Daniel Wölky

Goya Tyszkiewicz: Tatprovokation als Ermittlungsmaßnahme

Strafrechtliche Abhandlungen – Neue Folge, Band 250, Duncker & Humbolt, Berlin 2014, 258 Seiten, 69,90 €

Tyszkiewicz setzt sich in ihrer von Prof. Dr. Saliger an der Bucerius Law School betreuten Dissertation mit den Problemen der Beweiserhebung und -verwertung beim Einsatz polizeilicher Lockspitzel im Strafprozess auseinander

I. Obwohl für den Einsatz eines Lockspitzels keine explizite Gesetzesgrundlage besteht, gehen Rechtsprechung und Literatur von der grundsätzlichen Zulässigkeit eines solchen Einsatzes aus. Die Begründungsansätze sind dabei zuweilen unterschiedlich und die Grenzen des zulässigen (tatprovozierenden) Handelns nicht klar umrissen. Selbst wenn festgestellt wird, dass der Lockspitzeleinsatz das zulässige Maß überschritten hat, findet der Verstoß nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich lediglich im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung. Abgesehen davon, dass der EGMR weniger strengere Maßstäbe an eine unzulässige Tatprovokation anlegt als der BGH, nimmt er bei einem solchen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK zumindest ein Verwertungsverbot der durch den unzulässigen Lockspitzeleinsatz erlangten Beweise an.

Tyszkiewicz befasst sich u.a. damit, ob sich „angesichts der bestehenden Divergenzen die Frage auf[drängt], ob die Rechtsprechung des BGH zu den Folgen unzulässiger Tatprovokation völkerrechts- und menschenrechtswidrig sein könnte“ (S. 22).

II. 1. Nach einer kurzen Einleitung, in der die Verf. einen Überblick über die Probleme des Einsatzes von Lockspitzeln gibt (S. 19 – 22), beschreibt sie den Schwerpunkt ihrer Arbeit, der sich gleichsam in ihrem Aufbau widerspiegelt (S. 22 – 24), um vor dem eigentlichen Einstieg Grundbegriffe im Zusammenhang mit der Tatprovokation – wie Verdeckter Ermittler, nicht offen ermittelnder Polizeibeamter, Vertrauensperson, Lockspitzeleinsatz und den Begriff der Tatprovokation selbst – zu klären (S. 24 – 38). Hervorzuheben ist dabei die Untersuchung des Begriffs der Tatprovokation (S. 30 – 38), die sich mit den unterschiedlichen Definitionen von BGH und EGMR auseinanderzusetzen hat. Die Verf. folgt dabei letztlich der Bestimmung des EGMR, der unter Tatprovokation jede Form staatlich zurechenbarer Deliktsveranlassung versteht, ohne dass die Erheblichkeit der Einwirkung auf den Täter für die Einordnung konstitutiv[1] ist. Dabei stellt sie die Überlegung an, dass die Intensität zur Unterscheidung von zulässigem und unzulässigem Verhalten herangezogen werden könne. Als mögliche Fallgruppen der Tatprovokation unterscheidet sie den einfachen Scheinkauf, die Anreiz-Situation und die Druck-Situation.

2. Im zweiten Kapitel setzt sich die Autorin mit der Zulässigkeit von Lockspitzeleinsätzen auseinander (S. 39 – 101).

Angesichts der Tatsache, dass eine Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz von Lockspitzeln nicht besteht, wird untersucht, ob mit ihm ein Grundrechtseingriff einhergeht, welcher einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Da die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG uneinschränkbar garantiert wird, wäre ein Lockspitzeleinsatz immer rechtswidrig, wenn er per se zu ihrer Verletzung führen würde. Die Frage einer Ermächtigungsgrundlage würde sich dann nicht stellen, weshalb Tyszkiewicz mit dieser Thematik beginnt (S. 41 – 52). Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass es auf die konkrete Ausgestaltung des Einsatzes ankomme, so dass nicht zwangsläufig von einem Verstoß gegen die Menschenwürde auszugehen sei.

Sodann behandelt sie die Notwendigkeit einer expliziten Ermächtigungsgrundlage (S. 52 – 74). Der Lockspitzeleinsatz greife wegen seines Überwachungscharakters in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG ein. Durch die Eingriffsintensität und die Heimlichkeit der gegen eine bestimmte Person gerichteten Maßnahme werde der Eingriff nur noch vertieft. Das führe zu einer Steigerung des Rechtfertigungsbedarfs (S. 52 – 62). Da die Besonderheit des Lockspitzeleinsatzes zudem regelmäßig in der Herbeiführung einer Straftat zum Zwecke ihrer Verfolgung und Aburteilung liege, sei auch der soziale Geltungsanspruch als weitere Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts verletzt. Der Staat bringe durch die Einwirkung auf die Zielperson seinen „fehlenden Respekt vor der Rechtstreue des Bürgers zum Ausdruck“ (S. 69), wobei die Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs wegen seiner Nähe zur Menschenwürde als schwerer Eingriff einzuordnen sei (S. 62 – 70). Bereits wegen dieser Grundrechtseingriffe sei eine Ermächtigungsgrundlage unverzichtbar. Sie sei aber auch durch Art. 6 EMRK, insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK, geboten (S. 70 – 73).

In einem weiteren Schritt schließt Tyszkiewicz zutreffend aus, dass die teilweise herangezogenen §§ 161 Abs. 1 S. 1, 163 Abs. 1 S. 2 StPO als Ermächtigungsgrundlage taugen können (S. 73 – 98). Bereits der Umstand, dass ein Lockspitzeleinsatz regelmäßig nicht der Verfolgung einer bereits begangenen Tat dient und somit keinen repressiven Zweck verfolge, spreche dagegen. „Darüber hinaus“ – so die Verf. –  „sind die Normen zu unbestimmt, um als spezialgesetzliche Eingriffsgrundlagen fungieren zu können.“ (S. 97) Insbesondere der erhebliche Eingriff in das Recht auf den sozialen Geltungsanspruch verbiete einen Rückgriff auf Generalklauseln. Auch eine analoge Anwendung der §§ 110a ff. StPO sei mangels der Analogievoraussetzungen (planwidrige Reglungslücke etc.) nicht möglich. Überdies verbiete sich eine Analogie, soweit mit ihr ein Grundrechtseingriff legitimiert werden soll (S. 98 – 100).

Die Verf. zieht das Fazit, dass Lockspitzeleinsätze – also alle staatlichen Deliktsveranlassungen – mangels Ermächtigungsgrundlage de lege lata rechtswidrig sind. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.

3. Als Schwerpunkt befasst sich die Dissertation im dritten Kapitel damit, wie eine rechtmäßige und verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage für Lockspitzeleinsätze de lege ferenda aussehen könnte.

In diesem Zusammenhang werden die unterschiedlichen Maßstäbe von BGH und EGMR sowie die Frage der Bindungswirkung der Rechtsprechung des EGMR untersucht (S. 102 – 142).

Die Verf. stellt fest, dass die EMRK in Deutschland unmittelbar geltendes Recht sei und darüber hinaus bewirke, dass deutsche Gesetze konventionsfreundlich auszulegen seien. Eine Bindungswirkung würden Urteile des EGMR dagegen nur hinsichtlich des jeweiligen Streitgegenstands entfalten. Eine absolute Bindung bestehe nicht. Den Urteilen des EGMR – so das BVerfG[2] – komme für die Auslegung der EMRK eine faktische Leitfunktion zu. Danach seien die vom individuellen Fall lösbaren Kriterien als Auslegungsgrundlage verbindlich heranzuziehen.

Nach der Rechtsprechung des EGMR sei ein Lockspitzeleinsatz zulässig, wenn der Lockspitzel das Tatgeschehen nicht wesentlich mitgestalte und die Zielperson tatgeneigt gewesen sei, was sich aus objektiven Umständen ergeben müsse. Unzulässig werde er, wenn der Ermittler die Tat initiiere (Einwirken zur Begehung einer Tat, die sonst nicht begangen worden wäre), um sie später zu verfolgen. Das grds. Initiierungsverbot bestehe dabei unabhängig von der Intensität der Einwirkung. Sie sei nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Zweck darin bestehe, einen bereits bestehenden Tatverdacht zu erhärten (S. 102 – 122).

Die deutsche Rechtsprechung halte den Einsatz eines Lockspitzels für grundsätzlich zulässig. Lediglich Extremfälle würden als unzulässig eingestuft. Eine Tatprovokation bestehe überhaupt nur bei einer erheblichen Einwirkung auf die Zielperson, wobei sie umso intensiver sein dürfe, je stärker der Tatverdacht sei. Der Tatverdacht müsse sich dabei nicht auf eine begangene Straftat richten, es reiche eine zukünftige aus, die zudem nicht unbedingt objektivierbar sein müsse. Unzulässig werde der Lockspitzeleinsatz erst dann, wenn die Einwirkung dazu führe, dass der eigene Beitrag der Zielperson in den Hintergrund trete (S. 122 – 128).

Tyszkiewicz weist nach, dass der sich aus Art. 6 EMRK ergebende fair-trial-Grundsatz zur Unzulässigkeit jeder Tatprovokation mit dem Ziel der anschließenden Tatverfolgung führt. Nichts anderes ergibt sich aus dem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren gem. Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG[3]. Folgerichtig hält die Autorin bei der Behandlung der Frage, ob der Staat überhaupt Urheber von Straftaten – nichts anderes ist er insofern – sein dürfe, (Rechtsstaatsprinzip) fest: „Dem Staat ist es grundsätzlich verwehrt, Kriminalität ins Leben zu rufen, um diese zu verfolgen.“ (S. 139) Sie kommt zu dem Schluss, dass eine Tatprovokation mit dem Ziel ihrer späteren Verfolgung in keinem Fall auf eine Ermächtigungsgrundlage gestützt werden könne, da dieses konventions- und verfassungswidrig wäre (S. 128 – 142).

Im zweiten Drittel des Kapitels, dem eigentlichen Kern der Arbeit, beschäftigt sich die Verf. mit der Tatprovokation zum Zwecke der Beweisgewinnung vergangener Straftaten (S. 142 – 192). Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EGMR zum Fall Eurofinacom[4] nimmt Tyszkiewicz an, dass eine Tatprovokation zur Erlangung von Beweismitteln bzgl. zurückliegender Taten praktikabel sei (S. 142 – 146). Diese Konstellation verstoße auch nicht gegen den nemo-tenetur-Grundsatz, sofern es sich um sog. Scheinkäufe handele. Bereits die Anreiz-Situation berge aber Probleme, wenn durch sie ein Tatunwille in das Gegenteil verkehrt werde. Alle anderen Konstellationen seien mit der Selbstbelastungsfreiheit unvereinbar. Anzumerken ist, dass Tyszkiewicz dabei eine aufwändige und doch gut nachvollziehbare Analyse der Selbstbelastungsfreiheit in der deutschen Rechtsprechung und der des EGMR durchführt (S. 146 – 188). Wenn der Lockspitzeleinsatz der Verfolgung vergangener Taten diene, liege in ihr kein grundsätzlicher Verstoß gegen das faire Verfahren, abhängig von der konkreten Art und Weise der Einwirkung. Auch bestehe kein genereller Verstoß gegen andere Aspekte des Rechtsstaatsprinzips. Es sei aber zu beachten, dass eine Provokation von Taten, die sich gegen Individualrechtsgüter richteten, unverhältnismäßig und nicht zu rechtfertigen sei. (S. 188 – 192)

Der letzte Teil skizziert, wie eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für den vorgenannten repressiven Lockspitzeleinsatz ausgestaltet sein müsste (192 – 209). Die Verf. weist bei ihren Überlegungen zur notwendigen Tatverdachtsstufe einen Zukunftsverdacht, wie er vom BGH teilweise als ausreichend erachtet wird, zurück. Sie brandmarkt ihn als „mit dem Tatstrafrecht und einem rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahren nicht vereinbar und folglich nicht als strafprozessuale Eingriffsvoraussetzung normierbar“ (S. 199). Allerdings beschränkt sie sich selbst auf einen einfachen Tatverdacht, weil kein tiefgreifender Eingriff in die Rechte der Zielperson vorliege. Die Zulässigkeit knüpft sie an einen Straftatenkatalog ähnlich des § 110a StPO unter Ausschluss der gegen Individualrechtsgüter gerichteten Delikte und beschränkt auf solche aus dem Bereich der besonders schweren Kriminalität. Tyszkiewicz plädiert zudem für eine Subsidiaritätsklausel ähnlich des § 110a Abs. 1 S. 3 StPO und einen Zustimmungsvorbehalt der Staatsanwaltschaft – beides Eingrenzungsversuche, die dem Praktiker als stumpfe Schwerter erscheinen müssen. Nur wenn im Rahmen des Einsatzes auch eine nicht allgemein zugängliche Wohnung betreten werden soll, sei ihrer Ansicht nach grundsätzlich eine richterliche Anordnung notwendig.

Das Kapitel endet mit einem eigenen Gesetzesvorschlag (S. 209 – 210).

4. Die prozessualen Rechtsfolgen rechtswidriger Tatprovokationen werden im letzten Kapitel untersucht (S. 211 – 232).

Die Verf. stellt zunächst die sog. Strafzumessungslösung des BGH dar. Tyszkiewicz kommt zu der Einschätzung, dass diese „Verurteilung auf der Grundlage eines illegitimen Verfahrens“ (S. 220) auch völkerrechtswidrig sei. Auch eine etwaige Vollstreckungslösung unterscheide sich davon im Grundsatz nicht, obwohl sie die Vermischung materieller Strafzumessungserwägungen mit Verfahrensverletzungen vermeide. Mit der Rechtsprechung des EGMR plädiert sie für die Annahme von Verwertungsverboten für aus dem rechtswidrigen Einsatz erlangte Erkenntnisse, da dieses völkerrechtskonform wäre. Zudem weist sie zu Recht darauf hin, dass sich der BGH, der dieses ablehnt, von unzulässigen Zweckmäßigkeitserwägungen – nämlich der „Angst vor der Straffreiheit“ des für schuldig erachteten „Täters“ – leiten lässt. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass die Annahme eines Verwertungsverbotes bei einem rechtsstaatswidrigen Verfahren die Konsequenz sein muss (S. 215 – 225).

Anschließend wird auf die Problematik der Rechtsfolgen bei dem Lockspitzeleinsatz mit dem Ziel der Verfolgung einer bereits begangenen Tat eingegangen. Die Verf. stellt dabei letztlich fest, dass die fehlende Ermächtigungsgrundlage zu einem Beweisverwertungsverbot führen müsse. Dieses müsse auch bei einer zu intensiven Einwirkung auf die Zielperson, worin letztlich ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit liege, gelten. Behandelt werden zudem die Fälle der fehlenden Anordnung und des fehlenden Tatverdachts bzw. des fehlenden Verdachts auf eine Katalogtat (S. 225 – 232).

III.Tyszkiewicz legt insgesamt eine gut lesbare Dissertation vor, die sämtliche Facetten der Probleme der Tatprovokation darstellt. Erfreulich ist, dass sie klare Worte zur deutschen Rechtspraxis findet, die sich über das Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage hinwegsetzt, den Begriff der Tatprovokation ausgesprochen restriktiv auslegt und mit der Strafzumessungslösung ein rechtswidriges Verurteilungsfundament legitimiert. Eine Rechtspraxis, die mit der Autorin schlicht völkerrechtswidrig ist. Die von Tyszkiewicz formulierte Absage an diese Praxis, wird aktuell durch die Entscheidung des EGMR, Furcht vs. Germany, Urt. v. 23.10.2014 – 54648/09 gestützt, die von einem umfassenden Verwertungsverbot ausgeht. Angesichts der Entscheidung des BVerfG vom 18.12.2014 – 2 BvR 209/14, die das vorgenannte Urteil des EGMR berücksichtigt, ist zur Zeit wohl nicht von einer Kurskorrektur der auszugehen. Das BVerfG setzt sich in seinem Verwerfungsbeschluss mit der entgegenstehenden Rechtsprechung des EGMR dezidiert auseinander, wobei es sogar einen Extremfall der unzulässigen Tatprovokation für gegeben hält. Es nimmt jedoch an, dass der EGMR „einen anderen dogmatischen Ansatz“ verfolge, der „die Frage der Zulässigkeit der Verfahrensdurchführung an sich und der Beweisverwertung in den Mittelpunkt“ stelle. Eine Verurteilung bleibe aber möglich, wenn eine ausreichende Kompensation erfolge.

Der Praktiker findet in der vorgelegten Arbeit nicht nur eine Fundgrube für die Verteidigung, sie bietet auch einen guten Überblick über die bestehenden Probleme und ihre unterschiedliche Behandlung durch deutsche Gerichte und den EGMR.

Für die Praxis ist die Dissertation zu empfehlen, da die kompakte Zusammenführung der unterschiedlichen Probleme und Positionen ihresgleichen sucht.

 

Strafrechtliche Abhandlungen – Neue Folge, Band 250, Duncker & Humbolt, Berlin 2014, 258 Seiten, 69,90 €

Tyszkiewicz setzt sich in ihrer von Prof. Dr. Saliger an der Bucerius Law School betreuten Dissertation mit den Problemen der Beweiserhebung und -verwertung beim Einsatz polizeilicher Lockspitzel im Strafprozess auseinander

I. Obwohl für den Einsatz eines Lockspitzels keine explizite Gesetzesgrundlage besteht, gehen Rechtsprechung und Literatur von der grundsätzlichen Zulässigkeit eines solchen Einsatzes aus. Die Begründungsansätze sind dabei zuweilen unterschiedlich und die Grenzen des zulässigen (tatprovozierenden) Handelns nicht klar umrissen. Selbst wenn festgestellt wird, dass der Lockspitzeleinsatz das zulässige Maß überschritten hat, findet der Verstoß nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich lediglich im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung. Abgesehen davon, dass der EGMR weniger strengere Maßstäbe an eine unzulässige Tatprovokation anlegt als der BGH, nimmt er bei einem solchen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK zumindest ein Verwertungsverbot der durch den unzulässigen Lockspitzeleinsatz erlangten Beweise an.

Tyszkiewicz befasst sich u.a. damit, ob sich „angesichts der bestehenden Divergenzen die Frage auf[drängt], ob die Rechtsprechung des BGH zu den Folgen unzulässiger Tatprovokation völkerrechts- und menschenrechtswidrig sein könnte“ (S. 22).

II. 1. Nach einer kurzen Einleitung, in der die Verf. einen Überblick über die Probleme des Einsatzes von Lockspitzeln gibt (S. 19 – 22), beschreibt sie den Schwerpunkt ihrer Arbeit, der sich gleichsam in ihrem Aufbau widerspiegelt (S. 22 – 24), um vor dem eigentlichen Einstieg Grundbegriffe im Zusammenhang mit der Tatprovokation – wie Verdeckter Ermittler, nicht offen ermittelnder Polizeibeamter, Vertrauensperson, Lockspitzeleinsatz und den Begriff der Tatprovokation selbst – zu klären (S. 24 – 38). Hervorzuheben ist dabei die Untersuchung des Begriffs der Tatprovokation (S. 30 – 38), die sich mit den unterschiedlichen Definitionen von BGH und EGMR auseinanderzusetzen hat. Die Verf. folgt dabei letztlich der Bestimmung des EGMR, der unter Tatprovokation jede Form staatlich zurechenbarer Deliktsveranlassung versteht, ohne dass die Erheblichkeit der Einwirkung auf den Täter für die Einordnung konstitutiv[1] ist. Dabei stellt sie die Überlegung an, dass die Intensität zur Unterscheidung von zulässigem und unzulässigem Verhalten herangezogen werden könne. Als mögliche Fallgruppen der Tatprovokation unterscheidet sie den einfachen Scheinkauf, die Anreiz-Situation und die Druck-Situation.

2. Im zweiten Kapitel setzt sich die Autorin mit der Zulässigkeit von Lockspitzeleinsätzen auseinander (S. 39 – 101).

Angesichts der Tatsache, dass eine Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz von Lockspitzeln nicht besteht, wird untersucht, ob mit ihm ein Grundrechtseingriff einhergeht, welcher einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Da die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG uneinschränkbar garantiert wird, wäre ein Lockspitzeleinsatz immer rechtswidrig, wenn er per se zu ihrer Verletzung führen würde. Die Frage einer Ermächtigungsgrundlage würde sich dann nicht stellen, weshalb Tyszkiewicz mit dieser Thematik beginnt (S. 41 – 52). Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass es auf die konkrete Ausgestaltung des Einsatzes ankomme, so dass nicht zwangsläufig von einem Verstoß gegen die Menschenwürde auszugehen sei.

Sodann behandelt sie die Notwendigkeit einer expliziten Ermächtigungsgrundlage (S. 52 – 74). Der Lockspitzeleinsatz greife wegen seines Überwachungscharakters in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG ein. Durch die Eingriffsintensität und die Heimlichkeit der gegen eine bestimmte Person gerichteten Maßnahme werde der Eingriff nur noch vertieft. Das führe zu einer Steigerung des Rechtfertigungsbedarfs (S. 52 – 62). Da die Besonderheit des Lockspitzeleinsatzes zudem regelmäßig in der Herbeiführung einer Straftat zum Zwecke ihrer Verfolgung und Aburteilung liege, sei auch der soziale Geltungsanspruch als weitere Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts verletzt. Der Staat bringe durch die Einwirkung auf die Zielperson seinen „fehlenden Respekt vor der Rechtstreue des Bürgers zum Ausdruck“ (S. 69), wobei die Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs wegen seiner Nähe zur Menschenwürde als schwerer Eingriff einzuordnen sei (S. 62 – 70). Bereits wegen dieser Grundrechtseingriffe sei eine Ermächtigungsgrundlage unverzichtbar. Sie sei aber auch durch Art. 6 EMRK, insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK, geboten (S. 70 – 73).

In einem weiteren Schritt schließt Tyszkiewicz zutreffend aus, dass die teilweise herangezogenen §§ 161 Abs. 1 S. 1, 163 Abs. 1 S. 2 StPO als Ermächtigungsgrundlage taugen können (S. 73 – 98). Bereits der Umstand, dass ein Lockspitzeleinsatz regelmäßig nicht der Verfolgung einer bereits begangenen Tat dient und somit keinen repressiven Zweck verfolge, spreche dagegen. „Darüber hinaus“ – so die Verf. –  „sind die Normen zu unbestimmt, um als spezialgesetzliche Eingriffsgrundlagen fungieren zu können.“ (S. 97) Insbesondere der erhebliche Eingriff in das Recht auf den sozialen Geltungsanspruch verbiete einen Rückgriff auf Generalklauseln. Auch eine analoge Anwendung der §§ 110a ff. StPO sei mangels der Analogievoraussetzungen (planwidrige Reglungslücke etc.) nicht möglich. Überdies verbiete sich eine Analogie, soweit mit ihr ein Grundrechtseingriff legitimiert werden soll (S. 98 – 100).

Die Verf. zieht das Fazit, dass Lockspitzeleinsätze – also alle staatlichen Deliktsveranlassungen – mangels Ermächtigungsgrundlage de lege lata rechtswidrig sind. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.

3. Als Schwerpunkt befasst sich die Dissertation im dritten Kapitel damit, wie eine rechtmäßige und verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage für Lockspitzeleinsätze de lege ferenda aussehen könnte.

In diesem Zusammenhang werden die unterschiedlichen Maßstäbe von BGH und EGMR sowie die Frage der Bindungswirkung der Rechtsprechung des EGMR untersucht (S. 102 – 142).

Die Verf. stellt fest, dass die EMRK in Deutschland unmittelbar geltendes Recht sei und darüber hinaus bewirke, dass deutsche Gesetze konventionsfreundlich auszulegen seien. Eine Bindungswirkung würden Urteile des EGMR dagegen nur hinsichtlich des jeweiligen Streitgegenstands entfalten. Eine absolute Bindung bestehe nicht. Den Urteilen des EGMR – so das BVerfG[2] – komme für die Auslegung der EMRK eine faktische Leitfunktion zu. Danach seien die vom individuellen Fall lösbaren Kriterien als Auslegungsgrundlage verbindlich heranzuziehen.

Nach der Rechtsprechung des EGMR sei ein Lockspitzeleinsatz zulässig, wenn der Lockspitzel das Tatgeschehen nicht wesentlich mitgestalte und die Zielperson tatgeneigt gewesen sei, was sich aus objektiven Umständen ergeben müsse. Unzulässig werde er, wenn der Ermittler die Tat initiiere (Einwirken zur Begehung einer Tat, die sonst nicht begangen worden wäre), um sie später zu verfolgen. Das grds. Initiierungsverbot bestehe dabei unabhängig von der Intensität der Einwirkung. Sie sei nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Zweck darin bestehe, einen bereits bestehenden Tatverdacht zu erhärten (S. 102 – 122).

Die deutsche Rechtsprechung halte den Einsatz eines Lockspitzels für grundsätzlich zulässig. Lediglich Extremfälle würden als unzulässig eingestuft. Eine Tatprovokation bestehe überhaupt nur bei einer erheblichen Einwirkung auf die Zielperson, wobei sie umso intensiver sein dürfe, je stärker der Tatverdacht sei. Der Tatverdacht müsse sich dabei nicht auf eine begangene Straftat richten, es reiche eine zukünftige aus, die zudem nicht unbedingt objektivierbar sein müsse. Unzulässig werde der Lockspitzeleinsatz erst dann, wenn die Einwirkung dazu führe, dass der eigene Beitrag der Zielperson in den Hintergrund trete (S. 122 – 128).

Tyszkiewicz weist nach, dass der sich aus Art. 6 EMRK ergebende fair-trial-Grundsatz zur Unzulässigkeit jeder Tatprovokation mit dem Ziel der anschließenden Tatverfolgung führt. Nichts anderes ergibt sich aus dem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren gem. Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG[3]. Folgerichtig hält die Autorin bei der Behandlung der Frage, ob der Staat überhaupt Urheber von Straftaten – nichts anderes ist er insofern – sein dürfe, (Rechtsstaatsprinzip) fest: „Dem Staat ist es grundsätzlich verwehrt, Kriminalität ins Leben zu rufen, um diese zu verfolgen.“ (S. 139) Sie kommt zu dem Schluss, dass eine Tatprovokation mit dem Ziel ihrer späteren Verfolgung in keinem Fall auf eine Ermächtigungsgrundlage gestützt werden könne, da dieses konventions- und verfassungswidrig wäre (S. 128 – 142).

Im zweiten Drittel des Kapitels, dem eigentlichen Kern der Arbeit, beschäftigt sich die Verf. mit der Tatprovokation zum Zwecke der Beweisgewinnung vergangener Straftaten (S. 142 – 192). Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EGMR zum Fall Eurofinacom[4] nimmt Tyszkiewicz an, dass eine Tatprovokation zur Erlangung von Beweismitteln bzgl. zurückliegender Taten praktikabel sei (S. 142 – 146). Diese Konstellation verstoße auch nicht gegen den nemo-tenetur-Grundsatz, sofern es sich um sog. Scheinkäufe handele. Bereits die Anreiz-Situation berge aber Probleme, wenn durch sie ein Tatunwille in das Gegenteil verkehrt werde. Alle anderen Konstellationen seien mit der Selbstbelastungsfreiheit unvereinbar. Anzumerken ist, dass Tyszkiewicz dabei eine aufwändige und doch gut nachvollziehbare Analyse der Selbstbelastungsfreiheit in der deutschen Rechtsprechung und der des EGMR durchführt (S. 146 – 188). Wenn der Lockspitzeleinsatz der Verfolgung vergangener Taten diene, liege in ihr kein grundsätzlicher Verstoß gegen das faire Verfahren, abhängig von der konkreten Art und Weise der Einwirkung. Auch bestehe kein genereller Verstoß gegen andere Aspekte des Rechtsstaatsprinzips. Es sei aber zu beachten, dass eine Provokation von Taten, die sich gegen Individualrechtsgüter richteten, unverhältnismäßig und nicht zu rechtfertigen sei. (S. 188 – 192)

Der letzte Teil skizziert, wie eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für den vorgenannten repressiven Lockspitzeleinsatz ausgestaltet sein müsste (192 – 209). Die Verf. weist bei ihren Überlegungen zur notwendigen Tatverdachtsstufe einen Zukunftsverdacht, wie er vom BGH teilweise als ausreichend erachtet wird, zurück. Sie brandmarkt ihn als „mit dem Tatstrafrecht und einem rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahren nicht vereinbar und folglich nicht als strafprozessuale Eingriffsvoraussetzung normierbar“ (S. 199). Allerdings beschränkt sie sich selbst auf einen einfachen Tatverdacht, weil kein tiefgreifender Eingriff in die Rechte der Zielperson vorliege. Die Zulässigkeit knüpft sie an einen Straftatenkatalog ähnlich des § 110a StPO unter Ausschluss der gegen Individualrechtsgüter gerichteten Delikte und beschränkt auf solche aus dem Bereich der besonders schweren Kriminalität. Tyszkiewicz plädiert zudem für eine Subsidiaritätsklausel ähnlich des § 110a Abs. 1 S. 3 StPO und einen Zustimmungsvorbehalt der Staatsanwaltschaft – beides Eingrenzungsversuche, die dem Praktiker als stumpfe Schwerter erscheinen müssen. Nur wenn im Rahmen des Einsatzes auch eine nicht allgemein zugängliche Wohnung betreten werden soll, sei ihrer Ansicht nach grundsätzlich eine richterliche Anordnung notwendig.

Das Kapitel endet mit einem eigenen Gesetzesvorschlag (S. 209 – 210).

4. Die prozessualen Rechtsfolgen rechtswidriger Tatprovokationen werden im letzten Kapitel untersucht (S. 211 – 232).

Die Verf. stellt zunächst die sog. Strafzumessungslösung des BGH dar. Tyszkiewicz kommt zu der Einschätzung, dass diese „Verurteilung auf der Grundlage eines illegitimen Verfahrens“ (S. 220) auch völkerrechtswidrig sei. Auch eine etwaige Vollstreckungslösung unterscheide sich davon im Grundsatz nicht, obwohl sie die Vermischung materieller Strafzumessungserwägungen mit Verfahrensverletzungen vermeide. Mit der Rechtsprechung des EGMR plädiert sie für die Annahme von Verwertungsverboten für aus dem rechtswidrigen Einsatz erlangte Erkenntnisse, da dieses völkerrechtskonform wäre. Zudem weist sie zu Recht darauf hin, dass sich der BGH, der dieses ablehnt, von unzulässigen Zweckmäßigkeitserwägungen – nämlich der „Angst vor der Straffreiheit“ des für schuldig erachteten „Täters“ – leiten lässt. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass die Annahme eines Verwertungsverbotes bei einem rechtsstaatswidrigen Verfahren die Konsequenz sein muss (S. 215 – 225).

Anschließend wird auf die Problematik der Rechtsfolgen bei dem Lockspitzeleinsatz mit dem Ziel der Verfolgung einer bereits begangenen Tat eingegangen. Die Verf. stellt dabei letztlich fest, dass die fehlende Ermächtigungsgrundlage zu einem Beweisverwertungsverbot führen müsse. Dieses müsse auch bei einer zu intensiven Einwirkung auf die Zielperson, worin letztlich ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit liege, gelten. Behandelt werden zudem die Fälle der fehlenden Anordnung und des fehlenden Tatverdachts bzw. des fehlenden Verdachts auf eine Katalogtat (S. 225 – 232).

III.Tyszkiewicz legt insgesamt eine gut lesbare Dissertation vor, die sämtliche Facetten der Probleme der Tatprovokation darstellt. Erfreulich ist, dass sie klare Worte zur deutschen Rechtspraxis findet, die sich über das Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage hinwegsetzt, den Begriff der Tatprovokation ausgesprochen restriktiv auslegt und mit der Strafzumessungslösung ein rechtswidriges Verurteilungsfundament legitimiert. Eine Rechtspraxis, die mit der Autorin schlicht völkerrechtswidrig ist. Die von Tyszkiewicz formulierte Absage an diese Praxis, wird aktuell durch die Entscheidung des EGMR, Furcht vs. Germany, Urt. v. 23.10.2014 – 54648/09 gestützt, die von einem umfassenden Verwertungsverbot ausgeht. Angesichts der Entscheidung des BVerfG vom 18.12.2014 – 2 BvR 209/14, die das vorgenannte Urteil des EGMR berücksichtigt, ist zur Zeit wohl nicht von einer Kurskorrektur der auszugehen. Das BVerfG setzt sich in seinem Verwerfungsbeschluss mit der entgegenstehenden Rechtsprechung des EGMR dezidiert auseinander, wobei es sogar einen Extremfall der unzulässigen Tatprovokation für gegeben hält. Es nimmt jedoch an, dass der EGMR „einen anderen dogmatischen Ansatz“ verfolge, der „die Frage der Zulässigkeit der Verfahrensdurchführung an sich und der Beweisverwertung in den Mittelpunkt“ stelle. Eine Verurteilung bleibe aber möglich, wenn eine ausreichende Kompensation erfolge.

Der Praktiker findet in der vorgelegten Arbeit nicht nur eine Fundgrube für die Verteidigung, sie bietet auch einen guten Überblick über die bestehenden Probleme und ihre unterschiedliche Behandlung durch deutsche Gerichte und den EGMR.

Für die Praxis ist die Dissertation zu empfehlen, da die kompakte Zusammenführung der unterschiedlichen Probleme und Positionen ihresgleichen sucht.

[1] So aber: BGHSt 45, 321 (328).

[2] BVerfG HRRS 2011 Nr. 488 Rn. 89.

[3] Vgl. BVerfGE 38, 105 (111).

[4] EGMR, Eurofinacom vs. France, Urt. v. 07.09.2004 – 58753/00.

Autorinnen und Autoren

  • Daniel Wölky
    Daniel Wölky ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht. Er ist Partner der Kanzlei Gercke I Wollschläger.

WiJ

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Internationales Strafrecht, EU, Rechtshilfe, Auslandsbezüge

  • Dr. Mayeul Hièramente

    Svenja Jutta Luise Karl, Die Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen. Kritik und Verbesserungsvorschläge unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens.

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)