Dr. Christian Brand

Insolvenzstrafrechtliche Literatur im Zeitraum Januar bis April 2016

I. Aufsatzliteratur

1. Norbert Gatzweiler/Daniel Wölky: Anmerkung zur Entscheidung des OLG Köln v. 1.9.2015 – 2 Ws 544/15, StV 1/2016,10-13.

Das OLG Köln, dessen Entscheidung Verf. besprechen, hatte entschieden, dass der Insolvenzverwalter befugt ist, den von einer insolventen juristischen Person früher einmal beauftragten Berufsgeheimnisträger von der Verschwiegenheitspflicht gem. § 53 Abs. 2 Satz 1 StPO zu entbinden. Verf. kritisieren diese Entscheidung und werfen ihr v.a. vor, die Besonderheiten des Falls nicht ausreichend gewürdigt zu haben. Während nämlich das OLG Nürnberg (NJW 2010, 690) in einer vergleichbaren Konstellation darüber zu entscheiden hatte, wer die Entbindungserklärung gegenüber einem Wirtschaftsprüfer, der für die insolvente juristische Person tätig war, erteilen darf und diese Kompetenz dem aktuell tätigen Organwalter zusprach, ging es im Verfahren des OLG Köln um die Entbindung eines Rechtsanwalts von seiner Verschwiegenheitspflicht. Da nach Ansicht der Verf. der Rechtsanwalt einen interessengeleiteten Rechtsrat erteilt und deshalb nicht die juristische Person, sondern deren Organwalter berät, bestehe der Geheimnisschutz nicht gegenüber der juristischen Person, sondern gegenüber den Organwaltern. Vor diesem Hintergrund wäre eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht seitens des Insolvenzverwalters unzulässig.

2. Marcus Schütz: Die „Bestattung“ insolventer Kapitalgesellschaften in der strafrechtlichen Praxis, wistra 2/2016,53-58.

Seit vielen Jahren beschäftigt das Phänomen der „Firmenbestattung“ die straf-, insolvenz- und gesellschaftsrechtliche Praxis (zur strafrechtlichen Praxis s. nur BGH NJW 2013, 1892 und BGH NStZ 2009, 635). Mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG; BGBl. I 2008, S. 2026) ist der Gesetzgeber u.a. angetreten, den Firmenbestattern das Handwerk zu legen. Ganz gelungen ist ihm das nicht, wie die vom Verf. besprochene, unveröffentlichte Entscheidung des LG Bochum zeigt. Ob freilich das (Insolvenz-)Strafrecht der richtige Weg ist, um das Firmenbestattungsunwesen zu bekämpfen, darüber lässt sich trefflich streiten. Verf. jedenfalls befürwortet es, den Altgeschäftsführer, der seine Anteile an den Firmenbestatter veräußert und diesem zu Verschleierungszwecken die Geschäfts- und Buchführungsunterlagen überlässt, als Mittäter eines Bankrotts gem. § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB zu bestrafen (S. 55 f.). Dabei übersieht er aber, dass die bloße Geschäftsführerstellung – die angesichts der Amtsniederlegung durch den Altgeschäftsführer ohnehin zweifelhaft ist, sich aber bejahen lässt, wenn man wie der Verf. die Ansicht vertritt, die Amtsniederlegung sei sittenwidrig und deshalb nichtig – nicht genügt, um dem Altgeschäftsführer die Schuldnerposition der Gesellschaft gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB zuzurechnen. Vielmehr muss der Altgeschäftsführer seine inkriminierten Handlungen „als Organ“ begangen haben. Auf dem Boden eines organisationsbezogenen Zurechnungsmodells fehlt es daran jedoch, weshalb sich eine Bankrottstrafbarkeit des Altgeschäftsführers in den Firmenbestattungskonstellationen regelmäßig nicht begründen lässt (näher dazu Brand, in: Bittmann [Hrsg.], Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. im Erscheinen, § 13 Rn. 214). Am Erfordernis eines Handelns „als Organ“ dürfte letztlich auch der vom LG Bochum unterbreitete und vom Verf. mitgeteilte Vorschlag scheitern, den im Hintergrund agierenden Firmenbestatter als faktischen Liquidator gem. § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB täterschaftlich zur Verantwortung zu ziehen (s. S. 57 f.).

3. Hans Haarmeyer: Eigenverwaltung mit Selbstbelastungszwang und die insolvenzstrafrechtlichen Folgen, ZInsO 11/2016,545-556.

Verf. untersucht, ob sich ein unternehmerisch tätiger Schuldner auf § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO berufen kann, der freiwillig selbstbelastende Auskünfte tätigt, um ein Schutzschirm- oder Eigenverwaltungsverfahren durchführen zu dürfen. Dabei gelangt er zu dem überzeugenden Ergebnis, wonach das Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO auch solche Angaben des Schuldners erfasst, die dieser im Vorfeld der Insolvenzverfahrenseröffnung macht (S. 555 f.; dazu am Bsp. des Schutzschirmverfahrens bereits Brand/Kanzler, wistra 2014, 334 ff.). Zur Begründung verweist Verf. u.a. auf die gesteigerten Anforderungen, denen ein zulässiger Insolvenzantrag heute genügen muss. Während der Geschäftsleiter einer insolventen Gesellschaft früher seiner strafrechtlich sanktionierten (vgl. § 15a Abs. 4, 5 InsO) Antragspflicht (vgl. § 15a Abs. 1 InsO) nachkam, indem er schlicht beantragte, das Insolvenzverfahren über die von ihm geleitete Gesellschaft zu eröffnen, verpflichtet ihn § 13 in seiner aktuell geltenden Fassung zu weit umfassenderen Auskünften (S. 546 ff.). Bei der Erweiterung des § 13 InsO blieb jedoch unberücksichtigt, dass die Auskunftspflicht und das damit korrespondierende Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 InsO nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes erst ab dem Stadium eines zulässigen Antrags gilt (vgl. § 20 Abs. 1 InsO). Mit dem Willen des Gesetzgebers, der § 97 Abs. 1 InsO schuf, und dem Geist des „Gemeinschuldnerbeschlusses“ (BVerfGE 56, 37) ist diese Lage nicht vereinbar – darauf macht Verf. zu Recht aufmerksam (S. 553 f.).

4. Raimund Weyand: Zum Anfangsverdacht bei Insolvenzdelikten, ZInsO 9/2016,441-443.

Verf. wendet sich gegen die von Püschel aufgestellte These, wonach staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzverschleppung bei bloßer Insolvenzverfahrenseröffnung ohne Anfangsverdacht erfolgten und deshalb rechtsstaatlich fragwürdig wären (Festschr. f. Wessing, 2015, S. 753 ff. = ZInsO 2016, 262 ff.). Mit Blick auf empirische Studien, denen zufolge unternehmerisch tätige Schuldner regelmäßig erst ca. zehn Monate nach Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit den gebotenen Insolvenzantrag stellen (vgl. § 15a Abs. 1 InsO), gelangt Verf. zu dem Ergebnis, dass bereits die Insolvenzverfahrenseröffnung bzw. ihre Ablehnung mangels Masse den Verdacht einer strafbaren Insolvenzverschleppung begründen und entsprechende Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigen (S. 443).

5. Raimund Weyand, Anmerkung zu VG München, Beschl. v. 2.9.2015 – 6b E 15.2962, ZInsO 11/2016,584.

Das VG München hat den Bescheid der zuständigen Behörde bestätigt, der einem wegen Insolvenzverschleppung verurteilten Taxiunternehmer aufgab, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, um festzustellen, ob der Taxiunternehmer den besonderen Anforderungen gerecht wird, die mit der Beförderung von Personen einhergehen. In seiner Anmerkung zu diesem Beschluss formuliert Verf. die Fragen nach Inhalt und Ausgestaltung eines solchen medizinisch-psychologischen Gutachtens, die der Neuland betretende Beschluss des VG München aufwirft.

6. Christian Schröder: Zur Straflosigkeit der Insolvenzverschleppung durch den faktischen Geschäftsführer gemäß § 15a4 InsO, in: Christian Fahl u.a. (Hrsg.), Ein menschgerechtes Strafrecht als Lebensaufgabe, Festschrift für Werner Beulke zum 70. Geburtstag, 2015, S. 535-542.

Während es nach der Ansicht des Verf. durchaus möglich war, den faktischen Geschäftsführer gemäß §§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG a.F. wegen Insolvenzverschleppung zu bestrafen, weil der Begriff des Geschäftsführers, wie ihn § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG a.F. verwandte, weit im Sinne von „Geschäfte führen“ sowohl umgangssprachlich als auch systematisch mit Blick auf § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG verstanden werden konnte (S. 537 f.), soll vergleichbares unter der Ägide des § 15a InsO nicht mehr gelten. Da § 15a Abs. 1 InsO von „Mitgliedern des Vertretungsorgans“ spreche und damit einen Täterkreis umschreibe, zu dem der faktische Geschäftsführer offensichtlich nicht gehöre, könne ihm die Antragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO nur im Wege eines Analogieschlusses auferlegt werden (S. 538 f.). Solches möge zwar zivil- und insolvenzrechtlich statthaft und auch sinnvoll sein (S. 539). Wegen des Analogieverbotes (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) gehe es aber nicht an, die Missachtung dieser durch Analogie gebildeten Pflicht gemäß § 15a Abs. 4, 5 InsO strafrechtlich zu ahnden (S. 539 ff.).

 

II. Handbücher/Lehrbücher

1. Raimund Weyand/Judith Diversy: Insolvenzdelikte,Aufl. 2016, Erich Schmidt Verlag, 44,60 €, ISBN 978-3-503-16612-1.

In der mittlerweile zehnten Auflage ist ein Klassiker des Insolvenzstrafrechts, das von Raimund Weyand und Judith Diversy bearbeitete Werk „Insolvenzdelikte – Unternehmenszusammenbruch und Strafrecht“, erschienen. Von den zahlreichen insolvenzstrafrechtlichen Fragestellungen, die Verf. thematisieren, seien die nachfolgenden besonders hervorgehoben:

a) Da die GmbH zu den insolvenzanfälligsten Rechtsformen zählt (zu diesem Befund s. nur Scholz-GmbHG/Tiedemann/Rönnau, 11. Aufl. 2015, Vor §§ 82 ff. Rdnr. 3), verwundert es nicht, dass an den insolvenzstrafrechtlichen Sachverhalten, die die Praxis beschäftigen, diese Gesellschaft überproportional häufig beteiligt ist. Vor diesem Hintergrund und angesichts der als Geschäftsleitersonderdelikt ausgestalteten strafbaren Insolvenzverschleppung – § 15a Abs. 1, 4 InsO adressiert im Unterschied zu §§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG a.F. zwar nicht mehr den Geschäftsführer, sondern nennt als Täter ganz allgemein die „Mitglieder des Vertretungsorgans“ – nimmt es des Weiteren nicht wunder, dass Fragen der faktischen Geschäftsführung in insolvenzstrafrechtlichen Konstellationen eine große Rolle spielen. Auch Verf. zeichnen die Diskussion zur faktischen Geschäftsführung nach (Rdnrn. 27 ff.) und verbinden sie mit einem Plädoyer zugunsten der von der Rechtsprechung vertretenen Sichtweise (Rdnr. 29). Einwände des Schrifttums, wonach die Rechtsprechung zum faktischen Organ gegen das Analogieverbot verstößt, weisen sie dezidiert zurück (Rdnr. 29). Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings § 14 Abs. 3 StGB. Seinem eindeutigen Wortlaut nach stellt § 14 Abs. 3 StGB den ordnungsgemäß bestellten Vertretern als Zurechnungsadressaten des § 14 Abs. 1, 2 StGB nur solche Personen gleich, deren Bestellungsakt unwirksam ist. Das heißt, Personen, die ihre Geschäftsleiterposition ohne einen intentionalen, wenn auch unwirksamen Bestellungsakt erlangt haben, kommen als Adressaten der von § 14 Abs. 1, 2 StGB ermöglichten Zurechnungsoperation nicht in Betracht (zutr. MünchKomm-StGB/Radtke, 2. Aufl. 2011, § 14 Rdnr. 118, 123 f.). Kriminalpolitische Erwägungen vermögen an diesem Befund de lege lata nichts zu ändern. Freilich betrifft dieser Einwand nur einen Ausschnitt der Lehre vom faktischen Organ – über die Möglichkeit, den faktischen Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung zu bestrafen, ist damit bspw. noch nichts gesagt – zeigt aber die Schwierigkeiten, die es bereitet, eine allgemeingültige, für alle Bereiche gleichermaßen geltende Figur des faktischen Organs zu kreieren.

b) Bekanntlich macht sich wegen Bankrotts nur strafbar, wer entweder bei (drohender) Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung eine Bankrotthandlung (vgl. § 283 Abs. 1 Nrn. 1-8 StGB) begeht oder aber durch die Vornahme einer dieser Bankrotthandlungen die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung herbeiführt (vgl. § 283 Abs. 2 StGB). Dieser „Krisentrias“ bestehend aus drohender und eingetretener Zahlungsunfähigkeit sowie der Überschuldung widmen Verf. ein ausführliches Kapitel (Rdnrn. 33-55). Zu Recht nehmen sie dabei die insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen dieser Krisenmerkmale (vgl. §§ 17 ff. InsO) zum Ausgangspunkt ihrer Ausführungen. – Das schwierigste und in seiner Legitimität zugleich umstrittenste Krisenmerkmal ist der Überschuldungstatbestand (zu rechtspolitischer Kritik am Überschuldungstatbestand s. Hölzle, ZIP 2008, 2003 [2004 f.]; Rokas, ZInsO 2009, 18 [21]). Seine wechselvolle Geschichte zeichnen Verf. klar verständlich nach (Rdnrn. 34 ff.) und geben dem Leser sodann einen höchst informativen Überblick darüber, welche Positionen ein Überschuldungsstaus auf der Aktiv- und der Passivseite enthalten kann (Rdnrn. 38 ff.). Widerspruch fordert aus Sicht des Rezensenten lediglich der Vorschlag zur Behandlung von Altfällen heraus: Verf. wollen auf Taten, die bei Inkrafttreten des heute geltenden § 19 InsO am 18.10.2008 bereits beendet waren, nicht den günstigeren modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff anwenden, sondern den bis dahin geltenden nicht modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO a.F. Zur Begründung verweisen sie auf Art. 103d EGInsO, dem zufolge Insolvenzverfahren, die vor dem 1.11.2008 eröffnet wurden, nach dem damals geltenden Recht zu beurteilen sind (Rdnr. 37). Trotz der Insolvenzrechtsakzessorietät der Krisenmerkmale, die Verf. zutreffend herausstreichen, überzeugt es nicht, § 2 Abs. 3 StGB mithilfe des Art. 103d EGInsO unangewendet zu lassen. Denn strafrechtliche Besonderheiten – und dazu zählt neben dem in-dubio-Grundsatz und dem Bestimmtheitsgebot eben auch § 2 Abs. 3 StGB – werden von einer insolvenzrechtsakzessorischen Interpretation richtigerweise nicht tangiert. Mehr spricht deshalb zugunsten der Ansicht, die die Altfälle gemäß § 2 Abs. 3 StGB nach dem modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO n.F. beurteilt (zutr. deshalb BGH wistra 2010, 219 [220]; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 29. Aufl. 2014, § 283 Rdnr. 51).

c) Strafbar macht sich der Schuldner, der eine Bankrotthandlung im Stadium der Krise begangen oder das Krisenstadium durch die Vornahme der Bankrotthandlung herbeigeführt hat, nur, wenn er seine Zahlungen einstellt oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet bzw. mangels Masse nicht eröffnet wird (vgl. § 283 Abs. 6 StGB). Seit jeher umstritten ist, ob zwischen der Bankrotthandlung und dem Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung ein Zusammenhang bestehen muss. Nach Ansicht der Verf. ist kein wie auch immer gearteter Zusammenhang zwischen der Bankrotthandlung und der Strafbarkeitsbedingung erforderlich. Entscheidend sei vielmehr, dass die Krisensituation in Form von (drohender) Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung in den durch § 283 Abs. 6 StGB näher umschriebenen Unternehmenszusammenbruch münde (Rdnr. 59). Da § 283b Abs. 1 StGB anders als § 283 Abs. 1 StGB die Vornahme der dort gelisteten Tathandlungen auch außerhalb einer Krisensituation sanktioniert, ist hier vom Standpunkt der Verf. ein Zusammenhang zur objektiven Strafbarkeitsbedingung (vgl. § 283b Abs. 3 StGB) naturgemäß entbehrlich (Rdnr. 128). Mit Blick auf die Historie des Bankrottstrafrechts – den Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung forderte die Rspr. erstmals zu einer Zeit, als die Vornahme von Bankrotthandlungen noch unabhängig vom Bestehen einer Krise bankrottstrafrechtliche Sanktionen zeitigte und deshalb Bedenken an der Vereinbarkeit des Bankrotttatbestandes mit dem Schuldgrundsatz aufkamen (s. etwa Heidland, KTS 1958, 161 [163 ff.]) – spricht allerdings mehr dafür, auf den Zusammenhang bei § 283 StGB heute ganz zu verzichten, ihn hingegen bei § 283b StGB zu fordern (dazu näher Brand, in: Bittmann [Hrsg.], Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. im Erscheinen, § 13 Rdnr. 224 m.w.N.).

d) Wer seine Bücher/Bilanzen nicht führt, macht sich – den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung (vgl. §§ 283 Abs. 6, 283b Abs. 3 StGB) vorausgesetzt – innerhalb einer Krise gemäß § 283 Abs. 1 Nrn. 5 Var. 1, 7b Var. 1 StGB und außerhalb einer Krise gemäß § 283b Abs. 1 Nrn. 1 Var. 1, 3b Var. 1 StGB strafbar. Die vier Tatbestände sind als echte Unterlassensdelikte konstruiert, setzten also voraus, dass die Pflichterfüllung möglich und zumutbar ist. Fehlen dem kaufmännisch organisierten Schuldner die Mittel, um seine Buch- bzw. Bilanzführungspflicht an einen kompetenten Dritten zu delegieren und ist er intellektuell nicht in der Lage, die Bücher und Bilanzen selbst zu erstellen, steht der Einwand im Raum, die Pflichterfüllung sei dem Schuldner unmöglich gewesen. Während die frühere Rspr. diesen Einwand zumeist akzeptierte und den Schuldner vom Vorwurf der §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 Var. 1, 7b Var. 1, 283b Abs. 1 Nrn. 1 Var. 1, 3b Var. 1 StGB freisprach (exemplarisch BGHSt 28, 231 [233]; BGH wistra 2007, 308 [309]; NStZ 2003, 546 [548] = wistra 2003, 232 [233]), tendiert die neuere Rspr. dahin, vom Schuldner zu verlangen, finanzielle Vorsorge zu treffen, um der Buch- und Bilanzführungspflicht auch in der Krise nachzukommen (BGH NStZ 2012, 511). Verf. stimmen dieser Rechtsprechungslinie, die die Vorrangthese, wie sie von § 266a Abs. 1 StGB wohlbekannt ist, auf die §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 Var. 1, 7b Var. 1, 283b Abs. 1 Nrn. 1 Var. 1, 3b Var. 1 StGB erstreckt, ausdrücklich zu (Rdnr. 86). Jedoch überzeugt die Vorrangthese schon bei § 266a Abs. 1 StGB nicht (s. nur Brand, WM 2010, 1783 [1785] m.w.N.) und stimmt es angesichts dessen bedenklich, diese Rspr. auch noch auf andere Delikte auszudehnen (Renzikowski, in: Festschr. f. Weber, 2004, S 333 [345 f.]).

e) Es gäbe noch viel mehr zu dem von Weyand/Diversy verfassten Werk über die Insolvenzdelikte zu sagen; dies würde aber den Rahmen dieser Besprechung sprengen. Resümierend bleibt jedenfalls festzuhalten, dass die „Insolvenzdelikte“ von Weyand/Diversy fundiert, aktuell und gut lesbar über die zahlreichen Probleme des Insolvenzstrafrechts informieren und deshalb unbedingt auf den Schreibtisch eines jeden Insolvenzstrafrechtlers gehören!

2. Gunther Arzt/Ulrich Weber/Bernd Heinrich/Eric Hilgendorf: Strafrecht Besonderer Teil,Aufl. 2015, Gieseking Verlag, 84,00 €, ISBN 978-3-7694-1111-9.

Im Berichtszeitraum ebenfalls erschienen ist die dritte Auflage des von Arzt/Weber begründeten und von B. Heinrich/Hilgendorf fortgeführten Lehrbuchs zum Besonderen Teil des Strafrechts.

Die Insolvenzstraftaten – und nur diese interessieren im Rahmen dieses Überblicks – bearbeitet unter § 16 Rdnrn. 50 ff. Bernd Heinrich. Dabei gelingt es Verf. auf wenigen Seiten, dem studentischen Leser die schwierige Materie der §§ 283 ff. StGB näherzubringen. Insbesondere die Diskussion, unter welchen Voraussetzungen sich die Gemeinschuldnerstellung eines Personenverbands auf den Geschäftsleiter übertragen lässt, zeichnet Verf. umfassend nach (Rdnr. 69). Obschon das Insolvenzstrafrecht nicht zum Pflichtstoff im Ersten Juristischen Staatsexamen zählt, ist es mit Blick auf die an den meisten Universitäten existierenden Schwerpunktbereiche zum Wirtschaftsstrafrecht höchst verdienstvoll, einem Lehrbuch zum Besonderen Teil ein Kapitel über die Insolvenzdelikte beizufügen. Am Wirtschaftsstrafrecht interessierten Studenten kann deshalb die Lektüre des von Bernd Heinrich verfassten Kapitels zu den Insolvenzstraftaten nur empfohlen werden![:en]

I. Aufsatzliteratur

1. Norbert Gatzweiler/Daniel Wölky: Anmerkung zur Entscheidung des OLG Köln v. 1.9.2015 – 2 Ws 544/15, StV 1/2016,10-13.

Das OLG Köln, dessen Entscheidung Verf. besprechen, hatte entschieden, dass der Insolvenzverwalter befugt ist, den von einer insolventen juristischen Person früher einmal beauftragten Berufsgeheimnisträger von der Verschwiegenheitspflicht gem. § 53 Abs. 2 Satz 1 StPO zu entbinden. Verf. kritisieren diese Entscheidung und werfen ihr v.a. vor, die Besonderheiten des Falls nicht ausreichend gewürdigt zu haben. Während nämlich das OLG Nürnberg (NJW 2010, 690) in einer vergleichbaren Konstellation darüber zu entscheiden hatte, wer die Entbindungserklärung gegenüber einem Wirtschaftsprüfer, der für die insolvente juristische Person tätig war, erteilen darf und diese Kompetenz dem aktuell tätigen Organwalter zusprach, ging es im Verfahren des OLG Köln um die Entbindung eines Rechtsanwalts von seiner Verschwiegenheitspflicht. Da nach Ansicht der Verf. der Rechtsanwalt einen interessengeleiteten Rechtsrat erteilt und deshalb nicht die juristische Person, sondern deren Organwalter berät, bestehe der Geheimnisschutz nicht gegenüber der juristischen Person, sondern gegenüber den Organwaltern. Vor diesem Hintergrund wäre eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht seitens des Insolvenzverwalters unzulässig.

2. Marcus Schütz: Die „Bestattung“ insolventer Kapitalgesellschaften in der strafrechtlichen Praxis, wistra 2/2016,53-58.

Seit vielen Jahren beschäftigt das Phänomen der „Firmenbestattung“ die straf-, insolvenz- und gesellschaftsrechtliche Praxis (zur strafrechtlichen Praxis s. nur BGH NJW 2013, 1892 und BGH NStZ 2009, 635). Mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG; BGBl. I 2008, S. 2026) ist der Gesetzgeber u.a. angetreten, den Firmenbestattern das Handwerk zu legen. Ganz gelungen ist ihm das nicht, wie die vom Verf. besprochene, unveröffentlichte Entscheidung des LG Bochum zeigt. Ob freilich das (Insolvenz-)Strafrecht der richtige Weg ist, um das Firmenbestattungsunwesen zu bekämpfen, darüber lässt sich trefflich streiten. Verf. jedenfalls befürwortet es, den Altgeschäftsführer, der seine Anteile an den Firmenbestatter veräußert und diesem zu Verschleierungszwecken die Geschäfts- und Buchführungsunterlagen überlässt, als Mittäter eines Bankrotts gem. § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB zu bestrafen (S. 55 f.). Dabei übersieht er aber, dass die bloße Geschäftsführerstellung – die angesichts der Amtsniederlegung durch den Altgeschäftsführer ohnehin zweifelhaft ist, sich aber bejahen lässt, wenn man wie der Verf. die Ansicht vertritt, die Amtsniederlegung sei sittenwidrig und deshalb nichtig – nicht genügt, um dem Altgeschäftsführer die Schuldnerposition der Gesellschaft gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB zuzurechnen. Vielmehr muss der Altgeschäftsführer seine inkriminierten Handlungen „als Organ“ begangen haben. Auf dem Boden eines organisationsbezogenen Zurechnungsmodells fehlt es daran jedoch, weshalb sich eine Bankrottstrafbarkeit des Altgeschäftsführers in den Firmenbestattungskonstellationen regelmäßig nicht begründen lässt (näher dazu Brand, in: Bittmann [Hrsg.], Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. im Erscheinen, § 13 Rn. 214). Am Erfordernis eines Handelns „als Organ“ dürfte letztlich auch der vom LG Bochum unterbreitete und vom Verf. mitgeteilte Vorschlag scheitern, den im Hintergrund agierenden Firmenbestatter als faktischen Liquidator gem. § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB täterschaftlich zur Verantwortung zu ziehen (s. S. 57 f.).

3. Hans Haarmeyer: Eigenverwaltung mit Selbstbelastungszwang und die insolvenzstrafrechtlichen Folgen, ZInsO 11/2016,545-556.

Verf. untersucht, ob sich ein unternehmerisch tätiger Schuldner auf § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO berufen kann, der freiwillig selbstbelastende Auskünfte tätigt, um ein Schutzschirm- oder Eigenverwaltungsverfahren durchführen zu dürfen. Dabei gelangt er zu dem überzeugenden Ergebnis, wonach das Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO auch solche Angaben des Schuldners erfasst, die dieser im Vorfeld der Insolvenzverfahrenseröffnung macht (S. 555 f.; dazu am Bsp. des Schutzschirmverfahrens bereits Brand/Kanzler, wistra 2014, 334 ff.). Zur Begründung verweist Verf. u.a. auf die gesteigerten Anforderungen, denen ein zulässiger Insolvenzantrag heute genügen muss. Während der Geschäftsleiter einer insolventen Gesellschaft früher seiner strafrechtlich sanktionierten (vgl. § 15a Abs. 4, 5 InsO) Antragspflicht (vgl. § 15a Abs. 1 InsO) nachkam, indem er schlicht beantragte, das Insolvenzverfahren über die von ihm geleitete Gesellschaft zu eröffnen, verpflichtet ihn § 13 in seiner aktuell geltenden Fassung zu weit umfassenderen Auskünften (S. 546 ff.). Bei der Erweiterung des § 13 InsO blieb jedoch unberücksichtigt, dass die Auskunftspflicht und das damit korrespondierende Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 InsO nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes erst ab dem Stadium eines zulässigen Antrags gilt (vgl. § 20 Abs. 1 InsO). Mit dem Willen des Gesetzgebers, der § 97 Abs. 1 InsO schuf, und dem Geist des „Gemeinschuldnerbeschlusses“ (BVerfGE 56, 37) ist diese Lage nicht vereinbar – darauf macht Verf. zu Recht aufmerksam (S. 553 f.).

4. Raimund Weyand: Zum Anfangsverdacht bei Insolvenzdelikten, ZInsO 9/2016,441-443.

Verf. wendet sich gegen die von Püschel aufgestellte These, wonach staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzverschleppung bei bloßer Insolvenzverfahrenseröffnung ohne Anfangsverdacht erfolgten und deshalb rechtsstaatlich fragwürdig wären (Festschr. f. Wessing, 2015, S. 753 ff. = ZInsO 2016, 262 ff.). Mit Blick auf empirische Studien, denen zufolge unternehmerisch tätige Schuldner regelmäßig erst ca. zehn Monate nach Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit den gebotenen Insolvenzantrag stellen (vgl. § 15a Abs. 1 InsO), gelangt Verf. zu dem Ergebnis, dass bereits die Insolvenzverfahrenseröffnung bzw. ihre Ablehnung mangels Masse den Verdacht einer strafbaren Insolvenzverschleppung begründen und entsprechende Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigen (S. 443).

5. Raimund Weyand, Anmerkung zu VG München, Beschl. v. 2.9.2015 – 6b E 15.2962, ZInsO 11/2016,584.

Das VG München hat den Bescheid der zuständigen Behörde bestätigt, der einem wegen Insolvenzverschleppung verurteilten Taxiunternehmer aufgab, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, um festzustellen, ob der Taxiunternehmer den besonderen Anforderungen gerecht wird, die mit der Beförderung von Personen einhergehen. In seiner Anmerkung zu diesem Beschluss formuliert Verf. die Fragen nach Inhalt und Ausgestaltung eines solchen medizinisch-psychologischen Gutachtens, die der Neuland betretende Beschluss des VG München aufwirft.

6. Christian Schröder: Zur Straflosigkeit der Insolvenzverschleppung durch den faktischen Geschäftsführer gemäß § 15a4 InsO, in: Christian Fahl u.a. (Hrsg.), Ein menschgerechtes Strafrecht als Lebensaufgabe, Festschrift für Werner Beulke zum 70. Geburtstag, 2015, S. 535-542.

Während es nach der Ansicht des Verf. durchaus möglich war, den faktischen Geschäftsführer gemäß §§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG a.F. wegen Insolvenzverschleppung zu bestrafen, weil der Begriff des Geschäftsführers, wie ihn § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG a.F. verwandte, weit im Sinne von „Geschäfte führen“ sowohl umgangssprachlich als auch systematisch mit Blick auf § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG verstanden werden konnte (S. 537 f.), soll vergleichbares unter der Ägide des § 15a InsO nicht mehr gelten. Da § 15a Abs. 1 InsO von „Mitgliedern des Vertretungsorgans“ spreche und damit einen Täterkreis umschreibe, zu dem der faktische Geschäftsführer offensichtlich nicht gehöre, könne ihm die Antragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO nur im Wege eines Analogieschlusses auferlegt werden (S. 538 f.). Solches möge zwar zivil- und insolvenzrechtlich statthaft und auch sinnvoll sein (S. 539). Wegen des Analogieverbotes (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) gehe es aber nicht an, die Missachtung dieser durch Analogie gebildeten Pflicht gemäß § 15a Abs. 4, 5 InsO strafrechtlich zu ahnden (S. 539 ff.).

 

II. Handbücher/Lehrbücher

1. Raimund Weyand/Judith Diversy: Insolvenzdelikte,Aufl. 2016, Erich Schmidt Verlag, 44,60 €, ISBN 978-3-503-16612-1.

In der mittlerweile zehnten Auflage ist ein Klassiker des Insolvenzstrafrechts, das von Raimund Weyand und Judith Diversy bearbeitete Werk „Insolvenzdelikte – Unternehmenszusammenbruch und Strafrecht“, erschienen. Von den zahlreichen insolvenzstrafrechtlichen Fragestellungen, die Verf. thematisieren, seien die nachfolgenden besonders hervorgehoben:

a) Da die GmbH zu den insolvenzanfälligsten Rechtsformen zählt (zu diesem Befund s. nur Scholz-GmbHG/Tiedemann/Rönnau, 11. Aufl. 2015, Vor §§ 82 ff. Rdnr. 3), verwundert es nicht, dass an den insolvenzstrafrechtlichen Sachverhalten, die die Praxis beschäftigen, diese Gesellschaft überproportional häufig beteiligt ist. Vor diesem Hintergrund und angesichts der als Geschäftsleitersonderdelikt ausgestalteten strafbaren Insolvenzverschleppung – § 15a Abs. 1, 4 InsO adressiert im Unterschied zu §§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG a.F. zwar nicht mehr den Geschäftsführer, sondern nennt als Täter ganz allgemein die „Mitglieder des Vertretungsorgans“ – nimmt es des Weiteren nicht wunder, dass Fragen der faktischen Geschäftsführung in insolvenzstrafrechtlichen Konstellationen eine große Rolle spielen. Auch Verf. zeichnen die Diskussion zur faktischen Geschäftsführung nach (Rdnrn. 27 ff.) und verbinden sie mit einem Plädoyer zugunsten der von der Rechtsprechung vertretenen Sichtweise (Rdnr. 29). Einwände des Schrifttums, wonach die Rechtsprechung zum faktischen Organ gegen das Analogieverbot verstößt, weisen sie dezidiert zurück (Rdnr. 29). Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings § 14 Abs. 3 StGB. Seinem eindeutigen Wortlaut nach stellt § 14 Abs. 3 StGB den ordnungsgemäß bestellten Vertretern als Zurechnungsadressaten des § 14 Abs. 1, 2 StGB nur solche Personen gleich, deren Bestellungsakt unwirksam ist. Das heißt, Personen, die ihre Geschäftsleiterposition ohne einen intentionalen, wenn auch unwirksamen Bestellungsakt erlangt haben, kommen als Adressaten der von § 14 Abs. 1, 2 StGB ermöglichten Zurechnungsoperation nicht in Betracht (zutr. MünchKomm-StGB/Radtke, 2. Aufl. 2011, § 14 Rdnr. 118, 123 f.). Kriminalpolitische Erwägungen vermögen an diesem Befund de lege lata nichts zu ändern. Freilich betrifft dieser Einwand nur einen Ausschnitt der Lehre vom faktischen Organ – über die Möglichkeit, den faktischen Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung zu bestrafen, ist damit bspw. noch nichts gesagt – zeigt aber die Schwierigkeiten, die es bereitet, eine allgemeingültige, für alle Bereiche gleichermaßen geltende Figur des faktischen Organs zu kreieren.

b) Bekanntlich macht sich wegen Bankrotts nur strafbar, wer entweder bei (drohender) Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung eine Bankrotthandlung (vgl. § 283 Abs. 1 Nrn. 1-8 StGB) begeht oder aber durch die Vornahme einer dieser Bankrotthandlungen die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung herbeiführt (vgl. § 283 Abs. 2 StGB). Dieser „Krisentrias“ bestehend aus drohender und eingetretener Zahlungsunfähigkeit sowie der Überschuldung widmen Verf. ein ausführliches Kapitel (Rdnrn. 33-55). Zu Recht nehmen sie dabei die insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen dieser Krisenmerkmale (vgl. §§ 17 ff. InsO) zum Ausgangspunkt ihrer Ausführungen. – Das schwierigste und in seiner Legitimität zugleich umstrittenste Krisenmerkmal ist der Überschuldungstatbestand (zu rechtspolitischer Kritik am Überschuldungstatbestand s. Hölzle, ZIP 2008, 2003 [2004 f.]; Rokas, ZInsO 2009, 18 [21]). Seine wechselvolle Geschichte zeichnen Verf. klar verständlich nach (Rdnrn. 34 ff.) und geben dem Leser sodann einen höchst informativen Überblick darüber, welche Positionen ein Überschuldungsstaus auf der Aktiv- und der Passivseite enthalten kann (Rdnrn. 38 ff.). Widerspruch fordert aus Sicht des Rezensenten lediglich der Vorschlag zur Behandlung von Altfällen heraus: Verf. wollen auf Taten, die bei Inkrafttreten des heute geltenden § 19 InsO am 18.10.2008 bereits beendet waren, nicht den günstigeren modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff anwenden, sondern den bis dahin geltenden nicht modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO a.F. Zur Begründung verweisen sie auf Art. 103d EGInsO, dem zufolge Insolvenzverfahren, die vor dem 1.11.2008 eröffnet wurden, nach dem damals geltenden Recht zu beurteilen sind (Rdnr. 37). Trotz der Insolvenzrechtsakzessorietät der Krisenmerkmale, die Verf. zutreffend herausstreichen, überzeugt es nicht, § 2 Abs. 3 StGB mithilfe des Art. 103d EGInsO unangewendet zu lassen. Denn strafrechtliche Besonderheiten – und dazu zählt neben dem in-dubio-Grundsatz und dem Bestimmtheitsgebot eben auch § 2 Abs. 3 StGB – werden von einer insolvenzrechtsakzessorischen Interpretation richtigerweise nicht tangiert. Mehr spricht deshalb zugunsten der Ansicht, die die Altfälle gemäß § 2 Abs. 3 StGB nach dem modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO n.F. beurteilt (zutr. deshalb BGH wistra 2010, 219 [220]; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 29. Aufl. 2014, § 283 Rdnr. 51).

c) Strafbar macht sich der Schuldner, der eine Bankrotthandlung im Stadium der Krise begangen oder das Krisenstadium durch die Vornahme der Bankrotthandlung herbeigeführt hat, nur, wenn er seine Zahlungen einstellt oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet bzw. mangels Masse nicht eröffnet wird (vgl. § 283 Abs. 6 StGB). Seit jeher umstritten ist, ob zwischen der Bankrotthandlung und dem Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung ein Zusammenhang bestehen muss. Nach Ansicht der Verf. ist kein wie auch immer gearteter Zusammenhang zwischen der Bankrotthandlung und der Strafbarkeitsbedingung erforderlich. Entscheidend sei vielmehr, dass die Krisensituation in Form von (drohender) Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung in den durch § 283 Abs. 6 StGB näher umschriebenen Unternehmenszusammenbruch münde (Rdnr. 59). Da § 283b Abs. 1 StGB anders als § 283 Abs. 1 StGB die Vornahme der dort gelisteten Tathandlungen auch außerhalb einer Krisensituation sanktioniert, ist hier vom Standpunkt der Verf. ein Zusammenhang zur objektiven Strafbarkeitsbedingung (vgl. § 283b Abs. 3 StGB) naturgemäß entbehrlich (Rdnr. 128). Mit Blick auf die Historie des Bankrottstrafrechts – den Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung forderte die Rspr. erstmals zu einer Zeit, als die Vornahme von Bankrotthandlungen noch unabhängig vom Bestehen einer Krise bankrottstrafrechtliche Sanktionen zeitigte und deshalb Bedenken an der Vereinbarkeit des Bankrotttatbestandes mit dem Schuldgrundsatz aufkamen (s. etwa Heidland, KTS 1958, 161 [163 ff.]) – spricht allerdings mehr dafür, auf den Zusammenhang bei § 283 StGB heute ganz zu verzichten, ihn hingegen bei § 283b StGB zu fordern (dazu näher Brand, in: Bittmann [Hrsg.], Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. im Erscheinen, § 13 Rdnr. 224 m.w.N.).

d) Wer seine Bücher/Bilanzen nicht führt, macht sich – den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung (vgl. §§ 283 Abs. 6, 283b Abs. 3 StGB) vorausgesetzt – innerhalb einer Krise gemäß § 283 Abs. 1 Nrn. 5 Var. 1, 7b Var. 1 StGB und außerhalb einer Krise gemäß § 283b Abs. 1 Nrn. 1 Var. 1, 3b Var. 1 StGB strafbar. Die vier Tatbestände sind als echte Unterlassensdelikte konstruiert, setzten also voraus, dass die Pflichterfüllung möglich und zumutbar ist. Fehlen dem kaufmännisch organisierten Schuldner die Mittel, um seine Buch- bzw. Bilanzführungspflicht an einen kompetenten Dritten zu delegieren und ist er intellektuell nicht in der Lage, die Bücher und Bilanzen selbst zu erstellen, steht der Einwand im Raum, die Pflichterfüllung sei dem Schuldner unmöglich gewesen. Während die frühere Rspr. diesen Einwand zumeist akzeptierte und den Schuldner vom Vorwurf der §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 Var. 1, 7b Var. 1, 283b Abs. 1 Nrn. 1 Var. 1, 3b Var. 1 StGB freisprach (exemplarisch BGHSt 28, 231 [233]; BGH wistra 2007, 308 [309]; NStZ 2003, 546 [548] = wistra 2003, 232 [233]), tendiert die neuere Rspr. dahin, vom Schuldner zu verlangen, finanzielle Vorsorge zu treffen, um der Buch- und Bilanzführungspflicht auch in der Krise nachzukommen (BGH NStZ 2012, 511). Verf. stimmen dieser Rechtsprechungslinie, die die Vorrangthese, wie sie von § 266a Abs. 1 StGB wohlbekannt ist, auf die §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 Var. 1, 7b Var. 1, 283b Abs. 1 Nrn. 1 Var. 1, 3b Var. 1 StGB erstreckt, ausdrücklich zu (Rdnr. 86). Jedoch überzeugt die Vorrangthese schon bei § 266a Abs. 1 StGB nicht (s. nur Brand, WM 2010, 1783 [1785] m.w.N.) und stimmt es angesichts dessen bedenklich, diese Rspr. auch noch auf andere Delikte auszudehnen (Renzikowski, in: Festschr. f. Weber, 2004, S 333 [345 f.]).

e) Es gäbe noch viel mehr zu dem von Weyand/Diversy verfassten Werk über die Insolvenzdelikte zu sagen; dies würde aber den Rahmen dieser Besprechung sprengen. Resümierend bleibt jedenfalls festzuhalten, dass die „Insolvenzdelikte“ von Weyand/Diversy fundiert, aktuell und gut lesbar über die zahlreichen Probleme des Insolvenzstrafrechts informieren und deshalb unbedingt auf den Schreibtisch eines jeden Insolvenzstrafrechtlers gehören!

2. Gunther Arzt/Ulrich Weber/Bernd Heinrich/Eric Hilgendorf: Strafrecht Besonderer Teil,Aufl. 2015, Gieseking Verlag, 84,00 €, ISBN 978-3-7694-1111-9.

Im Berichtszeitraum ebenfalls erschienen ist die dritte Auflage des von Arzt/Weber begründeten und von B. Heinrich/Hilgendorf fortgeführten Lehrbuchs zum Besonderen Teil des Strafrechts.

Die Insolvenzstraftaten – und nur diese interessieren im Rahmen dieses Überblicks – bearbeitet unter § 16 Rdnrn. 50 ff. Bernd Heinrich. Dabei gelingt es Verf. auf wenigen Seiten, dem studentischen Leser die schwierige Materie der §§ 283 ff. StGB näherzubringen. Insbesondere die Diskussion, unter welchen Voraussetzungen sich die Gemeinschuldnerstellung eines Personenverbands auf den Geschäftsleiter übertragen lässt, zeichnet Verf. umfassend nach (Rdnr. 69). Obschon das Insolvenzstrafrecht nicht zum Pflichtstoff im Ersten Juristischen Staatsexamen zählt, ist es mit Blick auf die an den meisten Universitäten existierenden Schwerpunktbereiche zum Wirtschaftsstrafrecht höchst verdienstvoll, einem Lehrbuch zum Besonderen Teil ein Kapitel über die Insolvenzdelikte beizufügen. Am Wirtschaftsstrafrecht interessierten Studenten kann deshalb die Lektüre des von Bernd Heinrich verfassten Kapitels zu den Insolvenzstraftaten nur empfohlen werden!

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Christian Brand
    Akademischer Rat Dr. Christian Brand ist Habilitand am Lehrstuhl für Strafrecht und Nebengebiete bei Professor Dr. Rudolf Rengier. Schwerpunktmäßig forscht er unter anderem zum Insolvenzstrafrecht.

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)