Selbstanzeige 3.0? – Der Entwurf des BMF eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung vom 27.8.2014 und der Regierungsentwurf vom 24.9.2014
Nur drei Jahre nach der letzten Reform der strafbefreienden Selbstanzeige durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz kündigen sich die nächsten Änderungen an. Der am 27. August 2014 vorgelegte Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums (BMF) lässt kaum eine Idee aus 2011 unangetastet. Dieser Aktionismus ist nicht allein mit den – zweifellos vorhandenen – Mängeln des nun geltenden Rechts zu erklären, sondern auch mit einem (erneuten) Wandel rechtspolitischer Vorstellungen und einer weiterhin aufgeheizten Stimmung des massenmedial geprägten Zeitgeistes. Der Regierungsentwurf vom 24. September 2014 enthält einige lobenswerte Einschränkungen der Reichweite der Sperrgründe und sieht von einer Ausweitung der Strafverfolgungsverjährung ab, behält ansonsten aber die verschärfende Tendenz des Referentenentwurfs bei.
I. Hintergrund und Ziele des Entwurfs
Bereits am 27. März 2014 hatten die Finanzminister von Bund und Ländern im Rahmen der Finanzministerkonferenz vereinbart, dass die strafbefreiende Selbstanzeige zwar einerseits erhalten bleiben solle, andererseits aber deren Regelungen verschärft werden müssten. Insbesondere die Voraussetzungen des Absehens von der Strafverfolgung gemäß § 398 a AO in Fällen der Steuerhinterziehung großen Ausmaßes sollten erschwert werden. Die Zuzahlungspflicht des § 398 a AO sollte sich auf einen nach der Höhe der Hinterziehungsbeträge gestaffelten, erhöhten Prozentsatz des Hinterziehungsbetrages beziehen. Für die Strafverfolgungsverjährung sollte auch bezüglich des Grundtatbestands der Steuerhinterziehung die Verjährungsfrist des § 376 AO (zehn Jahre) gelten, die bisher nur auf die Fallgruppen der besonders schwere Fälle gemäß § 370 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 5 AO anwendbar war, mit der Folge dass der Berichtigungszeitraum des § 371 Abs. 1 AO entsprechend verlängert werden würde.[1] Dem Beschluss der Finanzministerkonferenz lag eine Diskussion zu Grunde, die durch das Bekanntwerden einiger prominenter Fälle entflammt war und in der Forderung gipfelte, die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige ganz aus dem Gesetz zu streichen.[2]
In der Praxis hatte sich unterdessen herausgestellt, dass die Selbstanzeige in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes – insbesondere das Vollständigkeitsgebot bezüglich des (zeitlichen) Berichtigungsverbandes und die Abschaffung der Teilselbstanzeige – zu erheblichen Komplikationen bei der Berichtigung von Lohnsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuervoranmeldungen im Unternehmensbereich führte. Der Gesetzgeber hatte 2011 wohl nur „CD-Fälle“/“Schweizer Konten-Fälle“ und somit die Verkürzung von Kapitalerträgen, sowie die mit diesen Konten im Zusammenhang stehenden Schenkungs- und Vererbungsvorgänge vor Augen. Dies hatte zur Folge, dass faktisch durch eine Änderung der AStBV zum 30. Oktober 2012[3] die Geltung des § 371 Abs. 1 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetz teilweise faktisch – durch die Anordnung einer erhöhten strafrechtlichen Aufgriffsschwelle – „abbedungen“ werden musste, was unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten keine dauerhaft akzeptable Lösung sein konnte.[4]
Der vorliegende Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums (BMF) stellt sich in weiten Teilen als Umsetzung der Beschlusslage der Finanzministerkonferenz dar. Er macht einführend ausdrücklich geltend, dass zur konsequenten Bekämpfung der Steuerhinterziehung die Regelungen der strafbefreienden Selbstanzeige und zum Absehen von Verfolgung im Besonderen verschärft werden sollen.[5] Das BMF rechnet zudem mit mittelfristigen Mehreinnahmen für die Haushalte der Bundesländer in einer Größenordnung von 15 Millionen Euro jährlich durch die Erhöhung des Zuschlags gemäß § 398 a AO-E.[6]
Über den Inhalt der Beschlüsse der Finanzministerkonferenz hinausgehend versucht der Referentenentwurf jedoch auch, den oben erwähnten Praxisproblemen im Zusammenhang mit der Korrektur unrichtiger Lohnsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuervoranmeldungen durch eine Wiedereinführung der Teilselbstanzeige für diese Art der Steuererklärungen abzuhelfen (vgl. § 371 Abs. 2a AO-E). Interessanterweise wird dies in der Einführung des Entwurfs nicht thematisiert.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24. September 2014 behält diese wünschenswerte Änderung bei. Er sieht zudem im Unterschied zum Referentenentwurf von der Verlängerung der Verjährungsfrist ab und schränkt die Reichweite einiger Sperrgründe ein.[7]
II. Auf 10 Jahre erweitertes Vollständigkeitsgebot (§ 371 Abs. 1 AO-E)
Nach dem Regierungsentwurf vom 24.9.2014 soll § 371 Abs. 1 AO-E wie folgt neu gefasst werden:
„Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft. Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen.“
Die vorgesehene Änderung sieht – wie bisher – vor, dass Angaben zu allen strafrechtlich unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang zu berichtigen sind. Die Änderung liegt darin, dass die Selbstanzeige – unabhängig von der Verfolgungsverjährung – immer zu mindestens zu allen Steuerstraftaten innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre vollständig erfolgen muss, auch wenn die Strafverfolgungsverjährung gem. § 370 Abs. 1 AO nur fünf Jahre beträgt. Die Einführung einer „festen fiktiven Frist“ von zehn Jahren gem. § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E soll das Erfordernis der Schätzung im Besteuerungsverfahren vermeiden und sei aus Gründen der Rechtsklarheit erforderlich.[8]
Der Referentenentwurf vom 27.8.2014 sah hingegen noch eine allgemeine Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung vor: Ohne dass sich der Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO auf der Basis des Entwurfs ändern sollte, hätte danach eine Selbstanzeige ab dem 1. Januar 2015 erhöhte Vollständigkeitserfordernisse erfüllen müssen, da nach § 371 Abs. 1 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes eine Korrektur „zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart“ – gemeint ist die Strafverfolgungsverjährung im Sinne der §§ 78 ff. StGB, 376 AO in der geltenden Fassung[9] – erforderlich ist. Der Referentenentwurf sah nämlich eine allgemeine Verlängerung der hier gemeinten Strafverfolgungsverjährungsfrist vor. Nach dem Referentenentwurf sollte § 376 Abs. 1 AO-E dergestalt neu gefasst werden, dass die Verjährungsfrist in Fällen der Steuerhinterziehung nach § 370 AO stets zehn Jahre beträgt.[10] Derzeit – und nach dem Regierungsentwurf – gilt die zehnjährige Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO hingegen nur für die in den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AO genannten Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung. Nach der herrschenden Rechtsprechung ist hierfür das Vorliegen der Regelbeispiele maßgeblich, unabhängig davon, ob im Ergebnis für die Tat – nach dem zur Tatzeit geltenden Recht – ein besonders schwerer Fall vorlag.[11] Nach dem Referentenentwurf sollten in diese Strafverfolgungsverjährungsfrist von zehn Jahren auch alle anderen Fälle der Steuerhinterziehung unabhängig von der Verwirklichung eines Regelbeispiels einbezogen sein. Dies wird durch den Regierungsentwurf vom 24.9.2014 zu Recht zumindest im Grundsatz korrigiert, als für die Straffreiheit gem. § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E zwar noch eine Selbstanzeige über die letzten 10 Kalenderjahre verlangt wird, aber keine allgemeine Verlängerung der Verjährungsfrist der einfachen Steuerhinterziehung auf 10 Jahre in § 376 AO vorgesehen ist. Der im Referentenentwurf vorgesehene § 376 AO-E entfällt danach, weshalb es für Fälle der einfachen Steuerhinterziehung weiterhin bei der 5-jährigen Strafverfolgungsverjährung nach den allgemeinen Regelungen bleibt.
Hintergrund der im Referentenentwurf vorgesehenen Änderung war Folgendes:
Schon jetzt ist die Finanzverwaltung wegen der steuerlichen Festsetzungsverjährungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 2 AO steuerverfahrensrechtlich – nicht strafverfahrensrechtlich – gehalten, in Fällen der Steuerhinterziehung stets die anfallenden Steuern für einen Zehnjahreszeitraum zu ermitteln. Insofern besteht aber für die Finanzverwaltung das Problem, dass der Steuerpflichtige derzeit im Rahmen der Selbstanzeige, wenn keine Regelbeispiele gemäß § 371 Abs. 3 Satz 2 AO vorliegen – oder in einem anschließenden Steuerstrafverfahren als Beschuldigter – strafrechtlich bzw. strafprozessual nicht gehalten ist, zu diesen Altjahren Angaben zu machen hat. Daraus resultiert häufig das Erfordernis, bezüglich der Altjahre im Besteuerungsverfahren eine Schätzung vorzunehmen (§ 162 AO).[12]
Der Referentenentwurf zielte auf einen Gleichklang mit der Festsetzungsverjährungsfrist auch in Fällen von einfacher Steuerhinterziehung ab.[13] So werde der Ermittlungsaufwand der Finanzverwaltung verringert: Denn in Fällen der Selbstanzeige reduziere sich der Ermittlungsaufwand im Besteuerungsverfahren, da zum Zwecke der Strafbefreiung bereits eine Deklaration über zehn Jahre nötig sei, mithin die für die Zwecke des Besteuerungsverfahrens unter Steuerstrafverfahrens verwertbare Sachverhaltsermittlung bereits durch den Steuerpflichtigen selbst geleistet werde.[14] Das BMF sah zwar, dass im Steuerstrafverfahren – insbesondere soweit eben gerade keine Selbstanzeige erfolgt[15] – aufgrund der verlängerten Verjährungsfrist ein höherer Ermittlungsaufwand entsteht, nahm dies jedoch in Kauf.[16] Soweit eine Selbstanzeige über einen Zehnjahreszeitraum abgegeben wird, muss im zur Überprüfung von Vollständigkeit und Richtigkeit eingeleiteten Steuerstrafverfahren auch dieser längere Zeitraum überprüft werden. Es ist unklar, ob dem BMF bewusst war, dass dies ebenfalls zusätzliche Ermittlungsressourcen erfordern wird, evtl. sogar überproportional, da mitunter die Dokumentationslage für ausländische Konten – auch bei voller Kooperation von Steuerhinterzieher und Banken – nicht mehr so perfekt sein wird wie für die letzten 5 Jahre, was die Überprüfung erschweren dürfte.
Diese Probleme werden – für Fälle der Selbstanzeige – auch durch den Regierungsentwurf nicht gelöst. Gem. § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E ist – wie gesagt – mindestens für die letzten zehn Kalenderjahre nachzuerklären, d.h. insofern wird ein annähernder „Gleichlauf“ des zu Zwecken der Strafbefreiung nötigen zeitlichen Umfangs der Selbstanzeige und der steuerlichen Festsetzungsverjährung angestrebt. Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Nacherklärung über zehn Jahre ist allerdings – wie beschrieben und mit den genannten Schwierigkeiten – im Strafverfahren zu überprüfen. Immerhin jedoch sieht der Regierungsentwurf (anders als noch der Referentenentwurf) davon ab, die Strafverfolgungsbehörden durch eine Verschärfung des § 376 AO-E dazu zu zwingen, in allen Steuerstrafverfahren gem. § 370 Abs. 1 AO – auch bei Straftaten von geringem oder mittlerem Gewicht und unabhängig von der Erstattung einer Selbstanzeige – einen Zeitraum von zehn Jahren auszuermitteln. Dies hätte die Kapazitäten der zuständigen Behörden zweifellos überfordert, von objektiven Dokumentations- und Beweisschwierigkeiten ganz abgesehen.
Zutreffend wies zudem die Bundessteuerberaterkammer zum Referentenentwurf darauf hin, dass ein echter Gleichklang der steuerlichen und strafrechtlichen Fristen durch die Formulierung des Gesetzentwurfs schon deshalb nicht erzielt werden kann, weil sich der Beginn der steuerrechtlichen und der steuerstrafrechtlichen Verjährung nach unterschiedlichen Regelungen richtet. Aus den die steuerliche Festsetzungsverjährung regelnden §§ 170, 169 Abs. 2 S. 2 AO ergibt sich, dass steuerlich der Korrekturzeitraum für die Finanzverwaltung nicht nur zehn Jahre, sondern bis zu 13 Jahre erfasst. Der Beginn der Festsetzungsfrist liegt nämlich bei der vorsätzlichen Nichtabgabe (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) von Steuererklärungen (bei Veranlagungssteuern) typischerweise drei Jahre nach Ablauf des Steuerjahres (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO), weshalb die zehnjährige Festsetzungsverjährung gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 AO erst von diesem Zeitpunkt an läuft.[17] Die Strafverfolgungsverjährung hingegen beginnt mit der Beendigung (§ 78 a StGB), die typischerweise jedenfalls spätestens zwei Jahre nach Ablauf des Besteuerungszeitraums eingetreten sein dürfte (Schluss der Veranlagung im Veranlagungsbezirk). Besonders deutlich wird das Auseinanderklaffen aber bei der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer); hier geht der BGH von dem Beginn der Strafverfolgungsverjährung ca. sechs Monate nach Unterlassung der Anzeige einer Schenkung aus,[18] während gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO bei einer Schenkung die bei Steuerhinterziehung zehnjährige Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf desjenigen Kalenderjahrs beginnt, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat, was jeweils viele Jahre nach Vollzug des Schenkung (und dem Entstehen der Anzeigepflicht) sein kann.
Das Problem der Unerreichbarkeit des Gleichklangs von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren gilt mutatis mutandis auch für den laut Regierungsentwurf einzuführenden § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E, da dieser auf die „letzten zehn Kalenderjahre“ vor der Selbstanzeige abstellt. Die „feste fiktive Frist“ dient zwar grds. der strafrechtlich erforderlichen Rechtsklarheit (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB).[19] Es ist aber bereits zu bemängeln, dass durch diese Formulierung nicht völlig deutlich wird, ob das Jahr der Selbstanzeige einzubeziehen ist, es auszuschließen ist oder von der Selbstanzeige genau zehn Jahre zurückzurechnen ist. Für letzteres spricht, dass nach der Begründung des Regierungsentwurfs „Ausgangspunkt für die Berechnung der fiktiven Frist von zehn Jahren … die Abgabe der Selbstanzeige“ ist und die „Berichtigungspflicht …für alle Steuerstraftaten einer Steuerart für die zurückliegenden zehn Kalenderjahre“ besteht. Weiter spricht dafür, dass es sich ausdrücklich um eine „fiktive“ Frist handeln soll, d.h. um eine solche, die weder der Strafverfolgungsverjährungsfrist noch der Festsetzungsverjährungsfrist entspricht.[20] Danach ist davon auszugehen, dass alle Steuerstraftaten zu berichtigen sind, deren Tatzeitpunkte in demjenigen Zehnjahreszeitraum liegen, dessen Endpunkt der Tag der Selbstanzeige ist.
Nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E soll es offenbar nicht auf den betroffenen Besteuerungszeitraum (Steuerjahr) etc. ankommen (Steuerstraftaten…innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre“).[21] Hier wiederum ist unklar, ob es sich um den Zeitpunkt der Tathandlung, der Vollendung oder den der Beendigung handeln soll. Würde daher am 31.1.2015 eine falsche Steuererklärung für dass Jahr 2013 (ESt) abgegeben, diese im April 2015 erklärungsgemäß veranlagt und am 25.1.2025 eine Selbstanzeige betreffend ESt abgegeben, müsste nach diesem Verständnis eine vollständige und richtige Selbstanzeige auch die ESt 2013 erfassen, wenn es auf die Tathandlung oder die Vollendung ankommt. Ist allerdings die Abgabe im obigen Beispiel am 15.1.2015 erfolgt, die Veranlagung aber wiederum im April 2015, müsste bei einer Selbstanzeige am 25.1.2025 ESt 2013 zur Erlangung der Strafbefreiung nur nacherklärt werden, wenn es auf die Vollendung oder Beendigung, nicht aber, wenn es auf die Tathandlung ankäme. Die Formulierung des § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E erscheint daher klarstellungsbedürftig.
Insgesamt erscheint das Argument der Arbeitserleichterung – welches dem Referentenentwurf und dem Regierungsentwurf zu Grunde liegt – wenig überzeugend, weil die Fälle der Selbstanzeige zahlenmäßig, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Steuerstrafverfahren, in der Minderzahl sein dürften. Auch erscheint – praxisbezogen – die Änderungsvorschläge des Referenten- und des Regierungsentwurfs für Fälle, in denen tatsächlich eine Selbstanzeige abgegeben wird, weniger bedeutsam als offenbar angenommen. Viele spezialisierte Berater werden meist ohnehin aus Sicherheitsgründen eine Nacherklärung über (mindestens) zehn Jahre abgeben, da sie ex ante vielfach nicht ausschließen können, dass ein Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 AO vorliegt, auch wenn sie dies eher nicht glauben und dies ex post nicht der Fall ist. Insbesondere bei geschätzten Selbstanzeigen zu Kapitalerträgen – wenn aus Zeitgründen die vollständige Bankdokumentation (Erträgnisaufstellungen) nicht abgewartet werden kann – ist oft nur schwer feststellbar, ob der Hinterziehungsbetrag unter oder über 50.000 EUR liegt.
Beide Entwürfe ziehen zudem nicht erkennbar in Betracht, dass derzeit jedenfalls nach einer Einstellung des Verfahrens im Falle der erfolgreichen Selbstanzeige über 5 Jahre (§§ 170 Abs. 2 StPO, 398a AO) für die Zeiträume außerhalb der strafrechtlichen Verjährungsfrist die weitreichenden Mitwirkungsverpflichtungen (vgl. §§ 90 ff. AO) im Besteuerungsverfahren gelten, in verstärktem Maß bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO), so dass für diese Zeiträume die Besteuerung normalerweise nachgeholt werden kann.[22] Soweit die Ermittlung der Steuern an mangelnder Kooperation scheitert, sind die Finanzbehörden in der Praxis nicht gehindert, dies in der dann erfolgenden steuerlichen Schätzung (§ 162 AO)[23] zulasten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.[24] Die Schätzung früherer Kapitalerträge – tendenziell zu Ungunsten des Steuerpflichtigen – stellt gerade bei für spätere Jahre offengelegten Kapitalstämmen in vielen Fällen für die Finanzämter im Besteuerungsverfahren praktisch kein großes Problem da.
Aus strafrechtssystematischen Gründen wäre insbesondere der Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung – wie sie vom Referentenentwurf vorgesehen war – zu widersprechen. Durch § 376 Abs. 1 AO-E würde das im Strafgesetzbuch geregelte System der Strafverfolgungsverjährung (§ 78 ff. StGB) aus der Balance gebracht werden, denn bisher ist die fünfjährige Verjährung der (einfachen) Steuerhinterziehung ebenso geregelt wie für vergleichbare Vermögensstraftaten, etwa den Betrug nach § 263 StGB.[25] Mit der Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung auf zehn Jahre würde die einfache Steuerhinterziehung mit moderaten Hinterziehungsbeträgen von unter 25.000 € nun hinsichtlich der Verjährungsfrist wesentlich gewichtigeren Straftaten gleichgestellt,[26] wie etwa dem sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB), dem Diebstahl mit Waffen (§ 244 Abs. 1 StGB) oder sogar dem schweren Bandendiebstahl (§ 244 a StGB). Angesichts des vergleichbaren Unrechtsgehalts von Betrug und Steuerhinterziehung[27] erscheint es strafrechtssystematisch unzuträglich, dass die einfache Steuerhinterziehung dann dieselbe Verjährungsfrist wie der besonders schwerer Fall des Betrugs (§ 263 Abs. 3 StGB) und sogar wie der Verbrechenstatbestand des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs (§ 263 Abs. 5 StGB) erhalten soll. Dies lässt sich dadurch belegen, dass die Rechtsprechung für den besonders schweren Fall des Betrugs gemäß § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StGB in der Form des „Vermögensverlusts großen Ausmaßes“ einen Vermögensschaden von mindestens 50.000 € – und gerade nicht von 25.000 € – voraussetzt.[28]
Zumindest klarstellend wäre – sollte man im Gesetzgebungsverfahren auf den Referentenentwurf zurückkommen – darauf hinzuweisen, dass die Regelung jedenfalls nicht für bereits abgelaufene Verjährungsfristen gelten darf, weil Art. 97 § 10 Abs. 13 EGAO-E sonst dem Gesetzlichkeitsprinzip (§ 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG) zuwider den (Trug-) Schluss zulassen könnte, dass am 1.1.2015 nach der fünfjährigen Verjährungsfrist nicht mehr verfolgbare Taten noch verfolgbar seien, sofern sie im Rahmen der neuen zehnjährigen Verjährungsfrist liegen.[29]
III. Wiedereinführung der Teilselbstanzeige für Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung durch Voranmeldungen (§ 371 Abs. 2a AO-E)
Der Referentenentwurf und der Regierungsentwurf sehen (gleichlautend) die Einfügung eines neuen Absatz 2a in § 371 AO vor.[30] Danach soll in Fällen der Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung Straffreiheit, abweichend von § 371 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 AO, eintreten, soweit („in dem Umfang“) der Täter gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt (§ 371 Absatz 2a S. 1 AO-E).
Auch § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO – der Sperrgrund der Tatentdeckung – soll nach den Entwürfen nicht gelten, aber nur, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine nicht rechtzeitig erfolgt Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde (§ 371 Abs. 2a S. 2 AO-E). Allerdings soll die Wiedereinführung der Teilselbstanzeige im Umfang der § 371 Abs. 2a S. 1 und 2 AO-E nicht für Steueranmeldungen gelten, die sich auf das Kalenderjahr beziehen (§ 371 Abs. 2a S. 3 AO-E), also insbesondere nicht für Umsatzsteuerjahreserklärungen. Insofern – für Steueranmeldungen bezogen auf ein Kalenderjahr – wird jedoch ausdrücklich geregelt, dass die Vollständigkeit der Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 1 AO nicht die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der Voranmeldungen erfordert, die dem Kalenderjahr nachfolgende Zeiträume betreffen (§ 371 Absatz 2a S. 4 AO-E).[31]
Zur Begründung wird ausgeführt, dass durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 2011 die nachträgliche Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen erheblich eingeschränkt worden war. Insbesondere habe eine erneut korrigierte Umsatzsteuervoranmeldung – bei Vorsatz grds. als wirksame Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 1 AO zu werten – nach erster Korrektur nicht als wirksame Selbstanzeige gewertet werden können, weil die erste Selbstanzeige dazu führe, dass die Steuerhinterziehung bekannt wird und damit der Sperrgrund der Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) eingreift.[32]
Ausschlaggebend für den Vorschlag waren offenbar zwei als nicht strafwürdige angesehene Konstellationen, die nach dem Wortlaut des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes keine strafbefreiende Selbstanzeige zulassen: Eine Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 01 etwa müsse aufgrund des Vollständigkeitsgebots als nicht wirksame – weil hinsichtlich der Steuerart Umsatzsteuer unvollständige – Selbstanzeige gewertet werden können, wenn bereits die Umsatzsteuervoranmeldung I für das Jahr 02 unrichtig abgegeben worden sei und dies nicht zugleich mit der Jahreserklärung 01 richtig gestellt worden sei. Zum anderen liege bekanntermaßen eine Steuerhinterziehung vor, wenn die Abgabefrist einer Voranmeldung überschritten wird (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, Vollendung bei nicht rechtzeitiger Festsetzung der Steuer, d.h. bei jeder Verspätung der Anmeldung).[33] Daher seien die – in Unternehmen häufig verspätet abgegebenen – Umsatzsteuervoranmeldungen als Selbstanzeige zu werten. Diese seien – ebenfalls aufgrund des Vollständigkeitsgebots – aber nur dann wirksam, wenn alle Unrichtigkeiten in vorhergehenden und sonst bereits abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen (soweit strafrechtlich nicht verjährt) korrigiert werden.[34] Zudem führe auch die (bedingt vorsätzliche) verspätete Einreichung der Voranmeldung zur Tatentdeckung und hindere eine weitere Nachdeklaration bezüglich derselben Steuerart, etwa im Rahmen der Umsatzsteuerjahreserklärung oder durch einzelne korrigierte Umsatzsteuervoranmeldungen.[35]
Deshalb möchten BMF und Bundesregierung ausdrücklich für Umsatzsteuervoranmeldungen, nicht hingegen für die Jahreserklärung sowie für Lohnsteueranmeldungen in Gestalt des § 371 Abs. 2a AO-E „eine Regelung… [vorsehen], die eine Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot des § 371 AO und der Tatentdeckung“ darstellt und Rechtssicherheit für die Praxis schaffen soll.[36] Ziel ist die Wiederherstellung des Rechtszustandes vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, wonach eine korrigierte oder verspätet nachgereichte Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung zukünftig wieder als wirksame Teilselbstanzeige gelten soll. Ergänzend hierzu wird geregelt, dass die Umsatzsteuerjahreserklärung nachfolgende Veranlagungszeiträume betreffende Voranmeldungen – die regelmäßig bei Abgabe der Jahreserklärung bereits abgegeben sind – nicht berichtigen muss, um als Selbstanzeige hinsichtlich des Erklärungszeitraums – in Korrektur der in diesem Erklärungszeitraum abgegebenen unrichtigen Voranmeldungen – wirksam zu werden.[37]
Grundsätzlich ist § 371 Absatz 2a AO-E sehr zu begrüßen, da die Vorschrift – zumindest teilweise (dazu im Weiteren) nahezu unlösbare Praxisprobleme der Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes im Unternehmenssteuerrecht aufhebt und der Kriminalisierung von Unternehmensmitarbeitern bei der Einreichung von verspäteten oder unzutreffend berechneten Steueranmeldungen entgegenwirkt.
Die bislang eine Ausuferung des praktischen Anwendungsbereichs des Unternehmenssteuerstrafrechts begrenzende, rein verwaltungsrechtliche Regelung der ohne Zweifel sinnvollen Nr. 132 Abs. 2 AStBV war aus zwei Gründen unzureichend: Zum einen konnte und kann diese Verwaltungsvorschrift schon rechtlich – aufgrund des Vorrangs der AO als formelles Parlamentsgesetz – nicht entgegen dem insofern klaren Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes eine Teilselbstanzeige bezüglich Lohn- und Umsatzsteueranmeldungen erlauben bzw. deren strafverfahrensfreie Duldung durch die Finanzverwaltung rechtfertigen.[38] Zum anderen knüpfte Nr. 132 Abs. 2 AStBV bei gesetzeskonformer Auslegung – gerade aufgrund der Unzulässigkeit einer Einschränkung des Vollständigkeitserfordernisses durch eine Verwaltungsvorschrift – wohl faktisch lediglich auf der Beweisebene an, indem sie eine Weiterleitung von berichtigten und verspäteten Steueranmeldungen an die Strafsachenstelle nur in „begründeten Ausnahmefällen“ – bei erheblicher Verspätung bzw. großer Abweichung – vorsah, indem sie dies als Anzeichen für fehlenden Vorsatz und fehlende Leichtfertigkeit interpretiert. Sofern aber im Einzelfall – trotz dieser generalisierten Wertung – ausnahmsweise weder hinsichtlich des Vorsatzes bezüglich der Unrichtigkeit, Unvollständigkeit oder Verspätung der Steueranmeldung oder des objektiven Tatbestands des § 370 AO Zweifel bestanden, noch hinsichtlich der quantitativ wesentlichen Unvollständigkeit der Nacherklärungen (maximal 5 % des tatsächlichen Hinterziehungsbetrags), konnte Nr. 132 Abs. 2 AStBV eine Nichtabgabe an die Strafsachenstelle unter Berücksichtigung des § 371 Abs. 1 AO rechtlich eigentlich nicht rechtfertigen. Dennoch dürfte davon auszugehen sein, dass die Finanzverwaltungen der Länder zumindest in weniger gewichtigen Fällen unter formaler Inanspruchnahme dieser Verwaltungsvorschrift von einer Weiterleitung oft abgesehen haben dürften, schon um eine völlige Überlastung der Strafsachenstellen und der Steuerfahndung zu vermeiden. Rechtssicherheit konnte durch Nr. 132 Abs. 2 AStBV auch aufgrund der kumulierten Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe – begründete Einzelfälle, kurzfristige Terminüberschreitung, Geringfügigkeit – nicht hergestellt werden.[39]
Berücksichtigt wurde in der behördlichen Praxis bei der großzügigen Anwendung des Nr. 132 Abs. 2 AStBV auch das berechtigte Anliegen, eine Kriminalisierung bis dato geschäftlich gebräuchlicher Praktiken – beispielsweise „planmäßige“ Verspätungen von Umsatzsteuervoranmeldungen oder Minimierungen der im Rahmen der Voranmeldung ausgewiesenen Umsatzsteuer/Umsatzsteuerzahllast im Zusammenhang mit einem ausgeprägt restriktiven Cash Management und einer im Vorhinein geplanten Korrektur im Rahmen der Jahreserklärung – möglichst nicht zu forcieren.
Diesem Anliegen wird nunmehr weitgehend – und gerade im letztgenannten Fall – der geplante § 371 Abs. 2a AO-E gerecht, da mit einer zutreffenden und vollständig Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 00 – sofern sie den Voraussetzungen des § 371 AO im Übrigen genügt – Strafbefreiung hinsichtlich aller von dieser umfassten Voranmeldungszeiträume erzielt wird, auch wenn bereits im ersten oder zweiten Veranlagungszeitraum des Jahres 01 unvollständige, unrichtige oder verspätete Voranmeldungen für I/01 und II/01 abgegeben worden sind.
Auch würde nun nicht mehr – wie derzeit mitunter in sehr gezwungener und ergebnisorientierter – Weise argumentiert werden müssen, dass eine von mehreren aufeinanderfolgenden Verspätungen bei der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. der Lohnsteueranmeldungen nicht bedingt vorsätzlich, sondern allenfalls leichtfertig erfolgte, um in den Genuss der weniger restriktiven Voraussetzungen der Selbstanzeige bei der leichtfertigen Steuerverkürzung zu kommen (§ 378 Abs. 1, Abs. 3 AO). Vor dem Hintergrund, dass die Finanzämter automatisierte Mahnverfahren nutzen und nach wenigen Wochen mahnen, ist die Annahme fehlenden bedingten Vorsatzes – jedenfalls bei einer zweiten verspäteten Steueranmeldungen nach einer Mahnung bezüglich der ersten verspäteten Steueranmeldung – im Falle der Umsatzsteuer rechtlich kaum vertretbar.
Vor dem Hintergrund, dass gemäß § 371 Abs. 1 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eine steuerartbezogene Vollständigkeit erforderlich ist, erscheint hingegen der weitergehende Vorschlag der Bundessteuerberaterkammer, dass sämtliche Anmeldesteuern in den Anwendungsbereich des § 371 Abs. 2a AO-E einzubeziehen seien,[40] zwar steuersystematisch richtig, aber mit der Ausgestaltung des § 371 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes schwer vereinbar.
IV. Modifikation der Sperrgründe (§ 371 Abs. 2 AO-E)
Die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes sollen aussagegemäß im Wesentlichen klargestellt werden, d.h. die bereits in der Finanzverwaltung und Rechtsprechung, teilweise auch in der überwiegenden Literaturmeinung verfestigte Interpretation der Regelungen der Reform vom 3. Mai 2011 soll offenbar nach Wortlaut und Systematik der §§ 370, 371 AO im Entwurf unangreifbar gemacht werden. Tatsächlich gehen beide Entwurfsfassungen – ohne das klar ist, ob dem BMF bzw. der Bundesregierung die faktische Reichweite der Änderungen bewusst ist – aber weit über eine derartige Klarstellung hinaus. Dies führt zu erheblichen zusätzlichen Restriktionen der strafbefreienden Selbstanzeige in personeller Hinsicht. Der Regierungsentwurf schlägt daneben allerdings zugleich auch sehr sinnvolle Einschränkungen der zeitlichen und sachlichen Reichweite der Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Nr. 1a und Nr. 1c AO vor.
1. Sperrgrund der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1a AO-E)
a) Gemeinsamkeiten von Referentenentwurf und Regierungsentwurf
aa) Änderungen der personellen Reichweite
Der mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eingeführte Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO leidet – aus Sicht des BMF und der Bundesregierung – offenbar an mangelnder Genauigkeit und unzureichender Reichweite des Personenkreises, dem gegenüber die Bekanntgabe der Außenprüfung erfolgen kann, u.a. mit der Folge, dass die Sperrwirkung eine unzureichende personelle Reichweite habe. Bisher sind lediglich der Täter und sein Vertreter als Bekanntgabeadressaten genannt. Nunmehr sollen der an der (Steuerstraf-)Tat Beteiligte – Täter und Teilnehmer (§§ 25-27 StGB) – dessen Vertreter, der Begünstigte einer Straftat der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO und dessen Vertreter aufgeführt werden („Straffreiheit tritt nicht ein, wenn bei einer zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Absatz 1 oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist,…“).[41]
Damit wird (u.a.) die Sperrwirkung auf die möglichen Tatteilnehmer – Anstifter und Gehilfen – durch Bekanntgabe der Prüfungsanordnung (vgl. § 196 AO) gegenüber dem Täter erstreckt, auch wenn sie dem Teilnehmer gegenüber nicht bekannt gegeben wird.[42] Jedenfalls nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist neu, dass die Bekanntgabe gegenüber dem bzw. einem Teilnehmer (überhaupt) zur Sperrwirkung gegenüber dem bzw. allen Tätern führen soll, darüber hinausgehend auch, dass sogar die Bekanntgabe gegenüber dem Vertreter des Teilnehmers relevant sein soll.
Die alternative Formulierung („oder“) dürfte unterstreichen, dass es gleichgültig sein soll, wem aus dem aufgeführten Personenkreis gegenüber die Prüfungsanordnung bekannt gegeben wird – die Sperrwirkung soll offenbar für alle Tatbeteiligten, Begünstigte und Vertreter – den in der Neufassung genannten Personenkreis insgesamt – eintreten. Auch darin läge eine problematische Ausweitung des persönlichen Umfangs der Sperrwirkung, denn bislang war – jedenfalls für § 371 Abs. 2 Nr. 1 c AO heutiger Fassung – wohl anerkannt, dass sich die Sperrwirkung regelmäßig auf den zu prüfenden Steuerpflichtigen und seine Mitarbeiter bezieht, nicht auf außenstehende Dritte (wie etwa externe Berater), wobei insofern bereits heute bei betriebsbezogenen Steuerstraftaten in der Lit. teilweise eine Ausweitung auf ausgeschiedene Mitarbeiter bejaht wird.[43]
bb) Kritik
Aus der Sicht des anwaltlichen Praktikers erscheint diese Regelung insbesondere in der weitergehenden Fassung des Referentenentwurfs vom 27.8.2014 – wenn man davon ausgeht, das BMF möchte die Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige praktikabel erhalten – nicht sinnvoll. Tatbeteiligte einer Steuerstraftat, insbesondere externe Teilnehmer, deren Steuerstraftaten von dem Prüfungsprogramm einer Außenprüfung erfasst werden, auch solche, gegenüber denen die Bekanntgabe nicht erfolgt und wo diese nicht zur Tatentdeckung oder zur Erkennbarkeit der Tatentdeckung ihrer Tat führt, würden von der Selbstanzeige ausgeschlossen, obwohl gem. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO keine Sperrwirkung wegen Tatentdeckung eintritt und obwohl sie nichts von einer Prüfungsanordnung erfahren. Letzteres ist ausweislich der Begründung sogar explizit gewünscht.
(I.) Maßstab der vermuteteten Unfreiwilligkeit der Selbstanzeige für das Eingreifen eines Sperrgrundes
Bei zutreffender Auslegung des Gesetzeszwecks des § 371 Abs. 2 AO – in seiner bisherigen Fassung – sollten aber nur solche Personen von der strafbefreienden Selbstanzeige ausgeschlossen werden, bei denen die die Sperrwirkung auslösende Handlung nicht mit Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zeit zur Tatentdeckung oder jedenfalls zur Prüfung des tatrelevanten Sachverhalts führt und dies für den Steuerstraftäter zumindest typischerweise erkennbar ist.[44] Nur bezüglich dieser Personen kann nämlich von einer taktischen Motivation der nach Eintritt des Sperrgrundes abgegebenen Selbstanzeige ausgegangen werden, die nicht privilegiert werden soll.[45]Joecks spricht anschaulich von der „vermuteten Unfreiwilligkeit“ der Selbstanzeige bei Vorliegen eines Sperrgrundes.[46] Die jetzigen und insbesondere die ursprünglichen Sperrgründe wurden bzw. werden diesem Maßstab gerecht. Jedenfalls nach dem Referentenentwurf, mit Einschränkungen auch nach dem Regierungsentwurf wäre dies nicht mehr der Fall:
Es ist keinesfalls immer wahrscheinlich, dass die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung gegenüber einzelnen Tatbeteiligten in der Folge – insbesondere im Rahmen regulärer Betriebsprüfungen – zu einer Entdeckung aller externen Beteiligten (§§ 25, 26, 27 StGB) an der Steuerstraftat führen muss. Auch wissen selbst tatbeteiligte Mitarbeiter in größeren Unternehmen von einem solchen Risiko – auch von der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung – häufig nichts. Vielmehr dürfte ein objektiv deutlich erhöhtes Entdeckungsrisiko durch eine normale Betriebsprüfung und die Kenntnis bzw. Erkennbarkeit eines aus der Prüfung resultierenden Entdeckungsrisikos gerade bei Prüfungen größerer Unternehmen, in denen Steuerstraftaten unter Beteiligung vieler (teils ehemaliger) Mitarbeiter erfolgt sind, in der Praxis eher die Ausnahme sein. Regelmäßig erhöht sich das Entdeckungsrisiko auch nur für eine Kerngruppe von Tatbeteiligten markant, nämlich für solche, die nach außen bzw. in der Dokumentation in Erscheinung getreten sind oder die als Organe bzw. konkret zuständige leitende Mitarbeiter Verantwortung tragen. Der Kreis der möglichen Teilnehmer an einer Steuerstraftat kann jedoch weit darüber hinausgehen. Die mangelnde Erkennbarkeit des Entdeckungsrisikos für die weniger zentralen und steuerlich nicht zuständigen Personen liegt oft schon daran, dass diverse Tatbeteiligte – insbesondere ehemalige Mitarbeiter – nie etwas von der Prüfungsanordnung erfahren werden.
Zudem liegt oft zwischen der Prüfungsanordnung einer normalen Außenprüfung und der Tatentdeckung ein erheblicher Zeitraum. Zusammen mit der Ungewissheit der Entdeckung der Tat gerade von bloßen externen Gehilfen (§ 27 StGB) – etwa des Steuerberaters als Gehilfen oder betriebsferner Dritter, manchmal auch von tatbeteiligten Geschäftspartnern – sollte dies dem Gesetzgeber Anlass dazu geben, von dieser personellen Erweiterung der Sperrwirkung der Bekanntgabe der Außenprüfung abzusehen, da von einer mutmaßlichen Unfreiwilligkeit der Selbstanzeige vielfach nicht die Rede sein kann.
(II.) Ungewollte Verringerung des Selbstanzeigeaufkommens
Die Änderung wird voraussehbar zur Konsequenz haben, dass bei größeren Gruppen von Tätern und Teilnehmern, deren Tat Gegenstand einer bekanntgegebenen Betriebsprüfung ist, eine erhebliche Zahl nach Bekanntgabe der Prüfung keine Selbstanzeige abgeben wird, da dies nicht (mehr) durch die Rechtsfolge der Straffreiheit inzentiviert würde. Da viele (insbesondere ehemalige) Mitarbeiter nicht die Möglichkeit haben werden, festzustellen, ob eine Betriebsprüfung bzgl. ihrer unternehmensbezogenen Tat bekanntgegeben ist, wird ihnen der individuelle steuerliche oder strafrechtliche Berater – auch wenn eine Bekanntgabe nicht erkennbar ist – oft auf das Risiko des unerkannten Vorliegens eines Sperrgrunds hinweisen müssen. Dies wird zu einer Verringerung des Selbstanzeigenaufkommens mit der Folge der mangelnden Erschließung neuer Steuerquellen führen.
Auch durch Ermittlungserfolge im Zusammenhang mit Außenprüfungen und die daraus resultierenden steuerlichen und strafrechtlichen Folgen wird dieser Effekt nicht kompensiert werden, denn erfahrungsgemäß werden bei komplexen unternehmensbezogenen Sachverhalten nicht alle Tatbeteiligten entdeckt und strafrechtlich verfolgt. Der Fiskus muss daher befürchten, dass ihm durch die personelle Erweiterung der Sperrwirkung bei unternehmensbezogenen Steuerstraftaten erhebliche Einnahmen gemäß §§ 371 Abs. 3, 398 a Nr. 1 AO, besonders aber nach § 398 a Nr. 2 AO entgehen, da hier nach herrschender Auffassung jeder Tatbeteiligte in voller Höhe zur Zahlung verpflichtet ist.[47] Mangels Selbstanzeige würden bei der geplanten Gesetzesänderung zahlreiche Tatbeteiligte den Behörden nicht mehr bekannt, bei denen ansonsten § 398a Nr. 2 AO zum Tragen käme.
(III.) Risiken und Nebenwirkungen der Erweiterung der Sperrwirkung bei Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gegenüber dem Begünstigten
Noch weniger angemessen – und unter den oben genannten Gesichtspunkten wenig zielführend – erscheint die Erweiterung der Sperrwirkung bezüglich aller Tatbeteiligter durch eine Prüfungsanordnung gegenüber dem „Begünstigten“ der Steuerstraftat gemäß § 370 AO. Gedacht ist hier insbesondere an Fälle, bei denen Tatbeteiligte einer das Unternehmen steuerlich begünstigenden Steuerstraftat zwischenzeitlich ausgeschiedene Mitarbeiter sind und die Außenprüfung dem Unternehmen („Begünstigter“ im Sinne des § 371 Abs. 3 AO) bekannt gegeben wird.[48]
Bisher hatte danach offenbar die Bekanntgabe an das Unternehmen nach Ausscheiden des Mitarbeiters laut zutreffender Ansicht des BMF für diesen keine Sperrwirkung.[49] Das BMF spricht insofern ausdrücklich von einer Regelungslücke. Zukünftig sollen insbesondere ehemalige Mitarbeiter des von der Steuerstraftat begünstigten Unternehmens von der Selbstanzeige ausgeschlossen sein, auch wenn sie von der Prüfungsanordnung keinerlei Kenntnis erhalten und auch nicht erlangen konnten.
Denkt man etwa an der Lohnsteuerprüfungen in großen Unternehmen, stellt sich jedenfalls nach Maßgabe des Referentenentwurfs[50] insbesondere die Frage, ob damit alle ehemaligen Mitarbeiter – unabhängig von ihrer Kenntnis von der Prüfung – von einer Korrektur ihrer strafrechtlich unverjährten Einkommenssteuererklärungen ausgeschlossen sein sollen. Vor dem Hintergrund der herrschenden Auffassung, die die Lohnsteuer im Verhältnis zur Einkommensteuer nicht als andere Steuerart ansieht,[51] liegt eine solche Auslegung nicht fern. Problematisch erscheint dies insbesondere im Hinblick auf Einkünfte, die mit der abhängigen Beschäftigung ehemaliger Mitarbeiter nichts zu tun haben, wie etwa Kapitalerträge, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung usw. Hier ist in der Praxis von vornherein auszuschließen, dass eine Lohnsteuerprüfung beim ehemaligen Arbeitgeber per se zur Entdeckung solcher Einkommensteuerhinterziehungen des ausgeschiedenen Arbeitnehmers führen kann. Sollte beabsichtigt sein, durch die Ausweitung des Sperrgrundes eine Sperrwirkung nicht nur für die Lohnsteuer bzw. Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung, sondern auch für andere Einkunftsarten der Einkommensteuer des ehemaligen Arbeitnehmers zu schaffen, geht dies deutlich zu weit. Ehemals abhängige Beschäftigte könnten jedenfalls nach dem Referentenentwurf praktisch unter keinen Umständen mehr wegen der Erzielung unversteuerter Kapitalerträge – dem sprichwörtlichen „Schweizer Konto“ – eine strafbefreiende Selbstanzeige erstatten, ohne (wie?) eruiert zu haben, dass bei ihrem Unternehmen gerade keine Betriebsprüfung bekannt gegeben ist oder noch andauert, die auch die Lohnsteuer erfasst (vgl. § 193 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AO). Die geplante Regelung des Referentenentwurfs würde Berater und Steuerpflichtige in kontraproduktiver Weise von einer völlig freiwilligen Selbstanzeige auch in Fällen abschrecken, bei denen eine Entdeckung faktisch nicht im Entferntesten droht. Das Kriterium der „vermuteten Unfreiwilligkeit“ für Reichweite der Sperrgründe würde endgültig aufgegeben.
(IV.) Probleme der praktischen Durchsetzung der Reichweite des Sperrgrundes
Es ist weiter zu fragen, wie praktisch sichergestellt werden soll, dass das Veranlagungsfinanzamt des ehemaligen Mitarbeiters erfährt, dass dieser rein rechtlich gesehen von der strafbefreienden Selbstanzeige wegen der Prüfung beim ehemaligen Unternehmen ausgeschlossen ist. Aber auch bei einer – denkbaren – gesetzlichen Begrenzung auf unternehmensbezogene Steuern (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer) stellt sich die Regelung letztlich als wenig sinnhaft dar, da sie auch in dieser Form Selbstanzeigewillige, deren Entdeckungsrisiko faktisch gering ist, abschrecken und den Fiskus Einnahmen (§ 398 a Nr. 2 AO) kosten dürfte. Dieser Vorschlag einer Neuregelung des § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO-E in der Fassung des Referentenentwurfs ist daher insgesamt als misslungen anzusehen.
c) Zu den Modifikationen und Verbesserungen des Regierungsentwurfs gegenüber dem Referentenentwurf und geltendem Recht
Die obige Kritik am Referentenentwurf ist auch für den im Kern gleichlautenden Regierungsentwurf dem Grunde nach aufrecht zu erhalten. Der Regierungsentwurf bringt jedoch insbesondere eine zeitliche, wohl auch eine sachliche Einschränkung der Sperrwirkung mit sich und damit sowohl Verbesserungen gegenüber dem Referentenentwurf als auch gegenüber der geltenden Rechtslage.
Anders als der Referentenentwurf sieht die Änderung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO-E des Regierungsentwurfs eine begrüßenswerte Einschränkung der bislang zeitlich umfassenden Sperrwirkung einer Prüfungsanordnung auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung vor („…beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung“).[52]
Eine Überdehnung der Sperrgründe gem. Nr. 1a – aber auch des Nr. 1c – soll zudem der § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E des Regierungsentwurfs verhindern („Der Ausschluss der Straffreiheit nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c hindert nicht die Abgabe einer Berichtigung nach Absatz 1 für die nicht unter Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c fallenden Steuerstraftaten einer Steuerart“), für den der Referentenentwurf noch keine Entsprechung enthielt. Durch diese Änderungen wird gewährleistet, dass eine strafbefreiende Selbstanzeige für Zeiträume, die nicht von der angekündigten Außenprüfung umfasst sind, grundsätzlich möglich bleibt.[53] Dies stellt wohl auch gegenüber der laut h.M. bestehenden Rechtslage nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 2011 eine Einschränkung der Sperrwirkung dar, denn die h. M. ging insoweit davon aus, dass dann, wenn sich die Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO auf mehrere unverjährte Steuerstraftaten erstrecken muss, d.h. im Normalfall für alle unverjährten Steuerstraftaten, die dieselbe Steuerart betreffen, die Strafaufhebungswirkung der Selbstanzeige für alle diese Taten bereits dann entfällt, wenn hinsichtlich einer dieser Taten ein Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 AO eingreift.[54] Für § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO erstreckte sich danach – und nach dem Wortlaut des Gesetzes – die Sperrwirkung hinsichtlich derselben Steuerart auch auf solche Zeiträume, die nicht in der Prüfungsanordnung genannt sind.[55] In der neuen Fassung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a, S. 2 AO-E des Regierungsentwurfs wird die strafbefreiende Selbstanzeige insoweit (d.h. teilweise) für die Steuerart(en) der Prüfungsanordnung wieder zugelassen, als diese Zeiträume nicht von der Prüfungsanordnung erfasst sind. Dies ist zu befürworten, da für Steuerstraftaten betreffend dieselbe Steuerart aus nicht geprüften Zeiträumen eine nahe liegende Entdeckungsmöglichkeit regelmäßig nicht zwingend besteht, es sei denn diese stehen in engem sachlichen Zusammenhang mit solchen aus den geprüften Zeiträumen. Letzteres kann etwa der Fall sein, wenn diese ersichtlich und zwangsläufig den Steuerstraftaten aus den geprüften Zeiträumen vorausgehen oder nachfolgen oder sonst in einem engen Sachzusammenhang stehen. Eine sachwidrige Privilegierung der Steuerhinterzieher durch die Einschränkung der Sperrwirkung liegt in dem Modifikationsvorschlag des Regierungsentwurfs nicht. In Fällen, in denen eine Tatbegehung auch in anderen Tatzeiträumen ersichtlich nahe liegt, kommt bei oder kurz nach Entdeckung der Tat innerhalb des Prüfungszeitraums eine Sperrwirkung bezüglich der Taten außerhalb des Prüfungszeitraums aufgrund von Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) in Betracht. Zudem ist die Finanzbehörde nicht gehindert, von vornherein die regelmäßig strafrechtlich relevanten Zeiträume durch die Prüfungsanordnung zu erfassen oder ad hoc – insbesondere bei Feststellung von Auffälligkeiten – die Erweiterung des Prüfungszeitraums anzuordnen.
Die personelle Reichweite des Sperrgrundes der Nr. 1a unterliegt in Bezug auf die Formulierung des Regierungsentwurfs derselben Kritik, welche oben bezüglich des Referentenentwurfs geäußert wurde, da unabhängig von dem Bekanntgabeadressaten eine Sperrwirkung für alle Beteiligten intendiert ist.[56] Die Beschränkung der Sperrwirkung durch den Regierungsentwurf auf diejenigen Jahre, die Gegenstand der bekannt gegebenen Außenprüfung sind, führt im Hinblick auf die Problematik der Reichweite derselben Steuerart (Einkommensteuer bzw. Lohnsteuer (siehe oben)) zumindest insoweit zu einer besseren Lösung, als die Selbstanzeigemöglichkeit für von der Prüfung nicht betroffene Steuerjahre erhalten bleibt.
Möglicherweise lässt die Formulierung des Regierungsentwurfs zu § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO-E („beschränkt auf den sachlichen… Umfang der angekündigten Außenprüfung“) die Annahme zu, dass die sachliche Reichweite des Sperrgrundes gegenüber der geltenden Gesetzesfassung (und dem Referentenentwurf) eingeschränkt werden soll. Der Begriff des „sachlichen Umfangs“ der Prüfung gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO-E dürfte enger auszulegen sein, als der Begriff „derselben Steuerart“ im Sinn des § 371 Abs. 1 AO. Zwar ist gemäß § 196 AO auch die Bezeichnung der Steuerart Kern der Festlegung des Prüfungsgegenstandes (§ 5 Abs. 2 S. 1 BpO).[57] Aus § 193 Abs. 2 Nr. 1 AO lässt sich jedoch ableiten, dass die Lohnsteuerprüfung – die gemäß dieser Vorschrift auch unabhängig vom Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen (§ 193 Abs. 1 AO) zulässig ist – im Rahmen der §§ 193 ff. AO ein anderer Prüfungsgegenstand als die Einkommensteuerprüfung ist. Der sachliche Umfang einer Prüfungsanordnung darf nämlich im Falle des § 193 Abs. 2 Nr. 1 AO – bei einem Lohnsteuerabzugsverpflichteten – stets die Lohnsteuer erfassen, nicht aber die Einkommensteuer als solche, wenn nicht die allgemeinen Voraussetzungen vorliegen.[58] Auch wenn man der Auffassung folgt, dass es sich bei Lohnsteuer und Einkommensteuer um Steuerart im Sinne des § 371 Abs. 1 AO handelt, haben Außenprüfungen, die entweder Lohnsteuer oder Einkommensteuer erfassen, daher nicht denselben „sachlichen Umfang“ im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 1a (oder Nr. 1c) AO-E. Prüfungsgegenstand und Sperrwirkung beziehen sich hier nur dann auf Lohn- und Einkommensteuer, wenn beide ausdrücklich genannt sind. Auch dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 S. 1 BpO[59] lässt sich entnehmen, dass der sachliche Umfang der Außenprüfung nicht allein durch die Steuerart (und den Besteuerungszeitraum) festgelegt ist, sondern in geeignetem Fall auch auf zu prüfende Sachverhalte beschränkt werden kann. Vor diesem Hintergrund kann der „sachliche Umfang“ einer Prüfungsanordnung ohne weiteres enger als auf die bloße Steuerart hin begrenzt werden. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich bei dem sachlichen Umfang gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO-E um einen deutlich engeren Begriff als den der Steuerart im Sinne des § 371 Abs. 1 AO handelt. Insbesondere dann, wenn die Prüfung von Lohnsteuer eines bestimmten Zeitraums angeordnet ist, ergibt sich danach keine Sperrwirkung für Einkommensteuerhinterziehungen des Lohnsteuerabzugspflichtigen oder die Einkommensteuerhinterziehung des lohnsteuerpflichtigen (Ex-)Mitarbeiters. Entsprechend § 5 Abs. 2 S. 1 BpO kann der sachliche Prüfungsgegenstand auch auf bestimmte Sachverhalte begrenzt werden. In diesem Falle wäre die Sperrwirkung m.E. entsprechend nur auf die genannten Sachverhalte beschränkt.
Wenn man dieser Auslegung nicht folgen sollte, wäre – durch den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung – zumindest klarzustellen, dass Lohnsteuer und Einkommensteuer im Hinblick auf die Sperrgründe allenfalls insoweit „dieselbe Steuerart“ im Sinne des § 371 Abs. 1, Abs. 2 AO sind, als bei dem Unternehmen die Lohnsteuer, bei (ehemaligen) Mitarbeitern Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit betroffen sind. Die Anordnung und Bekanntgabe einer Lohnsteuerprüfung im Unternehmen sollte de lege ferenda keinesfalls die Selbstanzeige von ehemaligen Mitarbeitern wegen Einkommensteuerhinterziehung etwa bezüglich von Kapitalerträgen sperren, damit diese nicht durch die Gefahr des möglichen unerkannten Bestehens einer Sperrwirkung von Selbstanzeigen bzgl. ihres Fluchtkapital unnötig abgeschreckt werden.
2. Einleitung und Bekanntgabe eines Steuerstrafverfahrens (§ 371 Abs. 2 Nr. 1b AO-E)
Ähnlich zweifelhaft, wenn auch in ihren Folgen wohl nicht so gravierend, ist die sowohl im Referentenentwurf als auch Regierungsentwurf gleichlautend vorgeschlagene Verschärfung des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO-E.
Durch die Ersetzung des Begriffes des Täters durch den „an der Tat Beteiligten“ (Täter oder Teilnehmer) soll die Sperrwirkung bei Einleitung und Bekanntgabe eines Steuerstrafverfahrens gegenüber einem Täter oder Teilnehmer offenbar auf alle weiteren Täter und Teilnehmer erstreckt werden[60] und – dem Wortlaut zufolge („oder“) – wohl auch umgekehrt, auch wenn dies in der Begründung nicht explizit erwähnt wird.[61] Geht man mit dem BMF und der Bundesregierung davon aus, dass nicht nur eine Sperrwirkung gegenüber demjenigen gemeint ist, gegenüber dem die Bekanntgabe erfolgt, ist es zwangsläufig so, dass auch die Bekanntgabe gegenüber einem Tatbeteiligten grundsätzlich die Sperrwirkung bezüglich aller durch diesen angestifteten oder unterstützten Haupttäter bewirken kann, vorausgesetzt die sonstigen Voraussetzungen des Sperrgrundes lassen dies zu.
Dies ist insbesondere dann kaum sachgerecht, wenn ein Teilnehmer viele Täter unterstützt oder angestiftet hat (§§ 26, 27 StGB) oder umgekehrt, weil hier – insbesondere in komplexen Unternehmenszusammenhängen – mit einer Entdeckung aller anderen Tatbeteiligten nur aufgrund der Einleitung des Steifstrafverfahrens gegenüber irgendeinem Täter oder Teilnehmer nicht gerechnet werden kann. Sehr wohl aber wird nunmehr der in einen solchen komplexen Sachverhalt mit vielen Tatbeteiligten involvierte Steuerstraftäter von einer Selbstanzeige abgeschreckt. Er kann nämlich regelmäßig nicht wissen, ob nicht vielleicht einem anderen Tatbeteiligten – den er nicht einmal kennen muss – eine Verfahrenseinleitung mitgeteilt wurde. Dies dürfte sich auf die Selbstanzeigebereitschaft in Unternehmenssachverhalten lähmend auswirken, auch in Fällen, in denen das faktische Entdeckungsrisiko „entfernterer“ Tatbeteiligter gering ist. Diese müssen nun wissen (oder durch ihre Berater erfahren), dass sie sich im Falle der – ihnen nicht bekannten – Bekanntgabe der Strafverfahrenseinleitung gegenüber irgendeinem anderen Beteiligten mit der Selbstanzeige „ans Messer“ liefern, ohne eine strafbefreiende Wirkung erlangen zu können. Sie werden die strafverfahrensrechtliche Situation vorher regelmäßig nicht überprüfen können, da die Ermittlungsverfahren oft noch geheim oder jedenfalls nicht publik sein dürften.
Wenn man hier an ein Fallbeispiel denken möchte, wäre etwa die Situation der Einleitung des Steuerstrafverfahrens gegen einen Vorstand X einer Bank in Betracht zu ziehen, der durch eine das Geschäftsgebaren der Bank im Privatkundenbereich jahrelang abstrakt-generell regelnde Weisung (eine Tat im Sinne des § 52 StGB) vorsätzlich die Voraussetzungen für die Erschwerung der Entdeckung von Kapitalanlagen deutscher Steuerpflichtiger im Ausland über seine Bank geschaffen hat. Diese Weisung wird im Rahmen regelhafter Abläufe in der Hierarchie der Bank durch alle Privatkundenbetreuer umgesetzt. X hat sich mindestens wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung aller vorsätzlich bei ihrer Steuerhinterziehung unterstützten Haupttäter (Bankkunden) strafbar gemacht. Haupttäter zu dieser Beihilfe sind also sämtliche Steuerpflichtige, welche die durch X geschaffenen Mechanismen der Bank zum Transfer in das Ausland und zur erleichterten Hinterziehung von Kapitalertragsteuer nutzen. Würde nach der geplanten Neuregelung des § 371 AO-E das Steuerstrafverfahren gegen den Vorstand X eingeleitet, könnten möglicherweise Hunderte oder auch Tausende von Bankkunden, deren Entdeckung möglicherweise völlig unwahrscheinlich ist, über lange Zeit – die Dauer des Steuerstrafverfahrens – keine strafbefreiende Selbstanzeige abgeben. Zu extrem ungerechten Ergebnissen kann dies insbesondere führen, wenn das Ermittlungsverfahren gegen den Vorstand der Öffentlichkeit und den Bankkunden nicht bekannt sein kann, Bankkunden aber freiwillig und vom Entdeckungsrisiko unabhängig zu einer Nacherklärung schreiten. Insgesamt erscheint daher auch dieser Regelungsvorschlag höchst bedenklich.
Nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist auch, dass § 371 Abs. 2 Satz 2 AO-E in der Fassung des Regierungsentwurfs anders als auf Nr. 1a und Nr. 1c nicht auf § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO-E Bezug nimmt, das heißt der Ausschluss der Straffreiheit aufgrund dieses Sperrgrundes nach dem Regierungsentwurf nicht auf diejenigen Steuerstraftaten (einer Steuerart) beschränkt werden soll, die Gegenstand des eingeleiteten Steuerstrafverfahren sind. Nach herrschender Meinung dürfte es daher auf Basis des Regierungsentwurfs bei einer Sperre für alle Taten betreffend diejenigen Steuerarten bleiben, für die das Steuerstrafverfahren eingeleitet und bekannt gegeben wurde, auch insoweit, als nur einzelne Taten (Besteuerungszeiträume) zum Gegenstand des bekannt gegebenen Strafverfahrens gemacht wurden.[62]
3. Änderung des Sperrgrunds des Erscheinens zur steuerlichen Prüfung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1c AO-E)
Nicht ohne Modifikation im Regierungsentwurf blieb der durch den Referentenentwurf unverändert gebliebene § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO-E (Erscheinen eines Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung). Auch hier – wie bei Nr. 1a – hat die Bundesregierung vor, die Sperrwirkung ausdrücklich auf „den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung“ zu beschränken.[63] Zudem soll nach § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E in der Fassung des Regierungsentwurfs bei Nr. 1c (wie bei Nr. 1a) ausdrücklich die strafbefreiende (Teil-)Selbstanzeige insoweit zulässig bleiben, als der Gegenstand der steuerlichen Prüfung, zu der die Amtsträger erschienen sind, nicht sachlich und zeitlich betroffen ist. Die vorgeschlagenen Regelungen sind – wie die entsprechenden zu Nr. 1a – positiv zu bewerten und dürften vergleichbare Auswirkungen für die Zulässigkeit der Selbstanzeige für nicht prüfungsbetroffene Steuerzeiträume haben (siehe oben).
Vor dem Hintergrund, dass nach h. M. auch Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung i.S.d. § 208 AO Prüfungsmaßnahmen sind,[64] und auch hier wie bei Nr. 1a die sachliche Reichweite der Sperrwirkung an den Begriff des „sachlichen Umfangs“ – nicht den der Steuerart – anknüpft, ist davon auszugehen, dass bei auf einzelnen Sachverhalten bezogene Steuerfahndungsprüfungen die Selbstanzeige nur in eng begrenztem Umfang ausgeschlossen ist. Eine solche Prüfung schließt die Selbstanzeige nur so weit aus, wie der konkrete Auftrag des Prüfers reicht.[65] Vor dem Hintergrund des § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E – der die Teilselbstanzeige zulässt, soweit die Sperrwirkung des Nr. 1c nicht reicht – lässt sich die Annahme vertreten, dass die Sperrwirkung nur – nach Sachverhaltskomplexe trennbare – Teile einer durch Steuerart und Besteuerungszeitraum definierten Steuerstraftat erfasst. Dies ist m. E. dann der Fall, wenn der Prüfauftrag entsprechen konkret und restriktiv gefasst ist.
4. (Neu verselbständigter) Sperrgrund des Erscheinens zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit (§ 371 Abs. 2 Nr. 1d AO-E, Regierungsentwurf)
Der Regierungsentwurf verselbständigt – ohne inhaltliche Modifikation gegenüber der bisherigen Rechtslage – den Sperrgrund des Erscheinens eines Amtsträgers zu steuerstrafrechtlichen oder -ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungen, der bislang Teil des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO ist, zu einem eigenen Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1d AO-E („Straffreiheit tritt nicht ein, wenn bei einer zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist…“).[66]
Die Begründung des Regierungsentwurfs weist darauf hin, dass es sich um eine redaktionelle Änderung im Zusammenhang mit der Einführung des oben erwähnten § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E handele.[67] Der Sinn der Ausgliederung dieses Sperrgrundes aus Nr. 1c in Nr. 1d des Regierungsentwurfs liegt also offensichtlich darin, bei steuerstrafrechtlichen Ermittlungen die Teilselbstanzeige gem. § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E – die Vorschrift gilt nur für Nr. 1c und 1a – auszuschließen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Sperrwirkung – nach Maßgabe des § 371 Abs. 1 AO – nach dem Regierungsentwurf alle unverjährten Steuerstraftaten derjenigen Steuerarten erfasst, die Gegenstand der Ermittlungen gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1d AO-E sind.
Die Bundesregierung möchte erkennbar einen Gleichklang der sachlichen und zeitlichen Reichweite der Sperrwirkungen gemäß Nr. 1b und Nr. 1d im Sinne des Regierungsentwurfs herbeiführen. Vor dem Hintergrund, dass in beiden Fällen praktisch meist um strafrechtliche Ermittlungsverfahren geht, liegt eine Gleichbehandlung tatsächlich nahe. Andererseits ist – wie zu Nr. 1b – festzuhalten, dass eine auf den sachlichen und zeitlichen Gegenstand des Strafverfahrens eingeschränkte Sperrwirkung sich konsequent in die restriktiven Neuregelungen zu den prüfungs- bzw. ermittlungsbezogenen Sperrgründen (Nr. 1a, Nr. 1c) eingefügt hätte. Inhaltlich spräche sowohl bei Nr. 1b als auch bei Nr. 1d für eine Gleichbehandlung mit den Sperrgründen gemäß Nr. 1a und Nr. 1c, dass weder die Einleitung und Bekanntgabe eines Ermittlungsverfahrens, noch die Durchführung von Ermittlungen zwingend zeitnah zur Aufdeckung von Steuerstraftaten führt, die dieselbe Steuerart aber einen anderen Besteuerungszeitraum betreffen. Maßgeblich für das Entdeckungsrisiko ist vielmehr in der Praxis u.a., ob innere bzw. thematisch-inhaltliche Zusammenhänge, Ähnlichkeiten des modus operandi oder eine Art Fortsetzungszusammenhang zwischen den Steuerhinterziehungen unterschiedlicher Steuerjahre bestehen, die eine Aufdeckung im Rahmen desselben Verfahrens nahe legen. Dies kann aber bei Hinterziehungshandlungen betreffend dieselbe Steuerart ohne weiteres fehlen. Im Gesetzgebungsverfahren sollte daher erwogen werden, die Regelungssystematik der Nr. 1a und 1c des Regierungsentwurfs auch auf die Nr. 1b und 1d auszudehnen.
5. (Neuer) Sperrgrund der Umsatzsteuer-Nachschau, Lohn-Steuernachschau oder sonstigen Steuernachschau (§ 371 Abs. 2 Nr. 1d AO-E, Referentenentwurf, bzw. § 371 Abs. 2 Nr. 1e AO-E, Regierungsentwurf)
Bislang war strittig, ob die Umsatzsteuer-Nachschau, die Lohnsteuer-Nachschau oder andere steuerliche Nachschauen als Prüfungen im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO anzusehen waren – ausdrücklich waren sie nirgendwo in § 371 AO erwähnt und fielen insbesondere nicht unter die Vorschriften zur Außenprüfung – und das Erscheinen der Prüfer eine Sperrwirkung auslöst. Die herrschende Auffassung hatte eine Sperrwirkung der diversen steuerlichen Nachschauen jedoch bereits in der derzeitigen Gesetzesfassung bejaht.[68] Unklar und strittig war bis zu einem gewissen Grad auch der Umfang der Sperrwirkung – bzgl. der Lohnsteuer-Nachschau wurde (m. E. zu Unrecht) vertreten, diese müssen für die ESt der Beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten – und der genaue Beginn.[69]
Das BMF schlägt nunmehr vor, sämtliche Formen der steuerlichen Nachschau ausdrücklich zu einem eigenständigen Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1d AO-E zu machen, für den Fall, dass der Prüfer zur Nachschau „erschienen“ ist (vgl. § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO). Zusätzlich wird präzisierend gefordert, dass er sich auch „ausgewiesen“ hat.[70] Beides wurde – als § 371 Abs. 2 Nr. 1e AO-E – unverändert auch in den Regierungsentwurf übernommen.[71]
Gerade die Ausweispflicht als Voraussetzung des Beginns der Sperrwirkung scheint zur genauen Festlegung des maßgeblichen Zeitpunkts bei der weniger formalisierten Nachschau sinnvoll, bei der es weder eine Prüfungsanordnung noch ein typisches Procedere für den Beginn gibt.[72] Zu Recht führt die Entwurfsbegründung aus, dass dem Steuerpflichtigen gegenüber die Sperrwirkung erst dann eintreten soll, wenn dieser aufgrund des Sich-Ausweisens des Finanzbeamten wissen kann, dass eine steuerliche Nachschau eines Amtsträgers stattfindet.[73] Sinnvoll ist auch der Hinweis, dass die Sperrwirkung fortfällt, sobald die Nachschau – typischerweise ohne formalen Akt durch das faktische Verlassen der Geschäftsräume – beendet ist.[74] Vor dem Hintergrund der herrschenden Auffassung, die mindestens dasselbe Ausmaß der Sperrwirkung von § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO herleitet,[75] erscheint die Gesetzesänderung faktisch eher als im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG gebotene und begrüßenswerte Klarstellung und zugleich Eingrenzung der Sperrwirkung der steuerlichen Nachschau. Die Formulierung der Vorschrift sollte hingegen vor dem Hintergrund des o.g. Streits klarstellen, dass die Sperrwirkung nur die jeweils konkret betroffene Steuerart – etwa: Lohnsteuer, nicht Einkommensteuer – und die von der Nachschau konkret betroffenen Steuerpflichtigen betrifft. In diesem Rahmen erscheint es grundsätzlich auch durchaus legitim, diesen Formen der Verifizierung steuerlicher Sachverhalte Sperrwirkung zuzumessen, denn jedenfalls bei einem konkreten Prüfungsauftrag dienen die Nachschauen – wie sonstige steuerliche Prüfungen – der Ermittlung der zutreffenden Besteuerungsgrundlage.[76]
6. (Neuer) Sperrgrund des besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 – 5 AO) gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO-E
Mit dem neuen Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO-E – gleichlautend in Referentenentwurf und Regierungsentwurf[77] – sollen alle anderen benannten besonders schweren Fälle des § 370 Abs. 3 AO – entsprechend bisher § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO, der bisher schon den besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung wegen Steuerhinterziehung großen Ausmaßes erfasste – in den Anwendungsbereich der Zuzahlungspflicht gemäß § 398 a Nr. 2 AO einbezogen werden, indem sie in den Anwendungsbereich eines – ebenfalls unechten – neuen weiteren Sperrgrundes inkludiert werden.
Dieser neue Sperrgrund der Nr. 4 führt – wie Nr. 3 – zwingend im Falle des Vorliegens einer Selbstanzeige, die alle übrigen positiven und negativen Voraussetzungen der Straffreiheit gemäß § 371 AO erfüllt, bei fristgerechter Erfüllung der (Steuer- und Zuzahlungs-)Pflichten des § 398 a AO zu einer Einstellung des Verfahrens.[78] Die Begründung des Gesetzesentwurfs, dass die besondere Strafwürdigkeit des besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung insgesamt dazu führen muss, dass hier nur nach § 398 a AO – das heißt bei Erfüllung zusätzlicher Zahlungspflichten – Straffreiheit eintreten solle,[79] erscheint im Hinblick auf § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetz grundsätzlich kohärent und nachvollziehbar. Eine gewisse Inkonsistenz erhält diese Argumentation jedoch dadurch, dass die Regelung gerade nicht für den so genannten unbenannten besonders schweren Fall im Sinne des § 370 Abs. 3 S. 2 AO gelten soll, der diese Regelbeispiele nicht erfüllt. Nach der Systematik der Strafzumessungsnorm muss dieser offenkundig in concreto von derselben Gewichtigkeit und Schuldschwere sein. Im Zusammenhang mit der Selbstanzeige ist dies jedoch deshalb gerechtfertigt, weil die Bestimmtheit der Norm des § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO-E bei einer Einbeziehung des unbenannten besonders schweren Falles erheblich leiden würde. Insbesondere für den Steuerpflichtigen wäre auch nicht annähernd voraussehbar, ob er eine Selbstanzeige nur bei Zahlung gemäß § 398 a Nr. 2 AO strafbefreiend bewirken kann, oder eine Steuernachzahlung (nach dem Entwurf unter Einbeziehung der Hinterziehungszinsen, § 235 AO) ausreichen werde.
Vor diesem Hintergrund erscheint der Regelungsvorschlag für sich genommen plausibel, hinreichend bestimmt und sachgerecht, steht aber in einem Spannungsverhältnis zur geplanten Absenkung des Schwellenwerts des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO-E von 50.000 auf € 25.000 €, das heißt unterhalb des in der Rechtsprechung anerkannten Mindestbetrags des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO (s.u.).
V. Absenkung der Schwelle des Hinterziehungsbetrags für das Entfallen der strafbefreienden Wirkung (§ 371 Abs. 2 Nr.AO-E)
Die gleichlautend in Referentenentwurf und Regierungsentwurf vorgesehene Änderung des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO-E, wonach eine strafbefreiende Wirkung nicht wie bisher bei einer Steuerverkürzung oder einem Steuervorteil von mehr als 50.000 €, sondern bereits bei einer Steuerverkürzung oder einem Steuervorteil von mehr als 25.000 € eintritt,[80] wird erstaunlicherweise recht kärglich lediglich damit begründet, dass eine entsprechende Übereinkunft der Bundesregierung mit den Ländern erzielt worden sei, nicht nur besonders schwerwiegende Fälle der Steuerhinterziehung – gemeint ist: im Sinne des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO – dem Anwendungsbereich des § 398 a AO zu unterwerfen, sondern alle Fälle mit einem höheren Hinterziehungsvolumen als 25.000 €.[81] Dies beschreibt zwar den tatsächlichen Grund des Änderungsvorschlags – der politische Wille der Bundesländer – zeigt aber weder rechtsdogmatische noch rechtspolitische Begründungsansätze auf. Dies ist unbefriedigend, denn die Absenkung der Schwelle der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige ist systematisch kaum zu rechtfertigen. Möglicherweise erklärt dies die sparsame Begründung des Entwurfs:
Die mangelnde Kongruenz der Absenkung der Zuzahlungsschwelle auf 25.000 € ergibt sich insbesondere daraus, dass diese durch den Gesetzgeber des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes explizit deshalb auf 50.000 € festgesetzt worden war, weil dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[82] die regelmäßige Schwelle für das Regelbeispiel des besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung wegen der Hinterziehung von Steuern in großem Ausmaß (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) war. Wie auch der Entwurf anerkennt, sollte die Straffreiheit nur in aufgrund des hohen Hinterziehungsbetrages besonders schweren Fällen von der Zuzahlung abhängig gemacht werden.[83] In diesem Zusammenhang lässt sich auch die nunmehr geplante Einführung des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO-E für alle anderen besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-5 AO) normsystematisch gut begründen (siehe oben).
Eine systematische Kongruenz der Sperrgründe der laut BMF und Bundesregierung zu ändernden Nr. 3 und der einzuführenden Nr. 4 wäre aber nicht gegeben, denn die Nr. 3 würde nicht mehr an ein Regelbeispiel des besonders schweren Falles anknüpfen, wohl aber die Nr. 4. In beiden Fällen – solchen bei denen regelmäßig ein besonders schwerer Fall anzunehmen ist, und solchen bei denen dies regelmäßig nicht anzunehmen ist (Verkürzungsbetrag von 25.000-50.000 €) – könnte künftig nur durch eine Zuzahlung Straffreiheit erlangt werden. Richtigerweise müsste zur Wahrung der inneren Schlüssigkeit bei Einführung des neuen Nr. 4 der Schwellenbetrag des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO unverändert bleiben. Dies ist auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) abzuleiten, der die Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem und die Ungleichbehandlung von wesentlich Ungleichem fordert.[84] Jedenfalls für Fälle, in denen §§ 371 Abs. 2 Nr. 3, 398a AO-E bei Verkürzungsbeträgen von 25.000 bis 50.000 € angewandt wird, ist m. E. von einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung mit Fällen gemäß §§ 371 Abs. 2 Nr. 4, 398a AO-E auszugehen, die im Gesetz zwingend angelegt ist und dieses daher ebenfalls dem Verdacht der Verfassungswidrigkeit aussetzt.
Dass die Summe eines steuerstrafrechtlichen Schadens von 25.000 € auch unter Verzicht auf einen nur § 371 Abs. 2 AO-E beschränkten Vergleich substantiell zu niedrig angesetzt sein dürfte, ergibt sich daraus, dass eine Anpassung des Schwellenwerts auf 25.000 € im Rahmen von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO – was zu Recht nicht vorgesehen ist – im Hinblick auf den für den besonders schweren Fall des Betrugs (§ 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB) nach herrschender Rechtsprechung erforderlichen Vermögenschaden von mindestens 50.000 € (siehe oben) kaum einer verfassungsrechtlichen Überprüfung am Gleichheitsprinzip standhalten dürfte. Die beiden Strafzumessungsvorschriften (§ 263 Abs. 3 StGB; § 370 Abs. 3 AO) sehen nämlich dasselbe Strafmaß (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) vor und sowohl diese als auch die Grundtatbestände entfalten eine zumindest vergleichbare Unrechtstypologie.[85] Vor diesem Hintergrund könnte es keinesfalls überzeugen, wenn der Straftatbestand der Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall an einen deutlich niedrigeren Schwellenwert anknüpfen würde als der des Betruges. Überträgt man diesen Gedanken auf den neuen § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO-E, dann liegt es nahe, auch im Hinblick auf die Selbstanzeigemöglichkeiten ohne Zuzahlung an die schadensmäßige Differenzierung zwischen einfachem und besonders schwerem Fall von Betrug und Steuerhinterziehung anzuknüpfen.
Grundsätzlich zu Recht wurde auch bereits darauf hingewiesen, dass die (politische) Diskussion über die Absenkung der Betragsgrenze des § 371 Absatz 2 Nr. 3 AO stark durch Selbstanzeigen geprägt wurde, die im Zusammenhang mit nicht erklärten ausländischen Kapitalerträgen stehen („Schweizer-Konten-Fälle“). Die Auswirkungen der Verschärfung im Bereich der Unternehmenssteuern wurden hingegen in der politischen Diskussion vernachlässigt.[86] Durch die geplante Absenkung würde das Institut der strafbefreienden Selbstanzeige an sich für kleine und mittlere Unternehmen, die regelmäßig in den – fehleranfälligen – Umsatzsteuervoranmeldungen mehr als 25.000 EUR Ausgangsumsatzsteuern anmelden, erheblich eingeengt werden;[87] unzweifelhaft gilt dies auch für Ertragssteuern (Einkommensteuer, Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer). Da der Entwurf zur Ermittlung des für § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO-E maßgeblichen Hinterziehungsbetrags auch bei der Umsatzsteuer weiterhin nicht auf den echten Steuerschaden unter Berücksichtigung legitimer Vorsteuerabzüge (vgl. § 18 UStG), sondern auf den tatbestandlichen Verkürzungsbegriff (§ 370 Abs. 1, Abs. 4 AO) abstellt,[88] laufen solche Unternehmen – jedenfalls hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung – Gefahr, aus dem Anwendungsbereich einer zuschlagsfreien Selbstanzeige ausgeschlossen zu werden,[89] da mangels Berücksichtigung von Vorsteuer nicht die Umsatzsteuerzahllast, sondern der formale Verkürzungsbetrag ohne Vorsteuerabzüge als Hinterziehungsbetrag anzusetzen wäre.[90] Hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen würde diesem Problem jedoch zukünftig § 371 Abs. 2a AO-E effektiv entgegenwirken, da die Wirksamkeit der Teilselbstanzeige bzgl. Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen ausdrücklich auch die Anwendbarkeit der §§ 371 Abs. 2 Nr. 3, 398a AO für diesbezügliche (Teil-)Selbstanzeigen ausschließt, d.h. insoweit die Zuzahlungspflicht gem. § 398a Nr. 2 AO-E auch für 25.000 EUR übersteigende Hinterziehungsbeträge entfällt.
VI. Einbeziehung der Hinterziehungszinsen in die fristgebundene Zahlung (§ 371 Abs. 3 AO-E)
Sowohl Referentenentwurf als auch Regierungsentwurf sehen gleichlautend vor, dass auch in Fällen der einfachen Steuerhinterziehung Voraussetzung für die Straffreiheit durch die – im Übrigen wirksame – Selbstanzeige ist, dass innerhalb der durch die Strafverfolgungsbehörde gesetzten angemessenen Frist gemäß § 371 Abs. 3 AO-E nicht nur die zu eigenen Gunsten hinterzogenen Steuern nachgezahlt werden, sondern auch die Hinterziehungszinsen im Sinne des § 235 AO sowie daneben die nach der allgemeinen Verzinsungsregelung des § 233 a AO zu entrichtenden Beträge, da nach § 235 Abs. 4 AO diese Nachzahlungszinsen auf die Hinterziehungszinsen anzurechnen sind, soweit sie für denselben Zeitraum (Zinslauf) festgesetzt wurden.[91] Eine Doppelverzinsung derselben Steuernachforderungen werde vermieden, indem nur der nach Anrechnung der Nachzahlungszinsen verbleibende Differenzbetrag als Hinterziehungszinsen festgesetzt und erhoben wird.[92]
Vor dem Hintergrund, dass gerade bei länger zurückliegenden Steuerhinterziehungen die Hinterziehungszinsen – 6 % pro Jahr – im Verhältnis zum Hinterziehungsbetrag zu sehr erheblichen Zahlungspflichten führen, – man denke etwa an einen zehn Jahre zurückliegenden besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung oder Fälle der Erbschafts- und Schenkungssteuerhinterziehung, die wegen des späten Beginns der Festsetzungsfrist steuerlich auch noch nach mehreren Jahrzehnten relevant sein können (§ 170 Abs. 5 AO) – würde die geplante Neuregelung des § 371 Abs. 3 AO für den Steuerhinterzieher zu einer erheblichen und kurzfristig zu bewältigenden wirtschaftlichen Zusatzbelastung als zwingende Voraussetzung der Straffreiheit führen.[93]
Die Regelung zumindest des Referentenentwurfs könnte theoretisch so zu verstehen sein, dass in Fällen der über Jahrzehnte wiederholten Hinterziehung von Schenkungsteuer (aufgrund des steuerartbezogenen Vollständigkeitsgebots[94]) die Zinsen auch für diese an sich strafrechtlich verjährten Taten in Höhe von bis zum Doppelten des Steuerbetrags zur Erzielung der Strafbefreiung für die nicht verjährte Tat abgeführt werden müssten.[95] Zumindest dies wäre unverhältnismäßig (Art. 20 Abs. 3 GG). Mit Hinterziehungszinsen im Sinne des § 371 Abs. 3 AO-E sind daher nur solche auf eine (unverjährte) Steuerstraftat gem. § 371 Abs. 1 AO gemeint. Sicherheitshalber wäre dies klarzustellen, sollte diese Entwurfsfassung doch noch weiter verfolgt werden.
Der Regierungsentwurf dürfte in der Zusammenschau von § 371 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 AO-E wohl bereits eine hinreichend klare Begrenzung auf Hinterziehungszinsen für Steuerstraftaten nur aus dem Zehnjahreszeitraum des § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E enthalten.
Unabhängig von diesen Unterschieden erscheint die Änderung insgesamt nicht sachgerecht: Bislang konnten die Hinterziehungszinsen im Rahmen des normalen Besteuerungsverfahrens unter Berücksichtigung der dortigen Fristenlage und der Rechtsbehelfsmöglichkeiten sowie ohne den Druck gezahlt werden, ansonsten die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nicht zu erlangen. Nunmehr muss der Steuerhinterzieher im Moment der Selbstanzeige praktisch nicht nur den Hinterziehungsbetrag und gegebenenfalls den Zuzahlungsbetrag gemäß § 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E als liquide Mittel bereithalten, sondern auch den Hinterziehungszinsbetrag. Dieser wird daher von Beraterseite mit zu berechnen bzw. zu schätzen sein.[96] Es ist unklar, ob sich das BMF und die Bundesregierung bewusst sind, dass diese Regelung erheblich dazu beitragen könnte, dass sich zukünftig weniger Steuerhinterzieher eine Selbstanzeige leisten können.[97]
Insbesondere gilt dies in solchen Fällen, in denen die Täter die Nachzahlungspflicht gemäß § 371 Abs. 3 AO oder § 398 a Abs. 1 Nr. 1 AO selbst gar nicht trifft, weil sie – in großem Ausmaß – Steuern zu Gunsten eines Unternehmens oder eines sonstigen Dritten – nicht zu eigenen Gunsten – hinterzogen haben. Hier wird es – auch aufgrund der Erhöhung der Zuzahlungspflichten gem. § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO-E (s.u.) – voraussichtlich zu Finanzierungsproblemen bei der Regularisierung kommen, soweit die betroffenen – von der Steuerhinterziehung begünstigten – Unternehmen nicht Willens sind, die Kosten der Selbstanzeige der Mitarbeiter zu übernehmen oder jedenfalls zu finanzieren. Man kann vielmehr sogar befürchten, dass einer möglicherweise nicht rechtstreu gesinnten Unternehmensleitung durch die Einbeziehung der Hinterziehungszinsen in § 371 Abs. 3 AO-E und die Verschärfung des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO-E zusätzliche Werkzeuge in die Hand gegeben werden, eine ungewollte Selbstanzeige von reuigen, gegebenenfalls ehemaligen Mitarbeitern, die für das Unternehmen Steuerstraftaten begangen haben, durch Hinweis auf die erhöhten Zahlungspflichten zu verhindern.
Auch unter rechtssystematischen Gesichtspunkten erscheint fraglich, ob es richtig sein kann, die Straffreiheit von der Erbringung steuerliche Nebenleistungen abhängig zu machen, die ex ante nicht geschuldet waren und die auch nicht – wie die Zuzahlung gem. § 398a Abs. 2 Nr. 2 AO-E – vergleichbar einer Geldauflage gemäß § 153 a StPO eine Sanktionsfunktion haben.
Immerhin ist zu begrüßen, dass Unternehmer und Arbeitnehmer – steuerlich zuständige Mitarbeiter von Unternehmen – die unrichtig, unvollständig oder verspätet erstellten Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen erstellen und die gerade im ersteren Fall oft ein besonders großes Hinterziehungsvolumen betreffen, gemäß § 371 Abs. 2a S. 1 AO-E zukünftig von der Zinszahlung als Voraussetzung der Straffreiheit entbunden sein sollen.[98]
VII. Erhöhung der Zuzahlungspflichten (§ 398a AO-E)
Ein fiskalisch und wirtschaftlich wichtiger sowie emotional besetzter Bestandteil – insbesondere in der öffentlichen Wahrnehmung – des Reformvorhabens ist die Verschärfung und teilweise Klarstellung des in 2011 eingeführten § 398 a AO. § 398a AO-E ist im Referentenentwurf und im Regierungsentwurf identisch gefasst. [99]
1. Klarstellung des Anknüpfungspunktes der Zuzahlungspflicht (§ 398 a Abs. 2 AO-E)
Die neu eingefügte Vorschrift des § 398 a Abs. 2 AO-E sieht ausdrücklich vor, dass die Bemessung des Hinterziehungsbetrags sich nach den Grundsätzen in § 370 Abs. 4 AO richtet. Die Ergänzung dient aus Sicht des BMF und der Bundesregierung der Klarstellung, dass der Hinterziehungsbetrag bei § 398 a AO den gleichen Grundsätzen folgt wie im Rahmen der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO, insbesondere das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO) anwendbar ist. Daraus folgt, dass eine steuerrechtlich zulässige und gebotene Kompensation durch Abzugsposten beim Steuerpflichtigen – soweit kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen steuermindernden und steuererhöhenden Umständen besteht[100] – nicht zu einer Verringerung des tatbestandlichen Steuerschadens und nicht zur Verringerung der Zuzahlungshöhe gemäß § 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E führt.[101]
Besonders relevant ist dies im Hinblick auf die nach herrschender Auffassung dem Kompensationsverbot unterliegende Vorsteuer bei der Umsatzsteuerhinterziehung.[102] Da dies bereits bisher der herrschenden Auffassung in der Finanzverwaltung und wohl auch in Literatur und Rechtsprechung entsprach,[103] führt die Kodifizierung in der Praxis wohl allenfalls punktuell zu Änderungen. Dessen ungeachtet war und bleibt dies im Hinblick auf die Zuzahlung gemäß § 398 a Nr. 2 AO zu kritisieren, weil es sich der Sache nach hier – wie im Rahmen des § 153 a StPO – um eine geldauflagenähnliche Zahlung als Schuldausgleich und zum Ausschluss des öffentlichen Interesses handelt, bezüglich derer auch der Gesetzgeber des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes eine strafprozessuale Funktion anerkannt hatte.[104] Vor diesem Hintergrund wäre es richtig gewesen, eine Klarstellung oder Änderung des Wortlauts („Hinterziehungsbetrag“) im entgegengesetzten Sinne herbeizuführen, nämlich das für die Zwecke des § 398 a Nr. 2 AO auf den Strafzumessungsschaden oder aber auch dem regelmäßig entsprechenden steuerlichen Schaden abzustellen ist („Steuerschaden“ o.ä.).[105] Angesichts der bisherigen herrschenden Auffassung – und auch des politischen Zeitgeists – war nicht zu erwarten, dass der Gesetzgeber die Chance zu einer systemgerechten und schuldangemessenen Anpassung der Definition des Schwellenwerts des § 398 a AO ergreifen würde. Dies ist zu bedauern, weil es zu erheblichen Ungleichbehandlungen führen wird. Diese Ungleichbehandlungen werden angesichts der Verschärfung des § 398 a Nr. 2 AO-E (siehe unten) von größerer wirtschaftlicher und praktischer Bedeutung sein als bisher, und sich demgemäß verfassungsrechtlich gemessen an Art. 3 Abs. 1 GG auch weniger gut rechtfertigen lassen.
2. Verschärfung der Zuzahlungspflichten (§ 398 a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a-AO-E)
§ 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E führt nunmehr zu einer Erhöhung des auf den Hinterziehungsbetrag zu zahlenden Prozentsatzes, der derzeit grundsätzlich (bei mehr als 50.000 €) bei 5 % des Hinterziehungsbetrags liegt, in drei von der Höhe des Hinterziehungsbetrags abhängigen Stufen (Nr. 2 Buchst. a – Buchst. c) ein:
Der zu zahlende Geldbetrag liegt nunmehr bei 10 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag zwar 25.000 €, nicht aber 100.000 € übersteigt (§§ 398 a Abs. 1 Nr. 2a, 371 Abs. 2 Nr. 3 AO-E). Bei 15 % der hinterzogenen Steuer liegt der Zuzahlungsbetrag, wenn der Hinterziehungsbetrag 100.000 €, aber nicht 1 Million € übersteigt (§ 398 a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO-E). Schließlich sind 20 % der hinterzogenen Steuer zu zahlen, wenn der Hinterziehungsbetrag 1 Million € übersteigt (§ 398 a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c AO-E).
Die Begründung der Erhöhung der Zuzahlungen fällt – abgesehen von Berechnungsbeispielen[106] – äußerst knapp aus. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass eine deutliche Anhebung des Geldbetrags vorgesehen sei und sich dieser Betrag – weil die Höhe des Hinterziehungsbetrags einen wesentlichen Umstand für die Bemessung der Schuld des Straftäters sei – an der Höhe des Hinterziehungsbetrags orientieren soll. Deshalb werde auch eine Staffelung des zu zahlenden Geldbetrags eingeführt.[107] Weder eine Rechtfertigung der konkreten Prozentsätze noch für die Schwellenwerte der Hinterziehungsbeträge für die Staffelung wird angeboten.
Vor dem Hintergrund, dass die herrschende Meinung zum bisherigen § 398 a Nr. 2 AO davon ausging, dass es sich bei dem Schwellenwert um eine Freigrenze, nicht um einen Freibetrag handelt,[108] vor allem aber unter Berücksichtigung der Beispiele zur Berechnung des Betrags im Entwurf, ist davon auszugehen dass die nunmehr drei Schwellenwerte – 25.000 €, 100.000 €, 1 Million € – weiterhin als Freigrenzen interpretiert werden sollen, und somit bei Überschreitung eines Schwellenwertes jeweils der höchste anwendbare Prozentsatz auf den gesamten Hinterziehungsbetrag anzuwenden ist.[109]
Man kann bereits anzweifeln, ob die Schwellenwerte und die Prozentsätze für sich genommen schlüssig und unter Gesichtspunkten der Gerechtigkeit vertretbar gewählt sind. Dieser Eindruck drängt sich schon deshalb auf, weil das BMF auf eine Begründung völlig verzichtet. Zu Gunsten einer besonderen Relevanz der Überschreitung der Schwelle von 1 Million € Hinterziehungsbetrag könnte die Rechtsprechung herangezogen werden, wonach regelmäßig bei einem solchen Hinterziehungsbetrag eine zu verhängende (Gesamt-) Freiheitsstrafe nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann[110]. Eine solche Begründung würde aber die Zuzahlung weiter in die Nähe einer Strafe rücken und sie als strafähnliche Sanktion markieren. Hinsichtlich der 100.000 € ist – angesichts der Absenkung der Eingangsschwelle für die Zuzahlung auf 25.000 € und vor dem Hintergrund, dass der besonders schwere Fall der Steuerhinterziehung regelmäßig bei 50.000 € beginnen soll – kein nahe liegendes Argument zu finden.
Hinsichtlich der vorgesehenen Prozentsätze ist jedenfalls im oberen Bereich darauf hinzuweisen, dass Zuzahlung von 20 % des Hinterziehungsbetrags insbesondere bei zehnjährigen Steuerverkürzungen mit der Pflicht zur Zahlung von jeweils 6 % Hinterziehungszinsen pro Jahr gerade bei der gemäß § 370 Abs. 4 AO zu berechnenden verkürzten Umsatzsteuer – das heißt ohne die Möglichkeit zum Abzug berechtigter Vorsteuer – zu konfiskationsähnlichen Folgen führen kann,[111] was auch im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG problematisch erscheint. Von anderer Seite wurde insofern zu Recht auch die Verletzung des Übermaßverbots (Art. 20 Abs. 3 GG) in den Raum gestellt.[112] Ausgehend von der Janosevic-Entscheidung des EGMR, in der es sich um steuerliche Zuschläge von 20 % bis 40 % handelte, sei jedoch noch davon auszugehen, dass ein Zuschlag von 20 % mit Art. 6 EMRK vereinbar wäre.[113]
Ohne dass dies an dieser Stelle schon vertieft behandelt werden könnte, ist darauf hinzuweisen, dass auch die Regelungstechnik unter Verwendung von Freigrenzen vor dem Hintergrund der erheblichen Anhebung der Prozentsätze auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen dürfte. Es ist insbesondere unter Gleichheitsgesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht nachvollziehbar, dass nach neuem Recht bei einem Hinterziehungsbetrag von 1 Million € eine Zuzahlung von 150.000 € zu erfolgen hat, damit der Steuerhinterzieher straffrei wird, während bei einem Hinterziehungsbetrag von 1.000.001 € – das heißt bei 1 € Differenz im Hinterziehungsbetrag – eine Zuzahlung von ca. 200.000 € erforderlich ist, d.h. ein um 1 € höherer Hinterziehungsbetrag zu einer Erhöhung der erforderlichen Zuzahlungen um 50.000 € führt.[114] Dies verstößt offensichtlich gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da (nahezu) Gleiches erheblich ungleich behandelt wird.[115] Die Verschärfung der Zuzahlungsregelungen lassen die Zuzahlung immer mehr wie eine Art Geldstrafe oder jedenfalls wie eine (Geld-)Auflage im Sinne des § 153a StPO erscheinen, was zumindest ansatzweise zu einer entsprechenden Anwendung der verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Strafzumessung führen muss. Daher darf die Bemessung der Zuzahlung Grundsätze der Schuldangemessenheit und Proportionalität jedenfalls nicht offenkundig verletzen. Dem wird die Regelungssystematik des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO-E zur Bestimmung der Zuzahlungshöhe nicht gerecht.
Zu Recht wurde daher vorgeschlagen, die ins Auge gefassten Prozentsätze im Sinne eines echten Staffeltarifs auszugestalten und den nächsthöheren Zuschlag nur auf den die Schwellenwerte (25.001, 100.001, 1.000.001 €) übersteigenden Teil anzuwenden.[116] Dies dürfte allerdings nur eine Minimalkorrektur zur Beseitigung des offensichtlichsten verfassungsrechtlichen Mangels der Regelung darstellen.
VIII. Änderung des Steuerstrafverfahrens: Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 398 a Abs. 3 AO-E) und Anrechnungsmöglichkeit (§ 398 a Abs. 4 AO-E)
Darüber hinaus sind – in Referenten- und Regierungsentwurf – zwei Änderungen des Steuerstrafverfahrens über den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Abgabe der Selbstanzeige hinaus vorgesehen.
1. Wiederaufnahme des Verfahrens bei fehlerhafter Selbstanzeige (§ 398 a Abs. 3 AO-E)
Es ist vorgesehen, dass die Wiederaufnahme eines gemäß § 398 a Abs. 1 AO-E abgeschlossenen Verfahrens – bei dem durch eine Einstellungsentscheidung von der Strafverfolgung einer Steuerstraftat abgesehen wurde – zulässig ist, wenn die Finanzbehörde erkennt, dass die Angaben im Rahmen einer Selbstanzeige unvollständig oder unrichtig waren (§ 398 a Abs. 3 AO-E). Die Vorschrift soll „Gestaltungen bei der Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige“ – also wohl nicht nur vorsätzlichen Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten, jedenfalls bleibt dies offen – vorbeugen.[117] Das BMF und die Bundesregierung sehen ansonsten die Gefahr, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen sei, wenn der betroffene Steuerpflichtige keine vollständige und richtige Selbstanzeige abgegeben hat und dies erst nach der Einstellung des Verfahrens bekannt wird.[118] Offenbar soll die objektive Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit genügen, um die Wiederaufnahme zu rechtfertigen.
Die Äußerung des könnte – für die bisherige Rechtslage – so verstanden werden, dass derzeit aus Sicht des BMF und der Bundesregierung durch eine Einstellung gemäß § 398 a AO für die betroffene prozessuale Tat (§ 264 StPO) eine zumindest beschränkte Rechtskraftwirkung zu Gunsten des an einer Steuerhinterziehung Beteiligten herbeigeführt wird.[119] Andernfalls hätte die oben beschriebene Sorge keine rechtliche Grundlage, weil ohnehin – wie nach herrschender Auffassung bei einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO – das Steuerstrafverfahren ungeachtet des Absehens von Strafe gemäß § 398 a AO jederzeit fortgeführt werden könnte.
Aus diesseitiger Sicht erscheint die Regelung nicht sachgerecht, auch wenn sie praktisch kaum Veränderungen herbeiführen dürfte, da die herrschende Meinung bereits jetzt davon ausgeht, dass § 398 a AO keine – auch keine eingeschränkte – Rechtskraftwirkung hat.[120] Es mag vielleicht noch angehen, den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit vorzubehalten, eine einer vorsätzlich zu niedrigen Selbstanzeige zu Grunde liegenden Steuerhinterziehung trotz einer Einstellungsentscheidung gemäß § 398 a AO zu verfolgen, um gegenüber dem bösgläubigen Steuerhinterzieher – oder dessen Berater – einen Abschreckungseffekt zu erzielen. Wie der Vergleich mit § 153 a StPO jedoch zeigt, wäre es im deutschen Strafverfahren wohl gleichheitswidrig, für den Fall, dass nur eine – im Rechtssinne freiwillige – Leistung des Beschuldigten zu Einstellung des Verfahrens führt, dieses jederzeit bzw. beim Vorliegen neuer belastender Beweismittel wieder aufgreifen zu können. Nicht ohne Grund ist bei § 153 a Abs. 1 S. 5 StPO Voraussetzung der Wiederaufnahme, dass die Tat nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen verfolgt werden muss, weil dann auch abstrakt gesehen die rechtliche Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nicht bestanden hätte. Der Sache nach handelt es sich also zumindest im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht um eine nur sehr abstrakt gesehen „eingeschränkte“ Rechtskraft. Vor dem Hintergrund der funktionellen Vergleichbarkeit der beiden Vorschriften sollte mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz derselbe Rechtsgedanke auch für § 398 a AO gelten.[121]
Zudem erscheint nicht fern liegend, dass der EuGH unter Berücksichtigung seiner bisherigen Rechtsprechung zu Art. 54 SDÜ und – inhaltlich entsprechend – Art. 50 EU-GRC, die das europäische „ne bis in idem“ etwa auf § 153 a StPO erstreckt hat[122] – ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Zahlung gem. § 398a Nr. 2 AO als Verletzung des Doppelbestrafungsverbots gem. Art. 50 EU-GRC[123] rügen könnte. Aufgrund der für die Einstellung nötigen Zuzahlung, der Nichtrückzahlbarkeit der Zuzahlung (vgl. § 398a Abs. 4 AO-E) und der grds. Endgültigkeit der Einstellungsentscheidung nach § 398a AO würde sich ein – auch rein innerdeutsches[124] – Wiederaufgreifen des Verfahrens mit anschließender Bestrafung wohl als nach Art. 50 EU-GRC unzulässige Strafverfolgung nach rechtskräftiger Verurteilung darstellen, jedenfalls für den Fall, dass die Selbstanzeige nicht vorsätzlich unrichtig abgegeben wurde.[125]
2. Anrechnungsmöglichkeit der Zahlungen auf Geldstrafen bei fehlender strafbefreiender Wirkung (§ 398 a Abs. 4 AO-E)
Positiv zu beurteilen ist hingegen, dass § 398 a Abs. 4 AO-E ermöglichen will, dass in solchen Fällen, in denen das Strafverfahren trotz Zahlung des Zuschlages nicht eingestellt wird oder es zu einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens (Abs. 3) kommt und dieses mit einer Verurteilung endet, der gezahlte Zuschlag vom Gericht auf eine Geldstrafe angerechnet werden kann.[126]
IX. Änderungen des Besteuerungsverfahrens: Anlaufhemmung der Festsetzungsverjährung für ausländische Kapitalerträge (§§ 164 Abs. 4 S. 2, 170 Abs. 6 AO-E)
Speziell für Kapitalerträge aus bestimmten ausländische Staaten und Territorien ist sowohl im Referentenentwurf als auch im Regierungsentwurf eine Anlaufhemmung der Festsetzungsverjährung vorgesehen. § 170 Abs. 6 AO-E soll so gefasst werden, dass für diejenigen Steuern, die auf Kapitalerträge entfallen, die (Nr. 1) aus Staaten oder Territorien stammen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der europäischen Freihandelsassoziation sind, und (Nr. 2) nicht nach Verträgen im Sinne des § 2 Abs. 1 AO oder hierauf beruhen Vereinbarung automatisch mitgeteilt werden, die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf desjenigen Kalenderjahres beginnt, in dem diese Kapitalerträge der Finanzbehörde durch Erklärung des Steuerpflichtigen oder in sonstiger Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.[127]
Hierbei handelt es sich um eine Spezialregelung gegenüber den allgemeinen Regelungen zum Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 1 und Abs. 2 AO.[128] § 164 Abs. 4 S. 2 AO dient deren Umsetzung. Die Vorschriften sollen gewährleisten, dass für ausländische Kapitalerträge aus gesetzlich definierten nicht kooperativen Staaten im Besteuerungsverfahren die zutreffende Besteuerung durch späteren Beginn der steuerlichen Verjährungsfristen ermöglicht wird.[129] Angesichts der Schwierigkeiten der deutschen Finanzbehörden, für die hier beschriebenen Jurisdiktionen an steuerlich relevante Informationen zu gelangen, erscheint es grundsätzlich nachvollziehbar, die steuerliche Verjährung erst zu mit Ablauf desjenigen Jahres beginnen zu lassen, in dem der Fiskus Kenntnis von den unversteuerten Kapitalerträgen erhält. Allerdings wird von der Bundessteuerberaterkammer zutreffend darauf hingewiesen, dass nicht genau definiert wird, was Kapitalerträgen „aus“ diesen Staaten und Territorien sein sollen, das heißt ob es auf das Bankland, eine Mantelgesellschaft in einem Drittstaat oder den Sitz einer Dividenden ausschüttenden Kapitalgesellschaft ankommt.[130]
Die Regelung dürfte Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vielleicht noch gerecht werden, da jedenfalls spätestens zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, die Festsetzungsfrist beginnt. Somit ist für Fälle der Steuerhinterziehung (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO) eine regelmäßige Obergrenze für den Ablauf der Festsetzungsverjährung von 20 Jahren nach Ablauf des Steuerjahres, aus dem die Kapitalerträge stammen, gegeben, statt bisher – mangels Anlaufhemmung – von 10 Jahren. Praktisch dürften jedoch Steuerfestsetzungen nach 20 Jahren im Hinblick auf Dokumentationsschwierigkeiten für Kapitalerträge aus den hier (wahrscheinlich) betroffenen Staaten vielfach nicht umzusetzen sein. Zudem würde die Regelung erneut zum Auseinanderfallen von steuerlicher und strafrechtlicher Verjährung beitragen.[131]
X. Fazit und Ausblick
Der Vorschlag für eine 2. Reform der strafbefreienden Selbstanzeige („Selbstanzeige 3.0“), so wie er im Entwurf des BMF vom 27. August 2014 und dem der Bundesregierung vom 24. September 2014 präsentiert wird, weist gegenüber dem Gesetzesstand des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes 2011 („Selbstanzeige 2.0“) einige markante Verbesserungen auf. Diese wären aber überwiegend nicht erforderlich geworden, wenn der Gesetzgeber viele Aspekte der Selbstanzeige 2011 nicht sinnwidrig und unklar gestaltet hätte. Während es der Referentenentwurf des BMF zunächst überwiegend mit ansatzweisen Teilkorrekturen bewenden lies, stellt sich der Regierungsentwurf insbesondere im Bereich der Sperrgründe aufgrund einer expliziten Beschränkung der zeitlichen und sachlichen Sperrwirkung eines Teils der Sperrgründe und der Zulassung einer korrespondierenden Teilselbstanzeige als weiterführend dar.
Dennoch enthält nicht nur der Referentenentwurf, sondern leider auch noch der Regierungsentwurf überwiegend Erschwernisse für die Erzielung der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige – besonders in Gestalt einer Überdehnung des personellen Anwendungsbereichs der Sperrgründe – sowie Verschärfungen bzgl. der geldauflagenähnlichen Zahlung gem. § 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E, die erheblichen rechtspolitischen und teilweise auch verfassungsrechtlichen Einwänden ausgesetzt sind und die innere Systematik der §§ 370, 371 AO wie auch deren Verhältnis zum allgemeinen Strafrecht weiter aus dem Gleichgewicht bringen.
Uneingeschränkt zu begrüßen ist die Abschaffung der Teilselbstanzeige für Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen, die auch in ihrer konkreten Formulierung in beiden Entwurfsfassungen gelungen erscheint (§ 371 Abs. 2a AO-E).
Wenig einzuwenden ist gegen die ausdrückliche Einbeziehung der steuerlichen Nachschauen in den Kreis der Sperrgründe (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 d AO-E, Referentenentwurf; § 371 Abs. 2 Nr. 1 e AO-E, Regierungsentwurf).
Mit praktischen Problemen behaftet und – gemessen am StGB – systemwidrig war die im Referentenentwurf noch vorgesehene Verlängerung der Verjährungsfrist der einfachen Steuerhinterziehung auf zehn Jahre (§ 376 AO-E), auf die der Regierungsentwurf glücklicherweise verzichtet, nicht ohne allerdings durch die Korrekturvoraussetzung von mindestens zehn Kalenderjahren für Straftaten der betroffenen Steuerarten (§ 371 Abs. 1 S. 2 AO-E) für zusätzliche Unklarheiten und Schwierigkeiten – wenn auch nur für den Bereich der Selbstanzeige – zu sorgen.
Die drakonischen, nichtlinearen und ungleichmäßigen Erhöhungen der Zuzahlungen gemäß § 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E (des Referentenentwurfs wie des Regierungsentwurfs) unter weiterer Nutzung des „Freigrenzen-Modells“ dürften derart offensichtliche verfassungsrechtliche Probleme – insbesondere gemessen am Gleichbehandlungsgrundsatz – aufwerfen, dass zu hoffen ist, dass der Gesetzgeber im weiteren Verfahren insoweit die Kraft zumindest für eine Korrektur hin zu einem echten Progressionsmodell findet.
Weniger wahrscheinlich ist, dass der Gesetzgeber maßgeblich berücksichtigen wird, dass die Verschärfung der Zahlungspflichten insgesamt – unter Berücksichtigung der Einbeziehung der Hinterziehungszinsen (§ 235 AO) gemäß §§ 371 Abs. 3, 398a Abs. 1 Nr. 1 AO-E – viele Steuerhinterzieher wirtschaftlich überfordern wird. Auch verkennt der Gesetzgeber, dass die zunehmend differenzierte, unübersichtliche Gestaltung (und zeitweise Ausweitung) der Sperrgründe dem Steuerpflichtigen jenseits des Zumutbaren erschweren wird, zu erkennen, ob und inwieweit ihm eine strafbefreiende Selbstanzeige noch möglich ist.
Der Gesetzgeber dürfte – vielleicht ungewollt – demnächst aufgrund der Komplexität und der Intensität seiner sukzessiven Verschärfungen des Selbstanzeigerechts eine Situation herbeiführen, in der für die Beratungspraxis kaum mehr vorhersehbar sein wird, ob die Selbstanzeige noch vollständig, richtig und rechtzeitig abgegeben werden und strafbefreiende Wirkung noch erzielt werden kann. Aufgrund dessen wird ein Berater – bei nicht erkennbar drohender und unwahrscheinlich erscheinender Tatentdeckung – seltener uneingeschränkt zur Selbstanzeige raten können, um nicht Berufspflichten zu verletzen und um sich selbst nicht Haftungsrisiken auszusetzen. Der Berater muss angesichts der komplex geregelten Sperrgründe und der Unübersichtlichkeit des Selbstanzeigerechts insgesamt damit rechnen, dass er seinen Mandanten durch die Selbstanzeige unwissentlich einem ansonsten vermeidbaren Strafverfahren und einer Bestrafung aussetzt.
Diese Unübersichtlichkeit wird dazu führen, dass es zukünftig – mangels eindeutiger Empfehlung der steuer(-strafrecht-)lichen Berater – weniger Selbstanzeigen geben dürfte, gerade in Fällen, in denen nicht erkennbar eine Entdeckung droht. Dem Ziel, durch das Rechtsinstitut der Selbstanzeige neue Steuerquellen zu erschließen, wird der Gesetzgeber daher voraussichtlich auch mit Hilfe des gemäßigteren Regierungsentwurfs nicht näherkommen. Auch das Ziel der Förderung der Rückkehr des objektiv und subjektiv nicht entdeckungsbedrohten Steuerhinterziehers in die Steuerehrlichkeit dürfte aufgrund der oben genannten Gründe überwiegend – nimmt man den Anwendungsbereich des neuen § 371 Abs. 2a AO-E aus – verfehlt werden. Wünschenswert ist dies wohl weder aus der Perspektive der Finanzverwaltung noch aus derjenigen der ohnehin über eine zu starke Belastung klagenden Strafverfolgungsbehörden. Der Gesetzgeber scheint dennoch weiter auf dem Weg voranschreiten zu wollen, die strafbefreiende Selbstanzeige durch Verkomplizierung und unattraktive Gestaltung sukzessive abzuschaffen
Nur drei Jahre nach der letzten Reform der strafbefreienden Selbstanzeige durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz kündigen sich die nächsten Änderungen an. Der am 27. August 2014 vorgelegte Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums (BMF) lässt kaum eine Idee aus 2011 unangetastet. Dieser Aktionismus ist nicht allein mit den – zweifellos vorhandenen – Mängeln des nun geltenden Rechts zu erklären, sondern auch mit einem (erneuten) Wandel rechtspolitischer Vorstellungen und einer weiterhin aufgeheizten Stimmung des massenmedial geprägten Zeitgeistes. Der Regierungsentwurf vom 24. September 2014 enthält einige lobenswerte Einschränkungen der Reichweite der Sperrgründe und sieht von einer Ausweitung der Strafverfolgungsverjährung ab, behält ansonsten aber die verschärfende Tendenz des Referentenentwurfs bei.
I. Hintergrund und Ziele des Entwurfs
Bereits am 27. März 2014 hatten die Finanzminister von Bund und Ländern im Rahmen der Finanzministerkonferenz vereinbart, dass die strafbefreiende Selbstanzeige zwar einerseits erhalten bleiben solle, andererseits aber deren Regelungen verschärft werden müssten. Insbesondere die Voraussetzungen des Absehens von der Strafverfolgung gemäß § 398 a AO in Fällen der Steuerhinterziehung großen Ausmaßes sollten erschwert werden. Die Zuzahlungspflicht des § 398 a AO sollte sich auf einen nach der Höhe der Hinterziehungsbeträge gestaffelten, erhöhten Prozentsatz des Hinterziehungsbetrages beziehen. Für die Strafverfolgungsverjährung sollte auch bezüglich des Grundtatbestands der Steuerhinterziehung die Verjährungsfrist des § 376 AO (zehn Jahre) gelten, die bisher nur auf die Fallgruppen der besonders schwere Fälle gemäß § 370 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 5 AO anwendbar war, mit der Folge dass der Berichtigungszeitraum des § 371 Abs. 1 AO entsprechend verlängert werden würde.[1] Dem Beschluss der Finanzministerkonferenz lag eine Diskussion zu Grunde, die durch das Bekanntwerden einiger prominenter Fälle entflammt war und in der Forderung gipfelte, die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige ganz aus dem Gesetz zu streichen.[2]
In der Praxis hatte sich unterdessen herausgestellt, dass die Selbstanzeige in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes – insbesondere das Vollständigkeitsgebot bezüglich des (zeitlichen) Berichtigungsverbandes und die Abschaffung der Teilselbstanzeige – zu erheblichen Komplikationen bei der Berichtigung von Lohnsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuervoranmeldungen im Unternehmensbereich führte. Der Gesetzgeber hatte 2011 wohl nur „CD-Fälle“/“Schweizer Konten-Fälle“ und somit die Verkürzung von Kapitalerträgen, sowie die mit diesen Konten im Zusammenhang stehenden Schenkungs- und Vererbungsvorgänge vor Augen. Dies hatte zur Folge, dass faktisch durch eine Änderung der AStBV zum 30. Oktober 2012[3] die Geltung des § 371 Abs. 1 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetz teilweise faktisch – durch die Anordnung einer erhöhten strafrechtlichen Aufgriffsschwelle – „abbedungen“ werden musste, was unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten keine dauerhaft akzeptable Lösung sein konnte.[4]
Der vorliegende Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums (BMF) stellt sich in weiten Teilen als Umsetzung der Beschlusslage der Finanzministerkonferenz dar. Er macht einführend ausdrücklich geltend, dass zur konsequenten Bekämpfung der Steuerhinterziehung die Regelungen der strafbefreienden Selbstanzeige und zum Absehen von Verfolgung im Besonderen verschärft werden sollen.[5] Das BMF rechnet zudem mit mittelfristigen Mehreinnahmen für die Haushalte der Bundesländer in einer Größenordnung von 15 Millionen Euro jährlich durch die Erhöhung des Zuschlags gemäß § 398 a AO-E.[6]
Über den Inhalt der Beschlüsse der Finanzministerkonferenz hinausgehend versucht der Referentenentwurf jedoch auch, den oben erwähnten Praxisproblemen im Zusammenhang mit der Korrektur unrichtiger Lohnsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuervoranmeldungen durch eine Wiedereinführung der Teilselbstanzeige für diese Art der Steuererklärungen abzuhelfen (vgl. § 371 Abs. 2a AO-E). Interessanterweise wird dies in der Einführung des Entwurfs nicht thematisiert.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24. September 2014 behält diese wünschenswerte Änderung bei. Er sieht zudem im Unterschied zum Referentenentwurf von der Verlängerung der Verjährungsfrist ab und schränkt die Reichweite einiger Sperrgründe ein.[7]
II. Auf 10 Jahre erweitertes Vollständigkeitsgebot (§ 371 Abs. 1 AO-E)
Nach dem Regierungsentwurf vom 24.9.2014 soll § 371 Abs. 1 AO-E wie folgt neu gefasst werden:
„Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft. Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen.“
Die vorgesehene Änderung sieht – wie bisher – vor, dass Angaben zu allen strafrechtlich unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang zu berichtigen sind. Die Änderung liegt darin, dass die Selbstanzeige – unabhängig von der Verfolgungsverjährung – immer zu mindestens zu allen Steuerstraftaten innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre vollständig erfolgen muss, auch wenn die Strafverfolgungsverjährung gem. § 370 Abs. 1 AO nur fünf Jahre beträgt. Die Einführung einer „festen fiktiven Frist“ von zehn Jahren gem. § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E soll das Erfordernis der Schätzung im Besteuerungsverfahren vermeiden und sei aus Gründen der Rechtsklarheit erforderlich.[8]
Der Referentenentwurf vom 27.8.2014 sah hingegen noch eine allgemeine Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung vor: Ohne dass sich der Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO auf der Basis des Entwurfs ändern sollte, hätte danach eine Selbstanzeige ab dem 1. Januar 2015 erhöhte Vollständigkeitserfordernisse erfüllen müssen, da nach § 371 Abs. 1 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes eine Korrektur „zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart“ – gemeint ist die Strafverfolgungsverjährung im Sinne der §§ 78 ff. StGB, 376 AO in der geltenden Fassung[9] – erforderlich ist. Der Referentenentwurf sah nämlich eine allgemeine Verlängerung der hier gemeinten Strafverfolgungsverjährungsfrist vor. Nach dem Referentenentwurf sollte § 376 Abs. 1 AO-E dergestalt neu gefasst werden, dass die Verjährungsfrist in Fällen der Steuerhinterziehung nach § 370 AO stets zehn Jahre beträgt.[10] Derzeit – und nach dem Regierungsentwurf – gilt die zehnjährige Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO hingegen nur für die in den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AO genannten Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung. Nach der herrschenden Rechtsprechung ist hierfür das Vorliegen der Regelbeispiele maßgeblich, unabhängig davon, ob im Ergebnis für die Tat – nach dem zur Tatzeit geltenden Recht – ein besonders schwerer Fall vorlag.[11] Nach dem Referentenentwurf sollten in diese Strafverfolgungsverjährungsfrist von zehn Jahren auch alle anderen Fälle der Steuerhinterziehung unabhängig von der Verwirklichung eines Regelbeispiels einbezogen sein. Dies wird durch den Regierungsentwurf vom 24.9.2014 zu Recht zumindest im Grundsatz korrigiert, als für die Straffreiheit gem. § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E zwar noch eine Selbstanzeige über die letzten 10 Kalenderjahre verlangt wird, aber keine allgemeine Verlängerung der Verjährungsfrist der einfachen Steuerhinterziehung auf 10 Jahre in § 376 AO vorgesehen ist. Der im Referentenentwurf vorgesehene § 376 AO-E entfällt danach, weshalb es für Fälle der einfachen Steuerhinterziehung weiterhin bei der 5-jährigen Strafverfolgungsverjährung nach den allgemeinen Regelungen bleibt.
Hintergrund der im Referentenentwurf vorgesehenen Änderung war Folgendes:
Schon jetzt ist die Finanzverwaltung wegen der steuerlichen Festsetzungsverjährungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 2 AO steuerverfahrensrechtlich – nicht strafverfahrensrechtlich – gehalten, in Fällen der Steuerhinterziehung stets die anfallenden Steuern für einen Zehnjahreszeitraum zu ermitteln. Insofern besteht aber für die Finanzverwaltung das Problem, dass der Steuerpflichtige derzeit im Rahmen der Selbstanzeige, wenn keine Regelbeispiele gemäß § 371 Abs. 3 Satz 2 AO vorliegen – oder in einem anschließenden Steuerstrafverfahren als Beschuldigter – strafrechtlich bzw. strafprozessual nicht gehalten ist, zu diesen Altjahren Angaben zu machen hat. Daraus resultiert häufig das Erfordernis, bezüglich der Altjahre im Besteuerungsverfahren eine Schätzung vorzunehmen (§ 162 AO).[12]
Der Referentenentwurf zielte auf einen Gleichklang mit der Festsetzungsverjährungsfrist auch in Fällen von einfacher Steuerhinterziehung ab.[13] So werde der Ermittlungsaufwand der Finanzverwaltung verringert: Denn in Fällen der Selbstanzeige reduziere sich der Ermittlungsaufwand im Besteuerungsverfahren, da zum Zwecke der Strafbefreiung bereits eine Deklaration über zehn Jahre nötig sei, mithin die für die Zwecke des Besteuerungsverfahrens unter Steuerstrafverfahrens verwertbare Sachverhaltsermittlung bereits durch den Steuerpflichtigen selbst geleistet werde.[14] Das BMF sah zwar, dass im Steuerstrafverfahren – insbesondere soweit eben gerade keine Selbstanzeige erfolgt[15] – aufgrund der verlängerten Verjährungsfrist ein höherer Ermittlungsaufwand entsteht, nahm dies jedoch in Kauf.[16] Soweit eine Selbstanzeige über einen Zehnjahreszeitraum abgegeben wird, muss im zur Überprüfung von Vollständigkeit und Richtigkeit eingeleiteten Steuerstrafverfahren auch dieser längere Zeitraum überprüft werden. Es ist unklar, ob dem BMF bewusst war, dass dies ebenfalls zusätzliche Ermittlungsressourcen erfordern wird, evtl. sogar überproportional, da mitunter die Dokumentationslage für ausländische Konten – auch bei voller Kooperation von Steuerhinterzieher und Banken – nicht mehr so perfekt sein wird wie für die letzten 5 Jahre, was die Überprüfung erschweren dürfte.
Diese Probleme werden – für Fälle der Selbstanzeige – auch durch den Regierungsentwurf nicht gelöst. Gem. § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E ist – wie gesagt – mindestens für die letzten zehn Kalenderjahre nachzuerklären, d.h. insofern wird ein annähernder „Gleichlauf“ des zu Zwecken der Strafbefreiung nötigen zeitlichen Umfangs der Selbstanzeige und der steuerlichen Festsetzungsverjährung angestrebt. Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Nacherklärung über zehn Jahre ist allerdings – wie beschrieben und mit den genannten Schwierigkeiten – im Strafverfahren zu überprüfen. Immerhin jedoch sieht der Regierungsentwurf (anders als noch der Referentenentwurf) davon ab, die Strafverfolgungsbehörden durch eine Verschärfung des § 376 AO-E dazu zu zwingen, in allen Steuerstrafverfahren gem. § 370 Abs. 1 AO – auch bei Straftaten von geringem oder mittlerem Gewicht und unabhängig von der Erstattung einer Selbstanzeige – einen Zeitraum von zehn Jahren auszuermitteln. Dies hätte die Kapazitäten der zuständigen Behörden zweifellos überfordert, von objektiven Dokumentations- und Beweisschwierigkeiten ganz abgesehen.
Zutreffend wies zudem die Bundessteuerberaterkammer zum Referentenentwurf darauf hin, dass ein echter Gleichklang der steuerlichen und strafrechtlichen Fristen durch die Formulierung des Gesetzentwurfs schon deshalb nicht erzielt werden kann, weil sich der Beginn der steuerrechtlichen und der steuerstrafrechtlichen Verjährung nach unterschiedlichen Regelungen richtet. Aus den die steuerliche Festsetzungsverjährung regelnden §§ 170, 169 Abs. 2 S. 2 AO ergibt sich, dass steuerlich der Korrekturzeitraum für die Finanzverwaltung nicht nur zehn Jahre, sondern bis zu 13 Jahre erfasst. Der Beginn der Festsetzungsfrist liegt nämlich bei der vorsätzlichen Nichtabgabe (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) von Steuererklärungen (bei Veranlagungssteuern) typischerweise drei Jahre nach Ablauf des Steuerjahres (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO), weshalb die zehnjährige Festsetzungsverjährung gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 AO erst von diesem Zeitpunkt an läuft.[17] Die Strafverfolgungsverjährung hingegen beginnt mit der Beendigung (§ 78 a StGB), die typischerweise jedenfalls spätestens zwei Jahre nach Ablauf des Besteuerungszeitraums eingetreten sein dürfte (Schluss der Veranlagung im Veranlagungsbezirk). Besonders deutlich wird das Auseinanderklaffen aber bei der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer); hier geht der BGH von dem Beginn der Strafverfolgungsverjährung ca. sechs Monate nach Unterlassung der Anzeige einer Schenkung aus,[18] während gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO bei einer Schenkung die bei Steuerhinterziehung zehnjährige Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf desjenigen Kalenderjahrs beginnt, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat, was jeweils viele Jahre nach Vollzug des Schenkung (und dem Entstehen der Anzeigepflicht) sein kann.
Das Problem der Unerreichbarkeit des Gleichklangs von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren gilt mutatis mutandis auch für den laut Regierungsentwurf einzuführenden § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E, da dieser auf die „letzten zehn Kalenderjahre“ vor der Selbstanzeige abstellt. Die „feste fiktive Frist“ dient zwar grds. der strafrechtlich erforderlichen Rechtsklarheit (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB).[19] Es ist aber bereits zu bemängeln, dass durch diese Formulierung nicht völlig deutlich wird, ob das Jahr der Selbstanzeige einzubeziehen ist, es auszuschließen ist oder von der Selbstanzeige genau zehn Jahre zurückzurechnen ist. Für letzteres spricht, dass nach der Begründung des Regierungsentwurfs „Ausgangspunkt für die Berechnung der fiktiven Frist von zehn Jahren … die Abgabe der Selbstanzeige“ ist und die „Berichtigungspflicht …für alle Steuerstraftaten einer Steuerart für die zurückliegenden zehn Kalenderjahre“ besteht. Weiter spricht dafür, dass es sich ausdrücklich um eine „fiktive“ Frist handeln soll, d.h. um eine solche, die weder der Strafverfolgungsverjährungsfrist noch der Festsetzungsverjährungsfrist entspricht.[20] Danach ist davon auszugehen, dass alle Steuerstraftaten zu berichtigen sind, deren Tatzeitpunkte in demjenigen Zehnjahreszeitraum liegen, dessen Endpunkt der Tag der Selbstanzeige ist.
Nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E soll es offenbar nicht auf den betroffenen Besteuerungszeitraum (Steuerjahr) etc. ankommen (Steuerstraftaten…innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre“).[21] Hier wiederum ist unklar, ob es sich um den Zeitpunkt der Tathandlung, der Vollendung oder den der Beendigung handeln soll. Würde daher am 31.1.2015 eine falsche Steuererklärung für dass Jahr 2013 (ESt) abgegeben, diese im April 2015 erklärungsgemäß veranlagt und am 25.1.2025 eine Selbstanzeige betreffend ESt abgegeben, müsste nach diesem Verständnis eine vollständige und richtige Selbstanzeige auch die ESt 2013 erfassen, wenn es auf die Tathandlung oder die Vollendung ankommt. Ist allerdings die Abgabe im obigen Beispiel am 15.1.2015 erfolgt, die Veranlagung aber wiederum im April 2015, müsste bei einer Selbstanzeige am 25.1.2025 ESt 2013 zur Erlangung der Strafbefreiung nur nacherklärt werden, wenn es auf die Vollendung oder Beendigung, nicht aber, wenn es auf die Tathandlung ankäme. Die Formulierung des § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E erscheint daher klarstellungsbedürftig.
Insgesamt erscheint das Argument der Arbeitserleichterung – welches dem Referentenentwurf und dem Regierungsentwurf zu Grunde liegt – wenig überzeugend, weil die Fälle der Selbstanzeige zahlenmäßig, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Steuerstrafverfahren, in der Minderzahl sein dürften. Auch erscheint – praxisbezogen – die Änderungsvorschläge des Referenten- und des Regierungsentwurfs für Fälle, in denen tatsächlich eine Selbstanzeige abgegeben wird, weniger bedeutsam als offenbar angenommen. Viele spezialisierte Berater werden meist ohnehin aus Sicherheitsgründen eine Nacherklärung über (mindestens) zehn Jahre abgeben, da sie ex ante vielfach nicht ausschließen können, dass ein Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 AO vorliegt, auch wenn sie dies eher nicht glauben und dies ex post nicht der Fall ist. Insbesondere bei geschätzten Selbstanzeigen zu Kapitalerträgen – wenn aus Zeitgründen die vollständige Bankdokumentation (Erträgnisaufstellungen) nicht abgewartet werden kann – ist oft nur schwer feststellbar, ob der Hinterziehungsbetrag unter oder über 50.000 EUR liegt.
Beide Entwürfe ziehen zudem nicht erkennbar in Betracht, dass derzeit jedenfalls nach einer Einstellung des Verfahrens im Falle der erfolgreichen Selbstanzeige über 5 Jahre (§§ 170 Abs. 2 StPO, 398a AO) für die Zeiträume außerhalb der strafrechtlichen Verjährungsfrist die weitreichenden Mitwirkungsverpflichtungen (vgl. §§ 90 ff. AO) im Besteuerungsverfahren gelten, in verstärktem Maß bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO), so dass für diese Zeiträume die Besteuerung normalerweise nachgeholt werden kann.[22] Soweit die Ermittlung der Steuern an mangelnder Kooperation scheitert, sind die Finanzbehörden in der Praxis nicht gehindert, dies in der dann erfolgenden steuerlichen Schätzung (§ 162 AO)[23] zulasten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.[24] Die Schätzung früherer Kapitalerträge – tendenziell zu Ungunsten des Steuerpflichtigen – stellt gerade bei für spätere Jahre offengelegten Kapitalstämmen in vielen Fällen für die Finanzämter im Besteuerungsverfahren praktisch kein großes Problem da.
Aus strafrechtssystematischen Gründen wäre insbesondere der Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung – wie sie vom Referentenentwurf vorgesehen war – zu widersprechen. Durch § 376 Abs. 1 AO-E würde das im Strafgesetzbuch geregelte System der Strafverfolgungsverjährung (§ 78 ff. StGB) aus der Balance gebracht werden, denn bisher ist die fünfjährige Verjährung der (einfachen) Steuerhinterziehung ebenso geregelt wie für vergleichbare Vermögensstraftaten, etwa den Betrug nach § 263 StGB.[25] Mit der Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung auf zehn Jahre würde die einfache Steuerhinterziehung mit moderaten Hinterziehungsbeträgen von unter 25.000 € nun hinsichtlich der Verjährungsfrist wesentlich gewichtigeren Straftaten gleichgestellt,[26] wie etwa dem sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB), dem Diebstahl mit Waffen (§ 244 Abs. 1 StGB) oder sogar dem schweren Bandendiebstahl (§ 244 a StGB). Angesichts des vergleichbaren Unrechtsgehalts von Betrug und Steuerhinterziehung[27] erscheint es strafrechtssystematisch unzuträglich, dass die einfache Steuerhinterziehung dann dieselbe Verjährungsfrist wie der besonders schwerer Fall des Betrugs (§ 263 Abs. 3 StGB) und sogar wie der Verbrechenstatbestand des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs (§ 263 Abs. 5 StGB) erhalten soll. Dies lässt sich dadurch belegen, dass die Rechtsprechung für den besonders schweren Fall des Betrugs gemäß § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StGB in der Form des „Vermögensverlusts großen Ausmaßes“ einen Vermögensschaden von mindestens 50.000 € – und gerade nicht von 25.000 € – voraussetzt.[28]
Zumindest klarstellend wäre – sollte man im Gesetzgebungsverfahren auf den Referentenentwurf zurückkommen – darauf hinzuweisen, dass die Regelung jedenfalls nicht für bereits abgelaufene Verjährungsfristen gelten darf, weil Art. 97 § 10 Abs. 13 EGAO-E sonst dem Gesetzlichkeitsprinzip (§ 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG) zuwider den (Trug-) Schluss zulassen könnte, dass am 1.1.2015 nach der fünfjährigen Verjährungsfrist nicht mehr verfolgbare Taten noch verfolgbar seien, sofern sie im Rahmen der neuen zehnjährigen Verjährungsfrist liegen.[29]
III. Wiedereinführung der Teilselbstanzeige für Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung durch Voranmeldungen (§ 371 Abs. 2a AO-E)
Der Referentenentwurf und der Regierungsentwurf sehen (gleichlautend) die Einfügung eines neuen Absatz 2a in § 371 AO vor.[30] Danach soll in Fällen der Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung Straffreiheit, abweichend von § 371 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 AO, eintreten, soweit („in dem Umfang“) der Täter gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt (§ 371 Absatz 2a S. 1 AO-E).
Auch § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO – der Sperrgrund der Tatentdeckung – soll nach den Entwürfen nicht gelten, aber nur, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine nicht rechtzeitig erfolgt Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde (§ 371 Abs. 2a S. 2 AO-E). Allerdings soll die Wiedereinführung der Teilselbstanzeige im Umfang der § 371 Abs. 2a S. 1 und 2 AO-E nicht für Steueranmeldungen gelten, die sich auf das Kalenderjahr beziehen (§ 371 Abs. 2a S. 3 AO-E), also insbesondere nicht für Umsatzsteuerjahreserklärungen. Insofern – für Steueranmeldungen bezogen auf ein Kalenderjahr – wird jedoch ausdrücklich geregelt, dass die Vollständigkeit der Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 1 AO nicht die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der Voranmeldungen erfordert, die dem Kalenderjahr nachfolgende Zeiträume betreffen (§ 371 Absatz 2a S. 4 AO-E).[31]
Zur Begründung wird ausgeführt, dass durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 2011 die nachträgliche Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen erheblich eingeschränkt worden war. Insbesondere habe eine erneut korrigierte Umsatzsteuervoranmeldung – bei Vorsatz grds. als wirksame Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 1 AO zu werten – nach erster Korrektur nicht als wirksame Selbstanzeige gewertet werden können, weil die erste Selbstanzeige dazu führe, dass die Steuerhinterziehung bekannt wird und damit der Sperrgrund der Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) eingreift.[32]
Ausschlaggebend für den Vorschlag waren offenbar zwei als nicht strafwürdige angesehene Konstellationen, die nach dem Wortlaut des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes keine strafbefreiende Selbstanzeige zulassen: Eine Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 01 etwa müsse aufgrund des Vollständigkeitsgebots als nicht wirksame – weil hinsichtlich der Steuerart Umsatzsteuer unvollständige – Selbstanzeige gewertet werden können, wenn bereits die Umsatzsteuervoranmeldung I für das Jahr 02 unrichtig abgegeben worden sei und dies nicht zugleich mit der Jahreserklärung 01 richtig gestellt worden sei. Zum anderen liege bekanntermaßen eine Steuerhinterziehung vor, wenn die Abgabefrist einer Voranmeldung überschritten wird (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, Vollendung bei nicht rechtzeitiger Festsetzung der Steuer, d.h. bei jeder Verspätung der Anmeldung).[33] Daher seien die – in Unternehmen häufig verspätet abgegebenen – Umsatzsteuervoranmeldungen als Selbstanzeige zu werten. Diese seien – ebenfalls aufgrund des Vollständigkeitsgebots – aber nur dann wirksam, wenn alle Unrichtigkeiten in vorhergehenden und sonst bereits abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen (soweit strafrechtlich nicht verjährt) korrigiert werden.[34] Zudem führe auch die (bedingt vorsätzliche) verspätete Einreichung der Voranmeldung zur Tatentdeckung und hindere eine weitere Nachdeklaration bezüglich derselben Steuerart, etwa im Rahmen der Umsatzsteuerjahreserklärung oder durch einzelne korrigierte Umsatzsteuervoranmeldungen.[35]
Deshalb möchten BMF und Bundesregierung ausdrücklich für Umsatzsteuervoranmeldungen, nicht hingegen für die Jahreserklärung sowie für Lohnsteueranmeldungen in Gestalt des § 371 Abs. 2a AO-E „eine Regelung… [vorsehen], die eine Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot des § 371 AO und der Tatentdeckung“ darstellt und Rechtssicherheit für die Praxis schaffen soll.[36] Ziel ist die Wiederherstellung des Rechtszustandes vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, wonach eine korrigierte oder verspätet nachgereichte Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung zukünftig wieder als wirksame Teilselbstanzeige gelten soll. Ergänzend hierzu wird geregelt, dass die Umsatzsteuerjahreserklärung nachfolgende Veranlagungszeiträume betreffende Voranmeldungen – die regelmäßig bei Abgabe der Jahreserklärung bereits abgegeben sind – nicht berichtigen muss, um als Selbstanzeige hinsichtlich des Erklärungszeitraums – in Korrektur der in diesem Erklärungszeitraum abgegebenen unrichtigen Voranmeldungen – wirksam zu werden.[37]
Grundsätzlich ist § 371 Absatz 2a AO-E sehr zu begrüßen, da die Vorschrift – zumindest teilweise (dazu im Weiteren) nahezu unlösbare Praxisprobleme der Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes im Unternehmenssteuerrecht aufhebt und der Kriminalisierung von Unternehmensmitarbeitern bei der Einreichung von verspäteten oder unzutreffend berechneten Steueranmeldungen entgegenwirkt.
Die bislang eine Ausuferung des praktischen Anwendungsbereichs des Unternehmenssteuerstrafrechts begrenzende, rein verwaltungsrechtliche Regelung der ohne Zweifel sinnvollen Nr. 132 Abs. 2 AStBV war aus zwei Gründen unzureichend: Zum einen konnte und kann diese Verwaltungsvorschrift schon rechtlich – aufgrund des Vorrangs der AO als formelles Parlamentsgesetz – nicht entgegen dem insofern klaren Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes eine Teilselbstanzeige bezüglich Lohn- und Umsatzsteueranmeldungen erlauben bzw. deren strafverfahrensfreie Duldung durch die Finanzverwaltung rechtfertigen.[38] Zum anderen knüpfte Nr. 132 Abs. 2 AStBV bei gesetzeskonformer Auslegung – gerade aufgrund der Unzulässigkeit einer Einschränkung des Vollständigkeitserfordernisses durch eine Verwaltungsvorschrift – wohl faktisch lediglich auf der Beweisebene an, indem sie eine Weiterleitung von berichtigten und verspäteten Steueranmeldungen an die Strafsachenstelle nur in „begründeten Ausnahmefällen“ – bei erheblicher Verspätung bzw. großer Abweichung – vorsah, indem sie dies als Anzeichen für fehlenden Vorsatz und fehlende Leichtfertigkeit interpretiert. Sofern aber im Einzelfall – trotz dieser generalisierten Wertung – ausnahmsweise weder hinsichtlich des Vorsatzes bezüglich der Unrichtigkeit, Unvollständigkeit oder Verspätung der Steueranmeldung oder des objektiven Tatbestands des § 370 AO Zweifel bestanden, noch hinsichtlich der quantitativ wesentlichen Unvollständigkeit der Nacherklärungen (maximal 5 % des tatsächlichen Hinterziehungsbetrags), konnte Nr. 132 Abs. 2 AStBV eine Nichtabgabe an die Strafsachenstelle unter Berücksichtigung des § 371 Abs. 1 AO rechtlich eigentlich nicht rechtfertigen. Dennoch dürfte davon auszugehen sein, dass die Finanzverwaltungen der Länder zumindest in weniger gewichtigen Fällen unter formaler Inanspruchnahme dieser Verwaltungsvorschrift von einer Weiterleitung oft abgesehen haben dürften, schon um eine völlige Überlastung der Strafsachenstellen und der Steuerfahndung zu vermeiden. Rechtssicherheit konnte durch Nr. 132 Abs. 2 AStBV auch aufgrund der kumulierten Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe – begründete Einzelfälle, kurzfristige Terminüberschreitung, Geringfügigkeit – nicht hergestellt werden.[39]
Berücksichtigt wurde in der behördlichen Praxis bei der großzügigen Anwendung des Nr. 132 Abs. 2 AStBV auch das berechtigte Anliegen, eine Kriminalisierung bis dato geschäftlich gebräuchlicher Praktiken – beispielsweise „planmäßige“ Verspätungen von Umsatzsteuervoranmeldungen oder Minimierungen der im Rahmen der Voranmeldung ausgewiesenen Umsatzsteuer/Umsatzsteuerzahllast im Zusammenhang mit einem ausgeprägt restriktiven Cash Management und einer im Vorhinein geplanten Korrektur im Rahmen der Jahreserklärung – möglichst nicht zu forcieren.
Diesem Anliegen wird nunmehr weitgehend – und gerade im letztgenannten Fall – der geplante § 371 Abs. 2a AO-E gerecht, da mit einer zutreffenden und vollständig Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 00 – sofern sie den Voraussetzungen des § 371 AO im Übrigen genügt – Strafbefreiung hinsichtlich aller von dieser umfassten Voranmeldungszeiträume erzielt wird, auch wenn bereits im ersten oder zweiten Veranlagungszeitraum des Jahres 01 unvollständige, unrichtige oder verspätete Voranmeldungen für I/01 und II/01 abgegeben worden sind.
Auch würde nun nicht mehr – wie derzeit mitunter in sehr gezwungener und ergebnisorientierter – Weise argumentiert werden müssen, dass eine von mehreren aufeinanderfolgenden Verspätungen bei der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. der Lohnsteueranmeldungen nicht bedingt vorsätzlich, sondern allenfalls leichtfertig erfolgte, um in den Genuss der weniger restriktiven Voraussetzungen der Selbstanzeige bei der leichtfertigen Steuerverkürzung zu kommen (§ 378 Abs. 1, Abs. 3 AO). Vor dem Hintergrund, dass die Finanzämter automatisierte Mahnverfahren nutzen und nach wenigen Wochen mahnen, ist die Annahme fehlenden bedingten Vorsatzes – jedenfalls bei einer zweiten verspäteten Steueranmeldungen nach einer Mahnung bezüglich der ersten verspäteten Steueranmeldung – im Falle der Umsatzsteuer rechtlich kaum vertretbar.
Vor dem Hintergrund, dass gemäß § 371 Abs. 1 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eine steuerartbezogene Vollständigkeit erforderlich ist, erscheint hingegen der weitergehende Vorschlag der Bundessteuerberaterkammer, dass sämtliche Anmeldesteuern in den Anwendungsbereich des § 371 Abs. 2a AO-E einzubeziehen seien,[40] zwar steuersystematisch richtig, aber mit der Ausgestaltung des § 371 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes schwer vereinbar.
IV. Modifikation der Sperrgründe (§ 371 Abs. 2 AO-E)
Die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes sollen aussagegemäß im Wesentlichen klargestellt werden, d.h. die bereits in der Finanzverwaltung und Rechtsprechung, teilweise auch in der überwiegenden Literaturmeinung verfestigte Interpretation der Regelungen der Reform vom 3. Mai 2011 soll offenbar nach Wortlaut und Systematik der §§ 370, 371 AO im Entwurf unangreifbar gemacht werden. Tatsächlich gehen beide Entwurfsfassungen – ohne das klar ist, ob dem BMF bzw. der Bundesregierung die faktische Reichweite der Änderungen bewusst ist – aber weit über eine derartige Klarstellung hinaus. Dies führt zu erheblichen zusätzlichen Restriktionen der strafbefreienden Selbstanzeige in personeller Hinsicht. Der Regierungsentwurf schlägt daneben allerdings zugleich auch sehr sinnvolle Einschränkungen der zeitlichen und sachlichen Reichweite der Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Nr. 1a und Nr. 1c AO vor.
1. Sperrgrund der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1a AO-E)
a) Gemeinsamkeiten von Referentenentwurf und Regierungsentwurf
aa) Änderungen der personellen Reichweite
Der mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eingeführte Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO leidet – aus Sicht des BMF und der Bundesregierung – offenbar an mangelnder Genauigkeit und unzureichender Reichweite des Personenkreises, dem gegenüber die Bekanntgabe der Außenprüfung erfolgen kann, u.a. mit der Folge, dass die Sperrwirkung eine unzureichende personelle Reichweite habe. Bisher sind lediglich der Täter und sein Vertreter als Bekanntgabeadressaten genannt. Nunmehr sollen der an der (Steuerstraf-)Tat Beteiligte – Täter und Teilnehmer (§§ 25-27 StGB) – dessen Vertreter, der Begünstigte einer Straftat der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO und dessen Vertreter aufgeführt werden („Straffreiheit tritt nicht ein, wenn bei einer zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Absatz 1 oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist,…“).[41]
Damit wird (u.a.) die Sperrwirkung auf die möglichen Tatteilnehmer – Anstifter und Gehilfen – durch Bekanntgabe der Prüfungsanordnung (vgl. § 196 AO) gegenüber dem Täter erstreckt, auch wenn sie dem Teilnehmer gegenüber nicht bekannt gegeben wird.[42] Jedenfalls nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist neu, dass die Bekanntgabe gegenüber dem bzw. einem Teilnehmer (überhaupt) zur Sperrwirkung gegenüber dem bzw. allen Tätern führen soll, darüber hinausgehend auch, dass sogar die Bekanntgabe gegenüber dem Vertreter des Teilnehmers relevant sein soll.
Die alternative Formulierung („oder“) dürfte unterstreichen, dass es gleichgültig sein soll, wem aus dem aufgeführten Personenkreis gegenüber die Prüfungsanordnung bekannt gegeben wird – die Sperrwirkung soll offenbar für alle Tatbeteiligten, Begünstigte und Vertreter – den in der Neufassung genannten Personenkreis insgesamt – eintreten. Auch darin läge eine problematische Ausweitung des persönlichen Umfangs der Sperrwirkung, denn bislang war – jedenfalls für § 371 Abs. 2 Nr. 1 c AO heutiger Fassung – wohl anerkannt, dass sich die Sperrwirkung regelmäßig auf den zu prüfenden Steuerpflichtigen und seine Mitarbeiter bezieht, nicht auf außenstehende Dritte (wie etwa externe Berater), wobei insofern bereits heute bei betriebsbezogenen Steuerstraftaten in der Lit. teilweise eine Ausweitung auf ausgeschiedene Mitarbeiter bejaht wird.[43]
bb) Kritik
Aus der Sicht des anwaltlichen Praktikers erscheint diese Regelung insbesondere in der weitergehenden Fassung des Referentenentwurfs vom 27.8.2014 – wenn man davon ausgeht, das BMF möchte die Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige praktikabel erhalten – nicht sinnvoll. Tatbeteiligte einer Steuerstraftat, insbesondere externe Teilnehmer, deren Steuerstraftaten von dem Prüfungsprogramm einer Außenprüfung erfasst werden, auch solche, gegenüber denen die Bekanntgabe nicht erfolgt und wo diese nicht zur Tatentdeckung oder zur Erkennbarkeit der Tatentdeckung ihrer Tat führt, würden von der Selbstanzeige ausgeschlossen, obwohl gem. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO keine Sperrwirkung wegen Tatentdeckung eintritt und obwohl sie nichts von einer Prüfungsanordnung erfahren. Letzteres ist ausweislich der Begründung sogar explizit gewünscht.
(I.) Maßstab der vermuteteten Unfreiwilligkeit der Selbstanzeige für das Eingreifen eines Sperrgrundes
Bei zutreffender Auslegung des Gesetzeszwecks des § 371 Abs. 2 AO – in seiner bisherigen Fassung – sollten aber nur solche Personen von der strafbefreienden Selbstanzeige ausgeschlossen werden, bei denen die die Sperrwirkung auslösende Handlung nicht mit Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zeit zur Tatentdeckung oder jedenfalls zur Prüfung des tatrelevanten Sachverhalts führt und dies für den Steuerstraftäter zumindest typischerweise erkennbar ist.[44] Nur bezüglich dieser Personen kann nämlich von einer taktischen Motivation der nach Eintritt des Sperrgrundes abgegebenen Selbstanzeige ausgegangen werden, die nicht privilegiert werden soll.[45]Joecks spricht anschaulich von der „vermuteten Unfreiwilligkeit“ der Selbstanzeige bei Vorliegen eines Sperrgrundes.[46] Die jetzigen und insbesondere die ursprünglichen Sperrgründe wurden bzw. werden diesem Maßstab gerecht. Jedenfalls nach dem Referentenentwurf, mit Einschränkungen auch nach dem Regierungsentwurf wäre dies nicht mehr der Fall:
Es ist keinesfalls immer wahrscheinlich, dass die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung gegenüber einzelnen Tatbeteiligten in der Folge – insbesondere im Rahmen regulärer Betriebsprüfungen – zu einer Entdeckung aller externen Beteiligten (§§ 25, 26, 27 StGB) an der Steuerstraftat führen muss. Auch wissen selbst tatbeteiligte Mitarbeiter in größeren Unternehmen von einem solchen Risiko – auch von der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung – häufig nichts. Vielmehr dürfte ein objektiv deutlich erhöhtes Entdeckungsrisiko durch eine normale Betriebsprüfung und die Kenntnis bzw. Erkennbarkeit eines aus der Prüfung resultierenden Entdeckungsrisikos gerade bei Prüfungen größerer Unternehmen, in denen Steuerstraftaten unter Beteiligung vieler (teils ehemaliger) Mitarbeiter erfolgt sind, in der Praxis eher die Ausnahme sein. Regelmäßig erhöht sich das Entdeckungsrisiko auch nur für eine Kerngruppe von Tatbeteiligten markant, nämlich für solche, die nach außen bzw. in der Dokumentation in Erscheinung getreten sind oder die als Organe bzw. konkret zuständige leitende Mitarbeiter Verantwortung tragen. Der Kreis der möglichen Teilnehmer an einer Steuerstraftat kann jedoch weit darüber hinausgehen. Die mangelnde Erkennbarkeit des Entdeckungsrisikos für die weniger zentralen und steuerlich nicht zuständigen Personen liegt oft schon daran, dass diverse Tatbeteiligte – insbesondere ehemalige Mitarbeiter – nie etwas von der Prüfungsanordnung erfahren werden.
Zudem liegt oft zwischen der Prüfungsanordnung einer normalen Außenprüfung und der Tatentdeckung ein erheblicher Zeitraum. Zusammen mit der Ungewissheit der Entdeckung der Tat gerade von bloßen externen Gehilfen (§ 27 StGB) – etwa des Steuerberaters als Gehilfen oder betriebsferner Dritter, manchmal auch von tatbeteiligten Geschäftspartnern – sollte dies dem Gesetzgeber Anlass dazu geben, von dieser personellen Erweiterung der Sperrwirkung der Bekanntgabe der Außenprüfung abzusehen, da von einer mutmaßlichen Unfreiwilligkeit der Selbstanzeige vielfach nicht die Rede sein kann.
(II.) Ungewollte Verringerung des Selbstanzeigeaufkommens
Die Änderung wird voraussehbar zur Konsequenz haben, dass bei größeren Gruppen von Tätern und Teilnehmern, deren Tat Gegenstand einer bekanntgegebenen Betriebsprüfung ist, eine erhebliche Zahl nach Bekanntgabe der Prüfung keine Selbstanzeige abgeben wird, da dies nicht (mehr) durch die Rechtsfolge der Straffreiheit inzentiviert würde. Da viele (insbesondere ehemalige) Mitarbeiter nicht die Möglichkeit haben werden, festzustellen, ob eine Betriebsprüfung bzgl. ihrer unternehmensbezogenen Tat bekanntgegeben ist, wird ihnen der individuelle steuerliche oder strafrechtliche Berater – auch wenn eine Bekanntgabe nicht erkennbar ist – oft auf das Risiko des unerkannten Vorliegens eines Sperrgrunds hinweisen müssen. Dies wird zu einer Verringerung des Selbstanzeigenaufkommens mit der Folge der mangelnden Erschließung neuer Steuerquellen führen.
Auch durch Ermittlungserfolge im Zusammenhang mit Außenprüfungen und die daraus resultierenden steuerlichen und strafrechtlichen Folgen wird dieser Effekt nicht kompensiert werden, denn erfahrungsgemäß werden bei komplexen unternehmensbezogenen Sachverhalten nicht alle Tatbeteiligten entdeckt und strafrechtlich verfolgt. Der Fiskus muss daher befürchten, dass ihm durch die personelle Erweiterung der Sperrwirkung bei unternehmensbezogenen Steuerstraftaten erhebliche Einnahmen gemäß §§ 371 Abs. 3, 398 a Nr. 1 AO, besonders aber nach § 398 a Nr. 2 AO entgehen, da hier nach herrschender Auffassung jeder Tatbeteiligte in voller Höhe zur Zahlung verpflichtet ist.[47] Mangels Selbstanzeige würden bei der geplanten Gesetzesänderung zahlreiche Tatbeteiligte den Behörden nicht mehr bekannt, bei denen ansonsten § 398a Nr. 2 AO zum Tragen käme.
(III.) Risiken und Nebenwirkungen der Erweiterung der Sperrwirkung bei Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gegenüber dem Begünstigten
Noch weniger angemessen – und unter den oben genannten Gesichtspunkten wenig zielführend – erscheint die Erweiterung der Sperrwirkung bezüglich aller Tatbeteiligter durch eine Prüfungsanordnung gegenüber dem „Begünstigten“ der Steuerstraftat gemäß § 370 AO. Gedacht ist hier insbesondere an Fälle, bei denen Tatbeteiligte einer das Unternehmen steuerlich begünstigenden Steuerstraftat zwischenzeitlich ausgeschiedene Mitarbeiter sind und die Außenprüfung dem Unternehmen („Begünstigter“ im Sinne des § 371 Abs. 3 AO) bekannt gegeben wird.[48]
Bisher hatte danach offenbar die Bekanntgabe an das Unternehmen nach Ausscheiden des Mitarbeiters laut zutreffender Ansicht des BMF für diesen keine Sperrwirkung.[49] Das BMF spricht insofern ausdrücklich von einer Regelungslücke. Zukünftig sollen insbesondere ehemalige Mitarbeiter des von der Steuerstraftat begünstigten Unternehmens von der Selbstanzeige ausgeschlossen sein, auch wenn sie von der Prüfungsanordnung keinerlei Kenntnis erhalten und auch nicht erlangen konnten.
Denkt man etwa an der Lohnsteuerprüfungen in großen Unternehmen, stellt sich jedenfalls nach Maßgabe des Referentenentwurfs[50] insbesondere die Frage, ob damit alle ehemaligen Mitarbeiter – unabhängig von ihrer Kenntnis von der Prüfung – von einer Korrektur ihrer strafrechtlich unverjährten Einkommenssteuererklärungen ausgeschlossen sein sollen. Vor dem Hintergrund der herrschenden Auffassung, die die Lohnsteuer im Verhältnis zur Einkommensteuer nicht als andere Steuerart ansieht,[51] liegt eine solche Auslegung nicht fern. Problematisch erscheint dies insbesondere im Hinblick auf Einkünfte, die mit der abhängigen Beschäftigung ehemaliger Mitarbeiter nichts zu tun haben, wie etwa Kapitalerträge, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung usw. Hier ist in der Praxis von vornherein auszuschließen, dass eine Lohnsteuerprüfung beim ehemaligen Arbeitgeber per se zur Entdeckung solcher Einkommensteuerhinterziehungen des ausgeschiedenen Arbeitnehmers führen kann. Sollte beabsichtigt sein, durch die Ausweitung des Sperrgrundes eine Sperrwirkung nicht nur für die Lohnsteuer bzw. Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung, sondern auch für andere Einkunftsarten der Einkommensteuer des ehemaligen Arbeitnehmers zu schaffen, geht dies deutlich zu weit. Ehemals abhängige Beschäftigte könnten jedenfalls nach dem Referentenentwurf praktisch unter keinen Umständen mehr wegen der Erzielung unversteuerter Kapitalerträge – dem sprichwörtlichen „Schweizer Konto“ – eine strafbefreiende Selbstanzeige erstatten, ohne (wie?) eruiert zu haben, dass bei ihrem Unternehmen gerade keine Betriebsprüfung bekannt gegeben ist oder noch andauert, die auch die Lohnsteuer erfasst (vgl. § 193 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AO). Die geplante Regelung des Referentenentwurfs würde Berater und Steuerpflichtige in kontraproduktiver Weise von einer völlig freiwilligen Selbstanzeige auch in Fällen abschrecken, bei denen eine Entdeckung faktisch nicht im Entferntesten droht. Das Kriterium der „vermuteten Unfreiwilligkeit“ für Reichweite der Sperrgründe würde endgültig aufgegeben.
(IV.) Probleme der praktischen Durchsetzung der Reichweite des Sperrgrundes
Es ist weiter zu fragen, wie praktisch sichergestellt werden soll, dass das Veranlagungsfinanzamt des ehemaligen Mitarbeiters erfährt, dass dieser rein rechtlich gesehen von der strafbefreienden Selbstanzeige wegen der Prüfung beim ehemaligen Unternehmen ausgeschlossen ist. Aber auch bei einer – denkbaren – gesetzlichen Begrenzung auf unternehmensbezogene Steuern (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer) stellt sich die Regelung letztlich als wenig sinnhaft dar, da sie auch in dieser Form Selbstanzeigewillige, deren Entdeckungsrisiko faktisch gering ist, abschrecken und den Fiskus Einnahmen (§ 398 a Nr. 2 AO) kosten dürfte. Dieser Vorschlag einer Neuregelung des § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO-E in der Fassung des Referentenentwurfs ist daher insgesamt als misslungen anzusehen.
c) Zu den Modifikationen und Verbesserungen des Regierungsentwurfs gegenüber dem Referentenentwurf und geltendem Recht
Die obige Kritik am Referentenentwurf ist auch für den im Kern gleichlautenden Regierungsentwurf dem Grunde nach aufrecht zu erhalten. Der Regierungsentwurf bringt jedoch insbesondere eine zeitliche, wohl auch eine sachliche Einschränkung der Sperrwirkung mit sich und damit sowohl Verbesserungen gegenüber dem Referentenentwurf als auch gegenüber der geltenden Rechtslage.
Anders als der Referentenentwurf sieht die Änderung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO-E des Regierungsentwurfs eine begrüßenswerte Einschränkung der bislang zeitlich umfassenden Sperrwirkung einer Prüfungsanordnung auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung vor („…beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung“).[52]
Eine Überdehnung der Sperrgründe gem. Nr. 1a – aber auch des Nr. 1c – soll zudem der § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E des Regierungsentwurfs verhindern („Der Ausschluss der Straffreiheit nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c hindert nicht die Abgabe einer Berichtigung nach Absatz 1 für die nicht unter Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c fallenden Steuerstraftaten einer Steuerart“), für den der Referentenentwurf noch keine Entsprechung enthielt. Durch diese Änderungen wird gewährleistet, dass eine strafbefreiende Selbstanzeige für Zeiträume, die nicht von der angekündigten Außenprüfung umfasst sind, grundsätzlich möglich bleibt.[53] Dies stellt wohl auch gegenüber der laut h.M. bestehenden Rechtslage nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 2011 eine Einschränkung der Sperrwirkung dar, denn die h. M. ging insoweit davon aus, dass dann, wenn sich die Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO auf mehrere unverjährte Steuerstraftaten erstrecken muss, d.h. im Normalfall für alle unverjährten Steuerstraftaten, die dieselbe Steuerart betreffen, die Strafaufhebungswirkung der Selbstanzeige für alle diese Taten bereits dann entfällt, wenn hinsichtlich einer dieser Taten ein Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 AO eingreift.[54] Für § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO erstreckte sich danach – und nach dem Wortlaut des Gesetzes – die Sperrwirkung hinsichtlich derselben Steuerart auch auf solche Zeiträume, die nicht in der Prüfungsanordnung genannt sind.[55] In der neuen Fassung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a, S. 2 AO-E des Regierungsentwurfs wird die strafbefreiende Selbstanzeige insoweit (d.h. teilweise) für die Steuerart(en) der Prüfungsanordnung wieder zugelassen, als diese Zeiträume nicht von der Prüfungsanordnung erfasst sind. Dies ist zu befürworten, da für Steuerstraftaten betreffend dieselbe Steuerart aus nicht geprüften Zeiträumen eine nahe liegende Entdeckungsmöglichkeit regelmäßig nicht zwingend besteht, es sei denn diese stehen in engem sachlichen Zusammenhang mit solchen aus den geprüften Zeiträumen. Letzteres kann etwa der Fall sein, wenn diese ersichtlich und zwangsläufig den Steuerstraftaten aus den geprüften Zeiträumen vorausgehen oder nachfolgen oder sonst in einem engen Sachzusammenhang stehen. Eine sachwidrige Privilegierung der Steuerhinterzieher durch die Einschränkung der Sperrwirkung liegt in dem Modifikationsvorschlag des Regierungsentwurfs nicht. In Fällen, in denen eine Tatbegehung auch in anderen Tatzeiträumen ersichtlich nahe liegt, kommt bei oder kurz nach Entdeckung der Tat innerhalb des Prüfungszeitraums eine Sperrwirkung bezüglich der Taten außerhalb des Prüfungszeitraums aufgrund von Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) in Betracht. Zudem ist die Finanzbehörde nicht gehindert, von vornherein die regelmäßig strafrechtlich relevanten Zeiträume durch die Prüfungsanordnung zu erfassen oder ad hoc – insbesondere bei Feststellung von Auffälligkeiten – die Erweiterung des Prüfungszeitraums anzuordnen.
Die personelle Reichweite des Sperrgrundes der Nr. 1a unterliegt in Bezug auf die Formulierung des Regierungsentwurfs derselben Kritik, welche oben bezüglich des Referentenentwurfs geäußert wurde, da unabhängig von dem Bekanntgabeadressaten eine Sperrwirkung für alle Beteiligten intendiert ist.[56] Die Beschränkung der Sperrwirkung durch den Regierungsentwurf auf diejenigen Jahre, die Gegenstand der bekannt gegebenen Außenprüfung sind, führt im Hinblick auf die Problematik der Reichweite derselben Steuerart (Einkommensteuer bzw. Lohnsteuer (siehe oben)) zumindest insoweit zu einer besseren Lösung, als die Selbstanzeigemöglichkeit für von der Prüfung nicht betroffene Steuerjahre erhalten bleibt.
Möglicherweise lässt die Formulierung des Regierungsentwurfs zu § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO-E („beschränkt auf den sachlichen… Umfang der angekündigten Außenprüfung“) die Annahme zu, dass die sachliche Reichweite des Sperrgrundes gegenüber der geltenden Gesetzesfassung (und dem Referentenentwurf) eingeschränkt werden soll. Der Begriff des „sachlichen Umfangs“ der Prüfung gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO-E dürfte enger auszulegen sein, als der Begriff „derselben Steuerart“ im Sinn des § 371 Abs. 1 AO. Zwar ist gemäß § 196 AO auch die Bezeichnung der Steuerart Kern der Festlegung des Prüfungsgegenstandes (§ 5 Abs. 2 S. 1 BpO).[57] Aus § 193 Abs. 2 Nr. 1 AO lässt sich jedoch ableiten, dass die Lohnsteuerprüfung – die gemäß dieser Vorschrift auch unabhängig vom Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen (§ 193 Abs. 1 AO) zulässig ist – im Rahmen der §§ 193 ff. AO ein anderer Prüfungsgegenstand als die Einkommensteuerprüfung ist. Der sachliche Umfang einer Prüfungsanordnung darf nämlich im Falle des § 193 Abs. 2 Nr. 1 AO – bei einem Lohnsteuerabzugsverpflichteten – stets die Lohnsteuer erfassen, nicht aber die Einkommensteuer als solche, wenn nicht die allgemeinen Voraussetzungen vorliegen.[58] Auch wenn man der Auffassung folgt, dass es sich bei Lohnsteuer und Einkommensteuer um Steuerart im Sinne des § 371 Abs. 1 AO handelt, haben Außenprüfungen, die entweder Lohnsteuer oder Einkommensteuer erfassen, daher nicht denselben „sachlichen Umfang“ im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 1a (oder Nr. 1c) AO-E. Prüfungsgegenstand und Sperrwirkung beziehen sich hier nur dann auf Lohn- und Einkommensteuer, wenn beide ausdrücklich genannt sind. Auch dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 S. 1 BpO[59] lässt sich entnehmen, dass der sachliche Umfang der Außenprüfung nicht allein durch die Steuerart (und den Besteuerungszeitraum) festgelegt ist, sondern in geeignetem Fall auch auf zu prüfende Sachverhalte beschränkt werden kann. Vor diesem Hintergrund kann der „sachliche Umfang“ einer Prüfungsanordnung ohne weiteres enger als auf die bloße Steuerart hin begrenzt werden. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich bei dem sachlichen Umfang gem. § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO-E um einen deutlich engeren Begriff als den der Steuerart im Sinne des § 371 Abs. 1 AO handelt. Insbesondere dann, wenn die Prüfung von Lohnsteuer eines bestimmten Zeitraums angeordnet ist, ergibt sich danach keine Sperrwirkung für Einkommensteuerhinterziehungen des Lohnsteuerabzugspflichtigen oder die Einkommensteuerhinterziehung des lohnsteuerpflichtigen (Ex-)Mitarbeiters. Entsprechend § 5 Abs. 2 S. 1 BpO kann der sachliche Prüfungsgegenstand auch auf bestimmte Sachverhalte begrenzt werden. In diesem Falle wäre die Sperrwirkung m.E. entsprechend nur auf die genannten Sachverhalte beschränkt.
Wenn man dieser Auslegung nicht folgen sollte, wäre – durch den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung – zumindest klarzustellen, dass Lohnsteuer und Einkommensteuer im Hinblick auf die Sperrgründe allenfalls insoweit „dieselbe Steuerart“ im Sinne des § 371 Abs. 1, Abs. 2 AO sind, als bei dem Unternehmen die Lohnsteuer, bei (ehemaligen) Mitarbeitern Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit betroffen sind. Die Anordnung und Bekanntgabe einer Lohnsteuerprüfung im Unternehmen sollte de lege ferenda keinesfalls die Selbstanzeige von ehemaligen Mitarbeitern wegen Einkommensteuerhinterziehung etwa bezüglich von Kapitalerträgen sperren, damit diese nicht durch die Gefahr des möglichen unerkannten Bestehens einer Sperrwirkung von Selbstanzeigen bzgl. ihres Fluchtkapital unnötig abgeschreckt werden.
2. Einleitung und Bekanntgabe eines Steuerstrafverfahrens (§ 371 Abs. 2 Nr. 1b AO-E)
Ähnlich zweifelhaft, wenn auch in ihren Folgen wohl nicht so gravierend, ist die sowohl im Referentenentwurf als auch Regierungsentwurf gleichlautend vorgeschlagene Verschärfung des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO-E.
Durch die Ersetzung des Begriffes des Täters durch den „an der Tat Beteiligten“ (Täter oder Teilnehmer) soll die Sperrwirkung bei Einleitung und Bekanntgabe eines Steuerstrafverfahrens gegenüber einem Täter oder Teilnehmer offenbar auf alle weiteren Täter und Teilnehmer erstreckt werden[60] und – dem Wortlaut zufolge („oder“) – wohl auch umgekehrt, auch wenn dies in der Begründung nicht explizit erwähnt wird.[61] Geht man mit dem BMF und der Bundesregierung davon aus, dass nicht nur eine Sperrwirkung gegenüber demjenigen gemeint ist, gegenüber dem die Bekanntgabe erfolgt, ist es zwangsläufig so, dass auch die Bekanntgabe gegenüber einem Tatbeteiligten grundsätzlich die Sperrwirkung bezüglich aller durch diesen angestifteten oder unterstützten Haupttäter bewirken kann, vorausgesetzt die sonstigen Voraussetzungen des Sperrgrundes lassen dies zu.
Dies ist insbesondere dann kaum sachgerecht, wenn ein Teilnehmer viele Täter unterstützt oder angestiftet hat (§§ 26, 27 StGB) oder umgekehrt, weil hier – insbesondere in komplexen Unternehmenszusammenhängen – mit einer Entdeckung aller anderen Tatbeteiligten nur aufgrund der Einleitung des Steifstrafverfahrens gegenüber irgendeinem Täter oder Teilnehmer nicht gerechnet werden kann. Sehr wohl aber wird nunmehr der in einen solchen komplexen Sachverhalt mit vielen Tatbeteiligten involvierte Steuerstraftäter von einer Selbstanzeige abgeschreckt. Er kann nämlich regelmäßig nicht wissen, ob nicht vielleicht einem anderen Tatbeteiligten – den er nicht einmal kennen muss – eine Verfahrenseinleitung mitgeteilt wurde. Dies dürfte sich auf die Selbstanzeigebereitschaft in Unternehmenssachverhalten lähmend auswirken, auch in Fällen, in denen das faktische Entdeckungsrisiko „entfernterer“ Tatbeteiligter gering ist. Diese müssen nun wissen (oder durch ihre Berater erfahren), dass sie sich im Falle der – ihnen nicht bekannten – Bekanntgabe der Strafverfahrenseinleitung gegenüber irgendeinem anderen Beteiligten mit der Selbstanzeige „ans Messer“ liefern, ohne eine strafbefreiende Wirkung erlangen zu können. Sie werden die strafverfahrensrechtliche Situation vorher regelmäßig nicht überprüfen können, da die Ermittlungsverfahren oft noch geheim oder jedenfalls nicht publik sein dürften.
Wenn man hier an ein Fallbeispiel denken möchte, wäre etwa die Situation der Einleitung des Steuerstrafverfahrens gegen einen Vorstand X einer Bank in Betracht zu ziehen, der durch eine das Geschäftsgebaren der Bank im Privatkundenbereich jahrelang abstrakt-generell regelnde Weisung (eine Tat im Sinne des § 52 StGB) vorsätzlich die Voraussetzungen für die Erschwerung der Entdeckung von Kapitalanlagen deutscher Steuerpflichtiger im Ausland über seine Bank geschaffen hat. Diese Weisung wird im Rahmen regelhafter Abläufe in der Hierarchie der Bank durch alle Privatkundenbetreuer umgesetzt. X hat sich mindestens wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung aller vorsätzlich bei ihrer Steuerhinterziehung unterstützten Haupttäter (Bankkunden) strafbar gemacht. Haupttäter zu dieser Beihilfe sind also sämtliche Steuerpflichtige, welche die durch X geschaffenen Mechanismen der Bank zum Transfer in das Ausland und zur erleichterten Hinterziehung von Kapitalertragsteuer nutzen. Würde nach der geplanten Neuregelung des § 371 AO-E das Steuerstrafverfahren gegen den Vorstand X eingeleitet, könnten möglicherweise Hunderte oder auch Tausende von Bankkunden, deren Entdeckung möglicherweise völlig unwahrscheinlich ist, über lange Zeit – die Dauer des Steuerstrafverfahrens – keine strafbefreiende Selbstanzeige abgeben. Zu extrem ungerechten Ergebnissen kann dies insbesondere führen, wenn das Ermittlungsverfahren gegen den Vorstand der Öffentlichkeit und den Bankkunden nicht bekannt sein kann, Bankkunden aber freiwillig und vom Entdeckungsrisiko unabhängig zu einer Nacherklärung schreiten. Insgesamt erscheint daher auch dieser Regelungsvorschlag höchst bedenklich.
Nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist auch, dass § 371 Abs. 2 Satz 2 AO-E in der Fassung des Regierungsentwurfs anders als auf Nr. 1a und Nr. 1c nicht auf § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO-E Bezug nimmt, das heißt der Ausschluss der Straffreiheit aufgrund dieses Sperrgrundes nach dem Regierungsentwurf nicht auf diejenigen Steuerstraftaten (einer Steuerart) beschränkt werden soll, die Gegenstand des eingeleiteten Steuerstrafverfahren sind. Nach herrschender Meinung dürfte es daher auf Basis des Regierungsentwurfs bei einer Sperre für alle Taten betreffend diejenigen Steuerarten bleiben, für die das Steuerstrafverfahren eingeleitet und bekannt gegeben wurde, auch insoweit, als nur einzelne Taten (Besteuerungszeiträume) zum Gegenstand des bekannt gegebenen Strafverfahrens gemacht wurden.[62]
3. Änderung des Sperrgrunds des Erscheinens zur steuerlichen Prüfung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1c AO-E)
Nicht ohne Modifikation im Regierungsentwurf blieb der durch den Referentenentwurf unverändert gebliebene § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO-E (Erscheinen eines Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung). Auch hier – wie bei Nr. 1a – hat die Bundesregierung vor, die Sperrwirkung ausdrücklich auf „den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung“ zu beschränken.[63] Zudem soll nach § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E in der Fassung des Regierungsentwurfs bei Nr. 1c (wie bei Nr. 1a) ausdrücklich die strafbefreiende (Teil-)Selbstanzeige insoweit zulässig bleiben, als der Gegenstand der steuerlichen Prüfung, zu der die Amtsträger erschienen sind, nicht sachlich und zeitlich betroffen ist. Die vorgeschlagenen Regelungen sind – wie die entsprechenden zu Nr. 1a – positiv zu bewerten und dürften vergleichbare Auswirkungen für die Zulässigkeit der Selbstanzeige für nicht prüfungsbetroffene Steuerzeiträume haben (siehe oben).
Vor dem Hintergrund, dass nach h. M. auch Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung i.S.d. § 208 AO Prüfungsmaßnahmen sind,[64] und auch hier wie bei Nr. 1a die sachliche Reichweite der Sperrwirkung an den Begriff des „sachlichen Umfangs“ – nicht den der Steuerart – anknüpft, ist davon auszugehen, dass bei auf einzelnen Sachverhalten bezogene Steuerfahndungsprüfungen die Selbstanzeige nur in eng begrenztem Umfang ausgeschlossen ist. Eine solche Prüfung schließt die Selbstanzeige nur so weit aus, wie der konkrete Auftrag des Prüfers reicht.[65] Vor dem Hintergrund des § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E – der die Teilselbstanzeige zulässt, soweit die Sperrwirkung des Nr. 1c nicht reicht – lässt sich die Annahme vertreten, dass die Sperrwirkung nur – nach Sachverhaltskomplexe trennbare – Teile einer durch Steuerart und Besteuerungszeitraum definierten Steuerstraftat erfasst. Dies ist m. E. dann der Fall, wenn der Prüfauftrag entsprechen konkret und restriktiv gefasst ist.
4. (Neu verselbständigter) Sperrgrund des Erscheinens zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit (§ 371 Abs. 2 Nr. 1d AO-E, Regierungsentwurf)
Der Regierungsentwurf verselbständigt – ohne inhaltliche Modifikation gegenüber der bisherigen Rechtslage – den Sperrgrund des Erscheinens eines Amtsträgers zu steuerstrafrechtlichen oder -ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungen, der bislang Teil des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO ist, zu einem eigenen Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1d AO-E („Straffreiheit tritt nicht ein, wenn bei einer zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist…“).[66]
Die Begründung des Regierungsentwurfs weist darauf hin, dass es sich um eine redaktionelle Änderung im Zusammenhang mit der Einführung des oben erwähnten § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E handele.[67] Der Sinn der Ausgliederung dieses Sperrgrundes aus Nr. 1c in Nr. 1d des Regierungsentwurfs liegt also offensichtlich darin, bei steuerstrafrechtlichen Ermittlungen die Teilselbstanzeige gem. § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E – die Vorschrift gilt nur für Nr. 1c und 1a – auszuschließen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Sperrwirkung – nach Maßgabe des § 371 Abs. 1 AO – nach dem Regierungsentwurf alle unverjährten Steuerstraftaten derjenigen Steuerarten erfasst, die Gegenstand der Ermittlungen gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1d AO-E sind.
Die Bundesregierung möchte erkennbar einen Gleichklang der sachlichen und zeitlichen Reichweite der Sperrwirkungen gemäß Nr. 1b und Nr. 1d im Sinne des Regierungsentwurfs herbeiführen. Vor dem Hintergrund, dass in beiden Fällen praktisch meist um strafrechtliche Ermittlungsverfahren geht, liegt eine Gleichbehandlung tatsächlich nahe. Andererseits ist – wie zu Nr. 1b – festzuhalten, dass eine auf den sachlichen und zeitlichen Gegenstand des Strafverfahrens eingeschränkte Sperrwirkung sich konsequent in die restriktiven Neuregelungen zu den prüfungs- bzw. ermittlungsbezogenen Sperrgründen (Nr. 1a, Nr. 1c) eingefügt hätte. Inhaltlich spräche sowohl bei Nr. 1b als auch bei Nr. 1d für eine Gleichbehandlung mit den Sperrgründen gemäß Nr. 1a und Nr. 1c, dass weder die Einleitung und Bekanntgabe eines Ermittlungsverfahrens, noch die Durchführung von Ermittlungen zwingend zeitnah zur Aufdeckung von Steuerstraftaten führt, die dieselbe Steuerart aber einen anderen Besteuerungszeitraum betreffen. Maßgeblich für das Entdeckungsrisiko ist vielmehr in der Praxis u.a., ob innere bzw. thematisch-inhaltliche Zusammenhänge, Ähnlichkeiten des modus operandi oder eine Art Fortsetzungszusammenhang zwischen den Steuerhinterziehungen unterschiedlicher Steuerjahre bestehen, die eine Aufdeckung im Rahmen desselben Verfahrens nahe legen. Dies kann aber bei Hinterziehungshandlungen betreffend dieselbe Steuerart ohne weiteres fehlen. Im Gesetzgebungsverfahren sollte daher erwogen werden, die Regelungssystematik der Nr. 1a und 1c des Regierungsentwurfs auch auf die Nr. 1b und 1d auszudehnen.
5. (Neuer) Sperrgrund der Umsatzsteuer-Nachschau, Lohn-Steuernachschau oder sonstigen Steuernachschau (§ 371 Abs. 2 Nr. 1d AO-E, Referentenentwurf, bzw. § 371 Abs. 2 Nr. 1e AO-E, Regierungsentwurf)
Bislang war strittig, ob die Umsatzsteuer-Nachschau, die Lohnsteuer-Nachschau oder andere steuerliche Nachschauen als Prüfungen im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO anzusehen waren – ausdrücklich waren sie nirgendwo in § 371 AO erwähnt und fielen insbesondere nicht unter die Vorschriften zur Außenprüfung – und das Erscheinen der Prüfer eine Sperrwirkung auslöst. Die herrschende Auffassung hatte eine Sperrwirkung der diversen steuerlichen Nachschauen jedoch bereits in der derzeitigen Gesetzesfassung bejaht.[68] Unklar und strittig war bis zu einem gewissen Grad auch der Umfang der Sperrwirkung – bzgl. der Lohnsteuer-Nachschau wurde (m. E. zu Unrecht) vertreten, diese müssen für die ESt der Beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten – und der genaue Beginn.[69]
Das BMF schlägt nunmehr vor, sämtliche Formen der steuerlichen Nachschau ausdrücklich zu einem eigenständigen Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1d AO-E zu machen, für den Fall, dass der Prüfer zur Nachschau „erschienen“ ist (vgl. § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO). Zusätzlich wird präzisierend gefordert, dass er sich auch „ausgewiesen“ hat.[70] Beides wurde – als § 371 Abs. 2 Nr. 1e AO-E – unverändert auch in den Regierungsentwurf übernommen.[71]
Gerade die Ausweispflicht als Voraussetzung des Beginns der Sperrwirkung scheint zur genauen Festlegung des maßgeblichen Zeitpunkts bei der weniger formalisierten Nachschau sinnvoll, bei der es weder eine Prüfungsanordnung noch ein typisches Procedere für den Beginn gibt.[72] Zu Recht führt die Entwurfsbegründung aus, dass dem Steuerpflichtigen gegenüber die Sperrwirkung erst dann eintreten soll, wenn dieser aufgrund des Sich-Ausweisens des Finanzbeamten wissen kann, dass eine steuerliche Nachschau eines Amtsträgers stattfindet.[73] Sinnvoll ist auch der Hinweis, dass die Sperrwirkung fortfällt, sobald die Nachschau – typischerweise ohne formalen Akt durch das faktische Verlassen der Geschäftsräume – beendet ist.[74] Vor dem Hintergrund der herrschenden Auffassung, die mindestens dasselbe Ausmaß der Sperrwirkung von § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO herleitet,[75] erscheint die Gesetzesänderung faktisch eher als im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG gebotene und begrüßenswerte Klarstellung und zugleich Eingrenzung der Sperrwirkung der steuerlichen Nachschau. Die Formulierung der Vorschrift sollte hingegen vor dem Hintergrund des o.g. Streits klarstellen, dass die Sperrwirkung nur die jeweils konkret betroffene Steuerart – etwa: Lohnsteuer, nicht Einkommensteuer – und die von der Nachschau konkret betroffenen Steuerpflichtigen betrifft. In diesem Rahmen erscheint es grundsätzlich auch durchaus legitim, diesen Formen der Verifizierung steuerlicher Sachverhalte Sperrwirkung zuzumessen, denn jedenfalls bei einem konkreten Prüfungsauftrag dienen die Nachschauen – wie sonstige steuerliche Prüfungen – der Ermittlung der zutreffenden Besteuerungsgrundlage.[76]
6. (Neuer) Sperrgrund des besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 – 5 AO) gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO-E
Mit dem neuen Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO-E – gleichlautend in Referentenentwurf und Regierungsentwurf[77] – sollen alle anderen benannten besonders schweren Fälle des § 370 Abs. 3 AO – entsprechend bisher § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO, der bisher schon den besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung wegen Steuerhinterziehung großen Ausmaßes erfasste – in den Anwendungsbereich der Zuzahlungspflicht gemäß § 398 a Nr. 2 AO einbezogen werden, indem sie in den Anwendungsbereich eines – ebenfalls unechten – neuen weiteren Sperrgrundes inkludiert werden.
Dieser neue Sperrgrund der Nr. 4 führt – wie Nr. 3 – zwingend im Falle des Vorliegens einer Selbstanzeige, die alle übrigen positiven und negativen Voraussetzungen der Straffreiheit gemäß § 371 AO erfüllt, bei fristgerechter Erfüllung der (Steuer- und Zuzahlungs-)Pflichten des § 398 a AO zu einer Einstellung des Verfahrens.[78] Die Begründung des Gesetzesentwurfs, dass die besondere Strafwürdigkeit des besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung insgesamt dazu führen muss, dass hier nur nach § 398 a AO – das heißt bei Erfüllung zusätzlicher Zahlungspflichten – Straffreiheit eintreten solle,[79] erscheint im Hinblick auf § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetz grundsätzlich kohärent und nachvollziehbar. Eine gewisse Inkonsistenz erhält diese Argumentation jedoch dadurch, dass die Regelung gerade nicht für den so genannten unbenannten besonders schweren Fall im Sinne des § 370 Abs. 3 S. 2 AO gelten soll, der diese Regelbeispiele nicht erfüllt. Nach der Systematik der Strafzumessungsnorm muss dieser offenkundig in concreto von derselben Gewichtigkeit und Schuldschwere sein. Im Zusammenhang mit der Selbstanzeige ist dies jedoch deshalb gerechtfertigt, weil die Bestimmtheit der Norm des § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO-E bei einer Einbeziehung des unbenannten besonders schweren Falles erheblich leiden würde. Insbesondere für den Steuerpflichtigen wäre auch nicht annähernd voraussehbar, ob er eine Selbstanzeige nur bei Zahlung gemäß § 398 a Nr. 2 AO strafbefreiend bewirken kann, oder eine Steuernachzahlung (nach dem Entwurf unter Einbeziehung der Hinterziehungszinsen, § 235 AO) ausreichen werde.
Vor diesem Hintergrund erscheint der Regelungsvorschlag für sich genommen plausibel, hinreichend bestimmt und sachgerecht, steht aber in einem Spannungsverhältnis zur geplanten Absenkung des Schwellenwerts des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO-E von 50.000 auf € 25.000 €, das heißt unterhalb des in der Rechtsprechung anerkannten Mindestbetrags des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO (s.u.).
V. Absenkung der Schwelle des Hinterziehungsbetrags für das Entfallen der strafbefreienden Wirkung (§ 371 Abs. 2 Nr.AO-E)
Die gleichlautend in Referentenentwurf und Regierungsentwurf vorgesehene Änderung des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO-E, wonach eine strafbefreiende Wirkung nicht wie bisher bei einer Steuerverkürzung oder einem Steuervorteil von mehr als 50.000 €, sondern bereits bei einer Steuerverkürzung oder einem Steuervorteil von mehr als 25.000 € eintritt,[80] wird erstaunlicherweise recht kärglich lediglich damit begründet, dass eine entsprechende Übereinkunft der Bundesregierung mit den Ländern erzielt worden sei, nicht nur besonders schwerwiegende Fälle der Steuerhinterziehung – gemeint ist: im Sinne des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO – dem Anwendungsbereich des § 398 a AO zu unterwerfen, sondern alle Fälle mit einem höheren Hinterziehungsvolumen als 25.000 €.[81] Dies beschreibt zwar den tatsächlichen Grund des Änderungsvorschlags – der politische Wille der Bundesländer – zeigt aber weder rechtsdogmatische noch rechtspolitische Begründungsansätze auf. Dies ist unbefriedigend, denn die Absenkung der Schwelle der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige ist systematisch kaum zu rechtfertigen. Möglicherweise erklärt dies die sparsame Begründung des Entwurfs:
Die mangelnde Kongruenz der Absenkung der Zuzahlungsschwelle auf 25.000 € ergibt sich insbesondere daraus, dass diese durch den Gesetzgeber des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes explizit deshalb auf 50.000 € festgesetzt worden war, weil dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[82] die regelmäßige Schwelle für das Regelbeispiel des besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung wegen der Hinterziehung von Steuern in großem Ausmaß (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) war. Wie auch der Entwurf anerkennt, sollte die Straffreiheit nur in aufgrund des hohen Hinterziehungsbetrages besonders schweren Fällen von der Zuzahlung abhängig gemacht werden.[83] In diesem Zusammenhang lässt sich auch die nunmehr geplante Einführung des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO-E für alle anderen besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-5 AO) normsystematisch gut begründen (siehe oben).
Eine systematische Kongruenz der Sperrgründe der laut BMF und Bundesregierung zu ändernden Nr. 3 und der einzuführenden Nr. 4 wäre aber nicht gegeben, denn die Nr. 3 würde nicht mehr an ein Regelbeispiel des besonders schweren Falles anknüpfen, wohl aber die Nr. 4. In beiden Fällen – solchen bei denen regelmäßig ein besonders schwerer Fall anzunehmen ist, und solchen bei denen dies regelmäßig nicht anzunehmen ist (Verkürzungsbetrag von 25.000-50.000 €) – könnte künftig nur durch eine Zuzahlung Straffreiheit erlangt werden. Richtigerweise müsste zur Wahrung der inneren Schlüssigkeit bei Einführung des neuen Nr. 4 der Schwellenbetrag des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO unverändert bleiben. Dies ist auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) abzuleiten, der die Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem und die Ungleichbehandlung von wesentlich Ungleichem fordert.[84] Jedenfalls für Fälle, in denen §§ 371 Abs. 2 Nr. 3, 398a AO-E bei Verkürzungsbeträgen von 25.000 bis 50.000 € angewandt wird, ist m. E. von einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung mit Fällen gemäß §§ 371 Abs. 2 Nr. 4, 398a AO-E auszugehen, die im Gesetz zwingend angelegt ist und dieses daher ebenfalls dem Verdacht der Verfassungswidrigkeit aussetzt.
Dass die Summe eines steuerstrafrechtlichen Schadens von 25.000 € auch unter Verzicht auf einen nur § 371 Abs. 2 AO-E beschränkten Vergleich substantiell zu niedrig angesetzt sein dürfte, ergibt sich daraus, dass eine Anpassung des Schwellenwerts auf 25.000 € im Rahmen von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO – was zu Recht nicht vorgesehen ist – im Hinblick auf den für den besonders schweren Fall des Betrugs (§ 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB) nach herrschender Rechtsprechung erforderlichen Vermögenschaden von mindestens 50.000 € (siehe oben) kaum einer verfassungsrechtlichen Überprüfung am Gleichheitsprinzip standhalten dürfte. Die beiden Strafzumessungsvorschriften (§ 263 Abs. 3 StGB; § 370 Abs. 3 AO) sehen nämlich dasselbe Strafmaß (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) vor und sowohl diese als auch die Grundtatbestände entfalten eine zumindest vergleichbare Unrechtstypologie.[85] Vor diesem Hintergrund könnte es keinesfalls überzeugen, wenn der Straftatbestand der Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall an einen deutlich niedrigeren Schwellenwert anknüpfen würde als der des Betruges. Überträgt man diesen Gedanken auf den neuen § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO-E, dann liegt es nahe, auch im Hinblick auf die Selbstanzeigemöglichkeiten ohne Zuzahlung an die schadensmäßige Differenzierung zwischen einfachem und besonders schwerem Fall von Betrug und Steuerhinterziehung anzuknüpfen.
Grundsätzlich zu Recht wurde auch bereits darauf hingewiesen, dass die (politische) Diskussion über die Absenkung der Betragsgrenze des § 371 Absatz 2 Nr. 3 AO stark durch Selbstanzeigen geprägt wurde, die im Zusammenhang mit nicht erklärten ausländischen Kapitalerträgen stehen („Schweizer-Konten-Fälle“). Die Auswirkungen der Verschärfung im Bereich der Unternehmenssteuern wurden hingegen in der politischen Diskussion vernachlässigt.[86] Durch die geplante Absenkung würde das Institut der strafbefreienden Selbstanzeige an sich für kleine und mittlere Unternehmen, die regelmäßig in den – fehleranfälligen – Umsatzsteuervoranmeldungen mehr als 25.000 EUR Ausgangsumsatzsteuern anmelden, erheblich eingeengt werden;[87] unzweifelhaft gilt dies auch für Ertragssteuern (Einkommensteuer, Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer). Da der Entwurf zur Ermittlung des für § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO-E maßgeblichen Hinterziehungsbetrags auch bei der Umsatzsteuer weiterhin nicht auf den echten Steuerschaden unter Berücksichtigung legitimer Vorsteuerabzüge (vgl. § 18 UStG), sondern auf den tatbestandlichen Verkürzungsbegriff (§ 370 Abs. 1, Abs. 4 AO) abstellt,[88] laufen solche Unternehmen – jedenfalls hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung – Gefahr, aus dem Anwendungsbereich einer zuschlagsfreien Selbstanzeige ausgeschlossen zu werden,[89] da mangels Berücksichtigung von Vorsteuer nicht die Umsatzsteuerzahllast, sondern der formale Verkürzungsbetrag ohne Vorsteuerabzüge als Hinterziehungsbetrag anzusetzen wäre.[90] Hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen würde diesem Problem jedoch zukünftig § 371 Abs. 2a AO-E effektiv entgegenwirken, da die Wirksamkeit der Teilselbstanzeige bzgl. Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen ausdrücklich auch die Anwendbarkeit der §§ 371 Abs. 2 Nr. 3, 398a AO für diesbezügliche (Teil-)Selbstanzeigen ausschließt, d.h. insoweit die Zuzahlungspflicht gem. § 398a Nr. 2 AO-E auch für 25.000 EUR übersteigende Hinterziehungsbeträge entfällt.
VI. Einbeziehung der Hinterziehungszinsen in die fristgebundene Zahlung (§ 371 Abs. 3 AO-E)
Sowohl Referentenentwurf als auch Regierungsentwurf sehen gleichlautend vor, dass auch in Fällen der einfachen Steuerhinterziehung Voraussetzung für die Straffreiheit durch die – im Übrigen wirksame – Selbstanzeige ist, dass innerhalb der durch die Strafverfolgungsbehörde gesetzten angemessenen Frist gemäß § 371 Abs. 3 AO-E nicht nur die zu eigenen Gunsten hinterzogenen Steuern nachgezahlt werden, sondern auch die Hinterziehungszinsen im Sinne des § 235 AO sowie daneben die nach der allgemeinen Verzinsungsregelung des § 233 a AO zu entrichtenden Beträge, da nach § 235 Abs. 4 AO diese Nachzahlungszinsen auf die Hinterziehungszinsen anzurechnen sind, soweit sie für denselben Zeitraum (Zinslauf) festgesetzt wurden.[91] Eine Doppelverzinsung derselben Steuernachforderungen werde vermieden, indem nur der nach Anrechnung der Nachzahlungszinsen verbleibende Differenzbetrag als Hinterziehungszinsen festgesetzt und erhoben wird.[92]
Vor dem Hintergrund, dass gerade bei länger zurückliegenden Steuerhinterziehungen die Hinterziehungszinsen – 6 % pro Jahr – im Verhältnis zum Hinterziehungsbetrag zu sehr erheblichen Zahlungspflichten führen, – man denke etwa an einen zehn Jahre zurückliegenden besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung oder Fälle der Erbschafts- und Schenkungssteuerhinterziehung, die wegen des späten Beginns der Festsetzungsfrist steuerlich auch noch nach mehreren Jahrzehnten relevant sein können (§ 170 Abs. 5 AO) – würde die geplante Neuregelung des § 371 Abs. 3 AO für den Steuerhinterzieher zu einer erheblichen und kurzfristig zu bewältigenden wirtschaftlichen Zusatzbelastung als zwingende Voraussetzung der Straffreiheit führen.[93]
Die Regelung zumindest des Referentenentwurfs könnte theoretisch so zu verstehen sein, dass in Fällen der über Jahrzehnte wiederholten Hinterziehung von Schenkungsteuer (aufgrund des steuerartbezogenen Vollständigkeitsgebots[94]) die Zinsen auch für diese an sich strafrechtlich verjährten Taten in Höhe von bis zum Doppelten des Steuerbetrags zur Erzielung der Strafbefreiung für die nicht verjährte Tat abgeführt werden müssten.[95] Zumindest dies wäre unverhältnismäßig (Art. 20 Abs. 3 GG). Mit Hinterziehungszinsen im Sinne des § 371 Abs. 3 AO-E sind daher nur solche auf eine (unverjährte) Steuerstraftat gem. § 371 Abs. 1 AO gemeint. Sicherheitshalber wäre dies klarzustellen, sollte diese Entwurfsfassung doch noch weiter verfolgt werden.
Der Regierungsentwurf dürfte in der Zusammenschau von § 371 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 AO-E wohl bereits eine hinreichend klare Begrenzung auf Hinterziehungszinsen für Steuerstraftaten nur aus dem Zehnjahreszeitraum des § 371 Abs. 1 S. 2 AO-E enthalten.
Unabhängig von diesen Unterschieden erscheint die Änderung insgesamt nicht sachgerecht: Bislang konnten die Hinterziehungszinsen im Rahmen des normalen Besteuerungsverfahrens unter Berücksichtigung der dortigen Fristenlage und der Rechtsbehelfsmöglichkeiten sowie ohne den Druck gezahlt werden, ansonsten die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nicht zu erlangen. Nunmehr muss der Steuerhinterzieher im Moment der Selbstanzeige praktisch nicht nur den Hinterziehungsbetrag und gegebenenfalls den Zuzahlungsbetrag gemäß § 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E als liquide Mittel bereithalten, sondern auch den Hinterziehungszinsbetrag. Dieser wird daher von Beraterseite mit zu berechnen bzw. zu schätzen sein.[96] Es ist unklar, ob sich das BMF und die Bundesregierung bewusst sind, dass diese Regelung erheblich dazu beitragen könnte, dass sich zukünftig weniger Steuerhinterzieher eine Selbstanzeige leisten können.[97]
Insbesondere gilt dies in solchen Fällen, in denen die Täter die Nachzahlungspflicht gemäß § 371 Abs. 3 AO oder § 398 a Abs. 1 Nr. 1 AO selbst gar nicht trifft, weil sie – in großem Ausmaß – Steuern zu Gunsten eines Unternehmens oder eines sonstigen Dritten – nicht zu eigenen Gunsten – hinterzogen haben. Hier wird es – auch aufgrund der Erhöhung der Zuzahlungspflichten gem. § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO-E (s.u.) – voraussichtlich zu Finanzierungsproblemen bei der Regularisierung kommen, soweit die betroffenen – von der Steuerhinterziehung begünstigten – Unternehmen nicht Willens sind, die Kosten der Selbstanzeige der Mitarbeiter zu übernehmen oder jedenfalls zu finanzieren. Man kann vielmehr sogar befürchten, dass einer möglicherweise nicht rechtstreu gesinnten Unternehmensleitung durch die Einbeziehung der Hinterziehungszinsen in § 371 Abs. 3 AO-E und die Verschärfung des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO-E zusätzliche Werkzeuge in die Hand gegeben werden, eine ungewollte Selbstanzeige von reuigen, gegebenenfalls ehemaligen Mitarbeitern, die für das Unternehmen Steuerstraftaten begangen haben, durch Hinweis auf die erhöhten Zahlungspflichten zu verhindern.
Auch unter rechtssystematischen Gesichtspunkten erscheint fraglich, ob es richtig sein kann, die Straffreiheit von der Erbringung steuerliche Nebenleistungen abhängig zu machen, die ex ante nicht geschuldet waren und die auch nicht – wie die Zuzahlung gem. § 398a Abs. 2 Nr. 2 AO-E – vergleichbar einer Geldauflage gemäß § 153 a StPO eine Sanktionsfunktion haben.
Immerhin ist zu begrüßen, dass Unternehmer und Arbeitnehmer – steuerlich zuständige Mitarbeiter von Unternehmen – die unrichtig, unvollständig oder verspätet erstellten Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen erstellen und die gerade im ersteren Fall oft ein besonders großes Hinterziehungsvolumen betreffen, gemäß § 371 Abs. 2a S. 1 AO-E zukünftig von der Zinszahlung als Voraussetzung der Straffreiheit entbunden sein sollen.[98]
VII. Erhöhung der Zuzahlungspflichten (§ 398a AO-E)
Ein fiskalisch und wirtschaftlich wichtiger sowie emotional besetzter Bestandteil – insbesondere in der öffentlichen Wahrnehmung – des Reformvorhabens ist die Verschärfung und teilweise Klarstellung des in 2011 eingeführten § 398 a AO. § 398a AO-E ist im Referentenentwurf und im Regierungsentwurf identisch gefasst. [99]
1. Klarstellung des Anknüpfungspunktes der Zuzahlungspflicht (§ 398 a Abs. 2 AO-E)
Die neu eingefügte Vorschrift des § 398 a Abs. 2 AO-E sieht ausdrücklich vor, dass die Bemessung des Hinterziehungsbetrags sich nach den Grundsätzen in § 370 Abs. 4 AO richtet. Die Ergänzung dient aus Sicht des BMF und der Bundesregierung der Klarstellung, dass der Hinterziehungsbetrag bei § 398 a AO den gleichen Grundsätzen folgt wie im Rahmen der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO, insbesondere das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO) anwendbar ist. Daraus folgt, dass eine steuerrechtlich zulässige und gebotene Kompensation durch Abzugsposten beim Steuerpflichtigen – soweit kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen steuermindernden und steuererhöhenden Umständen besteht[100] – nicht zu einer Verringerung des tatbestandlichen Steuerschadens und nicht zur Verringerung der Zuzahlungshöhe gemäß § 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E führt.[101]
Besonders relevant ist dies im Hinblick auf die nach herrschender Auffassung dem Kompensationsverbot unterliegende Vorsteuer bei der Umsatzsteuerhinterziehung.[102] Da dies bereits bisher der herrschenden Auffassung in der Finanzverwaltung und wohl auch in Literatur und Rechtsprechung entsprach,[103] führt die Kodifizierung in der Praxis wohl allenfalls punktuell zu Änderungen. Dessen ungeachtet war und bleibt dies im Hinblick auf die Zuzahlung gemäß § 398 a Nr. 2 AO zu kritisieren, weil es sich der Sache nach hier – wie im Rahmen des § 153 a StPO – um eine geldauflagenähnliche Zahlung als Schuldausgleich und zum Ausschluss des öffentlichen Interesses handelt, bezüglich derer auch der Gesetzgeber des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes eine strafprozessuale Funktion anerkannt hatte.[104] Vor diesem Hintergrund wäre es richtig gewesen, eine Klarstellung oder Änderung des Wortlauts („Hinterziehungsbetrag“) im entgegengesetzten Sinne herbeizuführen, nämlich das für die Zwecke des § 398 a Nr. 2 AO auf den Strafzumessungsschaden oder aber auch dem regelmäßig entsprechenden steuerlichen Schaden abzustellen ist („Steuerschaden“ o.ä.).[105] Angesichts der bisherigen herrschenden Auffassung – und auch des politischen Zeitgeists – war nicht zu erwarten, dass der Gesetzgeber die Chance zu einer systemgerechten und schuldangemessenen Anpassung der Definition des Schwellenwerts des § 398 a AO ergreifen würde. Dies ist zu bedauern, weil es zu erheblichen Ungleichbehandlungen führen wird. Diese Ungleichbehandlungen werden angesichts der Verschärfung des § 398 a Nr. 2 AO-E (siehe unten) von größerer wirtschaftlicher und praktischer Bedeutung sein als bisher, und sich demgemäß verfassungsrechtlich gemessen an Art. 3 Abs. 1 GG auch weniger gut rechtfertigen lassen.
2. Verschärfung der Zuzahlungspflichten (§ 398 a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a-AO-E)
§ 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E führt nunmehr zu einer Erhöhung des auf den Hinterziehungsbetrag zu zahlenden Prozentsatzes, der derzeit grundsätzlich (bei mehr als 50.000 €) bei 5 % des Hinterziehungsbetrags liegt, in drei von der Höhe des Hinterziehungsbetrags abhängigen Stufen (Nr. 2 Buchst. a – Buchst. c) ein:
Der zu zahlende Geldbetrag liegt nunmehr bei 10 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag zwar 25.000 €, nicht aber 100.000 € übersteigt (§§ 398 a Abs. 1 Nr. 2a, 371 Abs. 2 Nr. 3 AO-E). Bei 15 % der hinterzogenen Steuer liegt der Zuzahlungsbetrag, wenn der Hinterziehungsbetrag 100.000 €, aber nicht 1 Million € übersteigt (§ 398 a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO-E). Schließlich sind 20 % der hinterzogenen Steuer zu zahlen, wenn der Hinterziehungsbetrag 1 Million € übersteigt (§ 398 a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c AO-E).
Die Begründung der Erhöhung der Zuzahlungen fällt – abgesehen von Berechnungsbeispielen[106] – äußerst knapp aus. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass eine deutliche Anhebung des Geldbetrags vorgesehen sei und sich dieser Betrag – weil die Höhe des Hinterziehungsbetrags einen wesentlichen Umstand für die Bemessung der Schuld des Straftäters sei – an der Höhe des Hinterziehungsbetrags orientieren soll. Deshalb werde auch eine Staffelung des zu zahlenden Geldbetrags eingeführt.[107] Weder eine Rechtfertigung der konkreten Prozentsätze noch für die Schwellenwerte der Hinterziehungsbeträge für die Staffelung wird angeboten.
Vor dem Hintergrund, dass die herrschende Meinung zum bisherigen § 398 a Nr. 2 AO davon ausging, dass es sich bei dem Schwellenwert um eine Freigrenze, nicht um einen Freibetrag handelt,[108] vor allem aber unter Berücksichtigung der Beispiele zur Berechnung des Betrags im Entwurf, ist davon auszugehen dass die nunmehr drei Schwellenwerte – 25.000 €, 100.000 €, 1 Million € – weiterhin als Freigrenzen interpretiert werden sollen, und somit bei Überschreitung eines Schwellenwertes jeweils der höchste anwendbare Prozentsatz auf den gesamten Hinterziehungsbetrag anzuwenden ist.[109]
Man kann bereits anzweifeln, ob die Schwellenwerte und die Prozentsätze für sich genommen schlüssig und unter Gesichtspunkten der Gerechtigkeit vertretbar gewählt sind. Dieser Eindruck drängt sich schon deshalb auf, weil das BMF auf eine Begründung völlig verzichtet. Zu Gunsten einer besonderen Relevanz der Überschreitung der Schwelle von 1 Million € Hinterziehungsbetrag könnte die Rechtsprechung herangezogen werden, wonach regelmäßig bei einem solchen Hinterziehungsbetrag eine zu verhängende (Gesamt-) Freiheitsstrafe nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann[110]. Eine solche Begründung würde aber die Zuzahlung weiter in die Nähe einer Strafe rücken und sie als strafähnliche Sanktion markieren. Hinsichtlich der 100.000 € ist – angesichts der Absenkung der Eingangsschwelle für die Zuzahlung auf 25.000 € und vor dem Hintergrund, dass der besonders schwere Fall der Steuerhinterziehung regelmäßig bei 50.000 € beginnen soll – kein nahe liegendes Argument zu finden.
Hinsichtlich der vorgesehenen Prozentsätze ist jedenfalls im oberen Bereich darauf hinzuweisen, dass Zuzahlung von 20 % des Hinterziehungsbetrags insbesondere bei zehnjährigen Steuerverkürzungen mit der Pflicht zur Zahlung von jeweils 6 % Hinterziehungszinsen pro Jahr gerade bei der gemäß § 370 Abs. 4 AO zu berechnenden verkürzten Umsatzsteuer – das heißt ohne die Möglichkeit zum Abzug berechtigter Vorsteuer – zu konfiskationsähnlichen Folgen führen kann,[111] was auch im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG problematisch erscheint. Von anderer Seite wurde insofern zu Recht auch die Verletzung des Übermaßverbots (Art. 20 Abs. 3 GG) in den Raum gestellt.[112] Ausgehend von der Janosevic-Entscheidung des EGMR, in der es sich um steuerliche Zuschläge von 20 % bis 40 % handelte, sei jedoch noch davon auszugehen, dass ein Zuschlag von 20 % mit Art. 6 EMRK vereinbar wäre.[113]
Ohne dass dies an dieser Stelle schon vertieft behandelt werden könnte, ist darauf hinzuweisen, dass auch die Regelungstechnik unter Verwendung von Freigrenzen vor dem Hintergrund der erheblichen Anhebung der Prozentsätze auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen dürfte. Es ist insbesondere unter Gleichheitsgesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht nachvollziehbar, dass nach neuem Recht bei einem Hinterziehungsbetrag von 1 Million € eine Zuzahlung von 150.000 € zu erfolgen hat, damit der Steuerhinterzieher straffrei wird, während bei einem Hinterziehungsbetrag von 1.000.001 € – das heißt bei 1 € Differenz im Hinterziehungsbetrag – eine Zuzahlung von ca. 200.000 € erforderlich ist, d.h. ein um 1 € höherer Hinterziehungsbetrag zu einer Erhöhung der erforderlichen Zuzahlungen um 50.000 € führt.[114] Dies verstößt offensichtlich gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da (nahezu) Gleiches erheblich ungleich behandelt wird.[115] Die Verschärfung der Zuzahlungsregelungen lassen die Zuzahlung immer mehr wie eine Art Geldstrafe oder jedenfalls wie eine (Geld-)Auflage im Sinne des § 153a StPO erscheinen, was zumindest ansatzweise zu einer entsprechenden Anwendung der verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Strafzumessung führen muss. Daher darf die Bemessung der Zuzahlung Grundsätze der Schuldangemessenheit und Proportionalität jedenfalls nicht offenkundig verletzen. Dem wird die Regelungssystematik des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO-E zur Bestimmung der Zuzahlungshöhe nicht gerecht.
Zu Recht wurde daher vorgeschlagen, die ins Auge gefassten Prozentsätze im Sinne eines echten Staffeltarifs auszugestalten und den nächsthöheren Zuschlag nur auf den die Schwellenwerte (25.001, 100.001, 1.000.001 €) übersteigenden Teil anzuwenden.[116] Dies dürfte allerdings nur eine Minimalkorrektur zur Beseitigung des offensichtlichsten verfassungsrechtlichen Mangels der Regelung darstellen.
VIII. Änderung des Steuerstrafverfahrens: Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 398 a Abs. 3 AO-E) und Anrechnungsmöglichkeit (§ 398 a Abs. 4 AO-E)
Darüber hinaus sind – in Referenten- und Regierungsentwurf – zwei Änderungen des Steuerstrafverfahrens über den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Abgabe der Selbstanzeige hinaus vorgesehen.
1. Wiederaufnahme des Verfahrens bei fehlerhafter Selbstanzeige (§ 398 a Abs. 3 AO-E)
Es ist vorgesehen, dass die Wiederaufnahme eines gemäß § 398 a Abs. 1 AO-E abgeschlossenen Verfahrens – bei dem durch eine Einstellungsentscheidung von der Strafverfolgung einer Steuerstraftat abgesehen wurde – zulässig ist, wenn die Finanzbehörde erkennt, dass die Angaben im Rahmen einer Selbstanzeige unvollständig oder unrichtig waren (§ 398 a Abs. 3 AO-E). Die Vorschrift soll „Gestaltungen bei der Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige“ – also wohl nicht nur vorsätzlichen Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten, jedenfalls bleibt dies offen – vorbeugen.[117] Das BMF und die Bundesregierung sehen ansonsten die Gefahr, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen sei, wenn der betroffene Steuerpflichtige keine vollständige und richtige Selbstanzeige abgegeben hat und dies erst nach der Einstellung des Verfahrens bekannt wird.[118] Offenbar soll die objektive Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit genügen, um die Wiederaufnahme zu rechtfertigen.
Die Äußerung des könnte – für die bisherige Rechtslage – so verstanden werden, dass derzeit aus Sicht des BMF und der Bundesregierung durch eine Einstellung gemäß § 398 a AO für die betroffene prozessuale Tat (§ 264 StPO) eine zumindest beschränkte Rechtskraftwirkung zu Gunsten des an einer Steuerhinterziehung Beteiligten herbeigeführt wird.[119] Andernfalls hätte die oben beschriebene Sorge keine rechtliche Grundlage, weil ohnehin – wie nach herrschender Auffassung bei einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO – das Steuerstrafverfahren ungeachtet des Absehens von Strafe gemäß § 398 a AO jederzeit fortgeführt werden könnte.
Aus diesseitiger Sicht erscheint die Regelung nicht sachgerecht, auch wenn sie praktisch kaum Veränderungen herbeiführen dürfte, da die herrschende Meinung bereits jetzt davon ausgeht, dass § 398 a AO keine – auch keine eingeschränkte – Rechtskraftwirkung hat.[120] Es mag vielleicht noch angehen, den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit vorzubehalten, eine einer vorsätzlich zu niedrigen Selbstanzeige zu Grunde liegenden Steuerhinterziehung trotz einer Einstellungsentscheidung gemäß § 398 a AO zu verfolgen, um gegenüber dem bösgläubigen Steuerhinterzieher – oder dessen Berater – einen Abschreckungseffekt zu erzielen. Wie der Vergleich mit § 153 a StPO jedoch zeigt, wäre es im deutschen Strafverfahren wohl gleichheitswidrig, für den Fall, dass nur eine – im Rechtssinne freiwillige – Leistung des Beschuldigten zu Einstellung des Verfahrens führt, dieses jederzeit bzw. beim Vorliegen neuer belastender Beweismittel wieder aufgreifen zu können. Nicht ohne Grund ist bei § 153 a Abs. 1 S. 5 StPO Voraussetzung der Wiederaufnahme, dass die Tat nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen verfolgt werden muss, weil dann auch abstrakt gesehen die rechtliche Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nicht bestanden hätte. Der Sache nach handelt es sich also zumindest im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht um eine nur sehr abstrakt gesehen „eingeschränkte“ Rechtskraft. Vor dem Hintergrund der funktionellen Vergleichbarkeit der beiden Vorschriften sollte mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz derselbe Rechtsgedanke auch für § 398 a AO gelten.[121]
Zudem erscheint nicht fern liegend, dass der EuGH unter Berücksichtigung seiner bisherigen Rechtsprechung zu Art. 54 SDÜ und – inhaltlich entsprechend – Art. 50 EU-GRC, die das europäische „ne bis in idem“ etwa auf § 153 a StPO erstreckt hat[122] – ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Zahlung gem. § 398a Nr. 2 AO als Verletzung des Doppelbestrafungsverbots gem. Art. 50 EU-GRC[123] rügen könnte. Aufgrund der für die Einstellung nötigen Zuzahlung, der Nichtrückzahlbarkeit der Zuzahlung (vgl. § 398a Abs. 4 AO-E) und der grds. Endgültigkeit der Einstellungsentscheidung nach § 398a AO würde sich ein – auch rein innerdeutsches[124] – Wiederaufgreifen des Verfahrens mit anschließender Bestrafung wohl als nach Art. 50 EU-GRC unzulässige Strafverfolgung nach rechtskräftiger Verurteilung darstellen, jedenfalls für den Fall, dass die Selbstanzeige nicht vorsätzlich unrichtig abgegeben wurde.[125]
2. Anrechnungsmöglichkeit der Zahlungen auf Geldstrafen bei fehlender strafbefreiender Wirkung (§ 398 a Abs. 4 AO-E)
Positiv zu beurteilen ist hingegen, dass § 398 a Abs. 4 AO-E ermöglichen will, dass in solchen Fällen, in denen das Strafverfahren trotz Zahlung des Zuschlages nicht eingestellt wird oder es zu einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens (Abs. 3) kommt und dieses mit einer Verurteilung endet, der gezahlte Zuschlag vom Gericht auf eine Geldstrafe angerechnet werden kann.[126]
IX. Änderungen des Besteuerungsverfahrens: Anlaufhemmung der Festsetzungsverjährung für ausländische Kapitalerträge (§§ 164 Abs. 4 S. 2, 170 Abs. 6 AO-E)
Speziell für Kapitalerträge aus bestimmten ausländische Staaten und Territorien ist sowohl im Referentenentwurf als auch im Regierungsentwurf eine Anlaufhemmung der Festsetzungsverjährung vorgesehen. § 170 Abs. 6 AO-E soll so gefasst werden, dass für diejenigen Steuern, die auf Kapitalerträge entfallen, die (Nr. 1) aus Staaten oder Territorien stammen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der europäischen Freihandelsassoziation sind, und (Nr. 2) nicht nach Verträgen im Sinne des § 2 Abs. 1 AO oder hierauf beruhen Vereinbarung automatisch mitgeteilt werden, die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf desjenigen Kalenderjahres beginnt, in dem diese Kapitalerträge der Finanzbehörde durch Erklärung des Steuerpflichtigen oder in sonstiger Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.[127]
Hierbei handelt es sich um eine Spezialregelung gegenüber den allgemeinen Regelungen zum Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 1 und Abs. 2 AO.[128] § 164 Abs. 4 S. 2 AO dient deren Umsetzung. Die Vorschriften sollen gewährleisten, dass für ausländische Kapitalerträge aus gesetzlich definierten nicht kooperativen Staaten im Besteuerungsverfahren die zutreffende Besteuerung durch späteren Beginn der steuerlichen Verjährungsfristen ermöglicht wird.[129] Angesichts der Schwierigkeiten der deutschen Finanzbehörden, für die hier beschriebenen Jurisdiktionen an steuerlich relevante Informationen zu gelangen, erscheint es grundsätzlich nachvollziehbar, die steuerliche Verjährung erst zu mit Ablauf desjenigen Jahres beginnen zu lassen, in dem der Fiskus Kenntnis von den unversteuerten Kapitalerträgen erhält. Allerdings wird von der Bundessteuerberaterkammer zutreffend darauf hingewiesen, dass nicht genau definiert wird, was Kapitalerträgen „aus“ diesen Staaten und Territorien sein sollen, das heißt ob es auf das Bankland, eine Mantelgesellschaft in einem Drittstaat oder den Sitz einer Dividenden ausschüttenden Kapitalgesellschaft ankommt.[130]
Die Regelung dürfte Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vielleicht noch gerecht werden, da jedenfalls spätestens zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, die Festsetzungsfrist beginnt. Somit ist für Fälle der Steuerhinterziehung (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO) eine regelmäßige Obergrenze für den Ablauf der Festsetzungsverjährung von 20 Jahren nach Ablauf des Steuerjahres, aus dem die Kapitalerträge stammen, gegeben, statt bisher – mangels Anlaufhemmung – von 10 Jahren. Praktisch dürften jedoch Steuerfestsetzungen nach 20 Jahren im Hinblick auf Dokumentationsschwierigkeiten für Kapitalerträge aus den hier (wahrscheinlich) betroffenen Staaten vielfach nicht umzusetzen sein. Zudem würde die Regelung erneut zum Auseinanderfallen von steuerlicher und strafrechtlicher Verjährung beitragen.[131]
X. Fazit und Ausblick
Der Vorschlag für eine 2. Reform der strafbefreienden Selbstanzeige („Selbstanzeige 3.0“), so wie er im Entwurf des BMF vom 27. August 2014 und dem der Bundesregierung vom 24. September 2014 präsentiert wird, weist gegenüber dem Gesetzesstand des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes 2011 („Selbstanzeige 2.0“) einige markante Verbesserungen auf. Diese wären aber überwiegend nicht erforderlich geworden, wenn der Gesetzgeber viele Aspekte der Selbstanzeige 2011 nicht sinnwidrig und unklar gestaltet hätte. Während es der Referentenentwurf des BMF zunächst überwiegend mit ansatzweisen Teilkorrekturen bewenden lies, stellt sich der Regierungsentwurf insbesondere im Bereich der Sperrgründe aufgrund einer expliziten Beschränkung der zeitlichen und sachlichen Sperrwirkung eines Teils der Sperrgründe und der Zulassung einer korrespondierenden Teilselbstanzeige als weiterführend dar.
Dennoch enthält nicht nur der Referentenentwurf, sondern leider auch noch der Regierungsentwurf überwiegend Erschwernisse für die Erzielung der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige – besonders in Gestalt einer Überdehnung des personellen Anwendungsbereichs der Sperrgründe – sowie Verschärfungen bzgl. der geldauflagenähnlichen Zahlung gem. § 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E, die erheblichen rechtspolitischen und teilweise auch verfassungsrechtlichen Einwänden ausgesetzt sind und die innere Systematik der §§ 370, 371 AO wie auch deren Verhältnis zum allgemeinen Strafrecht weiter aus dem Gleichgewicht bringen.
Uneingeschränkt zu begrüßen ist die Abschaffung der Teilselbstanzeige für Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen, die auch in ihrer konkreten Formulierung in beiden Entwurfsfassungen gelungen erscheint (§ 371 Abs. 2a AO-E).
Wenig einzuwenden ist gegen die ausdrückliche Einbeziehung der steuerlichen Nachschauen in den Kreis der Sperrgründe (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 d AO-E, Referentenentwurf; § 371 Abs. 2 Nr. 1 e AO-E, Regierungsentwurf).
Mit praktischen Problemen behaftet und – gemessen am StGB – systemwidrig war die im Referentenentwurf noch vorgesehene Verlängerung der Verjährungsfrist der einfachen Steuerhinterziehung auf zehn Jahre (§ 376 AO-E), auf die der Regierungsentwurf glücklicherweise verzichtet, nicht ohne allerdings durch die Korrekturvoraussetzung von mindestens zehn Kalenderjahren für Straftaten der betroffenen Steuerarten (§ 371 Abs. 1 S. 2 AO-E) für zusätzliche Unklarheiten und Schwierigkeiten – wenn auch nur für den Bereich der Selbstanzeige – zu sorgen.
Die drakonischen, nichtlinearen und ungleichmäßigen Erhöhungen der Zuzahlungen gemäß § 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E (des Referentenentwurfs wie des Regierungsentwurfs) unter weiterer Nutzung des „Freigrenzen-Modells“ dürften derart offensichtliche verfassungsrechtliche Probleme – insbesondere gemessen am Gleichbehandlungsgrundsatz – aufwerfen, dass zu hoffen ist, dass der Gesetzgeber im weiteren Verfahren insoweit die Kraft zumindest für eine Korrektur hin zu einem echten Progressionsmodell findet.
Weniger wahrscheinlich ist, dass der Gesetzgeber maßgeblich berücksichtigen wird, dass die Verschärfung der Zahlungspflichten insgesamt – unter Berücksichtigung der Einbeziehung der Hinterziehungszinsen (§ 235 AO) gemäß §§ 371 Abs. 3, 398a Abs. 1 Nr. 1 AO-E – viele Steuerhinterzieher wirtschaftlich überfordern wird. Auch verkennt der Gesetzgeber, dass die zunehmend differenzierte, unübersichtliche Gestaltung (und zeitweise Ausweitung) der Sperrgründe dem Steuerpflichtigen jenseits des Zumutbaren erschweren wird, zu erkennen, ob und inwieweit ihm eine strafbefreiende Selbstanzeige noch möglich ist.
Der Gesetzgeber dürfte – vielleicht ungewollt – demnächst aufgrund der Komplexität und der Intensität seiner sukzessiven Verschärfungen des Selbstanzeigerechts eine Situation herbeiführen, in der für die Beratungspraxis kaum mehr vorhersehbar sein wird, ob die Selbstanzeige noch vollständig, richtig und rechtzeitig abgegeben werden und strafbefreiende Wirkung noch erzielt werden kann. Aufgrund dessen wird ein Berater – bei nicht erkennbar drohender und unwahrscheinlich erscheinender Tatentdeckung – seltener uneingeschränkt zur Selbstanzeige raten können, um nicht Berufspflichten zu verletzen und um sich selbst nicht Haftungsrisiken auszusetzen. Der Berater muss angesichts der komplex geregelten Sperrgründe und der Unübersichtlichkeit des Selbstanzeigerechts insgesamt damit rechnen, dass er seinen Mandanten durch die Selbstanzeige unwissentlich einem ansonsten vermeidbaren Strafverfahren und einer Bestrafung aussetzt.
Diese Unübersichtlichkeit wird dazu führen, dass es zukünftig – mangels eindeutiger Empfehlung der steuer(-strafrecht-)lichen Berater – weniger Selbstanzeigen geben dürfte, gerade in Fällen, in denen nicht erkennbar eine Entdeckung droht. Dem Ziel, durch das Rechtsinstitut der Selbstanzeige neue Steuerquellen zu erschließen, wird der Gesetzgeber daher voraussichtlich auch mit Hilfe des gemäßigteren Regierungsentwurfs nicht näherkommen. Auch das Ziel der Förderung der Rückkehr des objektiv und subjektiv nicht entdeckungsbedrohten Steuerhinterziehers in die Steuerehrlichkeit dürfte aufgrund der oben genannten Gründe überwiegend – nimmt man den Anwendungsbereich des neuen § 371 Abs. 2a AO-E aus – verfehlt werden. Wünschenswert ist dies wohl weder aus der Perspektive der Finanzverwaltung noch aus derjenigen der ohnehin über eine zu starke Belastung klagenden Strafverfolgungsbehörden. Der Gesetzgeber scheint dennoch weiter auf dem Weg voranschreiten zu wollen, die strafbefreiende Selbstanzeige durch Verkomplizierung und unattraktive Gestaltung sukzessive abzuschaffen.
[1] Vgl. BMF-Pressemitteilung Nr. 13 v. 27. 03. 2014 und die Pressemitteilung des Deutschen Bundestages v. 02. 04. 2014, dazu Kemper, DStR 2014, 928 ff.; Wegner, SteuK 2014, 199 ff.
[3] AStBV 2013, BStBl. I 2012, 1018 ff., Nr. 132 Abs. 2: „Berichtigte oder verspätet abgegebene Umsatzsteuer-Voranmeldungen oder Lohnsteuer-Anmeldungen sind nur in begründeten Einzelfällen an die Bußgeld- und Strafsachenstellen (BuStra) weiterzuleiten. Kurzfristige Terminüberschreitungen und geringfügige Abweichungen sind unschädlich, es sei denn, es bestehen zusätzliche Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung. Liegen derartige Anhaltspunkte vor, kann die Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuer-Jahreserklärung als Selbstanzeige hinsichtlich unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben in den zuvor abgegebenen Umsatzsteuer-Voranmeldungen dieses Jahres gewertet werden. Für die Wirksamkeit der Selbstanzeige bedarf es dann keiner gesonderten Korrektur des einzelnen Voranmeldungszeitraums.“.
[5] Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 27.08.2014 („Referentenentwurf“), S. 1.
[7] Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24.09.2014, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Ab-gabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung („Regierungsentwurf“), S1 ff.
[9] Klein/Jäger, AO , 12. Aufl. (2014), § 371 Rn. 18; Graf/Jäger/Wittig/Rolletschke, Kommentar zum Wirtschaftsstrafrecht, § 371 AO Rn. 176.
[15] Soweit eine Selbstanzeige über einen Zehnjahreszeitraum abgegeben wird, muss – im zur Überprüfung von Vollständigkeit und Richtigkeit eingeleiteten Steuerstrafverfahren – auch dieser längere Zeitraum überprüft werden. Es ist unklar, ob dem BMF bewusst ist, dass dies ebenfalls zusätzlich Ermittlungsressourcen kosten wird, evtl. sogar überproportional, da oft die Dokumentationslage für ausländische Konten auch bei voller Kooperation nicht mehr so gut sein wird wie für die letzten 5 Jahre.
[17] Bundessteuerberaterkammer, Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Ab-gabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 10.09.2014 („BStBK-Stellungnahme“), S. 4.
[25]Wegner, SteuK 2014, 199 (201); tendenziell auch Kemper, DStR 2014, 928 (931) – „eingegriffen wird“.
[28] Vgl. BGH NJW 2004, 169, mit krit. Anm Lang u.a., NStZ 2004, 528 (zu hoch angesetzt); BGH wistra 2007, 111; Krüger, wistra 2005, 247.
[29] Stellungnahme des DAV durch die Ausschüsse Steuerrecht und Strafrecht zum Referentenentwurf des BMF betreffend den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der AO und des EGAO vom 27.08.2013 im September 2014 („DAV-Stellungnahme“), S. 9.
[46] F/G/J/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. (2009), § 371 Rn. 133, eingehend begründet in Rn. 129-133.
[47]Hunsmann, NZWiSt 2012, 102 ff., ders., BB 2011, 2519 ff.; Roth, NZWiSt 2012, 23 ff.; vgl. Madauß, NZWiSt 2014, 21 ff. m.w.N., ders., NZWiSt 2012, 456 ff.
[59] „Die Prüfungsanordnung hat die Rechtsgrundlagen der Außenprüfung, die zu prüfenden Steuerarten, Steuervergütungen, Prämien, Zulagen, gegebenenfalls zu prüfende bestimmte Sachverhalte sowie den Prüfungszeitraum zu enthalten.“
[60] Referentenentwurf S. 3, 10, Regierungsentwurf S. 4, 11; so angeblich schon jetzt laut Klein/Jäger, AO, 12. Aufl. (2014), § 371 Rn. 41.
[61] In der Lit. wird schon jetzt tw. angenommen, dass der Begriff des Täters hier Täter und Teilnehmer erfasst, so Klein/Jäger, AO, 12. Aufl. (2014), § 371 Rn. 41 m.w.N. (strittig).
[65] Zum geltenden Recht Klein/Jäger, AO, 12. Aufl. (2014), § 371 AO Rn. 50, allerdings im Hinblick auf § 371 Abs. 1 AO erweitert auf alle nicht verjährten Zeiträume derselben Steuerart (Rn. 17, 18, 38).
[68] BMF v. 3.2.2004, IV A 4 – S 1928 – 18/04, Tz. 9.2; Klein/Jäger, AO, 12. Aufl. (2014), § 371 AO Rn. 52, 57; Braun, PStR 2002, 199; Beyna/Roth, UStB 2010, 310; Madauß, NZWiSt 2013, 424 (426).
[75] BMF v. 3.2.2004, IV A 4 – S ( 1928 – 18/04, Tz. 9.2; Klein/Jäger, AO, 12. Aufl. (2014), § 371 Rn. 52, 57; Braun, PStR 2002, 199; Beyna/Roth, UStB 2010, 310.
[76] Klein/Jäger, AO, 12. Aufl. (2014), § 371 Rn. 52, 57; Braun, PStR 2002, 199; Beyna/Roth, UStB 2010, 310.
[82] Zuletzt BGH NJW 2012, 1015 = NStZ 2012, 331 = NZWiSt 2012, 154; grundlegend BGH NJW 2009, 528 = NStZ 2009, 271= wistra 2009, 107.
[85] Im Hinblick insbesondere auf die Grundtatbestände ausführlich: Gaede, Der Steuerbetrug, Habilitationsschrift BLS Hamburg, im Erscheinen.
[88] Vgl. Referentenentwurf S. 5, § 398a Abs. 2 AO-E: „ Die Bemessung des Hinterziehungsbetrags richtet sich nach den Grundsätzen des § 370 Absatz 4.“.
[94] Man könnte den Entwurf u.U. so verstehen, dass bei wiederholter Hinterziehung von Schenkungssteuer – etwa: 1975, 1985, 1995 und 2005 (Schenker stirbt 2007) – wenn ein Fall strafrechtlich unverjährt ist (etwa 2005 wg. § 376 AO aktueller Fassung) die Abführung der Hinterziehungszinsen für die Taten 1975, 1985, 1995 wegen fehlender steuerlicher Verjährung trotz strafrechtlicher Verjährung zur Erlangung der Strafbefreiung für die nicht verjährte Tat (2005) dieser Steuerart nötig ist, denn die Formulierung des Entwurfs ist nicht völlig klar.
[100] Laut Referentenentwurf S. 15 und Regierungsentwurf S. 16 ist es danach zulässig, Anschaffungskosten von verkauften Waren und Provisionsaufwendungen für den Verkäufer in Abzug zu bringen, wenn die Steuerhinterziehung des Verkäufers im Zusammenhang mit nicht verbuchten Geschäften (Schwarzgeschäften) besteht. Zudem ist bei der Hinterziehung von Betriebseinnahmen der Abzug von damit zusammenhängenden Betriebsausgaben für die Zwecke der Bestimmung der Hinterziehungshöhe im Sinne von § 398 a AO-E zulässig.
[102] Referentenentwurf S. 15 und Regierungsentwurf S. 16, hält ausdrücklich fest, dass bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer unterlassene Abzüge von Vorsteuerbeträge für § 398a AO-E nicht mindernd zu berücksichtigen sind, weil kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO bestehe. Zu Recht weist die DAV-Stellungnahme, S. 12, darauf hin, dass dies nur dann gilt, wenn keine Identität der ge- und verkauften Waren besteht, vgl. BGH NStZ 2004, 579.
[106] Referentenentwurf S. 14 f. denen die missverständliche Formulierung „Hinterziehung für 10 Jahre“ verwandt wird, obwohl im Hinblick auf den Tatbezug (§ 52 StGB) der §§ 371 Abs. 3, 398a AO gemeint sein dürfte, dass der genannten Betrag seit 10 Jahren jedes Jahr hinterzogen wurde, vgl. DAV-Stellungnahme S. 12. Anders u. zutreffend formuliertes Beispiel in der Begründung des Regierungsentwurfs, S. 15.
[109] Vergleiche Referentenentwurf S. 15 und Regierungsentwurf S. 15: Danach ist beispielsweise bei einem Verkürzungsbetrag von 40.000 € nach neuem Recht bei einem Prozentsatz von 10 % von einem Geldbetrag gemäß § 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E von 4000 € auszugehen. Weil der Schwellenwert nach neuem Recht bei 25.000 € liegt, impliziert diese Summe, dass der gesamte Betrag bei Überschreitung der Grenze relevant (Freigrenze). Dann ist dieser zur Ermittlung des Zahlbetrags mit dem gesetzlich vorgesehenen Prozentsatz zu multiplizieren, d.h. bei jeder Überschreitung eines Schwellenwerts unterliegt der gesamte Hinterziehungsbetrag dem höchsten anwendbaren Prozentsatz gemäß § 398 a Abs. 1 Nr. 2 AO-E. Dass es sich aus Sicht des Gesetzgebers so verhalten soll, ergibt sich insbesondere aus dem letzten Beispiel des Entwurfs mit einem Hinterziehungsbetrag von 1,2 Millionen €, wonach der Zuzahlungsbetrag bei einem Prozentsatz von 20 % bei 240.000 € liegen soll.
[120] Klein/Jäger, AO, 12. Aufl. (2014) § 398a Rn. 38; Rolletschke/Kemper/Rolletschke, AO § 398a Rn. 58; Heuel/Beyer, StBW 2011, 315.