Länderbericht Schweiz: Aktuelles Wirtschaftsstrafrecht
I. Einleitung
Der vorliegende Länderbericht befasst sich hinsichtlich der gesetzgeberischen Neuerungen insbesondere mit dem schweizerischen Steuerstrafrecht. Hier steht eine grundsätzliche Neukonzeption des materiellen, vor allem aber des prozessualen Steuerstrafrechts an, welche – nach Ausarbeitung der Botschaft bis Ende 2015 – im Jahre 2016, spätestens wohl aber 2017, in Kraft treten wird. Darüber hinaus hat die Umsetzung der Empfehlungen der Groupe d’action financière (GAFI) zur Folge, dass mit dem Steuerbetrug ein Vergehen zur Geldwäschereivortat wird – ein schweizerisches Novum, konnten bis anhin doch lediglich aus Verbrechen stammende Vermögenswerte in strafrechtlich relevanter Weise „gewaschen“ werden.
In der Rechtsprechungsübersicht findet sich ein bunter Strauss wirtschaftsstrafrechtlich relevanter Tatbestände wieder. Zunächst ein zumindest für die Schweiz bemerkenswerter Entscheid des Bundesstrafgerichts zum Korruptionsstrafrecht, genauer zur Bestechung ausländischer Amtsträger (SK.2014.24). Dann – wie in nahezu jedem Länderbericht – ein Urteil zum Betrug, in welchem das Bundesgericht seine Arglistrechtsprechung weiter konkretisiert (6B_1198/2013). Im zuletzt aufgeführten Entscheid befasst sich das Bundesgericht mit der Frage, ob die Drohung, ein grundsätzlich zulässiges Rechtsmittel einzulegen, als strafbare Erpressung anzusehen ist (6B_1049/2013).
II. Neue wirtschaftsstrafrechtliche Gesetzgebungsvorhaben
1. Umsetzung der Empfehlungen der Groupe d’action financière (Steuerstrafrecht/Geldwäscherei)
Die Umsetzung der GAFI-Empfehlungen war bereits Gegenstand der letzten beiden Länderberichte.[1] Am 13. Dezember 2013 verabschiedete der Bundesrat einen Gesetzesentwurf, der seit dem letzten Länderbericht im Schweizer Parlament auf teils heftigen Widerstand stiess. Erst nach Einsetzung einer Einigungskonferenz wurde das neue Bundesgesetz am 12. Dezember 2014 von beiden Räten angenommen. Dabei wurden insbesondere die Revision des Geldwäschereitatbestands sowie die Regelung der Zulässigkeit von Bargeldzahlungen über CHF 100’000.– intensiv diskutiert.
Der Geldwäschereitatbestand (Art. 305bis StGB) wird nun dahingehend revidiert, dass nicht mehr nur (alle) Verbrechen, sondern auch das Vergehen des Steuerbetrugs eine taugliche Vortat zur Geldwäscherei darstellt, wenn die hinterzogene Steuer einen bestimmten Schwellenwert überschreitet (sog. „qualifiziertes Steuervergehen“). Nachdem der Ständerat diesen Vorschlag grundsätzlich gutgeheissen hatte,[2] schloss sich im Sommer 2014 auch der Nationalrat der Erweiterung des Vortatbegriffs an. Umstritten war aber der massgebende Schwellenwert: Im bundesrätlichen Gesetzesentwurf waren ursprünglich CHF 200’000.– pro Steuerperiode vorgesehen, während der Ständerat diesen Wert auf CHF 300’000.– anheben wollte.[3] Der Nationalrat plädierte anfangs wiederum für CHF 200’000.–, schloss sich aber schlussendlich dem Ständerat an. Somit wird künftig auch Steuerbetrug eine Vortat zur Geldwäscherei darstellen, wenn die hinterzogene Steuer mehr als CHF 300’000.– pro Steuerperiode beträgt.[4]
Des Weiteren sah der ursprüngliche Gesetzesentwurf ein Verbot von Bargeldzahlungen über CHF 100‘000.– vor. Bei Transaktionen mit höheren Beträgen (z.B. Grundstückkäufen) sollte der CHF 100’000.– übersteigende Teil zwingend über einen Finanzintermediär abgewickelt werden.[5] Der Ständerat befürwortete diesen Entwurf, der Nationalrat lehnte ihn ab. Ab der Herbstsession 2014 zeichnete sich die Möglichkeit einer Kompromisslösung ab, doch die Einigung erfolgte schlussendlich erst im letzten Moment. In Zukunft werden mit Bargeldzahlungen über CHF 100‘000.–gewisse Sorgfaltspflichten verbunden sein. Diese Sorgfaltspflichten gelten für natürliche und juristische Personen, die gewerblich mit Gütern handeln und dabei mehr als CHF 100’000.– in bar entgegennehmen. Diese Händler müssen die Vertragspartei und die wirtschaftlich berechtigte Person identifizieren und dies dokumentieren. Erscheint das Geschäft ungewöhnlich oder liegen Anhaltspunkte vor, dass das Geld aus einem Verbrechen oder einem Steuerbetrug stammt, muss der Händler die Hintergründe abklären. Erhärtet sich der Verdacht, muss er unverzüglich die Geldwäscherei-Meldestelle benachrichtigen.[6]
2. Bundesgesetz über eine Vereinheitlichung des Steuerstrafrechts (Revision des Steuerstrafrechts)
Im Mai 2014 wurde dem schweizerischen Bundesrat der Ergebnisbericht der Vernehmlassung zur Revision des Steuerstrafrechts vorgelegt.[7] Der Bundesrat beauftragte daraufhin das Eidgenössische Finanzdepartement, bis Ende 2015 eine Botschaft auszuarbeiten.[8] Diese wird sowohl materielle als auch prozessuale Neuerungen mit sich bringen.
In materieller Hinsicht werden die Straftatbestände der direkten Steuern an die Straftatbestände der indirekten Steuern angepasst werden. Die Steuerhinterziehung (Art. 175, 176 DBG), also die einfache Täuschung der Steuerbehörde über den Umfang der Steuerschuld, gilt künftig auch bei den direkten Steuern als Grundtatbestand. Es wird also weiter an der Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug festgehalten. Die vorsätzliche Steuerhinterziehung stellt eine Übertretung dar, welche – anders als in Deutschland – mit Busse sanktioniert wird. Der Steuerbetrug (Art. 186 DBG und Art. 14 VStrR) setzt dagegen arglistiges Verhalten voraus (z.B. die Verwendung falscher Urkunden) und ist als Vergehen ausgestaltet. Mit der Revision wird aus dem eigenständigen Steuerbetrugstatbestand eine Qualifikation der Steuerhinterziehung. Damit soll verhindert werden, dass ein Verhalten sowohl den Tatbestand der Steuerhinterziehung als auch den des Steuerbetrugs erfüllt.
Deutlich weitreichendere Konsequenzen könnte die Revision in prozessualer Hinsicht haben. Als Verfahrensrecht soll künftig nämlich nun für alle Steuerstrafverfahren das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) Anwendung finden. Bis anhin war dies nur für die Steuerstrafuntersuchungen betreffend die indirekten Steuern der Fall. Auch wenn der Bundesrat diesbezüglich explizit den Auftrag erteilt hat, die Vor- und Nachteile des VStrR gegenüber dem Verfahrensrecht der Strafprozessordnung zu prüfen und für eine Anwendung der Letzteren plädiert, wenn wesentliche Gründe hierfür sprechen, wird doch gleichwohl eine Anwendung des Verwaltungsstrafverfahrensrechts präferiert. Hiermit wird indes bereits die Grundkonzeption des Verwaltungsstrafrechts auf den Kopf gestellt. Denn dieses findet grundsätzlich nur dann Anwendung, wenn die Untersuchung von einer Verwaltungsbehörde des Bundes geführt wird (Art. 1 VStrR).[9] Das Steuerstrafverfahren hinsichtlich der direkten Steuern wird jedoch auch in Zukunft bei den kantonalen Steuerbehörden verbleiben, welche nun auch Zwangsmassnahmen anwenden können. Gerade in Bezug auf Letzteres stellt sich zudem die Frage, ob das VStrR – eine vierzigjährige, kaum je überarbeitete und lückenhafte Verfahrensordnung – überhaupt geeignet ist, einen gerechten Ausgleich zwischen Verfolgungs- und Beschuldigteninteressen herzustellen.[10] Dies muss bezweifelt werden, weswegen sich bei der Ausarbeitung der Botschaft noch zahlreiche Grundsatzfragen stellen werden.
III. Neues aus der wirtschaftsstrafrechtlichen Rechtsprechung
1. Entscheid des Bundesstrafgerichts SK.2014.24 vom 1. Oktober 2014[11] (Verurteilung eines Geschäftsführers wegen Bestechung fremder Amtsträger durch Zahlungen an Saadi Gaddafi, einen Sohn des ehemaligen libyschen Diktators Muammar Gaddafi)
a) Sachverhalt
A war wirtschaftlich Berechtigter der Gesellschaften D. Inc. und E. Inc und kontrollierte diese. Diese wiederum waren als Agentinnen der G. Inc. tätig, die Bauprojekte in Libyen durchführte. Zwischen 2001 und 2011 tätigte die G. Inc. über ihre Agentinnen D. Inc. und E. Inc., jeweils auf Veranlassung von A. und mit dem Ziel, Zuschläge für verschiedene Bauprojekte zu erhalten, Zahlungen von insgesamt ca. EUR 12 Mio. und USD 20 Mio. an Saadi Gaddafi. Die G. Inc. erhielt in der Folge die Zuschläge für mehrere Bauprojekte, darunter den Bau eines Flughafens im Jahr 2008.
2011 eröffnete die Bundesanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen A. wegen Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies StGB) und weiterer Delikte. Eine der zu beurteilenden Fragen lautete, ob Saadi Gaddafi in seiner Eigenschaft als Sohn eines Diktators als fremder Amtsträger qualifiziert werden konnte.
b) Urteil
Das Urteil erging im abgekürzten Verfahren (Art. 358 ff. StPO). Saadi Gaddafi wurde als fremder Amtsträger qualifiziert. Das Schweizer Bundesstrafgericht übernahm die tatsächliche und rechtliche Würdigung der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft. Darin wurde ausgeführt, das politische System Libyens, das offiziell verschiedene staatliche Institutionen vorsah, sei nur eine Fassade gewesen. Die Macht der einzelnen Regierungsmitglieder sei unmittelbar von den persönlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen zu Muammar Gaddafi abhängig gewesen. Saadi Gaddafi sei sein Sohn gewesen und habe als sog. „homme de la tente“ gegolten, womit er über grosse faktische Macht verfügt habe. Darüber hinaus wurde berücksichtigt, dass Saadi Gaddafi das Amt eines ranghohen Offiziers des libyschen Militärapparats bekleidete, Libyen bei mehreren Gelegenheiten national und international repräsentiert hatte sowie Inhaber eines diplomatischen Passes von Libyen gewesen war.
c) Bemerkung
Der Entscheid stellt das erste Schweizer korruptionsstrafrechtliche Urteil im Nachgang zum „Arabischen Frühling“ dar und kann Einfluss auf zukünftige Entscheide von schweizerischen – und allenfalls ausländischen – Gerichten haben. Die Bundesanwaltschaft sprach von einem wichtigen Sieg der Justiz gegen die internationale Wirtschaftskriminalität.[12] Die Qualifikation einer Person aus der Entourage eines früheren Diktators als fremder Amtsträger im Sinne des Korruptionsstrafrechts wurde als „Rechtsfortbildung“ bezeichnet.[13] Tatsächlich wird die Frage, ob ein Mitglied eines diktatorischen Regimes als Amtsträger qualifiziert werden kann, in der schweizerischen Lehre kaum diskutiert. In der Schweiz gilt sowohl der institutionelle, als auch der funktionale Amtsträgerbegriff.[14] Darüber hinaus werden Angehörige der Armee in Art. 322septies StGB ausdrücklich erwähnt. Insofern überzeugt die Qualifikation von Saadi Gaddafi als Amtsträger unter Berücksichtigung seiner faktischen Macht innerhalb des Regimes sowie seiner militärischen Funktion.
Diese Qualifikation steht allerdings unter einem Vorbehalt, der sich aus der Natur des abgekürzten Verfahrens ergibt, in welchem der Entscheid gefällt wurde. Das abgekürzte Verfahren wurde 2011 mit der schweizerischen Strafprozessordnung eingeführt und setzt voraus, dass die beschuldigte Person den Sachverhalt, der für die rechtliche Würdigung wesentlich ist, eingesteht.[15] Die Staatsanwaltschaft nimmt in einer erweiterten Anklageschrift eine Subsumtion unter die einschlägigen Tatbestände vor.[16] Das Strafgericht hat bei seinem Urteil nur noch eine beschränkte Prüfungskompetenz mit Bezug auf diese rechtliche Subsumtion.[17] Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass ein Strafgericht mit voller Kognition in einem zukünftigen Entscheid zu einem anderen Ergebnis gelangt.
2. Entscheid des Bundesgerichts 6B_1198/2013 vom 18. Juli 2014[18] (Verurteilung wegen gewerbsmässigen Betrugs und weiteren Delikten im Rahmen eines Anlage-Schneeballsystems)
a) Sachverhalt
X versprach einer Reihe deutscher Investoren eine professionelle und vollkommen sichere Vermögensanlage in der Schweiz mit sehr attraktiven Renditen. X agierte über von ihr beherrschte Schweizer Vermögensverwaltungsfirmen, zog angesehene Schweizer Treuhänder bei, schloss mit ihren Kunden Verträge mit Geheimhaltungsklauseln ab und führte eine professionelle Korrespondenz. In Wirklichkeit investierte X die akquirierten Gelder nie in irgendwelche Anlagen. Vielmehr verwendete sie die entgegengenommenen Beträge u.a. für Rückzahlungen und angebliche Renditezahlungen an Kunden, zur Tragung von Geschäftskosten der von ihr genutzten Gesellschaften sowie zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes. Insgesamt veranlasste X 65 Personen bzw. Personengruppen, total rund CHF 28 Mio. anzulegen, was letztlich bei 46 Personen bzw. Personengruppen zu einem Verlust von rund CHF 17 Mio. führte.
Die Vorinstanz verurteilte X wegen gewerbsmässigen Betrugs und weiterer Delikte, wogegen X Beschwerde ans Bundesgericht erhob. X wandte sich u.a. gegen die Bejahung des Tatbestandsmerkmals der Arglist und machte geltend, die Vorinstanz habe sich nicht mit der Mitverantwortung der einzelnen Täuschungsopfer auseinandergesetzt. Höchst unglaubwürdig und vollkommen realitätsfremd sei insbesondere der Umstand gewesen, dass mit Geldern, die nicht angetastet werden sollten, horrende Renditen von über 100% pro Jahr hätten erzielt werden sollen.
b) Urteil
Das Bundesgericht wies die Beschwerde von X ab. Es bestätigte seine ständige Rechtsprechung zur Arglist, wonach diese einerseits vorliegt, wenn der Täter ein ganzes sog. „Lügengebäude“ errichtet oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe bedient. Andererseits gelten schon einfache falsche Angaben (d.h. unabhängig von einem Lügengebäude und besonderen Machenschaften) als arglistig, wenn (i) deren Überprüfung nicht oder nur mit besonderer Mühe möglich oder nicht zumutbar ist, (ii) der Täter das Opfer von der möglichen Überprüfung abhält oder (iii) der Täter nach den Umständen voraussieht, dass das Opfer die Überprüfung der Angaben aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen werde. Arglist wird hingegen verneint, wenn das Täuschungsopfer den Irrtum mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit hätte vermeiden können. Dabei entfällt der strafrechtliche Schutz nicht schon bei jeder Fahrlässigkeit, sondern nur bei Leichtfertigkeit.
Vor diesem Hintergrund erachtete das Bundesgericht die Arglist als gegeben. Mit Bezug auf die von X vorgebrachte Opfermitverantwortung hielt das Bundesgericht für irrelevant, dass sich einzelne Anleger des spekulativen Charakters der Geschäfte durchaus bewusst waren und sich ihr Handeln durch ein erhebliches Mass an Naivität auszeichnete. Das Strafrecht schütze auch unerfahrene, vertrauensselige oder von Gewinnaussichten motivierte Personen.
c) Bemerkung
Das Bundesgericht (und die Vorinstanz) begründete die Arglist nicht primär mit den zahlreichen äusseren Vorkehren von X (Einsatz Schweizer Vermögensverwaltungsfirmen und Treuhänder, Verträge mit Geheimhaltungsklauseln etc.), sondern mit dem Umstand, dass X die Geschädigten über ihre Absicht getäuscht hatte, die entgegengenommenen Gelder vereinbarungswidrig zu verwenden. X habe die Geschädigten diesbezüglich über eine innere Tatsache getäuscht, die als solche nicht überprüfbar gewesen sei. Aus diesem Grund könne auch offenbleiben, ob sich die Geschädigten allenfalls leichtfertig verhalten haben. Diese Begründung ist insofern bemerkenswert, als sie im Ergebnis dazu führt, dass jegliche Abgabe einer Erklärung über den Verwendungszweck entgegengenommener Gelder zu Arglist führt, wenn nachgewiesen wird, dass der Täter die Gelder vereinbarungswidrig verwenden wollte, und zwar unter Ausschluss der Möglichkeit einer Opfermitverantwortung.
Das Bundesgericht beschäftigte sich gleichwohl mit dem Argument der Opfermitverantwortung. Geschäftlich unerfahrene, aber prinzipiell vernünftige Vertragspartner, denen unrealistische Gewinnversprechen gemacht werden, bilden in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine fest etablierte Fallgruppe, die theoretisch zum Wegfall der Arglist führen kann, dies in der Praxis indessen nur selten tut.[19] Das besprochene Urteil bestätigt die höchstrichterliche Grosszügigkeit mit Bezug auf die erlaubte Naivität, indem es ein Renditeversprechen von mehr als 100% pro Jahr bei gleichzeitig absoluter Sicherheit noch nicht als „vollkommen realitätsfremd“ taxierte. Zu berücksichtigen ist immerhin, dass X nicht direkt 100% Rendite in Aussicht gestellt, sondern des Öfteren „3% pro Trade“ versprochen hatte, so dass die resultierende Gesamtrendite zumindest nicht auf den ersten Blick ersichtlich war.
3. Entscheid des Bundesgerichts 6B_1049/2013 vom 4. Juli 2014[20] (Verurteilung wegen Erpressung durch Androhung der Verzögerung eines Bauvorhabens mittels Weiterzug eines aussichtslosen Baurekurses)
a) Sachverhalt
X war Eigentümer zweier Liegenschaften, auf deren Nachbargrundstück die A-AG eine Arealüberbauung erstellen wollte. X schlug der A-AG vor, dass diese sein Mehrfamilienhaus saniere, ansonsten er Rekurs gegen ihr Bauvorhaben einreichen würde. Nachdem die A-AG nicht reagierte, reichte X Rekurs ein, weshalb die Bauarbeiten vorerst nicht begonnen werden durften. Anschliessend unterstrich X seine Forderung gegenüber der A-AG und erklärte, dass er die Gründe für seinen Rekurs extra breit gestreut habe. Nötigenfalls würde er den Rekurs bis vor Bundesgericht weiterziehen, womit er den Bau problemlos um fünf Jahre oder länger verzögern könne. Schliesslich einigten sich die Beteiligten darauf, dass die A-AG zu einem Preis von CHF 20’000.– umfangreiche Sanierungsarbeiten im Wert von rund CHF 400’000.– am Mehrfamilienhaus von X vornehmen und zudem eine Sicherheitsleistung von CHF 350’000.– als Garantie für die Erfüllung nach Rückzug des Baurekurses leisten würde. In der Folge leistete die A-AG die geforderte Garantie, sah aber von der vereinbarten Sanierung ab.
b) Urteil
Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Verurteilung wegen Erpressung. Die Androhung von X, seinen Rekurs bis vor Bundesgericht weiterzuziehen und damit den Bau um fünf Jahre zu verzögern, qualifizierte das Bundesgericht als Androhung eines ernstlichen Nachteils. Die Zahlung der verlangten Sicherheitsleistung durch die A-AG stellte eine Schädigung am eigenen Vermögen dar. Schliesslich hatte X die Absicht zur unrechtmässigen Bereicherung, da seine Forderung einer Entschädigung für den Rechtsmittelverzicht bzw. die entsprechende Vereinbarung mit der A-AG sittenwidrig und damit nichtig war.[21]
c) Bemerkung
Eine Besonderheit des besprochenen Entscheids besteht darin, dass X mit der Drohung, seinen Baurekurs bis vor Bundesgericht weiterzuziehen, ein grundsätzlich rechtmässiges Mittel verwendete. Der Tatbestand der Erpressung kann aber auch bei Drohung mit einem rechtmässigen Mittel erfüllt sein, wenn und soweit damit die Absicht einer unrechtmässigen Bereicherung verbunden ist.[22] Diese ergab sich hier aus der Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit der Entschädigungsvereinbarung. Zu beachten ist, dass die „Kommerzialisierung“ eines Rechtsmittelverzichts unter schweizerischem Recht nicht per se sittenwidrig und damit nichtig ist. Die Abgeltung von geldwerten Chancen und Vorteilen eines nicht aussichtslosen Rechtsmittels ist zulässig.[23] Im vorliegenden Fall war die Vorinstanz indessen zum Schluss gekommen, dass der Baurekurs von X als Ganzes aussichtslos gewesen war. Dabei hatte sich die Vorinstanz u.a. auf ein – von X selbst in Auftrag gegebenes – Rechtsgutachten gestützt, das sämtliche im Baurekurs vorgebrachten Rügen als „wenig chancenreich“ bezeichnet hatte. Damit ergab sich der wirtschaftliche Wert des Verzichts auf den Baurekurs bloss aus dem möglichen Schaden wegen der Verlängerung des Baubewilligungsverfahrens, und nicht aus den schutzwürdigen Interessen von X, was praxisgemäss sittenwidrig ist.
I. Einleitung
Der vorliegende Länderbericht befasst sich hinsichtlich der gesetzgeberischen Neuerungen insbesondere mit dem schweizerischen Steuerstrafrecht. Hier steht eine grundsätzliche Neukonzeption des materiellen, vor allem aber des prozessualen Steuerstrafrechts an, welche – nach Ausarbeitung der Botschaft bis Ende 2015 – im Jahre 2016, spätestens wohl aber 2017, in Kraft treten wird. Darüber hinaus hat die Umsetzung der Empfehlungen der Groupe d’action financière (GAFI) zur Folge, dass mit dem Steuerbetrug ein Vergehen zur Geldwäschereivortat wird – ein schweizerisches Novum, konnten bis anhin doch lediglich aus Verbrechen stammende Vermögenswerte in strafrechtlich relevanter Weise „gewaschen“ werden.
In der Rechtsprechungsübersicht findet sich ein bunter Strauss wirtschaftsstrafrechtlich relevanter Tatbestände wieder. Zunächst ein zumindest für die Schweiz bemerkenswerter Entscheid des Bundesstrafgerichts zum Korruptionsstrafrecht, genauer zur Bestechung ausländischer Amtsträger (SK.2014.24). Dann – wie in nahezu jedem Länderbericht – ein Urteil zum Betrug, in welchem das Bundesgericht seine Arglistrechtsprechung weiter konkretisiert (6B_1198/2013). Im zuletzt aufgeführten Entscheid befasst sich das Bundesgericht mit der Frage, ob die Drohung, ein grundsätzlich zulässiges Rechtsmittel einzulegen, als strafbare Erpressung anzusehen ist (6B_1049/2013).
II. Neue wirtschaftsstrafrechtliche Gesetzgebungsvorhaben
1. Umsetzung der Empfehlungen der Groupe d’action financière (Steuerstrafrecht/Geldwäscherei)
Die Umsetzung der GAFI-Empfehlungen war bereits Gegenstand der letzten beiden Länderberichte.[1] Am 13. Dezember 2013 verabschiedete der Bundesrat einen Gesetzesentwurf, der seit dem letzten Länderbericht im Schweizer Parlament auf teils heftigen Widerstand stiess. Erst nach Einsetzung einer Einigungskonferenz wurde das neue Bundesgesetz am 12. Dezember 2014 von beiden Räten angenommen. Dabei wurden insbesondere die Revision des Geldwäschereitatbestands sowie die Regelung der Zulässigkeit von Bargeldzahlungen über CHF 100’000.– intensiv diskutiert.
Der Geldwäschereitatbestand (Art. 305bis StGB) wird nun dahingehend revidiert, dass nicht mehr nur (alle) Verbrechen, sondern auch das Vergehen des Steuerbetrugs eine taugliche Vortat zur Geldwäscherei darstellt, wenn die hinterzogene Steuer einen bestimmten Schwellenwert überschreitet (sog. „qualifiziertes Steuervergehen“). Nachdem der Ständerat diesen Vorschlag grundsätzlich gutgeheissen hatte,[2] schloss sich im Sommer 2014 auch der Nationalrat der Erweiterung des Vortatbegriffs an. Umstritten war aber der massgebende Schwellenwert: Im bundesrätlichen Gesetzesentwurf waren ursprünglich CHF 200’000.– pro Steuerperiode vorgesehen, während der Ständerat diesen Wert auf CHF 300’000.– anheben wollte.[3] Der Nationalrat plädierte anfangs wiederum für CHF 200’000.–, schloss sich aber schlussendlich dem Ständerat an. Somit wird künftig auch Steuerbetrug eine Vortat zur Geldwäscherei darstellen, wenn die hinterzogene Steuer mehr als CHF 300’000.– pro Steuerperiode beträgt.[4]
Des Weiteren sah der ursprüngliche Gesetzesentwurf ein Verbot von Bargeldzahlungen über CHF 100‘000.– vor. Bei Transaktionen mit höheren Beträgen (z.B. Grundstückkäufen) sollte der CHF 100’000.– übersteigende Teil zwingend über einen Finanzintermediär abgewickelt werden.[5] Der Ständerat befürwortete diesen Entwurf, der Nationalrat lehnte ihn ab. Ab der Herbstsession 2014 zeichnete sich die Möglichkeit einer Kompromisslösung ab, doch die Einigung erfolgte schlussendlich erst im letzten Moment. In Zukunft werden mit Bargeldzahlungen über CHF 100‘000.–gewisse Sorgfaltspflichten verbunden sein. Diese Sorgfaltspflichten gelten für natürliche und juristische Personen, die gewerblich mit Gütern handeln und dabei mehr als CHF 100’000.– in bar entgegennehmen. Diese Händler müssen die Vertragspartei und die wirtschaftlich berechtigte Person identifizieren und dies dokumentieren. Erscheint das Geschäft ungewöhnlich oder liegen Anhaltspunkte vor, dass das Geld aus einem Verbrechen oder einem Steuerbetrug stammt, muss der Händler die Hintergründe abklären. Erhärtet sich der Verdacht, muss er unverzüglich die Geldwäscherei-Meldestelle benachrichtigen.[6]
2. Bundesgesetz über eine Vereinheitlichung des Steuerstrafrechts (Revision des Steuerstrafrechts)
Im Mai 2014 wurde dem schweizerischen Bundesrat der Ergebnisbericht der Vernehmlassung zur Revision des Steuerstrafrechts vorgelegt.[7] Der Bundesrat beauftragte daraufhin das Eidgenössische Finanzdepartement, bis Ende 2015 eine Botschaft auszuarbeiten.[8] Diese wird sowohl materielle als auch prozessuale Neuerungen mit sich bringen.
In materieller Hinsicht werden die Straftatbestände der direkten Steuern an die Straftatbestände der indirekten Steuern angepasst werden. Die Steuerhinterziehung (Art. 175, 176 DBG), also die einfache Täuschung der Steuerbehörde über den Umfang der Steuerschuld, gilt künftig auch bei den direkten Steuern als Grundtatbestand. Es wird also weiter an der Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug festgehalten. Die vorsätzliche Steuerhinterziehung stellt eine Übertretung dar, welche – anders als in Deutschland – mit Busse sanktioniert wird. Der Steuerbetrug (Art. 186 DBG und Art. 14 VStrR) setzt dagegen arglistiges Verhalten voraus (z.B. die Verwendung falscher Urkunden) und ist als Vergehen ausgestaltet. Mit der Revision wird aus dem eigenständigen Steuerbetrugstatbestand eine Qualifikation der Steuerhinterziehung. Damit soll verhindert werden, dass ein Verhalten sowohl den Tatbestand der Steuerhinterziehung als auch den des Steuerbetrugs erfüllt.
Deutlich weitreichendere Konsequenzen könnte die Revision in prozessualer Hinsicht haben. Als Verfahrensrecht soll künftig nämlich nun für alle Steuerstrafverfahren das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) Anwendung finden. Bis anhin war dies nur für die Steuerstrafuntersuchungen betreffend die indirekten Steuern der Fall. Auch wenn der Bundesrat diesbezüglich explizit den Auftrag erteilt hat, die Vor- und Nachteile des VStrR gegenüber dem Verfahrensrecht der Strafprozessordnung zu prüfen und für eine Anwendung der Letzteren plädiert, wenn wesentliche Gründe hierfür sprechen, wird doch gleichwohl eine Anwendung des Verwaltungsstrafverfahrensrechts präferiert. Hiermit wird indes bereits die Grundkonzeption des Verwaltungsstrafrechts auf den Kopf gestellt. Denn dieses findet grundsätzlich nur dann Anwendung, wenn die Untersuchung von einer Verwaltungsbehörde des Bundes geführt wird (Art. 1 VStrR).[9] Das Steuerstrafverfahren hinsichtlich der direkten Steuern wird jedoch auch in Zukunft bei den kantonalen Steuerbehörden verbleiben, welche nun auch Zwangsmassnahmen anwenden können. Gerade in Bezug auf Letzteres stellt sich zudem die Frage, ob das VStrR – eine vierzigjährige, kaum je überarbeitete und lückenhafte Verfahrensordnung – überhaupt geeignet ist, einen gerechten Ausgleich zwischen Verfolgungs- und Beschuldigteninteressen herzustellen.[10] Dies muss bezweifelt werden, weswegen sich bei der Ausarbeitung der Botschaft noch zahlreiche Grundsatzfragen stellen werden.
III. Neues aus der wirtschaftsstrafrechtlichen Rechtsprechung
1. Entscheid des Bundesstrafgerichts SK.2014.24 vom 1. Oktober 2014[11] (Verurteilung eines Geschäftsführers wegen Bestechung fremder Amtsträger durch Zahlungen an Saadi Gaddafi, einen Sohn des ehemaligen libyschen Diktators Muammar Gaddafi)
a) Sachverhalt
A war wirtschaftlich Berechtigter der Gesellschaften D. Inc. und E. Inc und kontrollierte diese. Diese wiederum waren als Agentinnen der G. Inc. tätig, die Bauprojekte in Libyen durchführte. Zwischen 2001 und 2011 tätigte die G. Inc. über ihre Agentinnen D. Inc. und E. Inc., jeweils auf Veranlassung von A. und mit dem Ziel, Zuschläge für verschiedene Bauprojekte zu erhalten, Zahlungen von insgesamt ca. EUR 12 Mio. und USD 20 Mio. an Saadi Gaddafi. Die G. Inc. erhielt in der Folge die Zuschläge für mehrere Bauprojekte, darunter den Bau eines Flughafens im Jahr 2008.
2011 eröffnete die Bundesanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen A. wegen Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies StGB) und weiterer Delikte. Eine der zu beurteilenden Fragen lautete, ob Saadi Gaddafi in seiner Eigenschaft als Sohn eines Diktators als fremder Amtsträger qualifiziert werden konnte.
b) Urteil
Das Urteil erging im abgekürzten Verfahren (Art. 358 ff. StPO). Saadi Gaddafi wurde als fremder Amtsträger qualifiziert. Das Schweizer Bundesstrafgericht übernahm die tatsächliche und rechtliche Würdigung der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft. Darin wurde ausgeführt, das politische System Libyens, das offiziell verschiedene staatliche Institutionen vorsah, sei nur eine Fassade gewesen. Die Macht der einzelnen Regierungsmitglieder sei unmittelbar von den persönlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen zu Muammar Gaddafi abhängig gewesen. Saadi Gaddafi sei sein Sohn gewesen und habe als sog. „homme de la tente“ gegolten, womit er über grosse faktische Macht verfügt habe. Darüber hinaus wurde berücksichtigt, dass Saadi Gaddafi das Amt eines ranghohen Offiziers des libyschen Militärapparats bekleidete, Libyen bei mehreren Gelegenheiten national und international repräsentiert hatte sowie Inhaber eines diplomatischen Passes von Libyen gewesen war.
c) Bemerkung
Der Entscheid stellt das erste Schweizer korruptionsstrafrechtliche Urteil im Nachgang zum „Arabischen Frühling“ dar und kann Einfluss auf zukünftige Entscheide von schweizerischen – und allenfalls ausländischen – Gerichten haben. Die Bundesanwaltschaft sprach von einem wichtigen Sieg der Justiz gegen die internationale Wirtschaftskriminalität.[12] Die Qualifikation einer Person aus der Entourage eines früheren Diktators als fremder Amtsträger im Sinne des Korruptionsstrafrechts wurde als „Rechtsfortbildung“ bezeichnet.[13] Tatsächlich wird die Frage, ob ein Mitglied eines diktatorischen Regimes als Amtsträger qualifiziert werden kann, in der schweizerischen Lehre kaum diskutiert. In der Schweiz gilt sowohl der institutionelle, als auch der funktionale Amtsträgerbegriff.[14] Darüber hinaus werden Angehörige der Armee in Art. 322septies StGB ausdrücklich erwähnt. Insofern überzeugt die Qualifikation von Saadi Gaddafi als Amtsträger unter Berücksichtigung seiner faktischen Macht innerhalb des Regimes sowie seiner militärischen Funktion.
Diese Qualifikation steht allerdings unter einem Vorbehalt, der sich aus der Natur des abgekürzten Verfahrens ergibt, in welchem der Entscheid gefällt wurde. Das abgekürzte Verfahren wurde 2011 mit der schweizerischen Strafprozessordnung eingeführt und setzt voraus, dass die beschuldigte Person den Sachverhalt, der für die rechtliche Würdigung wesentlich ist, eingesteht.[15] Die Staatsanwaltschaft nimmt in einer erweiterten Anklageschrift eine Subsumtion unter die einschlägigen Tatbestände vor.[16] Das Strafgericht hat bei seinem Urteil nur noch eine beschränkte Prüfungskompetenz mit Bezug auf diese rechtliche Subsumtion.[17] Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass ein Strafgericht mit voller Kognition in einem zukünftigen Entscheid zu einem anderen Ergebnis gelangt.
2. Entscheid des Bundesgerichts 6B_1198/2013 vom 18. Juli 2014[18] (Verurteilung wegen gewerbsmässigen Betrugs und weiteren Delikten im Rahmen eines Anlage-Schneeballsystems)
a) Sachverhalt
X versprach einer Reihe deutscher Investoren eine professionelle und vollkommen sichere Vermögensanlage in der Schweiz mit sehr attraktiven Renditen. X agierte über von ihr beherrschte Schweizer Vermögensverwaltungsfirmen, zog angesehene Schweizer Treuhänder bei, schloss mit ihren Kunden Verträge mit Geheimhaltungsklauseln ab und führte eine professionelle Korrespondenz. In Wirklichkeit investierte X die akquirierten Gelder nie in irgendwelche Anlagen. Vielmehr verwendete sie die entgegengenommenen Beträge u.a. für Rückzahlungen und angebliche Renditezahlungen an Kunden, zur Tragung von Geschäftskosten der von ihr genutzten Gesellschaften sowie zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes. Insgesamt veranlasste X 65 Personen bzw. Personengruppen, total rund CHF 28 Mio. anzulegen, was letztlich bei 46 Personen bzw. Personengruppen zu einem Verlust von rund CHF 17 Mio. führte.
Die Vorinstanz verurteilte X wegen gewerbsmässigen Betrugs und weiterer Delikte, wogegen X Beschwerde ans Bundesgericht erhob. X wandte sich u.a. gegen die Bejahung des Tatbestandsmerkmals der Arglist und machte geltend, die Vorinstanz habe sich nicht mit der Mitverantwortung der einzelnen Täuschungsopfer auseinandergesetzt. Höchst unglaubwürdig und vollkommen realitätsfremd sei insbesondere der Umstand gewesen, dass mit Geldern, die nicht angetastet werden sollten, horrende Renditen von über 100% pro Jahr hätten erzielt werden sollen.
b) Urteil
Das Bundesgericht wies die Beschwerde von X ab. Es bestätigte seine ständige Rechtsprechung zur Arglist, wonach diese einerseits vorliegt, wenn der Täter ein ganzes sog. „Lügengebäude“ errichtet oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe bedient. Andererseits gelten schon einfache falsche Angaben (d.h. unabhängig von einem Lügengebäude und besonderen Machenschaften) als arglistig, wenn (i) deren Überprüfung nicht oder nur mit besonderer Mühe möglich oder nicht zumutbar ist, (ii) der Täter das Opfer von der möglichen Überprüfung abhält oder (iii) der Täter nach den Umständen voraussieht, dass das Opfer die Überprüfung der Angaben aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen werde. Arglist wird hingegen verneint, wenn das Täuschungsopfer den Irrtum mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit hätte vermeiden können. Dabei entfällt der strafrechtliche Schutz nicht schon bei jeder Fahrlässigkeit, sondern nur bei Leichtfertigkeit.
Vor diesem Hintergrund erachtete das Bundesgericht die Arglist als gegeben. Mit Bezug auf die von X vorgebrachte Opfermitverantwortung hielt das Bundesgericht für irrelevant, dass sich einzelne Anleger des spekulativen Charakters der Geschäfte durchaus bewusst waren und sich ihr Handeln durch ein erhebliches Mass an Naivität auszeichnete. Das Strafrecht schütze auch unerfahrene, vertrauensselige oder von Gewinnaussichten motivierte Personen.
c) Bemerkung
Das Bundesgericht (und die Vorinstanz) begründete die Arglist nicht primär mit den zahlreichen äusseren Vorkehren von X (Einsatz Schweizer Vermögensverwaltungsfirmen und Treuhänder, Verträge mit Geheimhaltungsklauseln etc.), sondern mit dem Umstand, dass X die Geschädigten über ihre Absicht getäuscht hatte, die entgegengenommenen Gelder vereinbarungswidrig zu verwenden. X habe die Geschädigten diesbezüglich über eine innere Tatsache getäuscht, die als solche nicht überprüfbar gewesen sei. Aus diesem Grund könne auch offenbleiben, ob sich die Geschädigten allenfalls leichtfertig verhalten haben. Diese Begründung ist insofern bemerkenswert, als sie im Ergebnis dazu führt, dass jegliche Abgabe einer Erklärung über den Verwendungszweck entgegengenommener Gelder zu Arglist führt, wenn nachgewiesen wird, dass der Täter die Gelder vereinbarungswidrig verwenden wollte, und zwar unter Ausschluss der Möglichkeit einer Opfermitverantwortung.
Das Bundesgericht beschäftigte sich gleichwohl mit dem Argument der Opfermitverantwortung. Geschäftlich unerfahrene, aber prinzipiell vernünftige Vertragspartner, denen unrealistische Gewinnversprechen gemacht werden, bilden in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine fest etablierte Fallgruppe, die theoretisch zum Wegfall der Arglist führen kann, dies in der Praxis indessen nur selten tut.[19] Das besprochene Urteil bestätigt die höchstrichterliche Grosszügigkeit mit Bezug auf die erlaubte Naivität, indem es ein Renditeversprechen von mehr als 100% pro Jahr bei gleichzeitig absoluter Sicherheit noch nicht als „vollkommen realitätsfremd“ taxierte. Zu berücksichtigen ist immerhin, dass X nicht direkt 100% Rendite in Aussicht gestellt, sondern des Öfteren „3% pro Trade“ versprochen hatte, so dass die resultierende Gesamtrendite zumindest nicht auf den ersten Blick ersichtlich war.
3. Entscheid des Bundesgerichts 6B_1049/2013 vom 4. Juli 2014[20] (Verurteilung wegen Erpressung durch Androhung der Verzögerung eines Bauvorhabens mittels Weiterzug eines aussichtslosen Baurekurses)
a) Sachverhalt
X war Eigentümer zweier Liegenschaften, auf deren Nachbargrundstück die A-AG eine Arealüberbauung erstellen wollte. X schlug der A-AG vor, dass diese sein Mehrfamilienhaus saniere, ansonsten er Rekurs gegen ihr Bauvorhaben einreichen würde. Nachdem die A-AG nicht reagierte, reichte X Rekurs ein, weshalb die Bauarbeiten vorerst nicht begonnen werden durften. Anschliessend unterstrich X seine Forderung gegenüber der A-AG und erklärte, dass er die Gründe für seinen Rekurs extra breit gestreut habe. Nötigenfalls würde er den Rekurs bis vor Bundesgericht weiterziehen, womit er den Bau problemlos um fünf Jahre oder länger verzögern könne. Schliesslich einigten sich die Beteiligten darauf, dass die A-AG zu einem Preis von CHF 20’000.– umfangreiche Sanierungsarbeiten im Wert von rund CHF 400’000.– am Mehrfamilienhaus von X vornehmen und zudem eine Sicherheitsleistung von CHF 350’000.– als Garantie für die Erfüllung nach Rückzug des Baurekurses leisten würde. In der Folge leistete die A-AG die geforderte Garantie, sah aber von der vereinbarten Sanierung ab.
b) Urteil
Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Verurteilung wegen Erpressung. Die Androhung von X, seinen Rekurs bis vor Bundesgericht weiterzuziehen und damit den Bau um fünf Jahre zu verzögern, qualifizierte das Bundesgericht als Androhung eines ernstlichen Nachteils. Die Zahlung der verlangten Sicherheitsleistung durch die A-AG stellte eine Schädigung am eigenen Vermögen dar. Schliesslich hatte X die Absicht zur unrechtmässigen Bereicherung, da seine Forderung einer Entschädigung für den Rechtsmittelverzicht bzw. die entsprechende Vereinbarung mit der A-AG sittenwidrig und damit nichtig war.[21]
c) Bemerkung
Eine Besonderheit des besprochenen Entscheids besteht darin, dass X mit der Drohung, seinen Baurekurs bis vor Bundesgericht weiterzuziehen, ein grundsätzlich rechtmässiges Mittel verwendete. Der Tatbestand der Erpressung kann aber auch bei Drohung mit einem rechtmässigen Mittel erfüllt sein, wenn und soweit damit die Absicht einer unrechtmässigen Bereicherung verbunden ist.[22] Diese ergab sich hier aus der Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit der Entschädigungsvereinbarung. Zu beachten ist, dass die „Kommerzialisierung“ eines Rechtsmittelverzichts unter schweizerischem Recht nicht per se sittenwidrig und damit nichtig ist. Die Abgeltung von geldwerten Chancen und Vorteilen eines nicht aussichtslosen Rechtsmittels ist zulässig.[23] Im vorliegenden Fall war die Vorinstanz indessen zum Schluss gekommen, dass der Baurekurs von X als Ganzes aussichtslos gewesen war. Dabei hatte sich die Vorinstanz u.a. auf ein – von X selbst in Auftrag gegebenes – Rechtsgutachten gestützt, das sämtliche im Baurekurs vorgebrachten Rügen als „wenig chancenreich“ bezeichnet hatte. Damit ergab sich der wirtschaftliche Wert des Verzichts auf den Baurekurs bloss aus dem möglichen Schaden wegen der Verlängerung des Baubewilligungsverfahrens, und nicht aus den schutzwürdigen Interessen von X, was praxisgemäss sittenwidrig ist.
[1] Vgl. http://www.wi-j.de/index.php/de/wij/aktuelle-ausgabe/item/277-länderbericht-schweiz-aktuelles-wirtschaftsstrafrecht und http://www.wi-j.de/index.php/de/wij/aktuelle-ausgabe/item/241-länderbericht-schweiz-aktuelles-wirtschaftsstrafrecht (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[2] Vgl. dazu bereits http://www.wi-j.de/index.php/de/wij/aktuelle-ausgabe/item/277-länderbericht-schweiz-aktuelles-wirtschaftsstrafrecht (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[3] Vgl. dazu bereits http://www.wi-j.de/index.php/de/wij/aktuelle-ausgabe/item/277-länderbericht-schweiz-aktuelles-wirtschaftsstrafrecht.
[4] http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/legislaturrueckblick.aspx?rb_id=20130106 (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[5] Vgl. http://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2014/705.pdf (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[6] Vgl. http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/legislaturrueckblick.aspx?rb_id=20130106 (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[7] Abrufbar unter: http://www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/35516.pdf (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014). Vgl. auch den Erläuternden Bericht zum Bundesgesetz über eine Vereinheitlichung des Steuerstrafrechts vom 29. Mai 2013, abrufbar unter: http://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/2288/Steuerstrafrecht_Erl.-Bericht2_de.pdf (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[8] Medienmitteilung des Bundesrates vom 2. Juli 2014, abrufbar unter: https://www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&;;msg-id=53655 (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[9] Vgl. dazu auch Eicker/Frank/Achermann, Verwaltungsstrafrecht und Verwaltungsstrafverfahrensrecht, 2012, S. 39 ff.
[10] Zum Problem der Lückenschliessung im Verwaltungsstrafrecht vgl. Eicker/Achermann/Lehner, Zur Zulässigkeit eines Rückgriffs auf Bestimmungen der StPO im Verwaltungsstrafverfahren, Praxistest einer Auslegeordnung, AJP/PJA 2013, S. 1450 ff.
[11] Abrufbar unter: http://bstger.weblaw.ch/pdf/20141001_SK_2014_24.pdf (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[12] NZZ vom 2. Oktober 2014, Nr. 228, S. 13, abrufbar unter: http://www.nzz.ch/schweiz/ghadhafi-sohn-waehrend-zehn-jahren-geschmiert-1.18395208 (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[13] NZZ vom 28. Oktober 2014, Nr. 250, S. 9, vgl. http://www.nzz.ch/schweiz/schaerfere-instrumente-gegen-korrupte-regimes-1.18412373 (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[14] Basler Kommentar zum StGB, Band 2, 3. Auflage 2013 (Hrsg. Wiprächtiger/Niggli) – Pieth, Art. 322ter N 6 und Art. 322septies N 11.
[17] Nach der Lehre prüft das Strafgericht nur, ob die rechtliche Qualifikation „vertretbar“ ist, vgl. Basler Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2014 (Hrsg. Niggli/Heer/Wiprächtiger) – Greiner/Jaggi, Art. 362 N 11.
[18] Abrufbar unter: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bger/140718_6B_1198-2013.html (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[19] Für eine Übersicht vgl. Basler Kommentar zum StGB, Band 2, 3. Auflage 2013 (Hrsg. Wiprächtiger/Niggli) – Arzt, Art. 146 N 80 ff. und Sägesser, Opfermitverantwortung beim Betrug, 2014, passim. Zur Bedeutung der Opfermitverantwortung beim deutschen Betrugstatbestand vgl. Frank/Leu, Opfermitverantwortung und Strafzumessung beim Betrug, StraFo 2014, S. 198 ff.
[20] Abrufbar unter: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bger/140704_6B_1049-2013.html (zuletzt besucht am 26. Dezember 2014).
[22] Vgl. Basler Kommentar zum StGB, Band 2, 3. Auflage 2013 (Hrsg. Wiprächtiger/Niggli) – Weissenberger, Art. 156 N 22 ff.
[23] Vgl. Entscheid des Bundesgerichts 6P.5/2006 bzw. 6S.8/2006 vom 12. Juni 2006 (abrufbar unter: http://www.polyreg.ch/bgeunpub/Jahr_2006/Entscheide_6P_2006/6P.5__2006.html; zuletzt besucht am 26. Dezember 2014), dessen Sachverhalt demjenigen des hier besprochenen Entscheids sehr ähnlich war.