Dr. Christian Brand

Insolvenzstrafrechtliche Literatur im Zeitraum Mai bis Oktober 2014

I. Aufsatzliteratur

1. Raik Brete: Haftung des Steuerberaters für Insolvenzverschleppungsschäden aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, ZWH 6/2014, 216-220

Verf. bespricht in seinem Beitrag eine Entscheidung des IX. Zivilsenats vom 6.2.2014 (Az. IX ZR 53/13, NZI 2014, 308) zur Steuerberaterhaftung. Nach der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung sind Gesellschafter und Geschäftsführer bspw. einer GmbH in den Schutzbereich des zwischen Gesellschaft und Steuerberater abgeschlossenen Vertrags einbezogen. Stellt der Steuerberater bei seiner (rein steuerberatenden) Tätigkeit die (drohende) Insolvenz oder eine handelsbilanzielle Unterdeckung der Gesellschaft fest, muss er dies dem Geschäftsführer bzw. den Gesellschaftern jedenfalls dann mitteilen, falls konkrete Erörterungen über die Insolvenzreife der Gesellschaft zwischen Steuerberater und Geschäftsführer/Gesellschafter stattfinden (BGH, NZI 2014, 308, 309). Gleichzeitig hat der Steuerberater dem Geschäftsführer oder Gesellschafter entweder das Angebot zu unterbreiten, ihn mit der Aufgabe zu betrauen, die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft umfassend zu begutachten oder aber – v.a. bei fehlender Sachkunde – einen geeigneten Dritten zu benennen, der diese Aufgabe wahrnehmen kann (BGH, NZI 2014, 308, 309). Hingegen muss der Steuerberater ungefragt nicht auf eine Unterdeckung in der Handelsbilanz hinweisen (BGH, NZI 2014, 308, 309; s. auch BGH, NZI 2013, 438 ff. m. zust. Anm. Meixner/U. Schröder, DStR 2013, 1151, 1152; Wolfer, GWR 2013, 203). Diese Rechtsprechungslinie zeichnet Verf. nach, verkennt dabei allerdings, dass der BGH eine Hinweispflicht des Steuerberaters nicht bei unverbindlichen Diskussionen über die wirtschaftliche Lage der GmbH statuiert, sondern in seiner Entscheidung davon ausging, der Geschäftsführer habe den Steuerberater nach dem Bestehen einer Überschuldung „seiner“ Gesellschaft ausdrücklich befragt (vgl. BGH, NZI 2014, 308, 309, Rdnr. 6). Zudem weist Verf. auf die bislang noch nicht thematisierte Frage der hypothetischen bzw. überholenden Kausalität hin. Ihm zufolge entfällt die haftungsbegründende Kausalität zwischen der Pflichtverletzung des Steuerberaters – i.e. der unterbliebene Hinweis auf die Notwendigkeit ihn oder einen sachverständigen Dritten mit der Aufgabe zu beauftragen, die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft umfassend zu analysieren, weil sich im Rahmen der Steuerberatungstätigkeit bspw. eine Unterdeckung gezeigt hat – und dem Insolvenzverschleppungsschaden, sofern der Geschäftsführer schon vor Eintritt der Hinweispflicht aufgrund von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag etwa gemäß § 15a Abs. 1 InsO hätte stellen müssen. Darüber hinaus empfiehlt Verf. jedem Steuerberater, der ein solches „Krisenmandat“ betreut, (1.) schriftlich zu dokumentieren, dass er seiner Hinweispflicht nachgekommen ist, (2.) sich diese Dokumentation vom Geschäftsführer oder Gesellschafter unterzeichnen zu lassen und – falls möglich – (3.) zu der Besprechung über die finanzielle Situation der Gesellschaft einen Zeugen hinzuzuziehen.

2. Thomas Wolf: Der Gesellschafterrangrücktritt bei Überschuldung (und Zahlungsunfähigkeit), ZWH 7/2014, 261-266

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welchen Zeitraum ein Rangrücktritt i.S.v. § 19 Abs. 2 S. 2 InsO umfassen muss, um seine überschuldungsrelevanten Wirkungen zu entfalten und das mit dem Rangrücktritt versehene Gesellschafterdarlehen aus der Passivierungspflicht zu entlassen. Während eine strenge Ansicht fordert, der Gesellschafter müsse den Rangrücktritt auch für das Stadium der Krise, also das Vorfeld der Insolvenz, erklären, genügt der Gegenansicht ein Rangrücktritt, der ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt. Verf. rät der Praxis dazu, den Rangrücktritt auch auf den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erstrecken.

3. Rolf E. Köllner/Vera Cyrus: Aktuelle Strafrechtliche Fragen in KriseInsolvenz – November 2013 bis Mai 2014, NZI 13/2014, 555-558

Zunächst referieren Verf. einen allerdings nicht in insolvenzstrafrechtlichem Kontext ergangenen Beschluss des BVerfG vom 13.3.2014 (NJW 2014, 1650). Darin rügt das BVerfG einen Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1, 2 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses. Ein Durchsuchungsbeschluss rechtfertige nach Ansicht des BVerfG einen Eingriff in Art. 13 Abs. 1, 2 GG nur, falls er auf konkreten Tatsachen beruhe. Vage Anhaltspunkte und Vermutungen genügten nicht. Insbesondere dürfe der Durchsuchungsbeschluss nicht dazu eingesetzt werden, die Tatsachen, die einen (Anfangs-)Verdacht stützen, erst in Erfahrung zu bringen. Verf. begrüßen die Entscheidung ausdrücklich und raten der Praxis dazu, Durchsuchungsmaßnahmen sowie die zugrunde liegenden Anordnungen „stets umgehend und sorgfältig auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen bzw. überprüfen [zu] lassen“. Darüber hinaus weisen Verf. auf einen Beschluss des BGH vom 4.2.2014 (NStZ-RR 2014, 152), der sich mit der Umgrenzungsfunktion der Anklage bei einer Verurteilung wegen Bankrotts beschäftigt sowie die Leitlinien der BaFin vom 29.11.2013 hin, die Kriterien für die Bemessung der Bußgeldhöhe bei Verstößen gegen das WpHG benennen. Abschließend erfolgen Hinweise auf das sog. Trennbankengesetz und die in seinem Gefolge neu eingeführten Straftatbestände der §§ 54a KWG, 142 VAG sowie auf den nordrhein-westfälischen Gesetzesentwurf zur Schaffung eines Unternehmensstrafrechts. Skeptisch betrachten Verf. die durch das vorgeschlagene Unternehmensstrafrecht eröffnete Möglichkeit, auch mittelständische, fremdgeführte Unternehmen für Fehlverhalten ihrer Fremdmanager zur Verantwortung zu ziehen. Hierdurch käme es zu einer unserer Rechtsordnung wesensfremden, einer Enteignung ähnlichen, unsinnigen Bestrafung von Gesellschaftern.

 

II. Kommentare/Handbücher

1. Karl Lackner/Kristian Kühl: Kommentar zum StGB, 28. Aufl. 2014, C. H. Beck Verlag, 59,00 €, ISBN 978-3-406-65227-1

Im Berichtszeitraum ist zudem die 28. Aufl. des „Lackner/Kühl“ erschienen. Die Vorschriften, die das Insolvenzstrafrecht im weiteren Sinne bilden, also §§ 283 ff., 266, 266a StGB kommentiert mit dieser Auflage erstmals Martin Heger.

a) Im Rahmen der Kommentierung des § 283 StGB schlägt Heger, trotz aller Bedenken, die man hieran (de lege ferenda) äußern kann, den Verbraucher de lege lata völlig zu Recht den tauglichen Tätern des Bankrotts hinzu. Überzeugend ist auch das Votum zugunsten einer Insolvenzrechtsakzessorietät, die jedoch strafrechtliche Besonderheiten wie bspw. den in-dubio-Grundsatz berücksichtigt. Die Kommentierung der Krisentrias bestehend aus Überschuldung, drohender und eingetretener Zahlungsunfähigkeit greift die neuen, auch insolvenzrechtlichen Entwicklungen auf, sagt aber leider nicht, ob der jetzt unbefristet geltende modifiziert zweistufige Überschuldungsbegriff auch für Altfälle gilt, die sich vor dem 18.10.2008 zutrugen. Widersprüchlich sind die Aussagen in Rdnr. 3 einer- und Rdnr. 25 andererseits. Während es nämlich in Rdnr. 3 heißt, die Schuldnereigenschaft sei besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB, wird in Rdnr. 25 das Gegenteil behauptet. Zustimmung verdient die Ansicht, wonach der Schuldner, der die Bilanzierungsfrist vor Eintritt der Krise hat verstreichen lassen, ohne seinen handelsbilanziellen Pflichten nachzukommen, diesbzgl. nur gemäß § 283b StGB haftet, wenn er nach Eintritt der Krise weiterhin untätig bleibt. Hervorgehoben zu werden verdient schließlich noch der Standpunkt, wonach § 283 Abs. 1 Nrn. 5, 7 StGB ausländische Buch-/Bilanzführungspflichten nicht erfasst, der director einer Limited, der diese Pflichten nicht erfüllt, also allenfalls gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB haftet. Die Kommentierung der Schuldnerbegünstigung (§ 283c StGB) liefert auf denkbar knappem Raum einen äußerst instruktiven Überblick über die zahlreichen mit dieser komplexen Vorschrift zusammenhängenden Probleme. Nur bei den Fallgestaltungen, die der Inkongruenzmodalität „nicht“ unterfallen, hätte man sich eine Auseinandersetzung mit der Ansicht gewünscht, die die Befriedigung anfechtbarer oder einredebehafteter Forderungen nicht hierunter fasst (so Bittmann, in: Bittmann [Hrsg.], Handbuch des Insolvenzstrafrechts, 2004, § 14 Rdnr. 35).

b) Mit Blick auf den insolvenzstrafrechtlichen Zuschnitt dieser Übersicht verdienen folgende Punkte aus der Kommentierung des § 266 StGB besondere Erwähnung: Wie schon die Kommentierung der Vorauflage verficht auch die – insoweit ebenfalls von Heger betreute – Kommentierung der Neuauflage den Standpunkt, wonach rechtsfähige Personengesellschaften und Vor-Verbände juristischer Personen mangels rechtlicher Verselbstständigung keine tauglichen Geschädigten einer Untreue sein können. Überzeugend vertritt Heger die Ansicht, dass das Einverständnis auch sämtlicher Gesellschafter den Geschäftsführer einer GmbH sub specie § 266 StGB dann nicht entlastet, wenn es gegen § 30 Abs. 1 GmbHG oder das Existenzgefährdungsverbot verstößt. Zudem findet sich ein Überblick zum Themenkomplex „Untreue in der Limited“. Heger zufolge erscheint eine Anwendung des § 266 StGB auf den director trotz gewichtiger verfassungsrechtlicher Bedenken möglich. Zu Recht weist er darauf hin, dass sich die Pflichtwidrigkeit des vom Organwalter an den Tag gelegten Verhaltens nach dem Recht des Herkunftsstaats bemisst. Schließlich sei noch der Abschnitt (unter Rdnr. 20b) erwähnt, den Heger der Untreue zum Nachteil einer Aktiengesellschaft widmet und der die zentralen, aktuell diskutierten Problemfelder (z.B. Einverständnis der Aktionäre, Aufsichtsratsuntreue, gravierende Pflichtverletzungen) anschaulich beschreibt.

c) Die Kommentierung des § 266a StGB enthält unter Rdnr. 10 umfangreiche Ausführungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung unmöglich ist. Insbesondere der Geschäftsführer einer GmbH, den der Arbeitgeberstatus via § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB trifft, sieht sich bei Insolvenzreife „seiner“ GmbH verschiedenen kollidierenden Pflichten ausgesetzt. Einerseits muss er, will er sich nicht gemäß § 266a Abs. 1 StGB strafbar machen, die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abführen, andererseits hat er sich wegen § 64 S. 1 GmbHG im Stadium der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der GmbH grds. jeglicher Verfügungen über das Gesellschaftsvermögen zu enthalten. Heger schließt sich hier der Ansicht an, wonach die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung wegen der Strafbewehrung durch § 266a Abs. 1 StGB Vorrang gegenüber der Tilgung anderer Verbindlichkeiten genießt, § 64 S. 1 GmbHG dem Geschäftsführer also nicht den Einwand eröffnet, ihm sei die Erfüllung der Pflicht rechtlich unmöglich gewesen. Lediglich während der von § 15a Abs. 1 S. 1 InsO gewährten dreiwöchigen Frist soll § 64 S. 1 GmbHG die Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung rechtfertigen. Leider sagt Heger nicht, wie sich die Entscheidung des II. Zivilsenats aus dem Jahr 2007, der zufolge Zahlungen gemäß § 64 S. 2 GmbHG gerechtfertigt sind, bei deren Unterbleiben der Geschäftsführer sich strafbar machen würde, auf diesen Sonderrechtfertigungsgrund auswirkt.

2. Klaus Volk (Hrsg.): Münchener Anwaltshandbuch, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2. Aufl. 2014, C. H. Beck Verlag, 199,€, ISBN 978-3-406-64369-9

Des Weiteren ist im Berichtszeitraum die zweite Auflage des „MAH“ erschienen. Die Insolvenzdelikte bearbeiten im Rahmen der zweiten Auflage wie schon in der Vorauflage Klaus Leipold (Einleitung und Allg. Teil) sowie Marcus Böttger (Besonderer Teil).

a) Die Einleitung zu § 19, unter dem das „MAH“ die Insolvenzdelikte behandelt, enthält neben Ausführungen etwa zur Insolvenzhäufigkeit und zur Gesetzgebungsgeschichte des Insolvenzstrafrechts einen instruktiven Abschnitt (Rn. 35 ff.), der sich mit dem insolvenzrechtlichen Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO beschäftigt. Nach Ansicht von Leipold statuiert § 97 Abs. 1 S. 3 InsO ein Verwertungsverbot mit Fernwirkung (Rn. 37), das nicht nur die Auskünfte des Schuldners, sondern auch die von ihm zur Verfügung gestellten schriftlichen Geschäftsunterlagen und Bilanzen etc. erfasst (Rn. 39). Als nicht mehr aktuell erweisen sich indes die Ausführungen zum Berufsverbot gem. §§ 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GmbHG, 76 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AktG (Rn. 42 ff.). Gemäß §§ 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3e GmbHG, 76 Abs. 3 S. 2 Nr. 3e AktG kommen als Anlasstaten für das Tätigkeitsverbot durchaus Betrug und Untreue in Betracht, sofern nur eine Verurteilung von mindestens einem Jahr stattgefunden hat.

b) Zu Recht votiert Leipold bei der Frage, wie die Krisenmerkmale der §§ 283 ff. StGB auszulegen sind, für einen insolvenzrechtsakzessorischen Ansatz (Rn. 46), der freilich strafrechtliche Besonderheiten wie den in-dubio-Grundsatz und das Bestimmtheitsgebot integriert. Allerdings geht die Integration des in-dubio-Grundsatzes zu weit, wenn Leipold Fortführungswerte schon dann annehmen will, falls das Weiterbestehen des Unternehmens nicht ganz unwahrscheinlich ist (Rn. 46). Denn ob einer Überschuldungsbilanz Fortführungs- oder Zerschlagungswerte zugrunde zu legen sind, ist eine Frage der Subsumtion und nicht der Tatsachenfeststellung. Der in-dubio-Grundsatz spielt hier also richtigerweise keine Rolle. Im Übrigen bedarf es ausgehend von dem heute geltenden Überschuldungsbegriff der Ermittlung von Fortführungswerten überhaupt nicht mehr. Entscheidend ist vielmehr allein die Fortführungsprognose. Fällt sie negativ aus, richtet sich die Überschuldungsbilanz nach Zerschlagungswerten, fällt sie positiv aus, liegt eine Überschuldung erst gar nicht vor. Bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen Gesellschafterdarlehen von der Passivierungspflicht befreit sind (Rn. 59), erwähnt Leipold leider nicht den § 19 Abs. 2 S. 2 InsO, der eine Ausnahme von der grds. bestehenden Passivierungspflicht nur erlaubt, falls der Gesellschafter einen Rangrücktritt erklärt hat.

c) Bevor sich Böttger in dem von ihm bearbeiteten Besonderen Teil der Insolvenzdelikte den einzelnen Bankrotthandlungen zuwendet (Rn. 119 ff.), behandelt er instruktiv die Debatte um die strafrechtsautonome bzw. insolvenzrechtsakzessorische Interpretation der Krisenbegriffe (Rn. 110 ff.). Dabei listet er zahlreiche Argumente auf, die einer strikten Insolvenzrechtsakzessorietät der strafrechtlichen Krisenbegriffe entgegenstehen. Auch wenn er es zum Schluss nicht deutlich ausspricht, legen seine Ausführungen doch nahe, dass Böttger ein insolvenzrechtsakzessorisches Verständnis, das die strafrechtlichen Besonderheiten beachtet, vorschwebt (Rn. 112). Darüber hinaus referiert Böttger die vom 3. Strafsenat angestoßene Aufgabe der Interessentheorie (Rn. 117), ohne aber zu der Frage Stellung zu nehmen, welches Modell er favorisiert, um die theoretische Lücke auszufüllen, die die verabschiedete Interessentheorie gerissen hat. Auch geben seine diesbzgl. Ausführungen nicht den letzten Stand der Rechtsprechungsentwicklung wieder. Der BGH hat mittlerweile seine Kehrtwende weg von der Interessentheorie hin zu einem organisationsbezogenen Zurechnungsmodell näher konkretisiert und entschieden, dass § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB die „Überwälzung“ der Gemeinschuldnerrolle auf den Geschäftsführer nur erlaubt, wenn dieser bei rechtsgeschäftlichen Schädigungshandlungen „seine“ Gesellschaft wirksam verpflichtet und bei faktischen Schädigungen mit dem Einverständnis der Gesellschafter agiert. Ob die Gesellschafter das Einverständnis gesellschaftsrechtlich wirksam erteilt haben müssen, dazu hat sich der BGH bislang jedoch noch nicht geäußert. – Zu Recht klassifiziert Böttger des Weiteren den Verbraucher als tauglichen Täter des Bankrotts (Rn. 184 f.) und stellt sich zudem überzeugend auf den Standpunkt, wonach der Kaufmann, der sein Privatvermögen nicht bilanziert, sub specie §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5, 7, 283b Abs. 1 Nrn. 1, 3 StGB straflos bleibt (Rn. 186). Besondere Hervorhebung verdienen schließlich die Ausführungen, die Böttger zur Firmenbestattung macht (Rn. 278 ff.). Umfassend referiert er die Rspr. des BGH sowie die Kritik an dieser Entscheidung. Überzeugend votiert er sodann zugunsten der Ansicht, die die Abberufung des Altgeschäftsführers für wirksam hält, folglich den Altgeschäftsführer von der Liste der tauglichen Täter des § 283 StGB streicht und deshalb eine Zurechnung der vom Neugeschäftsführer vorgenommenen Handlungen an den Altgeschäftsführer gem. § 25 Abs. 2 StGB bzw. vice versa grds. verneint.

d) Im Anschluss an den äußerst lesenswerten und informativen Abschnitt über die Bankrotthandlungen des § 283 Abs. 1 Nrn. 1-8 StGB (Rn. 119-165), wendet sich Böttger der Gläubiger-/Schuldnerbegünstigung sowie der Insolvenzverschleppung und sonstigen Straftaten im Zusammenhang mit der Insolvenz zu. Dabei verdienen folgende Aspekte besonders hervorgehoben zu werden: (1.) Wer sich mit dem schwierigen Delikt der Gläubigerbegünstigung beschäftigen muss, findet bei Böttger nicht nur fundierte Erläuterungen zu diesem komplexen Tatbestand (Rn. 169 ff.), sondern zusätzlich noch ein hilfreiche Tabelle (Rn. 173), in der Böttger die gem. § 283c StGB strafbaren den gem. § 283c StGB straflosen Fallgestaltungen gegenüberstellt. (2.) Gleich zu Beginn seiner Ausführungen, die sich mit der gem. § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbaren Insolvenzverschleppung befassen (Rn. 187 ff.), behandelt Böttger ausführlich die Frage, ob die strafbewehrte Pflicht, bei Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit unverzüglich Insolvenzantrag zu stellen, auch die Geschäftsleitungsorgane „haftungsbeschränkter“ EU-Auslandsgesellschaften trifft (Rn. 190 ff.; dafür bspw. Müller-Gugenberger, in: Festschr. f. Tiedemann, 2008, S. 1003, 1018). Auch auf die momentan viel diskutierte Frage, wann ein Insolvenzantrag „nicht richtig“ i.S.v. § 15a Abs. 4 InsO gestellt ist, gibt Böttger eine Antwort. Ihm zufolge ist eine restriktive Auslegung geboten und erfasst die Modalität des „nicht richtigen“ Antrags jedenfalls Anträge, die der Schuldner nicht schriftlich stellt (Rn. 199) sowie Anträge, die einen Eröffnungsgrund bloß behaupten, aber nicht substantiieren (Rn. 200). Als einen Verstoß gegen das Analogieverbot und das Bestimmtheitsgebot wertet Böttger die Praxis, auch den faktischen Geschäftsführer als tauglichen Täter der Insolvenzverschleppung zu klassifizieren (Rn. 202). Stellt ein Gläubiger den erforderlichen Insolvenzantrag entfällt nach Böttger entgegen der höchstrichterlichen Rspr. (s. etwa BGHSt 14, 280, 281; zust. Pfeiffer, in: Festschr. f. Rowedder, 1994, 347, 363; Bisson, GmbHR 2005, 843, 847) grds. die Pflicht des Schuldnerorgans seinerseits Insolvenzantrag zu stellen. Zur Begründung verweist er auf die Gleichwertigkeit der Anträge sowie das von § 13 Abs. 2 InsO dem Schuldner eingeräumte Recht, den Insolvenzantrag wieder zurückzunehmen. Nur wenn der Gläubiger seinen Antrag wieder zurücknimmt, soll nach Böttger die Antragspflicht des Schuldnerorgans wieder aufleben (Rn. 209). (3.) Die Darstellung des § 266a StGB zeichnet u.a. die Kontoverse nach, wie sich das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG zu der Abführungspflicht des § 266a Abs. 1 StGB verhält (Rn. 246 ff.). Leider bleibt jedoch offen, was mit dem vom 5. Strafsenat kreierten und auf § 64 S. 1 GmbHG gestützten Sonderrechtfertigungsgrund während des Dreiwochenzeitraums des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO passiert, nachdem der II. Zivilsenat entschieden hat, dass die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung immer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters (§ 64 S. 2 GmbHG) vereinbar ist. (4.) Einen jeweils eigenen Abschnitt widmet Böttger den insolvenzstrafrechtlichen Risiken sowohl des cash-pooling (Rn. 284 ff.) als auch der Rückzahlung von Gesellschafterleistungen (Rn. 292 ff.). Ihm zufolge macht sich der GmbH-Geschäftsführer, der einem Gesellschafter im Stadium der Zahlungsunfähigkeit ein vorher gewährtes Darlehen zurückbezahlt, „lediglich“ gem. § 283c StGB strafbar, weil der darleihende Gesellschafter trotz des von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO angeordneten Nachrangs zum Kreis der Gesellschaftsgläubiger rechne (Rn. 294). (5.) Hinzuweisen ist schließlich noch auf die instruktiven und weiterführenden Ausführungen zum Insolvenzgeheimnis (Rn. 337 ff.), zu den Sanktionen und Konsequenzen von Insolvenzstraftaten (Rn. 347 ff.) sowie zu den strafrechtlichen Risiken des Beraters (Rn. 358 ff.).

e) Das abschließende Votum fällt, jedenfalls aus insolvenzstrafrechtlicher Sicht, eindeutig und vorbehaltlos aus: Trotz kleinerer Kritikpunkte, die der Rezensent vermerkt hat, ist das Werk jedem, der sich mit dem Insolvenzstrafrecht beschäftigt, unbedingt zu empfehlen!

3. Gerd Eidam (Hrsg.): Unternehmen und Strafe, 4. Aufl. 2014, Carl Heymanns Verlag, 138,€, ISBN 978-3-452-27718-3

Ebenfalls im Berichtszeitraum ist das nunmehr in vierter Auflage von Gerd Eidam herausgegebene Werk „Unternehmen und Strafe“ erschienen. Die unter insolvenzstrafrechtlichen Aspekten besonders interessanten Teile des Werks finden sich im insoweit von Raimund Weyand bearbeiteten Kapitel 7. Es sind dies die Ausführungen zu § 266a StGB, zur strafbaren Insolvenzverschleppung sowie zum GmbH-Strafrecht. Dem Zweck des Anliegens folgend, einen Überblick über die insolvenzstrafrechtlich-relevanten Neuerscheinungen zu geben, wird sich die Besprechung auf diese Abschnitte beschränken.

a) Im Rahmen seiner Kommentierung des § 266a StGB (Kap. 7 Rn. 520 ff.) geht Weyand auch auf die insolvenzstrafrechtlich spannende Frage ein, wie sich das GmbH-rechtliche Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG und die Zahlungspflicht des § 266a Abs. 1 StGB zueinander verhalten (Kap. 7 Rn. 529). Allerdings nimmt er leider keine Stellung zu der Kontroverse, was von dem auf § 64 S. 1 GmbHG gestützten und für die Dauer der Dreiwochenfrist des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO gewährten Sonderrechtfertigungsgrund bleibt, nachdem der II. Zivilsenat entschieden hat, dass die Abführung der Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherungsträger jedenfalls dann gem. § 64 S. 2 GmbHG gestattet sind und nicht gegen § 64 S. 1 GmbHG verstoßen, wenn dem Geschäftsleiter andernfalls Strafbarkeit drohte.

b) Zu Beginn seiner Ausführungen, die sich mit der Insolvenzverschleppung befassen, stellt Weyand zu Recht fest, dass zwar die Geschäftsleitungsorgane einer EU-Auslandsgesellschaft zu den Adressaten der gem. § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbewehrten Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO rechnen, nicht aber wegen § 42 Abs. 2 BGB die Vorstandsmitglieder des eV (Kap. 7 Rn. 915 ff.). Ganz im Einklang mit der höchstrichterlichen Rspr. und anders als Böttger im oben besprochenen „Münchener Anwaltshandbuch“ (s. unter 2d) lässt nach Weyand der Insolvenzantrag eines Gläubigers die Antragspflicht des Schuldnerorgans grds. unberührt. Nur falls das Insolvenzgericht auf den Gläubigerantrag hin das Insolvenzverfahren tatsächlich eröffnet, entfällt auch die Antragspflicht des Schuldnerorgans (Kap. 7 Rn. 918). Einen „nicht richtigen“ Insolvenzantrag i.S.v. § 15a Abs. 4 InsO nimmt Weyand an, wenn der Schuldner entweder nicht die Schriftform des § 13 Abs. 1 InsO beachtet oder aber die gesetzlich verbindlichen Unterlagen nicht beigefügt hat (Kap. 7 Rn. 924, 926).

c) Im Rahmen seiner GmbH-strafrechtlichen Ausführungen weist Weyand schließlich völlig zu Recht darauf hin, dass Inhaber des Gesellschaftsvermögens auch in Konstellationen der Einmann-GmbH allein die GmbH ist, weshalb auch solche Schädigungen zulasten des Gesellschaftsvermögens treuwidrig i.S.d. § 266 Abs. 1 StGB sind, die sämtliche Gesellschafter unter Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG bzw. das Existenzvernichtungsverbot konsentiert haben.

4. Karsten Schmidt (Hrsg.): Insolvenzordnung, 18. Aufl. 2014, C. H. Beck Verlag, 199,€, ISBN 978-3-406-55622-7

Wer sich mit dem Insolvenzstrafrecht beschäftigt, kommt ohne fundierte insolvenzrechtliche Kenntnisse nicht weit. Daneben enthält die Insolvenzordnung seit der MoMiG-Reform den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4, 5 InsO), was schon für sich Rechtfertigung genug ist, einen rein insolvenzrechtlichen Kommentar im Rahmen dieser Übersicht zum Insolvenzstrafrecht vorzustellen.

a) Die Vorschrift des § 15a InsO kommentieren Karsten Schmidt und Axel Herchen. Aus der umfangreichen Kommentierung dieser wichtigen Vorschrift seinen folgende, für den (Insolvenz-)Strafrechtler besonders interessante Punkte hervorgehoben:

aa) Im Rahmen ihrer Ausführungen zur Führungslosigkeit (vgl. § 15a Abs. 3 InsO) vertreten Verf. die Ansicht, § 15a Abs. 3 InsO müsse für die Mitglieder eines kraft Gesetzes erforderlichen GmbH-Aufsichtsrates entsprechend gelten, da nur diese Mitglieder in der Lage seien, den Zustand der Führungslosigkeit zu beseitigen, indem sie einen neuen Geschäftsführer bestellen (Rn. 22). So sehr diese Überlegungen insolvenz- und gesellschaftsrechtlich überzeugen, so sehr wecken sie sub specie strafbarer Insolvenzverschleppung unter dem Gesichtspunkt des Analogieverbotes Zweifel. Denn der Wortlaut des § 15a Abs. 3 InsO nennt die Mitglieder des GmbH-Aufsichtsrates nicht als Adressaten der Insolvenzantragspflicht bei Führungslosigkeit. Das heißt, will man § 15a Abs. 3 InsO auf die Mitglieder des obligatorischen GmbH-Aufsichtsrates analog anwenden, geht es zwar an, ihnen einen Verstoß gegen die Antragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO haftungsrechtlich vorzuwerfen, strafrechtliche Konsequenzen lassen sich hieran jedoch wegen der unüberwindbaren Wortlautgrenze nicht knüpfen.

bb) Zu Recht nehmen Verf. Führungslosigkeit i.S.v. § 15a Abs. 3 InsO nicht schon an, wenn der organschaftliche Vertreter lediglich vorübergehend unerreichbar ist. Von Führungslosigkeit könne vielmehr erst die Rede sein, falls der Organwalter entweder (konkludent) sein Amt niedergelegt habe oder aber endgültig abgetaucht sei (Rn. 19). Entgegen einer im Schrifttum gelegentlich geäußerten und auch vom Rezensenten geteilten Ansicht soll das Vorhandensein eines faktischen Organs die Führungslosigkeit nicht beseitigen (Rn. 17, 19).

cc) Im Einklang mit der Rspr. des BGH verfechten Verf. den Standpunkt, wonach ein Gläubigerantrag den Verschleppungstatbestand nicht beendet (s. etwa BGHSt 14, 280, 281), vielmehr § 15a InsO die Verantwortlichen dazu verpflichte, sich dem begründeten Gläubigerantrag anzuschließen. Erst die auf den Gläubigerantrag hin erfolgende Verfahrenseröffnung bzw. die Abweisung des Antrags mangels Masse ließen die Verschleppung enden (Rn. 28).

dd) Zu Recht schließen sich Verf. schließlich der Ansicht an, die den Tatbestand des § 15a Abs. 4, 5 InsO jedenfalls soweit er auf § 15a Abs. 1-3 InsO verweist, strikt insolvenzrechtsakzessorisch verstehen (Rn. 64). Die Tathandlungsmodalitäten, die § 15a Abs. 4 InsO benennt, (dis-)qualifizieren Verf. als misslungen und fordern, die besonders problematische Begehungsform des „nicht richtigen“ Antrags auf Anträge zu beschränken, die zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens schlechterdings ungeeignet sind (Rn. 66).

b) Sowohl § 15a Abs. 4, 5 InsO als auch die §§ 283 ff. StGB nehmen Bezug auf die Krisentatbestände Überschuldung und (drohende) Zahlungsunfähigkeit. Seitdem der Gesetzgeber der InsO diese Krisentatbestände in den §§ 17 ff. InsO legaldefiniert hat, kreist eine insolvenzstrafrechtliche Debatte um die Frage, ob und wenn ja wie stark sich die Interpretation der strafrechtlichen Krisenmerkmale an den §§ 17 ff. InsO orientieren soll. Die überwiegende Ansicht, der sich mittlerweile auch der BGH angeschlossen hat, plädiert für eine funktionelle Akzessorietät, die den Inhalt der §§ 17 ff. InsO zum Ausgangspunkt der Interpretation nimmt, dabei aber strafrechtliche Besonderheiten wie den in-dubio-Grundsatz und das Bestimmtheitsgebot berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Kenntnis des insolvenzrechtlichen Verständnisses von den Begriffen „(drohende) Zahlungsunfähigkeit“ und „Überschuldung“ auch für das Insolvenzstrafrecht enorme Bedeutung (s. auch § 17 Rn. 3).

Aus der von Karsten Schmidt verfassten Kommentierung der §§ 17-19 InsO sind folgende, für das Insolvenzstrafrecht besonders bedeutsame Aspekte herauszugreifen:

aa) Bekanntlich verzichtet die Legaldefinition der Zahlungsunfähigkeit auf die Elemente der Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit. Der Gesetzgeber der InsO bezweckte mit diesem Verzicht, der großzügigen Annahme von bloßer Zahlungsstockung zugunsten eines früheren Eintritts von Zahlungsunfähigkeit einen Riegel vorzuschieben. Gleichwohl bringen die Materialien den Wunsch zum Ausdruck, nicht jede geringfügige Zahlungsstockung zur Zahlungsunfähigkeit „hochzuzonen“. Um diesen beiden Anliegen gerecht zu werden, hat der IX. Zivilsenat des BGH die Formel aufgestellt, wonach grds. zahlungsunfähig sei, wer 10 % seiner fälligen Verbindlichkeiten über einen Zeitraum von drei Wochen nicht bedienen könne. Dieser „doppelten Relevanzprüfung“ (§ 17 Rn. 24) widerspricht Karsten Schmidt und schlägt stattdessen vor, Zahlungsunfähigkeit immer bereits dann anzunehmen, wenn entweder die Deckungslücke 5 % oder mehr beträgt oder aber der Schuldner einen (auch nur geringfügigen) Teil der fälligen Verbindlichkeiten demnächst (innerhalb eines Zeitraums von zehn Tagen) nicht begleichen kann (§ 17 Rn. 30). Ob diese Auffassung sich (insolvenz-)strafrechtlich durchsetzen kann, erscheint jedoch äußerst zweifelhaft, führt sie doch zu einer noch weiteren Vorverlagerung des Zahlungsunfähigkeitsbeginns als der vom IX. Zivilsenat verfochtene Ansatz.

bb) Völlig zu Recht hebt Karsten Schmidt hervor, dass die Vermutung des § 17 Abs. 2 S. 2    InsO, wonach bei Zahlungseinstellung auch Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 Abs. 1 InsO besteht, im Strafprozess keine Geltung beansprucht, sondern die Zahlungseinstellung lediglich als Indiz bei der Ermittlung der die Zahlungsunfähigkeit begründenden Tatsachen wirkt (§ 17 Rn. 40).

cc) Eingangs seiner Kommentierung des § 18 InsO weist Karsten Schmidt auf die begriffliche Identität zu den §§ 283, 283d StGB, die den Krisentatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit schon kannten als § 18 InsO noch gar nicht existierte sowie darauf hin, dass § 18 InsO autonom und keinesfalls strafrechtsakzessorisch auszulegen ist (§ 18 Rn. 2). Das überzeugt schon deshalb, weil auch der Gesetzgeber der InsO mit der Schaffung des § 18 Abs. 2 InsO die Hoffnung verband, das insolvenzstrafrechtliche Krisenmerkmal der drohenden Zahlungsunfähigkeit besser zu konturieren – eine Hoffnung übrigens, die sich kaum erfüllt hat.

dd)Karsten Schmidt schließt sich der h.M. an, wonach Zahlungsunfähigkeit droht, sobald eine Wahrscheinlichkeit von über 50 % ergibt, dass der Schuldner nicht fähig sein wird, die im Prognosezeitpunkt bestehenden Verbindlichkeiten bei Eintritt der Fälligkeit zu begleichen (§ 18 Rn. 21). Allerdings soll Bezugspunkt dieser Wahrscheinlichkeitsoperation nicht der vom BGH unter Zustimmung der überwiegenden Kommentarliteratur herausgearbeitete Zahlungsunfähigkeitsbegriff sein. Um Praxistauglichkeit bemüht, schlägt Karsten Schmidt vielmehr vor, drohende Zahlungsunfähigkeit anzunehmen, wenn der Schuldner bei Fälligkeit einzelne der im Prognosezeitpunkt bestehende Forderungen nicht bedienen kann (§ 18 Rn. 23). Für das Insolvenzstrafrecht würde dadurch eine weitere Vorverlagerung der Strafbarkeitsschwelle bewirkt.

ee) Weil die Vor-Gesellschaft durch Eintragung jederzeit zum „haftungsbeschränkten Verband“ mutieren kann, erstreckt Karsten Schmidt die Geltung des Überschuldungstatbestandes auch auf diese Gesellschaftsformen (§ 19 Rn. 9). Insolvenzstrafrechtlich gewinnt diese extensive Interpretation des § 19 InsO Bedeutung, wenn man mit einer Minderheitsmeinung den Anwendungsbereich der Überschuldung auch im Rahmen des § 283 StGB auf die Adressaten des § 19 InsO beschränkt (grdl. dazu Otto, in: Gedächtnisschr. f. Bruns, S. 265, 274 ff.; ders., Jura 1989, 24, 33).

ff) Hat der Strafrichter einen Fall unter den Vorzeichen des § 283 StGB zu beurteilen, der sich vor dem 18.10.2008 und damit zu einer Zeit zutrug, als noch der nicht modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff galt, die Fortführungsprognose bei positivem Ausgang also noch nicht die Kraft besaß, einem Zustand rechnerischer Überschuldung das Verdikt der rechtlichen Überschuldung zu nehmen, erhebt sich die str. diskutierte Frage, ob § 2 Abs. 3 StGB für diesen Zeitraum die Anwendung des aktuell geltenden, modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs gebietet. Zu Recht lehnt Karsten Schmidt die Ansicht ab, die sich unter Berufung auf den (vermeintlichen) Zeitgesetzcharakter des § 19 Abs. 2 InsO n.F. dafür aussprach, die Altfälle nach dem nicht modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff zu behandeln. Allerdings äußert Karsten Schmidt Zweifel, ob es sich bei § 19 Abs. 2 InsO n.F. wirklich um das mildere Gesetz handelt. Seiner Ansicht nach ist § 19 Abs. 2 InsO n.F. nicht Ausdruck laxerer Rechtspolitik, sondern das Resultat besserer Erkenntnisse (zum Ganzen § 19 Rn. 57). Das spricht aber nicht gegen die Annahme, § 19 Abs. 2 InsO n.F. normiere das mildere Gesetz i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB, geht es doch hier nur darum, das für den Täter günstigere Regelungsregime zur Anwendung zu bringen. Liegt aber der Fall einmal so, dass der Täter sub specie nicht modifiziert zweistufigem Überschuldungsbegriff im Zustand der Überschuldung eine Bankrotthandlung vorgenommen und sich deshalb nach § 283 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hätte, wohingegen die Handlung sub specie modifiziert zweistufigem Überschuldungsbegriff außerhalb der Krise begangen und damit gem. § 283 Abs. 1 StGB straflos wäre, erfordert § 2 Abs. 3 StGB die Heranziehung des modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs.

c) Will man ein aus insolvenzstrafrechtlicher Perspektive abschließendes Urteil fällen, so fällt dieses eindeutig aus: Jedem, der sich mit Insolvenzstrafrecht beschäftigt, sei angesichts der mannigfachen Interdependenzen, die zwischen Insolvenzrecht und Insolvenzstrafrecht bestehen, die Benutzung des von Karsten Schmidt herausgegebenen und mittlerweile in der 18. Aufl. vorliegenden Kommentars zur Insolvenzordnung nur empfohlen. Insbesondere die zahlreichen Bezüge zum Insolvenzstrafrecht, die der Kommentar herstellt, obschon er sich in erster Linie an den Insolvenzrechtler wendet, sind für den Insolvenzstrafrechtler von unschätzbarem Wert!

 

I. Aufsatzliteratur

1. Raik Brete: Haftung des Steuerberaters für Insolvenzverschleppungsschäden aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, ZWH 6/2014, 216-220

Verf. bespricht in seinem Beitrag eine Entscheidung des IX. Zivilsenats vom 6.2.2014 (Az. IX ZR 53/13, NZI 2014, 308) zur Steuerberaterhaftung. Nach der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung sind Gesellschafter und Geschäftsführer bspw. einer GmbH in den Schutzbereich des zwischen Gesellschaft und Steuerberater abgeschlossenen Vertrags einbezogen. Stellt der Steuerberater bei seiner (rein steuerberatenden) Tätigkeit die (drohende) Insolvenz oder eine handelsbilanzielle Unterdeckung der Gesellschaft fest, muss er dies dem Geschäftsführer bzw. den Gesellschaftern jedenfalls dann mitteilen, falls konkrete Erörterungen über die Insolvenzreife der Gesellschaft zwischen Steuerberater und Geschäftsführer/Gesellschafter stattfinden (BGH, NZI 2014, 308, 309). Gleichzeitig hat der Steuerberater dem Geschäftsführer oder Gesellschafter entweder das Angebot zu unterbreiten, ihn mit der Aufgabe zu betrauen, die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft umfassend zu begutachten oder aber – v.a. bei fehlender Sachkunde – einen geeigneten Dritten zu benennen, der diese Aufgabe wahrnehmen kann (BGH, NZI 2014, 308, 309). Hingegen muss der Steuerberater ungefragt nicht auf eine Unterdeckung in der Handelsbilanz hinweisen (BGH, NZI 2014, 308, 309; s. auch BGH, NZI 2013, 438 ff. m. zust. Anm. Meixner/U. Schröder, DStR 2013, 1151, 1152; Wolfer, GWR 2013, 203). Diese Rechtsprechungslinie zeichnet Verf. nach, verkennt dabei allerdings, dass der BGH eine Hinweispflicht des Steuerberaters nicht bei unverbindlichen Diskussionen über die wirtschaftliche Lage der GmbH statuiert, sondern in seiner Entscheidung davon ausging, der Geschäftsführer habe den Steuerberater nach dem Bestehen einer Überschuldung „seiner“ Gesellschaft ausdrücklich befragt (vgl. BGH, NZI 2014, 308, 309, Rdnr. 6). Zudem weist Verf. auf die bislang noch nicht thematisierte Frage der hypothetischen bzw. überholenden Kausalität hin. Ihm zufolge entfällt die haftungsbegründende Kausalität zwischen der Pflichtverletzung des Steuerberaters – i.e. der unterbliebene Hinweis auf die Notwendigkeit ihn oder einen sachverständigen Dritten mit der Aufgabe zu beauftragen, die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft umfassend zu analysieren, weil sich im Rahmen der Steuerberatungstätigkeit bspw. eine Unterdeckung gezeigt hat – und dem Insolvenzverschleppungsschaden, sofern der Geschäftsführer schon vor Eintritt der Hinweispflicht aufgrund von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag etwa gemäß § 15a Abs. 1 InsO hätte stellen müssen. Darüber hinaus empfiehlt Verf. jedem Steuerberater, der ein solches „Krisenmandat“ betreut, (1.) schriftlich zu dokumentieren, dass er seiner Hinweispflicht nachgekommen ist, (2.) sich diese Dokumentation vom Geschäftsführer oder Gesellschafter unterzeichnen zu lassen und – falls möglich – (3.) zu der Besprechung über die finanzielle Situation der Gesellschaft einen Zeugen hinzuzuziehen.

2. Thomas Wolf: Der Gesellschafterrangrücktritt bei Überschuldung (und Zahlungsunfähigkeit), ZWH 7/2014, 261-266

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welchen Zeitraum ein Rangrücktritt i.S.v. § 19 Abs. 2 S. 2 InsO umfassen muss, um seine überschuldungsrelevanten Wirkungen zu entfalten und das mit dem Rangrücktritt versehene Gesellschafterdarlehen aus der Passivierungspflicht zu entlassen. Während eine strenge Ansicht fordert, der Gesellschafter müsse den Rangrücktritt auch für das Stadium der Krise, also das Vorfeld der Insolvenz, erklären, genügt der Gegenansicht ein Rangrücktritt, der ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt. Verf. rät der Praxis dazu, den Rangrücktritt auch auf den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erstrecken.

3. Rolf E. Köllner/Vera Cyrus: Aktuelle Strafrechtliche Fragen in KriseInsolvenz – November 2013 bis Mai 2014, NZI 13/2014, 555-558

Zunächst referieren Verf. einen allerdings nicht in insolvenzstrafrechtlichem Kontext ergangenen Beschluss des BVerfG vom 13.3.2014 (NJW 2014, 1650). Darin rügt das BVerfG einen Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1, 2 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses. Ein Durchsuchungsbeschluss rechtfertige nach Ansicht des BVerfG einen Eingriff in Art. 13 Abs. 1, 2 GG nur, falls er auf konkreten Tatsachen beruhe. Vage Anhaltspunkte und Vermutungen genügten nicht. Insbesondere dürfe der Durchsuchungsbeschluss nicht dazu eingesetzt werden, die Tatsachen, die einen (Anfangs-)Verdacht stützen, erst in Erfahrung zu bringen. Verf. begrüßen die Entscheidung ausdrücklich und raten der Praxis dazu, Durchsuchungsmaßnahmen sowie die zugrunde liegenden Anordnungen „stets umgehend und sorgfältig auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen bzw. überprüfen [zu] lassen“. Darüber hinaus weisen Verf. auf einen Beschluss des BGH vom 4.2.2014 (NStZ-RR 2014, 152), der sich mit der Umgrenzungsfunktion der Anklage bei einer Verurteilung wegen Bankrotts beschäftigt sowie die Leitlinien der BaFin vom 29.11.2013 hin, die Kriterien für die Bemessung der Bußgeldhöhe bei Verstößen gegen das WpHG benennen. Abschließend erfolgen Hinweise auf das sog. Trennbankengesetz und die in seinem Gefolge neu eingeführten Straftatbestände der §§ 54a KWG, 142 VAG sowie auf den nordrhein-westfälischen Gesetzesentwurf zur Schaffung eines Unternehmensstrafrechts. Skeptisch betrachten Verf. die durch das vorgeschlagene Unternehmensstrafrecht eröffnete Möglichkeit, auch mittelständische, fremdgeführte Unternehmen für Fehlverhalten ihrer Fremdmanager zur Verantwortung zu ziehen. Hierdurch käme es zu einer unserer Rechtsordnung wesensfremden, einer Enteignung ähnlichen, unsinnigen Bestrafung von Gesellschaftern.

 

II. Kommentare/Handbücher

1. Karl Lackner/Kristian Kühl: Kommentar zum StGB, 28. Aufl. 2014, C. H. Beck Verlag, 59,00 €, ISBN 978-3-406-65227-1

Im Berichtszeitraum ist zudem die 28. Aufl. des „Lackner/Kühl“ erschienen. Die Vorschriften, die das Insolvenzstrafrecht im weiteren Sinne bilden, also §§ 283 ff., 266, 266a StGB kommentiert mit dieser Auflage erstmals Martin Heger.

a) Im Rahmen der Kommentierung des § 283 StGB schlägt Heger, trotz aller Bedenken, die man hieran (de lege ferenda) äußern kann, den Verbraucher de lege lata völlig zu Recht den tauglichen Tätern des Bankrotts hinzu. Überzeugend ist auch das Votum zugunsten einer Insolvenzrechtsakzessorietät, die jedoch strafrechtliche Besonderheiten wie bspw. den in-dubio-Grundsatz berücksichtigt. Die Kommentierung der Krisentrias bestehend aus Überschuldung, drohender und eingetretener Zahlungsunfähigkeit greift die neuen, auch insolvenzrechtlichen Entwicklungen auf, sagt aber leider nicht, ob der jetzt unbefristet geltende modifiziert zweistufige Überschuldungsbegriff auch für Altfälle gilt, die sich vor dem 18.10.2008 zutrugen. Widersprüchlich sind die Aussagen in Rdnr. 3 einer- und Rdnr. 25 andererseits. Während es nämlich in Rdnr. 3 heißt, die Schuldnereigenschaft sei besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB, wird in Rdnr. 25 das Gegenteil behauptet. Zustimmung verdient die Ansicht, wonach der Schuldner, der die Bilanzierungsfrist vor Eintritt der Krise hat verstreichen lassen, ohne seinen handelsbilanziellen Pflichten nachzukommen, diesbzgl. nur gemäß § 283b StGB haftet, wenn er nach Eintritt der Krise weiterhin untätig bleibt. Hervorgehoben zu werden verdient schließlich noch der Standpunkt, wonach § 283 Abs. 1 Nrn. 5, 7 StGB ausländische Buch-/Bilanzführungspflichten nicht erfasst, der director einer Limited, der diese Pflichten nicht erfüllt, also allenfalls gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB haftet. Die Kommentierung der Schuldnerbegünstigung (§ 283c StGB) liefert auf denkbar knappem Raum einen äußerst instruktiven Überblick über die zahlreichen mit dieser komplexen Vorschrift zusammenhängenden Probleme. Nur bei den Fallgestaltungen, die der Inkongruenzmodalität „nicht“ unterfallen, hätte man sich eine Auseinandersetzung mit der Ansicht gewünscht, die die Befriedigung anfechtbarer oder einredebehafteter Forderungen nicht hierunter fasst (so Bittmann, in: Bittmann [Hrsg.], Handbuch des Insolvenzstrafrechts, 2004, § 14 Rdnr. 35).

b) Mit Blick auf den insolvenzstrafrechtlichen Zuschnitt dieser Übersicht verdienen folgende Punkte aus der Kommentierung des § 266 StGB besondere Erwähnung: Wie schon die Kommentierung der Vorauflage verficht auch die – insoweit ebenfalls von Heger betreute – Kommentierung der Neuauflage den Standpunkt, wonach rechtsfähige Personengesellschaften und Vor-Verbände juristischer Personen mangels rechtlicher Verselbstständigung keine tauglichen Geschädigten einer Untreue sein können. Überzeugend vertritt Heger die Ansicht, dass das Einverständnis auch sämtlicher Gesellschafter den Geschäftsführer einer GmbH sub specie § 266 StGB dann nicht entlastet, wenn es gegen § 30 Abs. 1 GmbHG oder das Existenzgefährdungsverbot verstößt. Zudem findet sich ein Überblick zum Themenkomplex „Untreue in der Limited“. Heger zufolge erscheint eine Anwendung des § 266 StGB auf den director trotz gewichtiger verfassungsrechtlicher Bedenken möglich. Zu Recht weist er darauf hin, dass sich die Pflichtwidrigkeit des vom Organwalter an den Tag gelegten Verhaltens nach dem Recht des Herkunftsstaats bemisst. Schließlich sei noch der Abschnitt (unter Rdnr. 20b) erwähnt, den Heger der Untreue zum Nachteil einer Aktiengesellschaft widmet und der die zentralen, aktuell diskutierten Problemfelder (z.B. Einverständnis der Aktionäre, Aufsichtsratsuntreue, gravierende Pflichtverletzungen) anschaulich beschreibt.

c) Die Kommentierung des § 266a StGB enthält unter Rdnr. 10 umfangreiche Ausführungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung unmöglich ist. Insbesondere der Geschäftsführer einer GmbH, den der Arbeitgeberstatus via § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB trifft, sieht sich bei Insolvenzreife „seiner“ GmbH verschiedenen kollidierenden Pflichten ausgesetzt. Einerseits muss er, will er sich nicht gemäß § 266a Abs. 1 StGB strafbar machen, die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abführen, andererseits hat er sich wegen § 64 S. 1 GmbHG im Stadium der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der GmbH grds. jeglicher Verfügungen über das Gesellschaftsvermögen zu enthalten. Heger schließt sich hier der Ansicht an, wonach die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung wegen der Strafbewehrung durch § 266a Abs. 1 StGB Vorrang gegenüber der Tilgung anderer Verbindlichkeiten genießt, § 64 S. 1 GmbHG dem Geschäftsführer also nicht den Einwand eröffnet, ihm sei die Erfüllung der Pflicht rechtlich unmöglich gewesen. Lediglich während der von § 15a Abs. 1 S. 1 InsO gewährten dreiwöchigen Frist soll § 64 S. 1 GmbHG die Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung rechtfertigen. Leider sagt Heger nicht, wie sich die Entscheidung des II. Zivilsenats aus dem Jahr 2007, der zufolge Zahlungen gemäß § 64 S. 2 GmbHG gerechtfertigt sind, bei deren Unterbleiben der Geschäftsführer sich strafbar machen würde, auf diesen Sonderrechtfertigungsgrund auswirkt.

2. Klaus Volk (Hrsg.): Münchener Anwaltshandbuch, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2. Aufl. 2014, C. H. Beck Verlag, 199,€, ISBN 978-3-406-64369-9

Des Weiteren ist im Berichtszeitraum die zweite Auflage des „MAH“ erschienen. Die Insolvenzdelikte bearbeiten im Rahmen der zweiten Auflage wie schon in der Vorauflage Klaus Leipold (Einleitung und Allg. Teil) sowie Marcus Böttger (Besonderer Teil).

a) Die Einleitung zu § 19, unter dem das „MAH“ die Insolvenzdelikte behandelt, enthält neben Ausführungen etwa zur Insolvenzhäufigkeit und zur Gesetzgebungsgeschichte des Insolvenzstrafrechts einen instruktiven Abschnitt (Rn. 35 ff.), der sich mit dem insolvenzrechtlichen Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO beschäftigt. Nach Ansicht von Leipold statuiert § 97 Abs. 1 S. 3 InsO ein Verwertungsverbot mit Fernwirkung (Rn. 37), das nicht nur die Auskünfte des Schuldners, sondern auch die von ihm zur Verfügung gestellten schriftlichen Geschäftsunterlagen und Bilanzen etc. erfasst (Rn. 39). Als nicht mehr aktuell erweisen sich indes die Ausführungen zum Berufsverbot gem. §§ 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GmbHG, 76 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AktG (Rn. 42 ff.). Gemäß §§ 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3e GmbHG, 76 Abs. 3 S. 2 Nr. 3e AktG kommen als Anlasstaten für das Tätigkeitsverbot durchaus Betrug und Untreue in Betracht, sofern nur eine Verurteilung von mindestens einem Jahr stattgefunden hat.

b) Zu Recht votiert Leipold bei der Frage, wie die Krisenmerkmale der §§ 283 ff. StGB auszulegen sind, für einen insolvenzrechtsakzessorischen Ansatz (Rn. 46), der freilich strafrechtliche Besonderheiten wie den in-dubio-Grundsatz und das Bestimmtheitsgebot integriert. Allerdings geht die Integration des in-dubio-Grundsatzes zu weit, wenn Leipold Fortführungswerte schon dann annehmen will, falls das Weiterbestehen des Unternehmens nicht ganz unwahrscheinlich ist (Rn. 46). Denn ob einer Überschuldungsbilanz Fortführungs- oder Zerschlagungswerte zugrunde zu legen sind, ist eine Frage der Subsumtion und nicht der Tatsachenfeststellung. Der in-dubio-Grundsatz spielt hier also richtigerweise keine Rolle. Im Übrigen bedarf es ausgehend von dem heute geltenden Überschuldungsbegriff der Ermittlung von Fortführungswerten überhaupt nicht mehr. Entscheidend ist vielmehr allein die Fortführungsprognose. Fällt sie negativ aus, richtet sich die Überschuldungsbilanz nach Zerschlagungswerten, fällt sie positiv aus, liegt eine Überschuldung erst gar nicht vor. Bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen Gesellschafterdarlehen von der Passivierungspflicht befreit sind (Rn. 59), erwähnt Leipold leider nicht den § 19 Abs. 2 S. 2 InsO, der eine Ausnahme von der grds. bestehenden Passivierungspflicht nur erlaubt, falls der Gesellschafter einen Rangrücktritt erklärt hat.

c) Bevor sich Böttger in dem von ihm bearbeiteten Besonderen Teil der Insolvenzdelikte den einzelnen Bankrotthandlungen zuwendet (Rn. 119 ff.), behandelt er instruktiv die Debatte um die strafrechtsautonome bzw. insolvenzrechtsakzessorische Interpretation der Krisenbegriffe (Rn. 110 ff.). Dabei listet er zahlreiche Argumente auf, die einer strikten Insolvenzrechtsakzessorietät der strafrechtlichen Krisenbegriffe entgegenstehen. Auch wenn er es zum Schluss nicht deutlich ausspricht, legen seine Ausführungen doch nahe, dass Böttger ein insolvenzrechtsakzessorisches Verständnis, das die strafrechtlichen Besonderheiten beachtet, vorschwebt (Rn. 112). Darüber hinaus referiert Böttger die vom 3. Strafsenat angestoßene Aufgabe der Interessentheorie (Rn. 117), ohne aber zu der Frage Stellung zu nehmen, welches Modell er favorisiert, um die theoretische Lücke auszufüllen, die die verabschiedete Interessentheorie gerissen hat. Auch geben seine diesbzgl. Ausführungen nicht den letzten Stand der Rechtsprechungsentwicklung wieder. Der BGH hat mittlerweile seine Kehrtwende weg von der Interessentheorie hin zu einem organisationsbezogenen Zurechnungsmodell näher konkretisiert und entschieden, dass § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB die „Überwälzung“ der Gemeinschuldnerrolle auf den Geschäftsführer nur erlaubt, wenn dieser bei rechtsgeschäftlichen Schädigungshandlungen „seine“ Gesellschaft wirksam verpflichtet und bei faktischen Schädigungen mit dem Einverständnis der Gesellschafter agiert. Ob die Gesellschafter das Einverständnis gesellschaftsrechtlich wirksam erteilt haben müssen, dazu hat sich der BGH bislang jedoch noch nicht geäußert. – Zu Recht klassifiziert Böttger des Weiteren den Verbraucher als tauglichen Täter des Bankrotts (Rn. 184 f.) und stellt sich zudem überzeugend auf den Standpunkt, wonach der Kaufmann, der sein Privatvermögen nicht bilanziert, sub specie §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5, 7, 283b Abs. 1 Nrn. 1, 3 StGB straflos bleibt (Rn. 186). Besondere Hervorhebung verdienen schließlich die Ausführungen, die Böttger zur Firmenbestattung macht (Rn. 278 ff.). Umfassend referiert er die Rspr. des BGH sowie die Kritik an dieser Entscheidung. Überzeugend votiert er sodann zugunsten der Ansicht, die die Abberufung des Altgeschäftsführers für wirksam hält, folglich den Altgeschäftsführer von der Liste der tauglichen Täter des § 283 StGB streicht und deshalb eine Zurechnung der vom Neugeschäftsführer vorgenommenen Handlungen an den Altgeschäftsführer gem. § 25 Abs. 2 StGB bzw. vice versa grds. verneint.

d) Im Anschluss an den äußerst lesenswerten und informativen Abschnitt über die Bankrotthandlungen des § 283 Abs. 1 Nrn. 1-8 StGB (Rn. 119-165), wendet sich Böttger der Gläubiger-/Schuldnerbegünstigung sowie der Insolvenzverschleppung und sonstigen Straftaten im Zusammenhang mit der Insolvenz zu. Dabei verdienen folgende Aspekte besonders hervorgehoben zu werden: (1.) Wer sich mit dem schwierigen Delikt der Gläubigerbegünstigung beschäftigen muss, findet bei Böttger nicht nur fundierte Erläuterungen zu diesem komplexen Tatbestand (Rn. 169 ff.), sondern zusätzlich noch ein hilfreiche Tabelle (Rn. 173), in der Böttger die gem. § 283c StGB strafbaren den gem. § 283c StGB straflosen Fallgestaltungen gegenüberstellt. (2.) Gleich zu Beginn seiner Ausführungen, die sich mit der gem. § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbaren Insolvenzverschleppung befassen (Rn. 187 ff.), behandelt Böttger ausführlich die Frage, ob die strafbewehrte Pflicht, bei Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit unverzüglich Insolvenzantrag zu stellen, auch die Geschäftsleitungsorgane „haftungsbeschränkter“ EU-Auslandsgesellschaften trifft (Rn. 190 ff.; dafür bspw. Müller-Gugenberger, in: Festschr. f. Tiedemann, 2008, S. 1003, 1018). Auch auf die momentan viel diskutierte Frage, wann ein Insolvenzantrag „nicht richtig“ i.S.v. § 15a Abs. 4 InsO gestellt ist, gibt Böttger eine Antwort. Ihm zufolge ist eine restriktive Auslegung geboten und erfasst die Modalität des „nicht richtigen“ Antrags jedenfalls Anträge, die der Schuldner nicht schriftlich stellt (Rn. 199) sowie Anträge, die einen Eröffnungsgrund bloß behaupten, aber nicht substantiieren (Rn. 200). Als einen Verstoß gegen das Analogieverbot und das Bestimmtheitsgebot wertet Böttger die Praxis, auch den faktischen Geschäftsführer als tauglichen Täter der Insolvenzverschleppung zu klassifizieren (Rn. 202). Stellt ein Gläubiger den erforderlichen Insolvenzantrag entfällt nach Böttger entgegen der höchstrichterlichen Rspr. (s. etwa BGHSt 14, 280, 281; zust. Pfeiffer, in: Festschr. f. Rowedder, 1994, 347, 363; Bisson, GmbHR 2005, 843, 847) grds. die Pflicht des Schuldnerorgans seinerseits Insolvenzantrag zu stellen. Zur Begründung verweist er auf die Gleichwertigkeit der Anträge sowie das von § 13 Abs. 2 InsO dem Schuldner eingeräumte Recht, den Insolvenzantrag wieder zurückzunehmen. Nur wenn der Gläubiger seinen Antrag wieder zurücknimmt, soll nach Böttger die Antragspflicht des Schuldnerorgans wieder aufleben (Rn. 209). (3.) Die Darstellung des § 266a StGB zeichnet u.a. die Kontoverse nach, wie sich das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG zu der Abführungspflicht des § 266a Abs. 1 StGB verhält (Rn. 246 ff.). Leider bleibt jedoch offen, was mit dem vom 5. Strafsenat kreierten und auf § 64 S. 1 GmbHG gestützten Sonderrechtfertigungsgrund während des Dreiwochenzeitraums des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO passiert, nachdem der II. Zivilsenat entschieden hat, dass die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung immer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters (§ 64 S. 2 GmbHG) vereinbar ist. (4.) Einen jeweils eigenen Abschnitt widmet Böttger den insolvenzstrafrechtlichen Risiken sowohl des cash-pooling (Rn. 284 ff.) als auch der Rückzahlung von Gesellschafterleistungen (Rn. 292 ff.). Ihm zufolge macht sich der GmbH-Geschäftsführer, der einem Gesellschafter im Stadium der Zahlungsunfähigkeit ein vorher gewährtes Darlehen zurückbezahlt, „lediglich“ gem. § 283c StGB strafbar, weil der darleihende Gesellschafter trotz des von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO angeordneten Nachrangs zum Kreis der Gesellschaftsgläubiger rechne (Rn. 294). (5.) Hinzuweisen ist schließlich noch auf die instruktiven und weiterführenden Ausführungen zum Insolvenzgeheimnis (Rn. 337 ff.), zu den Sanktionen und Konsequenzen von Insolvenzstraftaten (Rn. 347 ff.) sowie zu den strafrechtlichen Risiken des Beraters (Rn. 358 ff.).

e) Das abschließende Votum fällt, jedenfalls aus insolvenzstrafrechtlicher Sicht, eindeutig und vorbehaltlos aus: Trotz kleinerer Kritikpunkte, die der Rezensent vermerkt hat, ist das Werk jedem, der sich mit dem Insolvenzstrafrecht beschäftigt, unbedingt zu empfehlen!

3. Gerd Eidam (Hrsg.): Unternehmen und Strafe, 4. Aufl. 2014, Carl Heymanns Verlag, 138,€, ISBN 978-3-452-27718-3

Ebenfalls im Berichtszeitraum ist das nunmehr in vierter Auflage von Gerd Eidam herausgegebene Werk „Unternehmen und Strafe“ erschienen. Die unter insolvenzstrafrechtlichen Aspekten besonders interessanten Teile des Werks finden sich im insoweit von Raimund Weyand bearbeiteten Kapitel 7. Es sind dies die Ausführungen zu § 266a StGB, zur strafbaren Insolvenzverschleppung sowie zum GmbH-Strafrecht. Dem Zweck des Anliegens folgend, einen Überblick über die insolvenzstrafrechtlich-relevanten Neuerscheinungen zu geben, wird sich die Besprechung auf diese Abschnitte beschränken.

a) Im Rahmen seiner Kommentierung des § 266a StGB (Kap. 7 Rn. 520 ff.) geht Weyand auch auf die insolvenzstrafrechtlich spannende Frage ein, wie sich das GmbH-rechtliche Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG und die Zahlungspflicht des § 266a Abs. 1 StGB zueinander verhalten (Kap. 7 Rn. 529). Allerdings nimmt er leider keine Stellung zu der Kontroverse, was von dem auf § 64 S. 1 GmbHG gestützten und für die Dauer der Dreiwochenfrist des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO gewährten Sonderrechtfertigungsgrund bleibt, nachdem der II. Zivilsenat entschieden hat, dass die Abführung der Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherungsträger jedenfalls dann gem. § 64 S. 2 GmbHG gestattet sind und nicht gegen § 64 S. 1 GmbHG verstoßen, wenn dem Geschäftsleiter andernfalls Strafbarkeit drohte.

b) Zu Beginn seiner Ausführungen, die sich mit der Insolvenzverschleppung befassen, stellt Weyand zu Recht fest, dass zwar die Geschäftsleitungsorgane einer EU-Auslandsgesellschaft zu den Adressaten der gem. § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbewehrten Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO rechnen, nicht aber wegen § 42 Abs. 2 BGB die Vorstandsmitglieder des eV (Kap. 7 Rn. 915 ff.). Ganz im Einklang mit der höchstrichterlichen Rspr. und anders als Böttger im oben besprochenen „Münchener Anwaltshandbuch“ (s. unter 2d) lässt nach Weyand der Insolvenzantrag eines Gläubigers die Antragspflicht des Schuldnerorgans grds. unberührt. Nur falls das Insolvenzgericht auf den Gläubigerantrag hin das Insolvenzverfahren tatsächlich eröffnet, entfällt auch die Antragspflicht des Schuldnerorgans (Kap. 7 Rn. 918). Einen „nicht richtigen“ Insolvenzantrag i.S.v. § 15a Abs. 4 InsO nimmt Weyand an, wenn der Schuldner entweder nicht die Schriftform des § 13 Abs. 1 InsO beachtet oder aber die gesetzlich verbindlichen Unterlagen nicht beigefügt hat (Kap. 7 Rn. 924, 926).

c) Im Rahmen seiner GmbH-strafrechtlichen Ausführungen weist Weyand schließlich völlig zu Recht darauf hin, dass Inhaber des Gesellschaftsvermögens auch in Konstellationen der Einmann-GmbH allein die GmbH ist, weshalb auch solche Schädigungen zulasten des Gesellschaftsvermögens treuwidrig i.S.d. § 266 Abs. 1 StGB sind, die sämtliche Gesellschafter unter Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG bzw. das Existenzvernichtungsverbot konsentiert haben.

4. Karsten Schmidt (Hrsg.): Insolvenzordnung, 18. Aufl. 2014, C. H. Beck Verlag, 199,€, ISBN 978-3-406-55622-7

Wer sich mit dem Insolvenzstrafrecht beschäftigt, kommt ohne fundierte insolvenzrechtliche Kenntnisse nicht weit. Daneben enthält die Insolvenzordnung seit der MoMiG-Reform den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4, 5 InsO), was schon für sich Rechtfertigung genug ist, einen rein insolvenzrechtlichen Kommentar im Rahmen dieser Übersicht zum Insolvenzstrafrecht vorzustellen.

a) Die Vorschrift des § 15a InsO kommentieren Karsten Schmidt und Axel Herchen. Aus der umfangreichen Kommentierung dieser wichtigen Vorschrift seinen folgende, für den (Insolvenz-)Strafrechtler besonders interessante Punkte hervorgehoben:

aa) Im Rahmen ihrer Ausführungen zur Führungslosigkeit (vgl. § 15a Abs. 3 InsO) vertreten Verf. die Ansicht, § 15a Abs. 3 InsO müsse für die Mitglieder eines kraft Gesetzes erforderlichen GmbH-Aufsichtsrates entsprechend gelten, da nur diese Mitglieder in der Lage seien, den Zustand der Führungslosigkeit zu beseitigen, indem sie einen neuen Geschäftsführer bestellen (Rn. 22). So sehr diese Überlegungen insolvenz- und gesellschaftsrechtlich überzeugen, so sehr wecken sie sub specie strafbarer Insolvenzverschleppung unter dem Gesichtspunkt des Analogieverbotes Zweifel. Denn der Wortlaut des § 15a Abs. 3 InsO nennt die Mitglieder des GmbH-Aufsichtsrates nicht als Adressaten der Insolvenzantragspflicht bei Führungslosigkeit. Das heißt, will man § 15a Abs. 3 InsO auf die Mitglieder des obligatorischen GmbH-Aufsichtsrates analog anwenden, geht es zwar an, ihnen einen Verstoß gegen die Antragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO haftungsrechtlich vorzuwerfen, strafrechtliche Konsequenzen lassen sich hieran jedoch wegen der unüberwindbaren Wortlautgrenze nicht knüpfen.

bb) Zu Recht nehmen Verf. Führungslosigkeit i.S.v. § 15a Abs. 3 InsO nicht schon an, wenn der organschaftliche Vertreter lediglich vorübergehend unerreichbar ist. Von Führungslosigkeit könne vielmehr erst die Rede sein, falls der Organwalter entweder (konkludent) sein Amt niedergelegt habe oder aber endgültig abgetaucht sei (Rn. 19). Entgegen einer im Schrifttum gelegentlich geäußerten und auch vom Rezensenten geteilten Ansicht soll das Vorhandensein eines faktischen Organs die Führungslosigkeit nicht beseitigen (Rn. 17, 19).

cc) Im Einklang mit der Rspr. des BGH verfechten Verf. den Standpunkt, wonach ein Gläubigerantrag den Verschleppungstatbestand nicht beendet (s. etwa BGHSt 14, 280, 281), vielmehr § 15a InsO die Verantwortlichen dazu verpflichte, sich dem begründeten Gläubigerantrag anzuschließen. Erst die auf den Gläubigerantrag hin erfolgende Verfahrenseröffnung bzw. die Abweisung des Antrags mangels Masse ließen die Verschleppung enden (Rn. 28).

dd) Zu Recht schließen sich Verf. schließlich der Ansicht an, die den Tatbestand des § 15a Abs. 4, 5 InsO jedenfalls soweit er auf § 15a Abs. 1-3 InsO verweist, strikt insolvenzrechtsakzessorisch verstehen (Rn. 64). Die Tathandlungsmodalitäten, die § 15a Abs. 4 InsO benennt, (dis-)qualifizieren Verf. als misslungen und fordern, die besonders problematische Begehungsform des „nicht richtigen“ Antrags auf Anträge zu beschränken, die zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens schlechterdings ungeeignet sind (Rn. 66).

b) Sowohl § 15a Abs. 4, 5 InsO als auch die §§ 283 ff. StGB nehmen Bezug auf die Krisentatbestände Überschuldung und (drohende) Zahlungsunfähigkeit. Seitdem der Gesetzgeber der InsO diese Krisentatbestände in den §§ 17 ff. InsO legaldefiniert hat, kreist eine insolvenzstrafrechtliche Debatte um die Frage, ob und wenn ja wie stark sich die Interpretation der strafrechtlichen Krisenmerkmale an den §§ 17 ff. InsO orientieren soll. Die überwiegende Ansicht, der sich mittlerweile auch der BGH angeschlossen hat, plädiert für eine funktionelle Akzessorietät, die den Inhalt der §§ 17 ff. InsO zum Ausgangspunkt der Interpretation nimmt, dabei aber strafrechtliche Besonderheiten wie den in-dubio-Grundsatz und das Bestimmtheitsgebot berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Kenntnis des insolvenzrechtlichen Verständnisses von den Begriffen „(drohende) Zahlungsunfähigkeit“ und „Überschuldung“ auch für das Insolvenzstrafrecht enorme Bedeutung (s. auch § 17 Rn. 3).

Aus der von Karsten Schmidt verfassten Kommentierung der §§ 17-19 InsO sind folgende, für das Insolvenzstrafrecht besonders bedeutsame Aspekte herauszugreifen:

aa) Bekanntlich verzichtet die Legaldefinition der Zahlungsunfähigkeit auf die Elemente der Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit. Der Gesetzgeber der InsO bezweckte mit diesem Verzicht, der großzügigen Annahme von bloßer Zahlungsstockung zugunsten eines früheren Eintritts von Zahlungsunfähigkeit einen Riegel vorzuschieben. Gleichwohl bringen die Materialien den Wunsch zum Ausdruck, nicht jede geringfügige Zahlungsstockung zur Zahlungsunfähigkeit „hochzuzonen“. Um diesen beiden Anliegen gerecht zu werden, hat der IX. Zivilsenat des BGH die Formel aufgestellt, wonach grds. zahlungsunfähig sei, wer 10 % seiner fälligen Verbindlichkeiten über einen Zeitraum von drei Wochen nicht bedienen könne. Dieser „doppelten Relevanzprüfung“ (§ 17 Rn. 24) widerspricht Karsten Schmidt und schlägt stattdessen vor, Zahlungsunfähigkeit immer bereits dann anzunehmen, wenn entweder die Deckungslücke 5 % oder mehr beträgt oder aber der Schuldner einen (auch nur geringfügigen) Teil der fälligen Verbindlichkeiten demnächst (innerhalb eines Zeitraums von zehn Tagen) nicht begleichen kann (§ 17 Rn. 30). Ob diese Auffassung sich (insolvenz-)strafrechtlich durchsetzen kann, erscheint jedoch äußerst zweifelhaft, führt sie doch zu einer noch weiteren Vorverlagerung des Zahlungsunfähigkeitsbeginns als der vom IX. Zivilsenat verfochtene Ansatz.

bb) Völlig zu Recht hebt Karsten Schmidt hervor, dass die Vermutung des § 17 Abs. 2 S. 2    InsO, wonach bei Zahlungseinstellung auch Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 Abs. 1 InsO besteht, im Strafprozess keine Geltung beansprucht, sondern die Zahlungseinstellung lediglich als Indiz bei der Ermittlung der die Zahlungsunfähigkeit begründenden Tatsachen wirkt (§ 17 Rn. 40).

cc) Eingangs seiner Kommentierung des § 18 InsO weist Karsten Schmidt auf die begriffliche Identität zu den §§ 283, 283d StGB, die den Krisentatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit schon kannten als § 18 InsO noch gar nicht existierte sowie darauf hin, dass § 18 InsO autonom und keinesfalls strafrechtsakzessorisch auszulegen ist (§ 18 Rn. 2). Das überzeugt schon deshalb, weil auch der Gesetzgeber der InsO mit der Schaffung des § 18 Abs. 2 InsO die Hoffnung verband, das insolvenzstrafrechtliche Krisenmerkmal der drohenden Zahlungsunfähigkeit besser zu konturieren – eine Hoffnung übrigens, die sich kaum erfüllt hat.

dd)Karsten Schmidt schließt sich der h.M. an, wonach Zahlungsunfähigkeit droht, sobald eine Wahrscheinlichkeit von über 50 % ergibt, dass der Schuldner nicht fähig sein wird, die im Prognosezeitpunkt bestehenden Verbindlichkeiten bei Eintritt der Fälligkeit zu begleichen (§ 18 Rn. 21). Allerdings soll Bezugspunkt dieser Wahrscheinlichkeitsoperation nicht der vom BGH unter Zustimmung der überwiegenden Kommentarliteratur herausgearbeitete Zahlungsunfähigkeitsbegriff sein. Um Praxistauglichkeit bemüht, schlägt Karsten Schmidt vielmehr vor, drohende Zahlungsunfähigkeit anzunehmen, wenn der Schuldner bei Fälligkeit einzelne der im Prognosezeitpunkt bestehende Forderungen nicht bedienen kann (§ 18 Rn. 23). Für das Insolvenzstrafrecht würde dadurch eine weitere Vorverlagerung der Strafbarkeitsschwelle bewirkt.

ee) Weil die Vor-Gesellschaft durch Eintragung jederzeit zum „haftungsbeschränkten Verband“ mutieren kann, erstreckt Karsten Schmidt die Geltung des Überschuldungstatbestandes auch auf diese Gesellschaftsformen (§ 19 Rn. 9). Insolvenzstrafrechtlich gewinnt diese extensive Interpretation des § 19 InsO Bedeutung, wenn man mit einer Minderheitsmeinung den Anwendungsbereich der Überschuldung auch im Rahmen des § 283 StGB auf die Adressaten des § 19 InsO beschränkt (grdl. dazu Otto, in: Gedächtnisschr. f. Bruns, S. 265, 274 ff.; ders., Jura 1989, 24, 33).

ff) Hat der Strafrichter einen Fall unter den Vorzeichen des § 283 StGB zu beurteilen, der sich vor dem 18.10.2008 und damit zu einer Zeit zutrug, als noch der nicht modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff galt, die Fortführungsprognose bei positivem Ausgang also noch nicht die Kraft besaß, einem Zustand rechnerischer Überschuldung das Verdikt der rechtlichen Überschuldung zu nehmen, erhebt sich die str. diskutierte Frage, ob § 2 Abs. 3 StGB für diesen Zeitraum die Anwendung des aktuell geltenden, modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs gebietet. Zu Recht lehnt Karsten Schmidt die Ansicht ab, die sich unter Berufung auf den (vermeintlichen) Zeitgesetzcharakter des § 19 Abs. 2 InsO n.F. dafür aussprach, die Altfälle nach dem nicht modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff zu behandeln. Allerdings äußert Karsten Schmidt Zweifel, ob es sich bei § 19 Abs. 2 InsO n.F. wirklich um das mildere Gesetz handelt. Seiner Ansicht nach ist § 19 Abs. 2 InsO n.F. nicht Ausdruck laxerer Rechtspolitik, sondern das Resultat besserer Erkenntnisse (zum Ganzen § 19 Rn. 57). Das spricht aber nicht gegen die Annahme, § 19 Abs. 2 InsO n.F. normiere das mildere Gesetz i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB, geht es doch hier nur darum, das für den Täter günstigere Regelungsregime zur Anwendung zu bringen. Liegt aber der Fall einmal so, dass der Täter sub specie nicht modifiziert zweistufigem Überschuldungsbegriff im Zustand der Überschuldung eine Bankrotthandlung vorgenommen und sich deshalb nach § 283 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hätte, wohingegen die Handlung sub specie modifiziert zweistufigem Überschuldungsbegriff außerhalb der Krise begangen und damit gem. § 283 Abs. 1 StGB straflos wäre, erfordert § 2 Abs. 3 StGB die Heranziehung des modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs.

c) Will man ein aus insolvenzstrafrechtlicher Perspektive abschließendes Urteil fällen, so fällt dieses eindeutig aus: Jedem, der sich mit Insolvenzstrafrecht beschäftigt, sei angesichts der mannigfachen Interdependenzen, die zwischen Insolvenzrecht und Insolvenzstrafrecht bestehen, die Benutzung des von Karsten Schmidt herausgegebenen und mittlerweile in der 18. Aufl. vorliegenden Kommentars zur Insolvenzordnung nur empfohlen. Insbesondere die zahlreichen Bezüge zum Insolvenzstrafrecht, die der Kommentar herstellt, obschon er sich in erster Linie an den Insolvenzrechtler wendet, sind für den Insolvenzstrafrechtler von unschätzbarem Wert!

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Christian Brand
    Akademischer Rat Dr. Christian Brand ist Habilitand am Lehrstuhl für Strafrecht und Nebengebiete bei Professor Dr. Rudolf Rengier. Schwerpunktmäßig forscht er unter anderem zum Insolvenzstrafrecht.

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)