Dr. Sascha Straube, M.A.

Anja Schmidt: Strafe und Versöhnung

Eine moral- und rechtsphilosophische Analyse von Strafe und Täter-Opfer-Ausgleich als Formen unserer Praxis

Duncker & Humblot, Berlin 2012, 271 Seiten, 69,90 €

Die Arbeit wurde in 2011 von der Juristenfakultät der Universität Leipzig als Dissertation angenommen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Täter-Opfer-Ausgleich als Praxisform des Umgangs mit einer Straftat in einen rechtsphilosophischen Blick zu nehmen.

Damit leistet die Arbeit einen Beitrag zu dem hoch aktuellen Thema des Umgangs mit Opfern von Straftaten im Strafprozess und untersucht den Täter-Opfer-Ausgleich (nachfolgend TOA) rechtsphilosophisch, wobei auch eine fundierte philosophische Untersuchung des Verhältnisses von Strafe und TOA geleistet werden soll.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist dabei die Frage, wie sich Strafe und TOA als Formen der Bewältigung von Straftaten vernünftig verstehen lassen und wie sich beide zueinander verhalten.

Nach einer Einführung im I. Kapitel möchte Schmidt zunächst die Frage nach dem vernünftigen Sinn des Strafens und des TOA stellen. Um ihre Basis und ihren Blick zu definieren erläutert die Autorin, dass eine Frage nach dem Sinn nur eine philosophische sein kann. Sie zieht dabei aber nicht die gesamte Philosophie heran, sondern verortet ihren philosophischen Ausgangspunkt als direkt auf Thomas Rentsch aufbauend. Mit Rentsch bestimmt die Autorin die Situation des Menschen als interexistentiale Lebenswelt, in der sich Moralität konstituiert. Eine solche Verengung ist sicher zur Bewältigung des Themas hilfreich, geht allerdings an dieser Stelle etwas weit, da sich die Philosophie nicht auf die Perspektive von Rentsch herunterbrechen und die Sinnsuche nicht auf die Philosophie begrenzen lässt.

Auf der Grundlage von Rentsch findet Schmidt im II. Kapitel ihre Beurteilungsmöglichkeiten von Praxisformen. Nach einer Abgrenzung zum kategorischen Imperativ Kants kommt die Autorin zu einem menschlichen Selbstverständnis als praktisches Wesen. Praktisches Urteilen ist für Schmidt immer schon in einer praktisch erschlossenen Situation mit konkreten, faktisch und normativ geprägten, vernünftigen und unvernünftigen und inhaltlich bestimmten Praxisformen verankert. Ihr Fundament bestimmt sich insgesamt aus „Die Konstitution der Moralität“ (1990) von Rentsch, der in seiner Untersuchung eine philosophische Anthropologie entwirft und einer philosophischen Ethik die Beachtung ihrer anthropologischen Voraussetzungen verordnet.

Im III. Kapitel wendet sich Schmidt der Straftat als solcher zu, wobei sie klarstellt, dass sich ihre Analyse auf Straftaten beschränkt, die das Opfer unmittelbar und individuell treffen, wie zum Beispiel eine Körperverletzung, §§ 223 ff. StGB oder ein Diebstahl, §§ 242 ff. StGB. Die Straftat wird als Konflikt beschrieben, wobei festgehalten wird, dass die Tat nicht nur Täter und Opfer betrifft, sondern auch die Rechtsgemeinschaft insgesamt, da die Tat auch das Recht als Recht verletzt.

In der Betrachtung der Verletzung des Opfers und der Frage der Vorwerfbarkeit auf Seiten des Täters stützt sich die Autorin maßgeblich auf die Überlegungen Michael Köhlers. So lasse sich das Vorwerfbare als Handeln aufgrund einer Entscheidung gegen das Recht trotz genereller Einsicht in das Rechtmäßige beschreiben, für das der Mensch als Selbständiger verantwortlich ist. Köhler wird an dieser Stelle mit einem Rückgriff auf einen bösen Willen zitiert.

In diesem III. Kapitel arbeitet Schmidt heraus, dass das Opfer einer Straftat durch den Täter herabgewürdigt und ihm damit Achtung versagt wird. Im Rückgriff auf Köhler könne sogar davon gesprochen werden, dass der Andere überhaupt als gleichbedeutsame Existenz in Frage gestellt werde. Dabei unterscheidet Schmidt zwei Ebenen der Tat: die unmittelbar-persönliche Missachtung des Opfers und die Missachtung des Opfers als Rechtsperson und des Rechts als spezifischer Verletzung des Rechts.

So wird die Straftat zu einer unumkehrbaren Wirklichkeit, da die zum Ausdruck gekommene Missachtung des Anderen fortdauert. Und an dieser Stelle sieht die Autorin den Verweis auf die Bewältigung der Tat im Zusammenleben von Täter und Opfer als grundsätzlich Gleichgeordnete innerhalb der Rechtsgemeinschaft gesetzt. Es werde sich die Frage nach der Möglichkeit der Wiederherstellung der Verhältnisse wechselseitiger Achtung auf allen Ebenen der Tat, und zwar trotz und mit der Tat stellen.

Im IV. Kapitel, dem Hauptteil der Arbeit, werden Strafe und TOA als Formen der Bewältigung von Straftaten untersucht. Dabei verabschiedet sich Schmidt vom Begriff der „Wiedergutmachung“, da eine solche im Wortsinne angesichts der gerade aufgezeigten Unumkehrbarkeit der Tat nicht möglich erscheint.

Das IV. Kapitelenthält die drei zentralen Untersuchungen der Arbeit. Zunächst wird die Frage nach dem vernünftigen Sinn von Strafe gestellt, im Anschluss der vernünftige Sinn des TOA als Versöhnungsprozess analysiert, um im Fortgang Strafe und TOA in ein Verhältnis zu setzen.

So untersucht Schmidt zunächst die Strömungen in der wissenschaftlichen Diskussion um den Begriff der Strafe. Dabei werden verschiedene Theorien und Strafzwecke angesprochen, wobei die Autorin quasi zusammenführend auf die Konzepte von Köhler und Wolff aufsetzen wird. Zusammenfassend hält Schmidtfest, dass mit der Strafe eine Tat durch die Rechtsgemeinschaft bewältigt wird, indem der Täter dem Gewicht der Tat angemessen in seinem Rechtsstatus gemindert wird. Mit der Strafe gilt der Rechtsgemeinschaft die Tat als erledigt. Dabei straft der Staat im Rahmen seines Gewaltmonopols auch für das Opfer. Mit der Strafe werde so das Geflecht wechselseitiger Anerkennung in Bezug auf den Täter, das Opfer und die Rechtsgemeinschaft wiederhergestellt, soweit dies mit rechtlichen Mitteln möglich ist.

Im folgenden Unterkapitel wendet sich Schmidt dem TOA zu. Dabei stellt sie die Entwicklung und Praxis des TOA dar, um sodann den Begriff der Versöhnung näher zu beleuchten. Dabei kommt es der Autorin darauf an, die kommunikative Aufarbeitung der Tat im Rahmen des TOA in ihren Facetten aufzuschlüsseln. So stelle sich der unmittelbar-persönliche kommunikative Prozess des TOA als Verstehen der Tat, als Erfassen der Tat als gemeinsam erzählte Geschichte und als Möglichkeit zu Selbstbehauptung und Aufrichtigkeit dar.

Auch die Gelegenheit zu Reue und Entschuldigung im Rahmen des TOA wird näher untersucht. Die Versöhnung beschreibt Schmidt sodann als wechselseitigen kommunikativen Prozess. Ausgehend von der beschriebenen Wechselseitigkeit hält die Autorin eine rechtliche Pflicht zur Konfliktbeilegung für faktisch sinnlos, da ein fragiler Prozess wie der TOA von äußeren Zwängen möglichst freigehalten werden sollte. Der TOA setzt auf Seiten des Opfers wie auf Seiten des Täters ein authentisches und freiwilliges Verhalten voraus, ein Einlassen auf den TOA mit der Chance auf eine Versöhnung. Schmidt hatte schon zu Beginn der Arbeit darauf hingewiesen, dass es zu einem „Strafe muss sein“ keine korrespondierende Pflicht zu einem TOA geben kann. Eine rechtliche Absicherung der Bedingungen für einen erfolgreichen TOA hält Schmidtallerdings zu Recht für möglich.

Im nächsten Teil des IV. Kapitels macht sich Schmidt an die Bestimmung des Verhältnisses von Strafe und TOA auf Basis der bisher gewonnenen Erkenntnisse. Dabei stellt die Autorin zunächst einmal ein Nebeneinander von Strafe und TOA fest, um die Unterschiede anhand einer tabellarischen Gegenüberstellung aufzuzeigen. Den TOA begreift Schmidt nicht als rechtliche Sanktion, sondern als Institut, das von der Strafe strikt zu trennen ist.

Dabei schließe die Eigenständigkeit von Strafe und TOA aber Wechselwirkungen nicht aus. Schmidt untersucht diese im Fortgang anhand des § 46a Nr. 1 StGB. Dabei zeigt die Autorin auf, dass die gesetzgeberischen Motive der Einführung des § 46a Nr. 1 StGB einer stärkeren Berücksichtigung der Interessen der Opfer von Straftaten durch die Rechtsprechung letztlich ausgehebelt werden, da bereits ein ernsthaftes Bemühen des Täters um eine Wiedergutmachung als ausreichend angesehen wird. Die Autorin weist in Konsequenz ihrer bisherigen Untersuchungen darauf hin, dass schon die Verwendung des Begriffs der „Wiedergutmachung“ im Gesetzestext kritisch zu sehen ist.

Schmidtkritisiert § 46a Nr. 1 StGB wie auch seine Anwendung durch die Rechtsprechung grundlegend. So werde der TOA als unmittelbar-persönlicher authentischer Ausgleichsprozess zwischen Täter und Opfer mit dem Nachtatverhalten des Täters vermengt. § 46a Nr. 1 StGB werde weder als Strafmilderungsgrund konsequent umgesetzt noch sei er als gesetzliche Verankerung des TOA sinnvoll. Dabei stellt die Autorin fest, dass die täterbezogene Berücksichtigung des TOA als Nachtatverhalten in § 46 Abs. 2 6. Umstand StGB bereits ausreichend berücksichtigt sei, wobei der TOA als Indiz für Reue herangezogen werden könne. Die Strafmilderung des § 46a Nr. 1 StGB solle aber den Fällen gelungener unmittelbar-persönlicher Tatbewältigung vorbehalten bleiben, für die ein erfolgreicher TOA ein starkes Indiz sei, die aber auch in anderen Formen der Versöhnung ihren Niederschlag finden könne.

Das V. Kapitel präsentiert als abschließende Zusammenfassung der Arbeit die Thesen der gesamten bisherigen Untersuchung. Dabei wird noch einmal der große Einfluss von Rentsch deutlich, mit dem Schmidt die Grundzüge sämtlicher menschlicher Situationen beschreibt.

Die interessante und intensive Auseinandersetzung der Arbeit dringt moralphilosophisch und mit dem Blick einer anthropologischen Philosophie tief hinter das Phänomen des TOA. Im Abschluss der Untersuchung analysiert die Juristin Schmidt die gesetzlichen Regelungen und die aktuelle Rechtsprechung auf Grundlage ihrer rechtsphilosophischen Erkenntnisse und führt so sehr anschaulich Recht und Philosophie zusammen, indem sie einen konkreten Vorschlag für den Umgang mit dem TOA im Rahmen des Strafprozesses macht.

Alle nachfolgenden rechtsphilosophischen Untersuchungen zum TOA werden sich an der vorliegenden Arbeit messen lassen müssen, wobei „Strafe und Versöhnung“ auch als Anregung für alle (Rechts-)Philosophen verstanden werden sollte, den Blick anderer philosophischer Positionen auf das Phänomen TOA und die Beziehung zwischen Täter und Opfer zu richten.

 

Eine moral- und rechtsphilosophische Analyse von Strafe und Täter-Opfer-Ausgleich als Formen unserer Praxis

Duncker & Humblot, Berlin 2012, 271 Seiten, 69,90 €

Die Arbeit wurde in 2011 von der Juristenfakultät der Universität Leipzig als Dissertation angenommen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Täter-Opfer-Ausgleich als Praxisform des Umgangs mit einer Straftat in einen rechtsphilosophischen Blick zu nehmen.

Damit leistet die Arbeit einen Beitrag zu dem hoch aktuellen Thema des Umgangs mit Opfern von Straftaten im Strafprozess und untersucht den Täter-Opfer-Ausgleich (nachfolgend TOA) rechtsphilosophisch, wobei auch eine fundierte philosophische Untersuchung des Verhältnisses von Strafe und TOA geleistet werden soll.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist dabei die Frage, wie sich Strafe und TOA als Formen der Bewältigung von Straftaten vernünftig verstehen lassen und wie sich beide zueinander verhalten.

Nach einer Einführung im I. Kapitel möchte Schmidt zunächst die Frage nach dem vernünftigen Sinn des Strafens und des TOA stellen. Um ihre Basis und ihren Blick zu definieren erläutert die Autorin, dass eine Frage nach dem Sinn nur eine philosophische sein kann. Sie zieht dabei aber nicht die gesamte Philosophie heran, sondern verortet ihren philosophischen Ausgangspunkt als direkt auf Thomas Rentsch aufbauend. Mit Rentsch bestimmt die Autorin die Situation des Menschen als interexistentiale Lebenswelt, in der sich Moralität konstituiert. Eine solche Verengung ist sicher zur Bewältigung des Themas hilfreich, geht allerdings an dieser Stelle etwas weit, da sich die Philosophie nicht auf die Perspektive von Rentsch herunterbrechen und die Sinnsuche nicht auf die Philosophie begrenzen lässt.

Auf der Grundlage von Rentsch findet Schmidt im II. Kapitel ihre Beurteilungsmöglichkeiten von Praxisformen. Nach einer Abgrenzung zum kategorischen Imperativ Kants kommt die Autorin zu einem menschlichen Selbstverständnis als praktisches Wesen. Praktisches Urteilen ist für Schmidt immer schon in einer praktisch erschlossenen Situation mit konkreten, faktisch und normativ geprägten, vernünftigen und unvernünftigen und inhaltlich bestimmten Praxisformen verankert. Ihr Fundament bestimmt sich insgesamt aus „Die Konstitution der Moralität“ (1990) von Rentsch, der in seiner Untersuchung eine philosophische Anthropologie entwirft und einer philosophischen Ethik die Beachtung ihrer anthropologischen Voraussetzungen verordnet.

Im III. Kapitel wendet sich Schmidt der Straftat als solcher zu, wobei sie klarstellt, dass sich ihre Analyse auf Straftaten beschränkt, die das Opfer unmittelbar und individuell treffen, wie zum Beispiel eine Körperverletzung, §§ 223 ff. StGB oder ein Diebstahl, §§ 242 ff. StGB. Die Straftat wird als Konflikt beschrieben, wobei festgehalten wird, dass die Tat nicht nur Täter und Opfer betrifft, sondern auch die Rechtsgemeinschaft insgesamt, da die Tat auch das Recht als Recht verletzt.

In der Betrachtung der Verletzung des Opfers und der Frage der Vorwerfbarkeit auf Seiten des Täters stützt sich die Autorin maßgeblich auf die Überlegungen Michael Köhlers. So lasse sich das Vorwerfbare als Handeln aufgrund einer Entscheidung gegen das Recht trotz genereller Einsicht in das Rechtmäßige beschreiben, für das der Mensch als Selbständiger verantwortlich ist. Köhler wird an dieser Stelle mit einem Rückgriff auf einen bösen Willen zitiert.

In diesem III. Kapitel arbeitet Schmidt heraus, dass das Opfer einer Straftat durch den Täter herabgewürdigt und ihm damit Achtung versagt wird. Im Rückgriff auf Köhler könne sogar davon gesprochen werden, dass der Andere überhaupt als gleichbedeutsame Existenz in Frage gestellt werde. Dabei unterscheidet Schmidt zwei Ebenen der Tat: die unmittelbar-persönliche Missachtung des Opfers und die Missachtung des Opfers als Rechtsperson und des Rechts als spezifischer Verletzung des Rechts.

So wird die Straftat zu einer unumkehrbaren Wirklichkeit, da die zum Ausdruck gekommene Missachtung des Anderen fortdauert. Und an dieser Stelle sieht die Autorin den Verweis auf die Bewältigung der Tat im Zusammenleben von Täter und Opfer als grundsätzlich Gleichgeordnete innerhalb der Rechtsgemeinschaft gesetzt. Es werde sich die Frage nach der Möglichkeit der Wiederherstellung der Verhältnisse wechselseitiger Achtung auf allen Ebenen der Tat, und zwar trotz und mit der Tat stellen.

Im IV. Kapitel, dem Hauptteil der Arbeit, werden Strafe und TOA als Formen der Bewältigung von Straftaten untersucht. Dabei verabschiedet sich Schmidt vom Begriff der „Wiedergutmachung“, da eine solche im Wortsinne angesichts der gerade aufgezeigten Unumkehrbarkeit der Tat nicht möglich erscheint.

Das IV. Kapitelenthält die drei zentralen Untersuchungen der Arbeit. Zunächst wird die Frage nach dem vernünftigen Sinn von Strafe gestellt, im Anschluss der vernünftige Sinn des TOA als Versöhnungsprozess analysiert, um im Fortgang Strafe und TOA in ein Verhältnis zu setzen.

So untersucht Schmidt zunächst die Strömungen in der wissenschaftlichen Diskussion um den Begriff der Strafe. Dabei werden verschiedene Theorien und Strafzwecke angesprochen, wobei die Autorin quasi zusammenführend auf die Konzepte von Köhler und Wolff aufsetzen wird. Zusammenfassend hält Schmidtfest, dass mit der Strafe eine Tat durch die Rechtsgemeinschaft bewältigt wird, indem der Täter dem Gewicht der Tat angemessen in seinem Rechtsstatus gemindert wird. Mit der Strafe gilt der Rechtsgemeinschaft die Tat als erledigt. Dabei straft der Staat im Rahmen seines Gewaltmonopols auch für das Opfer. Mit der Strafe werde so das Geflecht wechselseitiger Anerkennung in Bezug auf den Täter, das Opfer und die Rechtsgemeinschaft wiederhergestellt, soweit dies mit rechtlichen Mitteln möglich ist.

Im folgenden Unterkapitel wendet sich Schmidt dem TOA zu. Dabei stellt sie die Entwicklung und Praxis des TOA dar, um sodann den Begriff der Versöhnung näher zu beleuchten. Dabei kommt es der Autorin darauf an, die kommunikative Aufarbeitung der Tat im Rahmen des TOA in ihren Facetten aufzuschlüsseln. So stelle sich der unmittelbar-persönliche kommunikative Prozess des TOA als Verstehen der Tat, als Erfassen der Tat als gemeinsam erzählte Geschichte und als Möglichkeit zu Selbstbehauptung und Aufrichtigkeit dar.

Auch die Gelegenheit zu Reue und Entschuldigung im Rahmen des TOA wird näher untersucht. Die Versöhnung beschreibt Schmidt sodann als wechselseitigen kommunikativen Prozess. Ausgehend von der beschriebenen Wechselseitigkeit hält die Autorin eine rechtliche Pflicht zur Konfliktbeilegung für faktisch sinnlos, da ein fragiler Prozess wie der TOA von äußeren Zwängen möglichst freigehalten werden sollte. Der TOA setzt auf Seiten des Opfers wie auf Seiten des Täters ein authentisches und freiwilliges Verhalten voraus, ein Einlassen auf den TOA mit der Chance auf eine Versöhnung. Schmidt hatte schon zu Beginn der Arbeit darauf hingewiesen, dass es zu einem „Strafe muss sein“ keine korrespondierende Pflicht zu einem TOA geben kann. Eine rechtliche Absicherung der Bedingungen für einen erfolgreichen TOA hält Schmidtallerdings zu Recht für möglich.

Im nächsten Teil des IV. Kapitels macht sich Schmidt an die Bestimmung des Verhältnisses von Strafe und TOA auf Basis der bisher gewonnenen Erkenntnisse. Dabei stellt die Autorin zunächst einmal ein Nebeneinander von Strafe und TOA fest, um die Unterschiede anhand einer tabellarischen Gegenüberstellung aufzuzeigen. Den TOA begreift Schmidt nicht als rechtliche Sanktion, sondern als Institut, das von der Strafe strikt zu trennen ist.

Dabei schließe die Eigenständigkeit von Strafe und TOA aber Wechselwirkungen nicht aus. Schmidt untersucht diese im Fortgang anhand des § 46a Nr. 1 StGB. Dabei zeigt die Autorin auf, dass die gesetzgeberischen Motive der Einführung des § 46a Nr. 1 StGB einer stärkeren Berücksichtigung der Interessen der Opfer von Straftaten durch die Rechtsprechung letztlich ausgehebelt werden, da bereits ein ernsthaftes Bemühen des Täters um eine Wiedergutmachung als ausreichend angesehen wird. Die Autorin weist in Konsequenz ihrer bisherigen Untersuchungen darauf hin, dass schon die Verwendung des Begriffs der „Wiedergutmachung“ im Gesetzestext kritisch zu sehen ist.

Schmidtkritisiert § 46a Nr. 1 StGB wie auch seine Anwendung durch die Rechtsprechung grundlegend. So werde der TOA als unmittelbar-persönlicher authentischer Ausgleichsprozess zwischen Täter und Opfer mit dem Nachtatverhalten des Täters vermengt. § 46a Nr. 1 StGB werde weder als Strafmilderungsgrund konsequent umgesetzt noch sei er als gesetzliche Verankerung des TOA sinnvoll. Dabei stellt die Autorin fest, dass die täterbezogene Berücksichtigung des TOA als Nachtatverhalten in § 46 Abs. 2 6. Umstand StGB bereits ausreichend berücksichtigt sei, wobei der TOA als Indiz für Reue herangezogen werden könne. Die Strafmilderung des § 46a Nr. 1 StGB solle aber den Fällen gelungener unmittelbar-persönlicher Tatbewältigung vorbehalten bleiben, für die ein erfolgreicher TOA ein starkes Indiz sei, die aber auch in anderen Formen der Versöhnung ihren Niederschlag finden könne.

Das V. Kapitel präsentiert als abschließende Zusammenfassung der Arbeit die Thesen der gesamten bisherigen Untersuchung. Dabei wird noch einmal der große Einfluss von Rentsch deutlich, mit dem Schmidt die Grundzüge sämtlicher menschlicher Situationen beschreibt.

Die interessante und intensive Auseinandersetzung der Arbeit dringt moralphilosophisch und mit dem Blick einer anthropologischen Philosophie tief hinter das Phänomen des TOA. Im Abschluss der Untersuchung analysiert die Juristin Schmidt die gesetzlichen Regelungen und die aktuelle Rechtsprechung auf Grundlage ihrer rechtsphilosophischen Erkenntnisse und führt so sehr anschaulich Recht und Philosophie zusammen, indem sie einen konkreten Vorschlag für den Umgang mit dem TOA im Rahmen des Strafprozesses macht.

Alle nachfolgenden rechtsphilosophischen Untersuchungen zum TOA werden sich an der vorliegenden Arbeit messen lassen müssen, wobei „Strafe und Versöhnung“ auch als Anregung für alle (Rechts-)Philosophen verstanden werden sollte, den Blick anderer philosophischer Positionen auf das Phänomen TOA und die Beziehung zwischen Täter und Opfer zu richten.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Sascha Straube, M.A.
    Dr. Sascha Straube ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in der Kanzlei WITTING CONTZEN & KOLLEGEN in München und ausschließlich auf dem Gebiet des Strafrechts und dort insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht tätig. Weitere Informationen finden Sie unter: www.leokanzlei.de

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung