Dr. Sabine Ottow

Anmerkung zu BVerfG, Beschluss vom 13.03.2014 – 2 BvR 974/121

Ein die Durchsuchung der Privaträume rechtfertigender Anfangsverdacht liegt nicht vor
gegen den Prokuristen und Rechtsabteilungsleiter eines Unternehmens, der sich nach dem
öffentlichen Bekanntwerden staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen im Umfeld des Unternehmens zur Aufarbeitung des Sachverhalts und zur Vorbereitung des Verteidigungsvorbringens des Unternehmens veranlasst gesehen hat.

Die Durchsuchung von Privaträumen begründet einen schwerwiegenden Eingriff in das
Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 Abs. 1 GG. Gleichwohl ist zu
beklagen, dass Durchsuchungsbeschlüsse häufig genug ohne eine kritische Auseinandersetzung des Richters mit dem Vorbringen der Ermittlungsbehörden, namentlich ohne eine
intensive Prüfung der Verdachtsmomente, erlassen werden.2
Das BVerfG hat in dem zu besprechenden Beschluss erneut untermauert, dass zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung der Verdacht einer Straftat erforderlich ist, der auf konkreten Tatsachen beruht. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügten nicht. Eine Durchsuchung dürfe nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung des Verdachts erforderlich sind, denn sie setze einen Tatverdacht
bereits voraus.

I. Sachverhalt

Am 16. August 2010 hatte ein Nachrichtenmagazin in einem Artikel darüber berichtet, dass
die H. GmbH, ein Unternehmen aus dem Bereich der Rüstungsindustrie, trotz fehlender Ausfuhrgenehmigungen für vier mexikanische Provinzen möglicherweise wissentlich Waffen in
diese Provinzen geliefert sowie Mitarbeiter zu Vorführungen dorthin geschickt habe. Die
Staatsanwaltschaft ermittele wegen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz und das
Kriegswaffenkontrollgesetz.
Kurz nach der Veröffentlichung des Artikels unterrichtete der (mit einer Prokura ausgestattete) Leiter der Rechtsabteilung der H. GmbH und spätere Beschwerdeführer die Geschäftsführung der H. GmbH mit E-Mail vom 18. August 2010 darüber, dass ein Unternehmensmitarbeiter seit 2006 insgesamt elf Reisen nach Mexiko unternommen habe. Das Büro dieses
Mitarbeiters sei nunmehr versiegelt worden.
Ferner teilte der Beschwerdeführer der Geschäftsführung mit E-Mail vom 19. August 2010
mit, dass die Auswertung der Reiseunterlagen eine Reise dieses Mitarbeiters in eine der vier
in dem Nachrichtenartikel erwähnten mexikanischen Provinzen im Juni/Juli 2006 ergeben
habe. Zudem listete der Beschwerdeführer in derselben E-Mail eine Reihe von Fragen auf,
die aus seiner Sicht für die Staatsanwaltschaft klärungsbedürftig sein könnten.
Mit E-Mail vom 25. August 2010 informierte der Beschwerdeführer die Geschäftsführung
sodann darüber, dass alle IT-Daten des betreffenden Mitarbeiters auf eine Festplatte gezogen und einer beauftragten Rechtsanwaltskanzlei zur Auswertung übergeben worden seien. Darüber hinaus seien von den Papierunterlagen Sicherungskopien angefertigt worden,
die sich nun im Gewahrsam der Rechtsabteilung befänden. Schließlich teilte der Beschwerdeführer der Geschäftsführung in dieser E-Mail mit, dass in Vorbereitung auf einen mit den
Rechtsanwälten des Unternehmens anberaumten Gesprächstermin einige typische Musterfälle erstellt würden, „die als Vorzeigefälle für die Staatsanwaltschaft dienen“ sollten. Nachdem ein anderer Mitarbeiter der H. GmbH in der Folgezeit gegenüber den Ermittlungsbehörden ausgesagt hatte, dass im Zusammenhang mit Waffenverkäufen nach Mexiko
in den Jahren 2005 bis 2010 Bestechungsgelder an mexikanische Amtsträger gezahlt worden seien, führte die Staatsanwaltschaft Stuttgart am 21. Dezember 2010 eine Durchsuchung der Räumlichkeiten der H. GmbH durch. Dabei fand die Staatsanwaltschaft die vorstehenden E-Mails des Beschwerdeführers sowie weitere E-Mail-Korrespondenz dreier Unternehmensmitarbeiter aus dem Jahr 2010, aus der folgte, dass angesichts fehlender Ausfuhrgenehmigungen für Waffenverkäufe nach Mexiko Parteispenden in erheblicher Höhe
gezahlt werden sollten. An dieser E-Mail-Korrespondenz war der Beschwerdeführer nicht
beteiligt gewesen.
Fast ein Jahr später, am 7. November 2011, ordnete das AG Stuttgart die Durchsuchung der
Privatwohnung des Beschwerdeführers wegen des Verdachts der Beteiligung an einer gemeinschaftlichen Bestechung ausländischer und inländischer Amtsträger an. Die Auswertung der E-Mail-Korrespondenz anderer Unternehmensmitarbeiter habe ergeben, dass das
Unternehmen mit Parteispenden Einfluss auf die Staatssekretärsrunde habe nehmen wollen. Die von dem Beschwerdeführer ergriffenen Maßnahmen könnten Hinweis auf eine Vernichtung, Entfernung oder Verschleierung von Beweisen sein.
Die gegen den Durchsuchungsbeschluss gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers
verwarf das LG Stuttgart mit Beschluss vom 29. März 2012.3 Aufgrund der „Sachnähe, Sachkenntnis und Sachleitung“ des Beschwerdeführers ergebe sich ein entsprechender Anfangsverdacht, zumal der Beschwerdeführer als Prokurist handlungsberechtigt gewesen sei.

II. Gründe

Das BVerfG hat festgestellt, dass die Beschlüsse des AG Stuttgart und des LG Stuttgart den
Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG verletzen.
Die Anordnung der Durchsuchung bedinge, so das BVerfG, den auf konkreten Tatsachen beruhenden Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Vage Anhaltspunkte und bloße
Vermutungen genügten nicht. Eine Durchsuchung dürfe nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setze einen
Verdacht bereits voraus.
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügten die Entscheidungen des AG Stuttgart und des LG Stuttgart nicht, so das BVerfG weiter. Die den betreffenden Beschlüssen
zugrunde liegende Annahme des Verdachts einer Beteiligung des Beschwerdeführers an einer gemeinschaftlichen Bestechung ausländischer oder inländischer Amtsträger gemäß
§ 334 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 11 Abs. 1 Nr. 2b, § 25 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 2, § 1 Nr. 2a und
Nr. 2b IntBestG beruhe nicht auf konkreten Tatsachen, sondern auf allenfalls vagen Anhaltspunkten und bloßen Vermutungen.
Im Einzelnen stellte das BVerfG zunächst heraus, dass die Stellung des Beschwerdeführers
als Prokurist der H. GmbH, wie das LG Stuttgart zutreffend ausgeführt habe, für sich genommen einen Anfangsverdacht nicht zu begründen vermöge.
Mit Blick auf eine mögliche Beteiligung des Beschwerdeführers an Bestechungshandlungen
gegenüber ausländischen Amtsträgern im Zusammenhang mit Waffenlieferungen der H.
GmbH nach Mexiko konstatierte das BVerfG weiter, dass hierfür sonstige hinreichend konkrete Anhaltspunkte von den Fachgerichten nicht dargetan worden seien. Insbesondere
folgten solche Anhaltspunkte nicht aus den E-Mails des Beschwerdeführers vom 18. und
vom 19. August 2010, in denen der Beschwerdeführer lediglich das vorläufige Ergebnis seiner Recherchen mitteile und nach seiner Auffassung aus Sicht der Staatsanwaltschaft klärungsbedürftige Fragen aufliste.
Soweit in den angegriffenen Beschlüssen davon ausgegangen werde, der Beschwerdeführer
sei einer Beteiligung an einem Bestechungsdelikt hinreichend verdächtig, da sich aus seiner
E-Mail vom 25. August 2010 Hinweise auf eine Vernichtung, Entfernung oder Verschleierung
von Beweisen ergeben könnten, sei dies, so das BVerfG, nicht nachvollziehbar. Tatsächlich
sprächen die dort geschilderten Maßnahmen eher für eine Sicherung von Beweismitteln als
für deren Vernichtung oder Entfernung. Weiterhin rechtfertige auch der Hinweis des Beschwerdeführers in der E-Mail vom
25. August 2010, zur Vorbereitung eines Termins mit den Rechtsanwälten des Unternehmens würden einige Musterfälle erstellt, die als Vorzeigefälle für die Staatsanwaltschaft dienen sollten, keine andere Einschätzung. Vielmehr sei es sachgerecht, wenn sich der Beschwerdeführer als Leiter der Rechtsabteilung vor dem Hintergrund der durch den Presseartikel bekanntgewordenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zur Aufarbeitung des
Sachverhalts und zur Vorbereitung des Verteidigungsvorbringens des Unternehmens veranlasst sah.
Etwas anderes gelte im Übrigen auch nicht unter Berücksichtigung der Hinweise, dass bei
den in Rede stehenden Delikten ein abgestimmtes und planmäßiges Vorgehen mehrerer
Firmenangehöriger sehr wahrscheinlich sei und der Beschwerdeführer über Sachnähe,
Sachkenntnis und Sachleitungsbefugnisse verfügt habe. Wie das BVerfG betonte, seien die
Vorwürfe unzulässiger Waffenlieferungen aufgrund der Presseveröffentlichung bekannt
gewesen. Ferner seien die in den E-Mails vom 18., 19. und 25. August 2010 aufgeführten Aktivitäten des Beschwerdeführers im unmittelbaren Anschluss an diese Presseveröffentlichung erfolgt und teilweise ausdrücklich hierauf bezogen. Damit könnten die Kenntnis der
erhobenen Vorwürfe und die daraufhin entwickelten Aktivitäten des Beschwerdeführers
nicht die Annahme eines hinreichend konkreten Verdachts der Beteiligung an einer Straftat
rechtfertigen.
Schließlich führte das BVerfG aus, dass es erst recht an der Darlegung konkreter Anhaltspunkte für eine Beteiligung des Beschwerdeführers an der Bestechung inländischer Amtsträger fehle. Namentlich habe der auf Parteispenden bezogene E-Mail-Verkehr ohne Beteiligung des Beschwerdeführers stattgefunden. Im Übrigen werde selbst eine Kenntnis des Beschwerdeführers von diesem E-Mail-Verkehr in den angegriffenen Beschlüssen nicht aufgezeigt.

III. Analyse

Das BVerfG hat mit seinem Beschluss der um Aufklärung bemühten Tätigkeit von Compliance-Verantwortlichen, der die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte zum Teil offenbar
noch immer mit Skepsis begegnen,4
den Weg geebnet. Die Aufarbeitung des Sachverhalts
und die Vorbereitung eines Verteidigungsvorbringens des Unternehmens begründen allein
keinen Anfangsverdacht.
Zwar handelte es sich bei dem Beschwerdeführer nicht um einen explizit zum ComplianceVerantwortlichen berufenen Unternehmensmitarbeiter, sondern um den Leiter der Rechtsabteilung. Die dem Beschwerdeführer in den angegriffenen Beschlüssen zum Nachteil gereichten Tätigkeiten der Sachverhaltsaufarbeitung und der Verteidigungsvorbereitung entsprechen jedoch denen eines Compliance-Verantwortlichen.

1. Vermeintliche Verdachtsmomente

In seinem Beschluss hat das BVerfG dezidiert dargelegt, dass die von den Fachgerichten
bemühten „Verdachtsmomente“ einen Anfangsverdacht tatsächlich nicht zu begründen
vermögen. Weder die Stellung des Beschwerdeführers als Prokurist noch die von ihm konkret entfalteten Tätigkeiten rechtfertigen die Annahme des hinreichend konkreten Verdachts der Beteiligung an einer Straftat.
Zwar hatte bereits das LG Stuttgart in seinem Beschluss darauf hingewiesen, dass die Stellung des Beschwerdeführers als Prokurist für sich genommen keinen Anfangsverdacht gegen ihn begründen könne. Gleiches dürfte auch für die Stellung des Beschwerdeführers als
Rechtsabteilungsleiter gelten. Gleichwohl hat das LG Stuttgart der Stellung des Beschwerdeführers mittelbar dann doch größeres Gewicht beigemessen, indem es aus der mit der
Stellung des Beschwerdeführers einhergehenden Tätigkeit eine „Sachnähe, Sachkenntnis
und Sachleitung“ des Beschwerdeführers herleitete, die einen Anfangsverdacht gegen ihn
begründe, „zumal er als Prokurist für die X-GmbH handlungsberechtigt war“.
Wie Schiemann5
zutreffend feststellt, kann eine Argumentation, die von einer Handlungsberechtigung auf ein den Anfangsverdacht begründendes strafbares Verhalten schließt, nicht verfangen, denn hierdurch würden Leitungsbefugte im Unternehmen quasi mit einem Generalverdacht belegt. Dabei wird die Annahme, dass das LG Stuttgart vorliegend einen solchen Generalverdacht hegte, noch dadurch bekräftigt, dass es tatsächlich keinerlei Hinweise
darauf gab, dass der Beschwerdeführer überhaupt Kenntnis von den Bestechungsvorfällen
gehabt hat.6
Ferner vermögen auch die von dem Beschwerdeführer konkret entfalteten Tätigkeiten keinen gegen ihn gerichteten Anfangsverdacht zu begründen. Das LG Stuttgart hatte dem Beschwerdeführer unterstellt, dass die Mitteilung des Beschwerdeführers in der E-Mail vom 25.
August 2010, wonach Musterfälle erstellt würden, die als Vorzeigefälle für die Staatsanwaltschaft dienen sollten, auf eine unzulässige Verschleierung von Sachverhalten zum Zwecke
der Vereitelung staatlicher Sanktionen hindeuten könne. Zwar hatte das LG Stuttgart auch
erwogen, dass es sich bei diesem Vorgehen um zulässiges Verteidigungsverhalten den Ermittlungsbehörden gegenüber handeln könne. Gleichwohl hatte das LG Stuttgart die angekündigte Erstellung von Musterfällen zur Vorlage gegenüber der Staatsanwaltschaft sodann
als verdachtsbegründend gewertet, ohne darzulegen, warum hierin gerade eine unzulässige Verschleierung und eben kein zulässiges Verteidigungsverhalten liegen sollte.
Das BVerfG hat dieser Verdachtsgenerierung zutreffend eine Absage erteilt. Wie das BVerfG
betont, ist es sachgerecht, wenn sich der Beschwerdeführer als Leiter der Rechtsabteilung
vor dem Hintergrund öffentlich bekanntgewordener Ermittlungen zur Aufarbeitung des
Sachverhalts und zur Vorbereitung des Verteidigungsvorbringens des Unternehmens veranlasst sah. Zudem sprächen die Sicherung von Daten und deren Übergabe an eine Rechtsanwaltskanzlei eher für eine Sicherung als für eine Vernichtung oder Entfernung von Beweismitteln. Dieser Schluss ist, wie Schiemann zutreffend konstatiert, logisch und zwingend,
zumal der Beschwerdeführer als Rechtsabteilungsleiter durchaus dazu verpflichtet war, dem
strafbewehrten Verhalten von Unternehmensangehörigen nachzugehen.7
Dass es sich bei der Annahme des LG Stuttgart, gegen den Beschwerdeführer habe ein Anfangsverdacht vorgelegen, im Übrigen um eine besonders eklatante Fehleinschätzung handelt, wird deutlich, wenn man sich den Prüfungsmaßstab des BVerfG vor Augen führt. Das
BVerfG ist keine „Superrevisionsinstanz“.8 Es ist nicht seine Aufgabe, eine ins Einzelne gehende Nachprüfung des von den Fachgerichten angenommenen Verdachts vorzunehmen.9
Vielmehr kann das BVerfG erst dann tätig werden, wenn die Auslegung und die Anwendung
der einfachgesetzlichen Bestimmungen über die strafprozessualen Voraussetzungen des
Anfangsverdachts (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale
Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Betroffenen beruhen.10 Mit dem Aufheben des Beschlusses des LG
Stuttgart wegen Verletzung von Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG attestiert das BVerfG dem LG
Stuttgart also die objektiv willkürliche Annahme des Vorliegens eines Anfangsverdachts.

2. § 103 StPO als Hintertür für die Durchsuchung der Wohnräume von Compliance-Verantwortlichen?

Zwar hat das BVerfG der um Aufklärung bemühten Tätigkeit eines ComplianceVerantwortlichen die verdachtsbegründende Eigenschaft abgesprochen und damit einer
hierauf gründenden Durchsuchung beim Verdächtigen gemäß § 102 StPO den Boden entzogen. Eröffnet bleibt jedoch die Möglichkeit einer Durchsuchung der Wohnräume des
Compliance-Verantwortlichen als Nichtverdächtigem gemäß § 103 StPO. Zur Zulässigkeit
einer Durchsuchung gemäß § 103 StPO musste sich das BVerfG vorliegend nicht verhalten,
da die Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführers allein auf § 102 StPO gestützt
worden war.
Mithin stellt sich die Frage, wie der Compliance-Verantwortliche der Gefahr einer Durchsuchung seiner Wohnräume auf der Grundlage von § 103 StPO effektiv vorbeugen kann. Gemäß § 103 Abs. 1 S. 1 StPO ist eine Durchsuchung beim Nichtverdächtigen zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchte Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Damit unterliegt die Durchsuchung beim Nichtverdächtigen engeren Voraussetzungen als die beim Tatverdächtigen gemäß § 102 StPO. Zum einen muss über den Grad der
Vermutung hinaus aufgrund von Tatsachen zu schließen sein, dass der Zweck der Durchsuchung erreicht wird.11 Zum anderen rechtfertigt – anders als im Falle des § 102 StPO – die
allgemeine Aussicht, irgendwelche relevanten Beweismittel zu finden, die Durchsuchung
nicht. Vielmehr setzt die Durchsuchungsanordnung gegen einen Nichtverdächtigen voraus,
dass hinreichend individualisierte Beweismittel gesucht werden.12
Die höheren Hürden des § 103 StPO erschweren also grundsätzlich eine Durchsuchung der
Wohnräume des Compliance-Verantwortlichen. Problematisch ist allerdings, dass gerade im
Falle sorgfältig durchgeführter interner Ermittlungen, namentlich einer akribischen Aufarbeitung strafrechtlich relevanter Sachverhalte durch den Compliance-Verantwortlichen sowie einer betreffenden genauen Dokumentation, eine Individualisierung von Beweismitteln
deutlich vereinfacht wird. Daher empfiehlt es sich für Compliance-Verantwortliche, stets exakt zu dokumentieren, wo sich die gesammelten Unterlagen im Einzelnen befinden, sei es
im Unternehmen oder bei einer beauftragten Rechtsanwaltskanzlei.13 Auf diese Weise
schützt sich der Compliance-Verantwortliche am effektivsten vor einer möglichen Durchsuchung seiner Wohnräume gemäß § 103 StPO.

3. Fazit

Compliance-Verantwortliche vollführen einen Drahtseilakt. Erhalten sie Hinweise auf ein
strafbewehrtes Verhalten von Unternehmensangehörigen, sind sie grundsätzlich verpflichtet, diesen Hinweisen nachzugehen und den Sachverhalt zu untersuchen.14 Im Falle des Unterlassens machen sie sich möglicherweise sogar selbst strafbar.15 Ferner können aber, wie
die angegriffenen Beschlüsse des LG Stuttgart und des AG Stuttgart zeigen, auch die Tätigkeiten der Sachverhaltsaufklärung und der Vorbereitung eines Verteidigungsvorbingens als
verdachtsbegründend gewertet werden. Hier hat das BVerfG erfreulicherweise aufgezeigt,
dass diese Tätigkeiten allein einen Anfangsverdacht nicht zu begründen vermögen.
Schließlich ist der Anfangsverdacht nicht nur im Rahmen von Durchsuchungen relevant. Er
ist vielmehr Voraussetzung für das Ergreifen sämtlicher strafprozessualer Zwangsmaßnahmen. Ohne das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten dürfen die Strafverfolgungsbehörden nicht einschreiten.16 Insoweit besteht ein repressives Ermittlungsverbot.17 Damit beanspruchen die Ausführungen des BVerfG zu den
Anforderungen des Anfangsverdachts18 über das Beispiel der Durchsuchung hinaus auch
für sonstige strafprozessuale Zwangsmaßnahmen Geltung.

1 BVerfG NJW 2014, 1650 = BVerfG WM 2014, 721.

2 Vgl. ausführlich zur Realität und zur rechtsstaatlichen Bedeutung des Richtervorbehalts Ottow, Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren und nach dem Polizeirecht, 2014, S. 71 ff.

3 LG Stuttgart, Beschluss vom 29.03.2012 – 17 Qs 14/12, BeckRS 2014, 09998.

4 Vgl. Nolte/Bormann, jurisPR-Compl 1/2014 Anm. 5.

5 Schiemann, NZG 2014, 657 (658).

6 Vgl. Schiemann, NZG 2014, 657 (658).

7 Schiemann, NZG 2014, 657 (658); ausführlich zu den ordnungsrechtlichen Konsequenzen eines pflichtwidrigen
Unterlassens Spehl/Momsen/Grützner, CCZ 2013, 260.

8 BVerfG, Beschluss vom 24.10.1999 – 2 BvR 1821/99, BeckRS 1999, 23087.

9 BVerfG NJW 2014, 1650 (1651); BVerfG NJW 1997, 929.

10 BVerfG NJW 2014, 1650 (1651); BVerfG NJW 1964, 1715.

11 BVerfG NJW 2003, 2669 (2670); Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl. 2014, § 103 Rn. 6; Bruns in: Karlsruher Kommentar,
StPO, 7. Aufl. 2013, § 103 Rn. 5 m.w.N.

12 BGH NStZ 2002, 215 (216) m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl. 2014, § 103 Rn. 6.

13 Schiemann, NZG 2014, 657 (659); instruktiv zum Umgang des Unternehmens mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmaßnahmen Szesny, Compliance Berater 2014, 159 ff.

14 Vgl. ausführlich zu den Pflichten von Compliance-Verantwortlichen Hauschka, CCZ 2014, 165.

15 Nach Ansicht des BGH NZG 2009, 1356 (1358) trifft Compliance Officer regelmäßig eine Garantenpflicht i.S.d.
§ 13 Abs. 1 StGB, im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern.

16 Zu den sog. Vorermittlungen (z.B. durch formlose informatorische Befragung) zwecks Klärung der Frage, ob
ein Anfangsverdacht vorliegt, siehe ausführlich Wölfl, JuS 2001, 478.

17 Lisken, ZRP 1994, 264 (268); Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, 2000, S. 39; Rogall, ZStW 1991, 907
(945).

18 Zu den tatsächlich geringen Anforderungen des Anfangsverdachts ausführlich Ottow, Grundrechtseingriffe im
Ermittlungsverfahren und nach dem Polizeirecht, 2014, S. 21 ff

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Sabine Ottow
    Dr. Sabine Ottow ist Salary Partner in der Kanzlei Langrock Voß & Soyka. Sie berät und verteidigt Unternehmen und Einzelpersonen auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

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    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung