Ist Unverwertbares wirklich frühzeitig aus den Akten zu entfernen?
I. Einleitung
Im Rahmen meines Vortrags zum Thema Beweiserhebungen und Strafverteidigung möchte ich zunächst auf die Frage eingehen, in welchem Zeitpunkt von der Verteidigung als unverwertbar betrachtete Beweismittel aus den Strafakten zu entfernen sind, und welche Instanz darüber im Streitfall zu befinden hat. Diese Frage ist gerade im Lichte des im schweizerischen Strafprozess absolut dominanten Vorverfahrens und des nicht besonders unmittelbar ausgestalteten Hauptverfahrens von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die zur Thematik passenden Fallbeispiele wurden exemplarisch ausgewählt. Die folgenden Ausführungen erheben demgemäß keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Gemäß Art. 141 Abs. 5 StPO werden Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet. Diese Formulierung würde grundsätzlich den Schluss nahe legen, dass als unverwertbar qualifizierte Beweismittel dem Sachgericht erst gar nicht zur Kenntnis gebracht werden sollen, was ja insofern logisch wäre als sie sich – da unverwertbar – gar nicht in den Strafakten befinden dürften.
Da naturgemäß die Strafverfolgungsbehörden die Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln oft, wenn nicht gar in aller Regel anders beurteilen als die Verteidigung, wäre es des Weiteren naheliegend, dass gegen eine Verweigerung der Entfernung seitens der Verteidigung als unverwertbar identifizierter Beweismittel die Beschwerdeinstanz entscheidet. Dies anders zu beurteilen, würde Art. 141 Abs. 5 StPO insofern zur Bedeutungslosigkeit degradieren als die Strafverfolgungsbehörden Entfernungsgesuche der Verteidigung ablehnen könnten, ohne einen anderslautenden Entscheid der Beschwerdeinstanz befürchten zu müssen. Andererseits wäre es auch so, dass der Sachrichter von letztlich als unrechtmäßig qualifizierten Beweismitteln Kenntnis erhielte, obwohl diese Beweismittel gar nicht oder nicht auf die konkrete Art und Weise hätten erhoben werden und sich dahingehend gar nicht in den Strafakten befinden dürfen.
Aber wie verhält es sich nun wirklich? Wie halten es Lehre und Rechtsprechung mit der Beschwerdemöglichkeit gegen Entscheide der Strafverfolgungsbehörden, mit denen die von der Verteidigung gestützt auf Art. 141 Abs. 5 StPO beantragte Entfernung von Beweismitteln aus den Strafakten abgelehnt werden.
II. Bundesgericht
Das Bundesgericht hat sich – soweit ersichtlich – noch in keinem Leitentscheid zu dieser Frage geäußert, sondern ist bisher auf derartige Beschwerden gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG regelmäßig erst gar nicht eingetreten.1 Das Bundesgericht stellt sich dahingehend auf den Standpunkt, die Frage, ob von der Verteidigung als unverwertbar qualifizierte Beweismittel i.S.v. Art. 141 Abs. 5 StPO aus den Strafakten zu entfernen seien, beschlage einen die Beweisführung betreffenden Zwischenentscheid, welcher keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Art zur Folge habe. Im Lichte dieser Argumentation darf es als ausgeschlossen betrachtet werden, zur vorliegend in Frage stehenden Problematik je einen Leitentscheid zu erhalten.
Ungeachtet des Nichteintretens gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG hat es das Bundesgericht im Entscheid vom 5. Juni 2013 doch für notwendig erachtet zu erwähnen, dass das Gesetz vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens keine definitive Entfernung von Beweismitteln vorsehe, deren Verwertbarkeit strittig sei. Über Verwertungsverbote würde im Endentscheid zu befinden sein.
III. Lehre/Schrifttum
Während ein Teil des Schrifttums die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Verweigerung der Entfernung von Beweismitteln aus den Akten ohne Einschränkung bejaht,2 möchten sie andere auf Fälle von absoluten Beweisverboten, also solchen gemäss Art. 140 StPO, beschränken, im Übrigen aber gänzlich ausschließen.3 Tendenziell für die Zulässigkeit einer selbständigen Beschwerde gegen die Nichtentfernung eines unverwertbaren Beweismittels scheint sich Sabine Gless im Basler Kommentar auszusprechen,4 eher dagegen Wolfgang Wohlers im Zürcher Kommentar.5
Zusammenfassend ergibt ein Blick in die Lehre kein einheitliches Bild.
IV. Kantonale Rechtsprechung (Auswahl)
1. Bern
Das Obergericht des Kantons Bern ist mit Entscheid vom 6. Februar 2014 (BK 2013 362) auf eine gegen die Nichtentfernung von Beweismitteln aus den Strafakten erhobene Beschwerde der Verteidigung nicht nur eingetreten, sondern hat sie auch materiell gutgeheißen.
Diesem Entscheid lag die Konstellation zu Grunde, dass ein Beschuldigter in einem offensichtlichen Fall von notwendiger Verteidigung zweimal ohne die Anwesenheit eines Verteidigers einvernommen worden ist. Das Obergericht des Kantons Bern qualifizierte die beiden Einvernahmeprotokolle nicht nur als unverwertbar, sondern ordnete auch deren Entfernung aus den Akten und deren Aufbewahrung unter Verschluss an (Art. 141 Abs. 5 StPO). Es hielt diesbezüglich fest (BK 2013 362, Erw. 2.3): „Der Gesetzgeber hat sich deshalb in Art. 141 Abs. 5 St PO bewusst dafür entschieden, dass die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise aus den Strafakten zu entfernen und unter separatem Verschluss zu halten sind. […] Daraus folgt, dass die beschuldigte Person ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, dass unverwertbare Beweise bereits frühzeitig aus den Akten entfernt werden. Die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Verweigerung der Entfernung von Beweismitteln aus den Akten wird denn auch in der Lehre zu Recht bejaht […]“ (a.a.O.). Das Obergericht wies m.E. zu Recht darauf hin, dass darüber hinaus das „rechtlich geschützte Interesse“ i.S.v. Art. 382 Abs. 1 StPO nicht mit dem „nicht wieder gutzumachenden Nachteil“ i.S.v. Art. 93 BGG gleichzusetzen ist.
2. St. Gallen
Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen trat mit Entscheid vom 17. September 2014 (AK.2014.227) nicht auf eine Beschwerde ein, mit welcher gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft betreffend Nichtentfernung zweier Einvernahmeprotokolle aus den Akten opponiert worden ist. Die Anklagekammer verneinte die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers, ohne sich mit dem in der Beschwerdeschrift explizit erwähnten Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern vom 6. Februar 2014 (BK 2013 362) auch nur im Ansatz auseinanderzusetzen. Das für die Beurteilung zuständige Sachgericht – und nicht die Beschwerdeinstanz – habe, so die Anklagekammer, abschließend darüber zu entscheiden, ob die streitigen Unterlagen dem Sachurteil zugrunde gelegt werden dürfen oder nicht. Der Beschwerdeführer habe demgemäß kein rechtlich geschütztes Interesse an einem Entscheid der Beschwerdeinstanz. Im bloßen Umstand, dass das Sachgericht von angeblich unverwertbaren Beweismitteln Kenntnis nehmen könnte, liege gemäß Bundesgericht kein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil (E. 4.b). Anmerkung: Letzteres mag zutreffen, ist aber für die Frage der Beschwerdelegitimation i.S.v. Art. 382 StPO irrelevant.
3. Zürich
Das Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, tritt unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgericht vom 5. Juni 2013 1B_2/2013 auf Beschwerden, mit denen die Entfernung von Beweismitteln aus dem Strafakten gestützt auf Art. 141 Abs. 5 StPO verlangt wird, in der Regel nicht ein.6 Begründet wird dies damit, dass das Gesetz vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens keine definitive Entfernung von Beweismitteln vorsehe, deren Verwertung streitig sei.
Eine Ausnahme bildet der Beschluss vom 24. April 2013,7 in welchem das Obergericht ohne weiteres auf die Beschwerde eingetreten ist. Gegenstand der Beschwerde bildete die Entfernung von Einvernahmeprotokollen aus den Akten. Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheißen, in der Hinsicht, dass das Obergericht die Unverwertbarkeit der Protokolle feststellte, soweit diese den Beschwerdeführer belasteten. Der Antrag auf Entfernung der Protokolle hingegen wurde nach ausführlicher Abwägung verschiedener Verfahrensgrundsätze abgewiesen. Der Entscheid ist folglich insofern lesenswert, als er sich damit befasst, wie vorzugehen ist, wenn ein zu entfernendes Beweismittel mehrere Verfahrensbeteiligte berührt (bzw. be- oder entlastet). Hier weiter darauf einzugehen würde jedoch zu weit führen.
V. Stellungnahme / Versuch einer Einordnung
Dass sich sowohl Rechtsprechung wie auch die nunmehr wohl herrschende Lehre gegen die Möglichkeit einer Beschwerde gegen die Verweigerung einer Entfernung von Beweismitteln aus den Strafakten ausspricht, und die Frage der Verwertbarkeit dem Sachgericht überlassen will, ist nach meinem Dafürhalten aus folgenden Gründen nicht sachgerecht:
- Zunächst einmal bleibt unklar, welche Bedeutung Art. 141 Abs. 5 StPO im Lichte der nicht gegebenen Beschwerdelegitimation überhaupt noch zukommen soll.
- Alsdann übersieht die vorliegend kritisierte Rechtsprechung und Lehrmeinung nach meinem Dafürhalten, dass es für die Verteidigung aufgrund der absolut dominanten Rolle, welche im Vorverfahren erhobenen Beweismitteln zukommt, und mit Blick auf die praktisch nicht besonders ausgeprägte Unmittelbarkeit des Hauptverfahrens kaum akzeptabel ist, dass als unverwertbar qualifizierte Beweismittel während des ganzen, sich möglicherweise über mehrere Jahre hinziehenden Vorverfahrens in den Strafakten bleiben und den Gang des Verfahrens möglicherweise entscheidend beeinflussen.
- Schließlich ist es fraglich, ob der Sachrichter tatsächlich von Beweisen Kenntnis erhalten soll, welche er eigentlich gar nicht sehen sollte, weil sie gar nicht in den Akten sein dürften. Einzig dem Sachrichter die endgültige Entscheidung über die Verwertbarkeit von Beweismitteln zu übertragen wäre wohl nur dann richtig, wenn und soweit die Beweise auch effektiv im Rahmen des Hauptverfahrens abgenommen würden.
Stand heute hat der Beschuldigte nach meinem Dafürhalten zweifelsohne ein berechtigtes Interesse daran, dass unrechtmäßig erhobene Beweismittel frühzeitig aus den Akten entfernt werden und dass darüber – so diese Frage zwischen Strafverfolgungsbehörden und Verteidigung strittig sein sollte – bereits vor Abschluss des Vorverfahrens und damit möglichst frühzeitig eine richterliche Instanz urteilt. Insofern ist der Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern vom 6. Februar 2014 (BK 2013 362) sehr zu begrüßen. Nimmt man demgegenüber der Verteidigung die Möglichkeit, sich im Vorverfahren gegen eine Ablehnung der Entfernung von unrechtmäßig erhobenen Beweismitteln aus den Strafakten zur Wehr zu setzen, wird die bereits sehr starke Position der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren weiter gestärkt und führt ferner dazu, dass das Sachgericht unter Umständen von Beweismitteln Kenntnis erhält, deren Unverwertbarkeit es selber feststellt.
Nach meinem Dafürhalten indiziert nicht zuletzt Art. 141 Abs. 5 StPO, dass die Auffassung des Obergerichts des Kantons Bern zutreffend ist, da andernfalls wohl kaum ein Staatsanwalt bereit wäre, einem Antrag der Verteidigung auf Entfernung von Beweismitteln aus den Akten und Aufbewahrung unter Verschluss (Art. 141 Abs. 5 StPO) nachzukommen. Wieso auch, hätte er doch nicht zu befürchten, sein Entscheid könnte von der Beschwerdeinstanz korrigiert werden.
VI. Siegelung
Ein weiteres, zumindest nach meinem Dafürhalten interessantes Thema im Zusammenhang mit Fragen rund um Beweisverwertung und Verteidigung bzw. eher Beweiserhebung und Verteidigung ist die Möglichkeit der Siegelung. Darauf möchte ich kurz eingehen und ein paar ausgewählte, insbesondere formelle Aspekte beleuchten.
Die Verteidigung kann im Vorverfahren bekanntlich gegen Verfahrenshandlungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei – und dazu gehören unter anderem und typischerweise auch Beweiserhebungen, wie etwa die Durchsuchung oder die Beschlagnahme – grundsätzlich nur mittels Beschwerde intervenieren. Diesbezüglich besteht die Problematik, dass die Beschwerde aufgrund der von Gesetzes wegen fehlenden aufschiebenden Wirkung in der Regel insofern zu spät kommt als bereits Tatsachen geschaffen worden sind und lediglich nachträglich noch festgestellt werden kann, dass die Beweiserhebung – etwa eine Hausdurchsuchung – nicht rechtmäßig war. Dass die Strafverfolgungsbehörden dessen ungeachtet von gewissen Informationen bereits Kenntnis erhalten konnten, von denen sie keine Kenntnis hätten erhalten dürften, lässt sich so nicht mehr verhindern.
Führt man sich überdies die vorgängig dargelegte Problematik vor Augen, wonach es gemäß wohl vorherrschender Lehre und Rechtsprechung erst der Sachrichter sein soll, welcher über die Verwertbarkeit von im Vorverfahren erhobenen Beweismittel entscheidet und nicht die Beschwerdeinstanz, schwinden die Verteidigungsmittel im Vorverfahren weiter dahin.
Ein aus Verteidigersicht effektives, weil sofort wirksames Verteidigungsmittel stellt dahingehend die Siegelung dar. Es erlaubt der Verteidigung, die Beweiserhebung effektiv zu unterbinden und zumindest zeitlich begrenzt zu verhindern. Mit der Siegelung kann jedenfalls die Durchsuchung von Dokumenten aber auch (und praktisch bedeutsam) elektronischen Datenträgern einstweilen verhindert werden,8 genügt es doch, die Unzulässigkeit der Durchsuchung lediglich plausibel zu machen.9
Das Bundesgericht hat in BGE 140 IV 28 einige bis dato offene Fragen im Zusammenhang mit der Siegelung geklärt. Darauf möchte ich in aller Kürze eingehen:
- Das Bundesgericht hat einerseits klargestellt, dass die Siegelung auch bei „freiwilliger“ Herausgabe von Datenträgern gestützt auf ein Editionsbegehren zulässig ist.10 Das ist insofern richtig, da auch die Editionsverfügung zumindest einen faktischen Zwang zur Kooperation begründet, droht doch bei Nichtbeachtung der Editionsverfügung eine zwangsweise Sicherstellung.
- Desweitern hat das Bundesgericht klargestellt, dass zur Siegelung nicht nur der unmittelbare Inhaber der Dokumente bzw. des Datenträgers legitimiert ist, sondern jede Person, welche unabhängig der Besitzverhältnisse ein eigenes rechtlich geschütztes Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts der Aufzeichnung geltend macht.11 Insofern erfolgte eine nach meinem Dafürhalten dringend gebotene Harmonisierung des Begriffs „Inhaber“ im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO mit der „berechtigten Person“ im Sinne von Art. 264 Abs. 3 StPO.
- Wichtig erscheint aus Verteidigersicht auch der Hinweis des Bundesgerichts, dass die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet sind, auf das Sicherungsrecht aktiv hinzuweisen,12 und zwar sofort, gewissermaßen „vor Ort“.
Wurde die Siegelung verlangt, hat die Staatsanwaltschaft 20 Tage Zeit, um beim Gericht – im Kanton Zürich beim Obergericht – die Entsiegelung zu verlangen. Dabei handelt es sich zwar um eine Verwirkungsfrist,13 allerdings soll es der Strafbehörde etwa bei Bankeditionen unbenommen sein, bei Verpassen dieser Frist einfach ein neues Editionsbegehren zu stellen.
In ihrem Entsiegelungsbegehren hat die Staatsanwaltschaft einerseits zu begründen, dass die Voraussetzungen der Durchsuchung im Allgemeinen erfüllt sind.14 Insbesondere wird sie das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts und das Bestehen einer grundsätzlichen Beweistauglichkeit bzw. Beweiseignung der zu durchsuchenden Dokumente geltend machen müssen. Falls bereits im Siegelungsbegehren geltend gemacht, wird die Staatsanwaltschaft auch zum Geheimnis bzw. zum Aussageverweigerungsrecht Stellung nehmen müssen.
Das Siegelungsverfahren selber ist gesetzlich nicht geregelt, was in der Praxis zu unterschiedlichen Ausgestaltungen führt. In der Regel finden sich mehrstufige, zumeist rein schriftliche Verfahren.
Von Bedeutung ist, dass im Rahmen des gerichtlichen Entsiegelungsverfahrens auch über die Zulässigkeit der Durchsuchung an sich befunden wird, woraus erhellt, dass eine Beschwerde ausgeschlossen ist, sofern und soweit die Siegelung möglich ist.
Das Entsiegelungsverfahren lässt sich grundsätzlich in drei Stufen gliedern. In einer ersten Stufe wird über die grundsätzliche Zulässigkeit der Durchsuchung an sich entschieden, wobei hier als „Messlatte“ Art. 36 und Art. 13 BV zu nennen sind. Falls die Durchsuchung zulässig erscheint (Beweistauglichkeit wird bejaht und Verhältnismäßigkeit ist gegeben) wird in einer zweiten Stufe das geltend gemachte Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht geprüft bzw. eine Interessenabwägung betreffend die Stichhaltigkeit der geltend gemachten Geheimnisse durchgeführt (Art. 173 StPO). Sofern notwendig, erfolgt alsdann seitens des Richters eine Aussonderung der nicht beweistauglichen sowie der dem Aussageverweigerungsrecht bzw. einem schutzwürdigen Geheimnis unterliegenden Aufzeichnungen und Gegenstände und die Übergabe der einer Durchsuchung zugänglichen Dokumente an die Strafverfolgungsbehörde.15
Nach meinem Dafürhalten kann bei der Siegelung nicht nur das Vorliegen eines Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrechts geltend gemacht werden, sondern es ist auch möglich, sich auf Geheimnisse gemäß Art. 173 StPO zu berufen. In letzterem Fall findet alsdann eine Interessenabwägung statt zwischen dem strafprozessual grundsätzlich zu achtenden Geheimnis und dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung. Es wird zugegebenermaßen in der Regel so sein, dass insbesondere zu Beginn einer Untersuchung ein Geheimnis gemäß Art. 173 StPO einer Durchsuchung kaum wird entgegenstehen können, wobei es natürlich auch auf die Schwere des in Frage stehenden Delikts ankommt. Unzutreffend erscheint es indes, die Zulässigkeit einer Berufung auf Geheimnisse gemäss Art. 173 StPO gänzlich zu unterbinden, wie dies in gewissen Kantonen – z.B. Kanton Bern – zu beobachten ist.
Verweigert die Strafverfolgungsbehörde die Siegelung, kann dagegen mit einer StPO-Beschwerde vorgegangen werden. Gegen den Entsiegelungsentscheid an sich würde gestützt auf Art. 248 Abs. 3 StPO einzig die Beschwerde ans Bundesgericht zur Verfügung stehen; das Bundesgericht schaltet freilich entgegen dem klaren und bekanntlich noch sehr neuen Gesetzeswortlaut „in sehr komplexen Fällen“ eine kantonale Instanz ein und kreiert somit die Zulässigkeit der StPO-Beschwerde gegen den Siegelungsentscheid praeter legem.16 Immerhin: für die Verteidigung ist es beruhigend zu wissen, dass die Beschwerde weiterhin stets ans Bundesgericht zu richten ist. Das Bundesgericht wiederum behält sich die Zuweisung an die kantonale Beschwerdeinstanz im Einzelfall vor.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Siegelung für die Verteidigung gerade zu Beginn einer Strafuntersuchung, in welcher die Staatsanwaltschaft eine deutliche Übermacht hat (Überraschungseffekt, zuweilen unübersichtliche Zustände bei Hausdurchsuchungen und vorläufigen Festnahmen) ein wirksames Mittel darstellt, um die Durchsuchung von Unterlagen einstweilen zu verhindern. Das dürfte ganz besonders dann attraktiv sein, wenn man sich zu einer Strategie des Schweigens entschließt, mithin der Beschuldigte von seinem Recht, keine Aussagen zu machen, Gebrauch macht. Es gilt dahingehend auch zu beachten, dass ein einmal gestelltes Siegelungsgesuch grundsätzlich ohne Rechtsnachteile wieder zurückgenommen werden kann; selbst dann, wenn der Rückzug erst vor Gericht erfolgt. Zumindest im Kanton Zürich werden dem Gesuchssteller in derartigen Konstellationen keine Gerichtskosten auferlegt, zumal das Gericht, soweit der Rückzug des Siegelungsgesuchs nicht zu spät erfolgt, keine Aufwendungen verursacht wurden. Insofern ist aus Verteidigersicht kaum ein Grund zu sehen, die Siegelung – so Siegelungsgründe erkennbar sind – nicht geltend zu machen, wobei selbstverständlich jeder Einzelfall eine eigene und individuelle Strategie verlangt.
I. Einleitung
Im Rahmen meines Vortrags zum Thema Beweiserhebungen und Strafverteidigung möchte ich zunächst auf die Frage eingehen, in welchem Zeitpunkt von der Verteidigung als unverwertbar betrachtete Beweismittel aus den Strafakten zu entfernen sind, und welche Instanz darüber im Streitfall zu befinden hat. Diese Frage ist gerade im Lichte des im schweizerischen Strafprozess absolut dominanten Vorverfahrens und des nicht besonders unmittelbar ausgestalteten Hauptverfahrens von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die zur Thematik passenden Fallbeispiele wurden exemplarisch ausgewählt. Die folgenden Ausführungen erheben demgemäß keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Gemäß Art. 141 Abs. 5 StPO werden Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet. Diese Formulierung würde grundsätzlich den Schluss nahe legen, dass als unverwertbar qualifizierte Beweismittel dem Sachgericht erst gar nicht zur Kenntnis gebracht werden sollen, was ja insofern logisch wäre als sie sich – da unverwertbar – gar nicht in den Strafakten befinden dürften.
Da naturgemäß die Strafverfolgungsbehörden die Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln oft, wenn nicht gar in aller Regel anders beurteilen als die Verteidigung, wäre es des Weiteren naheliegend, dass gegen eine Verweigerung der Entfernung seitens der Verteidigung als unverwertbar identifizierter Beweismittel die Beschwerdeinstanz entscheidet. Dies anders zu beurteilen, würde Art. 141 Abs. 5 StPO insofern zur Bedeutungslosigkeit degradieren als die Strafverfolgungsbehörden Entfernungsgesuche der Verteidigung ablehnen könnten, ohne einen anderslautenden Entscheid der Beschwerdeinstanz befürchten zu müssen. Andererseits wäre es auch so, dass der Sachrichter von letztlich als unrechtmäßig qualifizierten Beweismitteln Kenntnis erhielte, obwohl diese Beweismittel gar nicht oder nicht auf die konkrete Art und Weise hätten erhoben werden und sich dahingehend gar nicht in den Strafakten befinden dürfen.
Aber wie verhält es sich nun wirklich? Wie halten es Lehre und Rechtsprechung mit der Beschwerdemöglichkeit gegen Entscheide der Strafverfolgungsbehörden, mit denen die von der Verteidigung gestützt auf Art. 141 Abs. 5 StPO beantragte Entfernung von Beweismitteln aus den Strafakten abgelehnt werden.
II. Bundesgericht
Das Bundesgericht hat sich – soweit ersichtlich – noch in keinem Leitentscheid zu dieser Frage geäußert, sondern ist bisher auf derartige Beschwerden gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG regelmäßig erst gar nicht eingetreten.1 Das Bundesgericht stellt sich dahingehend auf den Standpunkt, die Frage, ob von der Verteidigung als unverwertbar qualifizierte Beweismittel i.S.v. Art. 141 Abs. 5 StPO aus den Strafakten zu entfernen seien, beschlage einen die Beweisführung betreffenden Zwischenentscheid, welcher keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Art zur Folge habe. Im Lichte dieser Argumentation darf es als ausgeschlossen betrachtet werden, zur vorliegend in Frage stehenden Problematik je einen Leitentscheid zu erhalten.
Ungeachtet des Nichteintretens gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG hat es das Bundesgericht im Entscheid vom 5. Juni 2013 doch für notwendig erachtet zu erwähnen, dass das Gesetz vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens keine definitive Entfernung von Beweismitteln vorsehe, deren Verwertbarkeit strittig sei. Über Verwertungsverbote würde im Endentscheid zu befinden sein.
III. Lehre/Schrifttum
Während ein Teil des Schrifttums die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Verweigerung der Entfernung von Beweismitteln aus den Akten ohne Einschränkung bejaht,2 möchten sie andere auf Fälle von absoluten Beweisverboten, also solchen gemäss Art. 140 StPO, beschränken, im Übrigen aber gänzlich ausschließen.3 Tendenziell für die Zulässigkeit einer selbständigen Beschwerde gegen die Nichtentfernung eines unverwertbaren Beweismittels scheint sich Sabine Gless im Basler Kommentar auszusprechen,4 eher dagegen Wolfgang Wohlers im Zürcher Kommentar.5
Zusammenfassend ergibt ein Blick in die Lehre kein einheitliches Bild.
IV. Kantonale Rechtsprechung (Auswahl)
1. Bern
Das Obergericht des Kantons Bern ist mit Entscheid vom 6. Februar 2014 (BK 2013 362) auf eine gegen die Nichtentfernung von Beweismitteln aus den Strafakten erhobene Beschwerde der Verteidigung nicht nur eingetreten, sondern hat sie auch materiell gutgeheißen.
Diesem Entscheid lag die Konstellation zu Grunde, dass ein Beschuldigter in einem offensichtlichen Fall von notwendiger Verteidigung zweimal ohne die Anwesenheit eines Verteidigers einvernommen worden ist. Das Obergericht des Kantons Bern qualifizierte die beiden Einvernahmeprotokolle nicht nur als unverwertbar, sondern ordnete auch deren Entfernung aus den Akten und deren Aufbewahrung unter Verschluss an (Art. 141 Abs. 5 StPO). Es hielt diesbezüglich fest (BK 2013 362, Erw. 2.3): „Der Gesetzgeber hat sich deshalb in Art. 141 Abs. 5 St PO bewusst dafür entschieden, dass die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise aus den Strafakten zu entfernen und unter separatem Verschluss zu halten sind. […] Daraus folgt, dass die beschuldigte Person ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, dass unverwertbare Beweise bereits frühzeitig aus den Akten entfernt werden. Die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Verweigerung der Entfernung von Beweismitteln aus den Akten wird denn auch in der Lehre zu Recht bejaht […]“ (a.a.O.). Das Obergericht wies m.E. zu Recht darauf hin, dass darüber hinaus das „rechtlich geschützte Interesse“ i.S.v. Art. 382 Abs. 1 StPO nicht mit dem „nicht wieder gutzumachenden Nachteil“ i.S.v. Art. 93 BGG gleichzusetzen ist.
2. St. Gallen
Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen trat mit Entscheid vom 17. September 2014 (AK.2014.227) nicht auf eine Beschwerde ein, mit welcher gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft betreffend Nichtentfernung zweier Einvernahmeprotokolle aus den Akten opponiert worden ist. Die Anklagekammer verneinte die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers, ohne sich mit dem in der Beschwerdeschrift explizit erwähnten Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern vom 6. Februar 2014 (BK 2013 362) auch nur im Ansatz auseinanderzusetzen. Das für die Beurteilung zuständige Sachgericht – und nicht die Beschwerdeinstanz – habe, so die Anklagekammer, abschließend darüber zu entscheiden, ob die streitigen Unterlagen dem Sachurteil zugrunde gelegt werden dürfen oder nicht. Der Beschwerdeführer habe demgemäß kein rechtlich geschütztes Interesse an einem Entscheid der Beschwerdeinstanz. Im bloßen Umstand, dass das Sachgericht von angeblich unverwertbaren Beweismitteln Kenntnis nehmen könnte, liege gemäß Bundesgericht kein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil (E. 4.b). Anmerkung: Letzteres mag zutreffen, ist aber für die Frage der Beschwerdelegitimation i.S.v. Art. 382 StPO irrelevant.
3. Zürich
Das Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, tritt unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgericht vom 5. Juni 2013 1B_2/2013 auf Beschwerden, mit denen die Entfernung von Beweismitteln aus dem Strafakten gestützt auf Art. 141 Abs. 5 StPO verlangt wird, in der Regel nicht ein.6 Begründet wird dies damit, dass das Gesetz vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens keine definitive Entfernung von Beweismitteln vorsehe, deren Verwertung streitig sei.
Eine Ausnahme bildet der Beschluss vom 24. April 2013,7 in welchem das Obergericht ohne weiteres auf die Beschwerde eingetreten ist. Gegenstand der Beschwerde bildete die Entfernung von Einvernahmeprotokollen aus den Akten. Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheißen, in der Hinsicht, dass das Obergericht die Unverwertbarkeit der Protokolle feststellte, soweit diese den Beschwerdeführer belasteten. Der Antrag auf Entfernung der Protokolle hingegen wurde nach ausführlicher Abwägung verschiedener Verfahrensgrundsätze abgewiesen. Der Entscheid ist folglich insofern lesenswert, als er sich damit befasst, wie vorzugehen ist, wenn ein zu entfernendes Beweismittel mehrere Verfahrensbeteiligte berührt (bzw. be- oder entlastet). Hier weiter darauf einzugehen würde jedoch zu weit führen.
V. Stellungnahme / Versuch einer Einordnung
Dass sich sowohl Rechtsprechung wie auch die nunmehr wohl herrschende Lehre gegen die Möglichkeit einer Beschwerde gegen die Verweigerung einer Entfernung von Beweismitteln aus den Strafakten ausspricht, und die Frage der Verwertbarkeit dem Sachgericht überlassen will, ist nach meinem Dafürhalten aus folgenden Gründen nicht sachgerecht:
- Zunächst einmal bleibt unklar, welche Bedeutung Art. 141 Abs. 5 StPO im Lichte der nicht gegebenen Beschwerdelegitimation überhaupt noch zukommen soll.
- Alsdann übersieht die vorliegend kritisierte Rechtsprechung und Lehrmeinung nach meinem Dafürhalten, dass es für die Verteidigung aufgrund der absolut dominanten Rolle, welche im Vorverfahren erhobenen Beweismitteln zukommt, und mit Blick auf die praktisch nicht besonders ausgeprägte Unmittelbarkeit des Hauptverfahrens kaum akzeptabel ist, dass als unverwertbar qualifizierte Beweismittel während des ganzen, sich möglicherweise über mehrere Jahre hinziehenden Vorverfahrens in den Strafakten bleiben und den Gang des Verfahrens möglicherweise entscheidend beeinflussen.
- Schließlich ist es fraglich, ob der Sachrichter tatsächlich von Beweisen Kenntnis erhalten soll, welche er eigentlich gar nicht sehen sollte, weil sie gar nicht in den Akten sein dürften. Einzig dem Sachrichter die endgültige Entscheidung über die Verwertbarkeit von Beweismitteln zu übertragen wäre wohl nur dann richtig, wenn und soweit die Beweise auch effektiv im Rahmen des Hauptverfahrens abgenommen würden.
Stand heute hat der Beschuldigte nach meinem Dafürhalten zweifelsohne ein berechtigtes Interesse daran, dass unrechtmäßig erhobene Beweismittel frühzeitig aus den Akten entfernt werden und dass darüber – so diese Frage zwischen Strafverfolgungsbehörden und Verteidigung strittig sein sollte – bereits vor Abschluss des Vorverfahrens und damit möglichst frühzeitig eine richterliche Instanz urteilt. Insofern ist der Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern vom 6. Februar 2014 (BK 2013 362) sehr zu begrüßen. Nimmt man demgegenüber der Verteidigung die Möglichkeit, sich im Vorverfahren gegen eine Ablehnung der Entfernung von unrechtmäßig erhobenen Beweismitteln aus den Strafakten zur Wehr zu setzen, wird die bereits sehr starke Position der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren weiter gestärkt und führt ferner dazu, dass das Sachgericht unter Umständen von Beweismitteln Kenntnis erhält, deren Unverwertbarkeit es selber feststellt.
Nach meinem Dafürhalten indiziert nicht zuletzt Art. 141 Abs. 5 StPO, dass die Auffassung des Obergerichts des Kantons Bern zutreffend ist, da andernfalls wohl kaum ein Staatsanwalt bereit wäre, einem Antrag der Verteidigung auf Entfernung von Beweismitteln aus den Akten und Aufbewahrung unter Verschluss (Art. 141 Abs. 5 StPO) nachzukommen. Wieso auch, hätte er doch nicht zu befürchten, sein Entscheid könnte von der Beschwerdeinstanz korrigiert werden.
VI. Siegelung
Ein weiteres, zumindest nach meinem Dafürhalten interessantes Thema im Zusammenhang mit Fragen rund um Beweisverwertung und Verteidigung bzw. eher Beweiserhebung und Verteidigung ist die Möglichkeit der Siegelung. Darauf möchte ich kurz eingehen und ein paar ausgewählte, insbesondere formelle Aspekte beleuchten.
Die Verteidigung kann im Vorverfahren bekanntlich gegen Verfahrenshandlungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei – und dazu gehören unter anderem und typischerweise auch Beweiserhebungen, wie etwa die Durchsuchung oder die Beschlagnahme – grundsätzlich nur mittels Beschwerde intervenieren. Diesbezüglich besteht die Problematik, dass die Beschwerde aufgrund der von Gesetzes wegen fehlenden aufschiebenden Wirkung in der Regel insofern zu spät kommt als bereits Tatsachen geschaffen worden sind und lediglich nachträglich noch festgestellt werden kann, dass die Beweiserhebung – etwa eine Hausdurchsuchung – nicht rechtmäßig war. Dass die Strafverfolgungsbehörden dessen ungeachtet von gewissen Informationen bereits Kenntnis erhalten konnten, von denen sie keine Kenntnis hätten erhalten dürften, lässt sich so nicht mehr verhindern.
Führt man sich überdies die vorgängig dargelegte Problematik vor Augen, wonach es gemäß wohl vorherrschender Lehre und Rechtsprechung erst der Sachrichter sein soll, welcher über die Verwertbarkeit von im Vorverfahren erhobenen Beweismittel entscheidet und nicht die Beschwerdeinstanz, schwinden die Verteidigungsmittel im Vorverfahren weiter dahin.
Ein aus Verteidigersicht effektives, weil sofort wirksames Verteidigungsmittel stellt dahingehend die Siegelung dar. Es erlaubt der Verteidigung, die Beweiserhebung effektiv zu unterbinden und zumindest zeitlich begrenzt zu verhindern. Mit der Siegelung kann jedenfalls die Durchsuchung von Dokumenten aber auch (und praktisch bedeutsam) elektronischen Datenträgern einstweilen verhindert werden,8 genügt es doch, die Unzulässigkeit der Durchsuchung lediglich plausibel zu machen.9
Das Bundesgericht hat in BGE 140 IV 28 einige bis dato offene Fragen im Zusammenhang mit der Siegelung geklärt. Darauf möchte ich in aller Kürze eingehen:
- Das Bundesgericht hat einerseits klargestellt, dass die Siegelung auch bei „freiwilliger“ Herausgabe von Datenträgern gestützt auf ein Editionsbegehren zulässig ist.10 Das ist insofern richtig, da auch die Editionsverfügung zumindest einen faktischen Zwang zur Kooperation begründet, droht doch bei Nichtbeachtung der Editionsverfügung eine zwangsweise Sicherstellung.
- Desweitern hat das Bundesgericht klargestellt, dass zur Siegelung nicht nur der unmittelbare Inhaber der Dokumente bzw. des Datenträgers legitimiert ist, sondern jede Person, welche unabhängig der Besitzverhältnisse ein eigenes rechtlich geschütztes Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts der Aufzeichnung geltend macht.11 Insofern erfolgte eine nach meinem Dafürhalten dringend gebotene Harmonisierung des Begriffs „Inhaber“ im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO mit der „berechtigten Person“ im Sinne von Art. 264 Abs. 3 StPO.
- Wichtig erscheint aus Verteidigersicht auch der Hinweis des Bundesgerichts, dass die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet sind, auf das Sicherungsrecht aktiv hinzuweisen,12 und zwar sofort, gewissermaßen „vor Ort“.
Wurde die Siegelung verlangt, hat die Staatsanwaltschaft 20 Tage Zeit, um beim Gericht – im Kanton Zürich beim Obergericht – die Entsiegelung zu verlangen. Dabei handelt es sich zwar um eine Verwirkungsfrist,13 allerdings soll es der Strafbehörde etwa bei Bankeditionen unbenommen sein, bei Verpassen dieser Frist einfach ein neues Editionsbegehren zu stellen.
In ihrem Entsiegelungsbegehren hat die Staatsanwaltschaft einerseits zu begründen, dass die Voraussetzungen der Durchsuchung im Allgemeinen erfüllt sind.14 Insbesondere wird sie das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts und das Bestehen einer grundsätzlichen Beweistauglichkeit bzw. Beweiseignung der zu durchsuchenden Dokumente geltend machen müssen. Falls bereits im Siegelungsbegehren geltend gemacht, wird die Staatsanwaltschaft auch zum Geheimnis bzw. zum Aussageverweigerungsrecht Stellung nehmen müssen.
Das Siegelungsverfahren selber ist gesetzlich nicht geregelt, was in der Praxis zu unterschiedlichen Ausgestaltungen führt. In der Regel finden sich mehrstufige, zumeist rein schriftliche Verfahren.
Von Bedeutung ist, dass im Rahmen des gerichtlichen Entsiegelungsverfahrens auch über die Zulässigkeit der Durchsuchung an sich befunden wird, woraus erhellt, dass eine Beschwerde ausgeschlossen ist, sofern und soweit die Siegelung möglich ist.
Das Entsiegelungsverfahren lässt sich grundsätzlich in drei Stufen gliedern. In einer ersten Stufe wird über die grundsätzliche Zulässigkeit der Durchsuchung an sich entschieden, wobei hier als „Messlatte“ Art. 36 und Art. 13 BV zu nennen sind. Falls die Durchsuchung zulässig erscheint (Beweistauglichkeit wird bejaht und Verhältnismäßigkeit ist gegeben) wird in einer zweiten Stufe das geltend gemachte Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht geprüft bzw. eine Interessenabwägung betreffend die Stichhaltigkeit der geltend gemachten Geheimnisse durchgeführt (Art. 173 StPO). Sofern notwendig, erfolgt alsdann seitens des Richters eine Aussonderung der nicht beweistauglichen sowie der dem Aussageverweigerungsrecht bzw. einem schutzwürdigen Geheimnis unterliegenden Aufzeichnungen und Gegenstände und die Übergabe der einer Durchsuchung zugänglichen Dokumente an die Strafverfolgungsbehörde.15
Nach meinem Dafürhalten kann bei der Siegelung nicht nur das Vorliegen eines Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrechts geltend gemacht werden, sondern es ist auch möglich, sich auf Geheimnisse gemäß Art. 173 StPO zu berufen. In letzterem Fall findet alsdann eine Interessenabwägung statt zwischen dem strafprozessual grundsätzlich zu achtenden Geheimnis und dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung. Es wird zugegebenermaßen in der Regel so sein, dass insbesondere zu Beginn einer Untersuchung ein Geheimnis gemäß Art. 173 StPO einer Durchsuchung kaum wird entgegenstehen können, wobei es natürlich auch auf die Schwere des in Frage stehenden Delikts ankommt. Unzutreffend erscheint es indes, die Zulässigkeit einer Berufung auf Geheimnisse gemäss Art. 173 StPO gänzlich zu unterbinden, wie dies in gewissen Kantonen – z.B. Kanton Bern – zu beobachten ist.
Verweigert die Strafverfolgungsbehörde die Siegelung, kann dagegen mit einer StPO-Beschwerde vorgegangen werden. Gegen den Entsiegelungsentscheid an sich würde gestützt auf Art. 248 Abs. 3 StPO einzig die Beschwerde ans Bundesgericht zur Verfügung stehen; das Bundesgericht schaltet freilich entgegen dem klaren und bekanntlich noch sehr neuen Gesetzeswortlaut „in sehr komplexen Fällen“ eine kantonale Instanz ein und kreiert somit die Zulässigkeit der StPO-Beschwerde gegen den Siegelungsentscheid praeter legem.16 Immerhin: für die Verteidigung ist es beruhigend zu wissen, dass die Beschwerde weiterhin stets ans Bundesgericht zu richten ist. Das Bundesgericht wiederum behält sich die Zuweisung an die kantonale Beschwerdeinstanz im Einzelfall vor.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Siegelung für die Verteidigung gerade zu Beginn einer Strafuntersuchung, in welcher die Staatsanwaltschaft eine deutliche Übermacht hat (Überraschungseffekt, zuweilen unübersichtliche Zustände bei Hausdurchsuchungen und vorläufigen Festnahmen) ein wirksames Mittel darstellt, um die Durchsuchung von Unterlagen einstweilen zu verhindern. Das dürfte ganz besonders dann attraktiv sein, wenn man sich zu einer Strategie des Schweigens entschließt, mithin der Beschuldigte von seinem Recht, keine Aussagen zu machen, Gebrauch macht. Es gilt dahingehend auch zu beachten, dass ein einmal gestelltes Siegelungsgesuch grundsätzlich ohne Rechtsnachteile wieder zurückgenommen werden kann; selbst dann, wenn der Rückzug erst vor Gericht erfolgt. Zumindest im Kanton Zürich werden dem Gesuchssteller in derartigen Konstellationen keine Gerichtskosten auferlegt, zumal das Gericht, soweit der Rückzug des Siegelungsgesuchs nicht zu spät erfolgt, keine Aufwendungen verursacht wurden. Insofern ist aus Verteidigersicht kaum ein Grund zu sehen, die Siegelung – so Siegelungsgründe erkennbar sind – nicht geltend zu machen, wobei selbstverständlich jeder Einzelfall eine eigene und individuelle Strategie verlangt.
1 Vgl. BGer vom 05.06.2013, 1B_2/2013, E. 1.2. sowie BGer vom 12.11.2011, 1B_584/2011, E. 3.2.
3 Angela Geisselhardt, Zuständigkeit bei Beweisverboten im Strafverfahren, forum poenale 5/2014, S. 300 ff.