Länderbericht Österreich
I. ISO 19600 und Compliance Management Systeme
Die Internationale Organisation für Normung (ISO) erarbeitet zurzeit einen globalen Standard für Compliance Management Systeme, welcher voraussichtlich 2015 veröffentlicht werden wird.
1. ISO 19600: CMS — Guidelines
Compliance stellt eine große Herausforderung für viele Unternehmen dar. Bislang fehlten jedoch weltweite Standards für Compliance Management Systeme (CMS). Deshalb haben viele Unternehmen Schwierigkeiten festzustellen, welche Anforderungen für ein funktionierendes CMS nötig bzw. geeignet sind. Es ist aus diesem Grund sehr erfreulich, dass die ISO einen globalen Standard für CMS ausgearbeitet und im Dezember 2014 veröffentlicht hat.
ISO 19600 (abrufbar unter diesem Link) ist eine flexible Richtlinie ohne jegliche normative Verweise. Sie gibt Empfehlungen hinsichtlich der Grundsätze von verantwortungsvoller Führung, Flexibilität, Proportionalität, Transparenz und Nachhaltigkeit und ist allen Arten von Unternehmen zugänglich. Besonders kleine und mittelgroße Unternehmen können von dem Entwurf profitieren, da sie die Richtlinien entsprechend ihrer Größe anwenden können. Die Flexibilität gewährt kleinen und mittelgroßen Unternehmen, mit dem Thema Compliance nach ihren eigenen Vorstellungen umgehen zu können. Da die Richtlinie nach den Grundsätzen des ständigen Wachstums aufgebaut ist (planen, tun, prüfen, handeln), können Unternehmen ihr CMS – wenn nötig – ausweiten.
Da ISO 19600 der ISO „High Level Structure“ (HLS) folgt, kann es in bestehende Managementsysteme, die die HLS-Standards verwenden, eingebaut werden oder als zusätzliches Modul für Unternehmen dienen, die bereits ISO-Qualitätsmanagementstandards gemäß ISO 9000 befolgen. Das macht es einfacher (und daher auch wahrscheinlicher), dass Unternehmen die CMS-Maßnahmen umsetzen, die in ISO 19600 empfohlen werden.
Die ISO 19600-Richtlinien haben auch einen risikobasierten Ansatz. Nach der Einführung muss das Unternehmen eine Compliance-Risikobeurteilung durchführen. Die dabei entdeckten Risiken (Compliance-Verpflichtungen) stellen die Basis für die Einrichtung von Kontrollmechanismen dar. Die Leistung dieser Risikobewältigungsmaßnahmen muss dann bewertet, verbessert und nach innen und außen kommuniziert werden.
Der Aufbau von ISO 19600 zielt auf die unterschiedlichen Stadien der CMS-Einführung ab, von der Entwicklung zur Einführung, Bewertung, Erhaltung sowie zur stetigen Verbesserung. Nachdem die Ziele und der Rahmen des CMS festgelegt sind, empfiehlt die Richtlinie die Einhaltung der jeweiligen Maßnahmen in Abstimmung mit den Interessen der Gesellschafter und verantwortungsvolle Führung.
Die Richtlinie legt großen Wert auf die unterschiedlichen Rollen, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten innerhalb des Unternehmens und zielt auf die Erstellung eines Compliance-Programms ab. Damit soll eine Unternehmenskultur erschaffen werden, in welcher Compliance eine allgemeine Regel ist – sozusagen eine Compliance-Kultur.
Der ISO-Standard schlägt weiter Maßnahmen zur Einführung von Kontrollmaßnahmen vor, die das gewünschte Verhalten erzielen sollen. Die empfohlenen Maßnahmen sollten von Trainings, interner und externer Kommunikation, dokumentierter Information und dem Vorbildverhalten der Führungskräfte unterstützt werden. Schließlich werden bei ISO 19600 auch Gewinnermittlung und Verbesserungen im Bereich Non-Compliance, besonders bei Eskalationsprozessen, untersucht. Die empfohlenen Methoden für den Bereich Non-Compliance (reagieren, evaluieren, nötige Maßnahmen setzen, Effektivität überprüfen, nötige Verbesserungen) zeigen sehr gut den Grundsatz der stetigen Verbesserung.
2. Vergleich mit ONR 192050
Das Österreichische Normungsinstitut Austrian Standards hat 2013 seine eigene Richtlinie für CMS namens ONR 192050 herausgegeben. Das ONR legt Mindeststandards für die Entwicklung, Einführung und Erhaltung eines CMS fest. Da er Zertifizierungsanforderungen beinhaltet, ist der ONR-Standard weniger ausführlich als der ISO-Standard. ONR 192050 kann lediglich auf die Einhaltung gesetzlicher Verpflichtungen des Unternehmens angewandt werden, während ISO 19600 alle Anforderungen an das Unternehmen umfasst.
Beide Standards können auf Unternehmen jeglichen Typs und jeglicher Größe angewandt werden. Dennoch ist es auffällig, dass sich die österreichische ONR hauptsächlich auf die Rolle des Managements und des Compliance Officers (diese Aufgaben kann von jedem Mitarbeiter übernommen werden) eines Unternehmens konzentriert, während die ISO-Richtlinie eine Compliance-Kultur innerhalb des Unternehmens schaffen will, indem sie Compliance-Vorschriften einführt und alle Mitarbeiter einbindet.
Im Gegensatz dazu sind die Anforderungen von ONR 192050 für die Bewertung, Dokumentation und Überwachung von sowie den Umgang mit Compliance-Risiken grundlegender Natur, nach dem Motto „Eine Maßnahme wird festgesetzt, um einem entdeckten Regelverstoß nachzugehen“. ISO 19600 empfiehlt dafür jedoch, dass „der Vorgang festlegen sollte, an wen, wie und wann Dinge gemeldet werden sollen sowie die Fristen für interne und externe Berichterstattung.“
ONR 192050 und ISO 19600 lassen sich gut kombinieren. Wichtig: ein nach ONR 192050 eingeführtes CMS muss nicht geändert werden, um den Anforderungen von ISO 19600 zu genügen. Es gibt hier keinen Konflikt, und – auch wenn es einen gäbe – wären die ISO Standards kompatibel mit anderen Compliance-Maßnahmen, solange sie zum selben Ergebnis führen.
Austrian Standards bietet derzeit sowohl Zertifizierungen nach ISO 19600 als auch nach ONR 192050 an. CMS, die nach dem ISO-Standard zertifiziert werden, gelten auch als zertifiziert nach dem nationalen ONR-Standard. Nach Abschluss des Zertifizierungsprozesses wird dem Unternehmen das „FairBusiness® Compliance Certificate“ verliehen.
3. Kommentar zu ISO 19600
Der flexible Ansatz von ISO 19600 ist bemerkenswert. Jedes Unternehmen kann unabhängig entscheiden, bis zu welchem Ausmaß die Einführung vertretbar ist (hinsichtlich der Kosten und Benefits). Dieser Aufbau kombiniert mit dem Grundsatz der stetigen Verbesserung erlaubt es Unternehmen, in jedem Stadium ihrer CMS-Einführung in Übereinstimmung mit ISO 19600 zu handeln und davon zu profitieren.
Ein globaler Standard erlaubt einen Vergleich zwischen Compliance-Systemen in unterschiedlichen Ländern und Industriebereichen. Die Richtlinie kann aufgrund ihres Umfangs und ihrer Art (es werden lediglich Empfehlungen abgegeben) weltweit verwendet werden. Außerdem ergeben sich durch die Richtlinie keine Konflikte mit nationalen Gesetzen.
Alles in allem hat ISO eine solide Richtlinie geschaffen, die als Modul einem existierenden ISO-zertifizierten Managementsystem hinzugefügt werden kann. Wir sind davon überzeugt, dass der Bedarf für ISO-zertifizierte CMS in Zukunft vorhanden sein wird, um Complianceerfordernisse systematisch im Unternehmen sicherzustellen.
II. Aktuelle Rechtsprechung Strafrecht
1. Betrügerische Krida (§ 156 Ö-StGB) [1]
OGH 28. 1. 2014, 14 Os 167/13k
Beitrag bis zur Vollendung/Vollbringung möglich
Leitsatz: § 156 Ö-StGB enthält – anders als zB Betrug oder grenzüberschreitender Prostitutionshandel – keinen überschießenden Vorsatz (etwa auf Bereicherung des Schuldners mehrerer Gläubiger oder einer dritten Person), weshalb ein Beitrag nach formeller Vollendung (durch Schmälerung oder Vereitelung der Gläubigerbefriedigung), etwa in Form einer Beteiligung an der Verwertung (zunächst) verheimlichten Vermögens, nicht in Betracht kommt. Nach Tatvollendung durch den unmittelbaren Täter kann durch Mitwirkung an der Verwertung der inkriminierten Vermögensbestandteile nur ein sog. Anschlussdelikt verwirklicht werden.
Ein Tatbeitrag kann i.d.R. nur bis zur Tatvollendung geleistet werden (RIS-Justiz RS0090346). Nach Tatvollendung durch den unmittelbaren Täter kann durch Mitwirkung an der Verwertung der inkriminierten Vermögensbestandteile nur ein Anschlussdelikt verwirklicht werden (RIS-Justiz RS0094922, RS0090397, RS0094688), also Hehlerei oder Geldwäscherei.
Für die Gläubigerstellung i.S.d. § 156 StGB ist die Fälligkeit einer Forderung (vgl § 210 Abs. 1 BAO) ebenso wenig von Bedeutung wie die Teilnahme (des Finanzamts) am Abschöpfungsverfahren. Da der Täter die in Form eines Werklohns erzielten Einkünfte auch vor dem Finanzamt verheimlichte, ist das angelastete Verhalten auch im Hinblick auf die aus dem erzielten Einkommen resultierende Steuerschuld tatbildlich (RIS-Justiz RS0118270, T4 und TS; RS0095308, T7 und TB).
War das Vermögen Gegenstand eines (insolvenzrechtlichen) Abschöpfungsverfahrens, obliegt es dem selbständig erwerbstätigen Schuldner, den mit seiner Tätigkeit erzielten Gewinn dem Treuhänder herauszugeben, der die Beträge fruchtbringend anzulegen und am Ende des Kalenderjahres binnen acht Wochen an die Gläubiger zu verteilen hat. Spätestens im Zeitpunkt dieser Verteilung steht ein durch das Verschweigen von Vermögensbestandteilen (die infolgedessen nicht in das Abschöpfungsverfahren Eingang gefunden haben) verursachter Befriedigungsausfall der Gläubiger fest (RIS-Justiz RS0115184, TIO; RIS-Justiz RS0094607, T4).
Bei der betrügerischen Krida handelt es sich um ein alternatives Mischdelikt mit gleichwertigen Begehungsweisen. Bei Verwirklichung mehrerer Varianten (hier: zunächst scheinbare und anschließende wirkliche Vermögensverringerung hinsichtlich desselben Vermögensbestandteils) wird allerdings nur eine strafbare Handlung begangen, weshalb eine Zusammenrechnung von (diesen unterschiedlichen Begehungsweisen zugeordneten) Schadensbeträgen gem § 29 Ö-StGB nicht stattfindet (RIS-Justiz RS0120085, T1 und T2).
Wahldeutige Feststellungen sind bei einem Schuldspruch nach § 156 Abs. 1 und 2 StGB unter dem Aspekt der Z. 9 lit. a und 10 des § 281 StPO ohne Bedeutung, weil es sich bei der betrügerischen Krida um ein alternatives Mischdelikt mit gleichwertigen Begehungsweisen handelt (RIS-Justiz RS0098710, T16).
Der OGH erwog über Beitrag oder Anschlussdelikt:
„Aus Anlass der NB überzeugte sich der OGH, dass dem Schuldspruch B/II nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil der Angekl Elisabeth B anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO): Nach dem Urteilssachverhalt hat Hanno B das als selbständiger Bilanzbuchhalter erzielte Einkommen von Euro 84.642,94 vor seinen Gläubigern verheimlicht und in der Folge Teile davon im Ausmaß von Euro 22.769,70 für Urlaube und Schönheitsoperationen ausgegeben. Mangels Konstatierungen zum Vollendungszeitpunkt hat das ErstG somit hinsichtlich der überschneidenden Teilmenge (von Euro 22.769,70) offengelassen, durch welche der tatbildlichen Handlungsweisen (entweder durch scheinbare oder durch wirkliche Vermögensverringerung) die Gläubigerschädigung herbeigeführt wurde, und demnach zu diesem Punkt wahldeutige Feststellungen getroffen (vgl RIS-Justiz RS0098710; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 573). Dies ist (unter dem Aspekt der Z 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO) für den Schuldspruch B/I ohne Bedeutung, weil es sich bei der betrügerischen Krida um ein alternatives Mischdelikt mit gleichwertigen Begehungsweisen handelt (14 Os 170/07t; 12 Os 91/08m; RIS-Justiz RS0120085). Allerdings wird bei Verwirklichung mehrerer Varianten eines solchen alternativen Mischdelikts nur eine strafbare Handlung begangen, weshalb eine Zusammenrechnung von (diesen unterschiedlichen Begehungsweisen zugeordneten) Schadensbeträgen gem § 29 StGB, der (nur) bei gleichartiger Realkonkurrenz (also mehreren strafbaren Handlungen) zur Anwendung kommt, nicht stattfindet (Ratz in WK2 StGB §§ 28a-31 Rz 2 und § 29 Rz 1; vgl RIS-Justiz RS0114037 [T 3] zu alternativen Mischtatbeständen nach dem SMG). Dies hat das ErstG – wenngleich ohne Auswirkung auf die Qualifikationsgrenze des § 156 Abs 2 StGB, somit ausschließlich im Verfahren über die Berufung des Angekl Hanno B von Bedeutung – übersehen, indem es von einem aus dessen Kridahandlungen resultierenden Schaden von insg Euro 107.412,63 ausgegangen ist. Wahldeutige Feststellungen sind jedoch nur dann unbedenklich, wenn jede der wahlweise getroffenen Annahmen zu dem gleichen rechtlichen Schluss (auf das Vorliegen derselben strafbaren Handlung) führt (vgl erneut RIS-Justiz RS0098710; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 573; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 23). Dies ist vorliegend in Ansehung des Schuldspruchs B/II nicht der Fall. Zu diesem wird Elisabeth B angelastet, zur tatsächlichen Verringerung des Vermögens von Hanno B beigetragen zu haben (§ 12 dritter Fall StGB), indem sie sich – aus dem zuvor verheimlichten Einkommen (von Euro 84.642,94) – im Ausmaß von Euro 19.639,- Schönheitsoperationen und Urlaube habe bezahlen lassen. Ein sonstiger Beitrag zur strafbaren Handlung eines anderen kann jedoch idR nur bis zur Tatvollendung geleistet werden (RIS-Justiz RS0090346; Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 94; Kienapfel/Höpfel/Kert, AT14 E 5 Rz 20). Der Tatbestand des § 156 StGB enthält – anders als bspw Betrug oder grenzüberschreitender Prostitutionshandel (vgl RIS-Justiz RS0116322; Kirchbacher in WK2 StGB § 146 Rz 134) – keinen überschießenden Vorsatz (etwa auf Bereicherung des Schuldners mehrerer Gläubiger oder einer dritten Person), weshalb ein Beitrag nach formeller Vollendung (durch Schmälerung oder Vereitelung der Gläubigerbefriedigung), etwa in Form einer Beteiligung an der Verwertung (zunächst) verheimlichten Vermögens nicht in Betracht kommt. Nach Tatvollendung durch den unmittelbaren Täter kann durch Mitwirkung an der Verwertung der inkriminierten Vermögensbestandteile nur ein sog Anschlussdelikt verwirklicht werden (RIS-Justiz RS0094922; RS0090397; RS0094688;Kirchbacher in WK2 StGB § 164 Rz 15; Kienapfel/Schmoller, StudB BT II § 164 Rz 9, 17 f, 46, 62, 112), also Hehlerei oder – hier von Bedeutung, weil der verheimlichte Werklohn auf ein Schweizer Bankkonto überwiesen wurde, es sich beim in Rede stehenden Vermögensbestandteil somit um Giralgeld handelt (RIS-Justiz RS0121296; Kirchbacher in WK2 StGB § 164 Rz 7 und § 165 Rz 5 und 9) – Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 StGB. Da somit je nach (im Urteil gleichermaßen enthaltener) Variante einer Vollendung der von Hanno B begangenen betrügerischen Krida bereits durch das Verheimlichen des Vermögens oder erst durch dessen Veräußerung, an der allein Elisabeth B nach den Urteilsfeststellungen beteiligt war, für diese unterschiedliche rechtliche Konsequenzen in Betracht kommen, ist der Schuldspruch B/II mit einem Rechtsfehler behaftet.“
Ratz weist in seinem Glossar (EvBl 2014/56) auf eine weitere Komponente dieses Verfahrens hin:
„Zur Verlesung eines AV über Angaben im Ermittlungsverfahren enthält die Entscheidung nur einen knappen Hinweis auf erfolgte „Belehrung über Beschuldigtenrechte“, der leicht übersehen werden kann, aber eine wichtige Aussage enthält. § 152 Abs 1 StPO verbietet bei sonstiger Nichtigkeit die Umgehung der Bestimmungen über die Vernehmung von Beschuldigten und Zeugen durch Erkundigungen. Ausdrückliche Nichtigkeit nach § 152 Abs 1 StPO kommt nur in Frage, soweit eine pflichtgemäß über
ihre Stellung als Beschuldigter (§ 48 Abs 1 Z 1 StPO) und die damit verbundenen Rechte (§ 49 StPO) oder
ein Vernehmungsverbot des § 155 Abs 1 StPO oder auch
den Aussagebefreiungsgrund nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO
zu informierende Person darüber nicht förmlich ins Bild gesetzt wurde, und
in Bezug auf Mitteilungen einer aus (Ex-ante-)Sicht des verantwortlichen Organwalters zur Angabe der Wahrheit wegen einer psychischen Krankheit, wegen einer geistigen Behinderung oder aus einem anderen Grund unfähigen Person (§ 155 Abs 1 Z 4 StPO).
Soweit nämlich die befragte Person förmlich über ihre Stellung und ihre Rechte im Verfahren informiert wurde und – in den Fällen des § 155 Abs 1 Z 4 StPO – der Sinn der Information nicht (von vornherein definitionsgemäß) ins Leere gehen musste, liegt nach der für § 152 Abs 1 StPO maßgeblichen Legaldefinition des § 151 Z 2 StPO eine Vernehmung vor. Sinn und Schutzzweck des § 152 Abs 1 StPO liegen in erster Linie darin, als Besch (§ 48 Abs 1 Z 1 StPO) in Betracht kommende Befragte über ihre Rechte nicht im Unklaren zu lassen, maW „die Prozessrolle“ zu klären und überdies die von § 155 Abs 1 StPO erfassten Geheimnisse sowie die Zwangssituation Angehöriger (§ 156 Abs 1 Z 1 StPO) zu schützen.
Macht eine Person, welche als Zeuge nach § 155 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO nicht vernommen werden darf, trotz Information über das sie betreffende Vernehmungsverbot darunter fallende Mitteilungen, wird von ihr nicht iSd § 151 Z 1 StPO Auskunft verlangt. Das Entgegennehmen der Mitteilungen aber erfolgt nicht unter Umgehung der Bestimmungen des § 155 Abs 1 Z 2 oder 3 StPO, während der Vorgang in Bezug auf die geistliche Amtsverschwiegenheit (§ 155 Abs 1 Z 1 StPO) nach der mit ausdrücklicher Nichtigkeit bewehrten Spezialbestimmung des § 144 Abs 1 StPO zu beurteilen ist.
Das Recht auf Aussageverweigerung der in § 157 Abs 1 StPO genannten Personen wird – soweit erforderlich – stattdessen durch § 157 Abs 2 StPO gesondert mit ausdrücklicher Nichtigkeitssanktion gegen Umgehung geschützt, während die Umgehung von § 156 Abs 1 Z 2 StPO nach dem Plan des Gesetzes nicht zu einem Beweisverbot führen soll.
Nicht jede durch eine Vernehmung ersetzbare Erkundigung soll die – bloß aus Z 2 relevante – Beweisverbotskonsequenz nach sich ziehen. In den Katalog der Z 3 wurde die Bestimmung bewusst nicht aufgenommen, weil Erkundigungen in der HV ausscheiden, sind doch die Rollen dort klar verteilt.“
2. Grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§ 159 Ö-StGB)
OGH 23. 4. 2014, 13 Os 55/ 13g (RJS-Justiz RSOJ29425)
Die Frage nach ,,grob“ fahrlässigem Verhalten ist deliktsbezogen zu beantworten, weil es im österreichischen Strafrecht eine allgemeine Unterscheidung von Schweregraden der Fahrlässigkeit nicht gibt. Grobe Fahrlässigkeit nach § 159 Ö-StGB ist gegeben, wenn unter dem Aspekt des Gläubigerschutzes eine ungewöhnliche und auffallende Sorgfaltswidrigkeit bei einem Gesinnungsunwert von zumindest durchschnittlichem Gewicht vorliegt. Auf der Basis dieser Parameter ist anhand der konkreten Umstände eine Einzelfallbetrachtung anzustellen (vgl. Kirchbacher in WK StGB2, § 159 Rz. 25 bis 31).
3. Tatort bei einer Untreue; notwendige Feststellungen bei einer Auslandstat nach § 65 Abs. 1 Z. 1 Ö-StGB (§ 65 Abs. 1 Z. 1, § 67 Abs. 2, § 153 Ö-StGB)
Eine Untreue durch Veranlassung der Überweisung von Geldern vom Firmenkonto auf Privatkonten ist nur dann eine Inlandstat i.S.d. § 67 Abs. 2 Ö-StGB, wenn zumindest eine Ausführungshandlung bzw Beteiligungshandlung (Erteilung des Überweisungsauftrags an die kontoführende Bank der Firma) in Österreich verübt wird oder der Erfolg (Untreueschaden durch Abfluss des Geldes vom Bankkonto des Unternehmens) wenigstens zum Teil in Österreich eintritt.
Wenn es sich demzufolge um eine Auslandstat eines Österreichers i.S.d. § 65 Abs. 1 Z. 1 Ö-StGB handelt, bedarf es entsprechender Feststellungen zur Strafbarkeit der vorgeworfenen Handlung im Tatortstaat und deren allfälliger Verjährung.
OGH 19.3.2014, 15 Os 47/13w
Sachverhalt
Die beiden Angeklagten K. und P., beide österreichische Staatsbürger und in Österreich wohnhaft, waren Alleingeschäftsführer bzw. Angestellter der italienischen Firma (Gesellschaft) I mit Sitz in Italien. Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt wurde K. des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs. 1 und 2 (zweiter Fall) Ö-StGB als unmittelbarer Täter, P. als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall Ö-StGB zu diesem Verbrechen schuldig erkannt. Nach dem Urteil des Erstgerichts haben sie ,,in S., Italien, und anderen Orten“ in der Zeit von 27. bis 31. Mai 2011
1) K. als alleiniger Geschäftsführer der L. die ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, dadurch wissentlich missbraucht und der L. ,,und ihren Kunden“ dadurch einen Vermögensnachteil zugefügt, dass er Vermögen der Gesellschaft, und zwar ,,eingezahlte Kundengelder“ in der Höhe von insgesamt 1.463.494 Euro ,,sich zueignete“ und vom in ltalien geführten Bankkonto Nr *** der Gesellschaft bei der Bank für T. und B. auf österreichische Bankkonten von ihm und P. überwies;
2) P. den K. zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Mai 2011 dazu bestimmt, die diesem als Geschäftsführer der L. eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen und einen anderen zu verpflichten, wissentlich zu missbrauchen und dadurch ,,dem Unternehmen und seinen Kunden“ einen Vermögensnachteil zuzufügen, indem er ihn durch die Aufforderung auf Auszahlung ,,der Gelder“ dazu veranlasste, an ihn widerrechtlich aus Firmenvermögen der L. einen Betrag von 731.747 Euro zu überweisen, die er sich zueignete.
Der OGH hob das Urteil aus Anlass der dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden bei nichtöffentlicher Beratung zur Gänze auf (§ 285e StPO) und verwies die Sache zur Neuverhandlung an das Erstgericht.
Entscheidungsgründe
Für die Reichweite der österreichischen Strafgerichtsbarkeit kommt es darauf an, ob es sich um eine Inlandstat oder um eine Auslandstat handelt. Für Inlandstaten gilt § 62 Ö-StGB, der die uneingeschränkte Geltung des Territorialitätsprinzips normiert und demzufolge die österreichischen Strafgesetze für alle Straftaten gelten, die im Inland von wem immer an wem immer begangen worden sind. Ob der Täter Inländer oder Ausländer ist, spielt ebenso wenig eine Rolle wie die Nationalität des Opfers; maßgebend ist allein der inländische Tatort. Ein solcher liegt gemäß § 67 Abs. 2 Ö-StGB vor, wenn der Ort, an dem der Täter gehandelt hat oder hätte handeln sollen oder ein dem Tatbild entsprechender Erfolg ganz oder zum Teil eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters hätte eintreten sollen, im Inland liegt. Dabei genügt es, wenn im Inland bloß ein Zwischenerfolg eingetreten ist oder nach den Vorstellungen des Täters hier hätte eintreten sollen oder der Täter eine Phase der Ausführung in Österreich gesetzt hat (RIS-Justiz RS0092073). Nur an eine solche Inlandstat des unmittelbaren Täters wiederum knüpft § 64 Abs. 1 Z. 8 Ö-StGB in Bezug auf eine im Ausland begangene Beteiligungshandlung (§ 12 Ö-StGB) an.
Die Urteilsfeststellungen lassen nicht erkennen, dass es sich bei den inkriminierten Handlungen um lnlandstaten im Sinn der obigen Ausführungen handelt, dass nämlich die im Überweisungsauftrag an die kontoführende Bank des geschädigten Unternehmens gelegene Ausführungshandlung des Angeklagten K. oder die Beteiligungshandlung des Angeklagten P. (etwa per Telefon, e-mail, Telebanking oder Post) oder zumindest eine jeweils in das nach § 15 Abs. 2 Ö-StGB strafbare Stadium eines ausführungsnahen Versuchs gediehene Handlung (vgl. 12 Os 13/82) eines dieser Angeklagten in Österreich verübt worden wäre. Dabei missbräuchlichem Entzug von Vermögen des Machthabers der Untreueschaden mit dem Wirksamwerden der rechtswidrigen Disposition (hier also mit dem Abfluss des Geldes vom [italienischen] Bankkonto des Unternehmens) und nicht erst mit der Zueignung des Vermögens durch den Machthaber eintritt (vgl. RIS-Justiz RS0094187 [T2]; 12 Os 84/89), wurde der tatbestandsspezifische Erfolg (Eintritt eines Vermögensnachteils) nach den Urteilsfeststellungen jedenfalls im Ausland effektuiert.
Bei Auslandstaten ist zu unterscheiden, ob sie unter den Voraussetzungen des § 64 Ö-StGB unabhängig von den Gesetzen des Tatorts nach österreichischem Strafrecht zu ahnden sind oder ob die Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze davon abhängt, dass die Tat auch nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht ist, wobei in diesem Fall (nur) bei Erledigung des Strafanspruchs im Ausland auch der inländische Strafanspruch erloschen ist (§ 65 Ö-StGB).
Lagen – außer in einem der in § 64 Ö-StGB bezeichneten Fälle – sowohl die Handlung des Täters als auch der Eintritt des Erfolgs zur Gänze im Ausland, bedarf es entsprechender Feststellungen zur Strafbarkeit der vorgeworfenen Handlung im Tatortstaat und deren allfälliger Verjährung (RIS-Justiz RS0092.H7; 15 Os 106/11 v ).
Das Fehlen solcher Feststellungen war vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen zu Gunsten der Angeklagten aufzugreifen (§ 290 Abs. 1 zweiter Satz erster Fall StPO i.V.m. § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO; vgl. RlS-Justiz RS0092267 [T1]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz. 634). Das angefochtene Urteil war daher aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten bereits bei nichtöffentlicher Beratung zur Gänze aufzuheben (§ 285e StPO). Im zweiten Rechtsgang werden im Falle eines neuerlichen Schuldspruchs deutliche Feststellungen (vgl. RISJustiz RS0117228) zum jeweils erforderlichen Vorsatz bezogen (auch) auf den Zeitpunkt der jeweils zur Last liegenden Ausführungs- oder Beteiligungshandlung zu treffen und mangelfrei zu begründen sein. Im Hinblick auf missverständliche Passagen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (US 13 f.) sei auch angemerkt, dass eine allfällige (tatsächliche) Annahme des Täters, der Missbrauch werde nachträglich vom Geschäftsherrn bewilligt, oder ein allfälliger (tatsächlicher) Glaube an das Bestehen von (berechtigten) ,,kompensablen Gegenforderungen“ (hier: fälligen vertraglichen Provisions- und Abfertigungsansprüchen) bei Beurteilung des Schädigungsvorsatzes zu beleuchten wäre (vgl. RI-Justiz RS0094393 [T15]; RS0088858; 12 Os 101/02; Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 153 Rz .40 und 43) .
4. Korruption (§§ 304 ff. Ö-StGB) Zusammenhang zwischen Vorteil und Amtsgeschäft
OGH 13.10.2014, 17 Os 30/14m – Strasser II – siehe auch OGH 26.11.2013, 17 Os 20/13i, Strasser I, EvBl 2014/28 (Ratz) = Wilhelm, ecolex 2013 (u.a. zur Bestimmtheit eines Amtsgeschäfts).
Der Angeklagte war des Verbrechens der Bestechlichkeit nach § 304 Abs. 1 und 2 zweiter Fall Ö-StGB schuldig erkannt worden, weil er in tatbestandlicher Handlungseinheit am 11. 11. 2010 in Brüssel und am 3. 12. 2010 in London als Mitglied des Europäischen Parlaments, sohin als Amtsträger, für die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäfts einen Vorteil für sich oder einen Dritten gefordert hatte, indem er von vermeintlichen Mitarbeitern einer Lobbying-Agentur Euro 100.000,- dafür verlangte, dass er auf die Gestaltung, die tatsächliche Einbringung und die Behandlung von Anträgen auf Abänderung der von der Europäischen Kommission dem Europäischen Parlament vorgelegten, nachstehend angeführten Gesetzesvorhaben in den mit der Erstellung der Berichte betrauten Ausschüssen, und somit auf den legislativen Prozess (Abstimmungsinhalte und -ergebnisse) im Europäischen Parlament, gezielt und auf ausschließlich von den Auftraggebern vorgegebenen Inhalten und sachfremden Motiven beruhend, auf in diesen Ausschüssen tätige Abgeordnete i.S. der Wünsche der Agentur Einfluss nahm, um den Wünschen deren vermeintlicher Klienten auf Gesetzesvorhaben zum Durchbruch zu verhelfen, und zwar indem er diese Summe am 11. 11. 2010 als Gegenleistung für die RoHS-Richtlinie und die GMO-Legislation forderte und diese Forderung am 3. 12. 2010 als Gegenleistung für die pflichtwidrigen Amtsgeschäfte in Bezug auf die WEEE- bzw „Elektroschrottrichtlinie“ wiederholte.
Der OGH bezeichnet den in §§ 304 f., 307 f. Ö-StGB geforderten Zusammenhang zwischen Vorteil und Amtsgeschäft erstmals in Einklang mit der deutschen Rspr. und Lehre (vgl. BGH 14.2.2007, 5 StR 323/06; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg], StGB I4, § 331 Rz. 82 f. m.w.N.) als Unrechtsvereinbarung.
Die mehrfache Verwirklichung derselben Tatbegehungsvariante oder mehrerer alternativer Tatbegehungsvarianten hinsichtlich ein und desselben Vorteils ist als tatbestandliche Handlungseinheit zu beurteilen (vgl. RIS-Justiz RS0122006).
Bei der Strafbemessung kommt dem Amtsträger nicht zugute, dass er trotz seines ,,Forderns“ (§ 304 Abs. 1 erster Fall StGB) oder des ,,Sich-Versprechen-Lassens“ (§ 304 Abs. 1 dritter Fall StGB) aus der Tat keinen Vorteil erlangt hat. Vielmehr wäre die (zusätzliche) Verwirklichung der alternativen Tatbegehungsvariante des ,,Annehmens“ (§ 304 Abs. 1 zweiter Fall StGB) gegebenenfalls als erschwerend zu werten (vgl. RIS-Justiz RS0118774, RS0126145).
Ratz in EvBl-LS 2015/15:
„Bilden in verschiedenen Staaten gesetzte Ausführungshandlungen eine tatbestandliche Handlungseinheit, genügt es, wenn die Tat nur nach einem der in Betracht kommenden Tatortgesetze mit Strafe bedroht ist, weil § 65 Abs 1 StGB ansonsten den paradoxen Fall von Straflosigkeit trotz Vorliegens beiderseitiger Strafbarkeit regeln würde. Die dem Gesetz somit zugrunde liegende Bevorzugung strengeren Rechts schlägt auch auf die Günstigkeitsklausel nach § 65 Abs 2 StGB durch. Demnach darf der Täter bei der Bestimmung der Strafe (nur) nicht ungünstiger gestellt werden als nach dem strengeren (im Verhältnis zu österreichischem Recht dennoch günstigeren) Tatortrecht.“
5. Korruption: verbotene Intervention (§§ 304 ff., 308 StGB)
OGH 11.8.2014, 17 Os 13/14m – Benko
Bei der Ausübung von Ermessen liegt Pflichtwidrigkeit vor, wenn die Dienstverrichtung auf unsachlichen Beweggründen des Amtsträgers beruht (vgl. RIS-Justiz RS0096099; RS0096116; RS0109171; zuletzt 17 Os 30/14m).
Hier: Geplante Einflussnahme auf italienische Steuerbeamte, auf dass diese ihr Amt parteilich ausüben mögen, um den beschleunigten und positiven Abschluss eines Steuerverfahrens zu bewirken.
Die Angeklagten waren des Verbrechens der verbotenen Intervention nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 308 (erster und dritter Satz) StGB i.d.F. BGBl I 2009/98 StGB schuldig erkannt worden, weil
“(A) DVw Michael P***** am25. November 2009 den Dr. Ivo S***** zur Ausführung der dadurch begangenen strafbaren Handlung, dass jener wissentlich unmittelbar oder mittelbar darauf Einfluss zu nehmen versuchte, dass ein Amtsträger, nämlich ein zur Entscheidung über die Berufung gegen einen die Si***** s.r.l. & C. betreffenden Bescheid der mailändischen Steuerbehörde zuständiger italienischer Beamter, eine in seinen Aufgabenbereich fallende Dienstverrichtung pflichtwidrig vornehme, nämlich das Rechtsmittelverfahren bevorzugend rasch behandle und eine parteiliche Entscheidung zu Gunsten der Si***** s.r.l & C. treffe, und für diese Einflussnahme für sich einen Vorteil sich versprechen ließ, wobei er die Tat in Bezug auf einen 50.000 Euro übersteigenden Wert des Vorteils zu begehen suchte, bestimmt, indem er ihn um die beschriebene Intervention ersuchte und ihm in einer schriftlichen Vereinbarung für den Fall des Gelingens, ‚dieses Steuerverfahren zu beschleunigen und zu einem positiven Ende zu bringen‘, einen Geldbetrag in Höhe von 150.000 Euro versprach;
(B) René B***** „Mitte November 2009 den DVw Michael P***** zur Ausführung der unter Punkt A geschilderten strafbaren Handlung bestimmt, indem er ihn im Wissen um die Pflichtwidrigkeit des begehrten Verhaltens des italienischen Amtsträgers um den Abschluss der Vereinbarung mit Dr. Ivo S***** ersuchte und ihm den Ersatz des an Letztgenannten zu zahlenden Erfolgshonorars zusicherte.“
Mit Urteil vom 13. August 2013, AZ 19 Bs 37/13z (ON 38 der Hv-Akten) gab das Oberlandesgericht Wien den Berufungen der Angeklagten DVw Michael P***** und René B***** nicht Folge.
Nach den maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichts (US 5 ff) behing gegen die Si***** s.r.l. & C. (im Folgenden: Si*****) ein Steuerverfahren in Italien. Der Geschäftsführer der Holdinggesellschaft, René B*****, beauftragte DVw Michael P***** damit, auf eine raschere und positive Abwicklung dieses Verfahrens hinzuwirken, und stellte dafür einen Betrag von 150.000 Euro zur Verfügung. Dabei wurde vereinbart, die Dienste des damaligen kroatischen Ministerpräsidenten Dr. Ivo S*****, den DVw Michael P***** persönlich kannte, in Anspruch zu nehmen. Beabsichtigt war eine Intervention über Dris. S***** damaligen italienischen Amtskollegen Silvio Be*****.
René B***** „handelte dabei in dem Wissen und mit der Absicht, dass Dr. Ivo S***** auf einen raschen und positiven Ausgang des Steuerverfahrens in Italien mittelbar oder unmittelbar Einfluss nehmen werde, wobei beide Angeklagten wussten, dass Dr. Ivo S***** seinerseits vor italienischen Steuerbehörden weder als rechtmäßiger Vertreter der Firmengruppe Si***** auftreten konnte oder auch nur sollte. Beiden Angeklagten war darüber hinaus bewusst, dass eine – außerhalb des laufenden Rechtsmittelverfahrens – intendierte ‚Beschleunigung‘ des Steuerverfahrens und die Erfolgsprämie für dessen ‚positiven Abschluss‘ die Bestimmung von italienischen Beamten zur Vornahme pflichtwidriger Amtsgeschäfte geradezu voraussetzt, was auch ihrer später schriftlich geschlossenen Vereinbarung mit dem damaligen kroatischen Ministerpräsidenten zu Grunde lag.“
Am 25. November 2009 schlossen DVw Michael P***** und Dr. Ivo S***** eine schriftliche Vereinbarung mit folgendem wesentlichen Inhalt:
„Herr Dvw P***** wurde von der Fa. Si***** beauftragt, ein Steuerproblem in einer Projektgesellschaft in Italien zu lösen. Die genannte Projektgesellschaft hat in Italien ein Steuerproblem, das sich im Rechtsmittelverfahren befindet. (….)
Obwohl ein Rechtsmittel läuft, das eher zu Gunsten der Projektgesellschaft ausfallen wird, hat die Firma Si***** großes Interesse daran, dass dieses schwebende Steuerverfahren so schnell wie möglich zu einem positiven Abschluss gebracht wird.
Sollte es Herrn Dr. S***** gelingen, dieses Steuerverfahren zu beschleunigen und zu einem positiven Ende zu bringen, verpflichtet sich Herr Dvw P***** an Herrn Dr. S***** einen Betrag von Euro 150.000 (einhundertfünfzigtausend) zu bezahlen. Dieser Betrag ist spätestens 30 Tage nach Abschluss des Verfahrens zur Zahlung fällig.“
Im Rahmen der Beweiswürdigung ging das Erstgericht davon aus, dass „auf höchster politischer Ebene eine Einflussnahme auf die zuständigen italienischen Steuerbeamten geplant war, auf dass diese ihr Amt parteilich ausüben“ (US 11).
In ihrer gegen das Erst- und das Berufungsurteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes bringt die Generalprokuratur Folgendes vor:
„Vorauszuschicken ist, dass sowohl die Urteilstaten (25. November 2009 bzw Mitte November 2009) als auch das Ersturteil (2. November 2012) nach Inkrafttreten (1. September 2009) des KorrStrÄG 2009, BGBl I 2009/98, aber vor Geltungsbeginn (1. Jänner 2013) des KorrStrÄG 2012, BGBl I 2012/61, erfolgten, sodass vorliegend sowohl Erstgericht als auch Berufungsgericht (vgl Fabrizy, StGB11 § 61 Rz 4) zutreffend von der mit BGBl I 2009/98 eingeführten Fassung des § 308 StGB (im Folgenden: § 308 StGB aF) ausgingen.
§ 308 StGB aF stellt ein zweiaktiges Delikt dar. In einem Akt fordert der Täter für eine Intervention einen Vorteil, nimmt einen solchen an oder lässt ihn sich versprechen. Im anderen Akt macht er seinen Einfluss geltend, damit – soweit hier von Interesse – ein Amtsträger eine in seinen Aufgabenbereich fallende Dienstverrichtung pflichtwidrig vornehme oder unterlasse. Das zeitliche Verhältnis dieser Akte zueinander ist unerheblich. Die pflichtwidrige Dienstverrichtung, die der Amtsträger vornehmen soll, ist ein pflichtwidriges Amtsgeschäft (vgl Bertel in WK2 StGB § 308 Rz 1, 3).
Nach § 308 StGB aF ist somit nur eine solche Einflussnahme tatbildlich, die darauf abzielt, dass der Amtsträger das Amtsgeschäft pflichtwidrig vornimmt oder unterlässt.
Pflichtwidrig verhält sich ein Amtsträger immer dann, wenn er bei Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäfteskonkreten Amts- oder Dienstpflichten zuwider handelt (Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch6 §§ 304 bis 306 StGB Rz 34; Fabrizy, StGB11 § 304 Rz 7; Zagler, SbgK § 304 Rz 20).
Im Ermessensbereich liegt Pflichtwidrigkeit in der Ermessensausübung nach unsachlichen Beweggründen, also etwa, wenn der Beamte einen ihm gewährten Vorteil einen Einfluss auf seine Entscheidung einräumt. Im Übrigen ist jede Parteilichkeit pflichtwidrig.
Eine raschere Abwicklung eines Verfahrens kann daher parteilich und somit pflichtwidrig sein, wenn damit eine Bevorzugung gegenüber anderen Parteien einhergeht (Fabrizy, StGB11 § 304 Rz 7; Bertel in WK² StGB § 304 Rz 15; Zagler, SbgK § 304 Rz 20; RIS-Justiz RS0096116, RS0109171).
Das Amtsgeschäft, auf welches Einfluss genommen wird oder – wie hier – Einfluss genommen werden soll, muss schließlich bestimmt oder wenigstens bestimmbar sein (vgl RIS-Justiz RS0096152 [T1]).
Die in Aussicht genommene Intervention war im vorliegenden Fall auf die „Beschleunigung“ und den „positiven Abschluss“ eines konkret beschriebenen Steuerverfahrens durch die dafür zuständige mailändische Steuerbehörde, also auf ein jedenfalls bestimmbares Amtsgeschäft gerichtet.
Nach Ansicht des Erstgerichts setzte die intendierte rasche und positive Erledigung des italienischen Strafverfahrens die Vornahme pflichtwidriger Amtsgeschäfte „geradezu voraus“ (US 6 erster Absatz).
Die in der rechtlichen Beurteilung getroffene Aussage, die intendierte Abwicklung des Amtsgeschäfts sei eine „bevorzugtere, weil“ sie rascher erfolgen sollte (US 12 letzter Absatz erster Satz), und damit parteilich, verkennt, dass in der bloßen Verfahrensbeschleunigung allein noch keine unsachliche Bevorzugung erblickt werden kann. Eine Feststellung, worin im konkreten Fall – über die ohnehin gebotene rasche Erledigung von Amtsgeschäften hinaus – eine Bevorzugung der Firma Si***** eintreten sollte, wurde nicht getroffen.
Soweit das Erstgericht unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zum KorrStrÄG 2009 (BlgNR 671/A 24. GP 13) – grundsätzlich zutreffend – damit argumentiert (US 12 letzter Absatz zweiter Satz), dass auch eine durch unrechtmäßigen Vorteil motivierte raschere Ausführung einer Amtshandlung deren Pflichtwidrigkeit begründe, und darauf hinweist, dass gerade eine solche Verfahrensbeschleunigung von den Angeklagten intendiert war, übersieht es, dass eine Feststellung, welcher Vorteil für den zuständigen Sachbearbeiter der Mailänder Steuerbehörde zur Erwirkung einer Verfahrensbeschleunigung vorgesehen war, den Urteilsgründen nicht zu entnehmen ist. Denn der in der schriftlichen Vereinbarung zugesagte Geldbetrag von 150.000 Euro war nur als Erfolgshonorar für Dr. S***** vorgesehen.
Auch die apodiktische, empirisch i[n]m Übrigen nicht nachvollziehbare Urteilsannahme beider Gerichte, die positive Erledigung des Rechtsmittels durch die hiefür zuständige Behörde setze zwingend ein pflichtwidriges Amtsgeschäft voraus, lässt jeglichen Sachverhaltsbezug vermissen. Denn es wurde eine Konstatierung, welchen konkreten Amts- oder Dienstpflichten die italienischen Amtsträger hätten zuwider handeln sollen, welche konkrete Pflichtwidrigkeit von den Angeklagten also intendiert war, nicht getroffen. In der Vereinbarung vom 25. No[v]ember 2009, die einen Teil der Feststellungen bildet (US 6 f), haben die beiden Angeklagten vielmehr die Ansicht vertreten, dass das laufende Rechtsmittelverfahren ohnehin zu Gunsten der Projektgesellschaft ausfallen werde.
Da das auf die Dienstverrichtung bezogene Tatbestandsmerkmal „pflichtwidrig“ von den befassten Gerichten in Wahrheit bloß zirkulär verwendet wurde (US 6 erster Absatz, 12 letzter Absatz; BUS 9 erster Absatz sinngemäß: „Die Amtshandlung ist pflichtwidrig, weil sie nur pflichtwidrig sein kann“), liegt auch diesbezüglich gar keine Feststellung, sondern ein Rechtsfehler infolge fehlender Feststellungen vor (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 8; RIS Justiz RS0119090).“
Der OGH hat erwogen:
„Bei Ausübung von Ermessen liegt Pflichtwidrigkeit (hier:) im Sinn des § 308 StGB idF KorrStrÄG 2009, BGBl I 2009/98 (zum einheitlichen Begriff der Pflichtwidrigkeit bei sämtlichen Tatbeständen des 22. Abschnitts des StGB idF KorrStrÄG 2009 vgl EB 24. GP 671/A, 17), vor, wenn die Dienstverrichtung auf unsachlichen Beweggründen des Amtsträgers beruht (Fabrizy, StGB11 § 304 Rz 7). Dazu zählt auch die bevorzugend rasche, maW die Interessen anderer Parteien beeinträchtigende, Abwicklung eines solchen Geschäfts (vgl SSt 56/19; RIS-Justiz RS0096116, RS0096099, RS0109171; Fabrizy, StGB11 § 304 Rz 7; Bertel in WK2 StGB § 304 Rz 15; Zagler SbgK § 304 Rz 20; MüKoStGB2/Korte § 332 Rz 28 mwN aus der deutschen Rsp).
Zwar ist der Generalprokuratur beizupflichten, dass allein mit dem konstatierten „rascheren und positiven“ Verfahrensabschluss (Ersturteil US 5, 10) pflichtwidriges Verhalten des Amtsträgers noch nicht angesprochen wird. Die Beschwerdeführerin lässt aber die weiteren (im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen) Urteilsannahmen des Erstgerichts außer Betracht, wonach „eine Einflussnahme auf die zuständigen italienischen Steuerbeamten geplant war, auf dass diese ihr Amt parteilich ausüben“ (US 11). Solcherart hat die Einzelrichterin – hinreichend deutlich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) – zum Ausdruck gebracht, dass die Einflussnahme auf eine im dargelegten Sinn unsachliche Ermessensübung abzielen sollte. Dieser Befund wird im Übrigen durch das – zur Verdeutlichung der Entscheidungsgründe heranziehbare (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 271; RIS-Justiz RS0116587) – Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) erhärtet, wonach sich die geplante Intervention auf eine „bevorzugend rasche“ Behandlung des Rechtsmittelverfahrens und eine „parteiliche Entscheidung“ zugunsten der Si***** richtete (Ersturteil US 3).“
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Generalprokuratur wurde verworfen.
6. Grundrechtsgehalt des Doppelbestrafungsverbots (§ 363a StPO; Art. 54 SDU; Art. 50 EGC; § 2 ARHG)
OGH 28. 1. 2014, 14 Os 133/ 13k
Siehe auch Zeder, Sanktionen des EU-Beihilfenrechts, Steuerzuschläge: ne bis in idem zu Betrug? ÖJZ 2014, 494 (zu EuGH 26.2.2013, C-617/10, Äkerberg Fransson; 5.6.2012, C-489/10, Bonda).
Der durch Art. 54 SDÜ gewährte Schutz vor Doppelverfolgung ist als Grundrecht einzustufen und kann Voraussetzung für einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens unter analoger Anwendung von § 363a StPO sein. Das in Art. 54 SDÜ normierte Doppelverfolgungsverbot kann der Entsprechung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens entgegenstehen (RIS-Justiz RS0129032).
7. Verwendung personenbezogener Daten und Datenschutz (§ 140 Abs. 3 StPO)
VfGH 1.10.2013, G 2/2013
Der VfGH hat § 140 Abs. 3 StPO über die Verwendung von im Strafverfahren ermittelten personenbezogenen Daten als Beweismittel in anderen gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Datenschutz als verfassungswidrig aufgehoben.
I. ISO 19600 und Compliance Management Systeme
Die Internationale Organisation für Normung (ISO) erarbeitet zurzeit einen globalen Standard für Compliance Management Systeme, welcher voraussichtlich 2015 veröffentlicht werden wird.
1. ISO 19600: CMS — Guidelines
Compliance stellt eine große Herausforderung für viele Unternehmen dar. Bislang fehlten jedoch weltweite Standards für Compliance Management Systeme (CMS). Deshalb haben viele Unternehmen Schwierigkeiten festzustellen, welche Anforderungen für ein funktionierendes CMS nötig bzw. geeignet sind. Es ist aus diesem Grund sehr erfreulich, dass die ISO einen globalen Standard für CMS ausgearbeitet und im Dezember 2014 veröffentlicht hat.
ISO 19600 (abrufbar unter diesem Link) ist eine flexible Richtlinie ohne jegliche normative Verweise. Sie gibt Empfehlungen hinsichtlich der Grundsätze von verantwortungsvoller Führung, Flexibilität, Proportionalität, Transparenz und Nachhaltigkeit und ist allen Arten von Unternehmen zugänglich. Besonders kleine und mittelgroße Unternehmen können von dem Entwurf profitieren, da sie die Richtlinien entsprechend ihrer Größe anwenden können. Die Flexibilität gewährt kleinen und mittelgroßen Unternehmen, mit dem Thema Compliance nach ihren eigenen Vorstellungen umgehen zu können. Da die Richtlinie nach den Grundsätzen des ständigen Wachstums aufgebaut ist (planen, tun, prüfen, handeln), können Unternehmen ihr CMS – wenn nötig – ausweiten.
Da ISO 19600 der ISO „High Level Structure“ (HLS) folgt, kann es in bestehende Managementsysteme, die die HLS-Standards verwenden, eingebaut werden oder als zusätzliches Modul für Unternehmen dienen, die bereits ISO-Qualitätsmanagementstandards gemäß ISO 9000 befolgen. Das macht es einfacher (und daher auch wahrscheinlicher), dass Unternehmen die CMS-Maßnahmen umsetzen, die in ISO 19600 empfohlen werden.
Die ISO 19600-Richtlinien haben auch einen risikobasierten Ansatz. Nach der Einführung muss das Unternehmen eine Compliance-Risikobeurteilung durchführen. Die dabei entdeckten Risiken (Compliance-Verpflichtungen) stellen die Basis für die Einrichtung von Kontrollmechanismen dar. Die Leistung dieser Risikobewältigungsmaßnahmen muss dann bewertet, verbessert und nach innen und außen kommuniziert werden.
Der Aufbau von ISO 19600 zielt auf die unterschiedlichen Stadien der CMS-Einführung ab, von der Entwicklung zur Einführung, Bewertung, Erhaltung sowie zur stetigen Verbesserung. Nachdem die Ziele und der Rahmen des CMS festgelegt sind, empfiehlt die Richtlinie die Einhaltung der jeweiligen Maßnahmen in Abstimmung mit den Interessen der Gesellschafter und verantwortungsvolle Führung.
Die Richtlinie legt großen Wert auf die unterschiedlichen Rollen, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten innerhalb des Unternehmens und zielt auf die Erstellung eines Compliance-Programms ab. Damit soll eine Unternehmenskultur erschaffen werden, in welcher Compliance eine allgemeine Regel ist – sozusagen eine Compliance-Kultur.
Der ISO-Standard schlägt weiter Maßnahmen zur Einführung von Kontrollmaßnahmen vor, die das gewünschte Verhalten erzielen sollen. Die empfohlenen Maßnahmen sollten von Trainings, interner und externer Kommunikation, dokumentierter Information und dem Vorbildverhalten der Führungskräfte unterstützt werden. Schließlich werden bei ISO 19600 auch Gewinnermittlung und Verbesserungen im Bereich Non-Compliance, besonders bei Eskalationsprozessen, untersucht. Die empfohlenen Methoden für den Bereich Non-Compliance (reagieren, evaluieren, nötige Maßnahmen setzen, Effektivität überprüfen, nötige Verbesserungen) zeigen sehr gut den Grundsatz der stetigen Verbesserung.
2. Vergleich mit ONR 192050
Das Österreichische Normungsinstitut Austrian Standards hat 2013 seine eigene Richtlinie für CMS namens ONR 192050 herausgegeben. Das ONR legt Mindeststandards für die Entwicklung, Einführung und Erhaltung eines CMS fest. Da er Zertifizierungsanforderungen beinhaltet, ist der ONR-Standard weniger ausführlich als der ISO-Standard. ONR 192050 kann lediglich auf die Einhaltung gesetzlicher Verpflichtungen des Unternehmens angewandt werden, während ISO 19600 alle Anforderungen an das Unternehmen umfasst.
Beide Standards können auf Unternehmen jeglichen Typs und jeglicher Größe angewandt werden. Dennoch ist es auffällig, dass sich die österreichische ONR hauptsächlich auf die Rolle des Managements und des Compliance Officers (diese Aufgaben kann von jedem Mitarbeiter übernommen werden) eines Unternehmens konzentriert, während die ISO-Richtlinie eine Compliance-Kultur innerhalb des Unternehmens schaffen will, indem sie Compliance-Vorschriften einführt und alle Mitarbeiter einbindet.
Im Gegensatz dazu sind die Anforderungen von ONR 192050 für die Bewertung, Dokumentation und Überwachung von sowie den Umgang mit Compliance-Risiken grundlegender Natur, nach dem Motto „Eine Maßnahme wird festgesetzt, um einem entdeckten Regelverstoß nachzugehen“. ISO 19600 empfiehlt dafür jedoch, dass „der Vorgang festlegen sollte, an wen, wie und wann Dinge gemeldet werden sollen sowie die Fristen für interne und externe Berichterstattung.“
ONR 192050 und ISO 19600 lassen sich gut kombinieren. Wichtig: ein nach ONR 192050 eingeführtes CMS muss nicht geändert werden, um den Anforderungen von ISO 19600 zu genügen. Es gibt hier keinen Konflikt, und – auch wenn es einen gäbe – wären die ISO Standards kompatibel mit anderen Compliance-Maßnahmen, solange sie zum selben Ergebnis führen.
Austrian Standards bietet derzeit sowohl Zertifizierungen nach ISO 19600 als auch nach ONR 192050 an. CMS, die nach dem ISO-Standard zertifiziert werden, gelten auch als zertifiziert nach dem nationalen ONR-Standard. Nach Abschluss des Zertifizierungsprozesses wird dem Unternehmen das „FairBusiness® Compliance Certificate“ verliehen.
3. Kommentar zu ISO 19600
Der flexible Ansatz von ISO 19600 ist bemerkenswert. Jedes Unternehmen kann unabhängig entscheiden, bis zu welchem Ausmaß die Einführung vertretbar ist (hinsichtlich der Kosten und Benefits). Dieser Aufbau kombiniert mit dem Grundsatz der stetigen Verbesserung erlaubt es Unternehmen, in jedem Stadium ihrer CMS-Einführung in Übereinstimmung mit ISO 19600 zu handeln und davon zu profitieren.
Ein globaler Standard erlaubt einen Vergleich zwischen Compliance-Systemen in unterschiedlichen Ländern und Industriebereichen. Die Richtlinie kann aufgrund ihres Umfangs und ihrer Art (es werden lediglich Empfehlungen abgegeben) weltweit verwendet werden. Außerdem ergeben sich durch die Richtlinie keine Konflikte mit nationalen Gesetzen.
Alles in allem hat ISO eine solide Richtlinie geschaffen, die als Modul einem existierenden ISO-zertifizierten Managementsystem hinzugefügt werden kann. Wir sind davon überzeugt, dass der Bedarf für ISO-zertifizierte CMS in Zukunft vorhanden sein wird, um Complianceerfordernisse systematisch im Unternehmen sicherzustellen.
II. Aktuelle Rechtsprechung Strafrecht
1. Betrügerische Krida (§ 156 Ö-StGB) [1]
OGH 28. 1. 2014, 14 Os 167/13k
Beitrag bis zur Vollendung/Vollbringung möglich
Leitsatz: § 156 Ö-StGB enthält – anders als zB Betrug oder grenzüberschreitender Prostitutionshandel – keinen überschießenden Vorsatz (etwa auf Bereicherung des Schuldners mehrerer Gläubiger oder einer dritten Person), weshalb ein Beitrag nach formeller Vollendung (durch Schmälerung oder Vereitelung der Gläubigerbefriedigung), etwa in Form einer Beteiligung an der Verwertung (zunächst) verheimlichten Vermögens, nicht in Betracht kommt. Nach Tatvollendung durch den unmittelbaren Täter kann durch Mitwirkung an der Verwertung der inkriminierten Vermögensbestandteile nur ein sog. Anschlussdelikt verwirklicht werden.
Ein Tatbeitrag kann i.d.R. nur bis zur Tatvollendung geleistet werden (RIS-Justiz RS0090346). Nach Tatvollendung durch den unmittelbaren Täter kann durch Mitwirkung an der Verwertung der inkriminierten Vermögensbestandteile nur ein Anschlussdelikt verwirklicht werden (RIS-Justiz RS0094922, RS0090397, RS0094688), also Hehlerei oder Geldwäscherei.
Für die Gläubigerstellung i.S.d. § 156 StGB ist die Fälligkeit einer Forderung (vgl § 210 Abs. 1 BAO) ebenso wenig von Bedeutung wie die Teilnahme (des Finanzamts) am Abschöpfungsverfahren. Da der Täter die in Form eines Werklohns erzielten Einkünfte auch vor dem Finanzamt verheimlichte, ist das angelastete Verhalten auch im Hinblick auf die aus dem erzielten Einkommen resultierende Steuerschuld tatbildlich (RIS-Justiz RS0118270, T4 und TS; RS0095308, T7 und TB).
War das Vermögen Gegenstand eines (insolvenzrechtlichen) Abschöpfungsverfahrens, obliegt es dem selbständig erwerbstätigen Schuldner, den mit seiner Tätigkeit erzielten Gewinn dem Treuhänder herauszugeben, der die Beträge fruchtbringend anzulegen und am Ende des Kalenderjahres binnen acht Wochen an die Gläubiger zu verteilen hat. Spätestens im Zeitpunkt dieser Verteilung steht ein durch das Verschweigen von Vermögensbestandteilen (die infolgedessen nicht in das Abschöpfungsverfahren Eingang gefunden haben) verursachter Befriedigungsausfall der Gläubiger fest (RIS-Justiz RS0115184, TIO; RIS-Justiz RS0094607, T4).
Bei der betrügerischen Krida handelt es sich um ein alternatives Mischdelikt mit gleichwertigen Begehungsweisen. Bei Verwirklichung mehrerer Varianten (hier: zunächst scheinbare und anschließende wirkliche Vermögensverringerung hinsichtlich desselben Vermögensbestandteils) wird allerdings nur eine strafbare Handlung begangen, weshalb eine Zusammenrechnung von (diesen unterschiedlichen Begehungsweisen zugeordneten) Schadensbeträgen gem § 29 Ö-StGB nicht stattfindet (RIS-Justiz RS0120085, T1 und T2).
Wahldeutige Feststellungen sind bei einem Schuldspruch nach § 156 Abs. 1 und 2 StGB unter dem Aspekt der Z. 9 lit. a und 10 des § 281 StPO ohne Bedeutung, weil es sich bei der betrügerischen Krida um ein alternatives Mischdelikt mit gleichwertigen Begehungsweisen handelt (RIS-Justiz RS0098710, T16).
Der OGH erwog über Beitrag oder Anschlussdelikt:
„Aus Anlass der NB überzeugte sich der OGH, dass dem Schuldspruch B/II nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil der Angekl Elisabeth B anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO): Nach dem Urteilssachverhalt hat Hanno B das als selbständiger Bilanzbuchhalter erzielte Einkommen von Euro 84.642,94 vor seinen Gläubigern verheimlicht und in der Folge Teile davon im Ausmaß von Euro 22.769,70 für Urlaube und Schönheitsoperationen ausgegeben. Mangels Konstatierungen zum Vollendungszeitpunkt hat das ErstG somit hinsichtlich der überschneidenden Teilmenge (von Euro 22.769,70) offengelassen, durch welche der tatbildlichen Handlungsweisen (entweder durch scheinbare oder durch wirkliche Vermögensverringerung) die Gläubigerschädigung herbeigeführt wurde, und demnach zu diesem Punkt wahldeutige Feststellungen getroffen (vgl RIS-Justiz RS0098710; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 573). Dies ist (unter dem Aspekt der Z 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO) für den Schuldspruch B/I ohne Bedeutung, weil es sich bei der betrügerischen Krida um ein alternatives Mischdelikt mit gleichwertigen Begehungsweisen handelt (14 Os 170/07t; 12 Os 91/08m; RIS-Justiz RS0120085). Allerdings wird bei Verwirklichung mehrerer Varianten eines solchen alternativen Mischdelikts nur eine strafbare Handlung begangen, weshalb eine Zusammenrechnung von (diesen unterschiedlichen Begehungsweisen zugeordneten) Schadensbeträgen gem § 29 StGB, der (nur) bei gleichartiger Realkonkurrenz (also mehreren strafbaren Handlungen) zur Anwendung kommt, nicht stattfindet (Ratz in WK2 StGB §§ 28a-31 Rz 2 und § 29 Rz 1; vgl RIS-Justiz RS0114037 [T 3] zu alternativen Mischtatbeständen nach dem SMG). Dies hat das ErstG – wenngleich ohne Auswirkung auf die Qualifikationsgrenze des § 156 Abs 2 StGB, somit ausschließlich im Verfahren über die Berufung des Angekl Hanno B von Bedeutung – übersehen, indem es von einem aus dessen Kridahandlungen resultierenden Schaden von insg Euro 107.412,63 ausgegangen ist. Wahldeutige Feststellungen sind jedoch nur dann unbedenklich, wenn jede der wahlweise getroffenen Annahmen zu dem gleichen rechtlichen Schluss (auf das Vorliegen derselben strafbaren Handlung) führt (vgl erneut RIS-Justiz RS0098710; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 573; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 23). Dies ist vorliegend in Ansehung des Schuldspruchs B/II nicht der Fall. Zu diesem wird Elisabeth B angelastet, zur tatsächlichen Verringerung des Vermögens von Hanno B beigetragen zu haben (§ 12 dritter Fall StGB), indem sie sich – aus dem zuvor verheimlichten Einkommen (von Euro 84.642,94) – im Ausmaß von Euro 19.639,- Schönheitsoperationen und Urlaube habe bezahlen lassen. Ein sonstiger Beitrag zur strafbaren Handlung eines anderen kann jedoch idR nur bis zur Tatvollendung geleistet werden (RIS-Justiz RS0090346; Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 94; Kienapfel/Höpfel/Kert, AT14 E 5 Rz 20). Der Tatbestand des § 156 StGB enthält – anders als bspw Betrug oder grenzüberschreitender Prostitutionshandel (vgl RIS-Justiz RS0116322; Kirchbacher in WK2 StGB § 146 Rz 134) – keinen überschießenden Vorsatz (etwa auf Bereicherung des Schuldners mehrerer Gläubiger oder einer dritten Person), weshalb ein Beitrag nach formeller Vollendung (durch Schmälerung oder Vereitelung der Gläubigerbefriedigung), etwa in Form einer Beteiligung an der Verwertung (zunächst) verheimlichten Vermögens nicht in Betracht kommt. Nach Tatvollendung durch den unmittelbaren Täter kann durch Mitwirkung an der Verwertung der inkriminierten Vermögensbestandteile nur ein sog Anschlussdelikt verwirklicht werden (RIS-Justiz RS0094922; RS0090397; RS0094688;Kirchbacher in WK2 StGB § 164 Rz 15; Kienapfel/Schmoller, StudB BT II § 164 Rz 9, 17 f, 46, 62, 112), also Hehlerei oder – hier von Bedeutung, weil der verheimlichte Werklohn auf ein Schweizer Bankkonto überwiesen wurde, es sich beim in Rede stehenden Vermögensbestandteil somit um Giralgeld handelt (RIS-Justiz RS0121296; Kirchbacher in WK2 StGB § 164 Rz 7 und § 165 Rz 5 und 9) – Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 StGB. Da somit je nach (im Urteil gleichermaßen enthaltener) Variante einer Vollendung der von Hanno B begangenen betrügerischen Krida bereits durch das Verheimlichen des Vermögens oder erst durch dessen Veräußerung, an der allein Elisabeth B nach den Urteilsfeststellungen beteiligt war, für diese unterschiedliche rechtliche Konsequenzen in Betracht kommen, ist der Schuldspruch B/II mit einem Rechtsfehler behaftet.“
Ratz weist in seinem Glossar (EvBl 2014/56) auf eine weitere Komponente dieses Verfahrens hin:
„Zur Verlesung eines AV über Angaben im Ermittlungsverfahren enthält die Entscheidung nur einen knappen Hinweis auf erfolgte „Belehrung über Beschuldigtenrechte“, der leicht übersehen werden kann, aber eine wichtige Aussage enthält. § 152 Abs 1 StPO verbietet bei sonstiger Nichtigkeit die Umgehung der Bestimmungen über die Vernehmung von Beschuldigten und Zeugen durch Erkundigungen. Ausdrückliche Nichtigkeit nach § 152 Abs 1 StPO kommt nur in Frage, soweit eine pflichtgemäß über
ihre Stellung als Beschuldigter (§ 48 Abs 1 Z 1 StPO) und die damit verbundenen Rechte (§ 49 StPO) oder
ein Vernehmungsverbot des § 155 Abs 1 StPO oder auch
den Aussagebefreiungsgrund nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO
zu informierende Person darüber nicht förmlich ins Bild gesetzt wurde, und
in Bezug auf Mitteilungen einer aus (Ex-ante-)Sicht des verantwortlichen Organwalters zur Angabe der Wahrheit wegen einer psychischen Krankheit, wegen einer geistigen Behinderung oder aus einem anderen Grund unfähigen Person (§ 155 Abs 1 Z 4 StPO).
Soweit nämlich die befragte Person förmlich über ihre Stellung und ihre Rechte im Verfahren informiert wurde und – in den Fällen des § 155 Abs 1 Z 4 StPO – der Sinn der Information nicht (von vornherein definitionsgemäß) ins Leere gehen musste, liegt nach der für § 152 Abs 1 StPO maßgeblichen Legaldefinition des § 151 Z 2 StPO eine Vernehmung vor. Sinn und Schutzzweck des § 152 Abs 1 StPO liegen in erster Linie darin, als Besch (§ 48 Abs 1 Z 1 StPO) in Betracht kommende Befragte über ihre Rechte nicht im Unklaren zu lassen, maW „die Prozessrolle“ zu klären und überdies die von § 155 Abs 1 StPO erfassten Geheimnisse sowie die Zwangssituation Angehöriger (§ 156 Abs 1 Z 1 StPO) zu schützen.
Macht eine Person, welche als Zeuge nach § 155 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO nicht vernommen werden darf, trotz Information über das sie betreffende Vernehmungsverbot darunter fallende Mitteilungen, wird von ihr nicht iSd § 151 Z 1 StPO Auskunft verlangt. Das Entgegennehmen der Mitteilungen aber erfolgt nicht unter Umgehung der Bestimmungen des § 155 Abs 1 Z 2 oder 3 StPO, während der Vorgang in Bezug auf die geistliche Amtsverschwiegenheit (§ 155 Abs 1 Z 1 StPO) nach der mit ausdrücklicher Nichtigkeit bewehrten Spezialbestimmung des § 144 Abs 1 StPO zu beurteilen ist.
Das Recht auf Aussageverweigerung der in § 157 Abs 1 StPO genannten Personen wird – soweit erforderlich – stattdessen durch § 157 Abs 2 StPO gesondert mit ausdrücklicher Nichtigkeitssanktion gegen Umgehung geschützt, während die Umgehung von § 156 Abs 1 Z 2 StPO nach dem Plan des Gesetzes nicht zu einem Beweisverbot führen soll.
Nicht jede durch eine Vernehmung ersetzbare Erkundigung soll die – bloß aus Z 2 relevante – Beweisverbotskonsequenz nach sich ziehen. In den Katalog der Z 3 wurde die Bestimmung bewusst nicht aufgenommen, weil Erkundigungen in der HV ausscheiden, sind doch die Rollen dort klar verteilt.“
2. Grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§ 159 Ö-StGB)
OGH 23. 4. 2014, 13 Os 55/ 13g (RJS-Justiz RSOJ29425)
Die Frage nach ,,grob“ fahrlässigem Verhalten ist deliktsbezogen zu beantworten, weil es im österreichischen Strafrecht eine allgemeine Unterscheidung von Schweregraden der Fahrlässigkeit nicht gibt. Grobe Fahrlässigkeit nach § 159 Ö-StGB ist gegeben, wenn unter dem Aspekt des Gläubigerschutzes eine ungewöhnliche und auffallende Sorgfaltswidrigkeit bei einem Gesinnungsunwert von zumindest durchschnittlichem Gewicht vorliegt. Auf der Basis dieser Parameter ist anhand der konkreten Umstände eine Einzelfallbetrachtung anzustellen (vgl. Kirchbacher in WK StGB2, § 159 Rz. 25 bis 31).
3. Tatort bei einer Untreue; notwendige Feststellungen bei einer Auslandstat nach § 65 Abs. 1 Z. 1 Ö-StGB (§ 65 Abs. 1 Z. 1, § 67 Abs. 2, § 153 Ö-StGB)
Eine Untreue durch Veranlassung der Überweisung von Geldern vom Firmenkonto auf Privatkonten ist nur dann eine Inlandstat i.S.d. § 67 Abs. 2 Ö-StGB, wenn zumindest eine Ausführungshandlung bzw Beteiligungshandlung (Erteilung des Überweisungsauftrags an die kontoführende Bank der Firma) in Österreich verübt wird oder der Erfolg (Untreueschaden durch Abfluss des Geldes vom Bankkonto des Unternehmens) wenigstens zum Teil in Österreich eintritt.
Wenn es sich demzufolge um eine Auslandstat eines Österreichers i.S.d. § 65 Abs. 1 Z. 1 Ö-StGB handelt, bedarf es entsprechender Feststellungen zur Strafbarkeit der vorgeworfenen Handlung im Tatortstaat und deren allfälliger Verjährung.
OGH 19.3.2014, 15 Os 47/13w
Sachverhalt
Die beiden Angeklagten K. und P., beide österreichische Staatsbürger und in Österreich wohnhaft, waren Alleingeschäftsführer bzw. Angestellter der italienischen Firma (Gesellschaft) I mit Sitz in Italien. Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt wurde K. des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs. 1 und 2 (zweiter Fall) Ö-StGB als unmittelbarer Täter, P. als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall Ö-StGB zu diesem Verbrechen schuldig erkannt. Nach dem Urteil des Erstgerichts haben sie ,,in S., Italien, und anderen Orten“ in der Zeit von 27. bis 31. Mai 2011
1) K. als alleiniger Geschäftsführer der L. die ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, dadurch wissentlich missbraucht und der L. ,,und ihren Kunden“ dadurch einen Vermögensnachteil zugefügt, dass er Vermögen der Gesellschaft, und zwar ,,eingezahlte Kundengelder“ in der Höhe von insgesamt 1.463.494 Euro ,,sich zueignete“ und vom in ltalien geführten Bankkonto Nr *** der Gesellschaft bei der Bank für T. und B. auf österreichische Bankkonten von ihm und P. überwies;
2) P. den K. zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Mai 2011 dazu bestimmt, die diesem als Geschäftsführer der L. eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen und einen anderen zu verpflichten, wissentlich zu missbrauchen und dadurch ,,dem Unternehmen und seinen Kunden“ einen Vermögensnachteil zuzufügen, indem er ihn durch die Aufforderung auf Auszahlung ,,der Gelder“ dazu veranlasste, an ihn widerrechtlich aus Firmenvermögen der L. einen Betrag von 731.747 Euro zu überweisen, die er sich zueignete.
Der OGH hob das Urteil aus Anlass der dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden bei nichtöffentlicher Beratung zur Gänze auf (§ 285e StPO) und verwies die Sache zur Neuverhandlung an das Erstgericht.
Entscheidungsgründe
Für die Reichweite der österreichischen Strafgerichtsbarkeit kommt es darauf an, ob es sich um eine Inlandstat oder um eine Auslandstat handelt. Für Inlandstaten gilt § 62 Ö-StGB, der die uneingeschränkte Geltung des Territorialitätsprinzips normiert und demzufolge die österreichischen Strafgesetze für alle Straftaten gelten, die im Inland von wem immer an wem immer begangen worden sind. Ob der Täter Inländer oder Ausländer ist, spielt ebenso wenig eine Rolle wie die Nationalität des Opfers; maßgebend ist allein der inländische Tatort. Ein solcher liegt gemäß § 67 Abs. 2 Ö-StGB vor, wenn der Ort, an dem der Täter gehandelt hat oder hätte handeln sollen oder ein dem Tatbild entsprechender Erfolg ganz oder zum Teil eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters hätte eintreten sollen, im Inland liegt. Dabei genügt es, wenn im Inland bloß ein Zwischenerfolg eingetreten ist oder nach den Vorstellungen des Täters hier hätte eintreten sollen oder der Täter eine Phase der Ausführung in Österreich gesetzt hat (RIS-Justiz RS0092073). Nur an eine solche Inlandstat des unmittelbaren Täters wiederum knüpft § 64 Abs. 1 Z. 8 Ö-StGB in Bezug auf eine im Ausland begangene Beteiligungshandlung (§ 12 Ö-StGB) an.
Die Urteilsfeststellungen lassen nicht erkennen, dass es sich bei den inkriminierten Handlungen um lnlandstaten im Sinn der obigen Ausführungen handelt, dass nämlich die im Überweisungsauftrag an die kontoführende Bank des geschädigten Unternehmens gelegene Ausführungshandlung des Angeklagten K. oder die Beteiligungshandlung des Angeklagten P. (etwa per Telefon, e-mail, Telebanking oder Post) oder zumindest eine jeweils in das nach § 15 Abs. 2 Ö-StGB strafbare Stadium eines ausführungsnahen Versuchs gediehene Handlung (vgl. 12 Os 13/82) eines dieser Angeklagten in Österreich verübt worden wäre. Dabei missbräuchlichem Entzug von Vermögen des Machthabers der Untreueschaden mit dem Wirksamwerden der rechtswidrigen Disposition (hier also mit dem Abfluss des Geldes vom [italienischen] Bankkonto des Unternehmens) und nicht erst mit der Zueignung des Vermögens durch den Machthaber eintritt (vgl. RIS-Justiz RS0094187 [T2]; 12 Os 84/89), wurde der tatbestandsspezifische Erfolg (Eintritt eines Vermögensnachteils) nach den Urteilsfeststellungen jedenfalls im Ausland effektuiert.
Bei Auslandstaten ist zu unterscheiden, ob sie unter den Voraussetzungen des § 64 Ö-StGB unabhängig von den Gesetzen des Tatorts nach österreichischem Strafrecht zu ahnden sind oder ob die Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze davon abhängt, dass die Tat auch nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht ist, wobei in diesem Fall (nur) bei Erledigung des Strafanspruchs im Ausland auch der inländische Strafanspruch erloschen ist (§ 65 Ö-StGB).
Lagen – außer in einem der in § 64 Ö-StGB bezeichneten Fälle – sowohl die Handlung des Täters als auch der Eintritt des Erfolgs zur Gänze im Ausland, bedarf es entsprechender Feststellungen zur Strafbarkeit der vorgeworfenen Handlung im Tatortstaat und deren allfälliger Verjährung (RIS-Justiz RS0092.H7; 15 Os 106/11 v ).
Das Fehlen solcher Feststellungen war vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen zu Gunsten der Angeklagten aufzugreifen (§ 290 Abs. 1 zweiter Satz erster Fall StPO i.V.m. § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO; vgl. RlS-Justiz RS0092267 [T1]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz. 634). Das angefochtene Urteil war daher aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten bereits bei nichtöffentlicher Beratung zur Gänze aufzuheben (§ 285e StPO). Im zweiten Rechtsgang werden im Falle eines neuerlichen Schuldspruchs deutliche Feststellungen (vgl. RISJustiz RS0117228) zum jeweils erforderlichen Vorsatz bezogen (auch) auf den Zeitpunkt der jeweils zur Last liegenden Ausführungs- oder Beteiligungshandlung zu treffen und mangelfrei zu begründen sein. Im Hinblick auf missverständliche Passagen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (US 13 f.) sei auch angemerkt, dass eine allfällige (tatsächliche) Annahme des Täters, der Missbrauch werde nachträglich vom Geschäftsherrn bewilligt, oder ein allfälliger (tatsächlicher) Glaube an das Bestehen von (berechtigten) ,,kompensablen Gegenforderungen“ (hier: fälligen vertraglichen Provisions- und Abfertigungsansprüchen) bei Beurteilung des Schädigungsvorsatzes zu beleuchten wäre (vgl. RI-Justiz RS0094393 [T15]; RS0088858; 12 Os 101/02; Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 153 Rz .40 und 43) .
4. Korruption (§§ 304 ff. Ö-StGB) Zusammenhang zwischen Vorteil und Amtsgeschäft
OGH 13.10.2014, 17 Os 30/14m – Strasser II – siehe auch OGH 26.11.2013, 17 Os 20/13i, Strasser I, EvBl 2014/28 (Ratz) = Wilhelm, ecolex 2013 (u.a. zur Bestimmtheit eines Amtsgeschäfts).
Der Angeklagte war des Verbrechens der Bestechlichkeit nach § 304 Abs. 1 und 2 zweiter Fall Ö-StGB schuldig erkannt worden, weil er in tatbestandlicher Handlungseinheit am 11. 11. 2010 in Brüssel und am 3. 12. 2010 in London als Mitglied des Europäischen Parlaments, sohin als Amtsträger, für die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäfts einen Vorteil für sich oder einen Dritten gefordert hatte, indem er von vermeintlichen Mitarbeitern einer Lobbying-Agentur Euro 100.000,- dafür verlangte, dass er auf die Gestaltung, die tatsächliche Einbringung und die Behandlung von Anträgen auf Abänderung der von der Europäischen Kommission dem Europäischen Parlament vorgelegten, nachstehend angeführten Gesetzesvorhaben in den mit der Erstellung der Berichte betrauten Ausschüssen, und somit auf den legislativen Prozess (Abstimmungsinhalte und -ergebnisse) im Europäischen Parlament, gezielt und auf ausschließlich von den Auftraggebern vorgegebenen Inhalten und sachfremden Motiven beruhend, auf in diesen Ausschüssen tätige Abgeordnete i.S. der Wünsche der Agentur Einfluss nahm, um den Wünschen deren vermeintlicher Klienten auf Gesetzesvorhaben zum Durchbruch zu verhelfen, und zwar indem er diese Summe am 11. 11. 2010 als Gegenleistung für die RoHS-Richtlinie und die GMO-Legislation forderte und diese Forderung am 3. 12. 2010 als Gegenleistung für die pflichtwidrigen Amtsgeschäfte in Bezug auf die WEEE- bzw „Elektroschrottrichtlinie“ wiederholte.
Der OGH bezeichnet den in §§ 304 f., 307 f. Ö-StGB geforderten Zusammenhang zwischen Vorteil und Amtsgeschäft erstmals in Einklang mit der deutschen Rspr. und Lehre (vgl. BGH 14.2.2007, 5 StR 323/06; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg], StGB I4, § 331 Rz. 82 f. m.w.N.) als Unrechtsvereinbarung.
Die mehrfache Verwirklichung derselben Tatbegehungsvariante oder mehrerer alternativer Tatbegehungsvarianten hinsichtlich ein und desselben Vorteils ist als tatbestandliche Handlungseinheit zu beurteilen (vgl. RIS-Justiz RS0122006).
Bei der Strafbemessung kommt dem Amtsträger nicht zugute, dass er trotz seines ,,Forderns“ (§ 304 Abs. 1 erster Fall StGB) oder des ,,Sich-Versprechen-Lassens“ (§ 304 Abs. 1 dritter Fall StGB) aus der Tat keinen Vorteil erlangt hat. Vielmehr wäre die (zusätzliche) Verwirklichung der alternativen Tatbegehungsvariante des ,,Annehmens“ (§ 304 Abs. 1 zweiter Fall StGB) gegebenenfalls als erschwerend zu werten (vgl. RIS-Justiz RS0118774, RS0126145).
Ratz in EvBl-LS 2015/15:
„Bilden in verschiedenen Staaten gesetzte Ausführungshandlungen eine tatbestandliche Handlungseinheit, genügt es, wenn die Tat nur nach einem der in Betracht kommenden Tatortgesetze mit Strafe bedroht ist, weil § 65 Abs 1 StGB ansonsten den paradoxen Fall von Straflosigkeit trotz Vorliegens beiderseitiger Strafbarkeit regeln würde. Die dem Gesetz somit zugrunde liegende Bevorzugung strengeren Rechts schlägt auch auf die Günstigkeitsklausel nach § 65 Abs 2 StGB durch. Demnach darf der Täter bei der Bestimmung der Strafe (nur) nicht ungünstiger gestellt werden als nach dem strengeren (im Verhältnis zu österreichischem Recht dennoch günstigeren) Tatortrecht.“
5. Korruption: verbotene Intervention (§§ 304 ff., 308 StGB)
OGH 11.8.2014, 17 Os 13/14m – Benko
Bei der Ausübung von Ermessen liegt Pflichtwidrigkeit vor, wenn die Dienstverrichtung auf unsachlichen Beweggründen des Amtsträgers beruht (vgl. RIS-Justiz RS0096099; RS0096116; RS0109171; zuletzt 17 Os 30/14m).
Hier: Geplante Einflussnahme auf italienische Steuerbeamte, auf dass diese ihr Amt parteilich ausüben mögen, um den beschleunigten und positiven Abschluss eines Steuerverfahrens zu bewirken.
Die Angeklagten waren des Verbrechens der verbotenen Intervention nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 308 (erster und dritter Satz) StGB i.d.F. BGBl I 2009/98 StGB schuldig erkannt worden, weil
“(A) DVw Michael P***** am25. November 2009 den Dr. Ivo S***** zur Ausführung der dadurch begangenen strafbaren Handlung, dass jener wissentlich unmittelbar oder mittelbar darauf Einfluss zu nehmen versuchte, dass ein Amtsträger, nämlich ein zur Entscheidung über die Berufung gegen einen die Si***** s.r.l. & C. betreffenden Bescheid der mailändischen Steuerbehörde zuständiger italienischer Beamter, eine in seinen Aufgabenbereich fallende Dienstverrichtung pflichtwidrig vornehme, nämlich das Rechtsmittelverfahren bevorzugend rasch behandle und eine parteiliche Entscheidung zu Gunsten der Si***** s.r.l & C. treffe, und für diese Einflussnahme für sich einen Vorteil sich versprechen ließ, wobei er die Tat in Bezug auf einen 50.000 Euro übersteigenden Wert des Vorteils zu begehen suchte, bestimmt, indem er ihn um die beschriebene Intervention ersuchte und ihm in einer schriftlichen Vereinbarung für den Fall des Gelingens, ‚dieses Steuerverfahren zu beschleunigen und zu einem positiven Ende zu bringen‘, einen Geldbetrag in Höhe von 150.000 Euro versprach;
(B) René B***** „Mitte November 2009 den DVw Michael P***** zur Ausführung der unter Punkt A geschilderten strafbaren Handlung bestimmt, indem er ihn im Wissen um die Pflichtwidrigkeit des begehrten Verhaltens des italienischen Amtsträgers um den Abschluss der Vereinbarung mit Dr. Ivo S***** ersuchte und ihm den Ersatz des an Letztgenannten zu zahlenden Erfolgshonorars zusicherte.“
Mit Urteil vom 13. August 2013, AZ 19 Bs 37/13z (ON 38 der Hv-Akten) gab das Oberlandesgericht Wien den Berufungen der Angeklagten DVw Michael P***** und René B***** nicht Folge.
Nach den maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichts (US 5 ff) behing gegen die Si***** s.r.l. & C. (im Folgenden: Si*****) ein Steuerverfahren in Italien. Der Geschäftsführer der Holdinggesellschaft, René B*****, beauftragte DVw Michael P***** damit, auf eine raschere und positive Abwicklung dieses Verfahrens hinzuwirken, und stellte dafür einen Betrag von 150.000 Euro zur Verfügung. Dabei wurde vereinbart, die Dienste des damaligen kroatischen Ministerpräsidenten Dr. Ivo S*****, den DVw Michael P***** persönlich kannte, in Anspruch zu nehmen. Beabsichtigt war eine Intervention über Dris. S***** damaligen italienischen Amtskollegen Silvio Be*****.
René B***** „handelte dabei in dem Wissen und mit der Absicht, dass Dr. Ivo S***** auf einen raschen und positiven Ausgang des Steuerverfahrens in Italien mittelbar oder unmittelbar Einfluss nehmen werde, wobei beide Angeklagten wussten, dass Dr. Ivo S***** seinerseits vor italienischen Steuerbehörden weder als rechtmäßiger Vertreter der Firmengruppe Si***** auftreten konnte oder auch nur sollte. Beiden Angeklagten war darüber hinaus bewusst, dass eine – außerhalb des laufenden Rechtsmittelverfahrens – intendierte ‚Beschleunigung‘ des Steuerverfahrens und die Erfolgsprämie für dessen ‚positiven Abschluss‘ die Bestimmung von italienischen Beamten zur Vornahme pflichtwidriger Amtsgeschäfte geradezu voraussetzt, was auch ihrer später schriftlich geschlossenen Vereinbarung mit dem damaligen kroatischen Ministerpräsidenten zu Grunde lag.“
Am 25. November 2009 schlossen DVw Michael P***** und Dr. Ivo S***** eine schriftliche Vereinbarung mit folgendem wesentlichen Inhalt:
„Herr Dvw P***** wurde von der Fa. Si***** beauftragt, ein Steuerproblem in einer Projektgesellschaft in Italien zu lösen. Die genannte Projektgesellschaft hat in Italien ein Steuerproblem, das sich im Rechtsmittelverfahren befindet. (….)
Obwohl ein Rechtsmittel läuft, das eher zu Gunsten der Projektgesellschaft ausfallen wird, hat die Firma Si***** großes Interesse daran, dass dieses schwebende Steuerverfahren so schnell wie möglich zu einem positiven Abschluss gebracht wird.
Sollte es Herrn Dr. S***** gelingen, dieses Steuerverfahren zu beschleunigen und zu einem positiven Ende zu bringen, verpflichtet sich Herr Dvw P***** an Herrn Dr. S***** einen Betrag von Euro 150.000 (einhundertfünfzigtausend) zu bezahlen. Dieser Betrag ist spätestens 30 Tage nach Abschluss des Verfahrens zur Zahlung fällig.“
Im Rahmen der Beweiswürdigung ging das Erstgericht davon aus, dass „auf höchster politischer Ebene eine Einflussnahme auf die zuständigen italienischen Steuerbeamten geplant war, auf dass diese ihr Amt parteilich ausüben“ (US 11).
In ihrer gegen das Erst- und das Berufungsurteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes bringt die Generalprokuratur Folgendes vor:
„Vorauszuschicken ist, dass sowohl die Urteilstaten (25. November 2009 bzw Mitte November 2009) als auch das Ersturteil (2. November 2012) nach Inkrafttreten (1. September 2009) des KorrStrÄG 2009, BGBl I 2009/98, aber vor Geltungsbeginn (1. Jänner 2013) des KorrStrÄG 2012, BGBl I 2012/61, erfolgten, sodass vorliegend sowohl Erstgericht als auch Berufungsgericht (vgl Fabrizy, StGB11 § 61 Rz 4) zutreffend von der mit BGBl I 2009/98 eingeführten Fassung des § 308 StGB (im Folgenden: § 308 StGB aF) ausgingen.
§ 308 StGB aF stellt ein zweiaktiges Delikt dar. In einem Akt fordert der Täter für eine Intervention einen Vorteil, nimmt einen solchen an oder lässt ihn sich versprechen. Im anderen Akt macht er seinen Einfluss geltend, damit – soweit hier von Interesse – ein Amtsträger eine in seinen Aufgabenbereich fallende Dienstverrichtung pflichtwidrig vornehme oder unterlasse. Das zeitliche Verhältnis dieser Akte zueinander ist unerheblich. Die pflichtwidrige Dienstverrichtung, die der Amtsträger vornehmen soll, ist ein pflichtwidriges Amtsgeschäft (vgl Bertel in WK2 StGB § 308 Rz 1, 3).
Nach § 308 StGB aF ist somit nur eine solche Einflussnahme tatbildlich, die darauf abzielt, dass der Amtsträger das Amtsgeschäft pflichtwidrig vornimmt oder unterlässt.
Pflichtwidrig verhält sich ein Amtsträger immer dann, wenn er bei Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäfteskonkreten Amts- oder Dienstpflichten zuwider handelt (Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch6 §§ 304 bis 306 StGB Rz 34; Fabrizy, StGB11 § 304 Rz 7; Zagler, SbgK § 304 Rz 20).
Im Ermessensbereich liegt Pflichtwidrigkeit in der Ermessensausübung nach unsachlichen Beweggründen, also etwa, wenn der Beamte einen ihm gewährten Vorteil einen Einfluss auf seine Entscheidung einräumt. Im Übrigen ist jede Parteilichkeit pflichtwidrig.
Eine raschere Abwicklung eines Verfahrens kann daher parteilich und somit pflichtwidrig sein, wenn damit eine Bevorzugung gegenüber anderen Parteien einhergeht (Fabrizy, StGB11 § 304 Rz 7; Bertel in WK² StGB § 304 Rz 15; Zagler, SbgK § 304 Rz 20; RIS-Justiz RS0096116, RS0109171).
Das Amtsgeschäft, auf welches Einfluss genommen wird oder – wie hier – Einfluss genommen werden soll, muss schließlich bestimmt oder wenigstens bestimmbar sein (vgl RIS-Justiz RS0096152 [T1]).
Die in Aussicht genommene Intervention war im vorliegenden Fall auf die „Beschleunigung“ und den „positiven Abschluss“ eines konkret beschriebenen Steuerverfahrens durch die dafür zuständige mailändische Steuerbehörde, also auf ein jedenfalls bestimmbares Amtsgeschäft gerichtet.
Nach Ansicht des Erstgerichts setzte die intendierte rasche und positive Erledigung des italienischen Strafverfahrens die Vornahme pflichtwidriger Amtsgeschäfte „geradezu voraus“ (US 6 erster Absatz).
Die in der rechtlichen Beurteilung getroffene Aussage, die intendierte Abwicklung des Amtsgeschäfts sei eine „bevorzugtere, weil“ sie rascher erfolgen sollte (US 12 letzter Absatz erster Satz), und damit parteilich, verkennt, dass in der bloßen Verfahrensbeschleunigung allein noch keine unsachliche Bevorzugung erblickt werden kann. Eine Feststellung, worin im konkreten Fall – über die ohnehin gebotene rasche Erledigung von Amtsgeschäften hinaus – eine Bevorzugung der Firma Si***** eintreten sollte, wurde nicht getroffen.
Soweit das Erstgericht unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zum KorrStrÄG 2009 (BlgNR 671/A 24. GP 13) – grundsätzlich zutreffend – damit argumentiert (US 12 letzter Absatz zweiter Satz), dass auch eine durch unrechtmäßigen Vorteil motivierte raschere Ausführung einer Amtshandlung deren Pflichtwidrigkeit begründe, und darauf hinweist, dass gerade eine solche Verfahrensbeschleunigung von den Angeklagten intendiert war, übersieht es, dass eine Feststellung, welcher Vorteil für den zuständigen Sachbearbeiter der Mailänder Steuerbehörde zur Erwirkung einer Verfahrensbeschleunigung vorgesehen war, den Urteilsgründen nicht zu entnehmen ist. Denn der in der schriftlichen Vereinbarung zugesagte Geldbetrag von 150.000 Euro war nur als Erfolgshonorar für Dr. S***** vorgesehen.
Auch die apodiktische, empirisch i[n]m Übrigen nicht nachvollziehbare Urteilsannahme beider Gerichte, die positive Erledigung des Rechtsmittels durch die hiefür zuständige Behörde setze zwingend ein pflichtwidriges Amtsgeschäft voraus, lässt jeglichen Sachverhaltsbezug vermissen. Denn es wurde eine Konstatierung, welchen konkreten Amts- oder Dienstpflichten die italienischen Amtsträger hätten zuwider handeln sollen, welche konkrete Pflichtwidrigkeit von den Angeklagten also intendiert war, nicht getroffen. In der Vereinbarung vom 25. No[v]ember 2009, die einen Teil der Feststellungen bildet (US 6 f), haben die beiden Angeklagten vielmehr die Ansicht vertreten, dass das laufende Rechtsmittelverfahren ohnehin zu Gunsten der Projektgesellschaft ausfallen werde.
Da das auf die Dienstverrichtung bezogene Tatbestandsmerkmal „pflichtwidrig“ von den befassten Gerichten in Wahrheit bloß zirkulär verwendet wurde (US 6 erster Absatz, 12 letzter Absatz; BUS 9 erster Absatz sinngemäß: „Die Amtshandlung ist pflichtwidrig, weil sie nur pflichtwidrig sein kann“), liegt auch diesbezüglich gar keine Feststellung, sondern ein Rechtsfehler infolge fehlender Feststellungen vor (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 8; RIS Justiz RS0119090).“
Der OGH hat erwogen:
„Bei Ausübung von Ermessen liegt Pflichtwidrigkeit (hier:) im Sinn des § 308 StGB idF KorrStrÄG 2009, BGBl I 2009/98 (zum einheitlichen Begriff der Pflichtwidrigkeit bei sämtlichen Tatbeständen des 22. Abschnitts des StGB idF KorrStrÄG 2009 vgl EB 24. GP 671/A, 17), vor, wenn die Dienstverrichtung auf unsachlichen Beweggründen des Amtsträgers beruht (Fabrizy, StGB11 § 304 Rz 7). Dazu zählt auch die bevorzugend rasche, maW die Interessen anderer Parteien beeinträchtigende, Abwicklung eines solchen Geschäfts (vgl SSt 56/19; RIS-Justiz RS0096116, RS0096099, RS0109171; Fabrizy, StGB11 § 304 Rz 7; Bertel in WK2 StGB § 304 Rz 15; Zagler SbgK § 304 Rz 20; MüKoStGB2/Korte § 332 Rz 28 mwN aus der deutschen Rsp).
Zwar ist der Generalprokuratur beizupflichten, dass allein mit dem konstatierten „rascheren und positiven“ Verfahrensabschluss (Ersturteil US 5, 10) pflichtwidriges Verhalten des Amtsträgers noch nicht angesprochen wird. Die Beschwerdeführerin lässt aber die weiteren (im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen) Urteilsannahmen des Erstgerichts außer Betracht, wonach „eine Einflussnahme auf die zuständigen italienischen Steuerbeamten geplant war, auf dass diese ihr Amt parteilich ausüben“ (US 11). Solcherart hat die Einzelrichterin – hinreichend deutlich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) – zum Ausdruck gebracht, dass die Einflussnahme auf eine im dargelegten Sinn unsachliche Ermessensübung abzielen sollte. Dieser Befund wird im Übrigen durch das – zur Verdeutlichung der Entscheidungsgründe heranziehbare (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 271; RIS-Justiz RS0116587) – Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) erhärtet, wonach sich die geplante Intervention auf eine „bevorzugend rasche“ Behandlung des Rechtsmittelverfahrens und eine „parteiliche Entscheidung“ zugunsten der Si***** richtete (Ersturteil US 3).“
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Generalprokuratur wurde verworfen.
6. Grundrechtsgehalt des Doppelbestrafungsverbots (§ 363a StPO; Art. 54 SDU; Art. 50 EGC; § 2 ARHG)
OGH 28. 1. 2014, 14 Os 133/ 13k
Siehe auch Zeder, Sanktionen des EU-Beihilfenrechts, Steuerzuschläge: ne bis in idem zu Betrug? ÖJZ 2014, 494 (zu EuGH 26.2.2013, C-617/10, Äkerberg Fransson; 5.6.2012, C-489/10, Bonda).
Der durch Art. 54 SDÜ gewährte Schutz vor Doppelverfolgung ist als Grundrecht einzustufen und kann Voraussetzung für einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens unter analoger Anwendung von § 363a StPO sein. Das in Art. 54 SDÜ normierte Doppelverfolgungsverbot kann der Entsprechung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens entgegenstehen (RIS-Justiz RS0129032).
7. Verwendung personenbezogener Daten und Datenschutz (§ 140 Abs. 3 StPO)
VfGH 1.10.2013, G 2/2013
Der VfGH hat § 140 Abs. 3 StPO über die Verwendung von im Strafverfahren ermittelten personenbezogenen Daten als Beweismittel in anderen gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Datenschutz als verfassungswidrig aufgehoben.
[1] Der Straftatbestand „Betrügerische Krida“ im österreichischen Strafgesetzbuch entspricht in etwa dem deutschen Bankrott (Vorsatzstraftat); der vormals bestehende Tatbestand der „fahrlässigen Krida“ wurde durch den Tatbestand der „grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen“ ersetzt.