Raimund Weyand

Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht

I. Strafprozessrecht

1. Entbindungsbefugnis des Insolvenzverwalters – § 53 Abs. 1 StPO

Der Insolvenzverwalter kann in einem Strafverfahren gegen frühere Organe der insolventen juristischen Person Berufsgeheimnisträger von der Wahrung ihrer Schweigepflicht umfassend entbinden. Eine zusätzliche Entbindungserklärung des ehemaligen Geschäftsführers bzw. Vorstands ist nicht erforderlich.

OLG Köln, Beschluss vom 01.09.2015 – 2 Ws 544/15, StV 2016, 8 = ZInsO 2016,157; zu der Entscheidung s. die krit. Anm. von Gatzweiler/Wöly, StV 2016, 10, und von Weber, FD-StrafR 2016, 375400

Ob der Insolvenzverwalter einen Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht entbinden kann, ist noch immer umstritten. Teils wird vertreten, dass daneben auch das (frühere) Organ eine kumulative Entbindungserklärung abgeben muss (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.12.1992 – 1 Ws 1166/92, wistra 1993, 120). Der Senat schließt sich aber explizit der Gegenauffassung an (vgl. schon Weyand, wistra 1995, 240; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2009 – 1 Ws 289/09, ZInsO 2009, 2399). Nach ihr ist allein die juristische Person in ihren „Geheimnissen“ geschützt. Nur sie hat die Entscheidungsbefugnis darüber, ob eine von ihr beauftragte Person von der Schweigepflicht zu entbinden ist. Die Entscheidung trifft daher allein der gesetzliche Vertreter des Unternehmens zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung. Früheren Organen steht eine solche Befugnis unabhängig von dem Grund, aus dem sie ausgeschieden sind, nicht mehr zu. Auf deren (zusätzliche) Erklärung kommt es nicht mehr an. Im Fall einer Insolvenz geht die Befugnis vollständig auf den Insolvenzverwalter über. Möglicherweise anders ist zu entscheiden, wenn sowohl die juristische Person als auch deren früheres Organ den Berufsgeheimnisträger beauftragt haben. Denn dann können gleichfalls persönliche oder private Interessen des Betroffenen von einer Aussage berührt sein. Ein solches Doppelmandat lag in der zu entscheidenden Sache aber unstreitig nicht vor, weshalb der Senat diese Frage letztlich offen lässt.

2. Beschlagnahmefreiheit von Anwaltsunterlagen – § 97 StPO

Verteidigungsunterlagen im Sinne des § 148 StPO sind auch dann beschlagnahmefrei, wenn sie sich im Gewahrsam des Beschuldigten befinden. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Betroffenen ist dabei keine notwendige Voraussetzung. Eine schutzwürdige Vertrauensbeziehung zur Vorbereitung einer Verteidigung kann auch dann bestehen, wenn der potentiell Beschuldigte lediglich befürchtet, es werde zukünftig ein Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt.

LG Brauschweig, Beschluss vom 21.07.2015 – 6 Qs 116/15, wistra 2016, 40; zu der Entscheidung s. die Anm. von Szesny, BB 2015, 2772, und von Helck, jurisPR-Compl 3/2015 Anm. 1

Die Entscheidung betrifft die Beschlagnahme von Unterlagen, die von mit internal investigations beauftragten Rechtsanwälten erstellt worden waren. In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung die Beschlagnahmefreiheit derartiger Unterlagen grundsätzlich abgelehnt; vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2011 – 608 Qs 18/10, wistra 2011, 192, sowie auch LG Mannheim, Beschluss vom 03.07.2010 – 24 Qs 1/12 und 2/12, wistra 2012, 400. Das LG Braunschweig ist weitergehend der Auffassung, auch derartige Dokumente unterlägen dem Beschlagnahmeprivileg des § 97 StPO.

3. Akteneinsichtsrecht des Verletzten – § 406e StPO

Das Recht auf Einsicht in die Verfahrensakten kann dem Verletzten auch dann uneingeschränkt zustehen, wenn seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt. Der Gefahr der Beeinträchtigung des Untersuchungszwecks (§ 406e Abs. 2 Satz 2 StPO – hier durch Erschweren der Beweiswürdigung) kann dadurch begegnet werden, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Verletzten zusichert, die Akten an den Verletzten nicht weiterzugeben.

OLG Braunschweig, Beschluss vom 03.12.2015 – 1 Ws 309/15, wistra 2016, xxx; zu der Entscheidung s. die krit. Anm. von Meyer-Lohkamp, jurisPR-StrafR 2/2016 Anm. 5. A.A. OLG Hamburg, Beschluss von 24.10.2014 – 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105 mit Anm. Radtke; hiernach ist Akteneinsicht zu versagen, wenn die Angaben des Verletzten zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt. Umfassend zu der Problematik vgl. Baumhöfener, NStZ 2014, 135.

II. Materielles Strafrecht

Besonders schwerer Fall der Bestechlichkeit – § 335 Abs. 2 StGB

Ein Vorteil „großen Ausmaßes“ i.S.d. § 335 Abs. 2 Nr. 1 StGB liegt jedenfalls bei einem Betrag von mehr als 50.000 € vor.

BGH, Urteil vom 23.11.2015 – 5 StR 352/15, wistra 2016, 155

Der Senat überträgt die diesbezügliche Rechtsprechung zum § 263 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative (BGH, Urteil vom 07.10.2003 – 1 StR 274/03, wistra 2004, 22; s. auch BGH, Urteil vom 20.11.1990 – 1 StR 548/90, wistra 1991, 106 zu § 264 Abs. 2 StGB) und der Steuerverkürzung sowie der Erlangung von Steuervorteilen „in großem Ausmaß“ nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO (BGH, Urteil vom 02.12.2008 – 1 StR 416/08, wistra 2009, 107) auch auf Vorwürfe der Bestechlichkeit.

 

III. Weitere Entscheidung mit strafrechtlichem Bezug

1. Haftung eines Geschäftsführers für nichtabgeführte Beiträge an eine Pensionskasse – § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 266a StGB

Führt ein Arbeitgeber die Beiträge an eine Pensionskasse nicht ab und unterrichtet der Geschäftsführer die Arbeitnehmer nicht spätestens bei Fälligkeit oder unverzüglich danach, kommt die deliktische Haftung des Geschäftsführers aus § 823 Abs. 2 StGB i.V.m. § 266a Abs. 3 StGB in Betracht.

Dies gilt, wenn die Beiträge aus Entgeltbestandteilen der Arbeitnehmer bezahlt werden, sei es im Wege der Entgeltumwandlung oder weil es sich um einen Zuschuss des Arbeitgebers zur Entgeltumwandlung handelt, der ebenfalls Entgeltbestandteil ist. Gleiches gilt für einen tariflichen Altersvorsorgebeitrag, wenn die Auslegung des Tarifvertrags ergibt, dass es sich dabei um einen Entgeltbestandteil handelt. Ob dieser an den Arbeitnehmer unmittelbar hätte ausgezahlt werden dürfen, ist unerheblich.

Für die Strafbarkeit des § 266a Abs. 3 StGB ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer Versicherungsnehmer der Pensionskasse ist. Es reicht aus, wenn der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer Beiträge zu Gunsten des Arbeitnehmers als versicherter Person aus dessen Entgelt an die Pensionskasse abzuführen hatte.

LAG Düsseldorf, Urteil vom 02.09.2015 – 12 Sa 175/15, ZInsO 2016, 530; Revision eingelegt, Az. des BAG 3 AZR 669/15

2. Offenbarungsbefugnis der Finanzbehörde – § 4 IFG NRW, § 30 AO, § 355 StGB

Die Offenbarung steuerlich relevanter Informationen über den Schuldner gegenüber dem Insolvenzverwalter wird durch § 30 AO nicht ausgeschlossen. Die Verfügungsbefugnis hinsichtlich steuerlicher Unterlagen geht auf den Verwalter über, so dass er als nunmehr „Betroffener“ im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO das Finanzamt von der Beachtung des Steuergeheimnisses selbst entbinden kann.

OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.11.2015 – 8 A 1074/14, ZInsO 2016, 159 m. Anm. Nitschke

Der Insolvenzverwalter einer GmbH verlangte unter Hinweis auf § 4 IFG NRW von einem Finanzamt Auskünfte über steuerliche Umstände der Schuldnerin und die Übergabe von Steuerkontoauszügen, weil er u.a. Anfechtungsansprüche nach den §§ 129 ff. InsO prüfen wollte. Die Behörde verweigerte ihm zunächst diese Angaben, weil das Steuergeheimnis (§ 30 AO) dem entgegenstehe, unterlag aber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Das Finanzamt hatte die Auffassung vertreten, die Auskunftserteilung gegenüber dem Verwalter sei wegen Verletzung des Steuergeheimnisses nach § 355 StGB sogar strafbar. Das OVG lehnt dies mit dem Hinweis ab, das FA handele insoweit nicht „unbefugt“ im Sinne des § 30 Abs. 2 AO i.V.m. § 355 StGB.                 

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I. Strafprozessrecht

1. Entbindungsbefugnis des Insolvenzverwalters – § 53 Abs. 1 StPO

Der Insolvenzverwalter kann in einem Strafverfahren gegen frühere Organe der insolventen juristischen Person Berufsgeheimnisträger von der Wahrung ihrer Schweigepflicht umfassend entbinden. Eine zusätzliche Entbindungserklärung des ehemaligen Geschäftsführers bzw. Vorstands ist nicht erforderlich.

OLG Köln, Beschluss vom 01.09.2015 – 2 Ws 544/15, StV 2016, 8 = ZInsO 2016,157; zu der Entscheidung s. die krit. Anm. von Gatzweiler/Wöly, StV 2016, 10, und von Weber, FD-StrafR 2016, 375400

Ob der Insolvenzverwalter einen Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht entbinden kann, ist noch immer umstritten. Teils wird vertreten, dass daneben auch das (frühere) Organ eine kumulative Entbindungserklärung abgeben muss (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.12.1992 – 1 Ws 1166/92, wistra 1993, 120). Der Senat schließt sich aber explizit der Gegenauffassung an (vgl. schon Weyand, wistra 1995, 240; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2009 – 1 Ws 289/09, ZInsO 2009, 2399). Nach ihr ist allein die juristische Person in ihren „Geheimnissen“ geschützt. Nur sie hat die Entscheidungsbefugnis darüber, ob eine von ihr beauftragte Person von der Schweigepflicht zu entbinden ist. Die Entscheidung trifft daher allein der gesetzliche Vertreter des Unternehmens zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung. Früheren Organen steht eine solche Befugnis unabhängig von dem Grund, aus dem sie ausgeschieden sind, nicht mehr zu. Auf deren (zusätzliche) Erklärung kommt es nicht mehr an. Im Fall einer Insolvenz geht die Befugnis vollständig auf den Insolvenzverwalter über. Möglicherweise anders ist zu entscheiden, wenn sowohl die juristische Person als auch deren früheres Organ den Berufsgeheimnisträger beauftragt haben. Denn dann können gleichfalls persönliche oder private Interessen des Betroffenen von einer Aussage berührt sein. Ein solches Doppelmandat lag in der zu entscheidenden Sache aber unstreitig nicht vor, weshalb der Senat diese Frage letztlich offen lässt.

2. Beschlagnahmefreiheit von Anwaltsunterlagen – § 97 StPO

Verteidigungsunterlagen im Sinne des § 148 StPO sind auch dann beschlagnahmefrei, wenn sie sich im Gewahrsam des Beschuldigten befinden. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Betroffenen ist dabei keine notwendige Voraussetzung. Eine schutzwürdige Vertrauensbeziehung zur Vorbereitung einer Verteidigung kann auch dann bestehen, wenn der potentiell Beschuldigte lediglich befürchtet, es werde zukünftig ein Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt.

LG Brauschweig, Beschluss vom 21.07.2015 – 6 Qs 116/15, wistra 2016, 40; zu der Entscheidung s. die Anm. von Szesny, BB 2015, 2772, und von Helck, jurisPR-Compl 3/2015 Anm. 1

Die Entscheidung betrifft die Beschlagnahme von Unterlagen, die von mit internal investigations beauftragten Rechtsanwälten erstellt worden waren. In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung die Beschlagnahmefreiheit derartiger Unterlagen grundsätzlich abgelehnt; vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2011 – 608 Qs 18/10, wistra 2011, 192, sowie auch LG Mannheim, Beschluss vom 03.07.2010 – 24 Qs 1/12 und 2/12, wistra 2012, 400. Das LG Braunschweig ist weitergehend der Auffassung, auch derartige Dokumente unterlägen dem Beschlagnahmeprivileg des § 97 StPO.

3. Akteneinsichtsrecht des Verletzten – § 406e StPO

Das Recht auf Einsicht in die Verfahrensakten kann dem Verletzten auch dann uneingeschränkt zustehen, wenn seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt. Der Gefahr der Beeinträchtigung des Untersuchungszwecks (§ 406e Abs. 2 Satz 2 StPO – hier durch Erschweren der Beweiswürdigung) kann dadurch begegnet werden, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Verletzten zusichert, die Akten an den Verletzten nicht weiterzugeben.

OLG Braunschweig, Beschluss vom 03.12.2015 – 1 Ws 309/15, wistra 2016, xxx; zu der Entscheidung s. die krit. Anm. von Meyer-Lohkamp, jurisPR-StrafR 2/2016 Anm. 5. A.A. OLG Hamburg, Beschluss von 24.10.2014 – 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105 mit Anm. Radtke; hiernach ist Akteneinsicht zu versagen, wenn die Angaben des Verletzten zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt. Umfassend zu der Problematik vgl. Baumhöfener, NStZ 2014, 135.

II. Materielles Strafrecht

Besonders schwerer Fall der Bestechlichkeit – § 335 Abs. 2 StGB

Ein Vorteil „großen Ausmaßes“ i.S.d. § 335 Abs. 2 Nr. 1 StGB liegt jedenfalls bei einem Betrag von mehr als 50.000 € vor.

BGH, Urteil vom 23.11.2015 – 5 StR 352/15, wistra 2016, 155

Der Senat überträgt die diesbezügliche Rechtsprechung zum § 263 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative (BGH, Urteil vom 07.10.2003 – 1 StR 274/03, wistra 2004, 22; s. auch BGH, Urteil vom 20.11.1990 – 1 StR 548/90, wistra 1991, 106 zu § 264 Abs. 2 StGB) und der Steuerverkürzung sowie der Erlangung von Steuervorteilen „in großem Ausmaß“ nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO (BGH, Urteil vom 02.12.2008 – 1 StR 416/08, wistra 2009, 107) auch auf Vorwürfe der Bestechlichkeit.

 

III. Weitere Entscheidung mit strafrechtlichem Bezug

1. Haftung eines Geschäftsführers für nichtabgeführte Beiträge an eine Pensionskasse – § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 266a StGB

Führt ein Arbeitgeber die Beiträge an eine Pensionskasse nicht ab und unterrichtet der Geschäftsführer die Arbeitnehmer nicht spätestens bei Fälligkeit oder unverzüglich danach, kommt die deliktische Haftung des Geschäftsführers aus § 823 Abs. 2 StGB i.V.m. § 266a Abs. 3 StGB in Betracht.

Dies gilt, wenn die Beiträge aus Entgeltbestandteilen der Arbeitnehmer bezahlt werden, sei es im Wege der Entgeltumwandlung oder weil es sich um einen Zuschuss des Arbeitgebers zur Entgeltumwandlung handelt, der ebenfalls Entgeltbestandteil ist. Gleiches gilt für einen tariflichen Altersvorsorgebeitrag, wenn die Auslegung des Tarifvertrags ergibt, dass es sich dabei um einen Entgeltbestandteil handelt. Ob dieser an den Arbeitnehmer unmittelbar hätte ausgezahlt werden dürfen, ist unerheblich.

Für die Strafbarkeit des § 266a Abs. 3 StGB ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer Versicherungsnehmer der Pensionskasse ist. Es reicht aus, wenn der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer Beiträge zu Gunsten des Arbeitnehmers als versicherter Person aus dessen Entgelt an die Pensionskasse abzuführen hatte.

LAG Düsseldorf, Urteil vom 02.09.2015 – 12 Sa 175/15, ZInsO 2016, 530; Revision eingelegt, Az. des BAG 3 AZR 669/15

2. Offenbarungsbefugnis der Finanzbehörde – § 4 IFG NRW, § 30 AO, § 355 StGB

Die Offenbarung steuerlich relevanter Informationen über den Schuldner gegenüber dem Insolvenzverwalter wird durch § 30 AO nicht ausgeschlossen. Die Verfügungsbefugnis hinsichtlich steuerlicher Unterlagen geht auf den Verwalter über, so dass er als nunmehr „Betroffener“ im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO das Finanzamt von der Beachtung des Steuergeheimnisses selbst entbinden kann.

OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.11.2015 – 8 A 1074/14, ZInsO 2016, 159 m. Anm. Nitschke

Der Insolvenzverwalter einer GmbH verlangte unter Hinweis auf § 4 IFG NRW von einem Finanzamt Auskünfte über steuerliche Umstände der Schuldnerin und die Übergabe von Steuerkontoauszügen, weil er u.a. Anfechtungsansprüche nach den §§ 129 ff. InsO prüfen wollte. Die Behörde verweigerte ihm zunächst diese Angaben, weil das Steuergeheimnis (§ 30 AO) dem entgegenstehe, unterlag aber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Das Finanzamt hatte die Auffassung vertreten, die Auskunftserteilung gegenüber dem Verwalter sei wegen Verletzung des Steuergeheimnisses nach § 355 StGB sogar strafbar. Das OVG lehnt dies mit dem Hinweis ab, das FA handele insoweit nicht „unbefugt“ im Sinne des § 30 Abs. 2 AO i.V.m. § 355 StGB.

Autorinnen und Autoren

  • Raimund Weyand
    Raimund Weyand war bis zum seinem Eintritt in den Ruhestand am 31.12.2021 stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Insolvenz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und hat auf diesen Themengebieten bereits zahlreiche Beiträge publiziert. Weyand ist (Mit-)Verfasser mehrerer insolvenz- und wirtschaftsstrafrechtlicher Buchveröffentlichungen, Mitautor des Kommentars von Graf/Jäger/Wittig zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht und gehört seit deren Gründung dem Herausgebergremium der Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) an.

WiJ

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Internationales Strafrecht, EU, Rechtshilfe, Auslandsbezüge

  • Dr. Mayeul Hièramente

    Svenja Jutta Luise Karl, Die Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen. Kritik und Verbesserungsvorschläge unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens.

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)