Beweiserhebung und Strafverteidigung
Das Konfrontationsrecht und die jüngere bundesgerichtliche Rechtsprechung
I. Einleitung
Gegenstand des vorliegenden Beitrages, welcher auf einem anlässlich einer WisteV-Veranstaltung am 27. Januar 2015 in Zürich gehaltenen Vortrag basiert, bildet das Thema „Beweiserhebung und Strafverteidigung“ aus der Sicht eines erstinstanzlichen schweizerischen Strafgerichts. Dabei gilt es festzuhalten, dass sich in der Praxis diese Frage – jedenfalls aus der Sicht des Autors – auf das Konfrontationsrecht des Beschuldigten und die Folgen seiner Verletzung konzentriert. In den nun beinahe vier Jahren, in welchen der Autor am Straf-, Zwangsmaßnahmen- und Jugendgericht des Kantons Basel-Landschaft als Gerichtsschreiber tätig ist, hat sich dem Autor erst ein einziges Mal eine Beweisverwertungssproblematik gestellt, welche nicht mit dem Konfrontationsrecht des Beschuldigten im Zusammenhang stand. Diese sei an dieser Stelle nur kurz skizziert.
II. Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten
Im Rahmen der Instruktion eines umfangreichen Betäubungsmittelfalles fiel auf, dass das Fahrzeug eines Verdächtigten von der Polizei mit einem Peilsender („Wanze“) versehen worden war, dessen Einsatz – nicht wie von der damals anwendbaren kantonalen Strafprozessordnung vorgesehen – vom Präsidium des Verfahrensgerichts in Strafsachen genehmigt worden war. Ein solches Gesuch wurde von den Strafverfolgungsbehörden nie eingereicht. Die Erkenntnisse aus dieser Überwachung waren somit grundsätzlich nicht verwertbar, was sich aus Art. 281 Abs. 4 i.V.m. Art. 277 Abs. 2 StPO ergibt. Der Staatsanwaltschaft wurde dies von der Verfahrensleitung mitgeteilt. Sie reichte nun – mehrere Jahre nach der fraglichen Beweiserhebung – ein Gesuch um Genehmigung beim nunmehr zuständigen Zwangsmaßnahmengericht ein, welches die Genehmigung dann auch prompt erteilte.
Auch wenn es sich bei Art. 274 Abs. 1 StPO, welcher (in Übereinstimmung mit dem im Anordnungszeitpunkt anwendbaren § 105 Abs. 1 StPO/BL) bestimmt, dass die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmaßnahmengericht innert 24 Stunden seit der Anordnung der Überwachung diese zur Genehmigung vorzulegen hat, um eine Ordnungsvorschrift handelt, die mindestens bei geringfügiger Überschreitung die Gültigkeit der Anordnung nicht tangiert,1 dürfte mehr als fraglich sein, ob dies auch bei einer mehrjährigen Verspätung noch zu gelten habe, da diesfalls der Schutzzweck des Genehmigungsvorbehalts faktisch vereitelt wird. Es kann nicht Sinn des Genehmigungsvorbehalts sein, dass die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmaßnahmengericht Erkenntnisse zur Begründung der Anordnung vorlegen kann, welche sie erst durch die Anwendung der zu genehmigenden Überwachungsmaßnahme gewonnen hat. Dass beim verspäteten Genehmigungsverfahren eine saubere ex-ante-Betrachtung möglich ist und gegebenenfalls auch tatsächlich angewandt wird, erscheint zweifelhaft. Es spricht somit vieles dafür, dass das Zwangsmaßnahmengericht diese Genehmigung aufgrund der krassen Verletzung der Genehmigungsfrist nicht hätte erteilen dürfen. Es hat sie jedoch erteilt. Welche Folge ergibt sich nun daraus für das erkennende Strafgericht? Darf und muss es selbständig prüfen, ob das Zwangsmaßnahmengericht die Genehmigung zu Recht erteilt hat oder ist es an diesen Entscheid gebunden? Ist somit unter Umständen trotz vorliegender Genehmigung von der Nichtverwertbarkeit der daraus gewonnenen Erkenntnisse auszugehen?
Diese Frage ist zu verneinen. Mit anderen Worten ist das Strafgericht an die durch das Zwangsmaßnahmengericht erteilte Genehmigung gebunden, auch wenn es der Überzeugung ist, dass diese so nicht hätte erteilt werden dürfen. Die Öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat mit Entscheid vom 22. Juni 2011 – noch in Bezug auf das BÜPF – festgehalten, dass sich der Sachrichter nicht mehr zur Rechtmäßigkeit oder zur Verhältnismäßigkeit der Überwachung zu äußern, sondern nur noch die daraus gewonnenen Beweise zu würdigen habe (1B_425/2010, Erw. 1.3).2 Der Beschuldigte hätte im vorliegend interessierenden Fall somit gemäß Art. 279 Abs. 3 StPO Beschwerde führen müssen, wenn er die Verwertung der ihn belastenden Erkenntnisse aus dem Einsatz des Peilsenders hätte verhindern wollen.
III. Das Konfrontationsrecht in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichts
Art. 147 Abs. 1 StPO bestimmt, dass die Parteien das Recht haben, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen. Art. 147 Abs. 4 StPO sanktioniert die Verletzung dieses Rechts mit der Unverwertbarkeit der erhobenen Beweise zulasten der betroffenen Partei.
Im Folgenden werden einige ausgewählte, aus der Sicht eines erstinstanzlichen Strafgerichts wesentlichen Aspekte des Konfrontationsrechts thematisiert.
Dem Konfrontationsrecht des Beschuldigten wird aus der Sicht des Vevf. leider in der Voruntersuchung vielfach nicht die notwendige Beachtung geschenkt. Dies hat zur Folge, dass sich das Strafgericht häufig gezwungen sieht, eine solche Zeugenaussage anlässlich der Hauptverhandlung in Anwendung von Art. 343 Abs. 2 StPO nochmals zu erheben. Nun kann es vorkommen, dass sich der Zeuge anlässlich der Hauptverhandlung weigert, seine einmal gemachten Aussagen zu wiederholen, er sich – aufgrund Zeitablaufs – nicht mehr erinnern kann oder er nur pauschal bestätigt, seine einmal gemachten Aussagen seien zutreffend.
Die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat mit Entscheid vom 31. Oktober 2013 hierzu Folgendes festgehalten: „Mit der Wiederholung der Befragungen in Anwesenheit des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers trugen die kantonalen Behörden dem Teilnahme- und Konfrontationsrecht in formeller Hinsicht Rechnung. Dies bedeutet aber noch nicht, dass damit auch die früheren Befragungen uneingeschränkt verwertet werden können. Dem Anspruch auf Wiederholung einer Beweiserhebung ist nur Genüge getan, wenn die nicht verwertbaren Beweise auf gesetzeskonforme Art neu erhoben werden. Der konventionsrechtliche Konfrontationsanspruch (Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK) verlangt, dass der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, sein Fragerecht tatsächlich auszuüben und damit die Glaubhaftigkeit einer Aussage infrage stellen zu können. Dies setzt in der Regel voraus, dass sich der Einvernommene in Anwesenheit des Beschuldigten (nochmals) zur Sache äussert. In diesem Fall steht nichts entgegen, im Rahmen einer Gesamtwürdigung auch auf die Ergebnisse der früheren Beweiserhebung ergänzend zurückzugreifen. Denn die Frage, ob bei widersprüchlichen Aussagen oder späteren Erinnerungslücken eines Zeugen auf die ersten, in Abwesenheit des Beschuldigten erfolgten Aussagen abgestellt werden kann, betrifft nicht die Verwertbarkeit, sondern die Würdigung der Beweise. Beschränkt sich die Wiederholung der Einvernahme aber im Wesentlichen auf eine formale Bestätigung der früheren Aussagen, wird es dem Beschuldigten verunmöglicht, seine Verteidigungsrechte wirksam wahrzunehmen.“3 Es kann an dieser Stelle auch auf den jüngsten Entscheid des Bundesgerichts vom 28. Oktober 2014 verwiesen werden, in welchem sich die strafrechtliche Abteilung materiell gleich äußerte.4 Diese Rechtsprechung überzeugt. Verweist der Belastungszeuge anlässlich der Konfrontation integral auf seine früheren, in Abwesenheit des Beschuldigten gemachten Aussagen und verweigert er dadurch eine inhaltliche Stellungnahme, handelt es sich bei der Konfrontation um eine „Farce“. Es soll an dieser Stelle zur Verdeutlichung der Grundgedanke des in Art. 6 Ziffer 3 lit. d EMRK kodifizierten Konfrontationsrechts in Erinnerung gerufen werden: „Mit der Garantie von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK soll ausgeschlossen werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen von Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gegeben wurde, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Zeugen zu stellen“5, was impliziert, dass der Zeuge auf die Fragen auch tatsächlich materiell eingeht.
Allerdings gilt es zu beachten, dass auf eine Konfrontation unter besonderen Umständen (von Seiten der Strafbehörden) verzichtet werden kann. So hat die strafrechtliche Abteilung im vorerwähnten Urteil vom 28. Oktober 2014 festgehalten, dass in solchen Fällen gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 und Ziffer 3 lit. d EMRK erforderlich sei, dass der Beschuldigte zum streitigen Zeugnis hinreichend Stellung nehmen könne, die Aussagen sorgfältig geprüft würden und der Schuldspruch nicht alleine darauf abgestützt werde. Außerdem dürfe der Umstand, dass der Beschuldigte seine Rechte nicht (rechtzeitig) wahrnehmen konnte, nicht in der Verantwortung der Behörde liegen. 6 In Bezug auf den konkreten Sachverhalt zog die strafrechtliche Abteilung den Schluss, dass für den Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Konfrontationsrecht nicht effektiv ausüben konnte, nicht alleine die Behörden die Verantwortung trügen: „Obschon der Beschwerdeführer im Laufe des gesamten Verfahrens wiederholt dazu aufgefordert wurde, allfällige Beweisanträge zu stellen, beantragte er die Konfrontationseinvernahme erst im Verfahren vor Vorinstanz. Unter diesen Umständen haben nicht allein die kantonalen Behörden, sondern ebenso er selbst zu vertreten, dass sich die Beschwerdegegnerin 2 zum Zeitpunkt ihrer zweiten Einvernahme wegen des Zeitablaufs kaum mehr an die Vorwürfe erinnerte.“7
Erkennt ein Verteidiger in einem laufenden Verfahren, dass sein Mandant nicht mit den ihn belastenden Zeugen konfrontiert wurde, stellt sich ihm die Frage, wie er vorzugehen hat. Soll er eine Konfrontation verlangen oder ist es die bessere Verteidigungsstrategie, abzuwarten und anlässlich der Hauptverhandlung die Verletzung des Konfrontationsrechts zu rügen und die Nichtverwertbarkeit der Zeugenaussagen zu postulieren?
Diese Frage lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Auszugehen ist von der grundsätzlichen Überlegung, dass auf die Teilnahme an der Einvernahme in Kenntnis des Rechts verzichtet werden kann.8 Strittig ist in der Lehre, ob das unentschuldigte Fernbleiben für sich schon als Verzicht gewertet werden darf. In diesem Sinne äussert sich Dorrit Schleiminger Mettler9. Anderer Ansicht ist beispielsweise Wolfgang Wohlers10. M.E. ist erstgenannter Lehrmeinung dann zu folgen, wenn aus den gesamten Umständen des Einzelfalls geschlossen werden kann, dass das unentschuldigte Fernbleiben als Verzicht auf die Konfrontation gewertet werden kann. Hierauf wird noch vertieft einzugehen sein.
Das Strafgericht des Kantons Basel-Land nimmt regelmäßig in die Beweisverfügung gemäß Art. 331 StPO einen Passus auf, dass gewisse Personen anlässlich der Hauptverhandlung als Zeugen respektive Auskunftspersonen befragt würden. Auf die Vorladung weiterer Personen werde mit Verweis auf die ausführlichen Einvernahmen in der Voruntersuchung verzichtet. Sofern eine Partei damit nicht einverstanden sei, habe sie sich bis zu einem bestimmten Datum mit einem entsprechenden Beweisantrag vernehmen zu lassen. In diesem Fall ist es nach Ansicht des Strafgerichts Basel-Landschaft grundsätzlich die Obliegenheit der Parteien, eine allfällige Konfrontation zu verlangen. Schweigen wird als Verzicht aufgefasst. Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser Passus Rechtswirksamkeit erlangen kann, wird im Folgenden zu erörtern sein.
Das Bundesgericht scheint diese Vorgehensweise in seiner neueren Rechtsprechung zu stützen. So führte die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit Urteil vom 27. November 2014 Folgendes aus: „Der Beschuldigte hat den Antrag auf Befragung eines Zeugen den Behörden rechtzeitig und formgerecht einzureichen. Stellt er seinen Beweisantrag nicht rechtzeitig, kann er den Strafverfolgungsbehörden nachträglich nicht vorwerfen, sie hätten durch Verweigerung der Konfrontation oder ergänzender Fragen an Belastungszeugen seinen Grundrechtsanspruch verletzt.“11 Weiter ist zu lesen: „Obschon der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens wiederholt und explizit dazu aufgefordert wurde, allfällige Beweisanträge einzureichen, verlangte er bis zuletzt keine Konfrontationseinvernahme mit dem Polizeibeamten, der ihn observiert hatte. Damit hat er die Befragung des Belastungszeugen nicht nur zu spät, sondern nach wie vor gar nicht beantragt. Unter diesen Umständen kann er nicht den Strafverfolgungsbehörden vorwerfen, sie hätten seinen Grundrechtsanspruch auf Konfrontation mit dem Belastungszeugen verletzt.“12 Es ist somit nicht die Pflicht der Behörden, von sich aus eine Konfrontationseinvernahme durchzuführen, sondern vielmehr die Obliegenheit des Beschuldigten, eine solche zu verlangen.
Dies ergibt sich schon aus den einschlägigen Gesetzesbestimmungen. Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK lautet wie folgt: Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte: Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten. Nichts anderes ergibt sich aus Art. 147 Abs. 1 StPO: Die Parteien haben das Recht, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen.
Es stellt sich nun die Frage, bis wann eine Konfrontationseinvernahme beantragt werden kann. Hier hat das Bundesgericht verschiedentlich festgehalten, dass der Antrag auf Befragung von Belastungszeugen auch noch anlässlich der Berufungsverhandlung gestellt werden kann. Verwiesen sei beispielsweise auf das den Kanton Basel-Landschaft betreffende Urteil der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 3. März 2014, 6B_510/2013, Erw. 1.3.2: „Nach der Rechtsprechung hat der Beschuldigte einen Antrag auf Befragung eines Zeugen den Behörden rechtzeitig und formgerecht einzureichen. Stellt er seinen Beweisantrag nicht rechtzeitig, kann er den Strafverfolgungsbehörden nachträglich nicht vorwerfen, sie hätten durch Verweigerung der Konfrontation oder ergänzender Fragen an Belastungszeugen seinen Grundrechtsanspruch verletzt. Ob ein Antrag auf Befragung von Belastungszeugen unter dem Aspekt von Treu und Glauben rechtzeitig vorgebracht wurde, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Auf das Recht der Befragung von Belastungszeugen kann verzichtet werden. Der Beschuldigte verwirkt sein Recht auf die Stellung von Ergänzungsfragen aber nicht dadurch, dass er es erst im Rahmen der Berufung geltend macht.“13Allerdings hat der Antrag spätestens vor Abschluss des Beweisverfahrens vor zweiter Instanz zu erfolgen. Verwiesen werden kann auf die Ausführungen der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 27. November 2014, 6B_374/2014, 1.3: „Im Verfahren vor Vorinstanz machte er alsdann geltend, der Observationsbericht sei nicht verwertbar, weil ihm keine Gelegenheit gegeben worden sei, Fragen an dessen Verfasser zu stellen. Eine Befragung desselben beantragte er wiederum nicht. Obschon der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens wiederholt und explizit dazu aufgefordert wurde, allfällige Beweisanträge einzureichen, verlangte er bis zuletzt keine Konfrontationseinvernahme mit dem Polizeibeamten, der ihn observiert hatte. Damit hat er die Befragung des Belastungszeugen nicht nur zu spät, sondern nach wie vor gar nicht beantragt. Unter diesen Umständen kann er nicht den Strafverfolgungsbehörden vorwerfen, sie hätten seinen Grundrechtsanspruch auf Konfrontation mit dem Belastungszeugen verletzt.“
Für die Frage, wann von einem Verzicht des Beschuldigten auf eine Konfrontationseinvernahme ausgegangen werden kann, kann m.E. die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage, wann ein Einspracherückzug gemäß Art. 356 Abs. 4 StPO angenommen werden kann, herangezogen werden. In beiden Fällen geht es um zentrale verfahrensrechtliche Garantien, welche den „Fair trial“ im Sinne von Art. 6 EMRK in seinem Kern betreffen. Zum Einsprachenrückzug hat die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit Urteil vom 27. Mai 2013, 6B_152/2013, Erw. 4.4 f. Folgendes festgehalten: „Grundsätzlich kann der Betroffene auf die ihm zustehenden Verfahrensrechte verzichten. Ein Verzicht auf verfassungsmässige Garantien ist aber nur verbindlich, wenn er in unmissverständlicher Weise und unter Bedingungen erfolgt, die keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass der Erklärende unbeeinflusst handelt und sich über die Tragweite seines Handelns bewusst ist. Erforderlich ist in jedem Fall, dass der Verzicht unzweideutig vorliegt und nicht auf einer dem Fairnessprinzip widersprechenden Weise zustande gekommen ist. Werden die Bestimmungen der Strafprozessordnung verfassungskonform ausgelegt, darf ein konkludenter Rückzug der Einsprache gegen den Strafbefehl nur angenommen werden, wenn sich aus dem gesamten Verhalten des Betroffenen der Schluss aufdrängt, er verzichte mit seinem Desinteresse am weiteren Gang des Verfahrens bewusst auf den ihm zustehenden Rechtsschutz. Der vom Gesetz an das unentschuldigte Fernbleiben geknüpfte (fingierte) Rückzug der Einsprache setzt deshalb voraus, dass sich der Beschuldigte der Konsequenzen seiner Unterlassung bewusst ist und er in Kenntnis der massgebenden Rechtslage auf die ihm zustehenden Rechte verzichtet.“ Daraus ergibt sich folgende Schlussfolgerung: „Schliesslich kann die gesetzliche Rückzugsfiktion nur zum Tragen kommen, wenn aus dem unentschuldigten Fernbleiben nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auf ein Desinteresse am weiteren Gang des Strafverfahrens geschlossen werden kann.“14
In Bezug auf das Konfrontationsrecht und den Verzicht auf dasselbe gilt es nun zu beachten, dass durchaus Gründe denkbar sind, welche den Beschuldigten gerade im Vorverfahren veranlassen können, auf die Beantragung der Konfrontation zu verzichten, ohne dass er damit ein Desinteresse an der Konfrontation an sich zum Ausdruck bringen muss. So kann es eine Verteidigungsstrategie sein, die Konfrontation erst im Rahmen der Hauptverhandlung zu beantragen, um dem Gericht den unmittelbaren Eindruck von der Konfrontationseinvernahme zu verschaffen. Diese Strategie läuft darauf hinaus, die Mittelbarkeit der Hauptverhandlung (vgl. Art. 308 Abs. 3 StPO, Art. 343 StPO) auszuhebeln. Diese Vorgehensweise erscheint mir jedoch zulässig, da nicht rechtsmissbräuchlich. Es ist nicht Aufgabe des Beschuldigten, für verwertbare Belastungsaussagen zu sorgen. Eine solche Aushebelung der Mittelbarkeit der Hauptverhandlung kann durch die Untersuchungsbehörden denn auch ohne weiteres unterbunden werden, indem sie von sich aus konsequent Konfrontationseinvernahmen durchführen. Es kann an dieser Stelle auf das Urteil der I. Öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 2. Dezember 2004, 1P.524/2004, Erw. 3.3 verwiesen werden, in welchem das Gericht Folgendes ausführte: „Aus welchem Grund der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren keine Ergänzungsfragen an die Geschädigte stellen wollte – weil er, wie das Obergericht meint, ein vernichtendes Ergebnis einer erneuten Befragung befürchtete, oder weil er, mit einem Freispruch rechnend, die Geschädigte schonen wollte – ist angesichts von § 220 StPO [des Kantons Aargau] unerheblich: rechtsmissbräuchlich war das Zuwarten mit dem entsprechenden Beweisantrag in keinem Fall. Gerade wenn man mit dem Obergericht davon ausginge, dass der Beschwerdeführer eine erneute Befragung der Geschädigten mit der Möglichkeit, Ergänzungsfragen zu stellen, vor der ersten Instanz nicht beantragte, weil er ein negatives Beweisergebnis befürchtete, war er nach Treu und Glauben nicht verpflichtet, den entsprechenden Beweisantrag schon vor der ersten Instanz zu stellen. Es ist grundsätzlich Sache der Strafverfolgungsbehörden, dem Angeschuldigten seine Schuld mit gerichtlich verwertbaren Beweisen nachzuweisen und daher ihr Risiko, wenn sie den Prozess mit einem Hauptbeweismittel führen, dessen Erhebung den konventionsrechtlichen Anforderungen offensichtlich nicht genügt und das daher vom Angeschuldigten auch noch im Berufungsverfahren in Frage gestellt werden kann.“ Aus dem Umstand, dass der Beschuldigte im Vorfeld der Hauptverhandlung auf die Aufforderung hin, allfällige anlässlich der Hauptverhandlung durchzuführende Konfrontationen zu beantragen, nicht reagiert, kann somit nicht ohne Weiteres auf den Verzicht der Geltendmachung dieses Rechts geschlossen werden.
Schließlich kann an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich die Problematik in vielen Fällen deshalb gar nicht stellen sollte, weil eine Einvernahme des Belastungszeugen vor Gericht von Amtes wegen aus anderen Gründen als der Gewährung des Konfrontationsrechts durchgeführt werden muss. Hierzu erfolgen zum Abschluss dieses Beitrages kurze Ausführungen.
Allerdings gilt es festzuhalten, dass es sich m.E. trotz allem um eine nicht kluge Verteidigungsstrategie handelt, im Hinblick auf die Hauptverhandlung die Geltendmachung des Konfrontationsrechts zu unterlassen und im Rahmen des Parteivortrags auf Unverwertbarkeit der belastenden Aussage zulasten des Beschuldigten zu plädieren. Vor erster Instanz riskiert der Beschuldigte mit seinem Argument nicht gehört zu werden, da nach dem Abschluss des Beweisverfahrens – und somit vor den Plädoyers – im erstinstanzlichen Verfahren neue Beweisanträge nicht mehr möglich sind.15 Ihm bleibt es dann allerdings unbenommen, den Antrag vor der Berufungsinstanz erneut zu stellen. Macht der Beschuldigte allerdings erst im Rahmen des Parteivortrags vor der Berufungsinstanz geltend, sein Konfrontationsrecht sei nicht gewahrt worden, riskiert er, dass der Antrag auf Konfrontation als zu spät abgewiesen wird mit der Folge, dass auf die belastenden Aussagen trotz unterlassener Konfrontation abgestellt werden kann.
Überdies empfiehlt es sich, den Antrag auf Nachholung einer Konfrontationseinvernahme deshalb frühzeitig zu stellen, weil sonst allenfalls Kosten zu Lasten des Beschuldigten respektive des Verteidigers anfallen können, vgl. Art. 331 Abs. 2 StPO. Wer beispielsweise die Nachholung der Konfrontation erst anlässlich der Hauptverhandlung beantragt, obwohl er aufgrund des Aktenstudiums schon frühzeitig davon Kenntnis hatte, dass eine solche unterlassen wurde, und dadurch den Unterbruch der Hauptverhandlung verursacht, riskiert, mit den dadurch verursachten Kosten belastet zu werden. Auch wenn Art. 417 StPO, auf welche sich die Kostenpflicht bei fehlerhaften Verfahrenshandlungen abstützt, nur von den verfahrensbeteiligten Personen spricht (zum Begriff vgl. Art. 104 und Art. 105 StPO: beschuldigte Person, Privatklägerschaft, im Haupt- und Rechtsmittelverfahren: die Staatsanwaltschaft, des Weitern: die geschädigte Person, die Person, die Anzeige erstattet, die Zeugin oder der Zeuge, die Auskunftsperson, der Sachverständige sowie die durch Verfahrenshandlungen beschwerte Drittperson), ist in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, dass darunter auch der Verteidiger des Beschuldigten fallen kann.16 Das Bundesgericht führte hierzu Folgendes aus: „Nach der Rechtsprechung zu Art. 156 Abs. 6 OG, welcher Art. 66 Abs. 3 BGG entspricht, sind die Kosten ausnahmsweise nicht der unterliegenden Partei, sondern deren Rechtsvertreter aufzuerlegen, wenn dieser schon bei Beachtung elementarster Sorgfalt auf die Erhebung des Rechtsmittels verzichtet hätte.“17Diese Rechtsprechung ist zu begrüssen. Ein Rechtsanwalt wird gerade deshalb mandatiert, weil er über überlegene Rechtskenntnisse verfügt (respektive verfügen sollte); es wäre nun stoßend, die Kosten seines professionellen Fehlverhaltens auf den Mandanten abzuwälzen.
Heikel wird es dann, wenn die fehlerhafte Verfahrenshandlung auf ausdrücklichen Wunsch des Mandanten hin vorgenommen wird. Es wird diesfalls vom Anwalt zu verlangen sein, dass er seinen Mandanten umfassend, auch über die Kostenfolgen, aufklärt. Erst wenn der Mandant dann immer noch auf der Vornahme der fehlerhaften Verfahrenshandlung besteht, sollte die Kostenverlegung zu seinen Lasten erfolgen. Der Verteidiger ist jedoch in Bezug auf die mandatsinternen Abmachungen aufgrund des anwaltlichen Berufsgeheimnisses zur Verschwiegenheit – auch gegenüber dem Gericht – verpflichtet, weshalb er ein Strafverfahren wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses riskiert, wenn er – ohne dass er sich gemäß Art. 321 Ziffer 2 StGB durch die Aufsichtsbehörde von der Schweigepflicht hat entbinden lassen – diese Interna offenbart. Diese Bewilligung wird dem Anwalt allerdings in der Regel erteilt werden. Es kann auf das Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 21. September 2011, 2C_503/2011, Erw. 2.1 verwiesen werden: „Die Schweigepflicht ist insbesondere unzumutbar, wenn sie den Rechtsanwalt daran hindert, sich in einem gegen ihn geführten Straf- oder Disziplinarverfahren zu verteidigen, Angriffe gegen seine Ehre zurückzuweisen oder einen ungerechtfertigten erheblichen Vermögensnachteil abzuwenden.“ Im vorliegenden Fall dürfte letztgenannte Voraussetzung einschlägig sein. In einem solchen Fall wurde ein mutmaßlich fehlbarer amtlicher Verteidiger vom Strafgericht Basel-Landschaft mit den aufgrund des Verfahrensunterbruchs angefallenen Mehrkosten von Fr. 1315.– belastet.
Das Teilnahmerecht gemäß Art. 147 Abs. 1 StPO setzt expressis verbis Parteistellung voraus. Mit Urteil vom 1. September 2014, 6B_280/2014, Erw. 1.2.3 hat die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts Folgendes festgehalten: „In getrennt geführten Verfahren kommt den Beschuldigten im jeweils andern Verfahren keine Parteistellung zu. Ein gesetzlicher Anspruch auf Teilnahme an den Beweiserhebungen im eigenständigen Untersuchungs- und Hauptverfahren der andern beschuldigten Person besteht folglich nicht (Art. 147 Abs. 1 StPO e contrario). Die Einschränkung der Teilnahmerechte von Beschuldigten in getrennten Verfahren im Vergleich zu Mitbeschuldigten im gleichen Verfahren ist vom Gesetzgeber implizit vorgesehen und hinzunehmen.“ Allerdings ist auch in diesem Fall dem Konfrontationsrecht des Beschuldigten Rechnung zu tragen. Die Aussagen des Belastungszeugen können somit nur verwertet werden, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, die ihn belastenden Aussagen in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Belastungszeugen im getrennten Verfahren zu stellen.18
Mit Urteil vom 10 Juni 2013, 6B_183/2013, Erw. 1.4 hat das Bundesgericht in Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung19 entschieden, dass dem Recht des Beschuldigten, dem Belastungszeugen Fragen zu stellen, nicht nur dann grundsätzlich absoluter Charakter zukommt, wenn das streitige Zeugnis den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt. Diese Rechtsprechung ist zu begrüßen. Es spielt grundsätzlich keine Rolle, ob der Schuldspruch auf einen einzigen Beweis abgestützt wird, oder ob die Addition mehrerer Beweise erst den Schuldspruch zu stützen vermag. Auch in letztgenanntem Fall ist jeder einzelne Beweis insoweit entscheidend, als erst er ein tragfähiges Gesamtbeweisbild zu schaffen vermag.
IV. Partielle Verwirklichung der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung
Nicht eine Frage des Konfrontationsrechts, aber doch im Zusammenhang mit der Würdigung von Aussagen von Bedeutung ist die Feststellung des Bundesgerichts, dass im Falle einer sogenannten „Aussage-gegen-Aussage“-Situation grundsätzlich die unmittelbare Wahrnehmung durch das Gericht erforderlich ist. Andernfalls beruhe die Aussagenwürdigung auf einer unvollständigen Grundlage, was bei widersprechenden Angaben umso stärker ins Gewicht falle.20 Dadurch wird dem Bestreben der Gerichte, anlässlich der Hauptverhandlung wann immer möglich auf Zeugeneinvernahmen zu verzichten, eine wohl auch in quantitativer Hinsicht bedeutsame Grenze gesetzt. Gerade bei Verhandlungen über Sexualstraftaten wird in vielen Fällen die unmittelbare Anhörung des Opfers durch das Gericht in Beachtung der zitierten Rechtsprechung notwendig sein. Im Gegensatz zum Konfrontationsrecht stellen sich im Übrigen hier auch keine Probleme bezüglich Opferschutz (vgl. Art. 149 ff. StPO, insb. 153 StPO), da ja gerade nicht die beschuldigte Person „Adressatin“ der Bestimmung ist, sondern das urteilende Gericht. Es ist somit ohne weiteres möglich, den Beschuldigten von der Einvernahme auszuschließen. Verzichtet das Gericht in einer „Aussage gegen Aussage“-Situation auf die unmittelbare Befragung des Belastungszeugen in der Hauptverhandlung und stützt es den Schuldspruch auf dessen im Vorverfahren gemachte Aussagen, verstößt es gegen den Grundsatz „in dubio pro reo“21. Der Unterschied in der Rechtsfolge zwischen dem Verstoß gegen das Konfrontationsrecht und dem gegen das Gebot der unmittelbaren Beweiserhebung in der Hauptverhandlung besteht darin, dass ersterer ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, die entsprechenden Beweismittel der Würdigung somit überhaupt entzogen sind, letztgenannter Verstoß – nur, aber immerhin – im Rahmen der Beweiswürdigung zu beachten ist.
Das Konfrontationsrecht und die jüngere bundesgerichtliche Rechtsprechung
I. Einleitung
Gegenstand des vorliegenden Beitrages, welcher auf einem anlässlich einer WisteV-Veranstaltung am 27. Januar 2015 in Zürich gehaltenen Vortrag basiert, bildet das Thema „Beweiserhebung und Strafverteidigung“ aus der Sicht eines erstinstanzlichen schweizerischen Strafgerichts. Dabei gilt es festzuhalten, dass sich in der Praxis diese Frage – jedenfalls aus der Sicht des Autors – auf das Konfrontationsrecht des Beschuldigten und die Folgen seiner Verletzung konzentriert. In den nun beinahe vier Jahren, in welchen der Autor am Straf-, Zwangsmaßnahmen- und Jugendgericht des Kantons Basel-Landschaft als Gerichtsschreiber tätig ist, hat sich dem Autor erst ein einziges Mal eine Beweisverwertungssproblematik gestellt, welche nicht mit dem Konfrontationsrecht des Beschuldigten im Zusammenhang stand. Diese sei an dieser Stelle nur kurz skizziert.
II. Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten
Im Rahmen der Instruktion eines umfangreichen Betäubungsmittelfalles fiel auf, dass das Fahrzeug eines Verdächtigten von der Polizei mit einem Peilsender („Wanze“) versehen worden war, dessen Einsatz – nicht wie von der damals anwendbaren kantonalen Strafprozessordnung vorgesehen – vom Präsidium des Verfahrensgerichts in Strafsachen genehmigt worden war. Ein solches Gesuch wurde von den Strafverfolgungsbehörden nie eingereicht. Die Erkenntnisse aus dieser Überwachung waren somit grundsätzlich nicht verwertbar, was sich aus Art. 281 Abs. 4 i.V.m. Art. 277 Abs. 2 StPO ergibt. Der Staatsanwaltschaft wurde dies von der Verfahrensleitung mitgeteilt. Sie reichte nun – mehrere Jahre nach der fraglichen Beweiserhebung – ein Gesuch um Genehmigung beim nunmehr zuständigen Zwangsmaßnahmengericht ein, welches die Genehmigung dann auch prompt erteilte.
Auch wenn es sich bei Art. 274 Abs. 1 StPO, welcher (in Übereinstimmung mit dem im Anordnungszeitpunkt anwendbaren § 105 Abs. 1 StPO/BL) bestimmt, dass die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmaßnahmengericht innert 24 Stunden seit der Anordnung der Überwachung diese zur Genehmigung vorzulegen hat, um eine Ordnungsvorschrift handelt, die mindestens bei geringfügiger Überschreitung die Gültigkeit der Anordnung nicht tangiert,1 dürfte mehr als fraglich sein, ob dies auch bei einer mehrjährigen Verspätung noch zu gelten habe, da diesfalls der Schutzzweck des Genehmigungsvorbehalts faktisch vereitelt wird. Es kann nicht Sinn des Genehmigungsvorbehalts sein, dass die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmaßnahmengericht Erkenntnisse zur Begründung der Anordnung vorlegen kann, welche sie erst durch die Anwendung der zu genehmigenden Überwachungsmaßnahme gewonnen hat. Dass beim verspäteten Genehmigungsverfahren eine saubere ex-ante-Betrachtung möglich ist und gegebenenfalls auch tatsächlich angewandt wird, erscheint zweifelhaft. Es spricht somit vieles dafür, dass das Zwangsmaßnahmengericht diese Genehmigung aufgrund der krassen Verletzung der Genehmigungsfrist nicht hätte erteilen dürfen. Es hat sie jedoch erteilt. Welche Folge ergibt sich nun daraus für das erkennende Strafgericht? Darf und muss es selbständig prüfen, ob das Zwangsmaßnahmengericht die Genehmigung zu Recht erteilt hat oder ist es an diesen Entscheid gebunden? Ist somit unter Umständen trotz vorliegender Genehmigung von der Nichtverwertbarkeit der daraus gewonnenen Erkenntnisse auszugehen?
Diese Frage ist zu verneinen. Mit anderen Worten ist das Strafgericht an die durch das Zwangsmaßnahmengericht erteilte Genehmigung gebunden, auch wenn es der Überzeugung ist, dass diese so nicht hätte erteilt werden dürfen. Die Öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat mit Entscheid vom 22. Juni 2011 – noch in Bezug auf das BÜPF – festgehalten, dass sich der Sachrichter nicht mehr zur Rechtmäßigkeit oder zur Verhältnismäßigkeit der Überwachung zu äußern, sondern nur noch die daraus gewonnenen Beweise zu würdigen habe (1B_425/2010, Erw. 1.3).2 Der Beschuldigte hätte im vorliegend interessierenden Fall somit gemäß Art. 279 Abs. 3 StPO Beschwerde führen müssen, wenn er die Verwertung der ihn belastenden Erkenntnisse aus dem Einsatz des Peilsenders hätte verhindern wollen.
III. Das Konfrontationsrecht in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichts
Art. 147 Abs. 1 StPO bestimmt, dass die Parteien das Recht haben, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen. Art. 147 Abs. 4 StPO sanktioniert die Verletzung dieses Rechts mit der Unverwertbarkeit der erhobenen Beweise zulasten der betroffenen Partei.
Im Folgenden werden einige ausgewählte, aus der Sicht eines erstinstanzlichen Strafgerichts wesentlichen Aspekte des Konfrontationsrechts thematisiert.
Dem Konfrontationsrecht des Beschuldigten wird aus der Sicht des Vevf. leider in der Voruntersuchung vielfach nicht die notwendige Beachtung geschenkt. Dies hat zur Folge, dass sich das Strafgericht häufig gezwungen sieht, eine solche Zeugenaussage anlässlich der Hauptverhandlung in Anwendung von Art. 343 Abs. 2 StPO nochmals zu erheben. Nun kann es vorkommen, dass sich der Zeuge anlässlich der Hauptverhandlung weigert, seine einmal gemachten Aussagen zu wiederholen, er sich – aufgrund Zeitablaufs – nicht mehr erinnern kann oder er nur pauschal bestätigt, seine einmal gemachten Aussagen seien zutreffend.
Die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat mit Entscheid vom 31. Oktober 2013 hierzu Folgendes festgehalten: „Mit der Wiederholung der Befragungen in Anwesenheit des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers trugen die kantonalen Behörden dem Teilnahme- und Konfrontationsrecht in formeller Hinsicht Rechnung. Dies bedeutet aber noch nicht, dass damit auch die früheren Befragungen uneingeschränkt verwertet werden können. Dem Anspruch auf Wiederholung einer Beweiserhebung ist nur Genüge getan, wenn die nicht verwertbaren Beweise auf gesetzeskonforme Art neu erhoben werden. Der konventionsrechtliche Konfrontationsanspruch (Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK) verlangt, dass der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, sein Fragerecht tatsächlich auszuüben und damit die Glaubhaftigkeit einer Aussage infrage stellen zu können. Dies setzt in der Regel voraus, dass sich der Einvernommene in Anwesenheit des Beschuldigten (nochmals) zur Sache äussert. In diesem Fall steht nichts entgegen, im Rahmen einer Gesamtwürdigung auch auf die Ergebnisse der früheren Beweiserhebung ergänzend zurückzugreifen. Denn die Frage, ob bei widersprüchlichen Aussagen oder späteren Erinnerungslücken eines Zeugen auf die ersten, in Abwesenheit des Beschuldigten erfolgten Aussagen abgestellt werden kann, betrifft nicht die Verwertbarkeit, sondern die Würdigung der Beweise. Beschränkt sich die Wiederholung der Einvernahme aber im Wesentlichen auf eine formale Bestätigung der früheren Aussagen, wird es dem Beschuldigten verunmöglicht, seine Verteidigungsrechte wirksam wahrzunehmen.“3 Es kann an dieser Stelle auch auf den jüngsten Entscheid des Bundesgerichts vom 28. Oktober 2014 verwiesen werden, in welchem sich die strafrechtliche Abteilung materiell gleich äußerte.4 Diese Rechtsprechung überzeugt. Verweist der Belastungszeuge anlässlich der Konfrontation integral auf seine früheren, in Abwesenheit des Beschuldigten gemachten Aussagen und verweigert er dadurch eine inhaltliche Stellungnahme, handelt es sich bei der Konfrontation um eine „Farce“. Es soll an dieser Stelle zur Verdeutlichung der Grundgedanke des in Art. 6 Ziffer 3 lit. d EMRK kodifizierten Konfrontationsrechts in Erinnerung gerufen werden: „Mit der Garantie von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK soll ausgeschlossen werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen von Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gegeben wurde, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Zeugen zu stellen“5, was impliziert, dass der Zeuge auf die Fragen auch tatsächlich materiell eingeht.
Allerdings gilt es zu beachten, dass auf eine Konfrontation unter besonderen Umständen (von Seiten der Strafbehörden) verzichtet werden kann. So hat die strafrechtliche Abteilung im vorerwähnten Urteil vom 28. Oktober 2014 festgehalten, dass in solchen Fällen gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 und Ziffer 3 lit. d EMRK erforderlich sei, dass der Beschuldigte zum streitigen Zeugnis hinreichend Stellung nehmen könne, die Aussagen sorgfältig geprüft würden und der Schuldspruch nicht alleine darauf abgestützt werde. Außerdem dürfe der Umstand, dass der Beschuldigte seine Rechte nicht (rechtzeitig) wahrnehmen konnte, nicht in der Verantwortung der Behörde liegen. 6 In Bezug auf den konkreten Sachverhalt zog die strafrechtliche Abteilung den Schluss, dass für den Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Konfrontationsrecht nicht effektiv ausüben konnte, nicht alleine die Behörden die Verantwortung trügen: „Obschon der Beschwerdeführer im Laufe des gesamten Verfahrens wiederholt dazu aufgefordert wurde, allfällige Beweisanträge zu stellen, beantragte er die Konfrontationseinvernahme erst im Verfahren vor Vorinstanz. Unter diesen Umständen haben nicht allein die kantonalen Behörden, sondern ebenso er selbst zu vertreten, dass sich die Beschwerdegegnerin 2 zum Zeitpunkt ihrer zweiten Einvernahme wegen des Zeitablaufs kaum mehr an die Vorwürfe erinnerte.“7
Erkennt ein Verteidiger in einem laufenden Verfahren, dass sein Mandant nicht mit den ihn belastenden Zeugen konfrontiert wurde, stellt sich ihm die Frage, wie er vorzugehen hat. Soll er eine Konfrontation verlangen oder ist es die bessere Verteidigungsstrategie, abzuwarten und anlässlich der Hauptverhandlung die Verletzung des Konfrontationsrechts zu rügen und die Nichtverwertbarkeit der Zeugenaussagen zu postulieren?
Diese Frage lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Auszugehen ist von der grundsätzlichen Überlegung, dass auf die Teilnahme an der Einvernahme in Kenntnis des Rechts verzichtet werden kann.8 Strittig ist in der Lehre, ob das unentschuldigte Fernbleiben für sich schon als Verzicht gewertet werden darf. In diesem Sinne äussert sich Dorrit Schleiminger Mettler9. Anderer Ansicht ist beispielsweise Wolfgang Wohlers10. M.E. ist erstgenannter Lehrmeinung dann zu folgen, wenn aus den gesamten Umständen des Einzelfalls geschlossen werden kann, dass das unentschuldigte Fernbleiben als Verzicht auf die Konfrontation gewertet werden kann. Hierauf wird noch vertieft einzugehen sein.
Das Strafgericht des Kantons Basel-Land nimmt regelmäßig in die Beweisverfügung gemäß Art. 331 StPO einen Passus auf, dass gewisse Personen anlässlich der Hauptverhandlung als Zeugen respektive Auskunftspersonen befragt würden. Auf die Vorladung weiterer Personen werde mit Verweis auf die ausführlichen Einvernahmen in der Voruntersuchung verzichtet. Sofern eine Partei damit nicht einverstanden sei, habe sie sich bis zu einem bestimmten Datum mit einem entsprechenden Beweisantrag vernehmen zu lassen. In diesem Fall ist es nach Ansicht des Strafgerichts Basel-Landschaft grundsätzlich die Obliegenheit der Parteien, eine allfällige Konfrontation zu verlangen. Schweigen wird als Verzicht aufgefasst. Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser Passus Rechtswirksamkeit erlangen kann, wird im Folgenden zu erörtern sein.
Das Bundesgericht scheint diese Vorgehensweise in seiner neueren Rechtsprechung zu stützen. So führte die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit Urteil vom 27. November 2014 Folgendes aus: „Der Beschuldigte hat den Antrag auf Befragung eines Zeugen den Behörden rechtzeitig und formgerecht einzureichen. Stellt er seinen Beweisantrag nicht rechtzeitig, kann er den Strafverfolgungsbehörden nachträglich nicht vorwerfen, sie hätten durch Verweigerung der Konfrontation oder ergänzender Fragen an Belastungszeugen seinen Grundrechtsanspruch verletzt.“11 Weiter ist zu lesen: „Obschon der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens wiederholt und explizit dazu aufgefordert wurde, allfällige Beweisanträge einzureichen, verlangte er bis zuletzt keine Konfrontationseinvernahme mit dem Polizeibeamten, der ihn observiert hatte. Damit hat er die Befragung des Belastungszeugen nicht nur zu spät, sondern nach wie vor gar nicht beantragt. Unter diesen Umständen kann er nicht den Strafverfolgungsbehörden vorwerfen, sie hätten seinen Grundrechtsanspruch auf Konfrontation mit dem Belastungszeugen verletzt.“12 Es ist somit nicht die Pflicht der Behörden, von sich aus eine Konfrontationseinvernahme durchzuführen, sondern vielmehr die Obliegenheit des Beschuldigten, eine solche zu verlangen.
Dies ergibt sich schon aus den einschlägigen Gesetzesbestimmungen. Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK lautet wie folgt: Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte: Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten. Nichts anderes ergibt sich aus Art. 147 Abs. 1 StPO: Die Parteien haben das Recht, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen.
Es stellt sich nun die Frage, bis wann eine Konfrontationseinvernahme beantragt werden kann. Hier hat das Bundesgericht verschiedentlich festgehalten, dass der Antrag auf Befragung von Belastungszeugen auch noch anlässlich der Berufungsverhandlung gestellt werden kann. Verwiesen sei beispielsweise auf das den Kanton Basel-Landschaft betreffende Urteil der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 3. März 2014, 6B_510/2013, Erw. 1.3.2: „Nach der Rechtsprechung hat der Beschuldigte einen Antrag auf Befragung eines Zeugen den Behörden rechtzeitig und formgerecht einzureichen. Stellt er seinen Beweisantrag nicht rechtzeitig, kann er den Strafverfolgungsbehörden nachträglich nicht vorwerfen, sie hätten durch Verweigerung der Konfrontation oder ergänzender Fragen an Belastungszeugen seinen Grundrechtsanspruch verletzt. Ob ein Antrag auf Befragung von Belastungszeugen unter dem Aspekt von Treu und Glauben rechtzeitig vorgebracht wurde, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Auf das Recht der Befragung von Belastungszeugen kann verzichtet werden. Der Beschuldigte verwirkt sein Recht auf die Stellung von Ergänzungsfragen aber nicht dadurch, dass er es erst im Rahmen der Berufung geltend macht.“13Allerdings hat der Antrag spätestens vor Abschluss des Beweisverfahrens vor zweiter Instanz zu erfolgen. Verwiesen werden kann auf die Ausführungen der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 27. November 2014, 6B_374/2014, 1.3: „Im Verfahren vor Vorinstanz machte er alsdann geltend, der Observationsbericht sei nicht verwertbar, weil ihm keine Gelegenheit gegeben worden sei, Fragen an dessen Verfasser zu stellen. Eine Befragung desselben beantragte er wiederum nicht. Obschon der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens wiederholt und explizit dazu aufgefordert wurde, allfällige Beweisanträge einzureichen, verlangte er bis zuletzt keine Konfrontationseinvernahme mit dem Polizeibeamten, der ihn observiert hatte. Damit hat er die Befragung des Belastungszeugen nicht nur zu spät, sondern nach wie vor gar nicht beantragt. Unter diesen Umständen kann er nicht den Strafverfolgungsbehörden vorwerfen, sie hätten seinen Grundrechtsanspruch auf Konfrontation mit dem Belastungszeugen verletzt.“
Für die Frage, wann von einem Verzicht des Beschuldigten auf eine Konfrontationseinvernahme ausgegangen werden kann, kann m.E. die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage, wann ein Einspracherückzug gemäß Art. 356 Abs. 4 StPO angenommen werden kann, herangezogen werden. In beiden Fällen geht es um zentrale verfahrensrechtliche Garantien, welche den „Fair trial“ im Sinne von Art. 6 EMRK in seinem Kern betreffen. Zum Einsprachenrückzug hat die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit Urteil vom 27. Mai 2013, 6B_152/2013, Erw. 4.4 f. Folgendes festgehalten: „Grundsätzlich kann der Betroffene auf die ihm zustehenden Verfahrensrechte verzichten. Ein Verzicht auf verfassungsmässige Garantien ist aber nur verbindlich, wenn er in unmissverständlicher Weise und unter Bedingungen erfolgt, die keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass der Erklärende unbeeinflusst handelt und sich über die Tragweite seines Handelns bewusst ist. Erforderlich ist in jedem Fall, dass der Verzicht unzweideutig vorliegt und nicht auf einer dem Fairnessprinzip widersprechenden Weise zustande gekommen ist. Werden die Bestimmungen der Strafprozessordnung verfassungskonform ausgelegt, darf ein konkludenter Rückzug der Einsprache gegen den Strafbefehl nur angenommen werden, wenn sich aus dem gesamten Verhalten des Betroffenen der Schluss aufdrängt, er verzichte mit seinem Desinteresse am weiteren Gang des Verfahrens bewusst auf den ihm zustehenden Rechtsschutz. Der vom Gesetz an das unentschuldigte Fernbleiben geknüpfte (fingierte) Rückzug der Einsprache setzt deshalb voraus, dass sich der Beschuldigte der Konsequenzen seiner Unterlassung bewusst ist und er in Kenntnis der massgebenden Rechtslage auf die ihm zustehenden Rechte verzichtet.“ Daraus ergibt sich folgende Schlussfolgerung: „Schliesslich kann die gesetzliche Rückzugsfiktion nur zum Tragen kommen, wenn aus dem unentschuldigten Fernbleiben nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auf ein Desinteresse am weiteren Gang des Strafverfahrens geschlossen werden kann.“14
In Bezug auf das Konfrontationsrecht und den Verzicht auf dasselbe gilt es nun zu beachten, dass durchaus Gründe denkbar sind, welche den Beschuldigten gerade im Vorverfahren veranlassen können, auf die Beantragung der Konfrontation zu verzichten, ohne dass er damit ein Desinteresse an der Konfrontation an sich zum Ausdruck bringen muss. So kann es eine Verteidigungsstrategie sein, die Konfrontation erst im Rahmen der Hauptverhandlung zu beantragen, um dem Gericht den unmittelbaren Eindruck von der Konfrontationseinvernahme zu verschaffen. Diese Strategie läuft darauf hinaus, die Mittelbarkeit der Hauptverhandlung (vgl. Art. 308 Abs. 3 StPO, Art. 343 StPO) auszuhebeln. Diese Vorgehensweise erscheint mir jedoch zulässig, da nicht rechtsmissbräuchlich. Es ist nicht Aufgabe des Beschuldigten, für verwertbare Belastungsaussagen zu sorgen. Eine solche Aushebelung der Mittelbarkeit der Hauptverhandlung kann durch die Untersuchungsbehörden denn auch ohne weiteres unterbunden werden, indem sie von sich aus konsequent Konfrontationseinvernahmen durchführen. Es kann an dieser Stelle auf das Urteil der I. Öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 2. Dezember 2004, 1P.524/2004, Erw. 3.3 verwiesen werden, in welchem das Gericht Folgendes ausführte: „Aus welchem Grund der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren keine Ergänzungsfragen an die Geschädigte stellen wollte – weil er, wie das Obergericht meint, ein vernichtendes Ergebnis einer erneuten Befragung befürchtete, oder weil er, mit einem Freispruch rechnend, die Geschädigte schonen wollte – ist angesichts von § 220 StPO [des Kantons Aargau] unerheblich: rechtsmissbräuchlich war das Zuwarten mit dem entsprechenden Beweisantrag in keinem Fall. Gerade wenn man mit dem Obergericht davon ausginge, dass der Beschwerdeführer eine erneute Befragung der Geschädigten mit der Möglichkeit, Ergänzungsfragen zu stellen, vor der ersten Instanz nicht beantragte, weil er ein negatives Beweisergebnis befürchtete, war er nach Treu und Glauben nicht verpflichtet, den entsprechenden Beweisantrag schon vor der ersten Instanz zu stellen. Es ist grundsätzlich Sache der Strafverfolgungsbehörden, dem Angeschuldigten seine Schuld mit gerichtlich verwertbaren Beweisen nachzuweisen und daher ihr Risiko, wenn sie den Prozess mit einem Hauptbeweismittel führen, dessen Erhebung den konventionsrechtlichen Anforderungen offensichtlich nicht genügt und das daher vom Angeschuldigten auch noch im Berufungsverfahren in Frage gestellt werden kann.“ Aus dem Umstand, dass der Beschuldigte im Vorfeld der Hauptverhandlung auf die Aufforderung hin, allfällige anlässlich der Hauptverhandlung durchzuführende Konfrontationen zu beantragen, nicht reagiert, kann somit nicht ohne Weiteres auf den Verzicht der Geltendmachung dieses Rechts geschlossen werden.
Schließlich kann an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich die Problematik in vielen Fällen deshalb gar nicht stellen sollte, weil eine Einvernahme des Belastungszeugen vor Gericht von Amtes wegen aus anderen Gründen als der Gewährung des Konfrontationsrechts durchgeführt werden muss. Hierzu erfolgen zum Abschluss dieses Beitrages kurze Ausführungen.
Allerdings gilt es festzuhalten, dass es sich m.E. trotz allem um eine nicht kluge Verteidigungsstrategie handelt, im Hinblick auf die Hauptverhandlung die Geltendmachung des Konfrontationsrechts zu unterlassen und im Rahmen des Parteivortrags auf Unverwertbarkeit der belastenden Aussage zulasten des Beschuldigten zu plädieren. Vor erster Instanz riskiert der Beschuldigte mit seinem Argument nicht gehört zu werden, da nach dem Abschluss des Beweisverfahrens – und somit vor den Plädoyers – im erstinstanzlichen Verfahren neue Beweisanträge nicht mehr möglich sind.15 Ihm bleibt es dann allerdings unbenommen, den Antrag vor der Berufungsinstanz erneut zu stellen. Macht der Beschuldigte allerdings erst im Rahmen des Parteivortrags vor der Berufungsinstanz geltend, sein Konfrontationsrecht sei nicht gewahrt worden, riskiert er, dass der Antrag auf Konfrontation als zu spät abgewiesen wird mit der Folge, dass auf die belastenden Aussagen trotz unterlassener Konfrontation abgestellt werden kann.
Überdies empfiehlt es sich, den Antrag auf Nachholung einer Konfrontationseinvernahme deshalb frühzeitig zu stellen, weil sonst allenfalls Kosten zu Lasten des Beschuldigten respektive des Verteidigers anfallen können, vgl. Art. 331 Abs. 2 StPO. Wer beispielsweise die Nachholung der Konfrontation erst anlässlich der Hauptverhandlung beantragt, obwohl er aufgrund des Aktenstudiums schon frühzeitig davon Kenntnis hatte, dass eine solche unterlassen wurde, und dadurch den Unterbruch der Hauptverhandlung verursacht, riskiert, mit den dadurch verursachten Kosten belastet zu werden. Auch wenn Art. 417 StPO, auf welche sich die Kostenpflicht bei fehlerhaften Verfahrenshandlungen abstützt, nur von den verfahrensbeteiligten Personen spricht (zum Begriff vgl. Art. 104 und Art. 105 StPO: beschuldigte Person, Privatklägerschaft, im Haupt- und Rechtsmittelverfahren: die Staatsanwaltschaft, des Weitern: die geschädigte Person, die Person, die Anzeige erstattet, die Zeugin oder der Zeuge, die Auskunftsperson, der Sachverständige sowie die durch Verfahrenshandlungen beschwerte Drittperson), ist in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, dass darunter auch der Verteidiger des Beschuldigten fallen kann.16 Das Bundesgericht führte hierzu Folgendes aus: „Nach der Rechtsprechung zu Art. 156 Abs. 6 OG, welcher Art. 66 Abs. 3 BGG entspricht, sind die Kosten ausnahmsweise nicht der unterliegenden Partei, sondern deren Rechtsvertreter aufzuerlegen, wenn dieser schon bei Beachtung elementarster Sorgfalt auf die Erhebung des Rechtsmittels verzichtet hätte.“17Diese Rechtsprechung ist zu begrüssen. Ein Rechtsanwalt wird gerade deshalb mandatiert, weil er über überlegene Rechtskenntnisse verfügt (respektive verfügen sollte); es wäre nun stoßend, die Kosten seines professionellen Fehlverhaltens auf den Mandanten abzuwälzen.
Heikel wird es dann, wenn die fehlerhafte Verfahrenshandlung auf ausdrücklichen Wunsch des Mandanten hin vorgenommen wird. Es wird diesfalls vom Anwalt zu verlangen sein, dass er seinen Mandanten umfassend, auch über die Kostenfolgen, aufklärt. Erst wenn der Mandant dann immer noch auf der Vornahme der fehlerhaften Verfahrenshandlung besteht, sollte die Kostenverlegung zu seinen Lasten erfolgen. Der Verteidiger ist jedoch in Bezug auf die mandatsinternen Abmachungen aufgrund des anwaltlichen Berufsgeheimnisses zur Verschwiegenheit – auch gegenüber dem Gericht – verpflichtet, weshalb er ein Strafverfahren wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses riskiert, wenn er – ohne dass er sich gemäß Art. 321 Ziffer 2 StGB durch die Aufsichtsbehörde von der Schweigepflicht hat entbinden lassen – diese Interna offenbart. Diese Bewilligung wird dem Anwalt allerdings in der Regel erteilt werden. Es kann auf das Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 21. September 2011, 2C_503/2011, Erw. 2.1 verwiesen werden: „Die Schweigepflicht ist insbesondere unzumutbar, wenn sie den Rechtsanwalt daran hindert, sich in einem gegen ihn geführten Straf- oder Disziplinarverfahren zu verteidigen, Angriffe gegen seine Ehre zurückzuweisen oder einen ungerechtfertigten erheblichen Vermögensnachteil abzuwenden.“ Im vorliegenden Fall dürfte letztgenannte Voraussetzung einschlägig sein. In einem solchen Fall wurde ein mutmaßlich fehlbarer amtlicher Verteidiger vom Strafgericht Basel-Landschaft mit den aufgrund des Verfahrensunterbruchs angefallenen Mehrkosten von Fr. 1315.– belastet.
Das Teilnahmerecht gemäß Art. 147 Abs. 1 StPO setzt expressis verbis Parteistellung voraus. Mit Urteil vom 1. September 2014, 6B_280/2014, Erw. 1.2.3 hat die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts Folgendes festgehalten: „In getrennt geführten Verfahren kommt den Beschuldigten im jeweils andern Verfahren keine Parteistellung zu. Ein gesetzlicher Anspruch auf Teilnahme an den Beweiserhebungen im eigenständigen Untersuchungs- und Hauptverfahren der andern beschuldigten Person besteht folglich nicht (Art. 147 Abs. 1 StPO e contrario). Die Einschränkung der Teilnahmerechte von Beschuldigten in getrennten Verfahren im Vergleich zu Mitbeschuldigten im gleichen Verfahren ist vom Gesetzgeber implizit vorgesehen und hinzunehmen.“ Allerdings ist auch in diesem Fall dem Konfrontationsrecht des Beschuldigten Rechnung zu tragen. Die Aussagen des Belastungszeugen können somit nur verwertet werden, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, die ihn belastenden Aussagen in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Belastungszeugen im getrennten Verfahren zu stellen.18
Mit Urteil vom 10 Juni 2013, 6B_183/2013, Erw. 1.4 hat das Bundesgericht in Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung19 entschieden, dass dem Recht des Beschuldigten, dem Belastungszeugen Fragen zu stellen, nicht nur dann grundsätzlich absoluter Charakter zukommt, wenn das streitige Zeugnis den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt. Diese Rechtsprechung ist zu begrüßen. Es spielt grundsätzlich keine Rolle, ob der Schuldspruch auf einen einzigen Beweis abgestützt wird, oder ob die Addition mehrerer Beweise erst den Schuldspruch zu stützen vermag. Auch in letztgenanntem Fall ist jeder einzelne Beweis insoweit entscheidend, als erst er ein tragfähiges Gesamtbeweisbild zu schaffen vermag.
IV. Partielle Verwirklichung der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung
Nicht eine Frage des Konfrontationsrechts, aber doch im Zusammenhang mit der Würdigung von Aussagen von Bedeutung ist die Feststellung des Bundesgerichts, dass im Falle einer sogenannten „Aussage-gegen-Aussage“-Situation grundsätzlich die unmittelbare Wahrnehmung durch das Gericht erforderlich ist. Andernfalls beruhe die Aussagenwürdigung auf einer unvollständigen Grundlage, was bei widersprechenden Angaben umso stärker ins Gewicht falle.20 Dadurch wird dem Bestreben der Gerichte, anlässlich der Hauptverhandlung wann immer möglich auf Zeugeneinvernahmen zu verzichten, eine wohl auch in quantitativer Hinsicht bedeutsame Grenze gesetzt. Gerade bei Verhandlungen über Sexualstraftaten wird in vielen Fällen die unmittelbare Anhörung des Opfers durch das Gericht in Beachtung der zitierten Rechtsprechung notwendig sein. Im Gegensatz zum Konfrontationsrecht stellen sich im Übrigen hier auch keine Probleme bezüglich Opferschutz (vgl. Art. 149 ff. StPO, insb. 153 StPO), da ja gerade nicht die beschuldigte Person „Adressatin“ der Bestimmung ist, sondern das urteilende Gericht. Es ist somit ohne weiteres möglich, den Beschuldigten von der Einvernahme auszuschließen. Verzichtet das Gericht in einer „Aussage gegen Aussage“-Situation auf die unmittelbare Befragung des Belastungszeugen in der Hauptverhandlung und stützt es den Schuldspruch auf dessen im Vorverfahren gemachte Aussagen, verstößt es gegen den Grundsatz „in dubio pro reo“21. Der Unterschied in der Rechtsfolge zwischen dem Verstoß gegen das Konfrontationsrecht und dem gegen das Gebot der unmittelbaren Beweiserhebung in der Hauptverhandlung besteht darin, dass ersterer ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, die entsprechenden Beweismittel der Würdigung somit überhaupt entzogen sind, letztgenannter Verstoß – nur, aber immerhin – im Rahmen der Beweiswürdigung zu beachten ist.
1 Schmid, StPO Praxiskommentar, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2013, Art. 274 N 4.
2 Siehe auch BGE 140 IV 40, Erw. 1.1, sowie Urteil der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 6. Januar 2015, 6B_795/2014, Erw. 2.3.6 (zur Genehmigung von Zufallsfunden).
8 BSK StPO2–Schleiminger Mettler, Art. 147 N 11, so auch Schmid, StPO Praxiskommentar, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2013, Art. 147 N 11.
10 Wolfgang Wohlers, in Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 147 N 8.
13 Vgl. auch Urteil der I. Öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 2. Dezember 2004, 1P.524/2004, Erw. 3.2.
16 Siehe bspw. Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 1. Dezember 2010, 2C_923/2010, Erw. 2.3; BGE 129 IV 206, Erw. 2; Ivona Griesser, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 417 N 4.