Dr. Matthias Dann, LL.M.

Anmerkung zu LG München vom 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10 (Compliance)

I. Sachverhalt

Der Beklagte war von 1998 bis 2006 ordentliches Vorstandsmitglied der Klägerin, Mitglied des Zentralvorstandes und Leiter der Zentralabteilung Corporate Finance.

Nach den Feststellungen des Gerichts hatte sich während seiner Amtszeit als Vorstandsmitglied bei der Klägerin ein „System schwarzer Kassen“ etabliert, das sich später zu einem System von Scheinberaterverträgen zur Verschleierung von Korruptionszahlungen entwickelte. Trotz wiederholter Hinweise auf eine hohe Anzahl von Bestechungsfällen im Ausland, Schmiergeldzahlungen durch Mitarbeiter der Klägerin an ausländische Amtsträger und das mangelhafte Compliance-System des Konzerns hatten die Vorstandsmitglieder, darunter auch der Beklagte, keine ausreichende Maßnahmen zur Aufklärung und Systemüberprüfung getroffen.

Die Schmiergeldzahlungen führten in einem anderen Verfahren zur Verhängung zweier Bußgeldbescheide in Höhe von EUR 201 Mio. und EUR 395 Mio. gegen die jetzige Klägerin. Zur Aufklärung des „Systems schwarzer Kassen“ hatte diese zuvor eine US-amerikanische Rechtsanwaltskanzlei beauftragt. Diese erhielt hierfür ein Honorar von EUR 12,97 Mio.

Daraufhin machte der Aufsichtsrat der Klägerin gegen die Vorstandsmitglieder Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung von Compliance-Pflichten geltend. Während diesbezüglich mit neun Vorstandsmitgliedern Vergleiche geschlossen wurden, verneinte der Beklagte eine Pflichtverletzung und lehnte einen Vergleich über 4 Mio. Euro ab.

Infolgedessen erhob die Klägerin gegen den Beklagten Klage vor dem Landgericht München I und machte als Schadensposten die Honorarkosten der Rechtsanwaltskanzlei in Höhe von 12,85 Mio. Euro sowie eine Zahlung von EUR 2,15 Mio. aufgrund eines mutmaßlich unwirksamen Beratervertrages an einen Empfänger in Nigeria geltend.

II. Entscheidungsgründe

Das LG München I gab der auf § 93 Abs. 2 AktG gestützten Klage in vollem Umfang statt, da der Beklagte seinen Compliance-Pflichten nicht genügt habe.

Aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG ergibt sich die Pflicht für ein Vorstandsmitglied, im Außenverhältnis sämtliche Vorschriften einzuhalten, die das Unternehmen als Rechtssubjekt treffen.[1] Aus der Legalitätspflicht des Vorstandes, die durch § 91 Abs. 2 AktG konkretisiert wird, folgt, dass der Vorstand Gesetzesverletzungen durch Mitarbeiter vorbeugen muss und dementsprechend eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einzurichten hat. Weiterhin muss bei Bekanntwerden von Gesetzesverletzungen oder Anhaltspunkten hierfür eine effektive Aufklärung, Untersuchung und Ahndung der Mitarbeiter vorgenommen werden. Das LG München I konstatiert darüber hinaus, dass die Pflicht zur Schaffung eines funktionierenden Compliance-Systems in den Gesamtverantwortungsbereich des Vorstandes fällt.

Aus diesen Grundsätzen leitete das Gericht mehrere vom Beklagten begangene Pflichtverletzungen ab. Aus Artikel 2 § 1 EUBestG, Art. 2 § 2 IntBestG und § 299 Abs. 3 StGB ergeben sich die strafbewährten Verbote Schmiergeldzahlungen an Amtsträger ausländischer Staaten sowie an ausländische Privatpersonen zu erbringen.

Es wirft dem Beklagten zunächst vor, dass er trotz immer wiederkehrender Hinweise auf die Existenz schwarzer Kassen und Bestechungszahlungen keine ausreichenden Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen eingeleitet und betroffene Mitarbeiter nicht geahndet habe. Darüber hinaus habe der Beklagte trotz der Hinweise der mangelnden Effizienz des Compliance-Systems und der mangelnden Verlässlichkeit der Regional Compliance Officer keine Maßnahmen zur Effizienzsteigerung des Compliance-Systems ergriffen.

Außerdem sei der Berater- bzw. Vermittlungsvertrag, der zum Schein abgeschlossen wurde, mangels funktionierenden Compliance-Systems nicht überprüft worden. In dieser Hinsicht hätte eine Überprüfung vorgenommen werden müssen, ob diese Beraterleistungen tatsächlich erbracht wurden. Das LG München I verweist darauf, dass mit einer zentralen Erfassung sämtlicher Beraterverträge die Überprüfung möglich gewesen wäre, ob und welche Leistungen wirklich erbracht wurden.

Im Hinblick auf die Gesamtverantwortung des Vorstandes für ein effektives Compliance-System hat das Gericht eine Pflichtverletzung weiterhin in der fehlenden Regelung klarer Zuständigkeiten und ausreichender Kompetenzen gesehen. Der Vorstand und somit auch der Beklagte hätten keine klaren Regelungen geschaffen, wer auf der Ebene des Gesamtvorstandes die Hauptverantwortung für die effektive Compliance zu tragen hat. Weiterhin hätte der Vorstand eine Person mit hinreichenden Handlungsbefugnissen betrauen müssen, um Rechtsverstöße ordnungsgemäß ahnden zu können.

Der Beklagte habe demnach bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters als Maßstab, wie er in § 93 Abs. 1 AktG S. 1 normiert ist, verletzt, weshalb er dem Grunde nach hafte.

III. Anmerkung

Wenn es noch eines Nachweises bedurfte, dass die Vernachlässigung von Compliance-Pflichten für Unternehmensverantwortliche teuer werden kann,[2] so ist dieser mit der Entscheidung des LG München I als erbracht anzusehen. Compliance ist kein akademisches Glasperlenspiel – und war es auch nie, wie die Münchener Richter indirekt bestätigen. Die Entscheidung lässt keinen Zweifel daran, dass Compliance „Chefsache“ ist. Im Hinblick auf ihre gesellschaftsrechtlichen Annahmen ist sie bisher überwiegend positiv aufgenommen worden.[3] Die für den zivilrechtlichen Laien überaus interessante Frage, wie überzeugend die Begründung eines Schadensersatzanspruchs ist,[4] der Anwaltskosten in Höhe von ca. EUR 12 Mio. miteinschließt, wird in der Rechtsmittelinstanz[5] zu klären sein.[6]

Insgesamt gesehen scheint die Bedeutung der Entscheidung eher auf affirmativer und „motivatorischer“ Ebene zu liegen: [7] Sie bestätigt vieles, was Gegenstand der bisherigen Compliance Diskussion war und deshalb hier nicht in extenso repetiert zu werden braucht. Bemerkenswert und kritisch zu hinterfragen ist allerdings, dass das Gericht von einer aktienrechtlichen Pflicht zur Einführung eines Compliance-Systems ausgeht.[8] Nukleus eines Compliance-Systems und die damit zusammenhängenden Kardinalpflichten des Vorstands lassen sich jedenfalls nach Auffassung des LG München I wie folgt zusammenfassen:

• Aufgrund seiner Legalitätspflicht muss ein Vorstandsmitglied sich nicht nur selbst rechtskonform verhalten, es hat auch dafür zu sorgen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße stattfinden.

• Diese aus dem AktG ableitbare Überwachungspflicht gebietet die Installation eines Systems, das geeignet ist, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, wovon auch Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften umfasst sind.

• Einer derartigen Organisationspflicht genügt der Vorstand bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang dieser Compliance-Organisation sind Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit.

• Ein Vorstandsmitglied, das von Gesetzesverletzungen Kenntnis erlangt, hat ausreichende Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen, zu deren Beendigung sowie zur Ahndung im Hinblick auf die involvierten Mitarbeiter zu treffen. Es ist ferner verpflichtet, adäquat auf Hinweise zu reagieren, die auf die mangelnde Effizienz des Compliance-Systems und die mangelnde Verlässlichkeit von Compliance-Verantwortlichen hindeuten.

• Der Vorstand ist in der Regel verpflichtet, eine klare organisatorische Zuordnung der Compliance-Verantwortung zu treffen. Dies umfasst auch die Festlegung einer Berichtslinie.

• Diejenigen, die von ihm mit der Überwachung von Compliance-Vorgaben beauftragt werden, müssen hinreichende Befugnisse haben, um (disziplinarische) Konsequenzen aus Verstößen ziehen zu können.

• Die Einrichtung eines mangelhaften Compliance-Systems und dessen unzureichende Überwachung bedeuten eine Pflichtverletzung i.S.v. § 93 AktG.

• Die Berufung darauf, dass der Begriff der „Compliance“ im fraglichen Zeitpunkt noch nicht etabliert gewesen sei, führt nicht zur Exkulpation.

Substantiell Neues enthält die Entscheidung nach der Wahrnehmung des Verfassers nicht, da schon in der Literatur eine aktienrechtliche Pflicht zur Einführung eines Compliance-Systems bejaht wurde. Bislang noch zögerliche Unternehmenslenker werden mit ihr wahrscheinlich motiviert werden können, sich (noch intensiver) mit Compliance zu beschäftigen.[9] Welchen Wert allerdings ein „tone from the top“ hat, bei dem man vermuten kann, dass man ihn aus Angst der Führungsebene vor persönlichen Haftungsrisiken vernimmt und dem insofern eine intrinsische Motivation abgeht, soll hier nicht weiter thematisiert werden.

Erwähnenswert ist, dass die Kammer einer Exkulpation des Beklagten im Hinblick darauf, dass Compliance zum damaligen Zeitpunkt noch kein etabliertes Phänomen war, eine Absage erteilte.[10] Sicherlich ist die Verpflichtung des Vorstands, sich selbst bei Ausübung der Geschäftsleitertätigkeit rechtmäßig zu verhalten und das rechtmäßige Verhalten nachgeordneter Mitarbeiter zu überwachen nichts Neues. Sie ergibt sich (wenngleich nicht ausdrücklich) aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG.[11] Neu ist aber, dass die Kammer – durchaus zweifelhaft – das den Geschäftsleitern bislang zur Erfüllung dieser Pflicht eingeräumte Ermessen erheblich einschränkt und konkrete Vorgaben postuliert.[12] Aus spezifisch wirtschaftsstrafrechtlicher Perspektive scheint die Entscheidung nur bedingt als Impulsgeber zu taugen.[13] Dass die Vernachlässigung von Compliance-Pflichten keinen Vorsatz im strafrechtlichen Sinne indiziert, hat Fleischer bereits festgehalten.[14] Allerdings kann die Untätigkeit eines Garanten trotz konkreter Anhaltspunkte für bevorstehende Straftaten durchaus einen Vorsatz-Vorwurf rechtfertigen.[15] Im Hinblick auf § 130 OWiG steht zu erwarten, dass an Compliance interessierte Verfolgungsbehörden die Entscheidung dazu nutzen werden, um in geeigneten Fällen die unzureichende Durchführung erforderlicher Aufsichtsmaßnahmen argumentativ zu untermauern.[16] Das LG München I hat nicht nur unterstrichen, dass unternehmensinterne Untersuchungen grundsätzlich notwendig sind, um auf informierter Basis Entscheidungen treffen zu können. Es hat auch eine gesellschaftsrechtliche Aufklärungspflicht angenommen, die als Pflicht zur Durchführung interner Untersuchungen interpretiert und deren Erfüllung gleichzeitig als Aufsichtsmaßnahme im Sinne von § 130 OWiG verstanden werden könnte. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, neben der Implementierung präventiv wirkender Instrumentarien, interne Abläufe und Regeln für die Aufklärung von Verdachtsfällen festzulegen. Trotz aller Vorbehalte, die man im Detail gegen solche Untersuchungen haben kann, ist man gut beraten, sie als notwendigen Bestandteil von Compliance anzuerkennen.

Nicht zu überzeugen vermag die Annahme des LG München I, das verstärkte Auftreten von Verdachtsmomenten sei ein Indikator für das Nichtfunktionieren eines Compliance-Systems.[17] Wenn man ein Ziel von Compliance-Systemen darin erblickt, potentiell kritische Sachverhalte zu identifizieren, kann dessen Erreichen nicht in ein Systemversagen umgedeutet werden.[18] Auch im umgekehrten Fall, in dem überhaupt keine Verdachtsmomente zu Tage treten, verbietet sich ein voreiliger Rückschluss auf die Funktionsweise des Systems. Letzteres kann entweder absolut effektiv arbeiten oder aber überhaupt nicht. Wirklichkeitsfremd wäre die Erwartung, größere Unternehmen blieben von dem regelmäßigen Auftreten von Verdachtsfällen verschont. Selbst wenn solche Fälle alle aus ein und demselben Unternehmenssegment herrühren, ist noch kein strukturelles Versagen zu konstatieren. Es ist – wie häufig- eine Frage des Einzelfalls, welches Bild sich bei angemessener Sachverhaltswürdigung ergibt.

Praktiker mit didaktischem Anspruch wissen, dass es kaum etwas Blutleereres gibt, als Wissensvermittlung ohne Referenz auf geeignetes Fallmaterial. Die Entscheidung des LG München I ist auch insofern ein willkommener Farbtupfer.

I. Sachverhalt

Der Beklagte war von 1998 bis 2006 ordentliches Vorstandsmitglied der Klägerin, Mitglied des Zentralvorstandes und Leiter der Zentralabteilung Corporate Finance.

Nach den Feststellungen des Gerichts hatte sich während seiner Amtszeit als Vorstandsmitglied bei der Klägerin ein „System schwarzer Kassen“ etabliert, das sich später zu einem System von Scheinberaterverträgen zur Verschleierung von Korruptionszahlungen entwickelte. Trotz wiederholter Hinweise auf eine hohe Anzahl von Bestechungsfällen im Ausland, Schmiergeldzahlungen durch Mitarbeiter der Klägerin an ausländische Amtsträger und das mangelhafte Compliance-System des Konzerns hatten die Vorstandsmitglieder, darunter auch der Beklagte, keine ausreichende Maßnahmen zur Aufklärung und Systemüberprüfung getroffen.

Die Schmiergeldzahlungen führten in einem anderen Verfahren zur Verhängung zweier Bußgeldbescheide in Höhe von EUR 201 Mio. und EUR 395 Mio. gegen die jetzige Klägerin. Zur Aufklärung des „Systems schwarzer Kassen“ hatte diese zuvor eine US-amerikanische Rechtsanwaltskanzlei beauftragt. Diese erhielt hierfür ein Honorar von EUR 12,97 Mio.

Daraufhin machte der Aufsichtsrat der Klägerin gegen die Vorstandsmitglieder Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung von Compliance-Pflichten geltend. Während diesbezüglich mit neun Vorstandsmitgliedern Vergleiche geschlossen wurden, verneinte der Beklagte eine Pflichtverletzung und lehnte einen Vergleich über 4 Mio. Euro ab.

Infolgedessen erhob die Klägerin gegen den Beklagten Klage vor dem Landgericht München I und machte als Schadensposten die Honorarkosten der Rechtsanwaltskanzlei in Höhe von 12,85 Mio. Euro sowie eine Zahlung von EUR 2,15 Mio. aufgrund eines mutmaßlich unwirksamen Beratervertrages an einen Empfänger in Nigeria geltend.

II. Entscheidungsgründe

Das LG München I gab der auf § 93 Abs. 2 AktG gestützten Klage in vollem Umfang statt, da der Beklagte seinen Compliance-Pflichten nicht genügt habe.

Aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG ergibt sich die Pflicht für ein Vorstandsmitglied, im Außenverhältnis sämtliche Vorschriften einzuhalten, die das Unternehmen als Rechtssubjekt treffen.[1] Aus der Legalitätspflicht des Vorstandes, die durch § 91 Abs. 2 AktG konkretisiert wird, folgt, dass der Vorstand Gesetzesverletzungen durch Mitarbeiter vorbeugen muss und dementsprechend eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einzurichten hat. Weiterhin muss bei Bekanntwerden von Gesetzesverletzungen oder Anhaltspunkten hierfür eine effektive Aufklärung, Untersuchung und Ahndung der Mitarbeiter vorgenommen werden. Das LG München I konstatiert darüber hinaus, dass die Pflicht zur Schaffung eines funktionierenden Compliance-Systems in den Gesamtverantwortungsbereich des Vorstandes fällt.

Aus diesen Grundsätzen leitete das Gericht mehrere vom Beklagten begangene Pflichtverletzungen ab. Aus Artikel 2 § 1 EUBestG, Art. 2 § 2 IntBestG und § 299 Abs. 3 StGB ergeben sich die strafbewährten Verbote Schmiergeldzahlungen an Amtsträger ausländischer Staaten sowie an ausländische Privatpersonen zu erbringen.

Es wirft dem Beklagten zunächst vor, dass er trotz immer wiederkehrender Hinweise auf die Existenz schwarzer Kassen und Bestechungszahlungen keine ausreichenden Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen eingeleitet und betroffene Mitarbeiter nicht geahndet habe. Darüber hinaus habe der Beklagte trotz der Hinweise der mangelnden Effizienz des Compliance-Systems und der mangelnden Verlässlichkeit der Regional Compliance Officer keine Maßnahmen zur Effizienzsteigerung des Compliance-Systems ergriffen.

Außerdem sei der Berater- bzw. Vermittlungsvertrag, der zum Schein abgeschlossen wurde, mangels funktionierenden Compliance-Systems nicht überprüft worden. In dieser Hinsicht hätte eine Überprüfung vorgenommen werden müssen, ob diese Beraterleistungen tatsächlich erbracht wurden. Das LG München I verweist darauf, dass mit einer zentralen Erfassung sämtlicher Beraterverträge die Überprüfung möglich gewesen wäre, ob und welche Leistungen wirklich erbracht wurden.

Im Hinblick auf die Gesamtverantwortung des Vorstandes für ein effektives Compliance-System hat das Gericht eine Pflichtverletzung weiterhin in der fehlenden Regelung klarer Zuständigkeiten und ausreichender Kompetenzen gesehen. Der Vorstand und somit auch der Beklagte hätten keine klaren Regelungen geschaffen, wer auf der Ebene des Gesamtvorstandes die Hauptverantwortung für die effektive Compliance zu tragen hat. Weiterhin hätte der Vorstand eine Person mit hinreichenden Handlungsbefugnissen betrauen müssen, um Rechtsverstöße ordnungsgemäß ahnden zu können.

Der Beklagte habe demnach bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters als Maßstab, wie er in § 93 Abs. 1 AktG S. 1 normiert ist, verletzt, weshalb er dem Grunde nach hafte.

III. Anmerkung

Wenn es noch eines Nachweises bedurfte, dass die Vernachlässigung von Compliance-Pflichten für Unternehmensverantwortliche teuer werden kann,[2] so ist dieser mit der Entscheidung des LG München I als erbracht anzusehen. Compliance ist kein akademisches Glasperlenspiel – und war es auch nie, wie die Münchener Richter indirekt bestätigen. Die Entscheidung lässt keinen Zweifel daran, dass Compliance „Chefsache“ ist. Im Hinblick auf ihre gesellschaftsrechtlichen Annahmen ist sie bisher überwiegend positiv aufgenommen worden.[3] Die für den zivilrechtlichen Laien überaus interessante Frage, wie überzeugend die Begründung eines Schadensersatzanspruchs ist,[4] der Anwaltskosten in Höhe von ca. EUR 12 Mio. miteinschließt, wird in der Rechtsmittelinstanz[5] zu klären sein.[6]

Insgesamt gesehen scheint die Bedeutung der Entscheidung eher auf affirmativer und „motivatorischer“ Ebene zu liegen: [7] Sie bestätigt vieles, was Gegenstand der bisherigen Compliance Diskussion war und deshalb hier nicht in extenso repetiert zu werden braucht. Bemerkenswert und kritisch zu hinterfragen ist allerdings, dass das Gericht von einer aktienrechtlichen Pflicht zur Einführung eines Compliance-Systems ausgeht.[8] Nukleus eines Compliance-Systems und die damit zusammenhängenden Kardinalpflichten des Vorstands lassen sich jedenfalls nach Auffassung des LG München I wie folgt zusammenfassen:

• Aufgrund seiner Legalitätspflicht muss ein Vorstandsmitglied sich nicht nur selbst rechtskonform verhalten, es hat auch dafür zu sorgen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße stattfinden.

• Diese aus dem AktG ableitbare Überwachungspflicht gebietet die Installation eines Systems, das geeignet ist, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, wovon auch Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften umfasst sind.

• Einer derartigen Organisationspflicht genügt der Vorstand bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang dieser Compliance-Organisation sind Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit.

• Ein Vorstandsmitglied, das von Gesetzesverletzungen Kenntnis erlangt, hat ausreichende Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen, zu deren Beendigung sowie zur Ahndung im Hinblick auf die involvierten Mitarbeiter zu treffen. Es ist ferner verpflichtet, adäquat auf Hinweise zu reagieren, die auf die mangelnde Effizienz des Compliance-Systems und die mangelnde Verlässlichkeit von Compliance-Verantwortlichen hindeuten.

• Der Vorstand ist in der Regel verpflichtet, eine klare organisatorische Zuordnung der Compliance-Verantwortung zu treffen. Dies umfasst auch die Festlegung einer Berichtslinie.

• Diejenigen, die von ihm mit der Überwachung von Compliance-Vorgaben beauftragt werden, müssen hinreichende Befugnisse haben, um (disziplinarische) Konsequenzen aus Verstößen ziehen zu können.

• Die Einrichtung eines mangelhaften Compliance-Systems und dessen unzureichende Überwachung bedeuten eine Pflichtverletzung i.S.v. § 93 AktG.

• Die Berufung darauf, dass der Begriff der „Compliance“ im fraglichen Zeitpunkt noch nicht etabliert gewesen sei, führt nicht zur Exkulpation.

Substantiell Neues enthält die Entscheidung nach der Wahrnehmung des Verfassers nicht, da schon in der Literatur eine aktienrechtliche Pflicht zur Einführung eines Compliance-Systems bejaht wurde. Bislang noch zögerliche Unternehmenslenker werden mit ihr wahrscheinlich motiviert werden können, sich (noch intensiver) mit Compliance zu beschäftigen.[9] Welchen Wert allerdings ein „tone from the top“ hat, bei dem man vermuten kann, dass man ihn aus Angst der Führungsebene vor persönlichen Haftungsrisiken vernimmt und dem insofern eine intrinsische Motivation abgeht, soll hier nicht weiter thematisiert werden.

Erwähnenswert ist, dass die Kammer einer Exkulpation des Beklagten im Hinblick darauf, dass Compliance zum damaligen Zeitpunkt noch kein etabliertes Phänomen war, eine Absage erteilte.[10] Sicherlich ist die Verpflichtung des Vorstands, sich selbst bei Ausübung der Geschäftsleitertätigkeit rechtmäßig zu verhalten und das rechtmäßige Verhalten nachgeordneter Mitarbeiter zu überwachen nichts Neues. Sie ergibt sich (wenngleich nicht ausdrücklich) aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG.[11] Neu ist aber, dass die Kammer – durchaus zweifelhaft – das den Geschäftsleitern bislang zur Erfüllung dieser Pflicht eingeräumte Ermessen erheblich einschränkt und konkrete Vorgaben postuliert.[12] Aus spezifisch wirtschaftsstrafrechtlicher Perspektive scheint die Entscheidung nur bedingt als Impulsgeber zu taugen.[13] Dass die Vernachlässigung von Compliance-Pflichten keinen Vorsatz im strafrechtlichen Sinne indiziert, hat Fleischer bereits festgehalten.[14] Allerdings kann die Untätigkeit eines Garanten trotz konkreter Anhaltspunkte für bevorstehende Straftaten durchaus einen Vorsatz-Vorwurf rechtfertigen.[15] Im Hinblick auf § 130 OWiG steht zu erwarten, dass an Compliance interessierte Verfolgungsbehörden die Entscheidung dazu nutzen werden, um in geeigneten Fällen die unzureichende Durchführung erforderlicher Aufsichtsmaßnahmen argumentativ zu untermauern.[16] Das LG München I hat nicht nur unterstrichen, dass unternehmensinterne Untersuchungen grundsätzlich notwendig sind, um auf informierter Basis Entscheidungen treffen zu können. Es hat auch eine gesellschaftsrechtliche Aufklärungspflicht angenommen, die als Pflicht zur Durchführung interner Untersuchungen interpretiert und deren Erfüllung gleichzeitig als Aufsichtsmaßnahme im Sinne von § 130 OWiG verstanden werden könnte. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, neben der Implementierung präventiv wirkender Instrumentarien, interne Abläufe und Regeln für die Aufklärung von Verdachtsfällen festzulegen. Trotz aller Vorbehalte, die man im Detail gegen solche Untersuchungen haben kann, ist man gut beraten, sie als notwendigen Bestandteil von Compliance anzuerkennen.

Nicht zu überzeugen vermag die Annahme des LG München I, das verstärkte Auftreten von Verdachtsmomenten sei ein Indikator für das Nichtfunktionieren eines Compliance-Systems.[17] Wenn man ein Ziel von Compliance-Systemen darin erblickt, potentiell kritische Sachverhalte zu identifizieren, kann dessen Erreichen nicht in ein Systemversagen umgedeutet werden.[18] Auch im umgekehrten Fall, in dem überhaupt keine Verdachtsmomente zu Tage treten, verbietet sich ein voreiliger Rückschluss auf die Funktionsweise des Systems. Letzteres kann entweder absolut effektiv arbeiten oder aber überhaupt nicht. Wirklichkeitsfremd wäre die Erwartung, größere Unternehmen blieben von dem regelmäßigen Auftreten von Verdachtsfällen verschont. Selbst wenn solche Fälle alle aus ein und demselben Unternehmenssegment herrühren, ist noch kein strukturelles Versagen zu konstatieren. Es ist – wie häufig- eine Frage des Einzelfalls, welches Bild sich bei angemessener Sachverhaltswürdigung ergibt.

Praktiker mit didaktischem Anspruch wissen, dass es kaum etwas Blutleereres gibt, als Wissensvermittlung ohne Referenz auf geeignetes Fallmaterial. Die Entscheidung des LG München I ist auch insofern ein willkommener Farbtupfer.

[1] LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, BeckRS 2014, 01998.

[2] Für eine Haftungsbegrenzung nachfolgender Schadensersatzansprüche Haarmann/Weiß BB 2014, 2115 (2124 f.).

[3] Fleischer NZG 2014, 321 (327, 329); Hahn EWiR 2014, 175, 176. Kritisch allerdings Oppenheim DStR 2014, 1063 (1065) und Rathgeber NZWiST 2014, 192 (193).

[4] Vgl. Fett CCZ 2014, 143 (144); Fleischer NZG 2014, 321 (326 f.).

[5] Derzeit wird ein Rechtsmittelverfahren vor dem OLG München unter dem Az. 7 U 113/14 geführt.

[6] Am Bestand der Entscheidung zweifelt Oppenheim hinsichtlich den konkreten Vorgaben zur Compliance-Ausgestaltung, vgl. ders., DStR 2014, 1063 (1065).

[7] Hahn EWiR 2014, 175 bezeichnet die Entscheidung hingegen als „bemerkenswert und wegweisend“; Spießhofer nennt sie „Aufsehen erregend“, dies., NJW 2014, 2473 (2474); Oppenheim schließt sich Bachmanns Aussage an, das Urteil sei ein „Paukenschlag“, ders., DStR 2014, 1063 (1064) mwN..

[8] Rathgeber NZWiSt 2014, 192 (193). Oppenheim entnimmt der Entscheidung hingegen nicht, dass die Kammer von einer pauschalen Pflicht ausgehe, sondern ordnet sie insoweit der bislang herrschenden Meinung der Literatur zu, wonach die Pflicht sich nach der Größe und dem entsprechenden Gefahrenpotential der Gesellschaft richte. Die allgemeinverbindlichen Vorgaben am Ende des Urteils stünden zu dieser grundsätzlichen Haltung im Widerspruch; vgl. ders., DStR 2014, 1063 (1064 f.).

[9] Vgl. Dohrn Newsdienst Compliance 2014, 22101; Fett CCZ 2014, 143 (144).

[10] Zustimmend Fleischer NZG 2014, 321 (323); zum Begriff und seiner Reichweite Gärtner, BB 2014, 2627 (2627); Oppenheim DStR 2014, 1063 (1063).

[11] Vgl. Oppenheim DStR 2014, 1063 (1063) mwN.

[12] Oppenheim DStR 2014, 1063 (1065).

[13] Dass dies nicht ihre Aufgabe ist, versteht sich von selbst.

[14] Fleischer NZG 2014, 321 (322).

[15] Vgl. dazu Dann/Mengel NJW 2010, 3265 (3268) mwN; Heuchemer in: BeckOK, StGB, § 13, Rn. 71 mwN.

[16] Ähnlich Grützner BB 2014, 850 (852).

[17] Grützner BB 2014, 850 (851).

[18] Der Eintritt eines Schadens ändert daran nichts. Sind Vorkehrungen getroffen worden, kann nicht allein aus dem Schaden auf ein billigendes In-Kauf-nehmen geschlossen werden; dazu Gärtner BB 2014, 2627 (2631).

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Matthias Dann, LL.M.
    Dr. Matthias Dann ist Rechtsanwalt und Partner der auf Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Wessing und Partner in Düsseldorf. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählt u. a. die Beratung von Unternehmen in Wirtschaftsstrafsachen und Compliance-Fragen. Er ist Ansprechpartner für den Arbeitskreis „Wettbewerbs- und Korruptionsstrafrecht“ in der WisteV.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung