Sascha Kuhn

Christian Schmollinger: Der Konzern in der Insolvenz

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht

Dunker & Humblot, Berlin 2013, 382 Seiten

I. Das Insolvenzstrafrecht stellt einen wichtigen Unterbereich des Wirtschaftsstrafrechts dar, welcher in hohem Maße von den zivilrechtlichen Wertungen des Insolvenzrechts abhängig ist. Bei Insolvenzen in einem Konzern bestehen rechtliche und tatsächliche Herausforderungen, die im insolvenzstrafrechtlichen Zusammenhang von Bedeutung sein können. Auch für den Insolvenzstrafrechtler lohnt daher der Blick auf die insolvenzrechtliche Diskussion zu diesem Thema. Diese wird derzeit geprägt durch den Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, der am 14. Februar 2014 in erster Lesung beraten worden ist. Die von Christian Schmollinger verfasste und von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg im Jahr 2012 als Dissertation angenommene Abhandlung „Der Konzern in der Insolvenz“ trifft vor diesem Hintergrund gleichsam den Nerv der Zeit. Sie beinhaltet eine Analyse der derzeitigen Rechtslage sowie einen Vorschlag für eine zukünftige Gesetzesformulierung.

II. Im (einer kurzen Einleitung folgenden) ersten inhaltlichen Teil befasst sich Schmollinger mit der derzeit bestehenden Rechtslage.

Hinsichtlich der Frage des Gerichtsstandes stellt er zunächst die unterschiedlichen Sichtweisen zur Maßgeblichkeit einzelner Kriterien für die Annahme eines – gegebenenfalls vom allgemeinen Gerichtsstand abweichenden – Mittelpunktes einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 2 InsO dar: Das Abstellen auf die Konzernmutter in Fällen, in denen diese Ausrichtung und Tätigkeit der Tochtergesellschaften umfassend steuert, auf den Ort, an dem die Geschäftsleitung wesentliche betriebliche Entscheidungen einschließlich der Entscheidung, einer Weisung der Muttergesellschaft Folge zu leisten, trifft, den Ort, an dem Entscheidungen der Gesellschaft manifestiert werden und ihren Niederschlag in nachvollziehbaren Geschäftsunterlagen finden, und den Ort, an dem Geschäfte nach außen erkennbar abgeschlossen werden. Diesen en détail voneinander abweichenden Sichtweisen des Schrifttums setzt Schmollinger die Rechtsprechung entgegen. Deren Entwicklung stellt er vor allem anhand der zwei prägenden Leitentscheidungen in diesem Zusammenhang – der PIN-Entscheidung des AG Köln und der Quelle-Entscheidung des AG Essen – dar. Hiernach muss das zuständige Insolvenzgericht für jede einzelne Gesellschaft gesondert festgestellt werden, wobei allerdings die genannten Kriterien kumulativ herangezogen werden. Teil dieser Prüfung durch die Rechtsprechung ist aber auch die Auseinandersetzung mit der Frage, ob im konkreten Fall die Zuständigkeit eines einzelnen Insolvenzgerichts positive Auswirkungen auf die effiziente Verfahrensabwicklung hat. Aus der Beachtung auch dieses Kriteriums sowie der Akzeptanz erst kurz vor Stellung des Eröffnungsantrags begründeter Umstände zieht Schmollinger den Schluss einer konzernfreundlichen Auslegung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO. Im Rahmen seiner eigenen Bewertung kennzeichnet Schmollinger Bestrebungen des Schrifttums, bei durch die Konzernmutter gesteuerten Gesellschaften auf den Sitz eben dieser Konzernmutter abzustellen, als „kaum überzeugend“. Er geht sogar noch einen Schritt weiter: Die Heranziehung der genannten Kriterien führe zu einem Spielraum, der zwar in Einzelfällen zu einer effizienteren Verfahrensabwicklung, aber eben auch zu einer Beeinträchtigung der Rechtssicherheit führe und gar die „missbräuchliche „Erschleichung“ eines bestimmten Insolvenzgerichtsstandes“ begünstige. Schmollinger führt hierzu aus, dass die Wahl eines vom eigentlichen Tätigkeitsmittelpunkt weiter entfernten Insolvenzgerichts die Aufarbeitung des Umfelds der Gesellschaft und auch die Aufdeckung von Vermögensverschiebungen und die Verfolgung von Insolvenzverschleppungstatbeständen erschwere. Bei konzernangehörigen Gesellschaften seien daher bei der Bestimmung des zuständigen Gerichtes keine anderen Kriterien als die auch bei einer vollständig unabhängigen Gesellschaft anzuwenden. Jegliche anderslautende Sicht des Schrifttums bzw. Gerichtspraxis unterlaufe insofern den eindeutigen Willen des Gesetzgebers.

Sehr viel wohlwollender fällt Schmollingers Urteil der Rechtsprechungspraxis zu Artikel 3 EuInsVO aus: Sowohl die Bestimmung der Zuständigkeit individuell für jede juristisch selbständige Einheit als auch die Interedil-Rechtsprechung des EuGH, nach welcher im Rahmen der Bestimmung des COMI, also des Centre of main interest, dem Ort der Hauptverwaltung der Gesellschaft als Zuständigkeitskriterium Vorzug zu geben sei, begrüßt Schmollinger – letztere insbesondere auch deshalb, weil sie ein hohes Maß an Rechtssicherheit gewährleiste. Wenn Schmollinger in der Folge ausführt, dass die zur Bestimmung des COMI angewandte Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung aller objektiven und für Dritte feststellbaren Elemente Zustimmung verdiene, stellt sich jedoch die Frage, ob die Rechtssicherheit, die für Schmollinger im Zusammenhang mit der Bestimmung des zuständigen Gerichtes eine herausragende Rolle spielt, an dieser Stelle tatsächlich höher ist als im Zusammenhang der Bestimmung des national zuständigen Gerichtes nach den PIN- und Quelle-Maßstäben.

Nach einer gut lesbaren Darstellung der Voraussetzungen und Auswirkungen eines Sekundärverfahrens zieht Schmollinger ein erstes Resümee: Ein einheitlicher Gerichtsstand mehrerer oder aller Konzerngesellschaften sei zumeist nicht begründbar. Die Möglichkeit der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens konterkariere zudem im Anwendungsbereich der EuInsVO die Vorteile einer einheitlichen internationalen Zuständigkeit.

In einem nächsten Schritt widmet sich Schmollinger der Frage der Bestellung nur eines Insolvenzverwalters für alle insolventen Gesellschaften. Nach einer kurzen Darstellung der praktischen Vorteile der Bestellung nur eines Insolvenzverwalters stellt Schmollinger zunächst fest, dass zur Frage der Bestellung des Insolvenzverwalters im Zusammenhang mit der Insolvenz mehrerer Konzerngesellschaften keine speziellen Regelungen bestehen. Abzustellen sei daher auf die allgemein geltenden Normen. Schmollinger geht in diesem Zusammenhang zunächst der Frage nach, ob das Erfordernis der Unabhängigkeit von Gläubigern und Schuldnern gem. § 56 Absatz 1 Satz 1 InsO Probleme bereiten könne. Schmollinger bejaht diese Frage mit der Begründung, der Konzerninsolvenzverwalter befinde sich in einem ständigen Interessenkonflikt, da er auf Grund häufig bestehender Cashpool-Systeme, konzerninterner Lieferungen von Waren und Erbringungen von Dienstleistungen etc. sowohl für die Masse, aus der die Forderungen zu begleichen sind, als auch für die Masse, zu der die jeweiligen Forderungen gehören, auftreten müsse. Hierin liege ein im Übrigen auch dem Rechtsgedanken der §§ 43a Abs. 4, 45 BRAO widersprechender Konflikt. Auch aus §§ 181, 450 Abs. 2 BGB ergäben sich für den Insolvenzverwalter rechtliche Schwierigkeiten. Schließlich, so Schmollinger, schließe auch das Gebot der höchstpersönlichen Amtsführung jedenfalls im Falle größerer Konzerne die Bestellung eines Konzerninsolvenzverwalters aus. Ob Schmollinger mit §§ 181, 450 Abs. 2 BGB nicht ein Problem aufgezeigt hat, welches recht einfach in den Griff zu bekommen sein sollte, soll an dieser Stelle dahingestellt bleiben (Schmollinger selbst geht hierauf im Folgenden noch ein) – seine Ausführungen zur notwendigen Unabhängigkeit im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO überzeugen nämlich bereits umfänglich. Die im Folgenden von Schmollinger dargestellte Möglichkeit eines Sonderinsolvenzverwalters, der für alle Rechtshandlungen der jeweiligen Gesellschaft gegenüber einer anderen konzernangehörigen Gesellschaft zuständig sein soll, ist eine theoretisch denkbare Alternative.

Auf die im Zusammenhang grenzüberschreitender Konzerninsolvenzen auf der Hand liegenden Schwierigkeiten der Bestellung nur eines Verwalters, der über die erforderlichen Sprach- und vor allem auch Rechtskenntnisse in den betroffenen Insolvenzrechtssystemen verfügt, stellt Schmollinger zu Recht ab. Er kommt daher zu dem Ergebnis, dass ein Konzerninsolvenzverwalter im grenzüberschreitenden Zusammenhang zumeist schon tatsächlich nicht in Betracht kommen wird.

Schließlich setzt sich Schmollinger mit der Frage der Abstimmung zwischen den an parallelen Verfahren beteiligten Insolvenzverwaltern verschiedener Konzerngesellschaften auseinander. Hierbei stellt er zunächst rechtsverbindliche Insolvenzverwaltungsverträge, wie sie das anglo-amerikanische Recht als sogenannte „protocols“ kennt und wie sie beispielsweise in der Insolvenz der Maxwell Communication Corporation-Gruppe sehr erfolgreich eingesetzt wurden, dar. Für Deutschland kommt Schmollinger allerdings zu dem Ergebnis, dass derartige rechtsverbindliche Verträge jedenfalls mit einer Bestätigung durch das Insolvenzgericht nicht möglich sind. Seine Begründung hierfür ist einleuchtend: Nach der Insolvenzordnung haben Insolvenzgerichte eine Überwachungsfunktion, können aber nicht durch Anordnungen o.ä. gestaltend auf das Verfahren einwirken. Auch die Möglichkeit eines persönlich bindenden Vertrages zwischen Insolvenzverwaltern ohne Beteiligung der Gerichte verneint Schmollinger unter Hinweis auf die unabdingbaren Prinzipien der Unabhängigkeit sowie der höchstpersönlichen Amtsführung des Insolvenzverwalters. Ein die Masse bindender Vertrag widerspräche nach Schmollinger dem Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung gemäß § 1 InsO sowie der Verwertungspflicht des Insolvenzverwalters gemäß § 159 InsO und ist daher nach Schmollinger ebenfalls nicht möglich. Mit dem Hinweis darauf, dass in Ermangelung einer Ermächtigungsgrundlage auch ein Vertrag zwischen verschiedenen Insolvenzgerichten nicht in Betracht komme, beendet Schmollinger sodann die Übersicht zum rein nationalen Recht. In europäischen Fallgestaltungen erachtet er entsprechende Verträge schon auf Grund der tatsächlichen Schwierigkeiten (fehlende Abschätzbarkeit der Risiken einer vertraglichen Bindung, hohe Transaktionskosten, lange Verhandlungsdauer) als nur schwer möglich.

Recht unverbindliche Insolvenzverwaltungsverträge erachtet Schmollinger als rechtlich möglich, tatsächlich aber zu konfliktanfällig und daher nicht hinreichend verlässlich.

In einem letzten großen Schritt untersucht Schmollinger weitere Koordinationsmöglichkeiten, welche sich vor allem aus einer Verfahrenskoordination aus Konzernleitungsmacht ergeben könnten. Im Ergebnis hält Schmollinger auch hier die bestehende Rechtslage für koordinierungsfeindlich: In Vertragskonzernen hindert seiner Ansicht nach § 103 InsO bzw. im Fall der Insolvenz des beherrschten Unternehmens die Suspendierung der Wirkung des Beherrschungsvertrags dessen Verlässlichkeit, da in faktischen Konzernen die Weisungsunabhängigkeit des Insolvenzverwalters der insolventen Untergesellschaft einer Koordination entgegensteht.

Auch ein einheitlicher oder abgestimmter Insolvenzplan ist nach Ansicht Schmollingers nicht möglich – ein solcher Plan sei unzulässig beziehungsweise faktisch kaum durchführbar.

III. Im folgenden Teil erarbeitet Schmollinger seinen Vorschlag für ein künftiges Konzerninsolvenzrecht.

Hierbei unterbreitet er vor allem drei interessante Vorschläge: Er fordert eine einheitliche gerichtliche Zuständigkeit für Fälle des Eigenantrags an ein Gericht, welches zumindest für eine der betroffenen Gesellschaften Zuständigkeit besitzt, die Einführung eines durch Sonderinsolvenzverwalter unterstützten Konzerninsolvenzverwalters und einen einheitlichen Konzerninsolvenzplan für alle insolventen Konzerngesellschaften.

IV. Die Forderungen Schmollingers sind konsequent. Die vorgeschlagenen Regelungen stellen Alternativen zu der aktuellen Rechtslage dar, die nach Ansicht Schmollingers für Konzerninsolvenzen derzeit keine hinreichend befriedigenden Lösungen ermöglicht.

Hinsichtlich der einheitlichen gerichtlichen Zuständigkeit setzt Schmollinger einen etwas anderen Akzent als der derzeitige Regierungsentwurf. Während letzterer beispielsweise für die Annahme eines Gruppengerichtsstandes voraussetzt, dass keine Zweifel an dem gemeinsamen Interesse der Gläubiger an einem solchen gemeinsamen Gerichtsstand bestehen, stellt Schmollinger etwas großzügiger nur darauf ab, ob eine Beeinträchtigung der berechtigten Interessen der jeweiligen Gläubiger zu besorgen ist. In diesem Fall sieht sein Entwurf keinen Gruppengerichtsstand vor.

Sowohl Schmollinger als auch der Regierungsentwurf sehen die Möglichkeit der Ernennung eines Konzerninsolvenzverwalters verbunden mit der gleichzeitigen Ernennung von Sonderinsolvenzverwaltern vor.

Da, wo die Unterschiede am greifbarsten sind, nämlich hinsichtlich der Einführung eines Konzerninsolvenzplanes, ist Schmollingers Vorschlag überzeugender als der bisherige Regierungsentwurf. Dies liegt aber letztlich daran, dass der Regierungsentwurf dieses Thema bislang eher im Rahmen eines neuartigen Koordinationsverfahrens verortet. Auf Grund der hieran laut gewordenen Kritik erscheint es aber nicht ausgeschlossen, dass der Entwurf diesbezüglich noch zeitnah geändert wird.

V. Zusammenfassend hinterlässt die Arbeit Schmollingers einen rundum überzeugenden Eindruck. Sowohl die Darstellung des bestehenden Rechtes als auch der Vorschlag einer gesetzlichen Regelung sind durchdacht und lassen wenige Fragen offen. Der Insolvenzstrafrechtler hätte sich an der einen oder anderen Stelle eine noch etwas vertieftere Darstellung der ihn besonders interessierenden Themen gewünscht. Wem gegenüber ist ein Konzerninsolvenzverwalter beispielsweise treupflichtig? Doch man würde Schmollinger Unrecht tun, ihm dies vorzuwerfen. Der Blickwinkel seiner Arbeit ist rein insolvenzrechtlich. Gleichwohl lohnt sich die Lektüre auch für den insolvenzstrafrechtlich interessierten Leser. Es ist davon auszugehen, dass wir in naher Zukunft gesetzliche Regeln zur Konzerninsolvenz haben werden. Bei der Beantwortung der sich in diesem Zusammenhang im Insolvenzstrafrecht nahezu zwangsläufig ergebenden Fragen wird ein Blick auf die Entstehung und rechtlichen Hintergründe dieser Regelungen erforderlich sein. Hierbei wird Schmollingers gelungene Dissertation zum Konzern in der Insolvenz eine wertvolle Hilfe sein.

 

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht

Dunker & Humblot, Berlin 2013, 382 Seiten

I. Das Insolvenzstrafrecht stellt einen wichtigen Unterbereich des Wirtschaftsstrafrechts dar, welcher in hohem Maße von den zivilrechtlichen Wertungen des Insolvenzrechts abhängig ist. Bei Insolvenzen in einem Konzern bestehen rechtliche und tatsächliche Herausforderungen, die im insolvenzstrafrechtlichen Zusammenhang von Bedeutung sein können. Auch für den Insolvenzstrafrechtler lohnt daher der Blick auf die insolvenzrechtliche Diskussion zu diesem Thema. Diese wird derzeit geprägt durch den Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, der am 14. Februar 2014 in erster Lesung beraten worden ist. Die von Christian Schmollinger verfasste und von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg im Jahr 2012 als Dissertation angenommene Abhandlung „Der Konzern in der Insolvenz“ trifft vor diesem Hintergrund gleichsam den Nerv der Zeit. Sie beinhaltet eine Analyse der derzeitigen Rechtslage sowie einen Vorschlag für eine zukünftige Gesetzesformulierung.

II. Im (einer kurzen Einleitung folgenden) ersten inhaltlichen Teil befasst sich Schmollinger mit der derzeit bestehenden Rechtslage.

Hinsichtlich der Frage des Gerichtsstandes stellt er zunächst die unterschiedlichen Sichtweisen zur Maßgeblichkeit einzelner Kriterien für die Annahme eines – gegebenenfalls vom allgemeinen Gerichtsstand abweichenden – Mittelpunktes einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 2 InsO dar: Das Abstellen auf die Konzernmutter in Fällen, in denen diese Ausrichtung und Tätigkeit der Tochtergesellschaften umfassend steuert, auf den Ort, an dem die Geschäftsleitung wesentliche betriebliche Entscheidungen einschließlich der Entscheidung, einer Weisung der Muttergesellschaft Folge zu leisten, trifft, den Ort, an dem Entscheidungen der Gesellschaft manifestiert werden und ihren Niederschlag in nachvollziehbaren Geschäftsunterlagen finden, und den Ort, an dem Geschäfte nach außen erkennbar abgeschlossen werden. Diesen en détail voneinander abweichenden Sichtweisen des Schrifttums setzt Schmollinger die Rechtsprechung entgegen. Deren Entwicklung stellt er vor allem anhand der zwei prägenden Leitentscheidungen in diesem Zusammenhang – der PIN-Entscheidung des AG Köln und der Quelle-Entscheidung des AG Essen – dar. Hiernach muss das zuständige Insolvenzgericht für jede einzelne Gesellschaft gesondert festgestellt werden, wobei allerdings die genannten Kriterien kumulativ herangezogen werden. Teil dieser Prüfung durch die Rechtsprechung ist aber auch die Auseinandersetzung mit der Frage, ob im konkreten Fall die Zuständigkeit eines einzelnen Insolvenzgerichts positive Auswirkungen auf die effiziente Verfahrensabwicklung hat. Aus der Beachtung auch dieses Kriteriums sowie der Akzeptanz erst kurz vor Stellung des Eröffnungsantrags begründeter Umstände zieht Schmollinger den Schluss einer konzernfreundlichen Auslegung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO. Im Rahmen seiner eigenen Bewertung kennzeichnet Schmollinger Bestrebungen des Schrifttums, bei durch die Konzernmutter gesteuerten Gesellschaften auf den Sitz eben dieser Konzernmutter abzustellen, als „kaum überzeugend“. Er geht sogar noch einen Schritt weiter: Die Heranziehung der genannten Kriterien führe zu einem Spielraum, der zwar in Einzelfällen zu einer effizienteren Verfahrensabwicklung, aber eben auch zu einer Beeinträchtigung der Rechtssicherheit führe und gar die „missbräuchliche „Erschleichung“ eines bestimmten Insolvenzgerichtsstandes“ begünstige. Schmollinger führt hierzu aus, dass die Wahl eines vom eigentlichen Tätigkeitsmittelpunkt weiter entfernten Insolvenzgerichts die Aufarbeitung des Umfelds der Gesellschaft und auch die Aufdeckung von Vermögensverschiebungen und die Verfolgung von Insolvenzverschleppungstatbeständen erschwere. Bei konzernangehörigen Gesellschaften seien daher bei der Bestimmung des zuständigen Gerichtes keine anderen Kriterien als die auch bei einer vollständig unabhängigen Gesellschaft anzuwenden. Jegliche anderslautende Sicht des Schrifttums bzw. Gerichtspraxis unterlaufe insofern den eindeutigen Willen des Gesetzgebers.

Sehr viel wohlwollender fällt Schmollingers Urteil der Rechtsprechungspraxis zu Artikel 3 EuInsVO aus: Sowohl die Bestimmung der Zuständigkeit individuell für jede juristisch selbständige Einheit als auch die Interedil-Rechtsprechung des EuGH, nach welcher im Rahmen der Bestimmung des COMI, also des Centre of main interest, dem Ort der Hauptverwaltung der Gesellschaft als Zuständigkeitskriterium Vorzug zu geben sei, begrüßt Schmollinger – letztere insbesondere auch deshalb, weil sie ein hohes Maß an Rechtssicherheit gewährleiste. Wenn Schmollinger in der Folge ausführt, dass die zur Bestimmung des COMI angewandte Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung aller objektiven und für Dritte feststellbaren Elemente Zustimmung verdiene, stellt sich jedoch die Frage, ob die Rechtssicherheit, die für Schmollinger im Zusammenhang mit der Bestimmung des zuständigen Gerichtes eine herausragende Rolle spielt, an dieser Stelle tatsächlich höher ist als im Zusammenhang der Bestimmung des national zuständigen Gerichtes nach den PIN- und Quelle-Maßstäben.

Nach einer gut lesbaren Darstellung der Voraussetzungen und Auswirkungen eines Sekundärverfahrens zieht Schmollinger ein erstes Resümee: Ein einheitlicher Gerichtsstand mehrerer oder aller Konzerngesellschaften sei zumeist nicht begründbar. Die Möglichkeit der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens konterkariere zudem im Anwendungsbereich der EuInsVO die Vorteile einer einheitlichen internationalen Zuständigkeit.

In einem nächsten Schritt widmet sich Schmollinger der Frage der Bestellung nur eines Insolvenzverwalters für alle insolventen Gesellschaften. Nach einer kurzen Darstellung der praktischen Vorteile der Bestellung nur eines Insolvenzverwalters stellt Schmollinger zunächst fest, dass zur Frage der Bestellung des Insolvenzverwalters im Zusammenhang mit der Insolvenz mehrerer Konzerngesellschaften keine speziellen Regelungen bestehen. Abzustellen sei daher auf die allgemein geltenden Normen. Schmollinger geht in diesem Zusammenhang zunächst der Frage nach, ob das Erfordernis der Unabhängigkeit von Gläubigern und Schuldnern gem. § 56 Absatz 1 Satz 1 InsO Probleme bereiten könne. Schmollinger bejaht diese Frage mit der Begründung, der Konzerninsolvenzverwalter befinde sich in einem ständigen Interessenkonflikt, da er auf Grund häufig bestehender Cashpool-Systeme, konzerninterner Lieferungen von Waren und Erbringungen von Dienstleistungen etc. sowohl für die Masse, aus der die Forderungen zu begleichen sind, als auch für die Masse, zu der die jeweiligen Forderungen gehören, auftreten müsse. Hierin liege ein im Übrigen auch dem Rechtsgedanken der §§ 43a Abs. 4, 45 BRAO widersprechender Konflikt. Auch aus §§ 181, 450 Abs. 2 BGB ergäben sich für den Insolvenzverwalter rechtliche Schwierigkeiten. Schließlich, so Schmollinger, schließe auch das Gebot der höchstpersönlichen Amtsführung jedenfalls im Falle größerer Konzerne die Bestellung eines Konzerninsolvenzverwalters aus. Ob Schmollinger mit §§ 181, 450 Abs. 2 BGB nicht ein Problem aufgezeigt hat, welches recht einfach in den Griff zu bekommen sein sollte, soll an dieser Stelle dahingestellt bleiben (Schmollinger selbst geht hierauf im Folgenden noch ein) – seine Ausführungen zur notwendigen Unabhängigkeit im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO überzeugen nämlich bereits umfänglich. Die im Folgenden von Schmollinger dargestellte Möglichkeit eines Sonderinsolvenzverwalters, der für alle Rechtshandlungen der jeweiligen Gesellschaft gegenüber einer anderen konzernangehörigen Gesellschaft zuständig sein soll, ist eine theoretisch denkbare Alternative.

Auf die im Zusammenhang grenzüberschreitender Konzerninsolvenzen auf der Hand liegenden Schwierigkeiten der Bestellung nur eines Verwalters, der über die erforderlichen Sprach- und vor allem auch Rechtskenntnisse in den betroffenen Insolvenzrechtssystemen verfügt, stellt Schmollinger zu Recht ab. Er kommt daher zu dem Ergebnis, dass ein Konzerninsolvenzverwalter im grenzüberschreitenden Zusammenhang zumeist schon tatsächlich nicht in Betracht kommen wird.

Schließlich setzt sich Schmollinger mit der Frage der Abstimmung zwischen den an parallelen Verfahren beteiligten Insolvenzverwaltern verschiedener Konzerngesellschaften auseinander. Hierbei stellt er zunächst rechtsverbindliche Insolvenzverwaltungsverträge, wie sie das anglo-amerikanische Recht als sogenannte „protocols“ kennt und wie sie beispielsweise in der Insolvenz der Maxwell Communication Corporation-Gruppe sehr erfolgreich eingesetzt wurden, dar. Für Deutschland kommt Schmollinger allerdings zu dem Ergebnis, dass derartige rechtsverbindliche Verträge jedenfalls mit einer Bestätigung durch das Insolvenzgericht nicht möglich sind. Seine Begründung hierfür ist einleuchtend: Nach der Insolvenzordnung haben Insolvenzgerichte eine Überwachungsfunktion, können aber nicht durch Anordnungen o.ä. gestaltend auf das Verfahren einwirken. Auch die Möglichkeit eines persönlich bindenden Vertrages zwischen Insolvenzverwaltern ohne Beteiligung der Gerichte verneint Schmollinger unter Hinweis auf die unabdingbaren Prinzipien der Unabhängigkeit sowie der höchstpersönlichen Amtsführung des Insolvenzverwalters. Ein die Masse bindender Vertrag widerspräche nach Schmollinger dem Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung gemäß § 1 InsO sowie der Verwertungspflicht des Insolvenzverwalters gemäß § 159 InsO und ist daher nach Schmollinger ebenfalls nicht möglich. Mit dem Hinweis darauf, dass in Ermangelung einer Ermächtigungsgrundlage auch ein Vertrag zwischen verschiedenen Insolvenzgerichten nicht in Betracht komme, beendet Schmollinger sodann die Übersicht zum rein nationalen Recht. In europäischen Fallgestaltungen erachtet er entsprechende Verträge schon auf Grund der tatsächlichen Schwierigkeiten (fehlende Abschätzbarkeit der Risiken einer vertraglichen Bindung, hohe Transaktionskosten, lange Verhandlungsdauer) als nur schwer möglich.

Recht unverbindliche Insolvenzverwaltungsverträge erachtet Schmollinger als rechtlich möglich, tatsächlich aber zu konfliktanfällig und daher nicht hinreichend verlässlich.

In einem letzten großen Schritt untersucht Schmollinger weitere Koordinationsmöglichkeiten, welche sich vor allem aus einer Verfahrenskoordination aus Konzernleitungsmacht ergeben könnten. Im Ergebnis hält Schmollinger auch hier die bestehende Rechtslage für koordinierungsfeindlich: In Vertragskonzernen hindert seiner Ansicht nach § 103 InsO bzw. im Fall der Insolvenz des beherrschten Unternehmens die Suspendierung der Wirkung des Beherrschungsvertrags dessen Verlässlichkeit, da in faktischen Konzernen die Weisungsunabhängigkeit des Insolvenzverwalters der insolventen Untergesellschaft einer Koordination entgegensteht.

Auch ein einheitlicher oder abgestimmter Insolvenzplan ist nach Ansicht Schmollingers nicht möglich – ein solcher Plan sei unzulässig beziehungsweise faktisch kaum durchführbar.

III. Im folgenden Teil erarbeitet Schmollinger seinen Vorschlag für ein künftiges Konzerninsolvenzrecht.

Hierbei unterbreitet er vor allem drei interessante Vorschläge: Er fordert eine einheitliche gerichtliche Zuständigkeit für Fälle des Eigenantrags an ein Gericht, welches zumindest für eine der betroffenen Gesellschaften Zuständigkeit besitzt, die Einführung eines durch Sonderinsolvenzverwalter unterstützten Konzerninsolvenzverwalters und einen einheitlichen Konzerninsolvenzplan für alle insolventen Konzerngesellschaften.

IV. Die Forderungen Schmollingers sind konsequent. Die vorgeschlagenen Regelungen stellen Alternativen zu der aktuellen Rechtslage dar, die nach Ansicht Schmollingers für Konzerninsolvenzen derzeit keine hinreichend befriedigenden Lösungen ermöglicht.

Hinsichtlich der einheitlichen gerichtlichen Zuständigkeit setzt Schmollinger einen etwas anderen Akzent als der derzeitige Regierungsentwurf. Während letzterer beispielsweise für die Annahme eines Gruppengerichtsstandes voraussetzt, dass keine Zweifel an dem gemeinsamen Interesse der Gläubiger an einem solchen gemeinsamen Gerichtsstand bestehen, stellt Schmollinger etwas großzügiger nur darauf ab, ob eine Beeinträchtigung der berechtigten Interessen der jeweiligen Gläubiger zu besorgen ist. In diesem Fall sieht sein Entwurf keinen Gruppengerichtsstand vor.

Sowohl Schmollinger als auch der Regierungsentwurf sehen die Möglichkeit der Ernennung eines Konzerninsolvenzverwalters verbunden mit der gleichzeitigen Ernennung von Sonderinsolvenzverwaltern vor.

Da, wo die Unterschiede am greifbarsten sind, nämlich hinsichtlich der Einführung eines Konzerninsolvenzplanes, ist Schmollingers Vorschlag überzeugender als der bisherige Regierungsentwurf. Dies liegt aber letztlich daran, dass der Regierungsentwurf dieses Thema bislang eher im Rahmen eines neuartigen Koordinationsverfahrens verortet. Auf Grund der hieran laut gewordenen Kritik erscheint es aber nicht ausgeschlossen, dass der Entwurf diesbezüglich noch zeitnah geändert wird.

V. Zusammenfassend hinterlässt die Arbeit Schmollingers einen rundum überzeugenden Eindruck. Sowohl die Darstellung des bestehenden Rechtes als auch der Vorschlag einer gesetzlichen Regelung sind durchdacht und lassen wenige Fragen offen. Der Insolvenzstrafrechtler hätte sich an der einen oder anderen Stelle eine noch etwas vertieftere Darstellung der ihn besonders interessierenden Themen gewünscht. Wem gegenüber ist ein Konzerninsolvenzverwalter beispielsweise treupflichtig? Doch man würde Schmollinger Unrecht tun, ihm dies vorzuwerfen. Der Blickwinkel seiner Arbeit ist rein insolvenzrechtlich. Gleichwohl lohnt sich die Lektüre auch für den insolvenzstrafrechtlich interessierten Leser. Es ist davon auszugehen, dass wir in naher Zukunft gesetzliche Regeln zur Konzerninsolvenz haben werden. Bei der Beantwortung der sich in diesem Zusammenhang im Insolvenzstrafrecht nahezu zwangsläufig ergebenden Fragen wird ein Blick auf die Entstehung und rechtlichen Hintergründe dieser Regelungen erforderlich sein. Hierbei wird Schmollingers gelungene Dissertation zum Konzern in der Insolvenz eine wertvolle Hilfe sein.

Autorinnen und Autoren

  • Sascha Kuhn
    Sascha Kuhn ist Partner im Düsseldorfer Büro der internationalen Kanzlei Simmons & Simmons LLP. Er berät und vertritt Unternehmen in allen Fragen der Compliance (insbesondere des Straf- und Datenschutzrechts) und leitet interne Untersuchungen.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung