Dominik Wedel, Alexander Witfeld

Protokoll zum 123. Bochumer Steuerseminar für Praktiker und Doktoranden vom 12.12.2013

Podiumsdiskussion in Kooperation mit der „Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. (WisteV)

„Praktische Erfahrungen mit der Neuregelung der Selbstanzeige in§§ 371, 398a AO: Reformbedarf?“

Impulsreferate/Podiumsdiskutanten:

Klaus Herrmann (RD, OFD Koblenz)

Dr. Markus Adick (Rechtsanwalt, Kanzlei Thomas Deckers Wehnert Elsner)

Podiumsdiskutanten:

Prof. Dr. Roman Seer (zugleich Moderation) (Direktor des Instituts für Steuerrecht und Steuervollzug, Lehrstuhl für Steuerrecht, Ruhr-Universität Bochum)

Dr. Volker Weinreich (Rechtsanwalt, Kanzlei Aulinger)

I. Einleitung

Nach einer Begrüßung und Vorstellung der Referenten und Podiumsdiskutanten erläutert Prof. Dr. Seer die Hintergründe für das heutige Thema. Erstmalig vor zwei Jahren hat das Kompetenzzentrum Steuerrecht der Ruhr-Universität Bochum (www.kompetenzzentrum-steuerrecht.de) in Kooperation mit der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. (www.wistev.de) ein Seminar zum Thema „Neuregelung der strafbefreienden Selbstanzeige (§§ 371, 378, 398a AO)“[1] ausgerichtet. Im Rahmen des heutigen Seminars sollen die Erfahrungen mit ebendiesen Regelungen kritisch gewürdigt werden.

Auch Dr. Szesny begrüßt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Namen der WisteV. Er freut sich ebenfalls über die Neuauflage des Gemeinschaftsseminars und sieht neuen Erkenntnissen für die Praxis gespannt entgegen.

II. Impulsreferat: Herrmann

Herr Herrmann eröffnet das Impulsreferat mit der Fragestellung: Die Neuregelung der Selbstanzeige – Gut gemeint, aber schlecht geworden? In diesem Zusammenhang weist Herr Herrmann ausdrücklich darauf hin, dass die folgenden von ihm aufgestellten Thesen ausschließlich seine Privatmeinung wiedergeben und nicht als Stellungnahme seiner Behörde oder seines Dienstherrn zu verstehen sind. Dies gelte auch für die anschließende Podiumsdiskussion.

Auf die zuvor von ihm aufgeworfene Frage bezugnehmend konstatiert Herr Herrmann, dass der Gesetzgeber vor allem die Umsatzsteuer wohl nicht im Blick gehabt habe. Insbesondere dieses Problemfeld wolle er im Folgenden näher beleuchten.

Anknüpfend an diese Einleitung stellt Herr Herrmann die alte und neue Rechtslage gegenüber und macht auf die besondere Bedeutung des Vollständigkeitsgebots sowie der Ausschließungsschwelle von mehr als 50.000 € aufmerksam. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der aktuelle Rechtszustand als eine Kombination von alten und neuen Regelungselementen mangels inhaltlicher Abstimmung zu unerwünschten Effekten führe. Dies manifestiere sich vor allem in den Selbstveranlagungssteuern.

Um dies zu veranschaulichen stellt Herr Herrmann einige Beispielsfälle vor, die sich inhaltlich mit der Thematik Umsatzsteuer und Selbstanzeige befassen.

Beispiel 1 – Verspätete Voranmeldungen: Bei Anmeldesteuern kann mit Ablauf des gesetzlichen Abgabetermins eine vollendete Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder Steuerverkürzung (§ 378 AO) vorliegen. Eine daraufhin verspätet abgegebene Voranmeldung kann eine Selbstanzeige nach § 371 AO darstellen, deren Wirksamkeit von den Restriktionen des neuen Rechts abhängt. Herr Herrmann zeigt auf, dass insbesondere das neue Vollständigkeitsgebot in § 371 I AO dazu führt, dass der „übliche Schlamper“, der die USt-VA für 01/12 erst in 03/12 und damit verspätet abgibt, nur dann eine wirksame Selbstanzeige abgeben kann, wenn er gleichzeitig auch die USt-VA 02/12 abgibt.

Beispiel 2 – Verspätete Jahreserklärung: Bei Anmeldesteuern kann auch für die Jahreserklärung mit Ablauf des gesetzlichen Abgabetermins (31.5. bzw. 31.12. des Folgejahres) eine vollendete Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder Steuerverkürzung (§ 378 AO) vorliegen. Hieran anknüpfend nimmt Herr Herrmann nun die verspätet eingereichte Jahreserklärung in den Blick. Diese könne auch nur dann eine wirksame Selbstanzeige sein, wenn auch gleichzeitig mit der Abgabe der verspäteten Jahreserklärung sämtliche ausstehenden USt-VA des laufenden Jahres richtiggestellt werden, was wiederum eine Folge des neuen Vollständigkeitsgebotes sei.

Beispiel 3 – Tatentdeckung bei verspäteten Voranmeldungen: Herr Herrmann nimmt nun den Aspekt der Tatentdeckung in den Blick und erörtert, dass eine für den VA-Zeitraum 01/12 abzugebende Anmeldung durch Übersendung eines Papierausdrucks der Liste offener Fälle an den Innendienst zur manuellen Prüfung ca. 3 Monate nach dem gesetzlichen Abgabetermin und nur wenige Tage nach erstmaliger maschineller Erinnerung entdeckt werden kann. Damit läge ein Ausschlussgrund für eine Selbstanzeige für die USt-VA 01/12 bereits vor.

Beispiel 4 – Berichtigung falscher Voranmeldungen in USt-VA 12: Herr Herrmann weist darauf hin, dass es angeblich Teil des Cash-Managements einiger Firmen sei, fehlerhafte Monatsanmeldungen in der 12. USt-VA des Jahres zu berichtigen. Dieses Vorgehen führe dazu, dass keine wirksame Selbstanzeige vorliegen könne. Vielmehr sei erforderlich, dass eine berichtigende Jahreserklärung oder die Berichtigungserklärungen der jeweils einzelnen USt-VA als Selbstanzeige eingereicht werde(n). Damit sei das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung im Gegensatz zur früheren Rechtslage erheblich gestiegen.

Beispiel 5 – Verhinderung der Rückkehr in die Steuerehrlichkeit: Ein weiterer problematischer Fall sei nach Ansicht Herrn Herrmanns der eines in den Jahren 2007-2011 Umsatzsteuer verkürzenden Unternehmers, für den für die Jahre 2007-2009 ein Steuerstrafverfahren eingeleitet wurde, jedoch keines für die Jahre 2010-2011. Will dieser Unternehmer nunmehr für die Zukunft ab 2012 in die Steuerehrlichkeit zurückkehren, kann er das wegen des Vollständigkeitsgebots wirksam nur tun, wenn er gleichzeitig auch die Jahreserklärungen 2007-2009 berichtigt. Im Ergebnis würde er sich damit einer Tat belasten (für die Jahre 2007-2009), für die eine Selbstanzeige wegen Tatentdeckung nicht wirksam wäre.

Beispiel 6 – Zu berichtigende Umsatzsteuer größer als 50.000 €: Im Rahmen des letzten Beispielsfalles macht Herr Herrmann auf den Ausschlussgrund des § 371 II Nr. 3 AO (neu) aufmerksam, der zunächst eine wirksame Selbstanzeige verhindert, aber den „Kauf“ eines Strafverfolgungshindernisses durch Zahlung eines 5 % Zuschlages zur hinterzogenen Steuer ermögliche. Hierbei gelte jedoch zu beachten, dass bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage das Kompensationsverbot zu berücksichtigen sei; bei einer Umsatzsteuer in Höhe von 3.000.000 €, einer Vorsteuer in Höhe von 2.900.000 € und einer Zahllast von 100.000 € betrage der Zuschlag damit 150.000 € (5 % von 3.000.000 €). Dem Stpfl. sei damit grundsätzlich ein Wahlrecht eröffnet, ob er das Verfahren über § 398a AO oder möglicherweise über § 153 ff. StPO beschreitet. Herr Herrmann schließt diesen letzten Beispielsfall mit einigen Hinweisen auf weitere Problemkreise, wobei vor allem die Ausgestaltung als strafrechtlicher Zuschlag, welcher von jedem Täter gezahlt werden muss, der das Strafverfolgungshindernis des § 398a AO erlangen möchte, hervorgehoben wurde.

Anknüpfend an diese die Defizite der Neuregelung verdeutlichenden Beispiele im Kontext der Umsatzsteuer geht Herr Herrmann auf statistische Zahlenwerte ein und zeigt das Verhältnis der gesamten U-Signale zur Verarbeitung säumiger Unternehmer und ausstehender Jahreserklärungen auf.

Herr Herrmann nimmt sodann die Auswirkungen der dargelegten Zahlenwerte auf die Verwaltung in den Blick und konstatiert, dass Fristverlängerungsanträge und Fallabgaben an die BuStra-Stellen stetig steigen. Er weist zugleich darauf hin, dass dies die Frage aufwirft, wer denn in diesen Verspätungs(massen)fällen den strafrechtlichen Gehalt prüft. Ebenso sei im jetzigen Verfahren der Streit um Vorsatz und Fahrlässigkeit vorprogrammiert.

Herr Herrmann schließt das Impulsreferat mit der Vorstellung von Lösungsmöglichkeiten. Genannt werden vor allem Gesetzesänderungen, die Auflösung des Deliktsverbundes, das Drehen am Kompensationsverbot für die USt, die Einordnung des Zuschlages nach § 398a AO als steuerliche Nebenleistung und insbesondere die von Herrn Herrmann als überzeugendsten Lösungsansatz eingestufte Entkriminalisierung der Abgabe verspäteter USt-VA hin zu bloßen Ordnungswidrigkeiten. Ziel, so Herr Herrmann, müsse es sein, die „bloße Schlamperei“ nicht mit dem scharfen Schwert des Strafrechts zu sanktionieren. Es wird sodann ein Alternativvorschlag analog der einkommensteuerrechtlichen Regelung des § 50e EStG seitens HerrnHerrmans befürwortet.

III. Impulsreferat: Dr. Adick

Dr. Adick stellt einleitend fest, dass er den Schwerpunkt seines Impulsreferats auf die steuerlichen Verfehlungen im Bereich der Unternehmen legen werde. Dies spiegle auch die Beratungspraxis wieder; die in den Medien prominent dargestellten Fälle von Kapitalertragsteuerhinterziehungen seien in der Regel weniger problematisch. Sodann gibt er einen Rückblick darauf, weshalb die Verschärfung in § 371 AO durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eingeführt wurde. Begonnen habe die Verschärfung mit der Entscheidung des BGH v. 20.05.2010 (Az. 1 StR 577/09). Der BGH habe dort die sog. Teilselbstanzeige abgeschafft um Steuerhinterziehern, die die Selbstanzeige-Regelung als Teil einer Hinterziehungsstrategie verstehen und in diesem Sinne stets nur sukzessive Beträge nacherklärten, die Straffreiheit versagen. Zugleich habe der BGH die Auslegung der Sperrgründe konkretisiert und die Norm dahingehend ausgelegt, dass ein Wettlauf des Steuerpflichtigen mit den Ermittlungsbehörden um die Rechtzeitigkeit der Selbstanzeige nicht honoriert werden könne. Das daraufhin eingeführte Schwarzgeldbekämpfungsgesetz habe die oben genannte Rechtsprechung zwar nicht in dieser Weite aufgenommen. Es ging aber auch hier darum, dass die Selbstanzeige nicht im Rahmen einer Hinterziehungsstrategie missbraucht werden dürfe. Das erklärte Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, systematische Steuerunehrlichkeit zu bekämpfen.

Dr. Adick stellt klar, dass steuerliche Verfehlungen im Unternehmen allerdings in aller Regel nicht das Ergebnis einer „Hinterziehungsstrategie“ seien. Vielmehr entstünden diese häufig aus Umständen, die Herr Herrmann bereits vorgetragen habe. Hier ließe sich wohl eher von Fahrlässigkeit, Leichtfertigkeit oder der unteren Grenze von vorsätzlichem Verhalten sprechen. Ebendiese Sachverhalte seien aber weder für den BGH noch für den Gesetzgeber der Impuls für eine Verschärfung der alten Regelung gewesen. Dr. Adick wirft die Frage auf, ob § 371 AO überhaupt das richtige Instrument dafür ist, steuerliche Verfehlungen im Unternehmen zu korrigieren? Er jedenfalls sei der Auffassung, dass dies aktuell nicht der Fall sei. Probleme träten immer wieder insbesondere bei Fragen der Vollständigkeit und den Sperrgründen auf. Aber auch § 398a AO sei nicht immer einfach in der Beratung zu handhaben.

Von Anfang an war das Gebot der Vollständigkeit ein großes Problem, so Dr. Adick. Anhand einer separaten Folie, die eine evident nicht dem Vollständigkeitsgebot des § 371 AO entsprechende Selbstanzeige zeigt, macht er hierauf aufmerksam. Mit Blick auf entsprechende Regelungen in anderen europäischen Rechtsordnungen sei dies aber nicht selbstverständlich. Dort würden dem gutgläubigen und in die Steuerehrlichkeit rückkehrungswilligen Bürger oft weniger hohe Hürden gesetzt. Nach der Auffassung von Dr. Adick sollten die Anforderungen jedenfalls nicht derart überzogen werden, dass die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit faktisch unmöglich gemacht würde. Bei Betriebssteuern stelle sich die Frage der Berichtigung vor allem hinsichtlich des Berichtigungsverbundes. Dr. Adick schildert ein Beispiel, in dem ein Unternehmen für einzelne Leistungen (z.B. Zahlungen in eine Pensionskasse) zu Unrecht keine Lohnsteuern abführt. Fraglich sei beispielsweise, ob eine Korrektur auch voraussetze, dass die Einkommensteuer des Arbeitnehmers berichtigt werde. Vorgelagert sei die Frage, ob eine Korrektur im Rahmen des § 153 AO – also der Berichtigung von Erklärungen – oder der Selbstanzeige des § 371 AO zu erfolgen habe. Sicherheitshalber müsse man dem Mandanten in aller Regel dazu raten, auch eine in Fällen undolosen Fehlverhaltens abzugebende Erklärung nach § 153 AO vorsorglich an den strengeren Maßstäben auszurichten, die § 371 AO verlangt. Verfährt man auf diesem Weg, sei allerdings die Konsequenz, dass man hiermit oft erst die BuStra auf sich aufmerksam mache. Die oben aufgeworfene Frage, ob auch die Einkommensteuer des Arbeitnehmers berichtigt werden müsse, sei jedenfalls negativ zu beantworten. Nur die betroffene Steuerart ein und desselben Steuerschuldners gehöre zum Berichtigungsverbund. In faktischer Hinsicht liege allerdings durchaus ein Berichtigungsverbund vor. Nähme man die Berichtigungen auf der Ebene des Unternehmens und – wie im oben aufgeführten Beispiel – des Arbeitnehmers zeitlich nachfolgend vor, wäre möglicherweise die Berichtigung für die Arbeitnehmer bereits gesperrt. Daher sei es wichtig, eine konzertierte Selbstanzeige abzugeben. Dies führe häufig zu Problemen, die beispielsweise darin bestünden, auch die individuellen Umstände eines jeden Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Möglicherweise seien die Arbeitnehmer aber auch nicht mehr für das Unternehmen tätig und daher nur schwer zu kontaktieren und/oder zur Kooperation zu bewegen. Auch sei in diesen Fällen stets das Risiko vorhanden, dass einzelne Arbeitnehmer unabgestimmt separat eine Selbstanzeige gegenüber dem Finanzamt abgeben könnten.

Ein weiterer wichtiger Punkt sei der Korrekturzeitraum. Die Offenlegung müsse für alle nicht verjährten Steuerstraftaten einer Steuerart erfolgen. Die Strafverfolgungsverjährung betrüge nach § 376 Abs. 1 AO bei schweren Fällen 10 Jahre. Dabei hätten sich die beteiligten Rechtsanwender mittlerweile mit der Alternative „großes Ausmaß“ (§ 376 Abs. 1 i.V.m. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO) arrangiert, auch wenn – berechtigterweise – Bestimmtheitsbedenken blieben. Fraglich sei, ob zusätzlich ein Handeln „aus grobem Eigennutz“ vorliegen müsse. Dr. Adick gibt einen kurzen Rückblick auf die bis zum 21.12.2007 geltende Regelung des § 370 Abs. 3 S. 2 AO, wonach dieses Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall additiv zum „großen Ausmaß“ habe erfüllt sein müssen. Nach einer Schilderung der bis dato anerkannten Auslegung kommt er zu dem Zwischenergebnis, dass dies bei steuerlichen Verfehlungen in Unternehmen an sich nie der Fall gewesen sei. Dies führte für Berater dazu, dass in solchen Situationen das Korrekturvolumen lediglich über einen Zeitraum von fünf und nicht von zehn Jahren habe berücksichtigt werden müssen. Ein weiterer Vorteil in der Praxis könne sein, dass eine Korrektur über einen Zeitraum von 5 Jahren weniger nach einer Selbstanzeige als mehr nach einer schlichten Korrektur aussehe.

Dr. Adick kommt sodann auf die für ihn überraschende Entscheidung des BGH v. 05.03.2013 (1 StR 73/13) zu sprechen. Danach sei allein maßgeblich, ob die Voraussetzungen von § 376 AO heute erfüllt seien. Ob die Voraussetzungen des besonders schweren Falls zum Zeitpunkt der Tatbegehung erfüllt gewesen gewesen seien, spiele keine Rolle. Es könne also der Fall eintreten, dass ein Zeitraum von 10 Jahren strafbefangen sei, obwohl im Zeitpunkt der ersten Tat das entsprechende Regelbeispiel noch nicht erfüllt gewesen ist. Der BGH tausche das Bezugsobjekt des § 376 AO aus, was Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Vorschrift wecke. In der Folge müsse die Beratungspraxis nunmehr den Korrekturzeitraum verlängern, was zu erheblichem Aufwand führen dürfte. Außerdem müsse der persönliche Schutzkreis der Selbstanzeigen ggf. auf ehemals im Unternehmen Verantwortliche erweitert werden. Schließlich sei nicht zu verkennen, dass eine Korrektur über einen Zeitraum von 10 Jahren eher als Selbstanzeige und nicht als bloße Korrektur nach § 153 AO verstanden würde.

Auch der Komplex der Sperrwirkung sei immens wichtig. Dr. Adick führt zunächst § 371 Abs. 2 Nr. 1 AO an, nach dem keine Straffreiheit eintritt, sobald eine zur Selbstanzeige gebrachte unverjährte Steuerstraftat von einem der aufgeführten Sperrgründe erfasst ist. In der Praxis komme zunehmend die Frage auf, ob auch Steuernachschauen einen Sperrgrund auslösen würden. Das entscheide sich an dem Tatbestandsmerkmal „steuerliche Prüfung“ in § 371 Abs. 2 Nr. 1 c AO. Problematisch seien vor allem die Umsatz- und Lohnsteuernachschauen. Diesen Steuerarten gemein sei, dass sie meistens zu einem hohen Verkürzungsvolumen führen würden. Nach der wohl überwiegenden Ansicht, so rezipiert Dr. Adick, müsste die steuerliche Nachschau als steuerliche Prüfung subsumiert werden. Die Vertreter dieser Auffassung stammten aber durchaus häufig aus den Reihen der Finanzverwaltung. Für diese Auslegung spreche jedenfalls, dass § 371 Abs. 2 Nr. 1 c AO ansonsten neben § 371 Abs. 2 Nr. 1 a AO überwiegend leer liefe. Ferner würde Rückgriff auf die Rechtsprechung des BGH v. 20.05.2010 (1 StR 577/09) genommen, nach der Sperrgründe grundsätzlich weit auszulegen seien. Nach der Auffassung von Dr. Adick wird an dieser Stelle deutlich, dass die Selbstanzeige inkonsequent ausgestaltet ist. Einerseits sei sie zwar politisch gewollt und vom Gesetzgeber verabschiedet; andererseits würde man die Anforderungen an ihre Wirksamkeit immer weiter erhöhen und es so Steuerpflichtigen erschweren, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Gegen die vorstehend genannte Auffassung führt Dr. Adick ins Feld, dass die Steuernachschau ohne förmliche Anordnung erfolgt und sie lediglich punktuellen Prüfungscharakter habe. Außerdem würde – folgte man der entgegengesetzten Auffassung – eine folgenschwere Infektionswirkung der Sperrgründe für Veranlagungszeiträume eintreten, die an sich nicht von der Nachschau erfasst sind. Der mit einer Nachschau auch beabsichtigte Impuls an den Steuerpflichtigen, sein steuerliches Erklärungsverhalten nochmals zu reflektieren, schlägt letztlich fehl. Denn auch wenn der Steuerpflichtige anlässlich einer Nachschau weiteren Korrekturbedarf erkenne, bestehe das Risiko, dass eine Korrektur als gesperrt angesehen werde.

Hinsichtlich des § 398a AO zeige sich in der Praxis aus der Sicht von Dr. Adick eine bedenkliche Entwicklung. Häufig würde „holzschnittartig“ mit dem Wortlaut argumentiert, wonach jeder Beteiligte 5 % zahlen müsste. Diese Auffassung leide an einem systematischen Widerspruch zum Rest des Selbstanzeigerechts. § 371 Abs. 3 AO mache die Wirksamkeit der Selbstanzeige davon abhängig, dass der Beteiligte „die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern nachentrichtet“. Dieses Merkmal müsse nach Dr. Adick auch in § 398a AO hineingelesen werden. Andernfalls käme es zu nicht sachgerechten Ergebnissen bei steuerlichen Verfehlungen in Unternehmen. Um dies zu bekräftigen schildert Dr. Adick das folgende Beispiel: Die Verantwortlichen der X-AG (3 Vorstände, Leiter Steuern, Leiter Rechnungswesen) erstatten auf anwaltlichen Rat Selbstanzeige für Verkürzungen von Umsatzsteuer, die den Anfangsverdacht bedingt vorsätzlichen Verhaltens begründen könnten. Verkürzt wurden 15 Mio. €. Bevor er die steuerstrafrechtliche Würdigung vornimmt, betont Dr. Adick, dass das Unternehmen selbstverständlich die bislang nicht abgeführten Steuern inkl. der angefallenen Zinsen nachzahlen müsse. Außerdem – und dies sei eine zunehmend zu beobachtende Tendenz – könne eine Geldbuße nach § 30 OWiG festgesetzt werden. Um bei Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Hinterziehungsbetrag 50.000 € übersteigt (§ 398a AO), gleichwohl einer Steuerstrafbarkeit zu entgehen, müsste im Zweifel jeder Verantwortliche 750.000 € bezahlen (5 % auf Nominalbetrag der verkürzten Steuern). Dies lasse die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen vollkommen außer Betracht. In der Regel könne ein Mitarbeiter eines Unternehmens einen solch immens hohen Betrag nicht bezahlen. Außerdem berücksichtige diese Lesart nicht die individuelle Verantwortlichkeit der Personen für die Ressorts im Unternehmen. Schließlich führt Dr. Adick einen systematischen Widerspruch zu § 153a StPO an. Diese Vorschrift berücksichtige nämlich sowohl wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beschuldigten als auch den individuellen Verschuldensgrad. Außerdem seien Strafrahmenverschiebungen und Strafmilderungsgründe bei der Zumessung der Geldauflage zu berücksichtigen.

Als letzten Punkt seines Impulsreferates geht Dr. Adick auf das Verhältnis zwischen § 30 OWiG und § 398a AO ein. Er wirft die Frage auf, ob die Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG ausgeschlossen ist, sofern das steuerstrafrechtliche Verfahren im Sinne des § 398a AO abgeschlossen wurde. Der Wortlaut von § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG „[…] aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden kann […]“ weise jedenfalls darauf hin. Dagegen wird angeführt, dass § 398a AO der Regelung in § 153a StPO nachempfunden ist. Dort fände allerdings kein Ausschluss statt. Folgerichtig gelte dies auch für § 398a AO. Aus der Sicht von Dr. Adick fehle diesem Ansatz aber die nötige Begründungstiefe. Mit Hunsmann (PStR 2013, 91, 93) sehe er § 398a AO als Strafverfolgungshindernis an, dessen Nichtvorliegen im gerichtlichen Verfahren als negative Sachurteilsvoraussetzung zu prüfen ist. Er schließt sich ferner der Auffassung von Reichling (NJW 2013, 2233, 2235) an, der, so Dr. Adick, als erstes pointiert formuliert habe, dass der Gesetzgeber nach einem abgeschlossenen Verfahren nach § 398a AO nicht noch die Festsetzung einer Geldbuße habe ermöglichen wollen. Vor dem Hintergrund des oben geschilderten Beispiels drohe in manchen Fällen ein „Bebußungsexzess“. Neben den Zinsen müsse jeder Tatbeteiligte für die Zwecke § 398a AO 5 % bezahlen. Hinzu kommt noch eine Geldbuße nach § 30 OWiG. Für eine Rechtsgutsverletzung würden auf diese Weise mehrere Rechtsträger „bebußt“ und so zu teils drastischen Strafen herangezogen. Dies widerspreche, so Dr. Adick, dem, was ansonsten im Strafrecht üblich und sinnvoll ist. Als letztes Argument führt Dr. Adick an, dass sich die Ähnlichkeiten zu § 153a StPO in Grenzen hielten. Ein gravierender Unterschied sei beispielsweise, dass die Behörde bei der Festsetzung der „5 %“ kein Ermessen habe und ferner kein Gericht beteiligt würde.

Dr. Adick schließt sein Impulsreferat mit der Darstellung des Nebeneinanders von § 398a AO und § 30 OWiG in Unternehmenssituationen, das durchaus zu Konfliktsituationen führen könne. Für Unternehmen sei § 398a AO günstiger, da hierdurch § 30 OWiG gesperrt würde. Für die individuell Verantwortlichen sei hingegen vermutlich in den meisten Fällen § 153a StPO günstiger, weil sie an dieser Stelle mit einer oft deutlich günstigeren Auflage als dem „5 %-Betrag“ aus § 398a AO zu rechnen haben.

IV. Diskussion

Die Podiumsdiskussion wird durch eine Frage aus dem Publikum zu einer von Herrn Herrmann im Zusammenhang mit § 398a AO angesprochenen Problematik, namentlich der Kumulierung des Strafzuschlages bei mehreren Beteiligten, eröffnet. In concreto wurde ein Fall mit 28 Beteiligten geschildert und die Möglichkeit in den Raum gestellt, nur für 2 Beteiligte Berichtigungserklärungen abzugeben und im Übrigen die Erklärung auch im Namen der 26 anderen Beteiligten (Stichwort: Innenvollmachten) abzugeben. Dr. Weinreich stuft dieses Vorgehen als durchaus problematisch und bisher ungelöst ein. Dr. Adick erweitert um den Aspekt, dass jedenfalls die Setzung einer Nachzahlungsfrist nicht unbedingt gegenüber sämtlichen Beteiligten erforderlich sei.

1. Reichweite der Selbstanzeige

Prof. Dr. Seer bittet anknüpfend an diese vorab eingeschobene Einzelfrage im Folgenden die Diskussion strukturiert zu gestalten und dabei insbesondere die in den Impulsreferaten angelegten Problemkreise zu diskutieren. Beginnen möchte er mit der Reichweite der Selbstanzeige als eine Art „steuerartübergreifende Lebensbeichte“. Prof. Dr. Seer eröffnet dieses Problemfeld mit dem Regelungsziel der Neuregelung aus dem Blickwinkel federführender Politiker. Jenes erschöpfe sich vor allem in der Reaktion auf spektakuläre mediale Einzelfälle und auf die Vermeidung einer Teilselbstanzeigen-Taktik. Im Grunde hält er dies für nachvollziehbar, da die gewünschte Straffreiheit auch nur dann zu rechtfertigen sei, wenn der Stpfl. sämtliche Vorgänge offenlegt. Prof. Dr. Seer stellt daraufhin die Frage zur Diskussion, wie die Bewertung der Neuregelung im Zusammenhang mit einkommensteuerrechtlichen Sachverhalten einzustufen sei.

Dr. Weinreich bekräftigt die Ausführungen in Ansehung der eingeschränkten Sichtweise des Gesetzgebers. Die medialen Einzelfälle entsprechen nicht der täglichen Wirklichkeit. Diese ist vor allem auch durch „schlichte Schlampereien“ geprägt und damit nicht zu vergleichen mit den Fällen, die der Gesetzgeber scheinbar überwiegend vor Augen hatte.

Prof. Dr. Seer wirft sodann die Frage in den Raum, ob es damit zutreffend sei, dass die Selbstanzeige hauptsächlich im Umfeld der Anmeldungssteuern Probleme aufwirft und im Kontext direkter Veranlagungssteuern wenig Problemfelder biete.

Herr Herrmann nimmt diesen Aspekt auf und weist darauf hin, dass auch im Zusammenhang mit Ertragsteuern durchaus Problempotential vorhanden sei. So seien z.B. ca. 50 % der Selbstanzeigen im Bereich der Ertragsteuern insbesondere aufgrund schlechter Bankbescheinigungen als unvollständige Selbstanzeige nicht wirksam. Aus dem Publikum wird daraufhin die Frage gestellt, wie die Ansicht der Finanzverwaltung zu solchen undolosen Selbstanzeigen (unbewusste Unvollständigkeit der Selbstanzeige) sei. Herr Herrmann erörtert, dass es eine undolose Selbstanzeige zwar geben könne, diese aber von einer sehr genauen Prüfung des Kenntnisstandes des Stpfl. abhängen würde.

Prof. Dr. Seer greift diesen Aspekt auf und fragt, wie in der Praxis die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit vorgenommen wird. Dr. Adick führt dazu kritisch aus, dass die Praxis primär auf die Höhe des hinterzogenen Betrages abstellt und auch die Strafkammern die Ansicht zugrunde legen, dass eine gewisse „steuerliche Allgemeinbildung“ in der Gesellschaft vorhanden sei, deren Verstoß den Vorsatz scheinbar indiziere. Prof. Dr. Seer wirft daraufhin die Frage auf, ob der Vorsatz damit im Ergebnis nicht ausgeblendet werde. Dr. Szesny konkretisiert die Frage, indem er sich direkt an Herrn Herrmann mit dem Einschub wendet, wie die Finanzbehörden den subjektiven Tatbestand sehen. Herr Herrmann stimmt den Einschätzungen im Ergebnis zu und merkt an, dass die Finanzgerichte den subjektiven Tatbestand mehr mit einbeziehen als die Strafgerichte. Prof. Dr. Seer zeigt sich dieser Anmerkung Herrn Herrmanns gegenüber erstaunt und fragt nach einem Grund für diese abweichende Prüfungsdichte. Herr Dr. Weinreich merkt an, dass es wohl an der unterschiedlichen Fallstruktur beider Gerichte liegen könnte; die überwiegenden Fälle bei den Strafgerichten seien Alltagsfälle ohne derartige Vorsatzprobleme.

Aus dem Publikum wird daraufhin die Frage gestellt, was im Rahmen einer Selbstanzeige z.B. im Falle eines Schweizer Bankkontos vorgetragen werden müsse, wem die Ermittlungen obliegen, und was genau aus den oftmals schwer verständlichen Bankauszügen steuerrechtlich zu schlussfolgern sei. Dr. Weinreich schlägt einen entsprechenden Sicherheitszuschlag als Lösung für das dargebotene Problem vor. Prof. Dr. Seer greift den aus dem Publikum vorgetragenen Aspekt auf und konkretisiert die Fragestellung dahingehend, ob es ausreichend sei, alle Bankdokumente bei den Finanzbehörden abzuliefern oder ob ein mehr des Stpfl. erforderlich sei. Herr Herrmann zieht vergleichend die Jahreserklärung heran, in der ebenfalls eine eindeutige Einordnung dem Grunde und der Höhe nach erforderlich sei. Das gesamte Material allein in Form sämtlicher Bankdaten reiche damit grundsätzlich nicht aus. Diese Arbeit obliege weiterhin dem jeweiligen Stpfl. und könne nicht auf die Finanzbehörden abgewälzt werden. Aus dem Publikum wird anschließend die Frage an Herrn Herrmann gerichtet, wie genau die Finanzbehörden die Bankunterlagen (Erträgnisaufstellungen, Depotauszüge) überhaupt auf ihre zutreffende Umsetzung im Rahmen einer Selbstanzeige überprüfen. Herr Herrmann führt aus, dass dies jedenfalls geprüft werde. Jedoch seien v.a. die Erträgnisaufstellungen oftmals nur schwer zu beurteilen, so dass die Prüfung der Depotauszüge in den Fokus rücken würde. Allerdings sei auch insoweit keine Prüfung auf die „zweite Kommastelle“ möglich.

Aus dem Publikum wird der Fall eines Erben vorgetragen, der zwei Jahre nach Anfall der Erbschaft die Steuerhinterziehung des Erblassers entdeckt und erst zu diesem Zeitpunkt sämtliche betreffende Bankunterlagen an die Finanzbehörden schickt. Herr Herrmann konstatiert, dass es auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Erben ankommt. Aus dem Publikum wird ergänzend zur Frage gestellt, was die Finanzbehörden in derartigen Fällen an Präzision für die erste Selbstanzeige verlangen. Herr Herrmann greift diesen Aspekt erneut auf und führt aus, dass zumindest eine zu beziffernde Summe erforderlich sei, da es sich sonst lediglich um eine bloße Ankündigung einer Selbstanzeige handele. Prof. Dr. Seer merkt an, dass im Gesetz lediglich die Vollständigkeit stehe, von der Angabe einer Zahl sei keine Rede.

Prof. Dr. Seer erweitert die Diskussion daraufhin um den Aspekt einer informellen Kontaktaufnahme im Vorfeld einer Selbstanzeige und fragt nach dem Vorgehen der Beraterschaft in solchen Fällen. Aus dem Publikum wird angemerkt, dass ein derartiges Vorgehen mit einigem Risiko verbunden sei, da es insoweit keine einheitliche Linie der Finanzbehörden zum Umgang hiermit gebe. Ergänzend wird seitens Dr. Szesny darauf hingewiesen, dass das vorab Zugesagte oftmals nicht justiziabel sei. Von einer Vorgehensweise über eine informelle (Vorab-) Absprache rate er daher aufgrund der ihr innewohnenden geringen Verlässlichkeit ab. Herr Herrmann merkt an, dass die in den Ländern unterschiedliche Organisation bei der Bearbeitung der Selbstanzeigen entscheidend sei. Nicht in allen Ländern seien spezielle Zuständigkeiten für die Selbstanzeigenbearbeitung eingerichtet worden, so dass sich in Spezialteams besonderes Wissen ansammele. Eine Zusage der Veranlagungsstelle sei weniger sicher als die eines entsprechend ausgebildeten Spezialteams, weil man in der Veranlagung die steuerstrafrechtlichen Besonderheiten oftmals nicht überblicke.

2. Selbstanzeige und Umsatzsteuer

Prof. Dr. Seer leitet anschließend zu den Aspekten der Umsatzsteuer über und nimmt hierbei Bezug auf die verschiedenen Illustrationen von Herrn Herrmann. Wie Herr Herrmann bereits in seinem Impulsreferat habe anklingen lassen, sei in nächster Zeit leider nicht mit einer Entpönalisierung von steuerlichen Verfehlungen im Bereich der Umsatzsteuer zu rechnen. Er, Herr Herrmann, habe die Hoffnungen von Prof. Dr. Seer enttäuscht, die Maßgabe der Vollständigkeit erst auf die Jahreserklärung und nicht bereits auf jede Voranmeldung zu beziehen. In einem Massengeschäft wie der Umsatzsteuer könne ferner nur schlechterdings der Vorsatz begründet werden, wenn beispielsweise ein einzelner, möglicherweise grenzüberschreitender, Geschäftsvorfall nicht korrekt in der Voranmeldung erfasst ist. Beinahe absurd sei es, sogar bei der verspäteten Abgabe von Voranmeldungen in die Gefahr einer Strafbarkeit zu kommen. Eine solche Pönalisierung verhindere letztlich auch compliantes Verhalten. An dieser Stelle würde sich auch die Frage stellen, ob die geltende Regelung von § 370 AO unter einem strukturellen Vollzugsdefizit leide. Nach den beiden hierzu vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ergangenen Entscheidungen wirke ein solches auf die betroffene Norm zurück und führe schließlich zu ihrer Verfassungswidrigkeit. Wenn im Rahmen des Vollzugs von § 370 AO aufgrund von personellen Kapazitätsgrenzen nicht mehr den tragenden strafrechtlichen Prinzipien Rechnung getragen werde und es so zu einer Massenpönalisierung komme, bewege sich die Norm in die Richtung einer Verfassungswidrigkeit. In umgekehrter Hinsicht stehe selbstverständlich die Frage im Raum, ob diejenigen, die tatsächlich Steuern hinterziehen, vom Vollzug erfasst werden oder diesem entgehen. Für den ersten Fall bedürfe es wohl des Ventils des § 371 AO um einer Verfassungswidrigkeit zu entgehen. Die Regelung über die Selbstanzeige müsste dann aber so breit gefasst sein, dass sie auch die Massenfälle von Umsatz- und Lohnsteuer erfassen kann. Auch wenn das BVerfG das Institut des „strukturellen Vollzugsdefizits“ bislang nur auf materielle Steuernormen angewendet hat, müsste es nach der Auffassung von Prof. Dr. Seer wohl bei Regelungen des Strafrechts erst recht gelten. Diesen Aspekt vermisse er in der aktuellen Diskussion. Prof. Dr. Seer schildert aus einer gemeinsamen Begegnung mit dem ehemaligen Vorsitzenden des ersten Strafsenats, dass die Strafrichter wohl nie die Fälle des normalen umsatzsteuerlichen Massenverfahrens vor Augen hätten. Vielmehr dächten diese an Umsatzsteuerkarusselle, Zigarettenschmuggel usw. Dies zeige einmal mehr, dass die Steuerstrafrichter oft nicht das nötige Verständnis für das formelle und materielle Steuerrecht hätten. Letztlich könnten solcherart Unzulänglichkeiten des deutschen Straf- und Steuerrechts auch zu Standortfragen führen.

3. Selbstanzeige und Tax Compliance

Fraglich sei, inwiefern in Zukunft komplexe Compliance-Strukturen dabei helfen könnten, sich angesichts einer möglichen Strafverfolgung zu exkulpieren. Dr. Adick kann aus der Beratungspraxis berichten, dass in den Unternehmen ein sehr großes Bedürfnis nach Compliance-Strukturen vorhanden ist. Im Ergebnis seien die Unternehmen an Rechtssicherheit interessiert und wollten hierfür auch investieren. Die Umsetzung erfolge meistenteils auf der Basis von EDV-Systemen, die verschiedene Bereiche miteinander verbinden und bei Auffälligkeiten Meldung machen. Es sei aber nicht zu erwarten, dass durch eine entsprechende Dokumentation dieses Vorgangs per se der Vorsatz bei den zuständigen Personen hinsichtlich etwaiger Steuerstraftaten verneint würde. Die Ergebnisse der Dokumentation müssten sich aber gemeinsam mit verschiedenen Zuständigkeitsabgrenzungen der Mitarbeiter dahingehend auswirken, dass nur noch für das jeweilige Ressort bestraft werden könne. Eine Stimme aus dem Publikum bestätigt die Auffassung von Dr. Adick. Danach beschränke sich Tax Compliance bisher allerdings vielfach darauf, die steuerlichen Pflichten nicht nur zu erfüllen sondern dies auch zu dokumentieren. Teils wird dies flankiert durch Prozesse, die beispielsweise gegenseitiges Quittieren vorsehen. Wirkungsvoll sei es, wie es Dr. Adick auch schon angeführt habe, Stellenbeschreibungen vorzunehmen. Auf diese Weise könne auch nachgehalten werden, wer für welchen Bereich/welche Gesellschaft welche Zeichnungsrechte inne hatte. All dies schaffe für den steuerlichen Berater Argumentationspotential, um den Vorsatz entfallen zu lassen. Prof. Dr. Seer fragt zurück, ob es angesichts dieser Ausführungen ratsam ist, prophylaktisch eine Compliance-Struktur zu etablieren, die aufzeigt, dass der Geschäftsleiter alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um Fehler zu vermeiden. Wenn gleichwohl ein Fehler gemacht würde, sei dies jedenfalls nicht strafrechtlich relevant. Die Stimme aus dem Publikum stimmt dem zu. Eine Compliance-Struktur regele nicht nur beispielsweise die Zuständigkeit der Steuerabteilung für die korrekte Bearbeitung von Steuersachen, sondern trägt auch dafür Sorge, dass ebendiese Bearbeitung in korrekter Form überwacht werde. Dies geschehe durch entsprechende Prozesse auf deren Grundlage sich ein Geschäftsleiter möglicherweise exkulpieren kann. Die gesamte Entwicklung auf diesem Gebiet stehe aber noch am Anfang.

Dr. Rübenstahl übt Kritik daran, dass regelmäßig nicht gegen die im Unternehmen sachlich Verantwortlichen sondern direkt gegen die Unternehmensleiter (Vorstände, Geschäftsführer) steuerstrafrechtlich ermittelt würde. Dies geschehe auch in Fällen, in denen erkennbar nicht die Unternehmensleitung für die Verfehlung verantwortlich ist. Die Ermittlungsbehörden sollten sich darüber im Klaren sein, welche faktischen Folgen das Bekanntwerden eines Ermittlungsverfahrens gegen die Unternehmensleitung haben kann. Diese Reflektion fände nur allzu selten statt. Herr Herrmann repliziert darauf, dass das Steuerstrafrecht seiner Wahrnehmung nach bei Unternehmensjuristen eher stiefmütterlich behandelt werde. Außerdem seien zu Beginn eines steuerlichen Ermittlungsverfahrens nie die zuständigen Mitarbeiter eines Unternehmens bekannt. Erst im Verlauf eines solchen Verfahrens ergäben sich für die Ermittlungsbehörden die jeweiligen Unternehmensstrukturen anhand derer die tatsächlich Verantwortlichen ausgemacht werden können. Daher bliebe zunächst nichts anderes übrig, als gegen die Unternehmensleitung zu ermitteln. Darüber hinaus hat Herr Herrmann immer wieder feststellen müssen, dass es in den Unternehmen an der nötigen Sensibilisierung für steuerstrafrechtliche Belange fehlt. Dr. Adick kann diese weitgehende These von Herrn Herrmann nicht nachvollziehen; seiner Ansicht nach mangele es nicht an einer fehlenden Sensibilisierung. Oft sei in den Unternehmen aber in dieser Hinsicht die Kommunikation zwischen Steuer- und Rechtsabteilung verbesserungsbedürftig. Dr. Rübenstahl stimmt dem grundsätzlich zu. Der alte Steuerfahrensmann denke grundsätzlich in Zahlen, die ein steuerliches Risiko ausdrücken. Kategorien von Vorsatz und Fahrlässigkeit und die damit zusammenhängenden steuerstrafrechtlichen Aspekte blieben oft auf der Strecke. Ferner anerkennt er, dass in der Praxis das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Unternehmensleitung eingeleitet werden müsse. Seiner Erfahrung nach fehle es aber im Zuge dieses Verfahrens an der Bereitschaft der Ermittlungsbehörde, vom Anfangsverdacht in Bezug auf die Unternehmensleitung überzugehen auf die sachlich Verantwortlichen. Auch ein konkreter Sachvortrag ändere daran nichts. Er kritisiert weiter, dass die Ermittlungsbehörden dann lieber in Gänze von der weiteren Verfolgung Abstand nehmen als die Ermittlung auf die tatsächlich Verantwortlichen auszudehnen und zu intensivieren.

4. Rechtscharakter und Natur von § 398a AO

Prof. Dr. Seer leitet sodann über zu Rechtscharakter und Natur von § 398a AO. Die Grundidee ebendieser Vorschrift sei der penalty. Dieses Instrument stamme an sich aus einem Entpönalisierungssystem. Einem solchen System sei u.a. inhärent, dass steuerliche Verfehlungen „teuer gemacht“ würden, ohne dass der Unternehmensleiter unmittelbar steuerstrafrechtliche Sanktionen zu befürchten habe. Die Idee des Gesetzgebers sei wohl, so Prof. Dr. Seer, dass derjenige, der mittels einer Selbstanzeige nicht mehr strafbar wird, zwar nicht strafrechtlich verfolgt würde, aber wenigstens zahlen müsse. Es stelle sich die Frage, was § 398a AO letztlich ist: persönlicher Strafaufhebungsgrund oder penalty mit der Folge, dass die Regelung an sich im vorderen Teil der AO hätte verortet werden müssen. Dies sei auch wichtig für die Frage der „Mehrfachzahlung“. Dr. Weinreich weist auf die Entstehungsgeschichte zu § 398a AO hin. Im Zuge der Neufassung von § 371 AO und der Einführung von § 398a AO sei sogar darüber angedacht worden, die Selbstanzeige in toto abzuschaffen. Schließlich sollte diese Möglichkeit für „den kleinen Mann“ aber gangbar bleiben. Wenn aber auch den Unternehmen des Privileg der Selbstanzeige zu Teil würde, dann – so der vermeintliche Wille des Gesetzgebers – sollten diese wenigstens in finanzieller Hinsicht für den entstandenen Schaden einstehen. Im Gesetzgebungsverfahren habe sich vermutlich niemand gefragt, ob es zu Fällen kommt, in denen verschiedene Beteiligte den „5 %-Betrag“ mehrfach zahlen müssen. Seinem Wesen nach sei § 398a AO wohl eher als steuerliche Nebenleistung intendiert gewesen.

Dr. Weinreich ist weiter der Auffassung, dass eine Gleichsetzung von § 153a StPO und § 398a AO nicht statthaft ist. Dafür spreche schon, dass § 398a AO einen Pauschalbetrag fordere. Anders als bei § 153a StPO entschieden weder Richter noch Staatsanwalt über die genaue Höhe des zu zahlenden Betrages. Die pauschale Größe von 5 % führe zu teils absurden Zahlungslasten, was man an Fällen mit hoher Bemessungsgrundlage, wie häufig in der Umsatzsteuer, bemerken könne. Eine weitere offene Frage sei, welchen Rechtsweg der betroffene Steuerpflichtige wählen müsse, um gegen eine „Anordnung“ nach § 398a AO vorzugehen. Auch nach der Ansicht von Dr. Adick habe § 398a AO keinen strafrechtlichen Charakter; die Norm beinhalte vielmehr eine steuerliche Nebenleistung. Dies bestätige auch der Wortlaut nach dem „von der Strafverfolgung abgesehen“ wird; eine Straffreiheit sei dies freilich nicht. Auch ihm ist nicht klar, wie der Steuerpflichtige in diesen Fällen die nötige Rechtssicherheit erlangt. Ob das „Absehen von Strafverfolgung“ lediglich durch eine Verfügung der Ermittlungsbehörde dokumentiert wird oder dem Steuerpflichtigen mit Außenwirkung mitgeteilt wird, ist Dr. Adick für den Moment ebenso ungewiss. Eine von dogmatischen Widersprüchen freie Lösung wäre es gewesen, den Hinterziehungszins auf 10 % festzusetzen.

Herr Herrmann setzt an dieser Stelle ein und schildert seine Erfahrungen aus der Sitzung des Finanzausschusses, in der der entsprechende Gesetzesentwurf beraten wurde. Ein plakatives, aber letztlich falsches Argument war es, dass derjenige, der – ohne eine Steuerhinterziehung zu begehen – Steuern zu entrichten habe, ihm hierfür aber die finanziellen Mitteln fehlen, insgesamt 12 % p.a. zahlen müsse. Derjenige hingegen, der Steuern hinterzogen hat, müsse hingegen nur 6 % p.a. zahlen. Dies habe im Gesetzgebungsverfahren Widerstand gefunden. Daher sei § 398a AO in das Gesetz gekommen. Aktuell würde die Vorschrift täterbezogen und nicht tatbezogen ausgelegt werden mit der Folge, dass alle Beteiligten zahlen müssten. Eine Klarstellung hin zu einer tatbezogenen Auslegung wäre aus der Sicht von Herrn Herrmann gesetzgebungstechnisch leicht umsetzbar. Damit einher ginge die Kodifikation in Form einer steuerlichen Nebenleistung, womit beim Gesetzgebungsverfahren der Bundesrat beteiligt werden müsse.

Dr. Borggräfe weist auf den Wortlaut von § 398a Nr. 1 AO hin. Seiner Auffassung nach lässt sich aus einer Zusammenschau der dort normierten Tatbestandsmerkmale schließen, dass Täter nur eine Person sein könne. U.a. führt er an, dass die hinterzogenen Steuern auch nur einmal entrichtet werden könnten. Herr Herrmann weist dagegen auf den davorstehenden Halbsatz hin, in dem es heißt „der Täter“. Dies wiederum könnten mehrere Personen sein, die dieselbe Steuer hinterzogen haben. Nach Dr. Borggräfe könne es aber trotzdem nur einmaldie hinterzogene Steuer geben, worin Herr Herrmann eine weitere Ungenauigkeit im Gesetzestext erkennt, die allerdings nicht allein steht. Er weist daher ferner auf den Fall des GmbH-Geschäftsführers hin, der zu seinen Gunsten überhaupt keine Steuer hinterziehen würde. Noch deutlicher werde dies beim sog. Fremdgeschäftsführer. Unklar ist anhand des Wortlauts das weitere strafrechtliche Schicksal des Geschäftsführers, für den die GmbH den Zuschlag auf die hinterzogene Steuer zahlt.

Prof. Dr. Seer zieht ein Zwischenfazit. § 398a AO sei offenbar „mit heißer Nadel“ gestrickt worden. Der Gesetzgeber habe wohl nicht eine Multiplikation in der Form gewollt, dass alle Beteiligten den „5 %“ Betrag bezahlen müssten. Mit § 398a AO sollte schlicht eine Verteuerung eingeführt werden. Vor dem Hintergrund des Wortlauts und des Sachzusammenhangs könne man aber auch eine andere Auffassung vertreten. Dr. Weinreich ergänzt schließlich, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der Vorschrift vermutlich nur den Einzelsteuerstraftäter vor Augen gehabt habe. An Fallgestaltungen mit Unternehmensbezug habe vermutlich niemand gedacht.

V. Schlusswort und Ausblick

Prof. Dr. Seer ist gespannt, wie sich der Bereich des Steuerstrafrechts in Zukunft weiterentwickeln wird. Trotz vieler Ungenauigkeiten, von denen einige heute thematisiert wurden, müsse sich die Praxis wohl mit den geltenden Regelungen arrangieren. Er sehe aktuell weder eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen eines möglichen strukturellen Vollzugsdefizits oder des Bestimmtheitsgebots noch einen Vorstoß des Gesetzgebers. Er bedankt sich im Namen des Kompetenzzentrums Steuerrecht und der WisteV bei den Referenten, den Podiumsdiskutanten und allen anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung.

Zukünftige Termine des Bochumer Steuerseminars finden Sie unter www.kompetenzzentrum-steuerrecht.de im Bereich Forschungsinstitut/Bochumer Steuerseminar.

 

Podiumsdiskussion in Kooperation mit der „Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. (WisteV)

„Praktische Erfahrungen mit der Neuregelung der Selbstanzeige in
§§ 371, 398a AO: Reformbedarf?“


Impulsreferate/Podiumsdiskutanten:

Klaus Herrmann (RD, OFD Koblenz)

Dr. Markus Adick (Rechtsanwalt, Kanzlei Thomas Deckers Wehnert Elsner)

Podiumsdiskutanten:

Prof. Dr. Roman Seer (zugleich Moderation) (Direktor des Instituts für Steuerrecht und Steuervollzug, Lehrstuhl für Steuerrecht, Ruhr-Universität Bochum)

Dr. Volker Weinreich (Rechtsanwalt, Kanzlei Aulinger)

I. Einleitung

Nach einer Begrüßung und Vorstellung der Referenten und Podiumsdiskutanten erläutert Prof. Dr. Seer die Hintergründe für das heutige Thema. Erstmalig vor zwei Jahren hat das Kompetenzzentrum Steuerrecht der Ruhr-Universität Bochum (www.kompetenzzentrum-steuerrecht.de) in Kooperation mit der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. (www.wistev.de) ein Seminar zum Thema „Neuregelung der strafbefreienden Selbstanzeige (§§ 371, 378, 398a AO)“[1] ausgerichtet. Im Rahmen des heutigen Seminars sollen die Erfahrungen mit ebendiesen Regelungen kritisch gewürdigt werden.

Auch Dr. Szesny begrüßt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Namen der WisteV. Er freut sich ebenfalls über die Neuauflage des Gemeinschaftsseminars und sieht neuen Erkenntnissen für die Praxis gespannt entgegen.

II. Impulsreferat: Herrmann

Herr Herrmann eröffnet das Impulsreferat mit der Fragestellung: Die Neuregelung der Selbstanzeige – Gut gemeint, aber schlecht geworden? In diesem Zusammenhang weist Herr Herrmann ausdrücklich darauf hin, dass die folgenden von ihm aufgestellten Thesen ausschließlich seine Privatmeinung wiedergeben und nicht als Stellungnahme seiner Behörde oder seines Dienstherrn zu verstehen sind. Dies gelte auch für die anschließende Podiumsdiskussion.

Auf die zuvor von ihm aufgeworfene Frage bezugnehmend konstatiert Herr Herrmann, dass der Gesetzgeber vor allem die Umsatzsteuer wohl nicht im Blick gehabt habe. Insbesondere dieses Problemfeld wolle er im Folgenden näher beleuchten.

Anknüpfend an diese Einleitung stellt Herr Herrmann die alte und neue Rechtslage gegenüber und macht auf die besondere Bedeutung des Vollständigkeitsgebots sowie der Ausschließungsschwelle von mehr als 50.000 € aufmerksam. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der aktuelle Rechtszustand als eine Kombination von alten und neuen Regelungselementen mangels inhaltlicher Abstimmung zu unerwünschten Effekten führe. Dies manifestiere sich vor allem in den Selbstveranlagungssteuern.

Um dies zu veranschaulichen stellt Herr Herrmann einige Beispielsfälle vor, die sich inhaltlich mit der Thematik Umsatzsteuer und Selbstanzeige befassen.

Beispiel 1 – Verspätete Voranmeldungen: Bei Anmeldesteuern kann mit Ablauf des gesetzlichen Abgabetermins eine vollendete Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder Steuerverkürzung (§ 378 AO) vorliegen. Eine daraufhin verspätet abgegebene Voranmeldung kann eine Selbstanzeige nach § 371 AO darstellen, deren Wirksamkeit von den Restriktionen des neuen Rechts abhängt. Herr Herrmann zeigt auf, dass insbesondere das neue Vollständigkeitsgebot in § 371 I AO dazu führt, dass der „übliche Schlamper“, der die USt-VA für 01/12 erst in 03/12 und damit verspätet abgibt, nur dann eine wirksame Selbstanzeige abgeben kann, wenn er gleichzeitig auch die USt-VA 02/12 abgibt.

Beispiel 2 – Verspätete Jahreserklärung: Bei Anmeldesteuern kann auch für die Jahreserklärung mit Ablauf des gesetzlichen Abgabetermins (31.5. bzw. 31.12. des Folgejahres) eine vollendete Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder Steuerverkürzung (§ 378 AO) vorliegen. Hieran anknüpfend nimmt Herr Herrmann nun die verspätet eingereichte Jahreserklärung in den Blick. Diese könne auch nur dann eine wirksame Selbstanzeige sein, wenn auch gleichzeitig mit der Abgabe der verspäteten Jahreserklärung sämtliche ausstehenden USt-VA des laufenden Jahres richtiggestellt werden, was wiederum eine Folge des neuen Vollständigkeitsgebotes sei.

Beispiel 3 – Tatentdeckung bei verspäteten Voranmeldungen: Herr Herrmann nimmt nun den Aspekt der Tatentdeckung in den Blick und erörtert, dass eine für den VA-Zeitraum 01/12 abzugebende Anmeldung durch Übersendung eines Papierausdrucks der Liste offener Fälle an den Innendienst zur manuellen Prüfung ca. 3 Monate nach dem gesetzlichen Abgabetermin und nur wenige Tage nach erstmaliger maschineller Erinnerung entdeckt werden kann. Damit läge ein Ausschlussgrund für eine Selbstanzeige für die USt-VA 01/12 bereits vor.

Beispiel 4 – Berichtigung falscher Voranmeldungen in USt-VA 12: Herr Herrmann weist darauf hin, dass es angeblich Teil des Cash-Managements einiger Firmen sei, fehlerhafte Monatsanmeldungen in der 12. USt-VA des Jahres zu berichtigen. Dieses Vorgehen führe dazu, dass keine wirksame Selbstanzeige vorliegen könne. Vielmehr sei erforderlich, dass eine berichtigende Jahreserklärung oder die Berichtigungserklärungen der jeweils einzelnen USt-VA als Selbstanzeige eingereicht werde(n). Damit sei das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung im Gegensatz zur früheren Rechtslage erheblich gestiegen.

Beispiel 5 – Verhinderung der Rückkehr in die Steuerehrlichkeit: Ein weiterer problematischer Fall sei nach Ansicht Herrn Herrmanns der eines in den Jahren 2007-2011 Umsatzsteuer verkürzenden Unternehmers, für den für die Jahre 2007-2009 ein Steuerstrafverfahren eingeleitet wurde, jedoch keines für die Jahre 2010-2011. Will dieser Unternehmer nunmehr für die Zukunft ab 2012 in die Steuerehrlichkeit zurückkehren, kann er das wegen des Vollständigkeitsgebots wirksam nur tun, wenn er gleichzeitig auch die Jahreserklärungen 2007-2009 berichtigt. Im Ergebnis würde er sich damit einer Tat belasten (für die Jahre 2007-2009), für die eine Selbstanzeige wegen Tatentdeckung nicht wirksam wäre.

Beispiel 6 – Zu berichtigende Umsatzsteuer größer als 50.000 €: Im Rahmen des letzten Beispielsfalles macht Herr Herrmann auf den Ausschlussgrund des § 371 II Nr. 3 AO (neu) aufmerksam, der zunächst eine wirksame Selbstanzeige verhindert, aber den „Kauf“ eines Strafverfolgungshindernisses durch Zahlung eines 5 % Zuschlages zur hinterzogenen Steuer ermögliche. Hierbei gelte jedoch zu beachten, dass bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage das Kompensationsverbot zu berücksichtigen sei; bei einer Umsatzsteuer in Höhe von 3.000.000 €, einer Vorsteuer in Höhe von 2.900.000 € und einer Zahllast von 100.000 € betrage der Zuschlag damit 150.000 € (5 % von 3.000.000 €). Dem Stpfl. sei damit grundsätzlich ein Wahlrecht eröffnet, ob er das Verfahren über § 398a AO oder möglicherweise über § 153 ff. StPO beschreitet. Herr Herrmann schließt diesen letzten Beispielsfall mit einigen Hinweisen auf weitere Problemkreise, wobei vor allem die Ausgestaltung als strafrechtlicher Zuschlag, welcher von jedem Täter gezahlt werden muss, der das Strafverfolgungshindernis des § 398a AO erlangen möchte, hervorgehoben wurde.

Anknüpfend an diese die Defizite der Neuregelung verdeutlichenden Beispiele im Kontext der Umsatzsteuer geht Herr Herrmann auf statistische Zahlenwerte ein und zeigt das Verhältnis der gesamten U-Signale zur Verarbeitung säumiger Unternehmer und ausstehender Jahreserklärungen auf.

Herr Herrmann nimmt sodann die Auswirkungen der dargelegten Zahlenwerte auf die Verwaltung in den Blick und konstatiert, dass Fristverlängerungsanträge und Fallabgaben an die BuStra-Stellen stetig steigen. Er weist zugleich darauf hin, dass dies die Frage aufwirft, wer denn in diesen Verspätungs(massen)fällen den strafrechtlichen Gehalt prüft. Ebenso sei im jetzigen Verfahren der Streit um Vorsatz und Fahrlässigkeit vorprogrammiert.

Herr Herrmann schließt das Impulsreferat mit der Vorstellung von Lösungsmöglichkeiten. Genannt werden vor allem Gesetzesänderungen, die Auflösung des Deliktsverbundes, das Drehen am Kompensationsverbot für die USt, die Einordnung des Zuschlages nach § 398a AO als steuerliche Nebenleistung und insbesondere die von Herrn Herrmann als überzeugendsten Lösungsansatz eingestufte Entkriminalisierung der Abgabe verspäteter USt-VA hin zu bloßen Ordnungswidrigkeiten. Ziel, so Herr Herrmann, müsse es sein, die „bloße Schlamperei“ nicht mit dem scharfen Schwert des Strafrechts zu sanktionieren. Es wird sodann ein Alternativvorschlag analog der einkommensteuerrechtlichen Regelung des § 50e EStG seitens HerrnHerrmans befürwortet.

III. Impulsreferat: Dr. Adick

Dr. Adick stellt einleitend fest, dass er den Schwerpunkt seines Impulsreferats auf die steuerlichen Verfehlungen im Bereich der Unternehmen legen werde. Dies spiegle auch die Beratungspraxis wieder; die in den Medien prominent dargestellten Fälle von Kapitalertragsteuerhinterziehungen seien in der Regel weniger problematisch. Sodann gibt er einen Rückblick darauf, weshalb die Verschärfung in § 371 AO durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eingeführt wurde. Begonnen habe die Verschärfung mit der Entscheidung des BGH v. 20.05.2010 (Az. 1 StR 577/09). Der BGH habe dort die sog. Teilselbstanzeige abgeschafft um Steuerhinterziehern, die die Selbstanzeige-Regelung als Teil einer Hinterziehungsstrategie verstehen und in diesem Sinne stets nur sukzessive Beträge nacherklärten, die Straffreiheit versagen. Zugleich habe der BGH die Auslegung der Sperrgründe konkretisiert und die Norm dahingehend ausgelegt, dass ein Wettlauf des Steuerpflichtigen mit den Ermittlungsbehörden um die Rechtzeitigkeit der Selbstanzeige nicht honoriert werden könne. Das daraufhin eingeführte Schwarzgeldbekämpfungsgesetz habe die oben genannte Rechtsprechung zwar nicht in dieser Weite aufgenommen. Es ging aber auch hier darum, dass die Selbstanzeige nicht im Rahmen einer Hinterziehungsstrategie missbraucht werden dürfe. Das erklärte Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, systematische Steuerunehrlichkeit zu bekämpfen.

Dr. Adick stellt klar, dass steuerliche Verfehlungen im Unternehmen allerdings in aller Regel nicht das Ergebnis einer „Hinterziehungsstrategie“ seien. Vielmehr entstünden diese häufig aus Umständen, die Herr Herrmann bereits vorgetragen habe. Hier ließe sich wohl eher von Fahrlässigkeit, Leichtfertigkeit oder der unteren Grenze von vorsätzlichem Verhalten sprechen. Ebendiese Sachverhalte seien aber weder für den BGH noch für den Gesetzgeber der Impuls für eine Verschärfung der alten Regelung gewesen. Dr. Adick wirft die Frage auf, ob § 371 AO überhaupt das richtige Instrument dafür ist, steuerliche Verfehlungen im Unternehmen zu korrigieren? Er jedenfalls sei der Auffassung, dass dies aktuell nicht der Fall sei. Probleme träten immer wieder insbesondere bei Fragen der Vollständigkeit und den Sperrgründen auf. Aber auch § 398a AO sei nicht immer einfach in der Beratung zu handhaben.

Von Anfang an war das Gebot der Vollständigkeit ein großes Problem, so Dr. Adick. Anhand einer separaten Folie, die eine evident nicht dem Vollständigkeitsgebot des § 371 AO entsprechende Selbstanzeige zeigt, macht er hierauf aufmerksam. Mit Blick auf entsprechende Regelungen in anderen europäischen Rechtsordnungen sei dies aber nicht selbstverständlich. Dort würden dem gutgläubigen und in die Steuerehrlichkeit rückkehrungswilligen Bürger oft weniger hohe Hürden gesetzt. Nach der Auffassung von Dr. Adick sollten die Anforderungen jedenfalls nicht derart überzogen werden, dass die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit faktisch unmöglich gemacht würde. Bei Betriebssteuern stelle sich die Frage der Berichtigung vor allem hinsichtlich des Berichtigungsverbundes. Dr. Adick schildert ein Beispiel, in dem ein Unternehmen für einzelne Leistungen (z.B. Zahlungen in eine Pensionskasse) zu Unrecht keine Lohnsteuern abführt. Fraglich sei beispielsweise, ob eine Korrektur auch voraussetze, dass die Einkommensteuer des Arbeitnehmers berichtigt werde. Vorgelagert sei die Frage, ob eine Korrektur im Rahmen des § 153 AO – also der Berichtigung von Erklärungen – oder der Selbstanzeige des § 371 AO zu erfolgen habe. Sicherheitshalber müsse man dem Mandanten in aller Regel dazu raten, auch eine in Fällen undolosen Fehlverhaltens abzugebende Erklärung nach § 153 AO vorsorglich an den strengeren Maßstäben auszurichten, die § 371 AO verlangt. Verfährt man auf diesem Weg, sei allerdings die Konsequenz, dass man hiermit oft erst die BuStra auf sich aufmerksam mache. Die oben aufgeworfene Frage, ob auch die Einkommensteuer des Arbeitnehmers berichtigt werden müsse, sei jedenfalls negativ zu beantworten. Nur die betroffene Steuerart ein und desselben Steuerschuldners gehöre zum Berichtigungsverbund. In faktischer Hinsicht liege allerdings durchaus ein Berichtigungsverbund vor. Nähme man die Berichtigungen auf der Ebene des Unternehmens und – wie im oben aufgeführten Beispiel – des Arbeitnehmers zeitlich nachfolgend vor, wäre möglicherweise die Berichtigung für die Arbeitnehmer bereits gesperrt. Daher sei es wichtig, eine konzertierte Selbstanzeige abzugeben. Dies führe häufig zu Problemen, die beispielsweise darin bestünden, auch die individuellen Umstände eines jeden Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Möglicherweise seien die Arbeitnehmer aber auch nicht mehr für das Unternehmen tätig und daher nur schwer zu kontaktieren und/oder zur Kooperation zu bewegen. Auch sei in diesen Fällen stets das Risiko vorhanden, dass einzelne Arbeitnehmer unabgestimmt separat eine Selbstanzeige gegenüber dem Finanzamt abgeben könnten.

Ein weiterer wichtiger Punkt sei der Korrekturzeitraum. Die Offenlegung müsse für alle nicht verjährten Steuerstraftaten einer Steuerart erfolgen. Die Strafverfolgungsverjährung betrüge nach § 376 Abs. 1 AO bei schweren Fällen 10 Jahre. Dabei hätten sich die beteiligten Rechtsanwender mittlerweile mit der Alternative „großes Ausmaß“ (§ 376 Abs. 1 i.V.m. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO) arrangiert, auch wenn – berechtigterweise – Bestimmtheitsbedenken blieben. Fraglich sei, ob zusätzlich ein Handeln „aus grobem Eigennutz“ vorliegen müsse. Dr. Adick gibt einen kurzen Rückblick auf die bis zum 21.12.2007 geltende Regelung des § 370 Abs. 3 S. 2 AO, wonach dieses Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall additiv zum „großen Ausmaß“ habe erfüllt sein müssen. Nach einer Schilderung der bis dato anerkannten Auslegung kommt er zu dem Zwischenergebnis, dass dies bei steuerlichen Verfehlungen in Unternehmen an sich nie der Fall gewesen sei. Dies führte für Berater dazu, dass in solchen Situationen das Korrekturvolumen lediglich über einen Zeitraum von fünf und nicht von zehn Jahren habe berücksichtigt werden müssen. Ein weiterer Vorteil in der Praxis könne sein, dass eine Korrektur über einen Zeitraum von 5 Jahren weniger nach einer Selbstanzeige als mehr nach einer schlichten Korrektur aussehe.

Dr. Adick kommt sodann auf die für ihn überraschende Entscheidung des BGH v. 05.03.2013 (1 StR 73/13) zu sprechen. Danach sei allein maßgeblich, ob die Voraussetzungen von § 376 AO heute erfüllt seien. Ob die Voraussetzungen des besonders schweren Falls zum Zeitpunkt der Tatbegehung erfüllt gewesen gewesen seien, spiele keine Rolle. Es könne also der Fall eintreten, dass ein Zeitraum von 10 Jahren strafbefangen sei, obwohl im Zeitpunkt der ersten Tat das entsprechende Regelbeispiel noch nicht erfüllt gewesen ist. Der BGH tausche das Bezugsobjekt des § 376 AO aus, was Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Vorschrift wecke. In der Folge müsse die Beratungspraxis nunmehr den Korrekturzeitraum verlängern, was zu erheblichem Aufwand führen dürfte. Außerdem müsse der persönliche Schutzkreis der Selbstanzeigen ggf. auf ehemals im Unternehmen Verantwortliche erweitert werden. Schließlich sei nicht zu verkennen, dass eine Korrektur über einen Zeitraum von 10 Jahren eher als Selbstanzeige und nicht als bloße Korrektur nach § 153 AO verstanden würde.

Auch der Komplex der Sperrwirkung sei immens wichtig. Dr. Adick führt zunächst § 371 Abs. 2 Nr. 1 AO an, nach dem keine Straffreiheit eintritt, sobald eine zur Selbstanzeige gebrachte unverjährte Steuerstraftat von einem der aufgeführten Sperrgründe erfasst ist. In der Praxis komme zunehmend die Frage auf, ob auch Steuernachschauen einen Sperrgrund auslösen würden. Das entscheide sich an dem Tatbestandsmerkmal „steuerliche Prüfung“ in § 371 Abs. 2 Nr. 1 c AO. Problematisch seien vor allem die Umsatz- und Lohnsteuernachschauen. Diesen Steuerarten gemein sei, dass sie meistens zu einem hohen Verkürzungsvolumen führen würden. Nach der wohl überwiegenden Ansicht, so rezipiert Dr. Adick, müsste die steuerliche Nachschau als steuerliche Prüfung subsumiert werden. Die Vertreter dieser Auffassung stammten aber durchaus häufig aus den Reihen der Finanzverwaltung. Für diese Auslegung spreche jedenfalls, dass § 371 Abs. 2 Nr. 1 c AO ansonsten neben § 371 Abs. 2 Nr. 1 a AO überwiegend leer liefe. Ferner würde Rückgriff auf die Rechtsprechung des BGH v. 20.05.2010 (1 StR 577/09) genommen, nach der Sperrgründe grundsätzlich weit auszulegen seien. Nach der Auffassung von Dr. Adick wird an dieser Stelle deutlich, dass die Selbstanzeige inkonsequent ausgestaltet ist. Einerseits sei sie zwar politisch gewollt und vom Gesetzgeber verabschiedet; andererseits würde man die Anforderungen an ihre Wirksamkeit immer weiter erhöhen und es so Steuerpflichtigen erschweren, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Gegen die vorstehend genannte Auffassung führt Dr. Adick ins Feld, dass die Steuernachschau ohne förmliche Anordnung erfolgt und sie lediglich punktuellen Prüfungscharakter habe. Außerdem würde – folgte man der entgegengesetzten Auffassung – eine folgenschwere Infektionswirkung der Sperrgründe für Veranlagungszeiträume eintreten, die an sich nicht von der Nachschau erfasst sind. Der mit einer Nachschau auch beabsichtigte Impuls an den Steuerpflichtigen, sein steuerliches Erklärungsverhalten nochmals zu reflektieren, schlägt letztlich fehl. Denn auch wenn der Steuerpflichtige anlässlich einer Nachschau weiteren Korrekturbedarf erkenne, bestehe das Risiko, dass eine Korrektur als gesperrt angesehen werde.

Hinsichtlich des § 398a AO zeige sich in der Praxis aus der Sicht von Dr. Adick eine bedenkliche Entwicklung. Häufig würde „holzschnittartig“ mit dem Wortlaut argumentiert, wonach jeder Beteiligte 5 % zahlen müsste. Diese Auffassung leide an einem systematischen Widerspruch zum Rest des Selbstanzeigerechts. § 371 Abs. 3 AO mache die Wirksamkeit der Selbstanzeige davon abhängig, dass der Beteiligte „die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern nachentrichtet“. Dieses Merkmal müsse nach Dr. Adick auch in § 398a AO hineingelesen werden. Andernfalls käme es zu nicht sachgerechten Ergebnissen bei steuerlichen Verfehlungen in Unternehmen. Um dies zu bekräftigen schildert Dr. Adick das folgende Beispiel: Die Verantwortlichen der X-AG (3 Vorstände, Leiter Steuern, Leiter Rechnungswesen) erstatten auf anwaltlichen Rat Selbstanzeige für Verkürzungen von Umsatzsteuer, die den Anfangsverdacht bedingt vorsätzlichen Verhaltens begründen könnten. Verkürzt wurden 15 Mio. €. Bevor er die steuerstrafrechtliche Würdigung vornimmt, betont Dr. Adick, dass das Unternehmen selbstverständlich die bislang nicht abgeführten Steuern inkl. der angefallenen Zinsen nachzahlen müsse. Außerdem – und dies sei eine zunehmend zu beobachtende Tendenz – könne eine Geldbuße nach § 30 OWiG festgesetzt werden. Um bei Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Hinterziehungsbetrag 50.000 € übersteigt (§ 398a AO), gleichwohl einer Steuerstrafbarkeit zu entgehen, müsste im Zweifel jeder Verantwortliche 750.000 € bezahlen (5 % auf Nominalbetrag der verkürzten Steuern). Dies lasse die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen vollkommen außer Betracht. In der Regel könne ein Mitarbeiter eines Unternehmens einen solch immens hohen Betrag nicht bezahlen. Außerdem berücksichtige diese Lesart nicht die individuelle Verantwortlichkeit der Personen für die Ressorts im Unternehmen. Schließlich führt Dr. Adick einen systematischen Widerspruch zu § 153a StPO an. Diese Vorschrift berücksichtige nämlich sowohl wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beschuldigten als auch den individuellen Verschuldensgrad. Außerdem seien Strafrahmenverschiebungen und Strafmilderungsgründe bei der Zumessung der Geldauflage zu berücksichtigen.

Als letzten Punkt seines Impulsreferates geht Dr. Adick auf das Verhältnis zwischen § 30 OWiG und § 398a AO ein. Er wirft die Frage auf, ob die Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG ausgeschlossen ist, sofern das steuerstrafrechtliche Verfahren im Sinne des § 398a AO abgeschlossen wurde. Der Wortlaut von § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG „[…] aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden kann […]“ weise jedenfalls darauf hin. Dagegen wird angeführt, dass § 398a AO der Regelung in § 153a StPO nachempfunden ist. Dort fände allerdings kein Ausschluss statt. Folgerichtig gelte dies auch für § 398a AO. Aus der Sicht von Dr. Adick fehle diesem Ansatz aber die nötige Begründungstiefe. Mit Hunsmann (PStR 2013, 91, 93) sehe er § 398a AO als Strafverfolgungshindernis an, dessen Nichtvorliegen im gerichtlichen Verfahren als negative Sachurteilsvoraussetzung zu prüfen ist. Er schließt sich ferner der Auffassung von Reichling (NJW 2013, 2233, 2235) an, der, so Dr. Adick, als erstes pointiert formuliert habe, dass der Gesetzgeber nach einem abgeschlossenen Verfahren nach § 398a AO nicht noch die Festsetzung einer Geldbuße habe ermöglichen wollen. Vor dem Hintergrund des oben geschilderten Beispiels drohe in manchen Fällen ein „Bebußungsexzess“. Neben den Zinsen müsse jeder Tatbeteiligte für die Zwecke § 398a AO 5 % bezahlen. Hinzu kommt noch eine Geldbuße nach § 30 OWiG. Für eine Rechtsgutsverletzung würden auf diese Weise mehrere Rechtsträger „bebußt“ und so zu teils drastischen Strafen herangezogen. Dies widerspreche, so Dr. Adick, dem, was ansonsten im Strafrecht üblich und sinnvoll ist. Als letztes Argument führt Dr. Adick an, dass sich die Ähnlichkeiten zu § 153a StPO in Grenzen hielten. Ein gravierender Unterschied sei beispielsweise, dass die Behörde bei der Festsetzung der „5 %“ kein Ermessen habe und ferner kein Gericht beteiligt würde.

Dr. Adick schließt sein Impulsreferat mit der Darstellung des Nebeneinanders von § 398a AO und § 30 OWiG in Unternehmenssituationen, das durchaus zu Konfliktsituationen führen könne. Für Unternehmen sei § 398a AO günstiger, da hierdurch § 30 OWiG gesperrt würde. Für die individuell Verantwortlichen sei hingegen vermutlich in den meisten Fällen § 153a StPO günstiger, weil sie an dieser Stelle mit einer oft deutlich günstigeren Auflage als dem „5 %-Betrag“ aus § 398a AO zu rechnen haben.

IV. Diskussion

Die Podiumsdiskussion wird durch eine Frage aus dem Publikum zu einer von Herrn Herrmann im Zusammenhang mit § 398a AO angesprochenen Problematik, namentlich der Kumulierung des Strafzuschlages bei mehreren Beteiligten, eröffnet. In concreto wurde ein Fall mit 28 Beteiligten geschildert und die Möglichkeit in den Raum gestellt, nur für 2 Beteiligte Berichtigungserklärungen abzugeben und im Übrigen die Erklärung auch im Namen der 26 anderen Beteiligten (Stichwort: Innenvollmachten) abzugeben. Dr. Weinreich stuft dieses Vorgehen als durchaus problematisch und bisher ungelöst ein. Dr. Adick erweitert um den Aspekt, dass jedenfalls die Setzung einer Nachzahlungsfrist nicht unbedingt gegenüber sämtlichen Beteiligten erforderlich sei.

1. Reichweite der Selbstanzeige

Prof. Dr. Seer bittet anknüpfend an diese vorab eingeschobene Einzelfrage im Folgenden die Diskussion strukturiert zu gestalten und dabei insbesondere die in den Impulsreferaten angelegten Problemkreise zu diskutieren. Beginnen möchte er mit der Reichweite der Selbstanzeige als eine Art „steuerartübergreifende Lebensbeichte“. Prof. Dr. Seer eröffnet dieses Problemfeld mit dem Regelungsziel der Neuregelung aus dem Blickwinkel federführender Politiker. Jenes erschöpfe sich vor allem in der Reaktion auf spektakuläre mediale Einzelfälle und auf die Vermeidung einer Teilselbstanzeigen-Taktik. Im Grunde hält er dies für nachvollziehbar, da die gewünschte Straffreiheit auch nur dann zu rechtfertigen sei, wenn der Stpfl. sämtliche Vorgänge offenlegt. Prof. Dr. Seer stellt daraufhin die Frage zur Diskussion, wie die Bewertung der Neuregelung im Zusammenhang mit einkommensteuerrechtlichen Sachverhalten einzustufen sei.

Dr. Weinreich bekräftigt die Ausführungen in Ansehung der eingeschränkten Sichtweise des Gesetzgebers. Die medialen Einzelfälle entsprechen nicht der täglichen Wirklichkeit. Diese ist vor allem auch durch „schlichte Schlampereien“ geprägt und damit nicht zu vergleichen mit den Fällen, die der Gesetzgeber scheinbar überwiegend vor Augen hatte.

Prof. Dr. Seer wirft sodann die Frage in den Raum, ob es damit zutreffend sei, dass die Selbstanzeige hauptsächlich im Umfeld der Anmeldungssteuern Probleme aufwirft und im Kontext direkter Veranlagungssteuern wenig Problemfelder biete.

Herr Herrmann nimmt diesen Aspekt auf und weist darauf hin, dass auch im Zusammenhang mit Ertragsteuern durchaus Problempotential vorhanden sei. So seien z.B. ca. 50 % der Selbstanzeigen im Bereich der Ertragsteuern insbesondere aufgrund schlechter Bankbescheinigungen als unvollständige Selbstanzeige nicht wirksam. Aus dem Publikum wird daraufhin die Frage gestellt, wie die Ansicht der Finanzverwaltung zu solchen undolosen Selbstanzeigen (unbewusste Unvollständigkeit der Selbstanzeige) sei. Herr Herrmann erörtert, dass es eine undolose Selbstanzeige zwar geben könne, diese aber von einer sehr genauen Prüfung des Kenntnisstandes des Stpfl. abhängen würde.

Prof. Dr. Seer greift diesen Aspekt auf und fragt, wie in der Praxis die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit vorgenommen wird. Dr. Adick führt dazu kritisch aus, dass die Praxis primär auf die Höhe des hinterzogenen Betrages abstellt und auch die Strafkammern die Ansicht zugrunde legen, dass eine gewisse „steuerliche Allgemeinbildung“ in der Gesellschaft vorhanden sei, deren Verstoß den Vorsatz scheinbar indiziere. Prof. Dr. Seer wirft daraufhin die Frage auf, ob der Vorsatz damit im Ergebnis nicht ausgeblendet werde. Dr. Szesny konkretisiert die Frage, indem er sich direkt an Herrn Herrmann mit dem Einschub wendet, wie die Finanzbehörden den subjektiven Tatbestand sehen. Herr Herrmann stimmt den Einschätzungen im Ergebnis zu und merkt an, dass die Finanzgerichte den subjektiven Tatbestand mehr mit einbeziehen als die Strafgerichte. Prof. Dr. Seer zeigt sich dieser Anmerkung Herrn Herrmanns gegenüber erstaunt und fragt nach einem Grund für diese abweichende Prüfungsdichte. Herr Dr. Weinreich merkt an, dass es wohl an der unterschiedlichen Fallstruktur beider Gerichte liegen könnte; die überwiegenden Fälle bei den Strafgerichten seien Alltagsfälle ohne derartige Vorsatzprobleme.

Aus dem Publikum wird daraufhin die Frage gestellt, was im Rahmen einer Selbstanzeige z.B. im Falle eines Schweizer Bankkontos vorgetragen werden müsse, wem die Ermittlungen obliegen, und was genau aus den oftmals schwer verständlichen Bankauszügen steuerrechtlich zu schlussfolgern sei. Dr. Weinreich schlägt einen entsprechenden Sicherheitszuschlag als Lösung für das dargebotene Problem vor. Prof. Dr. Seer greift den aus dem Publikum vorgetragenen Aspekt auf und konkretisiert die Fragestellung dahingehend, ob es ausreichend sei, alle Bankdokumente bei den Finanzbehörden abzuliefern oder ob ein mehr des Stpfl. erforderlich sei. Herr Herrmann zieht vergleichend die Jahreserklärung heran, in der ebenfalls eine eindeutige Einordnung dem Grunde und der Höhe nach erforderlich sei. Das gesamte Material allein in Form sämtlicher Bankdaten reiche damit grundsätzlich nicht aus. Diese Arbeit obliege weiterhin dem jeweiligen Stpfl. und könne nicht auf die Finanzbehörden abgewälzt werden. Aus dem Publikum wird anschließend die Frage an Herrn Herrmann gerichtet, wie genau die Finanzbehörden die Bankunterlagen (Erträgnisaufstellungen, Depotauszüge) überhaupt auf ihre zutreffende Umsetzung im Rahmen einer Selbstanzeige überprüfen. Herr Herrmann führt aus, dass dies jedenfalls geprüft werde. Jedoch seien v.a. die Erträgnisaufstellungen oftmals nur schwer zu beurteilen, so dass die Prüfung der Depotauszüge in den Fokus rücken würde. Allerdings sei auch insoweit keine Prüfung auf die „zweite Kommastelle“ möglich.

Aus dem Publikum wird der Fall eines Erben vorgetragen, der zwei Jahre nach Anfall der Erbschaft die Steuerhinterziehung des Erblassers entdeckt und erst zu diesem Zeitpunkt sämtliche betreffende Bankunterlagen an die Finanzbehörden schickt. Herr Herrmann konstatiert, dass es auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Erben ankommt. Aus dem Publikum wird ergänzend zur Frage gestellt, was die Finanzbehörden in derartigen Fällen an Präzision für die erste Selbstanzeige verlangen. Herr Herrmann greift diesen Aspekt erneut auf und führt aus, dass zumindest eine zu beziffernde Summe erforderlich sei, da es sich sonst lediglich um eine bloße Ankündigung einer Selbstanzeige handele. Prof. Dr. Seer merkt an, dass im Gesetz lediglich die Vollständigkeit stehe, von der Angabe einer Zahl sei keine Rede.

Prof. Dr. Seer erweitert die Diskussion daraufhin um den Aspekt einer informellen Kontaktaufnahme im Vorfeld einer Selbstanzeige und fragt nach dem Vorgehen der Beraterschaft in solchen Fällen. Aus dem Publikum wird angemerkt, dass ein derartiges Vorgehen mit einigem Risiko verbunden sei, da es insoweit keine einheitliche Linie der Finanzbehörden zum Umgang hiermit gebe. Ergänzend wird seitens Dr. Szesny darauf hingewiesen, dass das vorab Zugesagte oftmals nicht justiziabel sei. Von einer Vorgehensweise über eine informelle (Vorab-) Absprache rate er daher aufgrund der ihr innewohnenden geringen Verlässlichkeit ab. Herr Herrmann merkt an, dass die in den Ländern unterschiedliche Organisation bei der Bearbeitung der Selbstanzeigen entscheidend sei. Nicht in allen Ländern seien spezielle Zuständigkeiten für die Selbstanzeigenbearbeitung eingerichtet worden, so dass sich in Spezialteams besonderes Wissen ansammele. Eine Zusage der Veranlagungsstelle sei weniger sicher als die eines entsprechend ausgebildeten Spezialteams, weil man in der Veranlagung die steuerstrafrechtlichen Besonderheiten oftmals nicht überblicke.

2. Selbstanzeige und Umsatzsteuer

Prof. Dr. Seer leitet anschließend zu den Aspekten der Umsatzsteuer über und nimmt hierbei Bezug auf die verschiedenen Illustrationen von Herrn Herrmann. Wie Herr Herrmann bereits in seinem Impulsreferat habe anklingen lassen, sei in nächster Zeit leider nicht mit einer Entpönalisierung von steuerlichen Verfehlungen im Bereich der Umsatzsteuer zu rechnen. Er, Herr Herrmann, habe die Hoffnungen von Prof. Dr. Seer enttäuscht, die Maßgabe der Vollständigkeit erst auf die Jahreserklärung und nicht bereits auf jede Voranmeldung zu beziehen. In einem Massengeschäft wie der Umsatzsteuer könne ferner nur schlechterdings der Vorsatz begründet werden, wenn beispielsweise ein einzelner, möglicherweise grenzüberschreitender, Geschäftsvorfall nicht korrekt in der Voranmeldung erfasst ist. Beinahe absurd sei es, sogar bei der verspäteten Abgabe von Voranmeldungen in die Gefahr einer Strafbarkeit zu kommen. Eine solche Pönalisierung verhindere letztlich auch compliantes Verhalten. An dieser Stelle würde sich auch die Frage stellen, ob die geltende Regelung von § 370 AO unter einem strukturellen Vollzugsdefizit leide. Nach den beiden hierzu vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ergangenen Entscheidungen wirke ein solches auf die betroffene Norm zurück und führe schließlich zu ihrer Verfassungswidrigkeit. Wenn im Rahmen des Vollzugs von § 370 AO aufgrund von personellen Kapazitätsgrenzen nicht mehr den tragenden strafrechtlichen Prinzipien Rechnung getragen werde und es so zu einer Massenpönalisierung komme, bewege sich die Norm in die Richtung einer Verfassungswidrigkeit. In umgekehrter Hinsicht stehe selbstverständlich die Frage im Raum, ob diejenigen, die tatsächlich Steuern hinterziehen, vom Vollzug erfasst werden oder diesem entgehen. Für den ersten Fall bedürfe es wohl des Ventils des § 371 AO um einer Verfassungswidrigkeit zu entgehen. Die Regelung über die Selbstanzeige müsste dann aber so breit gefasst sein, dass sie auch die Massenfälle von Umsatz- und Lohnsteuer erfassen kann. Auch wenn das BVerfG das Institut des „strukturellen Vollzugsdefizits“ bislang nur auf materielle Steuernormen angewendet hat, müsste es nach der Auffassung von Prof. Dr. Seer wohl bei Regelungen des Strafrechts erst recht gelten. Diesen Aspekt vermisse er in der aktuellen Diskussion. Prof. Dr. Seer schildert aus einer gemeinsamen Begegnung mit dem ehemaligen Vorsitzenden des ersten Strafsenats, dass die Strafrichter wohl nie die Fälle des normalen umsatzsteuerlichen Massenverfahrens vor Augen hätten. Vielmehr dächten diese an Umsatzsteuerkarusselle, Zigarettenschmuggel usw. Dies zeige einmal mehr, dass die Steuerstrafrichter oft nicht das nötige Verständnis für das formelle und materielle Steuerrecht hätten. Letztlich könnten solcherart Unzulänglichkeiten des deutschen Straf- und Steuerrechts auch zu Standortfragen führen.

3. Selbstanzeige und Tax Compliance

Fraglich sei, inwiefern in Zukunft komplexe Compliance-Strukturen dabei helfen könnten, sich angesichts einer möglichen Strafverfolgung zu exkulpieren. Dr. Adick kann aus der Beratungspraxis berichten, dass in den Unternehmen ein sehr großes Bedürfnis nach Compliance-Strukturen vorhanden ist. Im Ergebnis seien die Unternehmen an Rechtssicherheit interessiert und wollten hierfür auch investieren. Die Umsetzung erfolge meistenteils auf der Basis von EDV-Systemen, die verschiedene Bereiche miteinander verbinden und bei Auffälligkeiten Meldung machen. Es sei aber nicht zu erwarten, dass durch eine entsprechende Dokumentation dieses Vorgangs per se der Vorsatz bei den zuständigen Personen hinsichtlich etwaiger Steuerstraftaten verneint würde. Die Ergebnisse der Dokumentation müssten sich aber gemeinsam mit verschiedenen Zuständigkeitsabgrenzungen der Mitarbeiter dahingehend auswirken, dass nur noch für das jeweilige Ressort bestraft werden könne. Eine Stimme aus dem Publikum bestätigt die Auffassung von Dr. Adick. Danach beschränke sich Tax Compliance bisher allerdings vielfach darauf, die steuerlichen Pflichten nicht nur zu erfüllen sondern dies auch zu dokumentieren. Teils wird dies flankiert durch Prozesse, die beispielsweise gegenseitiges Quittieren vorsehen. Wirkungsvoll sei es, wie es Dr. Adick auch schon angeführt habe, Stellenbeschreibungen vorzunehmen. Auf diese Weise könne auch nachgehalten werden, wer für welchen Bereich/welche Gesellschaft welche Zeichnungsrechte inne hatte. All dies schaffe für den steuerlichen Berater Argumentationspotential, um den Vorsatz entfallen zu lassen. Prof. Dr. Seer fragt zurück, ob es angesichts dieser Ausführungen ratsam ist, prophylaktisch eine Compliance-Struktur zu etablieren, die aufzeigt, dass der Geschäftsleiter alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um Fehler zu vermeiden. Wenn gleichwohl ein Fehler gemacht würde, sei dies jedenfalls nicht strafrechtlich relevant. Die Stimme aus dem Publikum stimmt dem zu. Eine Compliance-Struktur regele nicht nur beispielsweise die Zuständigkeit der Steuerabteilung für die korrekte Bearbeitung von Steuersachen, sondern trägt auch dafür Sorge, dass ebendiese Bearbeitung in korrekter Form überwacht werde. Dies geschehe durch entsprechende Prozesse auf deren Grundlage sich ein Geschäftsleiter möglicherweise exkulpieren kann. Die gesamte Entwicklung auf diesem Gebiet stehe aber noch am Anfang.

Dr. Rübenstahl übt Kritik daran, dass regelmäßig nicht gegen die im Unternehmen sachlich Verantwortlichen sondern direkt gegen die Unternehmensleiter (Vorstände, Geschäftsführer) steuerstrafrechtlich ermittelt würde. Dies geschehe auch in Fällen, in denen erkennbar nicht die Unternehmensleitung für die Verfehlung verantwortlich ist. Die Ermittlungsbehörden sollten sich darüber im Klaren sein, welche faktischen Folgen das Bekanntwerden eines Ermittlungsverfahrens gegen die Unternehmensleitung haben kann. Diese Reflektion fände nur allzu selten statt. Herr Herrmann repliziert darauf, dass das Steuerstrafrecht seiner Wahrnehmung nach bei Unternehmensjuristen eher stiefmütterlich behandelt werde. Außerdem seien zu Beginn eines steuerlichen Ermittlungsverfahrens nie die zuständigen Mitarbeiter eines Unternehmens bekannt. Erst im Verlauf eines solchen Verfahrens ergäben sich für die Ermittlungsbehörden die jeweiligen Unternehmensstrukturen anhand derer die tatsächlich Verantwortlichen ausgemacht werden können. Daher bliebe zunächst nichts anderes übrig, als gegen die Unternehmensleitung zu ermitteln. Darüber hinaus hat Herr Herrmann immer wieder feststellen müssen, dass es in den Unternehmen an der nötigen Sensibilisierung für steuerstrafrechtliche Belange fehlt. Dr. Adick kann diese weitgehende These von Herrn Herrmann nicht nachvollziehen; seiner Ansicht nach mangele es nicht an einer fehlenden Sensibilisierung. Oft sei in den Unternehmen aber in dieser Hinsicht die Kommunikation zwischen Steuer- und Rechtsabteilung verbesserungsbedürftig. Dr. Rübenstahl stimmt dem grundsätzlich zu. Der alte Steuerfahrensmann denke grundsätzlich in Zahlen, die ein steuerliches Risiko ausdrücken. Kategorien von Vorsatz und Fahrlässigkeit und die damit zusammenhängenden steuerstrafrechtlichen Aspekte blieben oft auf der Strecke. Ferner anerkennt er, dass in der Praxis das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Unternehmensleitung eingeleitet werden müsse. Seiner Erfahrung nach fehle es aber im Zuge dieses Verfahrens an der Bereitschaft der Ermittlungsbehörde, vom Anfangsverdacht in Bezug auf die Unternehmensleitung überzugehen auf die sachlich Verantwortlichen. Auch ein konkreter Sachvortrag ändere daran nichts. Er kritisiert weiter, dass die Ermittlungsbehörden dann lieber in Gänze von der weiteren Verfolgung Abstand nehmen als die Ermittlung auf die tatsächlich Verantwortlichen auszudehnen und zu intensivieren.

4. Rechtscharakter und Natur von § 398a AO

Prof. Dr. Seer leitet sodann über zu Rechtscharakter und Natur von § 398a AO. Die Grundidee ebendieser Vorschrift sei der penalty. Dieses Instrument stamme an sich aus einem Entpönalisierungssystem. Einem solchen System sei u.a. inhärent, dass steuerliche Verfehlungen „teuer gemacht“ würden, ohne dass der Unternehmensleiter unmittelbar steuerstrafrechtliche Sanktionen zu befürchten habe. Die Idee des Gesetzgebers sei wohl, so Prof. Dr. Seer, dass derjenige, der mittels einer Selbstanzeige nicht mehr strafbar wird, zwar nicht strafrechtlich verfolgt würde, aber wenigstens zahlen müsse. Es stelle sich die Frage, was § 398a AO letztlich ist: persönlicher Strafaufhebungsgrund oder penalty mit der Folge, dass die Regelung an sich im vorderen Teil der AO hätte verortet werden müssen. Dies sei auch wichtig für die Frage der „Mehrfachzahlung“. Dr. Weinreich weist auf die Entstehungsgeschichte zu § 398a AO hin. Im Zuge der Neufassung von § 371 AO und der Einführung von § 398a AO sei sogar darüber angedacht worden, die Selbstanzeige in toto abzuschaffen. Schließlich sollte diese Möglichkeit für „den kleinen Mann“ aber gangbar bleiben. Wenn aber auch den Unternehmen des Privileg der Selbstanzeige zu Teil würde, dann – so der vermeintliche Wille des Gesetzgebers – sollten diese wenigstens in finanzieller Hinsicht für den entstandenen Schaden einstehen. Im Gesetzgebungsverfahren habe sich vermutlich niemand gefragt, ob es zu Fällen kommt, in denen verschiedene Beteiligte den „5 %-Betrag“ mehrfach zahlen müssen. Seinem Wesen nach sei § 398a AO wohl eher als steuerliche Nebenleistung intendiert gewesen.

Dr. Weinreich ist weiter der Auffassung, dass eine Gleichsetzung von § 153a StPO und § 398a AO nicht statthaft ist. Dafür spreche schon, dass § 398a AO einen Pauschalbetrag fordere. Anders als bei § 153a StPO entschieden weder Richter noch Staatsanwalt über die genaue Höhe des zu zahlenden Betrages. Die pauschale Größe von 5 % führe zu teils absurden Zahlungslasten, was man an Fällen mit hoher Bemessungsgrundlage, wie häufig in der Umsatzsteuer, bemerken könne. Eine weitere offene Frage sei, welchen Rechtsweg der betroffene Steuerpflichtige wählen müsse, um gegen eine „Anordnung“ nach § 398a AO vorzugehen. Auch nach der Ansicht von Dr. Adick habe § 398a AO keinen strafrechtlichen Charakter; die Norm beinhalte vielmehr eine steuerliche Nebenleistung. Dies bestätige auch der Wortlaut nach dem „von der Strafverfolgung abgesehen“ wird; eine Straffreiheit sei dies freilich nicht. Auch ihm ist nicht klar, wie der Steuerpflichtige in diesen Fällen die nötige Rechtssicherheit erlangt. Ob das „Absehen von Strafverfolgung“ lediglich durch eine Verfügung der Ermittlungsbehörde dokumentiert wird oder dem Steuerpflichtigen mit Außenwirkung mitgeteilt wird, ist Dr. Adick für den Moment ebenso ungewiss. Eine von dogmatischen Widersprüchen freie Lösung wäre es gewesen, den Hinterziehungszins auf 10 % festzusetzen.

Herr Herrmann setzt an dieser Stelle ein und schildert seine Erfahrungen aus der Sitzung des Finanzausschusses, in der der entsprechende Gesetzesentwurf beraten wurde. Ein plakatives, aber letztlich falsches Argument war es, dass derjenige, der – ohne eine Steuerhinterziehung zu begehen – Steuern zu entrichten habe, ihm hierfür aber die finanziellen Mitteln fehlen, insgesamt 12 % p.a. zahlen müsse. Derjenige hingegen, der Steuern hinterzogen hat, müsse hingegen nur 6 % p.a. zahlen. Dies habe im Gesetzgebungsverfahren Widerstand gefunden. Daher sei § 398a AO in das Gesetz gekommen. Aktuell würde die Vorschrift täterbezogen und nicht tatbezogen ausgelegt werden mit der Folge, dass alle Beteiligten zahlen müssten. Eine Klarstellung hin zu einer tatbezogenen Auslegung wäre aus der Sicht von Herrn Herrmann gesetzgebungstechnisch leicht umsetzbar. Damit einher ginge die Kodifikation in Form einer steuerlichen Nebenleistung, womit beim Gesetzgebungsverfahren der Bundesrat beteiligt werden müsse.

Dr. Borggräfe weist auf den Wortlaut von § 398a Nr. 1 AO hin. Seiner Auffassung nach lässt sich aus einer Zusammenschau der dort normierten Tatbestandsmerkmale schließen, dass Täter nur eine Person sein könne. U.a. führt er an, dass die hinterzogenen Steuern auch nur einmal entrichtet werden könnten. Herr Herrmann weist dagegen auf den davorstehenden Halbsatz hin, in dem es heißt „der Täter“. Dies wiederum könnten mehrere Personen sein, die dieselbe Steuer hinterzogen haben. Nach Dr. Borggräfe könne es aber trotzdem nur einmaldie hinterzogene Steuer geben, worin Herr Herrmann eine weitere Ungenauigkeit im Gesetzestext erkennt, die allerdings nicht allein steht. Er weist daher ferner auf den Fall des GmbH-Geschäftsführers hin, der zu seinen Gunsten überhaupt keine Steuer hinterziehen würde. Noch deutlicher werde dies beim sog. Fremdgeschäftsführer. Unklar ist anhand des Wortlauts das weitere strafrechtliche Schicksal des Geschäftsführers, für den die GmbH den Zuschlag auf die hinterzogene Steuer zahlt.

Prof. Dr. Seer zieht ein Zwischenfazit. § 398a AO sei offenbar „mit heißer Nadel“ gestrickt worden. Der Gesetzgeber habe wohl nicht eine Multiplikation in der Form gewollt, dass alle Beteiligten den „5 %“ Betrag bezahlen müssten. Mit § 398a AO sollte schlicht eine Verteuerung eingeführt werden. Vor dem Hintergrund des Wortlauts und des Sachzusammenhangs könne man aber auch eine andere Auffassung vertreten. Dr. Weinreich ergänzt schließlich, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der Vorschrift vermutlich nur den Einzelsteuerstraftäter vor Augen gehabt habe. An Fallgestaltungen mit Unternehmensbezug habe vermutlich niemand gedacht.

V. Schlusswort und Ausblick

Prof. Dr. Seer ist gespannt, wie sich der Bereich des Steuerstrafrechts in Zukunft weiterentwickeln wird. Trotz vieler Ungenauigkeiten, von denen einige heute thematisiert wurden, müsse sich die Praxis wohl mit den geltenden Regelungen arrangieren. Er sehe aktuell weder eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen eines möglichen strukturellen Vollzugsdefizits oder des Bestimmtheitsgebots noch einen Vorstoß des Gesetzgebers. Er bedankt sich im Namen des Kompetenzzentrums Steuerrecht und der WisteV bei den Referenten, den Podiumsdiskutanten und allen anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung.

Zukünftige Termine des Bochumer Steuerseminars finden Sie unter www.kompetenzzentrum-steuerrecht.de im Bereich Forschungsinstitut/Bochumer Steuerseminar.

[1] 109. Bochumer Steuerseminar v. 9.12.2011; Protokoll abrufbar auf den Webseiten des Kompetenzzentrums Steuerrecht und der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V. (http://www.fachanwalt-fuer-steuerrecht.de). Außerdem erschienen in der WiJ (Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung, www.wi-j.de).

Autorinnen und Autoren

  • Dominik Wedel
    Dipl. Finanzwirt (FH), Dipl.-Jurist (Ruhr-Universität Bochum) Dominik Wedel ist seit Abschluss seines Studiums der Rechtswissenschaften im Jahr 2013 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Steuerrecht von Professor Dr. Roman Seer an der Ruhr-Universität Bochum tätig. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Steuerverfahrensrecht.
  • Alexander Witfeld
    Dipl.-Jurist Alexander Witfeld arbeitet seit 2012 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Steuerrecht von Professor Dr. Roman Seer an der Ruhr-Universität Bochum. Er betreut dort den Weiterbildenden Studiengang Wirtschafts- und Steuerrecht. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Umsatzsteuerinsolvenzrecht.

WiJ

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Internationales Strafrecht, EU, Rechtshilfe, Auslandsbezüge

  • Dr. Mayeul Hièramente

    Svenja Jutta Luise Karl, Die Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen. Kritik und Verbesserungsvorschläge unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens.

  • Eva Racky

    Die Besetzungsprüfung

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)