Auffassung, dass gerade eine von Gesetzes wegen nicht vorgesehene Verlagerung zwischen Irrtümern auf Tatsachenebene und Irrtümern über die rechtlichen Folgen eine von der Gegenauffassung angeführte Unberechenbarkeit zur Folge haben würde. Es komme mithin nicht darauf an, ob die Angeschuldigten gewusst hätten, dass es sich bei den eingesetzten Rettungskräften um abhängig Beschäftigte gehandelt habe. Vielmehr sei entscheidend, ob sie die Umstände erkannt hätten, aus denen sich die Eigenschaft der eingesetzten Kräfte als abhängig Beschäftigte ergebe.[58]
Diese Auffassung entspricht der herrschenden Meinung.[59] Letztlich wird es also in der Praxis bei umfassender Tatsachenkenntnis kaum möglich sein, das Tatgericht vom Fehlen einer zumindest laienhaften Kenntnis bezüglich der Stellung als Arbeitgeber zu überzeugen.[60]
6. OLG Bamberg 2 Ss OWi 897/12
Die Entscheidung des OLG Bamberg vom 15.01.2013 (2 Ss OWi 897/12)[61] beruht auf folgendem Sachverhalt: Der Betroffene wurde anlässlich einer Überprüfung durch das zuständige Hauptzollamt gemäß § 2 SchwarzArbG im Eingangsbereich eines Clubs angetroffen. Er bediente dort die Kasse und gab Stempel aus. Als grundsätzlich mitwirkungspflichtiger Dritter i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 1 SchwarzArbG wurde er nach einem Beschäftigungsverhältnis und der Form seiner Beschäftigung gefragt. Nach Angabe seiner Personalien erklärte der Betroffene jedoch, (weiter) nichts sagen zu wollen. Die Beamten des Hauptzollamts hatten ihn zuvor nicht über sein Schweigerecht bei drohender Selbstbelastung nach § 5 Abs. 1 S. 3 SchwarzArbG belehrt. Das Hauptzollamt erließ einen Bußgeldbescheid über EUR 500,00 wegen ordnungswidriger Verletzung der Mitwirkungspflicht (§ 8 Abs. 2 Nr. 3a SchwarzArbG). Das Amtsgericht hob den Bescheid jedoch auf, weil es eine möglicherweise drohende Selbstbelastung nicht ausschließen konnte und deshalb eine Mitwirkungspflicht im Hinblick auf § 5 Abs. 1 S. 3 SchwarzArbG verneinte. Zur Begründung führte das Gericht aus, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene Sozialleistungen bezogen habe und sich durch Beantwortung der an ihn gerichteten Frage selbst einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit hätte bezichtigen müssen. Die Staatsanwaltschaft legte beim OLG Bamberg erfolgreich Rechtsbeschwerde ein.[62]
Das OLG Bamberg geht in seinen Entscheidungsgründen davon aus, dass sich der Auskunftspflichtige ausdrücklich auf sein Verweigerungsrecht gemäß § 5 Abs. 1 S. 3 SchwarzArbG berufen müsse. Das sei seitens des Betroffenen nicht geschehen. Er habe vielmehr lediglich nach Angabe seiner Personalien erklärt, (weiter) nichts sagen zu wollen. Damit habe er die Beantwortung der Frage nach einem Beschäftigungsverhältnis und der Form seiner Beschäftigung lediglich schlicht abgelehnt. Er habe sich aber nicht darauf berufen, die Auskunft auf diese Frage zu verweigern, weil er sich durch deren Beantwortung der Gefahr aussetze, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Demnach sei er seiner Auskunftspflicht nach § 5 Abs. 1 S. 1 SchwarzArbG nicht enthoben gewesen.[63] Ergänzend weist das OLG Bamberg noch darauf hin, dass es keine Rechtspflicht der Zollbehörden gegenüber dem Auskunftspflichtigen gebe, diesen auf sein Verweigerungsrecht nach § 5 Abs. 1 S. 3 SchwarzArbG hinzuweisen. Deshalb sei allein die Tatsache der fehlenden Belehrung nicht geeignet, den Betroffenen beim Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen seiner Auskunftspflicht zu entheben.[64]
Regelmäßig in der ersten Vorlesungsstunde zum Strafprozessrecht lernt der Student den „nemo-tenetur-Grundsatz“ kennen. Danach ist niemand verpflichtet, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst Zeugnis abzulegen.[65] Ein Beschuldigter ist also nicht verpflichtet, aktiv zur Sachaufklärung beizutragen.[66] Ein Zwang zur Selbstbezichtigung würde letztlich die Menschenwürde berühren.[67] Der nemo-tenetur-Grundsatz ist auch in Art. 14 Abs. 3 Buchst. g IPBPR verankert und hat in § 136 Abs. 1 S. 2 StPO für den Beschuldigten und in § 55 Abs. 1 StPO für den Zeugen seine einfachgesetzliche Ausprägung erfahren.[68] Er gilt aber auch als übergeordneter Rechtsgrundsatz.[69]
Im der vorliegenden Fallkonstellation kommt es nun zu einem „Aufeinanderprallen“ von gesetzlichen Auskunfts- bzw. Mitwirkungspflichten mit dem Recht des Verpflichteten, sich nicht selbst belasten zu müssen.[70] Dabei gibt es grundsätzlich unterschiedliche Wege, solche Konflikte zu lösen: So kann die Mitwirkungspflicht suspendiert werden. Auch besteht die Möglichkeit, die Mitwirkungspflicht beizubehalten und die verpflichteten Angaben unter Umständen mit einem Beweisverwertungs- bzw. -verwendungsverbot zu belegen.[71] Im SchwarzArbG hat sich der Gesetzgeber für den zuerst genannten Weg entschieden: Nach § 5 Abs. 1 S. 3 SchwarzArbG können Auskünfte, die die verpflichtete Person oder eine ihr nahe stehende Person der Gefahr aussetzen, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, verweigert werden. Problematisch ist jedoch, dass hier keine gesetzliche Belehrungspflicht besteht, durch welche der Verpflichtete über sein Auskunftsverweigerungsrecht zu informieren ist (anders z.B. in § 55 Abs. 2 StPO oder § 393 Abs. 1 S. 4 AO).
Letztlich lässt die Entscheidung des OLG Bamberg den nemo-tenetur-Grundsatz ins Leere laufen.[72] Der Betroffene hat nach Angabe seiner Personalien erklärt, weiter nichts sagen zu wollen. Das ist nichts anderes als eine ausdrückliche Erklärung. Was soll der juristische Laie weiter erklären können? Das Gericht wirft dem Betroffenen vor, sich nicht ausdrücklich darauf berufen zu haben, die Auskunft auf diese Frage zu verweigern, weil er sich durch deren Beantwortung der Gefahr aussetze, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.[73] Ein Jurist, der sich nicht mit dem Strafprozessrecht beschäftigt, wird vielleicht schon Mühe haben, sich insoweit explizit und juristisch „korrekt“ auf sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 5 SchwarzArbG zu berufen. Der Laie wird in der Regel den Begriff „Auskunftsverweigerungsrecht“ bzw. dessen genaue Bedeutung nicht einmal kennen;[74] zudem wird sich der Betroffene durch die Konfrontation mit Ermittlungsbeamten in einer enormen Stresssituation befinden und mit den postulierten Anforderungen erkennbar überfordert sein. Die Entscheidung des OLG Bamberg muss demnach – wie Lübbersmann zutreffend feststellt – als „lebensfremd“ bezeichnet werden.[75] Im Übrigen hat der Betroffene nicht einfach belastende Tatsachen verschwiegen, sondern ausdrücklich erklärt, nichts zur Sache sagen zu wollen.[76] Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Betroffene nicht über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt wurde, dürfen die Anforderungen an eine ausdrückliche Erklärung nicht überspannt werden. Das muss auch gelten, wenn grundsätzlich keine Belehrungspflicht besteht, eine solche aber, wie selbst das OLG Bamberg in seinen Entscheidungsgründen erklärt, „unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten […] auch empfehlenswert sein [mag]“.[77]
I. Einleitung
Die Bedeutung des Arbeitsstrafrechts hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Es wurden u.a. neue Straf- und Bußgeldtatbestände eingeführt oder schon bestehende Tatbestände verschärft. Parallel dazu wurde ein spezifischer arbeitsstrafrechtlicher Ermittlungsapparat auf- bzw. weiter ausgebaut. Im Bereich der illegalen Beschäftigung ist insbesondere die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) geschaffen und mit einer großen personellen Kapazität und weitreichenden Ermittlungsbefugnissen ausgestattet worden. Mit dieser Entwicklung ist nach wie vor ein großer anwaltlicher Beratungs- und Verteidigungsbedarf verbunden. Auch in der Strafrechtswissenschaft wird dem Gebiet des Arbeitsstrafrechts zunehmend mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
In den WiJ-Ausgaben 04-2012 und 01-2013 sind bereits zwei Beiträge der Autoren zu den Grundzügen des Arbeitsstrafrechts erschienen: Der 1. Teil setzt sich neben Begriffserklärungen, Normadressaten sowie dem einschlägigen Behördenaufbau mit dem Straftatbestand des § 266a StGB und den wesentlichen Tatbeständen im Zusammenhang mit illegaler Beschäftigung auseinander. Im 2. Teil werden die wesentlichen Tatbestände zum sozialen Arbeits- bzw. Arbeitnehmerschutz, zum öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz und zum Schutz der Betriebsverfassungsorgane dargestellt. Mit diesem Beitrag werden nun einige relevante Entscheidungen aus jüngster Zeit besprochen und damit zugleich die Ausführungen in den soeben genannten Beiträgen aktualisiert und ergänzt.
II. Aktuelle Entscheidungen zum Arbeitsstrafrecht
1. BGH 1 Str 626/12
In einem Beschluss vom 05.06.2013 setzt sich der BGH mit dem Arbeitgeberbegriff i.S.v. § 266a StGB auseinander.[1]
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Angeklagte hatte es mehreren Baukolonnenführern ermöglicht, ihre Bauleistungen „schwarz“ zu erbringen, indem sie ihnen eine nur zum Schein als Baufirma auftretende GmbH zur Verfügung stellte. Sie erstellte unter dem Namen der GmbH Rechnungen an die jeweiligen Auftraggeber und reichte die eingegangenen Zahlungen nach Abzug einer Provision an die Kolonnenführer weiter. Diese verwendeten die Gelder teilweise zur Auszahlung von Schwarzlöhnen und behielten den Überschuss als Gewinn ein. Die Angeklagte wurde durch das LG Frankfurt a.M. wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO tateinheitlich mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 und 2 Nr. 2 StGB in 18 Fällen verurteilt. Auf die Revision der Angeklagten hat der BGH das Verfahren in einem Fall eingestellt, weil die in Fall 18 abgeurteilte Tat nicht Gegenstand der Anklage war.
Nach Auffassung des BGH sind die Baukolonnenführer als Arbeitgeber i.S.v. § 266a StGB und damit als Haupttäter zu betrachten. Die Bestimmung des Arbeitgeberbegriffs richte sich hier nach dem Sozialrecht, das seinerseits auf das Arbeitsrecht verweise.[2] Der BGH legt insoweit die folgende Definition zugrunde: „Arbeitgeber ist danach derjenige, dem der Arbeitnehmer nicht selbständige Dienste gegen Entgelt leistet und zu dem er in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit steht, das sich vornehmlich in seiner regelmäßig mit einem Weisungsrecht des Arbeitgebers verbundenen Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers äußert.“[3] Weiter heißt es, dass für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliege, allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich seien.[4] Die Kolonnenführer hatten im vorliegenden Fall die Planung und Durchführung der Bauarbeiten von den Auftraggebern übernommen, die für die jeweilige Baustelle erforderlichen Arbeiter gestellt, angewiesen und überwacht.
In dem Beitrag „Grundzüge des Arbeitsstrafrechts (I)“ hatten die Autoren bereits darauf hingewiesen, dass das Strafrecht keinen eigenständigen Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerbegriff kennt, sodass regelmäßig auf die jeweiligen Bezugsnormen zurückzugreifen ist. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerbegriffe im arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Sinne von Bedeutung.[5] Greeve erklärt in einer Anmerkung zu dem hier besprochenen Urteil des BGH, dass für die strafrechtliche Bewertung bei § 266a StGB letztlich nicht das Arbeits-, sondern das Sozialrecht maßgebend sei, weil die Beitragspflichten im Sozialrecht angesiedelt seien.[6] Das entspricht auch der Argumentation des OLG Celle in seinem Beschluss vom 03.07.2013 (1 Ws 123/13).[7] Dort heißt es, dass sich der strafrechtliche Begriff des Arbeitnehmers primär nach dem Sozialversicherungsrecht richte.[8] Da der in § 7 Abs. 1 SGB IV geregelte Begriff des „sozialversicherungsrechtlichen „Beschäftigungsverhältnisses“ im Wesentlichen dem des „Arbeitsverhältnisses“ entspricht, ergeben sich jedoch gegenüber der Anknüpfung an das Arbeitsrecht praktisch keine maßgeblichen Unterschiede.[9]
2. BGH 1 StR 296/12 und BGH 1 StR 577/12
In seinem Beschluss vom 08.08.2012 kommt der BGH (1 StR 296/12) zu dem Ergebnis, dass „eine Anklageschrift […] auch dann die für ihre Wirksamkeit erforderliche Individualisierungs- und Umgrenzungsfunktion (vgl. § 200 I 1 StPO) [erfüllt], wenn die dem Angeklagten zur Last liegende Höhe der Steuerverkürzung – hier Lohnsteuerhinterziehung bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen – auf einer Schätzung beruht, indes eine genauere Berechnung der Verkürzung möglich gewesen wäre.“[10] Für den Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) soll nichts Abweichendes gelten.[11]
Nach ständiger Rechtsprechung führen (schwerwiegende) Mängel der Umgrenzungsfunktion des Anklagesatzes zur Unwirksamkeit der Anklage,[12] da die tatkonkretisierenden Angaben nicht erkennen lassen, auf welchen Sachverhalt sich die Anklage bezieht und welchen Umfang damit die Rechtskraft eines Urteils haben würde.[13] Der BGH geht in seiner Entscheidung allerdings davon aus, dass Ausführungen zur Schadensberechnung keinen Beitrag zur Individualisierung der Tat leisten könnten.[14] Er geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt sich auf den Standpunkt, dass Schadensberechnungen im Anklageansatz sogar mitunter dem Ziel zuwiderlaufen könnten, den Tatvorwurf klar, übersichtlich und verständlich darzustellen.[15]
Demnach kommen nur (noch) Mängel der Informationsfunktion in Betracht. Solche Mängel führen jedoch nach h.M. nicht zur Unwirksamkeit der Anklage.[16] Davon geht zuletzt auch das OLG Celle in seiner bereits angeführten Entscheidung vom 03.07.2013 (1 Ws 123/13) aus. Es argumentiert dahingehend, dass allein der Umstand, dass es sich bei der Anklage um eine weniger gut gelungene handelt, diese nicht unwirksam mache;[17] darüber hinaus sollen Mängel der Informationsfunktion auch nicht zur Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 204 StPO) berechtigen.[18] Entsprechend führt auch der BGH aus, dass die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens allein wegen einer aus Sicht des Gerichts nicht tragfähigen Schätzung in der Anklage nicht in Betracht komme.[19]
Dieser Auffassung muss aus der Verteidigerperspektive Folgendes entgegengesetzt werden: Ist schon im Ermittlungsverfahren keine ausreichende Information über den Tatvorwurf gewährleistet, muss der Beschuldigte gerade im Zwischenverfahren in Erfahrung bringen (können), wogegen er sich zu verteidigen hat.[20] Dabei können insbesondere auch fehlende Angaben zur Schadenshöhe zur Unwirksamkeit der Anklage führen, wenn für den Beschuldigten nicht erkennbar ist, auf welchen Zeitraum des Tatvorwurfs die Verteidigung auszurichten ist.[21] Es muss verhindert werden, dass sich die Staatsanwaltschaft ihrer Ermittlungspflicht (§ 160 StPO) entzieht und deren Erfüllung dem Hauptverfahren überlässt.[22]
Die vorstehenden Ausführungen müssen ebenfalls Geltung für Mängel bei der Darstellung des wesentlichen Ermittlungsergebnisses beanspruchen. Auch der BGH stellt im vorliegenden Fall fest, dass es im Hinblick auf die Informationsfunktion der Anklageschrift regelmäßig angezeigt sei, im wesentlichen Ermittlungsergebnis die für eine nachvollziehbare Darstellung der Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie (Steuer-)Berechnungen oder Schätzungen anzuführen.[23] Zwar erwähnt der 1. Senat, dass die für Urteile geltenden Darstellungsmaßstäbe angesichts der unterschiedlichen Anforderungen nicht auf Anklageschriften übertragen werden könnten,[24] jedoch heißt es an anderer Stelle zutreffend: „Auch erscheint es zweckmäßig, die Ausführungen bereits an den für das Gericht geltenden Maßstäben auszurichten.“[25] Diese Argumentation hätte nahegelegt, bei diesbezüglichen Mängeln der Anklageschrift auch entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Jedenfalls für die Fälle der illegalen Beschäftigung sind auch schon an die Anklageschrift hohe Anforderungen zu stellen. Schließlich muss die Anklageschrift die Tatsachen darlegen, aus denen sich ein hinreichender Tatverdacht ergibt.[26] Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie im vorliegenden Fall – eine genauere Berechnung möglich gewesen wäre.
Diese Sichtweise würde auch im Einklang mit der Entscheidung des BGH vom 06.02.2013 (1 StR 577/12) zu den Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen stehen.[27] Danach „ist [es] dem Tatrichter grundsätzlich gestattet, bei der Bestimmung des Beitragsschadens nach § 266a StGB bzw. der hinterzogenen Lohnsteuer die Höhe des an Arbeitnehmer ausbezahlten Schwarzlohns zu schätzen, soweit zu einer konkreteren Bestimmung – etwa anhand erbrachter Arbeitszeiten und konkreter, branchenüblicher oder tarifvertraglicher Stundenlöhne – keine zuverlässigen Beweismittel zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen sind […].“[28] Hiermit bestätigt der BGH im Übrigen die bestehende Rechtsprechung.[29]
3. BGH 1 StR 662/11 (und KG Berlin 121 Ss 210/12)
Dem Beschluss des BGH vom 07.03.2012 (1 StR 662/11)[30] ging eine Entscheidung des LG Augsburg voraus, durch welche der Angeklagte wegen Anstiftung zu 115 Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt wurde. Die Revision des Angeklagten führte zu einem Teilerfolg: Da der neu gefasste Tatbestand des § 266a StGB[31] auch betrugsähnliche Begehungsweisen erfasse, gehe die Vorenthaltung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen nach neuem Recht dem Betrug als lex specialis vor; diese Gesetzeslage sei als die dem Angeklagten günstigere gemäß § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung zu bringen, so dass die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen Betruges entfallen müsse.[32] Damit hält der BGH an der bestehenden Rechtsprechung fest.[33]
Auch im Übrigen setzt der Senat die ständige Rechtsprechung fort, wenn er feststellt, „dass bei echten Unterlassungsdelikten wie § 266a I StGB und II Nr. 2 StGB die Taten erst beendet sind, wenn die Beitragspflicht erloschen ist, sei es durch Beitragsentrichtung, sei es durch Wegfall des Beitragsschuldners.“[34] Das KG Berlin schließt sich dem in seiner Entscheidung vom 08.01.2013 (121 Ss 210/12) an.[35] Die Beitragspflicht würde damit im schlimmsten Fall erst mit der Verjährung der Beitragsschuld entfallen, bei der vorsätzlichen Beitragsvorenthaltung gemäß § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV also erst nach 30 Jahren.[36]
Eine andere, aus Sicht der Autoren vorzugswürdige Auffassung geht hingegen davon aus, dass die Tat beendet ist, wenn die Beiträge bei Fälligkeit nicht gezahlt wurden.[37] Der herrschenden Meinung ist entgegenzuhalten, dass sie nicht zwischen zivilrechtlicher und strafrechtlicher Handlungspflicht unterscheidet. Letztere bezieht sich aber nur auf die Zahlung „bei Fälligkeit“. Mit der Nichtzahlung zu diesem Zeitpunkt ist bereits der tatbestandlich relevante Schaden irreversibel eingetreten; auch § 266a Abs. 6 StGB lässt die Tatbestandsmäßigkeit nicht entfallen. Aus dem Sozialrecht bzw. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB ergibt sich zwar eine Pflicht zur Nachzahlung, nicht mehr aber aus der Strafnorm selbst.[38] Letztlich steht hier auch eine überlange Verjährungsfrist dem rechtspolitischen Ziel, Rechtsfrieden zu schaffen, entgegen.[39]
4. BGH 5 StR 288/11
Dem viel beachteten Beschluss des 5. Strafsenats vom 15.03.2012 (5 StR 288/11)[40] liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Inhaberin eines Gewerbebetriebes hatte bei ihren Arbeitnehmern den Mindestlohn unterschritten. Daraus errechnete das Hauptzollamt nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von etwa EUR 3.000,00. Die Staatsanwaltschaft stellte das wegen Verdachts einer Straftat nach § 266a StGB eingeleitete Ermittlungsverfahren nach Bezahlung einer Geldauflage von EUR 400,00 endgültig ein. Parallel dazu erließ das Hauptzollamt einen Bußgeldbescheid in Höhe von EUR 15.000, u.a. wegen Mindestlohnunterschreitung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG a.F.). Nach Einspruch stellte das AG Braunschweig das Verfahren gemäß § 46 OWiG, § 206a StPO wegen des sich aus der endgültigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153a Abs. 1 StPO ergebenden Strafklageverbrauchs ein. Hiergegen erhob die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde, welcher die Generalstaatsanwaltschaft beitrat. Das OLG Braunschweig[41] wollte dem Antrag der Generalsstaatsanwaltschaft entsprechen, sah sich jedoch daran durch Beschlüsse des OLG Oldenburg[42] sowie des Thüringer Oberlandesgerichts[43] gehindert und hat die Sache dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.
Der BGH schloss sich der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts an: „Sieht die Staatsanwaltschaft nach der Erfüllung von Auflagen von der Verfolgung eines Vergehens des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Beiträgen (§ 266a StGB) nach § 153a Abs. 1 StPO endgültig ab, so steht § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG aF (nunmehr § 23 Abs. 1 Nr. 1 AEntG) wegen der Unterschreitung von Mindestlöhnen (§ 1 Abs. 1 AEntG aF) nicht entgegen.“[44] Er begründete dies damit, dass zwischen den Taten nach § 266a StGB und der Nichtzahlung des Mindestlohns (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG aF) weder materiell-rechtliche Tateinheit bestehe noch eine Tat im prozessualen Sinne (§ 264 StPO) vorliege.[45] Bei seiner Bewertung ging der BGH von einer materiell-rechtlichen Betrachtung aus, weil materiell-rechtlich selbständige Taten in der Regel auch prozessual selbständig seien.[46] Bei Unterlassungsdelikten sei entscheidend, ob die mehrfachen Gesetzesverletzungen durch eine einheitliche Unterlassung begangen worden seien. Das könne wiederum nur im Hinblick auf die Handlungspflichten beurteilt werden: Seien mehrere Pflichten durch „ein und dieselbe Handlung“ zu erfüllen, so könne in ihrer Unterlassung regelmäßig nur eine Handlung – im weiteren Sinne – gesehen werden. Seien hingegen mehrere Handlungen erforderlich, um mehreren – selbst gleichartigen – Pflichten nachzukommen, so seien in ihrer Nichtvornahme in aller Regel mehrere Unterlassungen zu finden (also Tatmehrheit).[47] Nach Auffassung des Senats stehen § 266a StGB und § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG a.F. im Verhältnis der Tatmehrheit, weil der Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis zur Lohnzahlung an den Arbeitnehmer und aufgrund § 28e Abs. 1 SGB IV gegenüber der Einzugsstelle zur Leistung der Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet sei.[48] Schließlich sollen Aspekte des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebenden Vertrauensschutzes keine andere Bewertung gebieten.[49]
In der Praxis hat diese Entscheidung sicherlich für mehr Rechtssicherheit gesorgt. Für den Strafverteidiger ist jedoch umso mehr Vorsicht geboten: Waßmer weist zu Recht auf verschiedene Anmerkungen hin, die dem Verteidiger dazu raten, bei einer Verständigung über die Einstellung von Vorwürfen nach § 266a StGB auch die weitergehenden Verstöße gegen das AEntG zu berücksichtigen.[50] Stets ist auch auf eine „Miterledigung“ der Ordnungswidrigkeit (z.B. nach §§ 42, 47 OWiG) hinzuwirken.[51] Der Verstoß gegen § 23 Abs. 1 Nr. 1 AEntG kann beispielsweise mit einer Geldbuße bis zu EUR 500.000,00 geahndet werden. Die rechtskräftige Bußgeldentscheidung wird in das Gewerbezentralregister eingetragen (vgl. § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO). Außerdem werden Daten über Verstöße in einer zentralen Prüfungs- und Ermittlungsdatenbank gespeichert, die der Arbeitsbereich Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung führt (§ 16 Abs. 2 SchwarzArbG). Auch besteht die Möglichkeit einer Vergabesperre nach § 21 Abs. 1 AEntG.[52] Letztlich steht für die Betroffenen also häufig „die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel“.[53]
5. OLG Celle 1 Ws 123/13
Die hier bereits mehrfach erwähnte Entscheidung des OLG Celle (1 Ws 123/13) vom 03.07.2013 hat folgenden Sachverhalt zum Gegenstand[54]: Die Angeschuldigten sollen als Geschäftsführer einer GmbH die Sozialabgaben für als Rettungsfahrer beschäftigte Personen im Bereich des mobilen Krankentransportdienstes sowie die für diese Personen entstehenden Lohnsteuern und Solidaritätsbeiträge nicht abgeführt haben. Sie sollen die Fahrer als Honorarkräfte behandelt haben, obwohl es sich bei diesen Personen (nach Auffassung der Staatsanwaltschaft) um abhängig beschäftigte Arbeitnehmer gehandelt haben soll. Demnach wurde den Angeschuldigten durch die Anklage ein Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB und eine Lohnsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO vorgeworfen. Das LG Hannover hatte das Hauptverfahren insbesondere wegen formaler Bedenken gegen die Anklageschrift nicht eröffnet.[55] Das OLG Celle hat diese Nichteröffnungsentscheidung des Landgerichts korrigiert.
Das OLG Celle geht in seinen Ausführungen insbesondere auch auf die Problematik des Eventualvorsatzes bei § 266a StGB ein. Danach genüge es, „dass der Täter um sämtliche Umstände weiß, die die Arbeitnehmereigenschaft der eingesetzten Personen begründen und daher den wesentlichen Bedeutungsgehalt des Merkmals „Arbeitnehmer“ und die daraus folgenden Pflichten erfasst. Die möglicherweise fehlerhafte Subsumtion unter den Begriff „Arbeitnehmer“ führt daher nicht zu einem Tatbestandsirrtum, sondern stellt einen Subsumtionsirrtum dar, der allein bei Unvermeidbarkeit Auswirkungen auf die Vorwerfbarkeit haben könnte.“[56]
Dagegen wird insbesondere vorgebracht, dass es sich bei der „Arbeitgebereigenschaft“ um ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal handele, welches der Betreffende zumindest nach Laienart erfasst haben müsse. Sofern er seine Arbeitnehmer irrtümlicherweise für selbständig halte, fehle es bereits am Tatbestandsvorsatz. Ansonsten sei für den Betroffenen keine Berechenbarkeit mehr gegeben, ob sein Verhalten mit Strafe bewehrt sei oder nicht.[57] Nach Ansicht des OLG Celle stellt die möglicherweise rechtlich fehlerhafte Subsumtion unter den Begriff „Arbeitnehmer“ lediglich einen Subsumtionsirrtum dar, der allein bei Unvermeidbarkeit Auswirkungen auf die Vorwerfbarkeit haben könnte. Soweit vertreten werde, dass bei einem derart rechtlich komplexen normativen Tatbestandselement eine Verlagerung des Irrtums vom Verbotsirrtums zum Tatbestandsirrtum (verfassungsrechtlich) geboten sei, verkenne diese Auffassung, dass gerade eine von Gesetzes wegen nicht vorgesehene Verlagerung zwischen Irrtümern auf Tatsachenebene und Irrtümern über die rechtlichen Folgen eine von der Gegenauffassung angeführte Unberechenbarkeit zur Folge haben würde. Es komme mithin nicht darauf an, ob die Angeschuldigten gewusst hätten, dass es sich bei den eingesetzten Rettungskräften um abhängig Beschäftigte gehandelt habe. Vielmehr sei entscheidend, ob sie die Umstände erkannt hätten, aus denen sich die Eigenschaft der eingesetzten Kräfte als abhängig Beschäftigte ergebe.[58]
Diese Auffassung entspricht der herrschenden Meinung.[59] Letztlich wird es also in der Praxis bei umfassender Tatsachenkenntnis kaum möglich sein, das Tatgericht vom Fehlen einer zumindest laienhaften Kenntnis bezüglich der Stellung als Arbeitgeber zu überzeugen.[60]
6. OLG Bamberg 2 Ss OWi 897/12
Die Entscheidung des OLG Bamberg vom 15.01.2013 (2 Ss OWi 897/12)[61] beruht auf folgendem Sachverhalt: Der Betroffene wurde anlässlich einer Überprüfung durch das zuständige Hauptzollamt gemäß § 2 SchwarzArbG im Eingangsbereich eines Clubs angetroffen. Er bediente dort die Kasse und gab Stempel aus. Als grundsätzlich mitwirkungspflichtiger Dritter i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 1 SchwarzArbG wurde er nach einem Beschäftigungsverhältnis und der Form seiner Beschäftigung gefragt. Nach Angabe seiner Personalien erklärte der Betroffene jedoch, (weiter) nichts sagen zu wollen. Die Beamten des Hauptzollamts hatten ihn zuvor nicht über sein Schweigerecht bei drohender Selbstbelastung nach § 5 Abs. 1 S. 3 SchwarzArbG belehrt. Das Hauptzollamt erließ einen Bußgeldbescheid über EUR 500,00 wegen ordnungswidriger Verletzung der Mitwirkungspflicht (§ 8 Abs. 2 Nr. 3a SchwarzArbG). Das Amtsgericht hob den Bescheid jedoch auf, weil es eine möglicherweise drohende Selbstbelastung nicht ausschließen konnte und deshalb eine Mitwirkungspflicht im Hinblick auf § 5 Abs. 1 S. 3 SchwarzArbG verneinte. Zur Begründung führte das Gericht aus, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene Sozialleistungen bezogen habe und sich durch Beantwortung der an ihn gerichteten Frage selbst einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit hätte bezichtigen müssen. Die Staatsanwaltschaft legte beim OLG Bamberg erfolgreich Rechtsbeschwerde ein.[62]
Das OLG Bamberg geht in seinen Entscheidungsgründen davon aus, dass sich der Auskunftspflichtige ausdrücklich auf sein Verweigerungsrecht gemäß § 5 Abs. 1 S. 3 SchwarzArbG berufen müsse. Das sei seitens des Betroffenen nicht geschehen. Er habe vielmehr lediglich nach Angabe seiner Personalien erklärt, (weiter) nichts sagen zu wollen. Damit habe er die Beantwortung der Frage nach einem Beschäftigungsverhältnis und der Form seiner Beschäftigung lediglich schlicht abgelehnt. Er habe sich aber nicht darauf berufen, die Auskunft auf diese Frage zu verweigern, weil er sich durch deren Beantwortung der Gefahr aussetze, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Demnach sei er seiner Auskunftspflicht nach § 5 Abs. 1 S. 1 SchwarzArbG nicht enthoben gewesen.[63] Ergänzend weist das OLG Bamberg noch darauf hin, dass es keine Rechtspflicht der Zollbehörden gegenüber dem Auskunftspflichtigen gebe, diesen auf sein Verweigerungsrecht nach § 5 Abs. 1 S. 3 SchwarzArbG hinzuweisen. Deshalb sei allein die Tatsache der fehlenden Belehrung nicht geeignet, den Betroffenen beim Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen seiner Auskunftspflicht zu entheben.[64]
Regelmäßig in der ersten Vorlesungsstunde zum Strafprozessrecht lernt der Student den „nemo-tenetur-Grundsatz“ kennen. Danach ist niemand verpflichtet, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst Zeugnis abzulegen.[65] Ein Beschuldigter ist also nicht verpflichtet, aktiv zur Sachaufklärung beizutragen.[66] Ein Zwang zur Selbstbezichtigung würde letztlich die Menschenwürde berühren.[67] Der nemo-tenetur-Grundsatz ist auch in Art. 14 Abs. 3 Buchst. g IPBPR verankert und hat in § 136 Abs. 1 S. 2 StPO für den Beschuldigten und in § 55 Abs. 1 StPO für den Zeugen seine einfachgesetzliche Ausprägung erfahren.[68] Er gilt aber auch als übergeordneter Rechtsgrundsatz.[69]
Im der vorliegenden Fallkonstellation kommt es nun zu einem „Aufeinanderprallen“ von gesetzlichen Auskunfts- bzw. Mitwirkungspflichten mit dem Recht des Verpflichteten, sich nicht selbst belasten zu müssen.[70] Dabei gibt es grundsätzlich unterschiedliche Wege, solche Konflikte zu lösen: So kann die Mitwirkungspflicht suspendiert werden. Auch besteht die Möglichkeit, die Mitwirkungspflicht beizubehalten und die verpflichteten Angaben unter Umständen mit einem Beweisverwertungs- bzw. -verwendungsverbot zu belegen.[71] Im SchwarzArbG hat sich der Gesetzgeber für den zuerst genannten Weg entschieden: Nach § 5 Abs. 1 S. 3 SchwarzArbG können Auskünfte, die die verpflichtete Person oder eine ihr nahe stehende Person der Gefahr aussetzen, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, verweigert werden. Problematisch ist jedoch, dass hier keine gesetzliche Belehrungspflicht besteht, durch welche der Verpflichtete über sein Auskunftsverweigerungsrecht zu informieren ist (anders z.B. in § 55 Abs. 2 StPO oder § 393 Abs. 1 S. 4 AO).
Letztlich lässt die Entscheidung des OLG Bamberg den nemo-tenetur-Grundsatz ins Leere laufen.[72] Der Betroffene hat nach Angabe seiner Personalien erklärt, weiter nichts sagen zu wollen. Das ist nichts anderes als eine ausdrückliche Erklärung. Was soll der juristische Laie weiter erklären können? Das Gericht wirft dem Betroffenen vor, sich nicht ausdrücklich darauf berufen zu haben, die Auskunft auf diese Frage zu verweigern, weil er sich durch deren Beantwortung der Gefahr aussetze, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.[73] Ein Jurist, der sich nicht mit dem Strafprozessrecht beschäftigt, wird vielleicht schon Mühe haben, sich insoweit explizit und juristisch „korrekt“ auf sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 5 SchwarzArbG zu berufen. Der Laie wird in der Regel den Begriff „Auskunftsverweigerungsrecht“ bzw. dessen genaue Bedeutung nicht einmal kennen;[74] zudem wird sich der Betroffene durch die Konfrontation mit Ermittlungsbeamten in einer enormen Stresssituation befinden und mit den postulierten Anforderungen erkennbar überfordert sein. Die Entscheidung des OLG Bamberg muss demnach – wie Lübbersmann zutreffend feststellt – als „lebensfremd“ bezeichnet werden.[75] Im Übrigen hat der Betroffene nicht einfach belastende Tatsachen verschwiegen, sondern ausdrücklich erklärt, nichts zur Sache sagen zu wollen.[76] Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Betroffene nicht über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt wurde, dürfen die Anforderungen an eine ausdrückliche Erklärung nicht überspannt werden. Das muss auch gelten, wenn grundsätzlich keine Belehrungspflicht besteht, eine solche aber, wie selbst das OLG Bamberg in seinen Entscheidungsgründen erklärt, „unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten […] auch empfehlenswert sein [mag]“.[77]
[1] BGH NStZ 2013, 587 = BGH wistra 2013, 346 = BGH PStR 2013, 223.
[4] BGH NStZ 2013, 587 f.; so auch das OLG Celle, Beschl. v. 03.07.2013 – 1 Ws 123/13, veröffentlicht bei juris, Leitsatz Nr. 4 und Rn. 21.
[9] Gercke/Leimenstoll HRRS 2009, 442, 443; Pananis in: Ignor/Rixen, Handbuch Arbeitsstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 6 Rn. 10; Gercke in: Gercke/Kraft/Richter, Arbeitsstrafrecht, 2012, 2. Kap. Rn. 13 mwN; a.A. Greeve NStZ 2013, 588.
[16] BGH wistra 2012, 195; BGHSt 56, 183; BGH wistra 2008, 109; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. 2013, § 200 Rn. 27.
[21] So überzeugend Julius in: Heidelberger Kommentar, § 200 Rn. 20 unter Hinweis auf LG Freiburg StV 1985, 497; LG Dresden StV 1996, 203 und Krause StV 1986, 335.
[29] Vgl. nur BGH NStZ 2010, 635; BGH NStZ 2009, 271 und die ausführliche Darstellung bei Gercke in: Gercke/Kraft/Richter, Arbeitsstrafrecht, 2. Kap. Rn. 121 ff.
[30] BGH NStZ 2012, 510 = BGH wistra 2012, 235 = BGH ZWH 2012, 232 = BGH NZWiSt 2013, 64 m. Anm. Steinberg.
[31] Die Änderung erfolgte durch das Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23.07.2004, BGBl. I, S. 1842 ff., 1849.
[36] Vgl. hierzu im Einzelnen Gercke in: Gercke/Kraft/Richter, Arbeitsstrafrecht, 2. Kap. Rn. 130 mit zahlreichen Beispielen und Nachweisen.
[37] Vgl. Möhrenschlager in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2012, § 266a Rn. 113 ff.; Bente in: Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2012, 12. Teil 2. Kap. Rn. 81.
[52] Diese und noch andere Konsequenzen werden von Waßmer NStZ 2012, 706, 707 angeführt. Zu weiteren Anmerkungen vgl. Windeln ArbRB 2012, 211 und Schmidt NZWiSt 2013, 221.
[54] OLG Celle, Beschl. v. 03.07.2013 – 1 Ws 123/13, veröffentlicht bei juris; beachte auch die Anmerkung von Wegner PStR 2013, 285.
[56] OLG Celle, Beschl. v. 03.07.2013 – 1 Ws 123/13, veröffentlicht bei juris, Leitsatz Nr. 5, Rn. 23; ausf. zum subjektiven Tatbestand und Irrtümern im Rahmen des § 266a StGB vgl. Gercke in: Gercke/Kraft/Richter, Arbeitsstrafrecht, Kap. 2 Rn. 73 ff.