Raimund Weyand

Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht

I. Strafprozessrecht

1. § 102 StPO – Durchsuchung einer Anwaltskanzlei

Bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei gebietet der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dabei ist auch das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffener Nichtbeschuldigter, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zu berücksichtigen.

Im Einzelfall kann etwa die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat einer Durchsuchung entgegenstehen. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von weniger als fünf Jahren bedroht sind, sind regelmäßig nicht von besonderer Bedeutung. In diesen Fällen ist eine kritische Prüfung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit stets geboten.

BVerfG, Beschluss vom 29.01.2015 – 2 BvR 497/12, 2 BvR 498/12, 2 BvR 499/12, 2 BvR 1054/12, AnwBl 2015, 441

Zum wiederholten Male kritisiert das BVerfG die Leichtigkeit, mit der Amts- und Landgerichte Durchsuchungsmaßnahmen, zumal bei Berufsgeheimnisträgern, anordnen bzw. hiergegen gerichtete Rechtsmittel verwerfen. Die Kammer des 2. Senats des BVerfG nimmt ausdrücklich auf die bisherige ständige Rechtsprechung Bezug und bestätigt die dort entwickelten Grundsätze; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 31.08.2010 – 2 BvR 223/10, BVerfGK 17, 550, BVerfG, Beschluss v. 12.04.2005 – 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29. Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in diesem Zusammenhang s. BVerfG, Beschluss vom 02.03.2006, 2 BvR 2099/04, BVerfGE 115, 166; zum Geringfügigkeitskriterium vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.06.2009, 2 BvR 902/06, BVerfGE 124, 43. Im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren wegen bloßen Verstößen gegen § 15a InsO ist darauf hinzuweisen, dass die maximale Strafdrohung bei drei Jahren (Vorsatzdelikte nach § 15a Abs. 4 InsO) bzw. einem Jahr (Fahrlässigkeitsdelikte nach § 15a Abs. 5 InsO) Freiheitsentzug liegt, damit nach Auffassung des BVerfG besondere Verhältnismäßigkeitserwägungen also stets geboten sind.

2. §§ 111b, 111d StPO – Strafprozessualer Arrest und Insolvenzverfahren

Ein dinglicher Arrest auf der Basis der § 111b Abs. 2 StPO i.V.m. § 111d StPO ist auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechtzuhalten. Kann ausgeschlossen werden, dass nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ein Überschuss an den Schuldner bzw. an die Anteilseigner einer juristischen Person gem. § 199 InsO auszukehren ist, muss eine in dessen Vollziehung ausgebrachte Anordnung jedoch aufgehoben werden.

LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 15.01.2015 – 5/24 KLs 7580 Js 230342/12 (13/14), ZWH 2015, 86 = ZInsO 2015, 644

Ein dinglicher Arrest auf der Basis der § 111b Abs. 2 StPO i.V.m. § 111d StPO ist aufzuheben, wenn ausgeschlossen werden kann, dass nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ein Überschuss an den Schuldner bzw. an die Anteilseigner einer juristischen Person gem. § 199 InsO auszukehren ist.

LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 12.12.2014 – 5/12 KLs 14/12, ZWH 2015, 84 = ZInsO 2015, 647

Zu den beiden Entscheidungen vgl. ausführlich Bittmann, ZWH 2015, 58. Allgemein zur strafprozessualen Rückgewinnungshilfe in der Insolvenz des Straftäters vgl. jüngst Markgraf/Schulenburg, KTS 2015, 1. S. außerdem die umfangreichen Rechtsprechungs- und Literaturnachweise zu dieser Problematik in WiJ 2015, 82.

3. §§ 170, 172 StPO – Klageerzwingungsverfahren einer gelöschten GmbH

Mit der Löschung im Handelsregister verliert die Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit und damit nach § 50 Abs. 1 ZPO auch ihre Fähigkeit, Partei eines Rechtsstreits zu sein. Das strafprozessuale Klageerzwingungsverfahren ist ihr daher regelmäßig nicht eröffnet.

Hanseatisches OLG, Beschluss vom 02.07.2014 – 1 Ws 64/14, wistra 2015, 80 = ZInsO 2015, 528.

II. Weitere Entscheidung mit strafrechtlichem Bezug

§§ 34, 37 BeamtStG, § 266 StGB – Dienstpflichtverletzung

Dem Grundbuchrechtspfleger kommt in der Zwangsverwaltung von Grundstücken eine verfahrensbeherrschende Stellung zu.

Die kostenlose nicht angezeigte Nutzung von Räumlichkeiten in dem Objekt der Zwangsverwaltung kann sich strafrechtlich als Vorteilsannahme und Untreue (§§ 266, 331 StGB) darstellen und disziplinarrechtlich als erheblicher Verstoß gegen beamtenrechtliche Dienstpflichten (§ 34 BeamtStG) die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zur Folge haben.

OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.11.2014 – 10 L 3/14, ZInsO 2015, 697.

Der BGH hat in der vorangegangen Revisionsentscheidung zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des mit einem Zwangsverwaltungsverfahren befassten und jetzt aus dem Dienst entfernten Rechtspflegers hervorgehoben, dass diesem eine Vermögensbetreuungspflicht iSd § 266 StGB gegenüber Gläubigern und Schuldner obliegt (BGH, Urteil vom 28.07.2011 – 4 StR 156/11, wistra 2011, 424 = ZWH 2011, 23 = ZInsO 2011, 1646; zu der Entscheidung s. Waßmer, NZWiSt 2012, 36).

 

I. Strafprozessrecht

1. § 102 StPO – Durchsuchung einer Anwaltskanzlei

Bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei gebietet der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dabei ist auch das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffener Nichtbeschuldigter, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zu berücksichtigen.

Im Einzelfall kann etwa die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat einer Durchsuchung entgegenstehen. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von weniger als fünf Jahren bedroht sind, sind regelmäßig nicht von besonderer Bedeutung. In diesen Fällen ist eine kritische Prüfung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit stets geboten.

BVerfG, Beschluss vom 29.01.2015 – 2 BvR 497/12, 2 BvR 498/12, 2 BvR 499/12, 2 BvR 1054/12, AnwBl 2015, 441

Zum wiederholten Male kritisiert das BVerfG die Leichtigkeit, mit der Amts- und Landgerichte Durchsuchungsmaßnahmen, zumal bei Berufsgeheimnisträgern, anordnen bzw. hiergegen gerichtete Rechtsmittel verwerfen. Die Kammer des 2. Senats des BVerfG nimmt ausdrücklich auf die bisherige ständige Rechtsprechung Bezug und bestätigt die dort entwickelten Grundsätze; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 31.08.2010 – 2 BvR 223/10, BVerfGK 17, 550, BVerfG, Beschluss v. 12.04.2005 – 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29. Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in diesem Zusammenhang s. BVerfG, Beschluss vom 02.03.2006, 2 BvR 2099/04, BVerfGE 115, 166; zum Geringfügigkeitskriterium vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.06.2009, 2 BvR 902/06, BVerfGE 124, 43. Im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren wegen bloßen Verstößen gegen § 15a InsO ist darauf hinzuweisen, dass die maximale Strafdrohung bei drei Jahren (Vorsatzdelikte nach § 15a Abs. 4 InsO) bzw. einem Jahr (Fahrlässigkeitsdelikte nach § 15a Abs. 5 InsO) Freiheitsentzug liegt, damit nach Auffassung des BVerfG besondere Verhältnismäßigkeitserwägungen also stets geboten sind.

2. §§ 111b, 111d StPO – Strafprozessualer Arrest und Insolvenzverfahren

Ein dinglicher Arrest auf der Basis der § 111b Abs. 2 StPO i.V.m. § 111d StPO ist auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechtzuhalten. Kann ausgeschlossen werden, dass nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ein Überschuss an den Schuldner bzw. an die Anteilseigner einer juristischen Person gem. § 199 InsO auszukehren ist, muss eine in dessen Vollziehung ausgebrachte Anordnung jedoch aufgehoben werden.

LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 15.01.2015 – 5/24 KLs 7580 Js 230342/12 (13/14), ZWH 2015, 86 = ZInsO 2015, 644

Ein dinglicher Arrest auf der Basis der § 111b Abs. 2 StPO i.V.m. § 111d StPO ist aufzuheben, wenn ausgeschlossen werden kann, dass nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ein Überschuss an den Schuldner bzw. an die Anteilseigner einer juristischen Person gem. § 199 InsO auszukehren ist.

LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 12.12.2014 – 5/12 KLs 14/12, ZWH 2015, 84 = ZInsO 2015, 647

Zu den beiden Entscheidungen vgl. ausführlich Bittmann, ZWH 2015, 58. Allgemein zur strafprozessualen Rückgewinnungshilfe in der Insolvenz des Straftäters vgl. jüngst Markgraf/Schulenburg, KTS 2015, 1. S. außerdem die umfangreichen Rechtsprechungs- und Literaturnachweise zu dieser Problematik in WiJ 2015, 82.

3. §§ 170, 172 StPO – Klageerzwingungsverfahren einer gelöschten GmbH

Mit der Löschung im Handelsregister verliert die Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit und damit nach § 50 Abs. 1 ZPO auch ihre Fähigkeit, Partei eines Rechtsstreits zu sein. Das strafprozessuale Klageerzwingungsverfahren ist ihr daher regelmäßig nicht eröffnet.

Hanseatisches OLG, Beschluss vom 02.07.2014 – 1 Ws 64/14, wistra 2015, 80 = ZInsO 2015, 528.

II. Weitere Entscheidung mit strafrechtlichem Bezug

§§ 34, 37 BeamtStG, § 266 StGB – Dienstpflichtverletzung

Dem Grundbuchrechtspfleger kommt in der Zwangsverwaltung von Grundstücken eine verfahrensbeherrschende Stellung zu.

Die kostenlose nicht angezeigte Nutzung von Räumlichkeiten in dem Objekt der Zwangsverwaltung kann sich strafrechtlich als Vorteilsannahme und Untreue (§§ 266, 331 StGB) darstellen und disziplinarrechtlich als erheblicher Verstoß gegen beamtenrechtliche Dienstpflichten (§ 34 BeamtStG) die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zur Folge haben.

OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.11.2014 – 10 L 3/14, ZInsO 2015, 697.

Der BGH hat in der vorangegangen Revisionsentscheidung zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des mit einem Zwangsverwaltungsverfahren befassten und jetzt aus dem Dienst entfernten Rechtspflegers hervorgehoben, dass diesem eine Vermögensbetreuungspflicht iSd § 266 StGB gegenüber Gläubigern und Schuldner obliegt (BGH, Urteil vom 28.07.2011 – 4 StR 156/11, wistra 2011, 424 = ZWH 2011, 23 = ZInsO 2011, 1646; zu der Entscheidung s. Waßmer, NZWiSt 2012, 36).

Autorinnen und Autoren

  • Raimund Weyand
    Raimund Weyand war bis zum seinem Eintritt in den Ruhestand am 31.12.2021 stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Insolvenz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und hat auf diesen Themengebieten bereits zahlreiche Beiträge publiziert. Weyand ist (Mit-)Verfasser mehrerer insolvenz- und wirtschaftsstrafrechtlicher Buchveröffentlichungen, Mitautor des Kommentars von Graf/Jäger/Wittig zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht und gehört seit deren Gründung dem Herausgebergremium der Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) an.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung