Prof. Dr. Georg Steinberg

Markus Füllsack/Sebastian Bürger: Praxis der Selbstanzeige

Müller Heidelberg 2015, XXII, 222 S.

Im Vorwort ihres Buches weisen die Sindelfinger Rechtsanwälte Prof. Dr. Markus Füllsack und Dr. Sebastian Bürger darauf hin, dass infolge des Selbstanzeigebooms der letzten Jahre sowie der seit 1.1.2015 geltenden Neuregelung „Selbstanzeigebücher … Konjunktur“ haben. Dieses Selbstanzeigebuch sticht heraus, indem es den Autoren gelingt, die Materie einerseits, praxisorientiert, den einzelnen Schritten bei der Begleitung des Mandanten nachzuempfinden (im Mittelpunkt steht das Mandatsgespräch), in diesem Gefüge andererseits, geglückt und ohne Verwerfungen, die steuerstrafrechtliche Materie dogmatisch klar geordnet und strukturiert zu schildern; konkretisierende Mustertexte im Anhang runden die Darstellung ab.

Nachdem sie im ersten einleitenden Kapitel die praktische Bedeutung der Selbstanzeige mit Zahlenmaterial (seit 2010 über 100.000 (!)) belegen und die aktuellen Neuregelungen synoptisch greifbar machen, skizzieren die Autoren im zweiten Kapitel zunächst kurz den – parallelen – Gesamtverlauf von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren bei Selbstanzeige, um dann die Variationsbreite der Fallkonstellationen, die dem Berater im Erstgespräch begegnen können, in Fallgruppen geordnet zu schildern – nach den Kriterien der beteiligten Personen (eine/mehrere natürliche Personen/Gesellschaften), der betroffenen Steuerarten („reine Zinsfälle“ bezüglich Einkommensteuer, „Schwarzgeldfälle“, Erbschaft- und Schenkungsteuer-, sowie Umsatzsteuerfälle) sowie auch der psychischen Konstitution des/der Mandanten. Aus dieser Viel­gestaltigkeit kann nur folgen, dass der Berater sich hinreichend Zeit nehmen sollte, mit dem Mandanten eine individuell passgenaue Strategie zu erarbeiten, deren Befolgung oder Nichtbefolgung indes selbstverständlich in der Entscheidung des Mandaten liegt. Im dritten Kapitel wählen die Autoren aus dem aufgezeigten Variantenspektrum Fallkonstellationen, die nach praktischer Erfahrung besonders häufig auftreten bzw. spezifische Charakteristika aufweisen, zu näherer Erläuterung aus, etwa Fälle des § 153 AO bei Erbschaft, „Betriebsprüfungsfälle“, Fälle mit internationaler Dimension und „Stiftungsfälle“. Die Darstellungen sind jeweils anschaulich, wo es sinnvoll ist exemplifiziert, und dabei sprachlich knapp und klar, so dass sie einen raschen Einstieg in das jeweilige Problemfeld ermöglichen.

Das mit 62 Seiten längste und inhaltlich gewichtigste vierte Kapitel beantwortet die praktischen Fragen, unter welchen Voraussetzungen und wie eine Selbstanzeige konkret anzufertigen ist, womit zugleich, in geglückter Verbindung, in der Art eines systematischen Kommentars die Voraussetzungen des § 371 AO abgehandelt werden. Zentral ist hier zunächst die Darstellung der inhaltlichen Anforderungen, wobei die Verfasser insbesondere die Bedeutung (großzügiger) Schätzungen zwecks Erreichung der nunmehr geforderten „Vollständigkeit“ hervorheben; um diese letztere auf den aufzuarbeitenden Zeitraum hin zu präzisieren, legen die Verfasser in instruktiver Weise die aktuellen Verjährungsvorschriften im Detail dar. Den folgenden sachlichen Schwerpunkt bildet der – zum 1.1.2015 erheblich modifizierte – Katalog der Sperrgründe; neben Ausführungen zu den traditionellen Sperrgründen gehen die Autoren sorgsam etwa auf die Überschreitung der 25.000.-€-Grenze sowie die Verwirklichung eines benannten schweren Falls ein (vgl. § 371 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4 AO); das Kapitel schließt mit praktischen Hinweisen zur Nachzahlungspflicht.

Nicht zwingend im Aufbau, indes inhaltlich ebenso instruktiv, ist die Darstellung „Wichtiger Sonderkonstellationen“ im fünften Kapitel: Es werden (der systematisch überzeugend im vorangehenden Kapitel nur angerissene) § 398a AO ausführlich erörtert nebst dem in taktischer Hinsicht wichtigen und dogmatisch in komplizierter Nähe zu § 371 AO stehenden § 153 AO, des Weiteren Beachtenswertes zur Selbstanzeige in Schenkungs- und Nachlassfällen sowie zur Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO. Das sechste Kapitel schreitet den Kreis der Rechtsfolgen einer Selbstanzeige aus, neben den straf- und steuerrechtlichen abrundend auch die disziplinarrechtlichen. Wenn die Autoren dieses Buches, ohne dass sie Risiken und Problemfelder beschönigen, einen angenehm unaufgeregten Stil pflegen, so gilt dies besonders für das abschließende siebte Kapitel. Die zweimalige gesetzliche Verschärfung der Anforderungen seit 2011 interpretieren sie als – begrüßenswertes – Bekenntnis zum Institut der Selbstanzeige als solchen und konzentrieren sich nüchtern auf die von der Praxis noch zu bewältigenden offenen Fragen der Neuregelung, wie etwa das Verhältnis von § 371 zu § 153 AO sowie Einzelfragen zu Sperrgründen und Nachzahlungspflicht. Mit bemerkenswerter – und überzeugender – Strenge gehen die Autoren hingegen mit § 398a AO ins Gericht, dem sie verfassungsmäßig fragwürdige Unbestimmtheit und, als Korrelat, vielfältige praktische Unklarheit, daher mangelde Handhabbarkeit vorwerfen.

Wann, nach alledem, ist eine Selbstanzeige nach aktuellem Recht noch ratsam? Nur in „ausgewählten Bereichen“ könnten, so die Autoren, Anonymität und Straffreiheit als klassische Mandantenanliegen noch durch Selbstanzeige erreicht werden: einerseits in „einfachen“ punktuellen Fällen sowie hinsichtlich Materiallieferungs- und Nachzahlungspflicht überschaubaren und zu bewältigenden „Zinsfällen“; andererseits bei drohender großer finanzieller oder sozialer „Fallhöhe“ (Reicher oder Prominenter) oder wenn Untersuchungs- oder Strafhaft drohen. Die Masse der mittelschweren Fälle also ist es, bei denen zwischen Entdeckungsrisiko einerseits und finanziellen und sozialen Belastungen einer Selbstanzeige zuzüglich des Risikos ihres Scheiterns andererseits sorgfältig abzuwägen und gegebenenfalls gegen eine Selbstanzeige zu raten ist. Dass dieses Resümee dem Gesetzgeber zu denken geben sollte, steht auf einem anderen Blatt. Worauf der Berater in der Bandbreite der Fallkonstellationen zu achten hat, legen jedenfalls die Autoren dieses lehrreichen Leitfadens gestützt auf langjährige Beratungserfahrung dar, wobei sie sprachliche Klarheit und praxisorientierte Anschaulichkeit mit (in anderer praktisch ausgerichteter Literatur mitunter vermisster) dogmatischer Sorgfalt geglückt verbinden.

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Müller Heidelberg 2015, XXII, 222 S.

Im Vorwort ihres Buches weisen die Sindelfinger Rechtsanwälte Prof. Dr. Markus Füllsack und Dr. Sebastian Bürger darauf hin, dass infolge des Selbstanzeigebooms der letzten Jahre sowie der seit 1.1.2015 geltenden Neuregelung „Selbstanzeigebücher … Konjunktur“ haben. Dieses Selbstanzeigebuch sticht heraus, indem es den Autoren gelingt, die Materie einerseits, praxisorientiert, den einzelnen Schritten bei der Begleitung des Mandanten nachzuempfinden (im Mittelpunkt steht das Mandatsgespräch), in diesem Gefüge andererseits, geglückt und ohne Verwerfungen, die steuerstrafrechtliche Materie dogmatisch klar geordnet und strukturiert zu schildern; konkretisierende Mustertexte im Anhang runden die Darstellung ab.

Nachdem sie im ersten einleitenden Kapitel die praktische Bedeutung der Selbstanzeige mit Zahlenmaterial (seit 2010 über 100.000 (!)) belegen und die aktuellen Neuregelungen synoptisch greifbar machen, skizzieren die Autoren im zweiten Kapitel zunächst kurz den – parallelen – Gesamtverlauf von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren bei Selbstanzeige, um dann die Variationsbreite der Fallkonstellationen, die dem Berater im Erstgespräch begegnen können, in Fallgruppen geordnet zu schildern – nach den Kriterien der beteiligten Personen (eine/mehrere natürliche Personen/Gesellschaften), der betroffenen Steuerarten („reine Zinsfälle“ bezüglich Einkommensteuer, „Schwarzgeldfälle“, Erbschaft- und Schenkungsteuer-, sowie Umsatzsteuerfälle) sowie auch der psychischen Konstitution des/der Mandanten. Aus dieser Viel­gestaltigkeit kann nur folgen, dass der Berater sich hinreichend Zeit nehmen sollte, mit dem Mandanten eine individuell passgenaue Strategie zu erarbeiten, deren Befolgung oder Nichtbefolgung indes selbstverständlich in der Entscheidung des Mandaten liegt. Im dritten Kapitel wählen die Autoren aus dem aufgezeigten Variantenspektrum Fallkonstellationen, die nach praktischer Erfahrung besonders häufig auftreten bzw. spezifische Charakteristika aufweisen, zu näherer Erläuterung aus, etwa Fälle des § 153 AO bei Erbschaft, „Betriebsprüfungsfälle“, Fälle mit internationaler Dimension und „Stiftungsfälle“. Die Darstellungen sind jeweils anschaulich, wo es sinnvoll ist exemplifiziert, und dabei sprachlich knapp und klar, so dass sie einen raschen Einstieg in das jeweilige Problemfeld ermöglichen.

Das mit 62 Seiten längste und inhaltlich gewichtigste vierte Kapitel beantwortet die praktischen Fragen, unter welchen Voraussetzungen und wie eine Selbstanzeige konkret anzufertigen ist, womit zugleich, in geglückter Verbindung, in der Art eines systematischen Kommentars die Voraussetzungen des § 371 AO abgehandelt werden. Zentral ist hier zunächst die Darstellung der inhaltlichen Anforderungen, wobei die Verfasser insbesondere die Bedeutung (großzügiger) Schätzungen zwecks Erreichung der nunmehr geforderten „Vollständigkeit“ hervorheben; um diese letztere auf den aufzuarbeitenden Zeitraum hin zu präzisieren, legen die Verfasser in instruktiver Weise die aktuellen Verjährungsvorschriften im Detail dar. Den folgenden sachlichen Schwerpunkt bildet der – zum 1.1.2015 erheblich modifizierte – Katalog der Sperrgründe; neben Ausführungen zu den traditionellen Sperrgründen gehen die Autoren sorgsam etwa auf die Überschreitung der 25.000.-€-Grenze sowie die Verwirklichung eines benannten schweren Falls ein (vgl. § 371 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4 AO); das Kapitel schließt mit praktischen Hinweisen zur Nachzahlungspflicht.

Nicht zwingend im Aufbau, indes inhaltlich ebenso instruktiv, ist die Darstellung „Wichtiger Sonderkonstellationen“ im fünften Kapitel: Es werden (der systematisch überzeugend im vorangehenden Kapitel nur angerissene) § 398a AO ausführlich erörtert nebst dem in taktischer Hinsicht wichtigen und dogmatisch in komplizierter Nähe zu § 371 AO stehenden § 153 AO, des Weiteren Beachtenswertes zur Selbstanzeige in Schenkungs- und Nachlassfällen sowie zur Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO. Das sechste Kapitel schreitet den Kreis der Rechtsfolgen einer Selbstanzeige aus, neben den straf- und steuerrechtlichen abrundend auch die disziplinarrechtlichen. Wenn die Autoren dieses Buches, ohne dass sie Risiken und Problemfelder beschönigen, einen angenehm unaufgeregten Stil pflegen, so gilt dies besonders für das abschließende siebte Kapitel. Die zweimalige gesetzliche Verschärfung der Anforderungen seit 2011 interpretieren sie als – begrüßenswertes – Bekenntnis zum Institut der Selbstanzeige als solchen und konzentrieren sich nüchtern auf die von der Praxis noch zu bewältigenden offenen Fragen der Neuregelung, wie etwa das Verhältnis von § 371 zu § 153 AO sowie Einzelfragen zu Sperrgründen und Nachzahlungspflicht. Mit bemerkenswerter – und überzeugender – Strenge gehen die Autoren hingegen mit § 398a AO ins Gericht, dem sie verfassungsmäßig fragwürdige Unbestimmtheit und, als Korrelat, vielfältige praktische Unklarheit, daher mangelde Handhabbarkeit vorwerfen.

Wann, nach alledem, ist eine Selbstanzeige nach aktuellem Recht noch ratsam? Nur in „ausgewählten Bereichen“ könnten, so die Autoren, Anonymität und Straffreiheit als klassische Mandantenanliegen noch durch Selbstanzeige erreicht werden: einerseits in „einfachen“ punktuellen Fällen sowie hinsichtlich Materiallieferungs- und Nachzahlungspflicht überschaubaren und zu bewältigenden „Zinsfällen“; andererseits bei drohender großer finanzieller oder sozialer „Fallhöhe“ (Reicher oder Prominenter) oder wenn Untersuchungs- oder Strafhaft drohen. Die Masse der mittelschweren Fälle also ist es, bei denen zwischen Entdeckungsrisiko einerseits und finanziellen und sozialen Belastungen einer Selbstanzeige zuzüglich des Risikos ihres Scheiterns andererseits sorgfältig abzuwägen und gegebenenfalls gegen eine Selbstanzeige zu raten ist. Dass dieses Resümee dem Gesetzgeber zu denken geben sollte, steht auf einem anderen Blatt. Worauf der Berater in der Bandbreite der Fallkonstellationen zu achten hat, legen jedenfalls die Autoren dieses lehrreichen Leitfadens gestützt auf langjährige Beratungserfahrung dar, wobei sie sprachliche Klarheit und praxisorientierte Anschaulichkeit mit (in anderer praktisch ausgerichteter Literatur mitunter vermisster) dogmatischer Sorgfalt geglückt verbinden.

Autorinnen und Autoren

  • Prof. Dr. Georg Steinberg
    EBS Universität, Wiesbaden, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung