Raimund Weyand

Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht

I. Strafprozessrecht

1. Voraussetzung einer Durchsuchung nach § 102 StPO

Notwendiger Anlass einer Durchsuchung gemäß § 102 StPO ist ein hinreichender Anfangsverdacht, wobei die Verdachtsgründe auf hinreichend konkreten Tatsachen beruhen müssen.

Mit Blick auf die Schwere des Eingriffs einer Durchsuchung in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG bedarf eine solche Maßnahme der besonderen Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

BVerfG, Beschluss vom 08.01.2015 – 2 BvR 2419/13, GesR 2015, 162 = BeckRS 2015, 46586 mit Anm. Gutman, FD-StrafR 2015, 370585

Auch im neuen Berichtszeitraum hat das BVerfG wieder zur Anordnungspraxis der Ermittlungsrichter im Zusammenhang mit Durchsuchungen Stellung genommen (s. dazu schon die Hinweise in WiJ 2015, 160). In der jetzt entschiedenen Sache, die ein Ermittlungsverfahren gegen einen Arzt wegen Betruges (§ 263 StGB) und Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB) betraf, war zuvor eine einstweilige Anordnung ergangen, mit der den Ermittlungsbehörden die Sichtung und Auswertung sichergestellter Beweisgegenstände untersagt worden war (BVerfG, Beschluss vom 02.12.2013 – 2 BvR 2419/13, n.v.). Das BVerfG hat in seiner jetzt ergangenen Entscheidung die Durchsuchungsmaßnahme gebilligt, aber nochmals auf die besondere Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hingewiesen: Eingriffsintensität einerseits und Stärke des Verdachts bzw. Schwere der im Raum stehenden Sanktion andererseits müssen stets gegeneinander abgewogen werden. Der Richter hat die Durchsuchungsanordnung, die überdies aus sich selbst heraus verständlich sein muss, hinreichend zu bestimmen und ihren äußeren Rahmen auch festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 16.01.2015 – 2 BvR 440/14, WM 2015, 1034). Zudem muss der Beschluss den mutmaßlich verwirkten Straftatbestand genau bezeichnen (BVerfG, Beschluss vom 16.04.2015 – 2 BvR 2279/13, WM 2015, 1080).

2. Durchsuchung und Eilkompetenz

Aus Art. 13 GG ergibt sich die Verpflichtung des Staates, eine effektive Durchsetzung des grundrechtssichernden Richtervorbehalts zu gewährleisten.

Mit der Befassung des zuständigen Ermittlungs- oder Eilrichters durch die Stellung eines Antrags auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung und der dadurch eröffneten Möglichkeit präventiven Grundrechtsschutzes durch den Richter endet die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden.

Die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden kann nur dann neu begründet werden, wenn nach der Befassung des Richters tatsächliche Umstände eintreten oder bekannt werden, die sich nicht aus dem Prozess der Prüfung und Entscheidung über diesen Antrag ergeben, und hierdurch die Gefahr eines Beweismittelverlusts in einer Weise begründet wird, die der Möglichkeit einer rechtzeitigen richterlichen Entscheidung entgegensteht.

Auf die Ausgestaltung der justizinternen Organisation kann die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden nicht gestützt werden.

BVerfG, Beschluss vom 16.06.2015 – 2 BvR 2718/10, 2 BvR 1849/11, 2 BvR 2808/11, NStZ 2015, 529 mit Anm. Grube. S. auch Bittmann, NJW 2015, 2794

Der Beschluss hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Praxis der Ermittlungsbehörden: Sobald ein Ermittlungsrichter mit der Sache befasst wird, ist die Annahme von Gefahr im Verzug regelmäßig ausgeschlossen.  Anders als der BGH, der bei einem „unwilligen Ermittlungsrichter“ der Staatsanwaltschaft erlaubt hatte, Maßnahmen selbst wegen Gefahr im Verzug anzuordnen, sofern ein Beweismittelverlust droht (BGH, Beschluss vom 11.08.2005 – 5 StR 200/05, NStZ 2005, 114 mit Anm. Weyand, INF 2006, 51), hebt das BVerfG die besondere Bedeutung des Richtervorbehalts hervor. Dieser ist vorrangig auch dann zu beachten, wenn der zuständige Richter aus Arbeitsüberlastung oder wegen vorrangiger anderer Tätigkeiten über einen Antrag auf Erlass von Durchsuchungsmaßnahmen nicht entscheiden kann. Es ist Aufgabe der staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass ausreichende personelle und sachliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um die effektive Durchsetzung des präventiven Richtervorbehalts einerseits und eine funktionstüchtige Strafrechtspflege andererseits zu gewährleisten. Defizite insoweit rechtfertigen eine Einschränkung des präventiven richterlichen Grundrechtsschutzes nicht.

3. Strafprozessualer Arrest – §§ 111 ff. StPO

Wird im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Einzelnen entzogen, fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht lediglich eine Vermutung, dass es sich um strafrechtlich erlangtes Vermögen handelt. Vielmehr bedarf es einer besonders sorgfältigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung, damit der Betroffene gegen diese Rechtsschutz suchen kann.

Nach der Einfügung des staatlichen Auffangrechtserwerbs in § 111i Abs. 2 – 6 StPO ist neben dem Interesse des potenziell Geschädigten insbesondere das staatliche Interesse an der Abschöpfung inkriminierten Vermögens in die Abwägung einzubeziehen.

Hinsichtlich des Sicherstellungsinteresses (hier: eines Sozialversicherungsträgers) sind stets besondere Ermittlungen geboten. Aufgelaufene Zinsen und Säumniszuschläge sind regelmäßig nicht „aus der Tat“ erlangt und unterliegen daher nicht dem Verfall. Insoweit ist ggf. eine von der Beitragsschuld abweichende Arrestanordnung zu treffen.

BVerfG, Beschluss vom 17.04. 2015 – 2 BvR 1986/14, ZInsO 2015, 1496

Auch der Fiskus kann Verletzter i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB sein.

Der Umstand, dass über das Vermögen des Angeklagten das Insolvenzverfahren eröffnet ist, steht einer Feststellung gem. § 111i Abs. 2 StPO nicht entgegen.

BGH, Beschluss vom 12.03. 2015 – 2 StR 322/14, ZInsO 2015, 1569 = ZWH 2015, 227

Siehe zu dieser immer praxisrelevanteren Problematik zunächst die umfangreichen Rechtsprechungs- und Literaturnachweise in WiJ 2015, 82. Aus der neueren Literatur vgl. Bittmann, ZWH 2015, 58, ders., ZInsO 2015, 1758; Markgraf/Schulenburg, KTS 2015, 1; Pauka/Daners, NZI 2015, 646.

 

II. Materielles Strafrecht

Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr – § 299 StGB

Der Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH kann trotz der rechtlichen Selbstständigkeit der Gesellschaft den Tatbestand einer Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) nicht erfüllen. Anders als die Untreue (§ 266 StGB) ist § 299 StGB nicht auf vermögensbezogene Pflichtverletzungen ausgerichtet.

LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 22.04. 2015 – 5/12 Qs 1/15, ZInsO 2015, 1287 = ZIP 2015, 1534 mit Anm. Rathgeber, FD-StrafR 2015, 369522

 

III. Weitere Entscheidung mit strafrechtlichem Bezug

1. Haftung eines Geschäftsführers für Beiträge zur Gesamtsozialversicherung – § 823 Abs.2 BGB iVm § 266a StGB

§ 266a StGB stellt ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar. Der Geschäftsführer einer zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichteten Gesellschaft, der gemäß § 35 Abs. 1 GmbHG als deren gesetzlicher Vertreter die Arbeitgeberfunktion für diese ausübt, ist über § 14 StGB Normadressat des Schutzgesetzes.

Ein Vorenthalten im Sinne des § 266a StGB ist gegeben, wenn die Beiträge zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht entrichtet werden.

Der einzelne Geschäftsführer einer GmbH bleibt kraft seiner Amtsstellung und seiner nach dem Gesetz gegebenen „Allzuständigkeit“ für alle Angelegenheiten der Gesellschaft und damit auch für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflichten der Gesellschaft, zu denen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge gehört, verantwortlich, auch wenn die diesbezüglichen Aufgaben durch interne Zuständigkeitsverteilung oder durch Delegation auf andere Personen übertragen wurden. Es bleiben stets Überwachungspflichten, die Veranlassung zum Eingreifen geben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung von der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den (intern) zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Arbeitnehmer nicht mehr gewährleistet ist. Bei einer offensichtlichen Finanzkrise der Gesellschaft ist der Geschäftsführer gehalten, aufgrund eigener Kontrolle Sorge dafür zu tragen, dass die Zahlungspflichten auch tatsächlich erfüllt werden. Auf die Zusage des Mitgeschäftsführers darf er nicht vertrauen, sondern muss selbst kontrollieren müssen, ob die Beiträge tatsächlich abgeführt werden.

Für die Annahme der zur Enthaftung des Geschäftsführers führenden Unmöglichkeit der Leistung ist noch nicht ausreichend, dass die Gesellschaft nicht mehr genug Mittel hat, um allen bestehenden Verbindlichkeiten nachzukommen. Erforderlich ist, dass das Unternehmen nicht mehr über genug liquide Mittel verfügt, um gerade die konkret geschuldete Forderung (und nur diese) zu decken. Der Arbeitgeber ist in einer Krisensituation gehalten, durch geeignete Maßnahmen, etwa durch die Aufstellung eines Liquiditätsplanes und die Bildung ausreichender Rücklagen unter Zurückstellung anderer Zahlungsverpflichtungen, notfalls auch durch Kürzung der auszuzahlenden Löhne, sicher zu stellen, dass er die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung auch wird fristgerecht abführen können.

Die Haftung des Geschäftsführers entfällt, wenn die Zahlungen an den Sozialversicherungsträger später hätten erfolgreich gemäß § 130 InsO angefochten werden können; zur hierfür erforderlichen Kenntnis des Sozialversicherungsträgers.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.09.2014 – I-21 U 38/14, ZInsO 2015, 861 = NZI 2015, 517 = ZWH 2015, 196 mit Anm. Kluth, NZI 2015, 521

2. Gewerbeuntersagung bei Insolvenzstraftat und steuerlichen Säumnissen – § 35 GewO

Ein GmbH-Geschäftsführer, der wegen Insolvenzverschleppung vorbestraft ist, und dessen Gesellschaft in steuerlicher Hinsicht säumig ist, bietet keine Gewähr dafür, dass er in Zukunft ein seiner bisherigen Tätigkeit entsprechendes Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird.

VG Augsburg, Urteil vom 26.03.2015 – Au 5 K 14.1253, ZInsO 2015, 1290

3. Pflicht des GmbH-Geschäftsführers zur Mittelvorsorge – §§ 34, 35 AO

Der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person, der seine Pflicht verletzt, Steuern bzw. die steuerlichen Nebenleistungen aus den Mitteln zu entrichten, die er verwaltet, handelt i.d.R. grob fahrlässig.

Reichen die vorhandenen Mittel nicht aus, um alle Schulden zu bezahlen, müssen die im Zeitpunkt der Fälligkeit vorhandenen Mittel lediglich anteilig zur Befriedigung des Steuergläubigers und der übrigen Gläubiger eingesetzt werden.

VG Arnsberg, Urteil vom 16.04.2015 – 5 K 482/15, ZInsO 2015, 1354

I. Strafprozessrecht

1. Voraussetzung einer Durchsuchung nach § 102 StPO

Notwendiger Anlass einer Durchsuchung gemäß § 102 StPO ist ein hinreichender Anfangsverdacht, wobei die Verdachtsgründe auf hinreichend konkreten Tatsachen beruhen müssen.

Mit Blick auf die Schwere des Eingriffs einer Durchsuchung in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG bedarf eine solche Maßnahme der besonderen Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

BVerfG, Beschluss vom 08.01.2015 – 2 BvR 2419/13, GesR 2015, 162 = BeckRS 2015, 46586 mit Anm. Gutman, FD-StrafR 2015, 370585

Auch im neuen Berichtszeitraum hat das BVerfG wieder zur Anordnungspraxis der Ermittlungsrichter im Zusammenhang mit Durchsuchungen Stellung genommen (s. dazu schon die Hinweise in WiJ 2015, 160). In der jetzt entschiedenen Sache, die ein Ermittlungsverfahren gegen einen Arzt wegen Betruges (§ 263 StGB) und Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB) betraf, war zuvor eine einstweilige Anordnung ergangen, mit der den Ermittlungsbehörden die Sichtung und Auswertung sichergestellter Beweisgegenstände untersagt worden war (BVerfG, Beschluss vom 02.12.2013 – 2 BvR 2419/13, n.v.). Das BVerfG hat in seiner jetzt ergangenen Entscheidung die Durchsuchungsmaßnahme gebilligt, aber nochmals auf die besondere Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hingewiesen: Eingriffsintensität einerseits und Stärke des Verdachts bzw. Schwere der im Raum stehenden Sanktion andererseits müssen stets gegeneinander abgewogen werden. Der Richter hat die Durchsuchungsanordnung, die überdies aus sich selbst heraus verständlich sein muss, hinreichend zu bestimmen und ihren äußeren Rahmen auch festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 16.01.2015 – 2 BvR 440/14, WM 2015, 1034). Zudem muss der Beschluss den mutmaßlich verwirkten Straftatbestand genau bezeichnen (BVerfG, Beschluss vom 16.04.2015 – 2 BvR 2279/13, WM 2015, 1080).

2. Durchsuchung und Eilkompetenz

Aus Art. 13 GG ergibt sich die Verpflichtung des Staates, eine effektive Durchsetzung des grundrechtssichernden Richtervorbehalts zu gewährleisten.

Mit der Befassung des zuständigen Ermittlungs- oder Eilrichters durch die Stellung eines Antrags auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung und der dadurch eröffneten Möglichkeit präventiven Grundrechtsschutzes durch den Richter endet die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden.

Die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden kann nur dann neu begründet werden, wenn nach der Befassung des Richters tatsächliche Umstände eintreten oder bekannt werden, die sich nicht aus dem Prozess der Prüfung und Entscheidung über diesen Antrag ergeben, und hierdurch die Gefahr eines Beweismittelverlusts in einer Weise begründet wird, die der Möglichkeit einer rechtzeitigen richterlichen Entscheidung entgegensteht.

Auf die Ausgestaltung der justizinternen Organisation kann die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden nicht gestützt werden.

BVerfG, Beschluss vom 16.06.2015 – 2 BvR 2718/10, 2 BvR 1849/11, 2 BvR 2808/11, NStZ 2015, 529 mit Anm. Grube. S. auch Bittmann, NJW 2015, 2794

Der Beschluss hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Praxis der Ermittlungsbehörden: Sobald ein Ermittlungsrichter mit der Sache befasst wird, ist die Annahme von Gefahr im Verzug regelmäßig ausgeschlossen.  Anders als der BGH, der bei einem „unwilligen Ermittlungsrichter“ der Staatsanwaltschaft erlaubt hatte, Maßnahmen selbst wegen Gefahr im Verzug anzuordnen, sofern ein Beweismittelverlust droht (BGH, Beschluss vom 11.08.2005 – 5 StR 200/05, NStZ 2005, 114 mit Anm. Weyand, INF 2006, 51), hebt das BVerfG die besondere Bedeutung des Richtervorbehalts hervor. Dieser ist vorrangig auch dann zu beachten, wenn der zuständige Richter aus Arbeitsüberlastung oder wegen vorrangiger anderer Tätigkeiten über einen Antrag auf Erlass von Durchsuchungsmaßnahmen nicht entscheiden kann. Es ist Aufgabe der staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass ausreichende personelle und sachliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um die effektive Durchsetzung des präventiven Richtervorbehalts einerseits und eine funktionstüchtige Strafrechtspflege andererseits zu gewährleisten. Defizite insoweit rechtfertigen eine Einschränkung des präventiven richterlichen Grundrechtsschutzes nicht.

3. Strafprozessualer Arrest – §§ 111 ff. StPO

Wird im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Einzelnen entzogen, fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht lediglich eine Vermutung, dass es sich um strafrechtlich erlangtes Vermögen handelt. Vielmehr bedarf es einer besonders sorgfältigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung, damit der Betroffene gegen diese Rechtsschutz suchen kann.

Nach der Einfügung des staatlichen Auffangrechtserwerbs in § 111i Abs. 2 – 6 StPO ist neben dem Interesse des potenziell Geschädigten insbesondere das staatliche Interesse an der Abschöpfung inkriminierten Vermögens in die Abwägung einzubeziehen.

Hinsichtlich des Sicherstellungsinteresses (hier: eines Sozialversicherungsträgers) sind stets besondere Ermittlungen geboten. Aufgelaufene Zinsen und Säumniszuschläge sind regelmäßig nicht „aus der Tat“ erlangt und unterliegen daher nicht dem Verfall. Insoweit ist ggf. eine von der Beitragsschuld abweichende Arrestanordnung zu treffen.

BVerfG, Beschluss vom 17.04. 2015 – 2 BvR 1986/14, ZInsO 2015, 1496

Auch der Fiskus kann Verletzter i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB sein.

Der Umstand, dass über das Vermögen des Angeklagten das Insolvenzverfahren eröffnet ist, steht einer Feststellung gem. § 111i Abs. 2 StPO nicht entgegen.

BGH, Beschluss vom 12.03. 2015 – 2 StR 322/14, ZInsO 2015, 1569 = ZWH 2015, 227

Siehe zu dieser immer praxisrelevanteren Problematik zunächst die umfangreichen Rechtsprechungs- und Literaturnachweise in WiJ 2015, 82. Aus der neueren Literatur vgl. Bittmann, ZWH 2015, 58, ders., ZInsO 2015, 1758; Markgraf/Schulenburg, KTS 2015, 1; Pauka/Daners, NZI 2015, 646.

 

II. Materielles Strafrecht

Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr – § 299 StGB

Der Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH kann trotz der rechtlichen Selbstständigkeit der Gesellschaft den Tatbestand einer Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) nicht erfüllen. Anders als die Untreue (§ 266 StGB) ist § 299 StGB nicht auf vermögensbezogene Pflichtverletzungen ausgerichtet.

LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 22.04. 2015 – 5/12 Qs 1/15, ZInsO 2015, 1287 = ZIP 2015, 1534 mit Anm. Rathgeber, FD-StrafR 2015, 369522

 

III. Weitere Entscheidung mit strafrechtlichem Bezug

1. Haftung eines Geschäftsführers für Beiträge zur Gesamtsozialversicherung – § 823 Abs.2 BGB iVm § 266a StGB

§ 266a StGB stellt ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar. Der Geschäftsführer einer zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichteten Gesellschaft, der gemäß § 35 Abs. 1 GmbHG als deren gesetzlicher Vertreter die Arbeitgeberfunktion für diese ausübt, ist über § 14 StGB Normadressat des Schutzgesetzes.

Ein Vorenthalten im Sinne des § 266a StGB ist gegeben, wenn die Beiträge zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht entrichtet werden.

Der einzelne Geschäftsführer einer GmbH bleibt kraft seiner Amtsstellung und seiner nach dem Gesetz gegebenen „Allzuständigkeit“ für alle Angelegenheiten der Gesellschaft und damit auch für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflichten der Gesellschaft, zu denen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge gehört, verantwortlich, auch wenn die diesbezüglichen Aufgaben durch interne Zuständigkeitsverteilung oder durch Delegation auf andere Personen übertragen wurden. Es bleiben stets Überwachungspflichten, die Veranlassung zum Eingreifen geben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung von der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den (intern) zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Arbeitnehmer nicht mehr gewährleistet ist. Bei einer offensichtlichen Finanzkrise der Gesellschaft ist der Geschäftsführer gehalten, aufgrund eigener Kontrolle Sorge dafür zu tragen, dass die Zahlungspflichten auch tatsächlich erfüllt werden. Auf die Zusage des Mitgeschäftsführers darf er nicht vertrauen, sondern muss selbst kontrollieren müssen, ob die Beiträge tatsächlich abgeführt werden.

Für die Annahme der zur Enthaftung des Geschäftsführers führenden Unmöglichkeit der Leistung ist noch nicht ausreichend, dass die Gesellschaft nicht mehr genug Mittel hat, um allen bestehenden Verbindlichkeiten nachzukommen. Erforderlich ist, dass das Unternehmen nicht mehr über genug liquide Mittel verfügt, um gerade die konkret geschuldete Forderung (und nur diese) zu decken. Der Arbeitgeber ist in einer Krisensituation gehalten, durch geeignete Maßnahmen, etwa durch die Aufstellung eines Liquiditätsplanes und die Bildung ausreichender Rücklagen unter Zurückstellung anderer Zahlungsverpflichtungen, notfalls auch durch Kürzung der auszuzahlenden Löhne, sicher zu stellen, dass er die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung auch wird fristgerecht abführen können.

Die Haftung des Geschäftsführers entfällt, wenn die Zahlungen an den Sozialversicherungsträger später hätten erfolgreich gemäß § 130 InsO angefochten werden können; zur hierfür erforderlichen Kenntnis des Sozialversicherungsträgers.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.09.2014 – I-21 U 38/14, ZInsO 2015, 861 = NZI 2015, 517 = ZWH 2015, 196 mit Anm. Kluth, NZI 2015, 521

2. Gewerbeuntersagung bei Insolvenzstraftat und steuerlichen Säumnissen – § 35 GewO

Ein GmbH-Geschäftsführer, der wegen Insolvenzverschleppung vorbestraft ist, und dessen Gesellschaft in steuerlicher Hinsicht säumig ist, bietet keine Gewähr dafür, dass er in Zukunft ein seiner bisherigen Tätigkeit entsprechendes Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird.

VG Augsburg, Urteil vom 26.03.2015 – Au 5 K 14.1253, ZInsO 2015, 1290

3. Pflicht des GmbH-Geschäftsführers zur Mittelvorsorge – §§ 34, 35 AO

Der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person, der seine Pflicht verletzt, Steuern bzw. die steuerlichen Nebenleistungen aus den Mitteln zu entrichten, die er verwaltet, handelt i.d.R. grob fahrlässig.

Reichen die vorhandenen Mittel nicht aus, um alle Schulden zu bezahlen, müssen die im Zeitpunkt der Fälligkeit vorhandenen Mittel lediglich anteilig zur Befriedigung des Steuergläubigers und der übrigen Gläubiger eingesetzt werden.

VG Arnsberg, Urteil vom 16.04.2015 – 5 K 482/15, ZInsO 2015, 1354

Autorinnen und Autoren

  • Raimund Weyand
    Raimund Weyand war bis zum seinem Eintritt in den Ruhestand am 31.12.2021 stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Insolvenz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und hat auf diesen Themengebieten bereits zahlreiche Beiträge publiziert. Weyand ist (Mit-)Verfasser mehrerer insolvenz- und wirtschaftsstrafrechtlicher Buchveröffentlichungen, Mitautor des Kommentars von Graf/Jäger/Wittig zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht und gehört seit deren Gründung dem Herausgebergremium der Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) an.

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)