Dr. Dennis Reschke

Veranstaltungsbericht zum 2. Kölner Insolvenzstrafrechtstag am 21. Mai 2015

I. Einleitung

Am 21. Mai 2015 fand in Köln bereits zum zweiten Mal der vom WisteV-Arbeitskreis Insolvenzstrafrecht und der ZInsO ausgerichtete Kölner Insolvenzstrafrechtstag statt, der nicht nur aufgrund der regen Teilnahme von mehr als 70 interessierten Gästen ein voller Erfolg war, sondern der vor allem wegen der exzellenten Vorträge durch hochkarätige Referenten als Glanzstunde der noch jungen Vortragsreihe bezeichnet werden kann. Diesen Glanz einzufangen soll mit den folgenden Zeilen versucht und dazu der Fokus auf zentrale Thesen der Referenten gerichtet werden.

II. Marie Luise Graf-Schlicker: Insolvenz(straf)recht – wohin?

Graf-Schlicker, Ministerialdirektorin im BMJV, leitete ihr Referat mit einem Überblick über die aktuellen gesetzgeberischen Bestrebungen im Insolvenzrecht ein – Bestrebungen, die auch Auswirkungen auf das Strafrecht zeitigen werden. Dabei hat das BMJV Großes vor: Das Insolvenzrecht, das sich in einer „Insolvenzrechtsreform in Permanenz“ befinde, soll in seiner Neugestaltung auch Maßstäbe für die geplante Europäische Insolvenzverordnung setzen. Ein entscheidender Schritt in diese Richtung sei bereits zurückgelegt worden: Der Entwurf zum Konzerninsolvenzrecht liege dem Bundestag zur Beratung vor.

Aus strafrechtlicher Perspektive von Bedeutung sei vor allem die Klärung der Problematik hinsichtlich des Verhältnisses des Insolvenzrechts zur Rückgewinnungshilfe. Man wolle einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Geschädigten einer Straftat auf der einen und dem Gleichbehandlungsinteresse der Insolvenzgläubiger auf der anderen Seite sicherstellen. Um dies gesetzgeberisch zu gewährleisten, habe man jüngst eine eigene Projektgruppe im Ministerium installiert.

Der Schwerpunkt der gesetzgeberischen Vorhaben liege indes in der Reform des Anfechtungsrechts – insbesondere der Vorsatzanfechtung. Ein Referentenentwurf vom 16. März 2015 sei den Verbänden bereits zur Stellungnahme vorgelegt worden. Hintergrund für das Einschreiten des Gesetzgebers seien Klagen aus der wirtschaftlichen Praxis und von Arbeitnehmern gewesen, die mit der derzeitigen komplexen Regelungsmaterie nicht mehr hinreichend zurechtkämen. So stelle es eine schwere Belastung für die Wirtschaft dar, nicht zu wissen, ob sich ein Gläubiger auf Zahlungserleichterungen einlassen darf, oder ob das Nachsuchen um Erleichterung ein Indiz für Vorsatzkenntnis des Anfechtungsgegners sei. Künftig solle das Ersuchen von Zahlungserleichterungen i. d. R. keinen Anfechtungsgrund mehr begründen. Dazu werde mit § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO-E ein sog. „safe harbour“ geschaffen, indem der Gesetzgeber die gesetzliche Vermutungsregel des Absatzes 1 Satz 3 präzisiert. Ferner sei für Arbeitnehmer bislang nicht geklärt, ob sie verspätet erhaltene Löhne behalten dürfen. Mit der geplanten Neuregelung des Bargeschäftsprivilegs schade es nicht, wenn Arbeitsentgelt innerhalb einer Frist von drei Monaten seit Erbringung der Arbeit geleistet werde. Darüber hinaus soll im Zuge der Reform die Zwangsvollstreckungsbefriedigung zugunsten derjenigen Gläubiger privilegiert werden, die zur Durchsetzung ihrer Forderung bereits gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen haben. Eine Zwangsvollstreckung aus einem gerichtlichen Titel sei dann keine inkongruente Deckung mehr und eine Anfechtung nur nach Maßgabe des insoweit strengeren § 130 InsO möglich. Schließlich soll künftig die Verzinsung des Rückgewähranspruchs zum Schutz des Anfechtungsgegners vor übermäßiger Zinsbelastung nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften erfolgen.

Abschließend hat Graf-Schlicker auf die europäische Bestrebung zur Errichtung eines vorinsolvenzrechtlichen Sanierungsverfahrens hingewiesen, das mit dem gerade erst durch das ESUG geschaffenen Schutzschirmverfahren nicht in Einklang gebracht werden könne, weil es gerade kein gerichtliches Verfahren vorsieht. Zudem werde auf europäischer Ebene angestrebt, die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens europaweit einheitlich auf drei Jahre zu begrenzen.

III. Prof. Dr. Georg Bitter: Geschäftsführerhaftung für Zahlungen nach Insolvenzreife – Grundlagen, aktuelle Entwicklungen und ein Ausblick auf die Strafbarkeit des nicht richtig gestellten Insolvenzantrages

Prof. Dr. Bitter, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Bank- und Kapitalmarktrecht sowie Insolvenzrecht an der Universität Mannheim, referierte zunächst einführend über die zivilrechtlichen Haftungstatbestände, bevor er sodann die Innenhaftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG für „Zahlungen“ nach Insolvenzreife in den Fokus rückte. Dabei wies er auf eine erst kürzlich für die Nichtberücksichtigung einer Forderung im Überschuldungsstatus gem. § 19 Abs. 2 S. 2 InsO relevante Entscheidung des BGH hin (ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim), wozu ein sog. qualifizierter Rangrücktritt erforderlich sei. Dieser könne aber nicht frei aufgehoben werden, da es sich um einen Vertrag zugunsten der Gläubiger i. S. v. § 328 BGB handle. Ausgehend von einem Hinweis Karsten Schmidts in der ZIP 2015, 901, 905 f. kreiste die anschließende Diskussion um die Frage, ob durch diesen „unauflösbaren“ Rangrücktritt eine „verbundene Vermögensmasse“ entstanden sei – ähnlich wie das Stammkapital –, die auch im Rahmen des § 266 StGB relevant werden könnte, wenn z. B. subordinierte Kredite einverständlich, aber verfrüht zurückgezahlt würden. Aus dem Publikum wurde dagegen vorgetragen, dass es sich um einen bloße vertragliche Bindung handle, die für sich genommen keine Vermögensbetreuungsplicht begründen dürfte.

Darüber hinaus sei bislang ungeklärt, ob auch der Geschäftsführer einer Auslandsgesellschaft Haftungsadressat des § 64 GmbHG sei. Bezüglich eines Direktors einer private company limited by shares englischen oder walisischen Rechts gebe es diesbezüglich eine Vorlage an den EuGH (BGH ZInsO 2015, 92). Dieser habe sich insbesondere mit einem möglichen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit zu beschäftigen, wobei Bitter selbst im Einklang mit dem BGH in der bloßen Anwendung des § 64 GmbHG keine Verletzung erkennt.

Ferner widmete sich Bitter im Schwerpunkt der komplizierten und bislang immer noch nicht hinreichend geklärten Problematik, ob und ggf. inwieweit ein Spannungsfeld zwischen § 64 GmbHG und § 266a StGB besteht. Dabei sieht Bitter eine mögliche Pflichtenkollision nur dann gegeben, wenn Beiträge i. S. v. § 266a StGB nach dem Insolvenzantrag nicht abgeführt worden sind. Im Ergebnis hält er das Verbot des § 64 GmbHG aber für vorrangig, weil es in der insolvenzrechtlichen Wertung durch die Regeln zum Eröffnungsverfahren und die nahezu zwingende Anfechtbarkeit eventuell geleisteter Zahlungen gestützt werde.

Abschließend befasste sich Bitter mit der Problematik des „unrichtig“ gestellten Insolvenzantrags. Vor dem Hintergrund, dass praktisch 90 % aller Anträge fehlerhaft seien, warf er die These auf, dass trotz der unbefriedigenden Verknüpfung von § 13 InsO mit § 15a Abs. 4 InsO – danach werden auch Verstöße gegen § 13 InsO strafbewehrt – eine teleologische Reduktion der Vorschrift auch in Extremfällen nicht möglich sei. Denn der Gesetzgeber habe ausweislich seiner Begründung (BT-Drucks. 17/5712, S. 22 f.) die Problematik gesehen. Somit bliebe – überspritzt ausgedrückt – nur noch die Möglichkeit, die Vorschrift wegen „evidenter Unverhältnismäßigkeit“ als verfassungswidrig zu verwerfen. Interessant war diesbezüglich die anschließende Diskussion, in der Graf-Schlicker den Hinweis erteilte, dass diese Problematik vom Gesetzgebers – entgegen Bitters Annahme – nicht erkannt worden sei. Der Weg einer teleologischen Reduktion ist also doch nicht von vorneherein versperrt!

IV. Dr. Michael Harz: Das Sachverständigengutachten zur Krise

Als „Exot“ unter den Teilnehmern – wie sich der Mathematiker und Betriebswirt Harz selbst (zutreffend) bezeichnet hat – erläuterte er neben den Grundlagen der gutachterlichen Überschuldungs- und Zahlungsunfähigkeitsprüfung die von ihm entwickelte und selbstlernende „BilMan-Software“, mit deren Hilfe es möglich sei, manipulierte Bilanzen im Bruchteil einer Sekunde aufzudecken. Die Richtigkeit der in den Jahresabschlüssen ausgewiesenen Daten und Zahlen sowie die Angaben in der Buchhaltung sei Voraussetzung für die zutreffende Begutachtung der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens. Die vermeintliche Richtigkeit werde in der Praxis oftmals als selbstverständlich angenommen. Jedoch stelle die Validierung von Buchhaltung und Bilanz eigentlich den notwendigen ersten Schritt einer gutachterlichen Prüfung dar, der bislang jedoch sehr zeitintensiv gewesen sei und der in über 90 % der Fälle Unregelmäßigkeiten aufdecke. Daher könne eine solche Überprüfung nicht unterbleiben.

In der Praxis sehr häufig vorkommende „Bilanzschönungen“, wie der Ausweis überhöhter Erträge und Forderungen, die oft auf fingierte Rechnungen zwischen nahestehenden Unternehmen oder Personen zurückzuführen seien, könnten nun schnell und zuverlässig aufgedeckt werden. Die BilMan-Software basiere auf zwei Säulen. Eine Säule bilde die sog. Benford-Verteilung, die die erwartete Verteilung der Anfangsziffern der in einer Zahlensammlung auftretenden Werte beschreibe. Die zweite Säule bilde die künstliche Intelligenz, welche typische Fälschungsmuster, die in der Vergangenheit von der Software bereits einmal erkannt wurden, wieder erkenne.

Im Ergebnis erleichtere die Software die Erstellung von Gutachten erheblich. Sofern sie eine Manipulation anzeigt, werde auf manuelle Weise die Art der Manipulation untersucht. So ersetze die Software letztendlich nicht den Sachverständigen an sich, sondern liefere ihm die für die weitere Begutachtung erforderlichen entscheidenden Hinweise. Gutachten auf Grundlage falscher Daten seien damit ausgeschlossen.

V. Podiumsdiskussion: Das Verwendungsverbot des § 971 Satz 3 InsO

Zum Abschluss der Veranstaltung diskutierten RA Christof Püschel, OStA Raimund Weyand und Prof. Dr. Hans Haarmeyer unter Moderation von LOStA Folker Bittmann über das in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO normierte Verwendungsverbot für Auskünfte im Strafverfahren, die der Schuldner auf Grund § 97 Abs. 1 S. 1 InsO geben musste. Püschel sieht darin einen gesetzgeberisch normierten „Deal“: Die zwangsweise durchsetzbare Auskunft zugunsten der Insolvenzgläubiger gegen die Zusicherung, dass die Auskünfte strafrechtlich keine Relevanz erlangen können. Da es sich bei der Vorschrift um ein „Kind des Datenschutzes“ handle, sei die ein Verwendungsverbot statuierende Vorschrift weit auszulegen. Deswegen sei in der anwaltlichen Beratung zu überlegen, ob nicht von vorneherein umfassende Angaben gemacht werden sollten. Anders hinsichtlich der Reichweite sah das freilich Weyand, der jedoch konstatierte, dass seiner Erfahrung nach die Vorschrift in der Praxis keine Rolle spiele und selbst in Verteidigerkreisen kaum bekannt sei. Schließlich wies er darauf hin, dass § 97 Abs. 1 S. 3 InsO kein Erhebungsverbot statuiere. Aber auch Haarmeyer pflichtete bei, dass hinsichtlich dieses Verwendungsverbots kein hinreichendes Bewusstsein in der Praxis bestehe. Es finde vor allem keine Belehrung darüber im klassischen Sinne statt. Schließlich plädierte auch er wegen der mit dem ESUG verfolgten Anreizfunktion dafür, den Schutzbereich der Norm weit zu verstehen, um die Anreizfunktion für insolvente Schuldner zur frühzeitigen Antragstellung letztlich nicht zu konterkarieren.

VI. Ausblick

Bereits im Vorfeld des diesjährigen Insolvenzstrafrechtstags hat sich der WisteV-Arbeitskreis-Insolvenzstrafrecht getroffen, um die weiteren Aktivitäten zu besprechen. Trotz erheblicher zeitlicher Belastung erwägt der Arbeitskreis, sich im Halbjahresrhythmus zusammenzusetzen und sich vertieft mit einer Thematik zu befassen, die etwa Gegenstand des kommenden Insolvenzstrafrechtstags sein wird.

Der 3. Kölner Insolvenzstrafrechtstag – gemeinsam veranstaltet mit der ZInsO – findet voraussichtlich am 5. Mai 2016 statt und wird sich der in der Praxis höchst problematischen und bislang in Einzelheiten ungeklärten Frage widmen: „Wann ist ein Eröffnungsantrag ‚nicht richtig‘ gestellt i. S. v. § 15a Abs. 4, 2. Var. InsO?“. Geplant ist es, als Referenten Herrn Oberstaatsanwalt Hans Richter aus Stuttgart zu gewinnen.

Interessenten sind herzlich eingeladen, aktiv an den vorbereitenden Treffen mitzuwirken, auf andere Weise – etwa durch Beiträge im WiJ – die Thematik zu befruchten und bzw. oder im nächsten Jahr am 3. Insolvenzstrafrechtstag in Köln teilzunehmen. Als Ansprechpartner steht Ihnen der Sprecher des AK-Insolvenz-Strafrechts, Herr Rechtsanwalt Christof Püschel, unter insolvenzstrafrecht@wistev.de zur Verfügung.

I. Einleitung

Am 21. Mai 2015 fand in Köln bereits zum zweiten Mal der vom WisteV-Arbeitskreis Insolvenzstrafrecht und der ZInsO ausgerichtete Kölner Insolvenzstrafrechtstag statt, der nicht nur aufgrund der regen Teilnahme von mehr als 70 interessierten Gästen ein voller Erfolg war, sondern der vor allem wegen der exzellenten Vorträge durch hochkarätige Referenten als Glanzstunde der noch jungen Vortragsreihe bezeichnet werden kann. Diesen Glanz einzufangen soll mit den folgenden Zeilen versucht und dazu der Fokus auf zentrale Thesen der Referenten gerichtet werden.

II. Marie Luise Graf-Schlicker: Insolvenz(straf)recht – wohin?

Graf-Schlicker, Ministerialdirektorin im BMJV, leitete ihr Referat mit einem Überblick über die aktuellen gesetzgeberischen Bestrebungen im Insolvenzrecht ein – Bestrebungen, die auch Auswirkungen auf das Strafrecht zeitigen werden. Dabei hat das BMJV Großes vor: Das Insolvenzrecht, das sich in einer „Insolvenzrechtsreform in Permanenz“ befinde, soll in seiner Neugestaltung auch Maßstäbe für die geplante Europäische Insolvenzverordnung setzen. Ein entscheidender Schritt in diese Richtung sei bereits zurückgelegt worden: Der Entwurf zum Konzerninsolvenzrecht liege dem Bundestag zur Beratung vor.

Aus strafrechtlicher Perspektive von Bedeutung sei vor allem die Klärung der Problematik hinsichtlich des Verhältnisses des Insolvenzrechts zur Rückgewinnungshilfe. Man wolle einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Geschädigten einer Straftat auf der einen und dem Gleichbehandlungsinteresse der Insolvenzgläubiger auf der anderen Seite sicherstellen. Um dies gesetzgeberisch zu gewährleisten, habe man jüngst eine eigene Projektgruppe im Ministerium installiert.

Der Schwerpunkt der gesetzgeberischen Vorhaben liege indes in der Reform des Anfechtungsrechts – insbesondere der Vorsatzanfechtung. Ein Referentenentwurf vom 16. März 2015 sei den Verbänden bereits zur Stellungnahme vorgelegt worden. Hintergrund für das Einschreiten des Gesetzgebers seien Klagen aus der wirtschaftlichen Praxis und von Arbeitnehmern gewesen, die mit der derzeitigen komplexen Regelungsmaterie nicht mehr hinreichend zurechtkämen. So stelle es eine schwere Belastung für die Wirtschaft dar, nicht zu wissen, ob sich ein Gläubiger auf Zahlungserleichterungen einlassen darf, oder ob das Nachsuchen um Erleichterung ein Indiz für Vorsatzkenntnis des Anfechtungsgegners sei. Künftig solle das Ersuchen von Zahlungserleichterungen i. d. R. keinen Anfechtungsgrund mehr begründen. Dazu werde mit § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO-E ein sog. „safe harbour“ geschaffen, indem der Gesetzgeber die gesetzliche Vermutungsregel des Absatzes 1 Satz 3 präzisiert. Ferner sei für Arbeitnehmer bislang nicht geklärt, ob sie verspätet erhaltene Löhne behalten dürfen. Mit der geplanten Neuregelung des Bargeschäftsprivilegs schade es nicht, wenn Arbeitsentgelt innerhalb einer Frist von drei Monaten seit Erbringung der Arbeit geleistet werde. Darüber hinaus soll im Zuge der Reform die Zwangsvollstreckungsbefriedigung zugunsten derjenigen Gläubiger privilegiert werden, die zur Durchsetzung ihrer Forderung bereits gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen haben. Eine Zwangsvollstreckung aus einem gerichtlichen Titel sei dann keine inkongruente Deckung mehr und eine Anfechtung nur nach Maßgabe des insoweit strengeren § 130 InsO möglich. Schließlich soll künftig die Verzinsung des Rückgewähranspruchs zum Schutz des Anfechtungsgegners vor übermäßiger Zinsbelastung nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften erfolgen.

Abschließend hat Graf-Schlicker auf die europäische Bestrebung zur Errichtung eines vorinsolvenzrechtlichen Sanierungsverfahrens hingewiesen, das mit dem gerade erst durch das ESUG geschaffenen Schutzschirmverfahren nicht in Einklang gebracht werden könne, weil es gerade kein gerichtliches Verfahren vorsieht. Zudem werde auf europäischer Ebene angestrebt, die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens europaweit einheitlich auf drei Jahre zu begrenzen.

III. Prof. Dr. Georg Bitter: Geschäftsführerhaftung für Zahlungen nach Insolvenzreife – Grundlagen, aktuelle Entwicklungen und ein Ausblick auf die Strafbarkeit des nicht richtig gestellten Insolvenzantrages

Prof. Dr. Bitter, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Bank- und Kapitalmarktrecht sowie Insolvenzrecht an der Universität Mannheim, referierte zunächst einführend über die zivilrechtlichen Haftungstatbestände, bevor er sodann die Innenhaftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG für „Zahlungen“ nach Insolvenzreife in den Fokus rückte. Dabei wies er auf eine erst kürzlich für die Nichtberücksichtigung einer Forderung im Überschuldungsstatus gem. § 19 Abs. 2 S. 2 InsO relevante Entscheidung des BGH hin (ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim), wozu ein sog. qualifizierter Rangrücktritt erforderlich sei. Dieser könne aber nicht frei aufgehoben werden, da es sich um einen Vertrag zugunsten der Gläubiger i. S. v. § 328 BGB handle. Ausgehend von einem Hinweis Karsten Schmidts in der ZIP 2015, 901, 905 f. kreiste die anschließende Diskussion um die Frage, ob durch diesen „unauflösbaren“ Rangrücktritt eine „verbundene Vermögensmasse“ entstanden sei – ähnlich wie das Stammkapital –, die auch im Rahmen des § 266 StGB relevant werden könnte, wenn z. B. subordinierte Kredite einverständlich, aber verfrüht zurückgezahlt würden. Aus dem Publikum wurde dagegen vorgetragen, dass es sich um einen bloße vertragliche Bindung handle, die für sich genommen keine Vermögensbetreuungsplicht begründen dürfte.

Darüber hinaus sei bislang ungeklärt, ob auch der Geschäftsführer einer Auslandsgesellschaft Haftungsadressat des § 64 GmbHG sei. Bezüglich eines Direktors einer private company limited by shares englischen oder walisischen Rechts gebe es diesbezüglich eine Vorlage an den EuGH (BGH ZInsO 2015, 92). Dieser habe sich insbesondere mit einem möglichen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit zu beschäftigen, wobei Bitter selbst im Einklang mit dem BGH in der bloßen Anwendung des § 64 GmbHG keine Verletzung erkennt.

Ferner widmete sich Bitter im Schwerpunkt der komplizierten und bislang immer noch nicht hinreichend geklärten Problematik, ob und ggf. inwieweit ein Spannungsfeld zwischen § 64 GmbHG und § 266a StGB besteht. Dabei sieht Bitter eine mögliche Pflichtenkollision nur dann gegeben, wenn Beiträge i. S. v. § 266a StGB nach dem Insolvenzantrag nicht abgeführt worden sind. Im Ergebnis hält er das Verbot des § 64 GmbHG aber für vorrangig, weil es in der insolvenzrechtlichen Wertung durch die Regeln zum Eröffnungsverfahren und die nahezu zwingende Anfechtbarkeit eventuell geleisteter Zahlungen gestützt werde.

Abschließend befasste sich Bitter mit der Problematik des „unrichtig“ gestellten Insolvenzantrags. Vor dem Hintergrund, dass praktisch 90 % aller Anträge fehlerhaft seien, warf er die These auf, dass trotz der unbefriedigenden Verknüpfung von § 13 InsO mit § 15a Abs. 4 InsO – danach werden auch Verstöße gegen § 13 InsO strafbewehrt – eine teleologische Reduktion der Vorschrift auch in Extremfällen nicht möglich sei. Denn der Gesetzgeber habe ausweislich seiner Begründung (BT-Drucks. 17/5712, S. 22 f.) die Problematik gesehen. Somit bliebe – überspritzt ausgedrückt – nur noch die Möglichkeit, die Vorschrift wegen „evidenter Unverhältnismäßigkeit“ als verfassungswidrig zu verwerfen. Interessant war diesbezüglich die anschließende Diskussion, in der Graf-Schlicker den Hinweis erteilte, dass diese Problematik vom Gesetzgebers – entgegen Bitters Annahme – nicht erkannt worden sei. Der Weg einer teleologischen Reduktion ist also doch nicht von vorneherein versperrt!

IV. Dr. Michael Harz: Das Sachverständigengutachten zur Krise

Als „Exot“ unter den Teilnehmern – wie sich der Mathematiker und Betriebswirt Harz selbst (zutreffend) bezeichnet hat – erläuterte er neben den Grundlagen der gutachterlichen Überschuldungs- und Zahlungsunfähigkeitsprüfung die von ihm entwickelte und selbstlernende „BilMan-Software“, mit deren Hilfe es möglich sei, manipulierte Bilanzen im Bruchteil einer Sekunde aufzudecken. Die Richtigkeit der in den Jahresabschlüssen ausgewiesenen Daten und Zahlen sowie die Angaben in der Buchhaltung sei Voraussetzung für die zutreffende Begutachtung der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens. Die vermeintliche Richtigkeit werde in der Praxis oftmals als selbstverständlich angenommen. Jedoch stelle die Validierung von Buchhaltung und Bilanz eigentlich den notwendigen ersten Schritt einer gutachterlichen Prüfung dar, der bislang jedoch sehr zeitintensiv gewesen sei und der in über 90 % der Fälle Unregelmäßigkeiten aufdecke. Daher könne eine solche Überprüfung nicht unterbleiben.

In der Praxis sehr häufig vorkommende „Bilanzschönungen“, wie der Ausweis überhöhter Erträge und Forderungen, die oft auf fingierte Rechnungen zwischen nahestehenden Unternehmen oder Personen zurückzuführen seien, könnten nun schnell und zuverlässig aufgedeckt werden. Die BilMan-Software basiere auf zwei Säulen. Eine Säule bilde die sog. Benford-Verteilung, die die erwartete Verteilung der Anfangsziffern der in einer Zahlensammlung auftretenden Werte beschreibe. Die zweite Säule bilde die künstliche Intelligenz, welche typische Fälschungsmuster, die in der Vergangenheit von der Software bereits einmal erkannt wurden, wieder erkenne.

Im Ergebnis erleichtere die Software die Erstellung von Gutachten erheblich. Sofern sie eine Manipulation anzeigt, werde auf manuelle Weise die Art der Manipulation untersucht. So ersetze die Software letztendlich nicht den Sachverständigen an sich, sondern liefere ihm die für die weitere Begutachtung erforderlichen entscheidenden Hinweise. Gutachten auf Grundlage falscher Daten seien damit ausgeschlossen.

V. Podiumsdiskussion: Das Verwendungsverbot des § 971 Satz 3 InsO

Zum Abschluss der Veranstaltung diskutierten RA Christof Püschel, OStA Raimund Weyand und Prof. Dr. Hans Haarmeyer unter Moderation von LOStA Folker Bittmann über das in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO normierte Verwendungsverbot für Auskünfte im Strafverfahren, die der Schuldner auf Grund § 97 Abs. 1 S. 1 InsO geben musste. Püschel sieht darin einen gesetzgeberisch normierten „Deal“: Die zwangsweise durchsetzbare Auskunft zugunsten der Insolvenzgläubiger gegen die Zusicherung, dass die Auskünfte strafrechtlich keine Relevanz erlangen können. Da es sich bei der Vorschrift um ein „Kind des Datenschutzes“ handle, sei die ein Verwendungsverbot statuierende Vorschrift weit auszulegen. Deswegen sei in der anwaltlichen Beratung zu überlegen, ob nicht von vorneherein umfassende Angaben gemacht werden sollten. Anders hinsichtlich der Reichweite sah das freilich Weyand, der jedoch konstatierte, dass seiner Erfahrung nach die Vorschrift in der Praxis keine Rolle spiele und selbst in Verteidigerkreisen kaum bekannt sei. Schließlich wies er darauf hin, dass § 97 Abs. 1 S. 3 InsO kein Erhebungsverbot statuiere. Aber auch Haarmeyer pflichtete bei, dass hinsichtlich dieses Verwendungsverbots kein hinreichendes Bewusstsein in der Praxis bestehe. Es finde vor allem keine Belehrung darüber im klassischen Sinne statt. Schließlich plädierte auch er wegen der mit dem ESUG verfolgten Anreizfunktion dafür, den Schutzbereich der Norm weit zu verstehen, um die Anreizfunktion für insolvente Schuldner zur frühzeitigen Antragstellung letztlich nicht zu konterkarieren.

VI. Ausblick

Bereits im Vorfeld des diesjährigen Insolvenzstrafrechtstags hat sich der WisteV-Arbeitskreis-Insolvenzstrafrecht getroffen, um die weiteren Aktivitäten zu besprechen. Trotz erheblicher zeitlicher Belastung erwägt der Arbeitskreis, sich im Halbjahresrhythmus zusammenzusetzen und sich vertieft mit einer Thematik zu befassen, die etwa Gegenstand des kommenden Insolvenzstrafrechtstags sein wird.

Der 3. Kölner Insolvenzstrafrechtstag – gemeinsam veranstaltet mit der ZInsO – findet voraussichtlich am 5. Mai 2016 statt und wird sich der in der Praxis höchst problematischen und bislang in Einzelheiten ungeklärten Frage widmen: „Wann ist ein Eröffnungsantrag ‚nicht richtig‘ gestellt i. S. v. § 15a Abs. 4, 2. Var. InsO?“. Geplant ist es, als Referenten Herrn Oberstaatsanwalt Hans Richter aus Stuttgart zu gewinnen.

Interessenten sind herzlich eingeladen, aktiv an den vorbereitenden Treffen mitzuwirken, auf andere Weise – etwa durch Beiträge im WiJ – die Thematik zu befruchten und bzw. oder im nächsten Jahr am 3. Insolvenzstrafrechtstag in Köln teilzunehmen. Als Ansprechpartner steht Ihnen der Sprecher des AK-Insolvenz-Strafrechts, Herr Rechtsanwalt Christof Püschel, unter insolvenzstrafrecht@wistev.de zur Verfügung.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Dennis Reschke
    Dr. Dennis Reschke ist als Strafverteidiger in der Kanzlei Redeker Sellner Dahs in Bonn tätig. Besonderer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Wirtschaftsstrafrecht und der strafrechtlichen Beratung von Unternehmen.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung