Anouschka Dr. Velke

Tagungsbericht zur WisteV-medstra-ILF-Veranstaltung „Korruption im Gesundheitswesen“ am 18. Mai 2016 in Frankfurt am Main

Rechtsanwältin Dr. Anouschka Velke, LL.M. , Frankfurt a.M.

Eine spannende Veranstaltung hatten die Wirtschaftsstrafrechtliche Vereinigung (WisteV), die Zeitschrift für Medizinstrafrecht (medstra) und das Institute for Law and Finance (ILF) in den repräsentativen Räumen der Goethe Universität Frankfurt organisiert. Die fast vierstündige Veranstaltung befasste sich mit dem brandaktuellen Thema der Korruption im Gesundheitswesen. Wenig überraschend hatte die anstehende Einführung der Straftatbestände der Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen gemäß den §§ 299 a und b StGB zahlreiche Teilnehmer für den Besuch der Veranstaltung begeistern können. Tatsächlich sind die neuen Vorschriften zweieinhalb Wochen nach der Veranstaltung mit Verkündung im Bundesgesetzblatt am 3. Juni 2016 in Kraft getreten.

Nach einer kurzen Begrüßung und Einführung in das Thema durch den Regionalvertreter Mitte der WisteV, Rechtsanwalt Ole Mückenberger von White & Case, stellte Rechtsanwalt Dr. Erno Burk aus der Kanzlei Gleiss Lutz in Berlin den gesundheits-, sozial- und heilmittelbwerberechtlichen Rahmen dar.

Zu Beginn gab er einen Überblick über die bisherigen Praktiken des Arzneimittelvertriebes. Er erläuterte die üblichen Zuwendungen der Pharmaindustrie an Apotheker in Form von Rabatten, Regalmieten und Umsatzkooperationen sowie der Apotheker an Ärzte durch Direktbelieferungsabsprachen, Bezahlung des ärztlichen Personals oder der Beteiligung an der Praxismiete. Anschließend benannte er konkrete Beispiele der bisher gängigsten im Markt bekannten Zuwendungen in Form der Umsatzbeteiligung für verordnete Medikamente, der Finanzierung von Anwendungsbeobachtungen, dem Honorar für Patientenbefragungen zur Medikamentenzufriedenheit, dem Kongresssponsoring sowie der Auftragserteilung an Familienangehörige. Spätestens nach dieser Darstellung Burks musste man sich auch als Verteidiger eingestehen, dass eine solche Zuwendungspraxis aufgrund ihres möglichen Einflusses auf die Objektivität des Arztes oder Apothekers bei einer Behandlungs- oder Medikamentenempfehlung nicht immer im Sinne des Patienten sein kann.

Burk stellte klar, dass die bisherige Rechtslage bereits jetzt – also noch vor Einführung der neuen Straftatbestände – über mannigfaltige Sanktionsmöglichkeiten verfüge. So verbiete bereits § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) die Gewährung von Zuwendungen, sofern nicht eine der hierin abschließend aufgeführten Ausnahmen vorliege (Geringwertigkeit; klar berechenbare Bar- oder Naturalrabatte; handelsübliches Zubehör oder Nebenleistungen sowie kostenfreie Kundenzeitschriften). Burk wies darauf hin, dass ein Verstoß nach § 15 Abs. 1 Ziff. 4a HWG mit einer Geldbuße bis zu 50.000,- € belegt werden könne. Auch stellte er klar, dass mit § 130 OWiG auf der Leitungsebene und § 30 OWiG auf Unternehmensebene weitere Sanktionsmöglichkeiten mit durchaus höheren Bußgeldrahmen bestünden. Des Weiteren wies Burk auf das Verbot der Arzneimittel-Bevorzugung in § 10 Apothekengesetz (ApoG) und das Kooperationsverbot in § 11 ApoG hin, die im Falle einer Zuwiderhandlung nicht nur wettbewerbsrechtliche Auswirkungen nach den §§ 3a und 8 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), sondern auch als Ordnungswidrigkeit nach § 25 ApoG mit einer Geldbuße von bis zu 20.000,- € sanktioniert werden könnten.

Zum Abschluss seines Vortrages ging Burk auf die sozial- und berufsrechtlichen Verbotsvorschriften ein. Hierbei wies er für die Apotheker auf die sozialrechtliche Sanktionsmöglichkeit des § 128 Sozialgesetzbuch V (SGB V) hin, der bei einer unzulässigen Zusammenarbeit mit Vertragsärzten einen Vergütungswegfall durch die Krankenkassen vorsieht, § 128 Abs. 3 SGB V. Letztlich ging er auf die bereits bestehenden berufsrechtlichen Verbote der § 31 (Unerlaubte Zuweisung) und § 32 (Unerlaubte Zuwendung) der (Muster-) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBÖ-Ä) ein, die allerdings mit Inkrafttreten der neuen §§ 299 a und b StGB an Bedeutung verlieren werden.

Insgesamt gelang es Rechtsanwalt Dr. Burk mit seinem Vortrag in bemerkenswert kurzer Zeit einen guten Überblick über die bestehende heilmittelberbe-, sozial- und berufsrechtliche Gesetzeslage zu vermitteln, was als ideale Überleitung für die Ausführungen seiner Kollegen von Gleiss Lutz in Frankfurt, den Rechtsanwälten Dr. Dirk Scherp und Dr. Christoph Skoupil diente.

Scherp und Skoupil, die sich thematisch mit den „Risiken im Lichte der neuen §§ 299 a und b StGB“ befassten, gingen zunächst auf die Entwicklung, den Hintergrund sowie den aktuellen Stand der neuen Vorschriften ein.

Hieraus wurde deutlich, dass mittlerweile bis heute mehr als vier Jahre seit der Entscheidung des Großen Senats des BGH für Strafsachen (29.3.2012, GSSt 2/11) zu Vertragsärzten und seiner hierin geäußerten unverhohlenen Aufforderung an den Gesetzgeber, aktiv zu werden, vergangen sind. Erst im August und Oktober 2015 hatte die Bundesregierung einen ersten „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen“ vorgelegt (BR-Drucksache 360/15, abrufbar unter:   http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2015/0360-15.pdf sowie BT-Drucksache 18/6446, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/064/1806446.pdf).

Dabei machten aus Sicht des Gesetzgebers die Wertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter (fairer Wettbewerb, Verteuerung medizinischer Leistungen sowie Vertrauen der Patienten in die Integrität der Heilberufe), die unzureichenden berufs- und sozialrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten sowie der hohe Unrechtsgehalt von Verstößen eine strafrechtliche Regelung als ultima ratio erforderlich. Am 13. Mai 2016 passierte der „Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der Korruption im Gesundheitswesen“ nach diversen Beratungen (siehe die Gesetzeshistorie unter http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP18/685/68571.html) endlich den Bundesrat, wenn auch mit der Empfehlung, die Gesetzesanwendung nach Einführung der Vorschriften zu beobachten und ggfls. nachzubessern (BR-Drucksache 181/16, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2016/0181-16B.pdf). Mittlerweile ist das Gesetz mit Verkündung im Bundesgesetzblatt am 3. Juni 2016 in Kraft getreten (siehe hierzu: http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*[@attr_id=%2527bgbl116s1254.pdf%2527]#__bgbl__%2F%2F*[%40attr_id%3D%27bgbl116s1254.pdf%27]__1465392822236).

Die Referenten erläuterten sodann die Voraussetzungen der neuen Tatbestände. Hierbei werde der künftige § 299 a StGB die Nehmerseite und § 299 b StGB die Geberseite erfassen. Zur Vermeidung von Regelungslücken habe sich der Gesetzgeber für einen weiten Anwendungsbereich entschieden und sowohl die akademischen Heilberufe als auch die Gesundheitsfachberufe in den Tatbestand mitaufgenommen. Auch habe er sich für einen weiten Vorteilsbegriff entschieden, womit bereits jede Leistung ohne Rechtsanspruch unter den neuen Tatbestand zu fassen sei. Von einer Geringwertigkeits- oder Bagatellgrenze (die beliebten Kugelschreiber oder Taschentücher mit Werbeaufdruck) habe man ausdrücklich Abstand genommen, so dass auch die geringste Zuwendung zunächst als Vorteil gelte. Allerdings könnten diese auf der Ebene der notwendigen „Unrechtsvereinbarung“ als sozialadäquat ausscheiden. Eine solche Unrechtsvereinbarung bestehe dann, wenn der Vorteil als Gegenleistung für eine Bevorzugung im Wettbewerb diene. Hierbei könne man sich an den bisherigen Maßstäben der §§ 299 ff. StGB sowie an den Kodizes des Gesundheitsmarktes und am Berufsrecht orientieren. Allerdings wiesen die Referenten auf die Schwierigkeit hin, dass nicht jede Handlung, die berufsrechtlich erlaubt sei, künftig auch straflos sein werde und umgekehrt. Bereits dieser Hinweis ließ erahnen, welche Rechtsunsicherheiten zukünftig zu erwarten sein werden. Des Weiteren müsse der Vorteil nach dem neuen Gesetzeswortlaut im Zusammenhang mit der Verordnung von (auch nicht verschreibungspflichtigen) Produkten oder dem Bezug von Produkten bzw. der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial stehen. Das Erfordernis einer Bevorzugung im Wettbewerb werde – so die Referenten – regelmäßig gegeben sein. Lediglich bei einer vorliegenden Monopolstellung sei eine solche Konstellation zu hinterfragen, wobei der Gesetzgeber bereits darauf hingewiesen habe, dass wegen nahezu immer bestehender Therapiealternativen oder Generika stets eine Wettbewerbssituation vorliegen werde.

Zum Abschluss ihres Vortrages machten Scherp und Skoupil auf eine äußerst praxisrelevante Regelungslücke aufmerksam. Hiernach werde der korruptive Arzneimittelbezug durch Apotheker nicht von dem aktuellen Gesetzeswortlaut des neuen § 299 a StGB erfasst. Denn das Gesetz verlange in seiner jetzigen Ausgestaltung die „unmittelbare Anwendung“ der bezogenen Produkte „durch den Heilberufsangehörigen“. Der Apotheker fungiere indes lediglich als Verkäufer, so dass an diesen bei Arzneimittelbezug gewährte Rabatte, Skonto oder Boni nicht hiervon erfasst würden. Da hier wohl kaum eine geplante Regelungslücke vorliegen dürfte, war zu diskutieren, ob dieses Regelungsdefizit durch die bestehenden Korruptionsvorschriften aufgefangen wird. Die Referenten äußerten ihre Zweifel, ob der Apotheker als Angestellter oder Beauftragter der Krankenkassen i.S.d. § 299 StGB oder als Amtsträger nach § 331 StGB zu werten sei. Da sich der Große Senat in seiner damaligen Entscheidung letztlich aber nicht mit Apothekern, sondern lediglich mit Vertragsärzten befasst habe, sei die Anwendung der allgemeinen Korruptionsvorschriften laut Scherp und Skoupil nicht ausgeschlossen. Sicher sei allerdings, dass branchenübliche und allgemeingültige Rabatte, die jedem Wettbewerber gleichermaßen zuteilwürden, jedenfalls mangels Unrechtsvereinbarung nicht von den Korruptionsvorschriften erfasst würden. Als Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die neuen §§ 299 a und b StGB schlugen die Referenten vor, auf ein ausgewogenes Leistungs- und Gegenleistungs-Verhältnis zu achten, eventuelle Vorteile strikt von der Entscheidungsfindung zu trennen sowie jede Vorteilsgewährung oder Zuwendung transparent zu dokumentieren und offenzulegen.

Zusammenfassend gaben die Rechtsanwälte Dr. Scherp und Dr. Skoupil einen hervorragenden Überblick über die neuen Tatbestände, wobei sie bereits zu erwartende Rechtsanwendungsprobleme verdeutlichten.

Auf ebensolche Probleme wies auch Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht und Strafrecht Dr. Michael Tsambikakis mit seinem Vortrag „Korruption durch Kooperation“ hin. Tsambikakis stellte klar, dass künftig auch formal zulässige Kooperationen zwischen Krankenhäusern und Ärzten mit der Pharmaindustrie einerseits, und niedergelassenen Ärzten und Laboren mit Krankenhäusern andererseits sowie letztlich niedergelassenen Ärzten mit Laboren und sonstigen Anbietern medizinischer Hilfsmittel (wie z.B. Hörgeräteakustiker oder Sanitätshäusern) einem erhöhten Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt sein würden. Das gesteigerte Strafverfolgungsrisiko machte er daran fest, dass bei Kooperationen regelmäßig ein synallagmatisches Verhältnis zwischen Leistung und Vorteil bestehe; darüber hinaus sei die Abgrenzung einer erlaubten von einer unzulässigen Kooperation bereits nach dem Primärrecht (§ 128 SGB V und § 31 MBO-Ä) mit Rechtsunsicherheiten behaftet; letztlich bestünde die Möglichkeit, eine verbotene Kooperation durch die Vorgabe einer formal zulässigen zu verschleiern. Die Staatsanwaltschaft werde mithin bei ihren Ermittlungen Unrechtsvereinbarungen anhand von Indizien herleiten, weshalb Kooperationsvereinbarungen als Manifest eines Leistungsaustauschs regelmäßig kritisch auf deren Üblichkeit, Sozialadäquanz, Transparenz und Dokumentation überprüft werden würden. Oberstes Gebot zur Vermeidung von Strafverfolgungsrisiken sei mithin die volle Transparenz der Kooperation und bestenfalls die strikte Trennung des Einkaufs von den Berufsträgern (z. B. den produktanwendenden Ärzten), wobei Tsambikakis klarmachte, dass sich dies in der Praxis kaum werde durchsetzen können, da letztlich die Berufsträger über den Bedarf und die Beschaffenheit der Produkte zu entscheiden hätten.

Tsambikakis stellte anschließend etliche Fallgestaltungen dar, aus denen deutlich wurde, dass mit Inkrafttreten der §§ 299 a und b StGB der medizinische Sektor hohen Risiken einer Strafverfolgung unterliege. So werde künftig beispielsweise die Zuweisung von Patienten aufgrund der sehr weit gefassten Regelung in der Nummer 3 der §§ 299 a und b StGB riskant werden. Auch die bislang üblichen Kooperationen von Krankenhäusern mit niedergelassenen Ärzten und die Beschäftigung als Honorarärzte werde künftig problematisch sein. Die Schwelle zur Bejahung eines Anfangsverdachts werde hier regelmäßig sehr niedrig sein. Es seien viele Verfahrenseinleitungen aufgrund von Strafanzeigen durch Konkurrenten, ehemalige Kollegen oder Lebenspartner zu erwarten. Eine Empfehlung auszusprechen, die mit einem Vorteil verbunden sei, sei mithin künftig nicht ungefährlich. Da der Staatsanwaltschaft meist nur Indizien vorliegen würden, um die Zuweisung zu beurteilen, sei eine transparente Dokumentation auch hier dringend geboten, aus der die sachlichen Gründe für die Empfehlung und die Aufklärung über etwaige Alternativen hervorgehen würden. Allerdings werde auch eine solche Dokumentation nicht die mit Einführung der neuen Straftatbestände bestehende Rechtsunsicherheit, wann die Grenzen einer zulässigen Kooperation überschritten seien, beseitigen können.

Insgesamt verdeutlichte der ausgezeichnete Vortrag von Rechtsanwalt Tsambikakis, dass der Gesundheitsmarkt mit Inkrafttreten der neuen Tatbestände aufgrund des leicht zu bejahenden Anfangsverdachtes schnell mit Ermittlungsverfahren konfrontiert sein wird.

An dieses Fazit Tsambikakis konnte Herr Oberstaatsanwalt Badle von der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt mit seinem „Zwischenruf aus der Sicht der Staatsanwaltschaft“ nahtlos anknüpfen.

Badle wies gleich zu Beginn darauf hin, dass eine von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafverfolgung mit Augenmaß immer eine entsprechende Infrastruktur, Kommunikation und einen Erfahrungsaustausch voraussetzte. Ernüchternderweise gab Badle offen preis, dass eine solche Kommunikation zwischen den Staatsanwaltschaften der einzelnen Länder nicht stattfinde. Stattdessen koche „jeder sein eigenes Süppchen“. Badle gab unumwunden zu, dass die Staatsanwaltschaft mit Inkrafttreten der neuen Vorschriften vor enormen Anwendungsproblemen stehe. Plötzlich sei sie über das Strafrecht hinaus mit medizin- und wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen befasst. Im Kern gehe es darum, den Markt und dessen Gegebenheiten zu verstehen. Dabei müsse man sich als Staatsanwaltschaft fragen, wie man in Zukunft vernünftig und sachgerecht mit den neuen Tatbeständen umgehe. Auch wenn der Gesetzgeber zahlreiche Probleme erkannt und viele Detailfragen in seiner Gesetzesbegründung behandelt habe, stelle dies die Staatsanwaltschaft vor riesige Herausforderungen. Dabei liege das Hauptproblem der Ermittlungsbehörde in der ihr fehlenden Expertise. Eigentlich müsse man zunächst mehrere Jahre in diesem Bereich gearbeitet haben. „Try and error“ gehe hier klar zu Lasten des Mandanten und der betroffenen Unternehmen. Dies werde auch starke Auswirkungen bei der Verhängung von Verbandsgeldbußen nach § 30 OWiG haben, was eine massive wirtschaftliche Belastung für die Unternehmen darstellen werde.

Nach dieser aus Verteidigersicht alarmierenden Einführung, erklärte Badle dass die Staatsanwaltschaften in Hessen immer bereit seien, zu kooperieren. Es sei ihnen ein Anliegen, eine Strafverfolgung „mit Augenmaß“ zu betreiben, bei der die individuellen Gegebenheiten berücksichtigt würden. Da der Staatsanwaltschaft die niedrige Schwelle des Anfangsverdachtes bewusst sei, wolle sie „alles versuchen“, um Durchsuchungen oder auf Verdunklungsgefahr gestützte Haftbefehle zu vermeiden. Bereits die Erwähnung dieser strafprozessualen Instrumentarien vermochte den zuhörenden Verteidiger nicht gerade zu beruhigen.

Badle stellte klar, dass er den Hauptanwendungsbereich der neuen Straftatbestände weniger im Bereich der Pharmaindustrie sehe, da diese bereits „ihre Hausaufgaben gemacht“ habe. Vielmehr sehe er den Schwerpunkt im Bereich der ambulanten und stationären Versorgung sowie der Honorararzttätigkeit im Krankenhaus.

Stellvertretend für die Staatsanwaltschaft äußerte Badle die Bitte an die Anwaltschaft, die Strafverfolgungsrisiken durch eine präventive und risikoarme Beratung zu minimieren. Auch wenn dies für die Mandanten möglicherweise mit Umsatzeinbußen einhergehe, sei dies „immer noch besser als ein Strafverfahren“. Das Risiko einer Strafverfolgung sei in Anbetracht der niedrigen Schwelle des Anfangsverdachts enorm und mit gravierenden Folgen, wie dem Reputations- und Arbeitsplatzverlust sowie finanziellen Einbußen verbunden. Daher sei es vorzugswürdig, Zweifelsfragen möglichst im Vorfeld zu klären. Für den Zuhörer drängte sich der Eindruck auf, dass Badle die Veranstaltung als Gelegenheit nutzte, um diese Sicht der Dinge den Adressaten der Vorschriften zu kommunizieren.

Abschließend erklärte Badle, dass die §§ 299 a und b StGB keine neuen Verbote definieren, sondern lediglich eine neue Sanktionsschärfe bedeuten würden. Der Ratiopharm-Skandal habe den Druck auf den Gesetzgeber erhöht. Auch die durch die Pharmaindustrie bezahlten Anwendungsbeobachtungen seien nicht umsonst in Verruf geraten, sondern seien ein Einfallstor gewesen, um den Ärzten getarnt verbotene Zuwendungen zukommen zu lassen. Der Markt habe es versäumt, sich selbst zu regulieren. Der Gesetzgeber habe mithin keine andere Wahl gehabt, als die neuen Straftatbestände zu erlassen. Der Appell des Großen Strafsenats hätte letztlich nur noch den letzten Anstoß hierzu gegeben. Die Beteiligten des Gesundheitsmarktes müssten aber nicht beunruhigt sein. Alles, was bisher erlaubt gewesen sei, werde auch weiterhin erlaubt sein. Allerdings werde künftig die vereinbarte Vergütung ein maßgebliches Indiz für die Abgrenzung eines zulässigen von einem strafbaren Verhalten sein.

Zusammenfassend war Badles „Zwischenruf“ von erstaunlicher Offenheit gekennzeichnet. Weder verhehlte Badle die innerhalb der Staatsanwaltschaften zu erwartenden Anwendungsprobleme infolge unzureichender interner Kommunikation, noch fehlender Expertise und mangelnden Erfahrungsaustauschs, noch beschönigte er, dass diese anfänglichen Defizite letztlich zu Lasten der Mandanten und Unternehmen gehen werde („try and error“). Auch wenn zu vermuten ist, dass Badle in der Sache sicher eine harte Position vertreten wird (ob beispielsweise eine Vergütung als angemessen anzusehen ist oder nicht), vermittelte er doch den Eindruck, sich der möglichen, gravierenden Auswirkungen eines aufgrund eines schnell gegebenen Anfangsverdachts eingeleiteten Ermittlungsverfahrens bewusst und daher gesprächsbereit zu sein, sowie mit Augenmaß vorgehen zu wollen. Allerdings machte Badle deutlich, dass er diese moderate Herangehensweise lediglich von den Staatsanwaltschaften in Hessen in Aussicht stellen könne. Es bleibt daher für die Betroffenen zu hoffen, dass auch die Strafverfolgungsbehörden der anderen Länder sich diesem Vorhaben anschließen und auch tatschlich umsetzen werden.

Die rundum gelungene Veranstaltung fand ihren Abschluss in einer Paneldiskussion der Referenten, die durch Prof. Karsten Gaede von der Brucerius Law School in Hamburg moderiert wurde. Die Diskussion ergab, dass letztlich das Gesundheitswesen an seiner Compliance arbeiten und für deren Funktionstüchtigkeit sorgen müsse. Dabei zeigte sich allerdings in der anschließenden Diskussion mit den Teilnehmern die Schwierigkeit, die Angemessenheit der Vergütung, beispielsweise von Honorarärzten, beurteilen zu können. So sei z.B. ein ländliches Krankenhaus aufgrund seiner Abhängigkeit eher bereit, dem unterstützenden Arzt ein hohes Honorar zu bezahlen als eines in der Stadt mit einer hohen Arztdichte. Letztlich waren sich die Referenten einig, dass der Markt sich gerade aufgrund der Einführung der neuen Straftatbestände im Wandel befinde und man die Entwicklung weiter abwarten müsse.

Die Veranstaltung fand ihren Ausklang bei einem anschließenden Imbiss im Foyer des House of Finance, bei dem man die Gelegenheit hatte, das Thema noch zu vertiefen. Insgesamt ist der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung, der Zeitschrift für Medizinstrafrecht und dem Institute for Law and Finance ein großer Dank für die Organisation dieser hervorragenden (und noch dazu kostenfreien!) Veranstaltung auszusprechen, die noch einmal mehr mit der gezeigten Qualität der Vorträge und der vorhandenen Fachkompetenz der Referenten ein hohes Niveau unter Beweis gestellt hat.

Autorinnen und Autoren

  • Anouschka Dr. Velke
    Dr. Anouschka Velke ist seit vielen Jahren als Rechtsanwältin im Wirtschaft- und Steuerstrafrecht tätig. Ihre berufliche Laufbahn begann sie 2004 in der wirtschaftsstrafrechtlichen Kanzlei Prof. Dr. Hamm und Partner. Ab 2007 gehörte sie der wirtschaftsstrafrechtlichen Kanzlei Dr. Dörr und Kollegen an. Im Sommer 2011 übernahm sie in Frankfurt die Standortleitung für den Bereich Wirtschafts- und Steuerstrafrecht bei PricewaterhouseCoopers (PwC). 2016 gründete sie die Kanzlei Dr. Velke.

WiJ

  • Dr. Ulrich Leimenstoll

    Umweltstrafrecht – besondere Herausforderungen für die Verteidigung und strafrechtliche Beratung

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions-Compliance

    Außenwirtschaftsrecht, Kriegswaffenkontrollrecht

  • Ronja Pfefferl , Henrik Halfmann

    Außerstrafrechtliche Folgen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

    Individual- und Unternehmenssanktionen