Unternehmensstrafrecht: Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs

I. Einleitung

Am 14. November 2013 hat die Justizministerkonferenz in Berlin beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden, welcher vom nordrhein-westfälischen Justizministerium erarbeitet wurde, in den Bundesrat einzubringen.

II. Intention der Entwurfsverfasser

Der Gesetzesentwurf macht es sich zum Ziel, einzelne Mitarbeiter von Unternehmen nicht länger als „Bauernopfer“ für ihr strafbares Verhalten zur Verantwortung zu ziehen, während in Unternehmen die Verantwortung durch „Mechanismen der Freizeichnung“ verschleiert würde. Mit dem bisherigen Ordnungswidrigkeitenrecht könne den Anforderungen an die Bekämpfung von aus Unternehmen heraus begangener Wirtschaftskriminalität nicht hinreichend Rechnung getragen werden. Insbesondere hätte die Möglichkeit, nach §§ 30, 130 OWiG gegen Unternehmen und Verantwortliche vorzugehen, „keine hinreichende Präventivwirkung“ und stelle ein kalkulierbares Risiko dar. Das Recht der Ordnungswidrigkeiten biete keine effektiven „Anreize zur Entwicklung und Pflege einer Kultur von Unternehmens-Compliance“. Darüber hinaus sei zu beachten, dass Deutschland im internationalen Raum eines der wenigen Länder sei, das keine entsprechenden Unternehmensstrafregelungen getroffen hätte.[1] Um diesen von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen identifizierten Problemen gerecht zu werden, hat sie den Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs (VerbStrG-E) nach dem Vorbild des österreichischen Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG-A) vorgelegt[2].

III. Vorbild: Das Österreichische Verbandsverantwortlichkeitsgesetz

Der Strafrechtsauschuss der Bundesrechtsanwaltskammer hat sich bereits im Mai 2013 mit grundsätzlichen rechtsstaatlichen Bedenken gegen die Einführung einer Unternehmensstrafe und der Möglichkeit der effizienteren Nutzung der bisherigen Instrumentarien im Ordnungswidrigkeitenrecht auseinandergesetzt. Auf die entsprechenden Ausführungen wird an dieser Stelle verwiesen.[3] In Bezug auf die mit dem Gesetzesentwurf verbundenen Hoffnungen des Entwurfsverfassers könnten die Erfahrungen mit dem österreichischem VbVG-A ernüchternd wirken. Eine Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien hat die Wirkungen und praktischen Erfahrungen mit dem VbVG-A nach seiner fünfjährigen Gültigkeit im Jahre 2011 evaluiert. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass gerade die erhoffte Anreizwirkung zur Vertiefung von Compliance-Maßnahmen teilweise ausbleibt. Zwar trieben Großunternehmen Compliance-Maßnahmen verstärkt voran, bei kleineren und mittleren Unternehmen lasse sich allerdings kaum eine Auswirkung feststellen.[4] Hinsichtlich der praktischen Anwendung des VbVG-A äußern sich vor allem die befragten Staatsanwaltschaften kritisch. Auf der einen Seite berichten Staatsanwälte von Verfahren, in denen Ermittlungen gegen natürliche Personen unterlassen werden, da ein Verfahren gegen ein Unternehmen oftmals geringere Nachweisprobleme mit sich bringt[5], auf der anderen Seite ist die Verurteilungsquote bei Verfahren gegen Unternehmen gering. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass der Staatsanwaltschaft – anders als es im deutschen Entwurf vorgesehen ist – ein Verfolgungsermessen zusteht, vgl. § 18 VbVG-A. Die Staatsanwaltschaften bemängeln jedoch in diesem Zusammenhang vor allem die fehlende Waffengleichheit zwischen den Ermittlungsbehörden und den personell und finanziell besser ausgestatteten Unternehmen.[6]

 

IV. Materielles Unternehmensstrafrecht

Der Entwurf des Verbandsstrafgesetzbuch sieht zwei materielle Unternehmensstraftatbestände, einen Rahmen für das Strafverfahren gegen Unternehmen sowie ein eigenes Sanktionsrecht vor.

Das materielle Unternehmensstrafrecht weist starke Parallelen zu den bereits bestehenden Regelung in § 30 OWiG (i.V.m. §§ 9, 130 OWiG) auf. § 2 VerbStrG-E sieht in Abs. 1 und Abs. 2 jeweils einen selbständigen Verbandsstraftatbestand vor. Gemäß Abs. 1 ist eine Verbandssanktion zu verhängen, wenn durch „einen Entscheidungsträger in Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Verbandes vorsätzlich oder fahrlässig eine verbandsbezogene Zuwiderhandlung begangen wurde“. Der Begriff des Entscheidungsträgers ist in § 1 Abs. 3 VerbStrG-E legal definiert. Er umfasst im Wesentlichen die auch bisher nach der Rechtsprechung im Katalog der Anknüpfungstäter des § 30 Abs. 1 OWiG enthaltenen vertretungsberechtigten Personen und Leitungspersonen.[7]

Verbandsbezogene Zuwiderhandlungen sind Verstöße gegen Strafgesetze, „wenn durch sie Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen oder wenn durch sie der Verband bereichert worden ist oder bereichert werden sollte“, vgl. § 1 Abs. 2 VerbStrG-E. Die Bezugstaten der Unternehmensstrafe sind demnach nicht nur in personeller, sondern auch in sachlicher Hinsicht an das bestehende Ordnungswidrigkeitenrecht angelehnt.

Dies setzt sich in § 2 Abs. 2 VerbStrG-E fort. Dieser zweite materielle Unternehmensstraftatbestand stellt ähnlich der Systematik der Trias der §§ 9, 30, 130 OWiG eine Aufsichtspflichtverletzung unter Strafe. Demnach ist eine Verbandssanktion zu verhängen, wenn „in Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Verbandes eine verbandsbezogene Zuwiderhandlung begangen worden ist“ und ein Entscheidungsträger vorsätzlich oder fahrlässig zumutbare Aufsichtsmaßnahmen unterlassen hat, durch die die Zuwiderhandlung verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre.

Strafgrund des Tatbestandes des § 2 Abs. 1 VerbStrG-E ist ausweislich der Gesetzesbegründung die mangelhafte Personalauswahl oder der unzureichende Aufgabenzuschnitt auf Leitungsebene des Verbandes.[8] Im Falle einer Aufsichtspflichtverletzung liegt demgegenüber „ein Organisationsmangel unterhalb der Auswahl der Entscheidungsträger“ vor, der diese strafwürdig macht.[9]

V. Prozessrecht

1. Legalitätsprinzip und Ermittlungsmaßnahmen

Eine der wesentlichen Änderungen des Verbandsstrafgesetzbuches im Vergleich zum System des Ordnungswidrigkeitenrechts ist die Einführung des Legalitätsgrundsatzes zur Verfolgung von Verbandsstraftaten. Das vom Opportunitätsprinzip durchzogene Ordnungswidrigkeitenrecht ermöglicht einen flexiblen und prozessökonomischen Umgang mit in Unternehmen begangenen Verfehlungen. Nach Auffassung der Entwurfsverfasser ist dies allerdings gerade eines der wesentlichen Probleme des geltenden Rechts. Denn ohne Legalitätsprinzip werden naturgemäß mehr Opportunitätsentscheidungen getroffen.

Eine zweite wesentliche Änderung zur bisherigen Rechtslage besteht in der unmittelbaren Anwendung von strafprozessualen Maßnahmen gegenüber Unternehmen, die einer Verbandsstraftat verdächtig sind. Diese folgt aus der Bestimmung des § 13 Abs. 1 VerbStrG-E, wonach die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, namentlich der StPO und des GVG, über das Strafverfahren sinngemäß gelten, soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen angewendet werden können oder das VerbStrG-E etwas anderes bestimmt. Dies hätte etwa zur Folge, dass bei der Durchsuchung von Unternehmen in Zukunft regelmäßig nicht mehr § 103StPO, sondern § 102StPO einschlägig wäre. Die Verbandsstraftat wird durch das Gesetz nicht zu einer Katalogstraftat für bestimmte strafprozessuale Maßnahmen erhoben. Allerdings bestimmt § 13 Abs. 3 VerbStrG-E die Möglichkeit der Verwertung von im Rahmen von prozessualen Maßnahmen gegen natürliche Personen erlangten Beweismitteln, sofern der verbandsbezogenen Zuwiderhandlung die Katalogstraftat zugrunde liegt, wegen der die Maßnahme angeordnet wurde. Ausweislich der Gesetzesbegründung kommt auch die Anordnung von strafprozessualen Maßnahmen in Betracht, die nur bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung möglich sind. Entsprechend könnte in Zukunft etwa die Observation eines Verbandes angeordnet werden, vgl. § 163f StPO. § 15 VerbStrG-E ermöglicht es, das Verfahren gegen den Verband und die handelnden Personen gemeinsam zu führen oder die Verfahren zu trennen.

2. Prozessuale Rechte des Verbandes

Der Gesetzesentwurf versucht zudem, das seit längerem bestehende Problem um die Frage der Selbstbezichtigungsfreiheit des Verbandes bzw. der für ihn handelnden Personen zu lösen. Entsprechend bestimmt § 18 Abs. 1 VerbStrG-E, dass Personen, die einer verbandsbezogenen Zuwiderhandlung oder einer Aufsichtspflichtverletzung verdächtig sind, auch im Verfahren gegen den Verband als Beschuldigte zu vernehmen sind und hier die vollen Beschuldigtenrechte wahrnehmen dürfen. Gleichzeitig wird aus der Gesetzesbegründung deutlich, dass aufgrund der Verweisung des § 13 Abs. 1 VerbStrG-E auf die allgemeinen Bestimmungen auch alle gesetzlichen Vertreter des Unternehmens als Zeugen gegen den Verband ausscheiden und nach den Regeln über die Beschuldigtenvernehmung zu belehren und zu hören sind.[10] Anders als im österreichischen Recht – § 17 Abs. 1 VbVG-A war Vorbild für diese Vorschrift – werden nicht alle Entscheidungsträger in die Rechtsposition des Beschuldigten einbezogen. Dies begründen die Entwurfsverfasser damit, dass eine nur bereichsverantwortliche Person regelmäßig keinen arbeitsrechtlichen Maßnahmen oder Regressansprüchen wegen der Zuwiderhandlung ausgesetzt ist und aus diesem Grund als Zeuge herangezogen werden kann.[11] Unbeantwortet lässt der Gesetzesentwurf die Frage, wie im Falle von internen Untersuchungen vorgegangen werden soll. In der Praxis beißt sich die von der überwiegenden Meinung angenommene Auskunftspflicht von Mitarbeitern gegenüber dem Arbeitgeber[12] mit der Beschuldigtenstellung im Strafverfahren. Nun bestimmt der Gesetzesentwurf allerdings, dass im Falle von internen Untersuchungen in Unternehmen ein Absehen von Strafe in Betracht kommt.[13] Diesen Weg werden viele Unternehmen beschreiten, um einer Sanktion zu entgehen. Etwas anderes lässt sich regelmäßig nicht mit den Sorgfaltspflichten der Organe in Einklang bringen.[14] Der Gesetzgeber hätte dies zum Anlass nehmen können, auch für den Bereich der internen Ermittlungen angemessene Regelungen zum Ausgleich zwischen der arbeitsrechtlichen Mitwirkungspflicht von Mitarbeitern und den Beschuldigtenrechten im Ermittlungsverfahren zu schaffen.[15]

3. Vertretung des Verbandes im Strafverfahren

§ 17 Abs. 1 S. 2 VerbStrG-E bestimmt, dass Personen, die wegen einer verbandsbezogenen Zuwiderhandlung oder wegen einer Aufsichtspflichtverletzung beschuldigt sind oder gewesen sind, an der Vertretung des Verbandes im Strafverfahren gehindert sind. Dies bedeutet, dass regelmäßig ein Geschäftsführer oder ein Vorstand das Unternehmen nicht wird vertreten dürfen. Gerade im Falle von Aufsichtspflichtverletzungen wird oftmals die gesamte Geschäftsführung als Beschuldigte in das Strafverfahren miteinbezogen sein. Mehr noch: Die Regelung ermöglicht es den Ermittlungsbehörden, den Verband vertretungslos zu stellen und Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen, ohne dass ein Geschäftsführungsmitglied ihnen gegenüber vertretungsberechtigt wäre. Im Falle einer Durchsuchung bei einem Unternehmen dürfte keiner der beschuldigten Geschäftsführer für das Unternehmen handeln. Geschäftsführer, die sich im Ermittlungsverfahren nicht im Sinne der Ermittlungsbehörden verhalten, könnten „ausgeschaltet“ werden. Die Gesetzesbegründung rechtfertigt dieses Vorgehen mit einem möglichen Interessenkonflikt. Gleichzeitig verdeutlicht allerdings die Regelung des § 18 Abs. 2 VerbStrG-E, der eine Mehrfachvertretung von einer natürlichen Person und einem Unternehmen zulässt, dass dieser Konflikt – auch nach der Ansicht des Entwurfsverfassers – oftmals nicht vorliegen wird. Zur Begründung des Ausschlusses von der Vertretung im Strafverfahren wird ausgeführt, dass die Beschuldigten von der Durchführung einer Fehleranalyse und dem Ergreifen von Compliance-Maßnahmen psychologisch überfordert wären.[16] Diese Analyse mag im Einzelfall zutreffen, wenn die Vertretungsperson die Anknüpfungstat selbst begangen hat, ist aber regelmäßig fernliegend, wenn sie aufgrund einer Aufsichtspflichtverletzung Anknüpfungstäter einer Verbandsstraftat ist. Auch die Beratungspraxis zeigt, dass die Sensibilität und das Bedürfnis nach Compliance-Maßnahmen in Unternehmen steigen, nachdem es zu betriebsbezogenen Straftaten gekommen ist – unabhängig davon, ob auch die Organe selbst beschuldigt sind.

Die Regelung würde im Endeffekt dazu führen, dass ein Unternehmen im Strafverfahren oftmals einen neuen Geschäftsführer bzw. Vorstand für das Strafverfahren bestellen muss. § 19 Abs. 1 VerbStrG-E sieht vor, dass für den vertretungslosen Verband ein Pflichtverteidiger als besonderer Vertreter bestellt wird, bis der vertretungslose Zustand beendet ist. Da der Verband zu diesem Zeitpunkt strafrechtlich vertretungslos ist, stellt sich die Frage, ob auf die Person des Pflichtverteidigers Einfluss genommen werden kann. Der Gesetzesentwurf lässt dies unbeantwortet. Ein Antragsrecht in Bezug auf die Pflichtverteidigung wird der Staatsanwaltschaft und „jedem Mitglied des Verbandes“, vgl. § 19 Abs. 1 S. 1 VerbStrG, zugesprochen, nicht hingegen dem Unternehmen selbst.

Anders als die Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG soll die Verbandsstrafe bereits im Ermittlungsverfahren durch dinglichen Arrest gesichert werden können. Hierfür soll der dringende Verdacht, dass Entscheidungsträger das Vermögen des Verbandes beiseite schaffen oder die Auflösung des Verbandes in der Absicht betreiben, den Verband dem Strafverfahren zu entziehen, ausreichend sein, vgl. § 20 Abs. 1 VerbStrG-E.

VI. Sanktionen

Das geplante Verbandssanktionsrecht unterscheidet zwischen Verbandsstrafen und Verbandsmaßregeln, vgl. §§ 4 ff. VerbStrG-E. Als Verbandsstrafen sind die Geldstrafe, die Verbandsverwarnung mit Strafvorbehalt und die öffentliche Bekanntgabe der Verurteilung vorgesehen. Als Verbandsmaßregeln kommen der Ausschluss von Subventionen, der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und die Verbandsauflösung in Betracht.

1. Strafen und Strafzumessung

Die Verbandsgeldstrafe soll in Tagessätzen berechnet werden, vgl. § 6 VerbStrG-E. Der Strafrahmen liegt bei 5 bis 360 Tagessätzen. Der Tagessatz bestimmt sich nach der Ertragslage des Verbandes. Er ist mit einem Betrag festzusetzen, der dem 360. Teil des Jahresertrages entspricht, mindestens jedoch mit EUR 100,00. Die Verbandsgeldstrafe darf insgesamt 10 % des durchschnittlichen Gesamtumsatzes des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung nicht übersteigen. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll bei der Bemessung der Geldstrafe der Betrag zugrunde gelegt werden, der dem Verband nach notwendigen Finanzierungsaufwendungen sowie dem Abzug aller Steuern verfügbar ist.[17]

In § 6 Abs. 3 VerbStrG-E sind Strafzumessungskriterien normiert. Der Schwerpunkt der Strafzumessung soll ausweislich der Gesetzesbegründung auf „Art, Schwere und Dauer des Organisationsmangels, mithin auf die Umstände, die die Verantwortung des Verbandes für die Zuwiderhandlung prägen“ gelegt werden. Diese Umstände prägten das Handlungsunrecht des Verbandes. Das Erfolgsunrecht sei hingegen geprägt durch die Auswirkung der Zuwiderhandlung auf die einzelnen Rechtsgüter.[18] Vor diesem Hintergrund sei ein Schwerpunkt auf das Nachtatverhalten zu legen, wobei insbesondere das Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen und Vorkehrungen zur Vermeidung neuerlicher Zuwiderhandlungen eine Rolle spielen.

a) Konzerngesellschaften

Gemäß § 6 Abs. 5 VerbStrG-E können Ertragslage und Gesamtumsatz zur Bestimmung der Strafhöhe geschätzt werden. Bei ihrer Ermittlung ist der „weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen […], soweit diese als wirtschaftliche Einheit operieren“ zugrunde zu legen. Diese Zusammenrechnung der Umsätze von Konzernunternehmen, die als wirtschaftliche Einheit operieren, ist durchaus nicht unproblematisch. Dies vor allem, da die Entwurfsverfasser davon ausgehen, dass die Muttergesellschaft eine Strafbarkeit gemäß § 2 Abs. 2 VerbStrG-E wegen einer Aufsichtspflichtverletzung neben der Strafbarkeit des Tochterunternehmens wegen der Zuwiderhandlung treffen kann. Zudem kämen Strafbarkeiten wegen Beihilfe durch Unterlassen zur Verbandsstraftat in Betracht, wenn trotz einer etwa aus einem Beherrschungsvertrag folgenden Garantenstellung Straftaten in Tochterunternehmen bewusst nicht verhindert werden.[19] An dieser Stelle stellt sich die Frage, wie im Hinblick auf die Bestrafung von Unternehmen mit dem Doppelbestrafungsverbot umgegangen werden muss. Mit dieser Frage, die auch in Bezug auf die Ein-Mann-GmbH sowie die Bestrafung bei einer Identität zwischen Organ und Gesellschafter Bedeutung erlangt, hat sich der Entwurfsverfasser nicht auseinandergesetzt. Nach überwiegender Ansicht müssen Sanktionen bei einer weitgehenden oder völligen Identität zwischen Organ und Gesellschafter schon bei der heutigen ordnungswidrigkeitenrechtlichen Geldbuße aufeinander abgestimmt werden, da wirtschaftlich die gleiche Person betroffen ist.[20] Sofern Unternehmen als wirtschaftliche Einheit operieren und daher der Gesamtumsatz aller Unternehmen der Geldstrafe zugrunde gelegt wird, ist es kaum mit dem Doppelbestrafungsverbot vereinbar, gegen sie zwei Strafen zu verhängen.

b) Rechtsnachfolge

Gemäß § 2 Abs. 4 VerbStrG-E wird die Verbandsstrafe auch gegen den Rechtsnachfolger verhängt, „wenn diesem im Zeitpunkt des Rechtsübergangs die Zuwiderhandlung ganz oder zum Teil bekannt oder aus Leichtfertigkeit nicht bekannt war“. Als Rechtsnachfolger gelten gemäß § 1 Abs. 4 VerbStrG-E Gesamtrechtsnachfolger oder partielle Gesamtrechtsnachfolger nach Aufspaltung (§ 123 UmwG) sowie auch Einzelrechtsnachfolger, wenn der Erwerber alle wesentlichen Wirtschaftsgüter des Rechtsvorgängers übernimmt und diese in im Wesentlichen gleicher Weise einsetzt. Aus der Gesetzesbegründung wird schließlich deutlich, dass es für den Rechtsnachfolger „kein Entrinnen“ gibt: Der Entwurfsverfasser vertritt die Auffassung, dass die Haftung entweder an eine Kenntnis der Unternehmenstat auf Grund einer Due Diligence vor dem Unternehmenskauf anknüpft und der Rechtsnachfolger daher mit einer Verhängung der Verbandssanktion rechnen muss, was die Bestrafung des Rechtsnachfolgers rechtfertigt, oder dass der Rechtsnachfolger sich eben nicht hinreichend mit dem Vorgängerunternehmen auseinandergesetzt hat und daher leichtfertig in Unkenntnis über die Verbandstat war. Entsprechend orientiere sich die Regelung „am Unrechtstatbestand der Geldwäsche nach § 261 Abs. 5 StGB“.[21] An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, warum nicht eine Regelung entsprechend des § 30 Abs. 2a OWiG eingeführt werden soll. Auch hier wird eine Haftung des Rechtsnachfolgers festgeschrieben. Dem Rechtsnachfolger allerdings einen eigenen Unrechtstatbestand auf Grund einer unzureichenden Due Diligence-Prüfung vorzuwerfen, entspricht nicht den Strafzwecken der beiden Unternehmensstraftatbestände und dient auch nicht den anderen vom Entwurfsverfasser aufgestellten Gesetzeszwecken.

c) Absehen von Strafe

Der Gesetzesentwurf sieht auch Möglichkeiten vor, um die Verhängung einer Verbandssanktion durch in den Unternehmen zu treffende Maßnahmen zu verhindern. Gemäß § 5 Abs. 1 VerbStrG-E kann das Gericht von einer Verbandssanktion absehen, wenn der Verband ausreichende Compliance-Maßnahmen trifft, um vergleichbare Verbandsstraftaten in Zukunft zu vermeiden und ein bedeutender Schaden nicht entstanden ist oder dieser zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht ist. Die zweite Möglichkeit, ein Absehen von Strafe zu erreichen, ist gemäß § 5 Abs. 2 VerbStrG-E das freiwillige Offenbaren und die Zurverfügungstellung von Beweismitteln, die geeignet sind, die Tat nachzuweisen in Verbindung mit dem Nachweis geeigneter Compliance-Bemühungen für die Zukunft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein freiwilliges Offenbaren i.S.d. § 5 Abs. 2 VerbStrG-E gemäß § 5 Abs. 4 VerbStrG-E bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens möglich ist.

Den Compliance-Bemühungen kommt demnach eine große Bedeutung zu. In der Literatur wird bereits seit Längerem angeregt, eine Orientierungshilfe zum Aufbau und zur Bewertung von Compliance-Systemen zu schaffen.[22] Der Gesetzesentwurf hat sich mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt. Der Strafrichter wird ohne weitere Anleitung mangels praktischer Erfahrung im Bereich der Unternehmenscompliance zunächst Schwierigkeiten mit der Überprüfung von Compliance-Systemen haben. Richtlinien, an denen die Effektivität eines Compliance-Systems gemessen wird, existieren in Deutschland nicht. Auch der durch das Institut der Wirtschaftsprüfer veröffentlichte Prüfungsstandard 980 dient lediglich als Grundlage für die freiwillige Prüfung der Existenz der wesentlichen Elemente eines Compliance-Systems. Eine „Musterpräventionsorganisation“ erläutert er hingegen nicht.[23] Als Vorbilder für eine entsprechende Orientierungshilfe könnten z.B. die Federal Sentencing Guidelines for Organization (FSGO) des US-amerikanischen Rechts[24] oder die sog. adequate procedures des UK Bribery Acts[25] dienen.

d) Verwarnung mit Strafvorbehalt und öffentliche Bekanntmachung

Die Verwarnung mit Strafvorbehalt ist in § 7 VerbStrG-E geregelt. Als Auflagen und Weisungen kommt etwa die Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder die Vornahme von Compliance-Maßnahmen, die durch das Gericht und ggf. einen dort zu bestimmenden Sachverständigen kontrolliert werden können, in Betracht. Zu guter Letzt sieht der Verband als Strafe die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung vor. Diese Art der Verbandssanktion mag wohl im Hinblick auf die Auffassung des Entwurfsverfassers entstanden sein, dass „je öffentlicher, je tadelnder Rechtsfolgen gegen Verbände ausgestaltet sind, umso eher werden diese gehalten sein, sich normtreu zu verhalten, um schädliche Auswirkungen auf die Reputation zu vermeiden“.[26]

2. Verbandsmaßregeln

Als Verbandsmaßregeln sieht der Gesetzesentwurf den Ausschluss von Subventionen, den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und die Verbandsauflösung vor. Die Regelung zum Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge in § 10 VerbStrG-E ist deutlich restriktiver als einige der in den Ländern derzeit bestehenden Regelungen für Korruptionsregister. So ist die Verurteilung des Verbandes zu mehr als 180 Tagessätzen Voraussetzung für eine entsprechende Eintragung im Bundeszentralregister, während einige Bundesländer eine Eintragung in das Korruptionsregister bereits im Ermittlungsverfahren zulassen.[27] Aufgrund der Rechtsnatur der Eintragung als Maßregel steht sie zudem im Ermessen des Gerichts. Im Hinblick auf die bestehenden Korruptionsregister wird hingegen teilweise eine Eintragungspflicht angenommen.[28]

Ein Ausschluss von Subventionen gemäß § 11 Abs. 1 VerbStrG-E kommt nur unter ähnlich strengen Voraussetzungen in Betracht. Auch dieser Ausschluss ist in das Bundeszentralregister einzutragen. Die Ultima Ratio der Verbandsauflösung gemäß § 12 VerbStrG-E ist an derartig strenge Voraussetzungen geknüpft, dass sie wohl nur in Betracht kommt, wenn der Verband als Hülle zur Begehung von Straftaten benutzt wird.

3. Vermögensabschöpfung

Neben diesen Sanktionen soll gegen das Unternehmen auch eine Vermögensabschöpfung angeordnet werden können. Eine eigene Abschöpfungsfunktion soll der Unternehmensstrafe nicht zu kommen. Da § 3 Abs. 1 VerbStrG-E bestimmt, dass die Vorschriften des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches sinngemäß auf den Verband angewendet werden, soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar sind bzw. gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, würde in Zukunft gegen ein Unternehmen nicht mehr der Drittverfall gemäß § 73 Abs. 3 StGB, sondern der „Direktverfall“ gemäß § 73 Abs. 1 StGB verhängt werden.[29] Im Übrigen verhält sich der Gesetzesentwurf nicht zu einem Verhältnis zwischen Verbandsstrafe und Vermögensabschöpfung. Er stellt lediglich klar, dass das Bruttoprinzip beim Verfall zur Anwendung kommen soll und dass Verfall und Unternehmensstrafe im Urteil getrennt auszusprechen sind, da sie einer getrennten steuerlichen Behandlung unterliegen. Die Entwurfsverfasser haben die Gelegenheit nicht genutzt, den Streit zwischen den Senaten über die Anwendung des Bruttoprinzips[30] zu beenden und angemessene Regelungen zu schaffen, die in Zukunft unbillige Ergebnisse durch die Anordnung eines Bruttoverfalls mit Strafcharakter[31] neben einer Unternehmensstrafe verhindern. Stattdessen würde neben die bestehenden Maßnahmen gegenüber Unternehmen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht eine neue Unternehmensstrafe gesetzt. Eine Änderung an § 30 OWiG ist in dem Gesetzesentwurf nicht vorgesehen. Daher ist das Verhältnis zwischen der Unternehmensstrafe und der Unternehmensgeldbuße im Bereich von Straftaten fraglich. Viel spricht für einen Vorrang der Unternehmensstrafe, da diese dem Legalitätsprinzip unterliegt. Der Unternehmensgeldbuße bliebe nur noch ein Anwendungsbereich im Ordnungswidrigkeitenrecht.

VII. Fazit

Schon die grundsätzlichen Fragen, ob es neue Instrumentarien zur Eindämmung von aus Unternehmen heraus begangenen Straftaten überhaupt braucht und vor allem, ob der Gesetzesentwurf diesem Anliegen gerecht wird, können nach der Lektüre des Gesetzesentwurf nicht positiv beantwortet werden.

Der Gesetzesentwurf lässt viele Chancen ungenutzt. Um als Anreiz für die Effektivierung von Compliance-Maßnahmen zu dienen, wäre eine Orientierungshilfe für den Begriff der effektiven Compliance wünschenswert gewesen. Auch im Hinblick auf die vom Entwurfsverfasser geforderten internen Ermittlungen in Unternehmen wäre eine weitere Klärung von damit zusammenhängenden dringenden Rechtsfragen zur Vermeidung von weiteren praktischen Problemen notwendig. Nicht zuletzt hätten sich die Entwurfsverfasser damit auseinandersetzen sollen, wie in Zukunft besondere Härten aus dem Zusammentreffen der Bruttovermögensabschöpfung gemäß § 73 StGB und der Unternehmensgeldbuße verhindert werden können.

Neben dieser offen gebliebenen „Wunschliste“ hat der Entwurf allerdings auch handwerkliche Mängel. So ist es mit den besonderen Beschuldigtenrechten, die dem Verband zugebilligt werden sollen, eben gerade nicht vereinbar, ihn im Strafverfahren vertretungslos zu stellen und einer ungewollten Pflichtverteidigung unterzuordnen. Auch wurde eine Regelung zur Sanktionierung des Rechtsnachfolgers geschaffen, die diesem de facto kaum eine Möglichkeit lässt, einer strafrechtlichen Haftung zu entgehen – außer keinen Unternehmenskauf zu tätigen.

Ohnehin dürfte der Elan der Befürworter des Unternehmensstrafrechts durch die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD gebremst worden sein. Denn hierin wird vereinbart, dass lediglich ein „Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne“ geprüft werden soll. Im Übrigen ist nur vom Ausbau des Ordnungswidrigkeitenrechts die Rede. Der Entwurf des VerbStrG findet keine Erwähnung.[32]

 

I. Einleitung

Am 14. November 2013 hat die Justizministerkonferenz in Berlin beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden, welcher vom nordrhein-westfälischen Justizministerium erarbeitet wurde, in den Bundesrat einzubringen.

II. Intention der Entwurfsverfasser

Der Gesetzesentwurf macht es sich zum Ziel, einzelne Mitarbeiter von Unternehmen nicht länger als „Bauernopfer“ für ihr strafbares Verhalten zur Verantwortung zu ziehen, während in Unternehmen die Verantwortung durch „Mechanismen der Freizeichnung“ verschleiert würde. Mit dem bisherigen Ordnungswidrigkeitenrecht könne den Anforderungen an die Bekämpfung von aus Unternehmen heraus begangener Wirtschaftskriminalität nicht hinreichend Rechnung getragen werden. Insbesondere hätte die Möglichkeit, nach §§ 30, 130 OWiG gegen Unternehmen und Verantwortliche vorzugehen, „keine hinreichende Präventivwirkung“ und stelle ein kalkulierbares Risiko dar. Das Recht der Ordnungswidrigkeiten biete keine effektiven „Anreize zur Entwicklung und Pflege einer Kultur von Unternehmens-Compliance“. Darüber hinaus sei zu beachten, dass Deutschland im internationalen Raum eines der wenigen Länder sei, das keine entsprechenden Unternehmensstrafregelungen getroffen hätte.[1] Um diesen von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen identifizierten Problemen gerecht zu werden, hat sie den Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs (VerbStrG-E) nach dem Vorbild des österreichischen Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG-A) vorgelegt[2].

III. Vorbild: Das Österreichische Verbandsverantwortlichkeitsgesetz

Der Strafrechtsauschuss der Bundesrechtsanwaltskammer hat sich bereits im Mai 2013 mit grundsätzlichen rechtsstaatlichen Bedenken gegen die Einführung einer Unternehmensstrafe und der Möglichkeit der effizienteren Nutzung der bisherigen Instrumentarien im Ordnungswidrigkeitenrecht auseinandergesetzt. Auf die entsprechenden Ausführungen wird an dieser Stelle verwiesen.[3] In Bezug auf die mit dem Gesetzesentwurf verbundenen Hoffnungen des Entwurfsverfassers könnten die Erfahrungen mit dem österreichischem VbVG-A ernüchternd wirken. Eine Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien hat die Wirkungen und praktischen Erfahrungen mit dem VbVG-A nach seiner fünfjährigen Gültigkeit im Jahre 2011 evaluiert. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass gerade die erhoffte Anreizwirkung zur Vertiefung von Compliance-Maßnahmen teilweise ausbleibt. Zwar trieben Großunternehmen Compliance-Maßnahmen verstärkt voran, bei kleineren und mittleren Unternehmen lasse sich allerdings kaum eine Auswirkung feststellen.[4] Hinsichtlich der praktischen Anwendung des VbVG-A äußern sich vor allem die befragten Staatsanwaltschaften kritisch. Auf der einen Seite berichten Staatsanwälte von Verfahren, in denen Ermittlungen gegen natürliche Personen unterlassen werden, da ein Verfahren gegen ein Unternehmen oftmals geringere Nachweisprobleme mit sich bringt[5], auf der anderen Seite ist die Verurteilungsquote bei Verfahren gegen Unternehmen gering. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass der Staatsanwaltschaft – anders als es im deutschen Entwurf vorgesehen ist – ein Verfolgungsermessen zusteht, vgl. § 18 VbVG-A. Die Staatsanwaltschaften bemängeln jedoch in diesem Zusammenhang vor allem die fehlende Waffengleichheit zwischen den Ermittlungsbehörden und den personell und finanziell besser ausgestatteten Unternehmen.[6]

 

IV. Materielles Unternehmensstrafrecht

Der Entwurf des Verbandsstrafgesetzbuch sieht zwei materielle Unternehmensstraftatbestände, einen Rahmen für das Strafverfahren gegen Unternehmen sowie ein eigenes Sanktionsrecht vor.

Das materielle Unternehmensstrafrecht weist starke Parallelen zu den bereits bestehenden Regelung in § 30 OWiG (i.V.m. §§ 9, 130 OWiG) auf. § 2 VerbStrG-E sieht in Abs. 1 und Abs. 2 jeweils einen selbständigen Verbandsstraftatbestand vor. Gemäß Abs. 1 ist eine Verbandssanktion zu verhängen, wenn durch „einen Entscheidungsträger in Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Verbandes vorsätzlich oder fahrlässig eine verbandsbezogene Zuwiderhandlung begangen wurde“. Der Begriff des Entscheidungsträgers ist in § 1 Abs. 3 VerbStrG-E legal definiert. Er umfasst im Wesentlichen die auch bisher nach der Rechtsprechung im Katalog der Anknüpfungstäter des § 30 Abs. 1 OWiG enthaltenen vertretungsberechtigten Personen und Leitungspersonen.[7]

Verbandsbezogene Zuwiderhandlungen sind Verstöße gegen Strafgesetze, „wenn durch sie Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen oder wenn durch sie der Verband bereichert worden ist oder bereichert werden sollte“, vgl. § 1 Abs. 2 VerbStrG-E. Die Bezugstaten der Unternehmensstrafe sind demnach nicht nur in personeller, sondern auch in sachlicher Hinsicht an das bestehende Ordnungswidrigkeitenrecht angelehnt.

Dies setzt sich in § 2 Abs. 2 VerbStrG-E fort. Dieser zweite materielle Unternehmensstraftatbestand stellt ähnlich der Systematik der Trias der §§ 9, 30, 130 OWiG eine Aufsichtspflichtverletzung unter Strafe. Demnach ist eine Verbandssanktion zu verhängen, wenn „in Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Verbandes eine verbandsbezogene Zuwiderhandlung begangen worden ist“ und ein Entscheidungsträger vorsätzlich oder fahrlässig zumutbare Aufsichtsmaßnahmen unterlassen hat, durch die die Zuwiderhandlung verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre.

Strafgrund des Tatbestandes des § 2 Abs. 1 VerbStrG-E ist ausweislich der Gesetzesbegründung die mangelhafte Personalauswahl oder der unzureichende Aufgabenzuschnitt auf Leitungsebene des Verbandes.[8] Im Falle einer Aufsichtspflichtverletzung liegt demgegenüber „ein Organisationsmangel unterhalb der Auswahl der Entscheidungsträger“ vor, der diese strafwürdig macht.[9]

V. Prozessrecht

1. Legalitätsprinzip und Ermittlungsmaßnahmen

Eine der wesentlichen Änderungen des Verbandsstrafgesetzbuches im Vergleich zum System des Ordnungswidrigkeitenrechts ist die Einführung des Legalitätsgrundsatzes zur Verfolgung von Verbandsstraftaten. Das vom Opportunitätsprinzip durchzogene Ordnungswidrigkeitenrecht ermöglicht einen flexiblen und prozessökonomischen Umgang mit in Unternehmen begangenen Verfehlungen. Nach Auffassung der Entwurfsverfasser ist dies allerdings gerade eines der wesentlichen Probleme des geltenden Rechts. Denn ohne Legalitätsprinzip werden naturgemäß mehr Opportunitätsentscheidungen getroffen.

Eine zweite wesentliche Änderung zur bisherigen Rechtslage besteht in der unmittelbaren Anwendung von strafprozessualen Maßnahmen gegenüber Unternehmen, die einer Verbandsstraftat verdächtig sind. Diese folgt aus der Bestimmung des § 13 Abs. 1 VerbStrG-E, wonach die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, namentlich der StPO und des GVG, über das Strafverfahren sinngemäß gelten, soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen angewendet werden können oder das VerbStrG-E etwas anderes bestimmt. Dies hätte etwa zur Folge, dass bei der Durchsuchung von Unternehmen in Zukunft regelmäßig nicht mehr § 103StPO, sondern § 102StPO einschlägig wäre. Die Verbandsstraftat wird durch das Gesetz nicht zu einer Katalogstraftat für bestimmte strafprozessuale Maßnahmen erhoben. Allerdings bestimmt § 13 Abs. 3 VerbStrG-E die Möglichkeit der Verwertung von im Rahmen von prozessualen Maßnahmen gegen natürliche Personen erlangten Beweismitteln, sofern der verbandsbezogenen Zuwiderhandlung die Katalogstraftat zugrunde liegt, wegen der die Maßnahme angeordnet wurde. Ausweislich der Gesetzesbegründung kommt auch die Anordnung von strafprozessualen Maßnahmen in Betracht, die nur bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung möglich sind. Entsprechend könnte in Zukunft etwa die Observation eines Verbandes angeordnet werden, vgl. § 163f StPO. § 15 VerbStrG-E ermöglicht es, das Verfahren gegen den Verband und die handelnden Personen gemeinsam zu führen oder die Verfahren zu trennen.

2. Prozessuale Rechte des Verbandes

Der Gesetzesentwurf versucht zudem, das seit längerem bestehende Problem um die Frage der Selbstbezichtigungsfreiheit des Verbandes bzw. der für ihn handelnden Personen zu lösen. Entsprechend bestimmt § 18 Abs. 1 VerbStrG-E, dass Personen, die einer verbandsbezogenen Zuwiderhandlung oder einer Aufsichtspflichtverletzung verdächtig sind, auch im Verfahren gegen den Verband als Beschuldigte zu vernehmen sind und hier die vollen Beschuldigtenrechte wahrnehmen dürfen. Gleichzeitig wird aus der Gesetzesbegründung deutlich, dass aufgrund der Verweisung des § 13 Abs. 1 VerbStrG-E auf die allgemeinen Bestimmungen auch alle gesetzlichen Vertreter des Unternehmens als Zeugen gegen den Verband ausscheiden und nach den Regeln über die Beschuldigtenvernehmung zu belehren und zu hören sind.[10] Anders als im österreichischen Recht – § 17 Abs. 1 VbVG-A war Vorbild für diese Vorschrift – werden nicht alle Entscheidungsträger in die Rechtsposition des Beschuldigten einbezogen. Dies begründen die Entwurfsverfasser damit, dass eine nur bereichsverantwortliche Person regelmäßig keinen arbeitsrechtlichen Maßnahmen oder Regressansprüchen wegen der Zuwiderhandlung ausgesetzt ist und aus diesem Grund als Zeuge herangezogen werden kann.[11] Unbeantwortet lässt der Gesetzesentwurf die Frage, wie im Falle von internen Untersuchungen vorgegangen werden soll. In der Praxis beißt sich die von der überwiegenden Meinung angenommene Auskunftspflicht von Mitarbeitern gegenüber dem Arbeitgeber[12] mit der Beschuldigtenstellung im Strafverfahren. Nun bestimmt der Gesetzesentwurf allerdings, dass im Falle von internen Untersuchungen in Unternehmen ein Absehen von Strafe in Betracht kommt.[13] Diesen Weg werden viele Unternehmen beschreiten, um einer Sanktion zu entgehen. Etwas anderes lässt sich regelmäßig nicht mit den Sorgfaltspflichten der Organe in Einklang bringen.[14] Der Gesetzgeber hätte dies zum Anlass nehmen können, auch für den Bereich der internen Ermittlungen angemessene Regelungen zum Ausgleich zwischen der arbeitsrechtlichen Mitwirkungspflicht von Mitarbeitern und den Beschuldigtenrechten im Ermittlungsverfahren zu schaffen.[15]

3. Vertretung des Verbandes im Strafverfahren

§ 17 Abs. 1 S. 2 VerbStrG-E bestimmt, dass Personen, die wegen einer verbandsbezogenen Zuwiderhandlung oder wegen einer Aufsichtspflichtverletzung beschuldigt sind oder gewesen sind, an der Vertretung des Verbandes im Strafverfahren gehindert sind. Dies bedeutet, dass regelmäßig ein Geschäftsführer oder ein Vorstand das Unternehmen nicht wird vertreten dürfen. Gerade im Falle von Aufsichtspflichtverletzungen wird oftmals die gesamte Geschäftsführung als Beschuldigte in das Strafverfahren miteinbezogen sein. Mehr noch: Die Regelung ermöglicht es den Ermittlungsbehörden, den Verband vertretungslos zu stellen und Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen, ohne dass ein Geschäftsführungsmitglied ihnen gegenüber vertretungsberechtigt wäre. Im Falle einer Durchsuchung bei einem Unternehmen dürfte keiner der beschuldigten Geschäftsführer für das Unternehmen handeln. Geschäftsführer, die sich im Ermittlungsverfahren nicht im Sinne der Ermittlungsbehörden verhalten, könnten „ausgeschaltet“ werden. Die Gesetzesbegründung rechtfertigt dieses Vorgehen mit einem möglichen Interessenkonflikt. Gleichzeitig verdeutlicht allerdings die Regelung des § 18 Abs. 2 VerbStrG-E, der eine Mehrfachvertretung von einer natürlichen Person und einem Unternehmen zulässt, dass dieser Konflikt – auch nach der Ansicht des Entwurfsverfassers – oftmals nicht vorliegen wird. Zur Begründung des Ausschlusses von der Vertretung im Strafverfahren wird ausgeführt, dass die Beschuldigten von der Durchführung einer Fehleranalyse und dem Ergreifen von Compliance-Maßnahmen psychologisch überfordert wären.[16] Diese Analyse mag im Einzelfall zutreffen, wenn die Vertretungsperson die Anknüpfungstat selbst begangen hat, ist aber regelmäßig fernliegend, wenn sie aufgrund einer Aufsichtspflichtverletzung Anknüpfungstäter einer Verbandsstraftat ist. Auch die Beratungspraxis zeigt, dass die Sensibilität und das Bedürfnis nach Compliance-Maßnahmen in Unternehmen steigen, nachdem es zu betriebsbezogenen Straftaten gekommen ist – unabhängig davon, ob auch die Organe selbst beschuldigt sind.

Die Regelung würde im Endeffekt dazu führen, dass ein Unternehmen im Strafverfahren oftmals einen neuen Geschäftsführer bzw. Vorstand für das Strafverfahren bestellen muss. § 19 Abs. 1 VerbStrG-E sieht vor, dass für den vertretungslosen Verband ein Pflichtverteidiger als besonderer Vertreter bestellt wird, bis der vertretungslose Zustand beendet ist. Da der Verband zu diesem Zeitpunkt strafrechtlich vertretungslos ist, stellt sich die Frage, ob auf die Person des Pflichtverteidigers Einfluss genommen werden kann. Der Gesetzesentwurf lässt dies unbeantwortet. Ein Antragsrecht in Bezug auf die Pflichtverteidigung wird der Staatsanwaltschaft und „jedem Mitglied des Verbandes“, vgl. § 19 Abs. 1 S. 1 VerbStrG, zugesprochen, nicht hingegen dem Unternehmen selbst.

Anders als die Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG soll die Verbandsstrafe bereits im Ermittlungsverfahren durch dinglichen Arrest gesichert werden können. Hierfür soll der dringende Verdacht, dass Entscheidungsträger das Vermögen des Verbandes beiseite schaffen oder die Auflösung des Verbandes in der Absicht betreiben, den Verband dem Strafverfahren zu entziehen, ausreichend sein, vgl. § 20 Abs. 1 VerbStrG-E.

VI. Sanktionen

Das geplante Verbandssanktionsrecht unterscheidet zwischen Verbandsstrafen und Verbandsmaßregeln, vgl. §§ 4 ff. VerbStrG-E. Als Verbandsstrafen sind die Geldstrafe, die Verbandsverwarnung mit Strafvorbehalt und die öffentliche Bekanntgabe der Verurteilung vorgesehen. Als Verbandsmaßregeln kommen der Ausschluss von Subventionen, der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und die Verbandsauflösung in Betracht.

1. Strafen und Strafzumessung

Die Verbandsgeldstrafe soll in Tagessätzen berechnet werden, vgl. § 6 VerbStrG-E. Der Strafrahmen liegt bei 5 bis 360 Tagessätzen. Der Tagessatz bestimmt sich nach der Ertragslage des Verbandes. Er ist mit einem Betrag festzusetzen, der dem 360. Teil des Jahresertrages entspricht, mindestens jedoch mit EUR 100,00. Die Verbandsgeldstrafe darf insgesamt 10 % des durchschnittlichen Gesamtumsatzes des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung nicht übersteigen. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll bei der Bemessung der Geldstrafe der Betrag zugrunde gelegt werden, der dem Verband nach notwendigen Finanzierungsaufwendungen sowie dem Abzug aller Steuern verfügbar ist.[17]

In § 6 Abs. 3 VerbStrG-E sind Strafzumessungskriterien normiert. Der Schwerpunkt der Strafzumessung soll ausweislich der Gesetzesbegründung auf „Art, Schwere und Dauer des Organisationsmangels, mithin auf die Umstände, die die Verantwortung des Verbandes für die Zuwiderhandlung prägen“ gelegt werden. Diese Umstände prägten das Handlungsunrecht des Verbandes. Das Erfolgsunrecht sei hingegen geprägt durch die Auswirkung der Zuwiderhandlung auf die einzelnen Rechtsgüter.[18] Vor diesem Hintergrund sei ein Schwerpunkt auf das Nachtatverhalten zu legen, wobei insbesondere das Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen und Vorkehrungen zur Vermeidung neuerlicher Zuwiderhandlungen eine Rolle spielen.

a) Konzerngesellschaften

Gemäß § 6 Abs. 5 VerbStrG-E können Ertragslage und Gesamtumsatz zur Bestimmung der Strafhöhe geschätzt werden. Bei ihrer Ermittlung ist der „weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen […], soweit diese als wirtschaftliche Einheit operieren“ zugrunde zu legen. Diese Zusammenrechnung der Umsätze von Konzernunternehmen, die als wirtschaftliche Einheit operieren, ist durchaus nicht unproblematisch. Dies vor allem, da die Entwurfsverfasser davon ausgehen, dass die Muttergesellschaft eine Strafbarkeit gemäß § 2 Abs. 2 VerbStrG-E wegen einer Aufsichtspflichtverletzung neben der Strafbarkeit des Tochterunternehmens wegen der Zuwiderhandlung treffen kann. Zudem kämen Strafbarkeiten wegen Beihilfe durch Unterlassen zur Verbandsstraftat in Betracht, wenn trotz einer etwa aus einem Beherrschungsvertrag folgenden Garantenstellung Straftaten in Tochterunternehmen bewusst nicht verhindert werden.[19] An dieser Stelle stellt sich die Frage, wie im Hinblick auf die Bestrafung von Unternehmen mit dem Doppelbestrafungsverbot umgegangen werden muss. Mit dieser Frage, die auch in Bezug auf die Ein-Mann-GmbH sowie die Bestrafung bei einer Identität zwischen Organ und Gesellschafter Bedeutung erlangt, hat sich der Entwurfsverfasser nicht auseinandergesetzt. Nach überwiegender Ansicht müssen Sanktionen bei einer weitgehenden oder völligen Identität zwischen Organ und Gesellschafter schon bei der heutigen ordnungswidrigkeitenrechtlichen Geldbuße aufeinander abgestimmt werden, da wirtschaftlich die gleiche Person betroffen ist.[20] Sofern Unternehmen als wirtschaftliche Einheit operieren und daher der Gesamtumsatz aller Unternehmen der Geldstrafe zugrunde gelegt wird, ist es kaum mit dem Doppelbestrafungsverbot vereinbar, gegen sie zwei Strafen zu verhängen.

b) Rechtsnachfolge

Gemäß § 2 Abs. 4 VerbStrG-E wird die Verbandsstrafe auch gegen den Rechtsnachfolger verhängt, „wenn diesem im Zeitpunkt des Rechtsübergangs die Zuwiderhandlung ganz oder zum Teil bekannt oder aus Leichtfertigkeit nicht bekannt war“. Als Rechtsnachfolger gelten gemäß § 1 Abs. 4 VerbStrG-E Gesamtrechtsnachfolger oder partielle Gesamtrechtsnachfolger nach Aufspaltung (§ 123 UmwG) sowie auch Einzelrechtsnachfolger, wenn der Erwerber alle wesentlichen Wirtschaftsgüter des Rechtsvorgängers übernimmt und diese in im Wesentlichen gleicher Weise einsetzt. Aus der Gesetzesbegründung wird schließlich deutlich, dass es für den Rechtsnachfolger „kein Entrinnen“ gibt: Der Entwurfsverfasser vertritt die Auffassung, dass die Haftung entweder an eine Kenntnis der Unternehmenstat auf Grund einer Due Diligence vor dem Unternehmenskauf anknüpft und der Rechtsnachfolger daher mit einer Verhängung der Verbandssanktion rechnen muss, was die Bestrafung des Rechtsnachfolgers rechtfertigt, oder dass der Rechtsnachfolger sich eben nicht hinreichend mit dem Vorgängerunternehmen auseinandergesetzt hat und daher leichtfertig in Unkenntnis über die Verbandstat war. Entsprechend orientiere sich die Regelung „am Unrechtstatbestand der Geldwäsche nach § 261 Abs. 5 StGB“.[21] An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, warum nicht eine Regelung entsprechend des § 30 Abs. 2a OWiG eingeführt werden soll. Auch hier wird eine Haftung des Rechtsnachfolgers festgeschrieben. Dem Rechtsnachfolger allerdings einen eigenen Unrechtstatbestand auf Grund einer unzureichenden Due Diligence-Prüfung vorzuwerfen, entspricht nicht den Strafzwecken der beiden Unternehmensstraftatbestände und dient auch nicht den anderen vom Entwurfsverfasser aufgestellten Gesetzeszwecken.

c) Absehen von Strafe

Der Gesetzesentwurf sieht auch Möglichkeiten vor, um die Verhängung einer Verbandssanktion durch in den Unternehmen zu treffende Maßnahmen zu verhindern. Gemäß § 5 Abs. 1 VerbStrG-E kann das Gericht von einer Verbandssanktion absehen, wenn der Verband ausreichende Compliance-Maßnahmen trifft, um vergleichbare Verbandsstraftaten in Zukunft zu vermeiden und ein bedeutender Schaden nicht entstanden ist oder dieser zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht ist. Die zweite Möglichkeit, ein Absehen von Strafe zu erreichen, ist gemäß § 5 Abs. 2 VerbStrG-E das freiwillige Offenbaren und die Zurverfügungstellung von Beweismitteln, die geeignet sind, die Tat nachzuweisen in Verbindung mit dem Nachweis geeigneter Compliance-Bemühungen für die Zukunft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein freiwilliges Offenbaren i.S.d. § 5 Abs. 2 VerbStrG-E gemäß § 5 Abs. 4 VerbStrG-E bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens möglich ist.

Den Compliance-Bemühungen kommt demnach eine große Bedeutung zu. In der Literatur wird bereits seit Längerem angeregt, eine Orientierungshilfe zum Aufbau und zur Bewertung von Compliance-Systemen zu schaffen.[22] Der Gesetzesentwurf hat sich mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt. Der Strafrichter wird ohne weitere Anleitung mangels praktischer Erfahrung im Bereich der Unternehmenscompliance zunächst Schwierigkeiten mit der Überprüfung von Compliance-Systemen haben. Richtlinien, an denen die Effektivität eines Compliance-Systems gemessen wird, existieren in Deutschland nicht. Auch der durch das Institut der Wirtschaftsprüfer veröffentlichte Prüfungsstandard 980 dient lediglich als Grundlage für die freiwillige Prüfung der Existenz der wesentlichen Elemente eines Compliance-Systems. Eine „Musterpräventionsorganisation“ erläutert er hingegen nicht.[23] Als Vorbilder für eine entsprechende Orientierungshilfe könnten z.B. die Federal Sentencing Guidelines for Organization (FSGO) des US-amerikanischen Rechts[24] oder die sog. adequate procedures des UK Bribery Acts[25] dienen.

d) Verwarnung mit Strafvorbehalt und öffentliche Bekanntmachung

Die Verwarnung mit Strafvorbehalt ist in § 7 VerbStrG-E geregelt. Als Auflagen und Weisungen kommt etwa die Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder die Vornahme von Compliance-Maßnahmen, die durch das Gericht und ggf. einen dort zu bestimmenden Sachverständigen kontrolliert werden können, in Betracht. Zu guter Letzt sieht der Verband als Strafe die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung vor. Diese Art der Verbandssanktion mag wohl im Hinblick auf die Auffassung des Entwurfsverfassers entstanden sein, dass „je öffentlicher, je tadelnder Rechtsfolgen gegen Verbände ausgestaltet sind, umso eher werden diese gehalten sein, sich normtreu zu verhalten, um schädliche Auswirkungen auf die Reputation zu vermeiden“.[26]

2. Verbandsmaßregeln

Als Verbandsmaßregeln sieht der Gesetzesentwurf den Ausschluss von Subventionen, den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und die Verbandsauflösung vor. Die Regelung zum Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge in § 10 VerbStrG-E ist deutlich restriktiver als einige der in den Ländern derzeit bestehenden Regelungen für Korruptionsregister. So ist die Verurteilung des Verbandes zu mehr als 180 Tagessätzen Voraussetzung für eine entsprechende Eintragung im Bundeszentralregister, während einige Bundesländer eine Eintragung in das Korruptionsregister bereits im Ermittlungsverfahren zulassen.[27] Aufgrund der Rechtsnatur der Eintragung als Maßregel steht sie zudem im Ermessen des Gerichts. Im Hinblick auf die bestehenden Korruptionsregister wird hingegen teilweise eine Eintragungspflicht angenommen.[28]

Ein Ausschluss von Subventionen gemäß § 11 Abs. 1 VerbStrG-E kommt nur unter ähnlich strengen Voraussetzungen in Betracht. Auch dieser Ausschluss ist in das Bundeszentralregister einzutragen. Die Ultima Ratio der Verbandsauflösung gemäß § 12 VerbStrG-E ist an derartig strenge Voraussetzungen geknüpft, dass sie wohl nur in Betracht kommt, wenn der Verband als Hülle zur Begehung von Straftaten benutzt wird.

3. Vermögensabschöpfung

Neben diesen Sanktionen soll gegen das Unternehmen auch eine Vermögensabschöpfung angeordnet werden können. Eine eigene Abschöpfungsfunktion soll der Unternehmensstrafe nicht zu kommen. Da § 3 Abs. 1 VerbStrG-E bestimmt, dass die Vorschriften des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches sinngemäß auf den Verband angewendet werden, soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar sind bzw. gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, würde in Zukunft gegen ein Unternehmen nicht mehr der Drittverfall gemäß § 73 Abs. 3 StGB, sondern der „Direktverfall“ gemäß § 73 Abs. 1 StGB verhängt werden.[29] Im Übrigen verhält sich der Gesetzesentwurf nicht zu einem Verhältnis zwischen Verbandsstrafe und Vermögensabschöpfung. Er stellt lediglich klar, dass das Bruttoprinzip beim Verfall zur Anwendung kommen soll und dass Verfall und Unternehmensstrafe im Urteil getrennt auszusprechen sind, da sie einer getrennten steuerlichen Behandlung unterliegen. Die Entwurfsverfasser haben die Gelegenheit nicht genutzt, den Streit zwischen den Senaten über die Anwendung des Bruttoprinzips[30] zu beenden und angemessene Regelungen zu schaffen, die in Zukunft unbillige Ergebnisse durch die Anordnung eines Bruttoverfalls mit Strafcharakter[31] neben einer Unternehmensstrafe verhindern. Stattdessen würde neben die bestehenden Maßnahmen gegenüber Unternehmen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht eine neue Unternehmensstrafe gesetzt. Eine Änderung an § 30 OWiG ist in dem Gesetzesentwurf nicht vorgesehen. Daher ist das Verhältnis zwischen der Unternehmensstrafe und der Unternehmensgeldbuße im Bereich von Straftaten fraglich. Viel spricht für einen Vorrang der Unternehmensstrafe, da diese dem Legalitätsprinzip unterliegt. Der Unternehmensgeldbuße bliebe nur noch ein Anwendungsbereich im Ordnungswidrigkeitenrecht.

VII. Fazit

Schon die grundsätzlichen Fragen, ob es neue Instrumentarien zur Eindämmung von aus Unternehmen heraus begangenen Straftaten überhaupt braucht und vor allem, ob der Gesetzesentwurf diesem Anliegen gerecht wird, können nach der Lektüre des Gesetzesentwurf nicht positiv beantwortet werden.

Der Gesetzesentwurf lässt viele Chancen ungenutzt. Um als Anreiz für die Effektivierung von Compliance-Maßnahmen zu dienen, wäre eine Orientierungshilfe für den Begriff der effektiven Compliance wünschenswert gewesen. Auch im Hinblick auf die vom Entwurfsverfasser geforderten internen Ermittlungen in Unternehmen wäre eine weitere Klärung von damit zusammenhängenden dringenden Rechtsfragen zur Vermeidung von weiteren praktischen Problemen notwendig. Nicht zuletzt hätten sich die Entwurfsverfasser damit auseinandersetzen sollen, wie in Zukunft besondere Härten aus dem Zusammentreffen der Bruttovermögensabschöpfung gemäß § 73 StGB und der Unternehmensgeldbuße verhindert werden können.

Neben dieser offen gebliebenen „Wunschliste“ hat der Entwurf allerdings auch handwerkliche Mängel. So ist es mit den besonderen Beschuldigtenrechten, die dem Verband zugebilligt werden sollen, eben gerade nicht vereinbar, ihn im Strafverfahren vertretungslos zu stellen und einer ungewollten Pflichtverteidigung unterzuordnen. Auch wurde eine Regelung zur Sanktionierung des Rechtsnachfolgers geschaffen, die diesem de facto kaum eine Möglichkeit lässt, einer strafrechtlichen Haftung zu entgehen – außer keinen Unternehmenskauf zu tätigen.

Ohnehin dürfte der Elan der Befürworter des Unternehmensstrafrechts durch die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD gebremst worden sein. Denn hierin wird vereinbart, dass lediglich ein „Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne“ geprüft werden soll. Im Übrigen ist nur vom Ausbau des Ordnungswidrigkeitenrechts die Rede. Der Entwurf des VerbStrG findet keine Erwähnung.[32]

[1] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 1 ff.

[2] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 26.

[3] Bundesrechtsanwaltskammer Stellungnahme Nr. 9/2013 „Einführung einer Unternehmensstrafe“.

[4] Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie Wien, Generalpräventive Wirksamkeit, Praxis und Anwendungsprobleme des Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG), Wien 2011, S. 5.

[5] Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie Wien, Generalpräventive Wirksamkeit, Praxis und Anwendungsprobleme des Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG), Wien 2011, S. 111.

[6] Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie Wien, Generalpräventive Wirksamkeit, Praxis und Anwendungsprobleme des Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG), Wien 2011, S. 4.

[7] Vgl. Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 42.

[8] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 45.

[9] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 45.

[10] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 75.

[11] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 77.

[12] LG Hamburg NJW 2011, 942, 944; Diller DB 2004, 313, 314; Göpfert/Merten/Siegrist NJW 2008, 1703, 1705 f.; Vogt NJW 2009, 3755; a.A. Dann/Schmidt NJW 2009, 1851, 1853.

[13] Siehe dazu unten F.I.3.

[14] Potinecke/Block in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, 2. Kap. Rn. 26 in Bezug auf die AG.

[15] Vgl. zu dieser Problematik auch: Mengel in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, 13. Kap. Rn. 37.

[16] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 72.

[17] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 57.

[18] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 58.

[19] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 47 f.

[20] OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1SS63/11 = Beck-RS 2012, 10887 = WiJ 2013, 39 ff. mit Anm. Görtz; OLG Hamm NJW 1973, 1851, 1853 f.

[21] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 50.

[22] Moosmayer/Gropp-Stadler NZWiSt 2012, 241, 242; Wegner wistra 2000, 361, 368.

[23] Schemmel/Minkoff CCZ 2012, 49.

[24] So auch Wegner wistra 2000, 361, 368.

[25] Hierzu im Einzelnen: Deister/Geier CCZ 2011, 12, 16 f.; Hugger/Röhrich BB 2010, 2643, 2645 f.; Pörnbacher/Mark NZG 2010, 1372, 1375.

[26] Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 26.

[27] Etwa § 5 Abs. 2 KorruptionsbG NW.

[28] OVG Berlin, Beschluss vom 21. Oktober 2011, Az. OVG 1 S 159.11.

[29] Vgl. Gesetzesentwurf VerbStrG, Landtag Nordrhein-Westfalen, Information 16/127, S. 51.

[30] Vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 73 Rn. 8h; Schlösser NStZ 2011, 121, 131.

[31] Dannecker NStZ 2006, 283, 283; Eser in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, Vorb. Siebenter Teil des StGB, Rn. 19; Hofmann wistra 2008, 401, 406; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011§ 73 Rn. 4b; Saliger in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 2013, Vorb. §§ 73 ff. Rn. 5; Schlösser NStZ 2011, 121, 121; a. A. BGH NJW 2002, 2257, 2258 f.; Altenhain in: Matt/Renzikowski, Strafgesetzbuch, 2013, § 73 Rn. 1; Joecks in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2012; § 73 Rn. 14 ff.; Kracht wistra 2000, 326, 329 f.

[32] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur 18. Legislaturperiode, S. 145.

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