Assessor auf niedersächsisch – Konsequenzen unabsehbar
Der Vorwurf, über den aktuell in den Medien berichtet wird, klingt ungeheuerlich: Ein beim niedersächsischen Landesjustizprüfungsamt in Hannover als Referatsleiter tätiger Richter soll Rechtsreferendaren Examensklausuren aus ihrem bevorstehenden Prüfungstermin mit von ihm erstellter Lösungsskizze zum Kauf angeboten haben, teilweise selbst, teilweise über einen befreundeten Repetitor. Spektakulär wird der Fall, sollte es infolgedessen zu der Aberkennung der Examensleistungen kommen. Dann dürfte sich Praktikern nämlich die Frage stellen nach der Wirksamkeit von Gerichtsurteilen, Beschlüssen und Verwaltungsentscheidungen unter Mitwirkung von Richtern, Verwaltungsjuristen und Rechtsanwälten, die sich ihr Examen und ihren Beruf erschlichen haben.
I. Sachverhalt
1. Das „unmoralische“ Angebot
Zielgruppe des Referatsleiters aus dem Landesjustizprüfungsamt Hannover sollen vor allem Examenswiederholer gewesen sein, die für ihre Prüfung gem. § 17 Abs. 1 NJAG (Niedersächsisches Justizausbildungsgesetz) regelmäßig nur noch einen einzigen, weiteren Versuch hatten. Zu diesen stand er als Übungsleiter in regelmäßigem Kontakt. Gerade Kandidaten, die in den Übungskursen und Übungsklausuren nach wie vor durch schwache Leistungen auffielen, soll der Referatsleiter sein „unmoralisches“ Angebot gemacht haben. Einer von ihnen berichtete, sein Übungsleiter hätte ihm die bevorstehenden Examensklausuren nebst Lösungsskizze zu je 3.000 € das Stück angeboten. Kaufe er vier von den acht Klausuren, sei er auf der sicheren Seite, da er mindestens drei Klausuren bestehen müsse.[1] Mindestens zwei weitere Referendare bestätigten, auch ihnen hätte ihr Übungsleiter persönlich die Prüfungsfragen zum Kauf angeboten. Eine andere Examenskandidatin behauptete Mitte Januar 2014 gegenüber dem Landesjustizprüfungsamt, ihr Repetitor hätte ihr die Fragen angetragen. Mit diesem Repetitor war der Referatsleiter aus dem Prüfungsamt gut befreundet. Beide hatten ursprünglich für dasselbe Repetitorium gemeinsam als Dozent gearbeitet.
2. Nachträgliche Überprüfung der Examensleistungen
Das niedersächsische Justizministerium hat alle geschriebenen Examensklausuren seit Beginn der Tätigkeit des Richters im Prüfungsamt im Jahr 2011 überprüft, insgesamt 2.000 Stück. Dabei sollen in mindestens fünfzehn Fällen Betrugsanzeichen festgestellt worden sein. Einige der Prüflinge, bei denen Auffälligkeiten zutage getreten seien, seien tatsächlich im Staatsdienst als Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsjuristen beschäftigt. In allen Verdachtsfällen würden nun Verfahren zur Aberkennung des zweiten juristischen Staatsexamens eingeleitet. „Korruption dürfe besonders in der Justiz keine Chance haben“, betonte ein Sprecher aus dem Landesjustizministerium.[2]
3. Strafverfolgung
Zwischenzeitlich befindet sich der Referatsleiter aus dem Landesjustizprüfungsamt Hannover in Untersuchungshaft. Gegen ihn wurde ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel eingeleitet, ihn aus seinem Richteramt zu entfernen. Er wurde vorläufig vom Dienst enthoben, seine Bezüge wurden um die Hälfte gekürzt. Die in Niedersachsen für Korruptionsstraftaten zuständige Staatsanwaltschaft Verden erhob gegen ihn Anklage zum LG Lüneburg u. a. wegen Bestechlichkeit im besonders schweren Fall und der Verletzung von Dienstgeheimnissen.[3] Das LG ließ die Anklage zu und eröffnete die Hauptverhandlung. Gegen den Repetitor ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Beihilfe. Bekannt wurde auch, dass gegen verschiedene ehemalige Rechtsreferendare ermittelt wird. Lt. Auskunft eines niedersächsischen Staatsanwalts sollen durch die Strafverfolgungsbehörden mindestens drei Büros sowie Privatwohnungen durchsucht worden sein.
II. Rechtliche Bewertung der Handlungen des Referatsleiters
Den o. g. Sachverhalt zugrunde gelegt, zeigte sich der Referatsleiter in der Tat durch die Herausgabe der Examensklausuren aus dem bevorstehenden Prüfungstermin nebst Lösungen gegen Geld als bestechlich i. S. d. § 332 Abs. 2 StGB. Wegen seiner herausgehobenen Stellung als Richter wird die Bestechlichkeit gem. Abs. 2 mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren geahndet. Der Beschuldigte ließ sich nämlich Geld versprechen für eine pflichtwidrige, richterliche Handlung. Zu diesen zählt keinesfalls nur die rechtsprechende Tätigkeit. Denn hier war der Richter im Landesjustizprüfungsamt tätig. Die Examensklausuren standen unter seiner besonderen Obhut. Die Entscheidung über ihre Freigabe zählte deshalb zu seinen richterlichen Pflichten. In der Herausgabe der Klausuren nebst Lösung an unbefugte Dritte lag mithin eine richterliche Handlung, die den Vorwurf der Bestechlichkeit gem. § 332 Abs. 2 StGB qualifizierte.
Bestechlichkeit im besonders schweren Fall i. S. d. § 332 Abs. 2 StGB rechtfertigt gem. § 63 Abs. 1 DRiG (Deutsches Richtergesetz) i. V. m. § 13 Abs. 2 S. 1 BDG (Bundesdisziplinargesetz) die Entfernung des Referatsleiters aus seinem Richteramt. Deshalb konnte er gem. § 63 Abs. 2 DRiG, wie geschehen, vorläufig vom Dienst enthoben werden. Seine Bezüge durften nach dieser Vorschrift ebenfalls, wie erfolgt, um die Hälfte gekürzt werden.
III. Auswirkungen auf die Staatsexamina
1. Regelungen des NJAG und anderer Prüfungsordnungen
Bei einem Täuschungsversuch im niedersächsischen juristischen Staatsexamen ist gem. § 15 Abs. 1 S. 1 NJAG die betroffene Prüfungsleistung in der Regel mit der Note „ungenügend“ zu bewerten. Ein Täuschungsversuch liegt insbesondere dann vor, wenn der Prüfungskandidat das Ergebnis der Staatsprüfung durch Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel oder unzulässige Hilfe Dritter zu beeinflussen sucht. Gem. § 15 Abs. 1 S. 3 NJAG ist im Falle eines schweren Täuschungsversuchs die gesamte Staatsprüfung für „ungenügend“ zu erklären. Wird ein solcher, schwerer Täuschungsversuch erst nach der Verkündung der Prüfungsgesamtnote bekannt, so kann die Staatsprüfung gem. § 15 Abs. 2 NJAG innerhalb einer Frist von fünf Jahren seit dem Tag der mündlichen Prüfung noch nachträglich für nicht bestanden erklärt werden. Das Prüfungszeugnis ist in diesem Fall einzuziehen.
Neben § 15 Abs. 1 und Abs. 2 NJAG lohnt sich zugleich ein Blick auf die Prüfungsordnungen anderer Bundesländer. Denn nicht nur das Assessorexamen in Niedersachsen soll betroffen sein. U. U. gab es nämlich zwischen verschiedenen Prüfungsämtern einen Ringtausch ihrer Examensthemen. § 21 Abs. 2 und Abs. 4 der Übereinkunft der Länder Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein über ein gemeinsames Prüfungsamt und eine gemeinsame Prüfungsordnung für die zweite juristische Staatsprüfung enthält Regelungen, die inhaltlich mit § 15 Abs. 1 und Abs. 2 NJAG übereinstimmen. Entsprechende Bestimmungen gibt es in den Prüfungsordnungen der übrigen Bundesländer.
2. Strafbarkeit wegen Richterbestechung gem. § 334 Abs. 2 Nr. 2 StGB
Dass der Kauf von Original-Examensklausuren nebst Lösungsskizze von einem Mitglied des Landesjustizprüfungsamtes einen besonders schweren Täuschungsversuch darstellt, der es rechtfertigt, das Examen auch noch nachträglich insgesamt abzuerkennen und das Examenszeugnis einzuziehen, dürfte offensichtlich sein. Denn der Prüfungskandidat macht sich dadurch sogar strafbar. Er gewährt nämlich einem Richter gem. § 334 Abs. 2 Nr. 2 StGB einen monetären Vorteil dafür, dass er eine richterliche Handlung vornimmt und dadurch seine richterlichen Pflichten verletzt. Zu den richterlichen Handlungen i. S. d. § 334 Abs. 2 Nr. 2 StGB gehört nämlich, wie oben unter II. ausgeführt, keinesfalls nur die rechtsprechende Tätigkeit. Das gilt insbesondere für einen im Landesjustizprüfungsamt tätigen Richter. Das Verhalten des Prüfungskandidaten wird deshalb als Richterbestechung mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
3. „Agent Provocateur“
Der Umstand, dass der Referatsleiter aus dem Prüfungsamt dem Kandidaten die Examensklausuren und Lösungen von sich aus angeboten hat, ändert nichts an der Tatbestandsmäßigkeit des § 334 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Da dieser durch sein Angebot selbst seine richterlichen Pflichten auf das Gravierendste verletzte, trat er zudem keinesfalls verdeckt im Namen des Staates als sog. „Agent Provocateur“[4] auf. Im Gegenteil: Stets sprach er gegenüber seinen Zielpersonen von einem „unmoralischen“ Angebot. Sollten sie ihn beim Prüfungsamt melden, würde er alles abstreiten. Die Prüflinge wussten also ganz genau, wie falsch sie sich verhalten, wenn sie auf das Angebot eingehen. Sie wurden durch den Referatsleiter nicht getäuscht oder verleitet. Aus diesem Grund ändert sich auch an der Schwere der Tat nichts.
4. Beweisanforderungen
Gerade wegen der Schwere des Tatvorwurfs und der ernsten straf- und prüfungsrechtlichen Konsequenzen müssen aber die Beweisanforderungen besonders hoch sein. Deshalb dürften selbst erhebliche Leistungssteigerungen gegenüber dem ersten, nicht bestandenen Examensversuch keinesfalls genügen. Denn der Ergänzungsvorbereitungsdienst ist ja gerade darauf angelegt, bestehende Defizite zu beseitigen und insbesondere auch die Klausurroutine durch eine Vielzahl von Übungsklausuren zu steigern. Auch Übereinstimmungen mit der amtlichen Lösungsskizze legen nicht unbedingt nahe, dass der Prüfling unerlaubt an die Klausuren und die Skizze gekommen ist. Bei der Anfertigung einer stringenten Lösungsskizze handelt es sich nämlich – zumindest auch – um ein Handwerk, das sich insbesondere mit genügender Routine durch Übungsklausuren erlernen lässt.
Im Einzelfall könnten gleichwohl besondere Leistungssteigerungen gegenüber nur kurze Zeit zurückliegender Übungsklausuren oder Ausreißer in einzelnen Examensklausuren bei ansonsten mangelhafter Leistungen für die Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung der Prüfungsleistungen ausreichend sein. Für einen Bestechungsanfangsverdacht gem. § 152 Abs. 2 StPO dürften besonders auffällige Leistungssteigerungen ebenfalls genügen. Denn für die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens reicht es aus, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Straftat möglicherweise begangen hat. Endgültig aberkannt werden darf dem Assessor sein Examen allerdings erst und ausschließlich dann, wenn ihm durch Zeugen oder durch im Rahmen einer Durchsuchung gem. § 102 StPO aufgefundene Dokumente nachgewiesen werden kann, dass er von dem Referatsleiter oder seinem Mittäter aus dem Prüfungsamt unzulässigerweise die Examens-Originalklausuren oder die Lösungen erhalten hat.
Ob der Prüfling hierfür Geld gezahlt hat, ist für den Täuschungsvorwurf irrelevant, dagegen erforderlich für jede strafbare Richterbestechung gem. § 334 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Nur wenn wie hier eine Geldzahlung nachgewiesen ist, ist der für eine Anklage erforderliche hinreichende Tatverdacht gem. § 170 Abs. 1 StPO gegeben, nach dem eine Verurteilung wahrscheinlicher sein muss als ein Freispruch.
5. Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO
Der Widerspruch und die Anfechtungsklage gegen die Aberkennung des Assessorexamens haben gem. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Diese entfällt nur, wenn das Landesjustizprüfungsamt gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse die sofortige Vollziehung anordnet. Diese darf nicht generell bestimmt werden. Zwar scheint es stets im öffentlichen Interesse zu sein, einen Richter, Staatsanwalt, Verwaltungsjuristen oder Rechtsanwalt, der sich seinen Beruf durch Täuschung erschlichen hat, möglichst schnell aus eben diesem zu entfernen. Hierfür ist die Aberkennung seiner Examensleistungen Grundvoraussetzung.
Der Gesetzgeber, der gem. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hätte anordnen können, dass der Widerspruch und die Anfechtungsklage eben keine aufschiebende Wirkung haben, verzichtete allerdings auf eine solche Regelung. Das zeigt, dass das Prüfungsamt selbst bei einem schweren Täuschungsversuch – denn nur dieser rechtfertigt auch noch nachträglich fünf Jahre lang die Aberkennung des Assessorexamens – nur im Ausnahmefall die sofortige Vollziehung anordnen darf. Beging der Assessor durch die Täuschung jedoch gleichzeitig eine durch Freiheitsstrafe zu ahnende Straftat wie die Richterbestechung gem. § 334 Abs. 2 Nr. 2 StGB, macht das deutlich, dass ihm absolut die charakterliche Eignung für den Beruf des Richters, Staatsanwalts, verbeamteten Verwaltungsjuristen oder Rechtsanwalts fehlt. In einem solchen Fall könnte die Anordnung der sofortigen Vollziehung tatsächlich gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse, nämlich im Interesse der rechtssuchenden Bevölkerung, liegen.
IV. Konsequenzen für die berufliche Stellung
1. Ernennung zum Richter
Assessoren werden gem. § 12 Abs. 1 DRiG zunächst zum Richter auf Probe ernannt. Nach frühestens drei Jahren kann ein Richter auf Probe bei entsprechender Bewährung gem. § 10 Abs. 1 DRiG zum Richter auf Lebenszeit ernannt werden. Diese Ernennung muss gem. § 12 Abs. 2 DRiG spätestens nach fünf Jahren erfolgen. Hat sich der Proberichter nicht bewährt und zeigt er sich für das Richteramt nicht geeignet, kann er gem. § 22 Abs. 2 DRiG nach Ablauf des dritten oder vierten Jahres aus dem Proberichterverhältnis entlassen werden. Die Ernennung des Richters erfolgt gem. § 17 Abs. 1 DRiG durch die Aushändigung der Richterurkunde. Wann die Richterernennung zur Probe oder auf Lebenszeit nichtig ist, ist abschließend geregelt.[5] Die Richtergesetze der Bundesländer, z. B. diejenigen von Niedersachen, § 2 Abs. 1 NRiG, Hamburg, § 8 Abs. 1 HmbRiG, und Bremen, § 4 Abs. 1 BremRiG, verweisen hierzu auf das DRiG und auf die Rechtsvorschriften für Landesbeamte. Die Landesbeamtengesetze, insbesondere diejenigen von Niedersachsen, § 11 NBG, Hamburg, § 11 HmbBG, und Bremen, § 11 BremBG, wiederum verweisen hinsichtlich der Nichtigkeit ausnahmslos auf § 11 BeamtStG (Beamtenstatusgesetz).
Ein durch Täuschung erschlichenes Staatsexamen gehört gerade nicht zu den Nichtigkeitstatbeständen der §§ 18 DRiG, 11 BeamtStG. Selbst die Aberkennung des Assessorexamens führt nicht zur Nichtigkeit. Allerdings ist die Richterernennung gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 DRiG zwingend zurückzunehmen, wenn der Ernannte nicht die Befähigung zum Richteramt besaß. Gem. § 5 Abs. 1 DRiG erwirbt die Befähigung zum Richteramt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten Prüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung abschließt. Solange das Assessorexamen nicht aberkannt ist, besitzt der Betroffene die Befähigung zum Richteramt. Ist das Staatsexamen hingegen rechtskräftig aberkannt oder ist die Aberkennung für sofort vollziehbar erklärt, geht auch die Befähigung zum Richteramt verloren. Dann ist die Ernennung zum Richter zurückzunehmen.
Kann das Assessorexamen trotz Täuschung nicht nachträglich aberkannt werden, etwa weil die Fünfjahresfrist des § 15 Abs. 2 NJAG abgelaufen ist oder weil die Täuschung nicht für schwerwiegend genug erachtet wird, ist die Rücknahme der Richterernennung nicht zulässig. Insbesondere ist die Rücknahme in einem solchen Fall nicht gem. § 19 Abs. 1 Nr. 3 DRiG (Zwang, arglistige Täuschung, Bestechung) möglich. Denn hinsichtlich einer Täuschung im Assessorexamen, die erst nachträglich bekannt wird, ist § 19 Abs. 1 Nr. 1 DRiG gegenüber § 19 Abs. 1 Nr. 3 DRiG die speziellere Vorschrift.
2. Ernennung zum Staatsanwalt
Zum Staatsanwalt kann gem. § 122 Abs. 1 DRiG nur ernannt werden, wer die Befähigung zum Richteramt besitzt. Wer später als Staatsanwalt verwendet werden soll, ist zudem gem. § 12 Abs. 1 DRiG zunächst zum Richter auf Probe zu ernennen. Daraus ergibt sich, dass die Ernennung zum Staatsanwalt aus denselben Gründen nichtig bzw. zurückzunehmen ist wie die Ernennung zum Richter. Trotz erschlichenen und nachträglich aberkannten Assessorexamens ist die Ernennung zum Staatsanwalt somit keinesfalls nichtig. Sie ist jedoch gem. §§ 122 Abs. 1, 19 Abs. 1 Nr. 1 DRiG zwingend zurückzunehmen.
3. Beamtenernennung
Die Beamtenernennung erfolgt gem. § 8 Abs. 2 BeamStG durch die Aushändigung der Ernennungsurkunde. Die Nichtigkeits- und Rücknahmetatbstände sind in den §§ 11, 12 BeamtStG definiert. Ein fehlendes zweites juristisches Staatsexamen führt nicht zur Nichtigkeit der Beamtenernennung gem. § 11 BeamtStG. Allerdings ist die Beamtenernennung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG zwingend mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sie durch Zwang, arglistige Täuschung oder Bestechung erschlichen wurde.
Wurde das Assessorexamen durch Täuschung und/oder Bestechung erschlichen und nachträglich wieder aberkannt, dürfte der Rücknahmetatbestand des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG ohne Weiteres erfüllt sein. Dagegen ist die Rücknahme wohl nicht möglich, wenn das Assessorexamen trotz Täuschung nicht aberkannt werden kann, weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 NJAG, § 21 Abs. 4 der Länderübereinkunft zwischen Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein oder der entsprechenden Vorschriften der übrigen Bundesländer nicht erfüllt sind.
Kann das Staatsexamen nicht nachträglich aberkannt werden, weil die Täuschung nicht schwerwiegend genug war, befand sich der Assessor nämlich im Zeitpunkt seiner Ernennung als Beamter im Besitz eines ohne wenn und aber gültigen, zweiten, juristischen Staatsexamens. Kann das Staatsexamen trotz schwerwiegender Täuschung nicht aberkannt werden, weil die Fünfjahresfrist verstrichen ist, dürfte die gebundene Rechtsfolge des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG verfassungsrechtlich problematisch sein. Denn spätestens dann dürfte der Beamte trotz seiner Täuschung im Staatsexamen Vertrauensschutz genießen, wie sich aus den §§ 15 Abs. 2 NJAG, 21 Abs. 4 der Länderübereinkunft zwischen Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein und den entsprechenden Vorschriften der anderen Bundesländer ergibt.
4. Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erfolgt gem. § 6 Abs. 1 BRAO auf Antrag. Gem. § 12 Abs. 1 BRAO wird sie mit der Aushändigung der von der angerufenen Rechtsanwaltskammer ausgestellten Urkunde wirksam. Nichtigkeitstatbestände sieht die BRAO nicht vor. Die Anwaltszulassung bleibt somit gem. § 34 BRAO bestehen, bis sie durch Verwaltungsakt zurückgenommen wird.[6] Gem. § 14 Abs. 1 S. 1 BRAO ist die Anwaltszulassung mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen, wenn Tatsachen nachträglich bekannt werden, nach denen die Zulassung hätte versagt werden müssen. Gem. § 4 S. 1 Var. 1 BRAO kann zur Rechtsanwaltsschaft nur zugelassen werden, wer über die Befähigung zum Richteramt i. S. d. § 5 Abs. 1 DRiG verfügt. Wird das Assessorexamen aberkannt, geht diese Befähigung verloren. Dann ist die Anwaltszulassung zwingend gem. §§ 14 Abs. 1 S. 1, 4 S. 1 Var. 1 BRAO zurückzunehmen.
5. Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO
Wer sich das zweite, juristische Staatsexamen durch eine so schwerwiegende Straftat wie die Richterbestechung gem. § 334 Abs. 2 Nr. 2 StGB erschleicht, zeigt, dass er als Richter, Staatsanwalt, verbeamteter Verwaltungsjurist oder Rechtsanwalt keinesfalls charakterlich geeignet ist. Selbstverständlich liegt es im öffentlichen Interesse, dafür zu sorgen, dass er seine Position nicht weiter ausübt. Dies geschieht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.
Die Möglichkeit, Richter und Staatsanwälte gem. § 63 Abs. 2 DRiG vorläufig ihres Dienstes zu entheben, Beamten gem. § 39 BeamStG aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung ihrer Dienstgeschäfte zu verbieten und gegen Rechtsanwälte gem. § 150 Abs. 1 BRAO ein vorläufiges Berufsverbot auszusprechen, schließt die Anwendung des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht aus. Denn bei den §§ 63 Abs. 2 DRiG, 39 BeamtStG und 150 Abs. 1 BRAO handelt es sich um disziplinarrechtliche Vorschriften. Das statusrechtliche Verfahren ist vom Disziplinarverfahren strikt zu trennen. Zudem reichen angesichts des Ansehensverlusts der Justiz in der Bevölkerung, der mit Examensbetrug und Richterbestechung einher geht, vorläufige Maßnahmen keinesfalls aus.
V. Wirksamkeit von Gerichtsurteilen und Beschlüssen, Verwaltungsentscheidungen und Verfahrenshandlungen
1. Gerichtsurteile und Beschlüsse
Selbst wenn die Richterernennung aufgrund der Aberkennung des zweiten, juristischen Staatsexamens und der damit abgesprochenen Befähigung zum Richteramt rechtskräftig oder sofort vollziehbar zurückgenommen wird, bleiben die in der Vergangenheit von dem Betroffenen gesprochenen Gerichtsurteile und Beschlüsse wirksam. Das folgt daraus, dass die Richtergesetze der Bundesländer (z. B. § 2 Abs. 1 NRiG, § 8 Abs. 1 HmbRiG, § 4 Abs. 1 BremRiG) auf das Landesbeamtenrecht verweisen. Nach den inhaltlich übereinstimmenden §§ 12 Abs. 2, 11 Abs. 3 NBG, §§ 12 Abs. 2, 11 Abs. 3 HmbBG oder §§ 12 Abs. 2, 11 Abs. 3 BremRiG bleiben die bis zu der Rücknahme vorgenommenen Verfahrenshandlungen und Entscheidungen wirksam. Entsprechende Regelungen sehen, genau wie § 15 S. 3 BBG (Bundesbeamtengesetz), die übrigen Länderbeamtengesetze vor. Denselben Rechtsgedanken enthält § 18 Abs. 3 DRiG. Nach dieser Vorschrift kann die Nichtigkeit einer Richterernennung erst geltend gemacht werden, wenn sie durch das zuständige Gericht rechtskräftig festgestellt wurde.
2. Staatsanwaltschaftliche Verfahrenshandlungen
Gem. § 122 Abs. 1 DRiG gilt für die Wirksamkeit staatsanwaltschaftlicher Verfahrenshandlungen dasselbe wie für Gerichtsurteile und Beschlüsse. Staatsanwaltschaftliche Verfahrenshandlungen bleiben somit trotz der fehlenden Befähigung zum Richteramt gem. § 5 Abs. 1 DRiG wirksam.
3. Verwaltungsentscheidungen
Aus der Rücknahme der Beamtenernennung wegen Täuschung und Bestechung resultiert keinesfalls die Nichtigkeit der von dem Betroffenen vorgenommenen Entscheidungen. Zwar wird anders als bei Richtern und Staatsanwälten die Beamtenernennung gem. § 12 Abs. 1 BeamStG explizit für die Vergangenheit zurückgenommen. Gleichwohl zählt die durch Zwang, arglistige Täuschung oder Bestechung erschlichene Beamtenernennung gerade nicht zu den Umständen, die gem. § 44 VwVfG zur Nichtigkeit von Verwaltungsakten führen. In einigen Bundesländern gilt § 44 VwVfG unmittelbar (z. B. Bremen) oder aufgrund einer entsprechenden Verweisungsnorm (z. B. Niedersachsen, § 1 Abs. 1 NVwVfG), andere Bundesländer verfügen über eigene, gleichlautende Regelungen in ihren Ländergesetzen (z. B. § 44 HmbVwVfG). § 15 S. 3 BBG ordnet zudem ausdrücklich an, dass die vor Rücknahme der Beamtenernennung vorgenommenen Verwaltungshandlungen wirksam bleiben (ebenso z. B. §§ 12 Abs. 2, 11 Abs. 3 NBG, §§ 12 Abs. 2, 11 Abs. 3 HmbBG oder §§ 12 Abs. 2, 11 Abs. 3 BremRiG).
4. Verfahrenshandlungen von Rechtsanwälten
Die Rücknahme der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erfolgt gem. § 14 Abs. 1 S. 1 BRAO ausdrücklich erst für die Zukunft. Die von ihnen während ihrer Zulassung vorgenommenen Verfahrenshandlungen bleiben wirksam (selbst bei Fehlen der Befähigung zum Richteramt gem. § 5 Abs. 1 DRiG). Dieser Grundsatz ergibt sich aus § 155 Abs. 5 BRAO. Nach dieser Vorschrift wirkt sich ein vorläufiges Berufs- oder Vertretungsverbot auf gleichwohl getätigte Rechtshandlungen nicht aus.[7] Erst wenn das Berufs-/Vertretungsverbot oder der Zulassungswiderruf rechtskräftig wird, kann der Rechtsanwalt nicht mehr wirksam für seinen Mandanten auftreten.
VI. Rechtsschutz gegen aktuelle Gerichtsurteile und Beschlüsse
1. Richter ohne Befähigung zum Richteramt
a) Keine vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts
Selbst wenn die Gerichtsentscheidungen wirksam bleiben, heißt das nicht, dass die Parteien sich mit Urteilen und Beschlüssen eines Richters ohne Befähigung zum Richteramt zu ihren Lasten abfinden müssen. Denn in der Entscheidung eines Richters ohne Befähigung zum Richteramt liegt sowohl ein Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG als auch ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG. Aus Art. 96 Abs. 2 S. 5 GG ergibt sich nämlich, dass alle hauptamtlichen Richter zwingend über die Befähigung zum Richteramt verfügen müssen.
Zwar bezieht sich die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur auf die Wehrstrafgerichte für die Streitkräfte des Bundes. Allerdings handelt es sich dabei um eine generelle Systementscheidung des Bundes zugunsten einer professionalisierten Rechtsprechung. Denn gesetzlicher Richter i. S. des Art. 101 Abs. 1 Nr. 2 GG kann gem. § 5 Abs. 1 DRiG nur sein, wer auch tatsächlich in der Lage ist, das Anliegen der rechtssuchenden Parteien auf der Grundlage der Gesetze zu würdigen und einer Lösung zuzuführen. Auf eben einen solchen Richter bezieht sich der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG.[8]Ein Richter, der nicht über die Befähigung zum Richteramt gem. § 5 Abs. 1 DRiG verfügt, erfüllt diese Anforderungen gerade nicht.
Aus diesem Grund ist das Gericht immer dann vorschriftswidrig besetzt gem. §§ 547 Nr. 1 ZPO, 138 Nr. 1 VwGO, 119 Nr. 1 FGO, 338 Nr. 1 StPO[9] und verstößt dadurch gegen den in Artt. 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf den gesetzlichen Richter[10] und auf rechtliches Gehör, wenn an der Entscheidung als hauptamtlicher Richter mindestens eine Person mitwirkt, die nicht zur Ausübung des Richteramtes nach dem DRiG befähigt ist[11] und deren Berufung in das Richteramt unwirksam war {[12]}. Dasselbe gilt selbstverständlich im Verfahren vor den Arbeits- und Sozialgerichten, auch wenn in den entsprechenden Prozessordnungen die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts nicht ausdrücklich als absoluter Revisionsgrund bezeichnet ist, §§ 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG, 73 Abs. 1 S. 1 ArbGG.
Aus Gründen der Rechtssicherheit und Verlässlichkeit des Rechtsstaats ist das Gericht allerdings nur dann vorschriftswidrig besetzt, wenn dem Richter das Assessorexamen wegen eines besonders schwerwiegenden Täuschungsversuchs nachträglich aberkannt und dessen Ernennung deshalb rechtskräftig oder sofort vollziehbar gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 DRiG zurückgenommen wird.
b) Zivilgerichtliches Verfahren
Die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts ist als Rechtsverletzung in Verfahren vor den Zivilgerichten ein Berufungsgrund gem. §§ 513 Abs. 1 Var. 1, 546, 547 Nr. 1 ZPO und ein absoluter Revisionsgrund gem. § 547 Nr. 1 ZPO. Als absoluter Revisionsgrund rechtfertigt die vorschriftswidrige Besetzung auch eine Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Bei Beschlüssen unter Verstoß gegen §§ 547 Nr. 1 ZPO, 5 Abs. 1 DRiG gibt es die Rechtsmittel der Beschwerde oder der Rechtsbeschwerde. Ist nach der ZPO ein Rechtsmittel nicht vorgesehen oder ist der Instanzenzug ausgeschöpft, ist das Verfahren wegen der Gehörsverletzung auf Antrag gem. § 321a Abs. 1 ZPO fortzusetzen bzw. in den hier diskutierten Fällen noch einmal vor einem zum Richteramt befähigten Richter/Spruchkörper zu beginnen. Dieser Antrag kann gem. § 321a Abs. 2 S. 2 ZPO jedoch nur innerhalb eines Jahres nach Verfahrensabschluss gestellt werden. Entsprechende Anhörungsrügen gibt es vor den Verwaltungsgerichten (§ 152a VwGO), den Finanzgerichten (§ 133a FGO), den Arbeitsgerichten (§ 78a ArbGG) und den Sozialgerichten (§ 178a SGG).
c) Verwaltungsgerichtliches Verfahren
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist die Berufung gem. § 124 Abs. 1 VwGO an ihre Zulassung gebunden. Bei der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts gem. § 138 Nr. 1 VwGO als Rechtsverletzung handelt es sich um einen Berufungsgrund gem. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, der einen Antrag auf Zulassung der Berufung gem. § 124a Abs. 4 Nr. 1 VwGO erlaubt. Ebenso rechtfertigt die vorschriftswidrige Besetzung als absoluter Revisionsgrund die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gem. § 133 Abs. 1 VwGO.
d) Finanzgerichtliches Verfahren
Genauso rechtfertigt im finanzgerichtlichen Verfahren die vorschriftswidrige Besetzung gem. §§ 115 Abs. 1, 119 Nr. 1 FGO die Revision bzw. die Nichtzulassungsbeschwerde vor den BFH.
e) Strafgerichtliches Verfahren
Natürlich gilt das gem. §§ 337 Abs. 1, 338 Nr. 1 StPO auch für Berufungen und Revisionen in Strafsachen. Staatsanwälte ohne Befähigung zum Richteramt rechtfertigen allerdings kein Rechtsmittel. Denn ihre Verfahrenshandlungen, insbesondere die Verlesung der Anklageschrift, bleiben, wie oben ausgeführt, trotzdem wirksam. Die sachliche Richtigkeit ihrer Anträge wird durch das Gericht überprüft, das die Endentscheidung trifft. Dadurch ist der Angeklagte ausreichend geschützt. Diese Auffassung bestätigt der Umstand, dass Befangenheitsanträge gegen Staatsanwälte nicht möglich sind.
f) Arbeits- und sozialgerichtliches Verfahren
Auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren erlaubt die vorschriftswidrige Besetzung gem. § 73 ArbGG die Revision und gem. § 72a ArbGG die Nichtzulassungsbeschwerde vor das BAG. Dasselbe gilt gem. §§ 160 Abs. 2 Nr. 3, 160a SGG für das sozialgerichtliche Verfahren.
2. Vertretung durch einen trotz mangelnder Befähigung zum Richteramt zugelassenen Rechtsanwalt
a) Verfahren vor den Zivil-, Verwaltungs-, Finanz-, Arbeits- und Sozialgerichten
Fraglich ist, ob auch die Vertretung durch eine als Rechtsanwalt zugelassene Person, die nicht über die Befähigung zum Richteramt verfügt, als Rechtsverletzung und Verfahrensmangel ein Rechtsmittel rechtfertigt. Außerhalb des Strafverfahrens ist für diese Frage § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO einschlägig, auf den die §§ 153 Abs. 1 VwGO, 134 FGO, 79 ArbGG und 179 Abs. 1 SGG verweisen. Gem. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO findet gegen ein Endurteil, nicht gegen eine Beschwerdeentscheidung, die Nichtigkeitsklage statt, wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Bei jedem Nichtigkeitsgrund muss erst recht ein ordentliches Rechtsmittel möglich sein.
Ein Rechtsmittel gem. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO kommt somit allenfalls im Anwaltsprozess in Betracht, also gerade nicht in der ersten Instanz vor den Amtsgerichten (§ 78 Abs. 1 ZPO), vor den Verwaltungsgerichten (§ 67 Abs. 1 VwGO), vor den Finanzgerichten (§ 62 Abs. 1 FGO) und vor den Arbeitsgerichten (§ 11 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und gem. § 73 Abs. 1 SGG sogar nicht in erster und zweiter Instanz vor den Sozial- und Landessozialgerichten. Selbst im Anwaltsprozess bleiben gem. § 155 Abs. 5 BRAO die Prozesshandlungen eines zur Rechtsanwaltschaft zugelassenen Prozessvertreters bis zur Rücknahme der Zulassung gem. § 34 BRAO wirksam. Allerdings ergibt sich die Vertretung einer rechtssuchenden Partei im Anwaltsprozess aus dem Gebot der Waffengleichheit. Denn nur dadurch ist ein faires Verfahren i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG garantiert.
Deshalb ist die Vertretung durch eine Person ohne Befähigung zum Richteramt, unabhängig von der Wirksamkeit ihrer Prozesshandlungen, unzureichend und verstößt gegen § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Das gilt selbst dann, wenn sie durch die Rechtsanwaltskammer ursprünglich zur Rechtsanwaltschaft zugelassen worden ist. Hat die Partei von dem Mangel keine Kenntnis, hat sie sich mit der Vertretung keinesfalls stillschweigend einverstanden erklärt.
b) Strafgerichtliches Verfahren
Im Strafverfahren lassen sich die Berufung und die Revision gem. § 337 Abs. 1 StPO darauf stützen, dass das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Gem. § 337 Abs. 2 StPO ist das Gesetz immer dann verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Hierzu gehören grundsätzlich nicht nur die Regelungen des materiellen Strafrechts, sondern auch die Verfahrensvorschriften, insbesondere diejenigen über die notwendige Verteidigung gem. § 140 StPO. Wird der Angeklagte in einem Verfahren, in dem die Mitwirkung eines Verteidigers gem. § 140 StPO notwendig ist, durch eine Person vertreten, die gerade nicht über die Befähigung zum Richteramt verfügt, liegt eine Rechtsverletzung gem. § 337 Abs. 1 StPO vor, auf der das Urteil beruht.
VII. Rechtsschutz nach rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahren
1. Urteile der Zivil-, Verwaltungs-, Finanz-, Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit
a) Nichtigkeitsklage gem. § 579 Abs. 1 ZPO
Gem. § 579 Abs. 1 ZPO findet die Nichtigkeitsklage gegen ein rechtskräftiges Endurteil, nicht gegen eine Beschwerdeentscheidung, u. a. dann statt, wenn das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (Nr. 1) oder die Partei nicht entsprechend den gesetzlichen Vorschriften vertreten war (Nr. 4). Auf § 579 Abs. 1 ZPO verweisen §§ 153 VwGO, 134 FGO, 79 ArbGG und 179 Abs. 1 SGG. Wie oben ausgeführt, ist Var. 1 erfüllt, wenn an der Entscheidung eine Person als Richter mitgewirkt hat, die nicht gem. § 5 Abs. 1 DRiG über die Befähigung zum Richteramt verfügt. Ist die Partei im Anwaltsprozess von einer Person vertreten, die ihrerseits nicht zum Richteramt befähigt ist, ist Var. 4 einschlägig. Die Nichtigkeitsklage kommt selbst dann in Betracht, wenn die verfahrensmangelhafte Entscheidung zwischenzeitlich durch die nächsthöhere Instanz bestätigt wurde, da in der Berufung regelmäßig nicht noch einmal eine vollständige Überprüfung aller Tatsachen erfolgt.
Die ausschließliche Zuständigkeit für die Nichtigkeitsklage richtet sich gem. § 584 Abs. 1 ZPO. Wird das erstinstanzliche Urteil angegriffen, ist eben das Gericht zuständig, das im ersten Rechtszug erkannt hat, allerdings in den hier diskutierten Fällen ein anderer, über die Befähigung zum Richteramt verfügender Richter/Spruchkörper. Das gilt unabhängig davon, ob das erstinstanzliche Urteil zwischenzeitlich durch die nächsthöhere Instanz bestätigt wurde oder nicht. Richtet sich die Nichtigkeitsklage gegen das Berufungs- oder Revisionsurteil, ist die Berufungs- oder Revisionsinstanz zuständig. Hat die Nichtigkeitsklage Erfolg, wird die Sache gem. § 590 Abs. 1 ZPO vollständig neu verhandelt, d. h., es wird von Neuem Beweis erhoben, richterliche Hinweise werden erneut erteilt, etc.. Gem. § 586 Abs. 2 S. 2 ZPO ist jedoch selbst bei einem derart gravierenden Nichtigkeitsgrund wie in den vorliegend diskutierten Fällen die Nichtigkeitsklage nicht unbegrenzt zulässig, sondern nur innerhalb von fünf Jahren, von dem Tag der Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung aus gerechnet. Außerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums des § 586 Abs. 2 S. 2 ZPO wäre wegen Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG sowie auf rechtliches Gehör aus Artt. 103 Abs. 1, 96 Abs. 2 S. 5 GG die Verfassungsbeschwerde in Betracht zu ziehen.
Unterliegt im Verwaltungs-, Finanz- oder Sozialgerichtsverfahren die Behörde, kann sie keine Nichtigkeitsklage erheben. In diesem Fall geht der Vertrauensschutz vor. Denn der Nichtigkeitsgrund der fehlerhaften Besetzung ist vom Staat zu vertreten. Dieser hat schließlich unter Verstoß gegen § 5 Abs. 1 DRiG die rechtswidrige Richterernennung ausgesprochen.
b) Rückgängigmachung der Urteilsfolgen
Wird das rechtskräftige Urteil eines Zivilgerichts auf eine Nichtigkeitsklage hin aufgehoben und abgeändert, ist der aus dem Urteil Vollstreckende nicht gem. § 717 Abs. 2 ZPO zum Schadenersatz verpflichtet. Denn nach der Rechtskraft des Urteils durfte er mit Recht davon ausgehen, zur Vollstreckung aus dem Urteil berechtigt zu sein. Vielmehr sind die Vollstreckungsfolgen nach den §§ 812 ff. BGB rückabzuwickeln – mit der Folge, dass sich der Erstattungspflichtige gem. § 818 Abs. 3 BGB auf Entreicherung berufen kann.
Im Verwaltungs-, Finanz- oder Sozialgerichtsverfahren dagegen hat die Behörde die negativen Vollstreckungsfolgen vollständig rückgängig zu machen. Ist das unmöglich, muss sie vollen Schadenersatz leisten. Denn der Staat hat den Nichtigkeitsgrund zu vertreten.
2. Strafrechtliche Verurteilung
Anders als gem. § 579 Abs. 1 ZPO kennt § 359 StPO als Wiederaufnahmegrund gerade nicht die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts oder die unzureichende Rechtsvertretung in Verfahren, in denen gem. § 140 StPO die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist. Selbst § 359 Nr. 3 StPO kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist die Wiederaufnahme des Verfahrens geboten, wenn bei dem Urteil ein Richter mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat. Allerdings liegt nicht zwingend eine strafbare Verletzung von Amtspflichten vor, wenn die Amtspflichten ihrerseits erst durch einen strafbaren Betrug begründet wurden.
Die fehlende Wiederaufnahmemöglichkeit lässt sich im strafgerichtlichen Verfahren gerade nicht mit dem Wunsch nach Rechtssicherheit begründen. Denn besonders hier kommt es auf die materielle Gerechtigkeit an. Aus diesem Grund ergibt sich in den hier diskutierten Fällen die Wiederaufnahmemöglichkeit direkt aus der Verletzung der Artt. 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG. Das folgt schon daraus, dass der Besetzungsmangel vom Staat zu vertreten ist. Zwar ist die Wiederaufnahme im Strafverfahren nicht an eine Frist gebunden. Deshalb besteht die Gefahr, dass ein Täter in den Genuss eines Wiederaufnahmeverfahrens kommt und ihm seine Tat infolge des Zeitablaufs nicht mehr nachgewiesen werden kann. Allerdings scheint dies für jeden Rechtsstaat das geringere Übel zu sein, als möglicherweise unschuldige Personen im Namen des Volkes durch Personen aburteilen zu lassen, die nicht über die Befähigung zum Richteramt gem. § 5 Abs. 1 DRiG verfügen.
VIII. Rechtsschutz gegen bestandskräftige Verwaltungsakte
Verwaltungsakte eines Beamten, der sich seine Tätigkeit erschlichen hat, obwohl er nicht über die Befähigung zum Richteramt verfügt, sind nicht gem. § 44 VwVfG nichtig. Sie sind auch nicht per se rechtswidrig. Denn die Befähigung zum Richteramt ist für die Verwaltungstätigkeit nicht zwingend vorgeschrieben. Allerdings sollten sämtliche betroffene Verwaltungsakte noch einmal auf ihre materielle Richtigkeit überprüft werden. Bei materiell rechtswidrigen Verwaltungsentscheidungen zulasten des Adressaten müsste die Behörde von Amtswegen von ihrem Rücknahmeermessen gem. § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG Gebrauch machen und den Sachverhalt ggf. neu bescheiden. Dabei ist in Dreiecksverhältnissen, bspw. bei Nachbarwidersprüchen gegen eine Baugenehmigung, der Vertrauensschutzaspekt zugunsten aller Beteiligten besonders sorgfältig zu berücksichtigen.
IX. Auskunft von Amtswegen
Über etwaige Rücknahmen der Ernennung zum Richter, Staatsanwalt oder Beamten oder der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sind die betroffenen Parteien gem. § 20 Abs. 3 GG durch das Gericht von Amtswegen zu informieren, damit sie entsprechende Nichtigkeitsklagen gem. § 579 Abs. 1 ZPO erheben oder Wiederaufnahmeanträge gem. § 359 StPO stellen können. In Strafverfahren ist die Staatsanwaltschaft von Amtswegen zu einem Wiederaufnahmeantrag zugunsten des Betroffenen verpflichtet. Auf etwaige Auskunftsansprüche nach den Länderinformationsfreiheitsgesetzen dürfen die Parteien nicht verwiesen werden. Denn die Nichtigkeits- bzw. Wiederaufnahmegründe sind durch den Staat zu vertreten.
X. Fazit
Die Folgen des niedersächsischen Examensskandals für die Praxis lassen sich derzeit noch nicht überschauen. Die weiteren Untersuchungsergebnisse der Examens-Taskforce sind mit Spannung zu erwarten. Je nachdem, ob es zur Rücknahme von Richter- oder Beamtenernennungen kommt, sollten gem. § 579 Abs. 1 ZPO Nichtigkeitsklagen oder in Strafverfahren gem. § 359 StPO Wiederaufnahmeanträge geprüft werden. Hierüber sind die betroffenen Parteien von Amts wegen durch die Gerichte zu informieren.
[1] Kaufen Sie gleich vier: Handel mit Jura-Klausuren, eine geladene Waffe, Flucht nach Italien – der unglaubliche Fall des deutschen Richters Jörg L. In: Zeit-Online, 10.04.2014, http://www.zeit.de/2014/16/richter-joerg-l-korruption (abgerufen am 12.12.2014).
[2] Gekaufte Examen in Niedersachsen: Bislang 15 potenzielle Betrüger entdeckt. In: Legal Tribune Online, 13.11.2014, http://www.lto.de/persistent/a_id/13799/ (abgerufen am 12.12.2014).
[3]Verkaufte Jura-Klausuren: Staatsanwaltschaft klagt Richter an. In Juve, 07.11.2014, http://www.juve.de/nachrichten/verfahren/2014/11/verkaufte-jura-klausuren-staatsanwaltschaft-klagt-richter-an (abgerufen am 12.12.2014).