Folker Bittmann

Reiß, Roman, Das „Treueverhältnis“ des § 266 StGB – Ein Tatbestandsmerkmal zwischen Akzessorietät und faktischer Betrachtung

[:de]

Baden-Baden 2014, 536 S., 119 €

  1. Die (zutreffende) Besinnung auf die systematische Auslegung eines heiß diskutierten Tatbestands bietet zwei allgemein anerkannten wissenschaftlichen Kapazitäten des (auch: Wirtschafts-)Strafrechts (Prof. Dr. Ulf Neumann und Prof. Dr. Walter Kargl) genügenden Anlass, die Dissertation von Roman Reiß uni sono mit summa cum laude zu bewerteten, begleitet von dem Fazit, die Arbeit belege, dass die Instrumente herkömmlicher Strafrechtsdogmatik noch nicht stumpf geworden seien (Kargl). Dem nicht wissenschaftlich geprägten Rezensenten gebietet solcherart Lob Schweigen dort, wo er nicht zu Hause ist, und die Beschränkung auf die Sicht eines Praktikers.
  2. 1. a) Roman Reiß befaßt sich in seiner Dissertation mit dem „Treueverhältnis“ des § 266 StGB. Er gelangt mit bloßem Blick auf den Tatbestand zu der ebenso richtigen wie möglicherweise dem allgemeinen (Rechts-)Bewußtsein entratenen Erkenntnis, dass zwischen dem Urgrund, der Begründung eines Treuverhältnisses einerseits, und dem Betreuungsverhältnis andererseits unterschieden werden müsse, „Treueverhältnis“ also nicht der Oberbegriff sei (S. 73 f., 109, 111 f. und passim), während der Tatbestand in jedem Fall eine Vermögensbetreuungspflicht voraussetze (S. 499). Ersteres betrifft das „ob“, den Einstieg, Letzteres das „Wie“, die Qualitätsanforderungen, die nach dem ersten Schritt, dem Einstieg, erfüllt sein müssen, um das auf Gesetz, behördlichem Auftrag, Rechtsgeschäft oder Treue ruhende Grundverhältnis  zu einem Betreuungsverhältnis zu erheben (S. 94), verstanden als Zusammenfassung der Umstände, nur deren Verletzung innerhalb des jeweiligen Grundverhältnisses untreuerelevant ist.b) Diese Differenzierung ist wichtig, sie ist grundlegend – keine Frage. Und es ist in der Tat ein alles andere als gering einzuschätzendes Verdienst, sie gegen die allzu häufige Vermengung beider Aspekte nachhaltig zu betonen. Gleichwohl: mag das bei aktuellem Stand der Diskussion auch ein ausreichendes Thema für eine Dissertation sein, und bewundernswert, dazu über 500 Seiten zu schreiben – der Rezensent steht mit offenem Mund davor – so bleibt es aus praktischer Sicht trotzdem die Befassung allein mit den Einstiegsvarianten des Tatbestands. Wer angesichts der seit Jahren geführten Diskussion über die Anforderungen, die aus einem Schuldverhältnis ein (untreuerelevantes) Betreuungsverhältnis machen, Ausführungen zu diesem Thema erwartet, muss sich mit der als spröde empfundenen Disziplin von Reiß abfinden, dessen Blick strikt auf den Basics verharrt oder nach kurzen Ausflügen wieder zu diesen zurückkehrt. Wiewohl das weniger gegen Reiß als gegen die üblich gewordene Art der Befassung mit dem Tatbestand spricht, stellt sich doch der Wunsch ein, auch zum Thema „Anforderungen an die Betreuungspflicht“ Näheres erfahren zu wollen, anstatt das Grundverhältnis in einer (gefühlt) 360-Grad-Betrachtung in kleineren als Zehnerschritten (allerdings durchaus interessant) erklärt zu bekommen.2. Löst man sich von der Frage nach der Berechtigung der vorgenommenen thematischen Konzentration, so fokussiert sich der Blick auf die tatbestandsbegründenden Einstiegsvarianten. Der Extrakt ist griffig: die aus Gesetz, behördlichem Auftrag und Rechtsgeschäft gebildete Gruppe verlange gewahrte Rechtsförmigkeit in jeglicher Hinsicht. Demgegenüber erfahre das unbenannte, vorjuristisch in zwischenmenschlich (S. 230) aufgrund (tatsächlichen) gemeinsamen Wollens gebildete Vertrauen im Treueverhältnis (zu dessen Voraussetzungen S. 239-243, auch 499 f.) juristische Anerkennung. Daran ändere selbst Sittenwidrigkeit (S. 295-304. S. 296: Ganovenuntreue), eingeschränkte oder sogar fehlende Geschäfts- bzw. Schuldfähigkeit nichts, entstehe es direkt im Verhältnis zum Geschäftsherrn, d.h. unter dessen Beteiligung, oder (wie bei Eltern für ihre Kinder) gegenüber einem Dritten, aber zu dessen Gunsten (z.B. 478 f.). In all diesen Fällen gründe das Betreuungsverhältnis notwendigerweise auf Vertrauen, aber auch nur bei diesen, während es bei den anderen Grundvarianten ersetzt werden könne, so dass es dort zuweilen von allem anderen, nur nicht von Vertrauen getragen sei. Alle vier Eingangsmerkmale setzten sich aus zwei Komponenten zusammen: dem Grundverhältnis als solchem und dessen Entstehung in einem Bestellungsakt (S. 84 f. und passim). Die Wahrnehmung fremder (Vermögens-)Interessen allein genüge deshalb nicht. Vielmehr müsse der Geschäftsherr an der Entstehung mitwirken, allerdings nur tatsächlich, nicht notwendig in rechtlich anerkannten Bahnen (S. 84 f., 88, 226 f., 286, 508). In der Variante des (unbenannten) Treuverhältnisses fehle es andernfalls an einer das Vertrauen begründenden Basis. Macht allein begründe keine (Vermögensbetreuungs-) Pflicht (S. 450-453).3. Diese Überlegungen bilden ein systematisch plausibles Gerüst. Die Frage nach dessen Tragfähigkeit ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Auf die Verprobung seiner dogmatischen Abgrenzung an realen Beispielen legt Reiß keinen besonderen Schwerpunkt. Ein wirklicher Fall: der Geschäftsführer fiel aufgrund Schlaganfalls aus, seine Gattin kümmerte sich um ihn, aber nicht ums Geschäft. Dies besorgte seine „rechte Hand“ – schon zuvor unersetzlich, aber ohne formale Funktion. Bleibt er straflos, entdeckt er angesichts der Agonie des Übervaters seinen Eigennutz? Einen Tatbestand, auf den der nun sieche Geschäftsführer auch nur de jure vertrauen könnte, hat er nicht gesetzt: Glück des Fitten = Pech des Kranken? Der Nicht-Wissenschaftler fühlt sich allein gelassen, obwohl Reiß sein theoretisches Gebäude nicht nur methodisch, sondern auch mit Blick auf das Verfassungsrecht (Bestimmtheit, Verhältnismäßigkeit, S. 308-327) und – innovativ – in ökonomischer Analyse (S. 339-433) sowie teleologisch (S. 434-506) absichert. Es wird der Ungeduld des Rezensenten geschuldet sein, dass ihn die vorhergesehene und tatsächlich auch ebenso verlässlich wie schnell wiederkehrende Bestätigung des immer gleichen Ergebnisses eher langweilt als überzeugt.4. a) Nicht aus dem Blick geraten dürfen allerdings die durchaus verallgemeinerungsfähigen Erkenntnisse: Das Rekurrieren auf die zumindest vorstrafrechtliche Begründung eines (unbenannten) Treuverhältnisses, auf dessen zwischenmenschliches Entstehen, ist durchaus überzeugend. Daran ändert auch der Verzicht auf eine methodische Einordnung nichts, so dass letztlich offenbleibt, ob Reiß mit seiner faktisch-akzessorischen Betrachtungsweise das „rein strafrechtlich“ zu bestimmende (S. 159, auch 500, 498) Treueverhältnis als normatives Tatbestandsmerkmal versteht (dafür spricht wohl S. 230: „blankettartig“ ist eben gerade kein „Blankett“) oder (wahrscheinlicher, S. 498) doch als Blankett (S. 158 f., 230, 456 f., 498). Der Urgrund liege weder im Tatsächlichen noch im Rechtlichen (S. 493-496): was nun? Tertium non datur! Vielleicht hilft das Einfügen von „ausschließlich“. Zutreffend erscheint jedenfalls die Differenzierung zwischen außerjuristischer Entstehung des Treuverhältnisses und dessen juristischer Adaption. Konsequent ist es, die zivilistische Anerkennung faktischer Geschäftsführung (nach Reiß zutreffend nur bei Vorliegen eines willensgestützten, nicht aber notwendig auch auf Wahrung der Rechtsförmigkeit abzielenden Bestellungsakts, S. 288 f., 293 – das dürfte im Kern tragfähig sein) untreuerechtlich der Grundlagenvariante „Gesetz“ zuzuordnen (z.B. S. 158). Nachhaltig besteht Reiß auf der Maßgeblichkeit allein der rechtlich begründeten Pflichten mit der Folge, dass es anders als bei der Unterlassungsstrafbarkeit (dazu S. 161-179, 251-257) nicht auf die tatsächliche Übernahme der Pflichtenstellung ankommen könne (S. 202-205, 248-251, 292, 446-450). Das lässt sich hören und führt zur Strafbarkeit auch des Strohmanns.Mit leichter Hand belegt Reiß zudem die Fragwürdigkeit der allgemein akzeptierten Sicht, Untreue schütze gegen Gefahren von „innen“: denn dies ernstgenommen fielen Makler und Anwälte nicht unter den Tatbestand (S. 217). Wünschenswert wäre es allerdings gewesen, er hätte bei diesem Befund nur inne-, aber an ihm nicht auch als Endergebnis festgehalten. Seine Betrachtung zeigt nämlich zwar die mangelnde Präzision der Formulierung auf. Diese ist aber gleichwohl nicht nur eingängig, sondern als Abgrenzung zu anderen Vermögensdelikten, insbesondere zum Betrug, auch richtig und damit geeignet: Untreue befasst sich mit den Gefahren für das Vermögen nur aus dem Lager des Vermögensinhabers, hat das Verhältnis von Inhaber (Geschäftsherrn) zu dessen Betreuer und damit dieses Innenverhältnis zum Gegenstand. Letzteres ist Abstufungen zugänglich (Eltern, GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer sind enger mit dem Vermögensträger verbunden als Vormundschaftsgericht und Makler), muss aber vorhanden sein, weil es andernfalls an der Differenz zwischen Vermögensträger und Verwalter fehlte, beide identisch wären, § 266 StGB, das Strafrecht allgemein, eine Treuepflicht zum eigenen Vermögen aber nicht kennt.b) aa) Weniger überzeugend ist die strikte Ablehnung einer Betreuungspflicht im Abwicklungsstadium eines (unbenannten) Treueverhältnisses. Ein solches insoweit zu verneinen, wird zwar dem von Reiß entwickelten System gerecht, das allein auf gegenwärtiges tatsächliches Vertrauen abstellt (S. 435 f.), ist aber als letztes Wort weder ausreichend begründet noch im Ergebnis überzeugend. Ausgangspunkt dieser seiner Überlegungen ist das Abstellen auf das außerjuristische Entstehen des Treuverhältnisses. Demgemäß endet es konsequenterweise mit dem Ende des Vertrauenstatbestands. Zutreffend erkennt Reiß allerdings, dass dessen Herbeiführen zur Unzeit durchaus selbst treuwidrig sein kann (S. 334 f.). Dann aber drängt sich die Frage auf, ob nicht nur das „Ob“ der Beendigung des „gemeinsamen Wollens“, sondern auch das „Wie“ untreuerelevant sein kann. Das gilt erst recht angesichts seiner eigenen Erkenntnis, dass zwischen außerjuristischer Begründung des Treuverhältnisses und der juristischen Anerkennung darauf aufbauender Pflichten unterschieden werden müsse. Warum soll das nur für die Phase der Begründung, nicht aber auch für das Stadium der Beendigung gelten? Seiner der untreuerechtlichen Behandlung des faktischen Geschäftsführers zugrundeliegenden Dogmatik gemäß müsste Reiß zumindest die Abwicklungsphase (oder vielleicht gar jegliche inhaltliche Ausgestaltung aller Betreuungsverhältnisse?) als eine solche ansehen, die kraft Gesetzes Pflichten enthält. Strukturell Gleiches gilt für seine Ablehnung jeglicher Vermögensbetreuungspflicht nicht nur eines Gesellschafters, sondern auch der Obergesellschaft (Konzernmutter) gegenüber einer abhängigen Gesellschaft (S. 509 f.). Für beide parallelen Strukturen bleibt die Frage ungestellt, ob hier Untreue, wenn nicht auf Basis eines „Treueverhältnisses“, so doch wegen Verletzung von auf Grundlage des „Gesetzes“ entstandenen Pflichten in Betracht kommt.bb) Untreuerechtlich könnte die (von Reiß sowieso verneinte) Anerkennung der Beendigungslage als Verwirklichung einer Grundlagenvariante allerdings nicht allein ausschlaggebend sein. Vielmehr käme es auch insoweit darauf an, welche der Abwicklungspflichten den qualitativen Anforderungen an das Gebot, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, genügten. Hier schmerzt das Defizit der Aussparung jeglicher Erwägungen zu diesem Thema. Aber nicht nur das. Die pauschale Ablehnung der Abwicklungsphase als untreuerechtliche Grundlagenvariante begründet Reiß allein im Blick auf legale Abwicklungspflichten. Insoweit mag man ihm durchaus zustimmen, dass etwa die Herausgabepflicht eines Geschäftsführers vergleichbar ist mit jeglicher anderen Herausgabepflicht (z.B. nach Rücktritt vom Vertrag). Damit ist jedoch nur ein Teil der einschlägigen tatsächlichen Varianten aufgegriffen. Ausgeblendet bleiben dabei andere, per se illegitime Verhaltensweisen wie z.B. das Ausnutzen von innerhalb des Treuverhältnisses erlangten Kenntnissen. Ist das Behalten des geschäftlichen Laptops (missachtete Herausgabepflicht) vergleichbar mit dem privaten Eintreiben von Gesellschaftsforderungen am Insolvenzverwalter vorbei? Betrug scheidet mangels Schadens aus, § 407 BGB, wenn und weil der Schuldner in seinem Vertrauen, an den Berechtigten, eben den (unerkannt: früheren) Geschäftsführer (als Repräsentanten des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens), geleistet zu haben, geschützt ist und nicht nochmals in Anspruch genommen werden kann. Warum in aller Welt soll derartiges Verhalten aber auch sub specie Untreue straflos sein? Anerkannt ist die Tatbestandsmäßigkeit während des Bestehens des (privaten) Amtes. Ist das Handeln weniger illegitim, nur weil das Amt im Extremfall um 0,01 Uhr gerade mal seit einer Minute förmlich beendet ist? Man mag ja unterschiedliche Antworten auf diese Frage geben können – stellen muss man sie jedoch!

III. Fazit: Eine Arbeit mit trotz der ersichtlichen Skepsis gegenüber Teilen der Argumentation wichtigen, mit bleibenden, mit Erkenntnissen, die die Praxis beeinflussen, ja (mit-) bestimmen sollten,  sind sie doch nicht nur (mehr oder weniger) wissenschaftlich abgesichert, sondern auch (weitgehend) in sich schlüssig.

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Baden-Baden 2014, 536 S., 119 €

  1. Die (zutreffende) Besinnung auf die systematische Auslegung eines heiß diskutierten Tatbestands bietet zwei allgemein anerkannten wissenschaftlichen Kapazitäten des (auch: Wirtschafts-)Strafrechts (Prof. Dr. Ulf Neumann und Prof. Dr. Walter Kargl) genügenden Anlass, die Dissertation von Roman Reiß uni sono mit summa cum laude zu bewerteten, begleitet von dem Fazit, die Arbeit belege, dass die Instrumente herkömmlicher Strafrechtsdogmatik noch nicht stumpf geworden seien (Kargl). Dem nicht wissenschaftlich geprägten Rezensenten gebietet solcherart Lob Schweigen dort, wo er nicht zu Hause ist, und die Beschränkung auf die Sicht eines Praktikers.
  2. 1. a) Roman Reiß befaßt sich in seiner Dissertation mit dem „Treueverhältnis“ des § 266 StGB. Er gelangt mit bloßem Blick auf den Tatbestand zu der ebenso richtigen wie möglicherweise dem allgemeinen (Rechts-)Bewußtsein entratenen Erkenntnis, dass zwischen dem Urgrund, der Begründung eines Treuverhältnisses einerseits, und dem Betreuungsverhältnis andererseits unterschieden werden müsse, „Treueverhältnis“ also nicht der Oberbegriff sei (S. 73 f., 109, 111 f. und passim), während der Tatbestand in jedem Fall eine Vermögensbetreuungspflicht voraussetze (S. 499). Ersteres betrifft das „ob“, den Einstieg, Letzteres das „Wie“, die Qualitätsanforderungen, die nach dem ersten Schritt, dem Einstieg, erfüllt sein müssen, um das auf Gesetz, behördlichem Auftrag, Rechtsgeschäft oder Treue ruhende Grundverhältnis  zu einem Betreuungsverhältnis zu erheben (S. 94), verstanden als Zusammenfassung der Umstände, nur deren Verletzung innerhalb des jeweiligen Grundverhältnisses untreuerelevant ist.b) Diese Differenzierung ist wichtig, sie ist grundlegend – keine Frage. Und es ist in der Tat ein alles andere als gering einzuschätzendes Verdienst, sie gegen die allzu häufige Vermengung beider Aspekte nachhaltig zu betonen. Gleichwohl: mag das bei aktuellem Stand der Diskussion auch ein ausreichendes Thema für eine Dissertation sein, und bewundernswert, dazu über 500 Seiten zu schreiben – der Rezensent steht mit offenem Mund davor – so bleibt es aus praktischer Sicht trotzdem die Befassung allein mit den Einstiegsvarianten des Tatbestands. Wer angesichts der seit Jahren geführten Diskussion über die Anforderungen, die aus einem Schuldverhältnis ein (untreuerelevantes) Betreuungsverhältnis machen, Ausführungen zu diesem Thema erwartet, muss sich mit der als spröde empfundenen Disziplin von Reiß abfinden, dessen Blick strikt auf den Basics verharrt oder nach kurzen Ausflügen wieder zu diesen zurückkehrt. Wiewohl das weniger gegen Reiß als gegen die üblich gewordene Art der Befassung mit dem Tatbestand spricht, stellt sich doch der Wunsch ein, auch zum Thema „Anforderungen an die Betreuungspflicht“ Näheres erfahren zu wollen, anstatt das Grundverhältnis in einer (gefühlt) 360-Grad-Betrachtung in kleineren als Zehnerschritten (allerdings durchaus interessant) erklärt zu bekommen.2. Löst man sich von der Frage nach der Berechtigung der vorgenommenen thematischen Konzentration, so fokussiert sich der Blick auf die tatbestandsbegründenden Einstiegsvarianten. Der Extrakt ist griffig: die aus Gesetz, behördlichem Auftrag und Rechtsgeschäft gebildete Gruppe verlange gewahrte Rechtsförmigkeit in jeglicher Hinsicht. Demgegenüber erfahre das unbenannte, vorjuristisch in zwischenmenschlich (S. 230) aufgrund (tatsächlichen) gemeinsamen Wollens gebildete Vertrauen im Treueverhältnis (zu dessen Voraussetzungen S. 239-243, auch 499 f.) juristische Anerkennung. Daran ändere selbst Sittenwidrigkeit (S. 295-304. S. 296: Ganovenuntreue), eingeschränkte oder sogar fehlende Geschäfts- bzw. Schuldfähigkeit nichts, entstehe es direkt im Verhältnis zum Geschäftsherrn, d.h. unter dessen Beteiligung, oder (wie bei Eltern für ihre Kinder) gegenüber einem Dritten, aber zu dessen Gunsten (z.B. 478 f.). In all diesen Fällen gründe das Betreuungsverhältnis notwendigerweise auf Vertrauen, aber auch nur bei diesen, während es bei den anderen Grundvarianten ersetzt werden könne, so dass es dort zuweilen von allem anderen, nur nicht von Vertrauen getragen sei. Alle vier Eingangsmerkmale setzten sich aus zwei Komponenten zusammen: dem Grundverhältnis als solchem und dessen Entstehung in einem Bestellungsakt (S. 84 f. und passim). Die Wahrnehmung fremder (Vermögens-)Interessen allein genüge deshalb nicht. Vielmehr müsse der Geschäftsherr an der Entstehung mitwirken, allerdings nur tatsächlich, nicht notwendig in rechtlich anerkannten Bahnen (S. 84 f., 88, 226 f., 286, 508). In der Variante des (unbenannten) Treuverhältnisses fehle es andernfalls an einer das Vertrauen begründenden Basis. Macht allein begründe keine (Vermögensbetreuungs-) Pflicht (S. 450-453).3. Diese Überlegungen bilden ein systematisch plausibles Gerüst. Die Frage nach dessen Tragfähigkeit ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Auf die Verprobung seiner dogmatischen Abgrenzung an realen Beispielen legt Reiß keinen besonderen Schwerpunkt. Ein wirklicher Fall: der Geschäftsführer fiel aufgrund Schlaganfalls aus, seine Gattin kümmerte sich um ihn, aber nicht ums Geschäft. Dies besorgte seine „rechte Hand“ – schon zuvor unersetzlich, aber ohne formale Funktion. Bleibt er straflos, entdeckt er angesichts der Agonie des Übervaters seinen Eigennutz? Einen Tatbestand, auf den der nun sieche Geschäftsführer auch nur de jure vertrauen könnte, hat er nicht gesetzt: Glück des Fitten = Pech des Kranken? Der Nicht-Wissenschaftler fühlt sich allein gelassen, obwohl Reiß sein theoretisches Gebäude nicht nur methodisch, sondern auch mit Blick auf das Verfassungsrecht (Bestimmtheit, Verhältnismäßigkeit, S. 308-327) und – innovativ – in ökonomischer Analyse (S. 339-433) sowie teleologisch (S. 434-506) absichert. Es wird der Ungeduld des Rezensenten geschuldet sein, dass ihn die vorhergesehene und tatsächlich auch ebenso verlässlich wie schnell wiederkehrende Bestätigung des immer gleichen Ergebnisses eher langweilt als überzeugt.4. a) Nicht aus dem Blick geraten dürfen allerdings die durchaus verallgemeinerungsfähigen Erkenntnisse: Das Rekurrieren auf die zumindest vorstrafrechtliche Begründung eines (unbenannten) Treuverhältnisses, auf dessen zwischenmenschliches Entstehen, ist durchaus überzeugend. Daran ändert auch der Verzicht auf eine methodische Einordnung nichts, so dass letztlich offenbleibt, ob Reiß mit seiner faktisch-akzessorischen Betrachtungsweise das „rein strafrechtlich“ zu bestimmende (S. 159, auch 500, 498) Treueverhältnis als normatives Tatbestandsmerkmal versteht (dafür spricht wohl S. 230: „blankettartig“ ist eben gerade kein „Blankett“) oder (wahrscheinlicher, S. 498) doch als Blankett (S. 158 f., 230, 456 f., 498). Der Urgrund liege weder im Tatsächlichen noch im Rechtlichen (S. 493-496): was nun? Tertium non datur! Vielleicht hilft das Einfügen von „ausschließlich“. Zutreffend erscheint jedenfalls die Differenzierung zwischen außerjuristischer Entstehung des Treuverhältnisses und dessen juristischer Adaption. Konsequent ist es, die zivilistische Anerkennung faktischer Geschäftsführung (nach Reiß zutreffend nur bei Vorliegen eines willensgestützten, nicht aber notwendig auch auf Wahrung der Rechtsförmigkeit abzielenden Bestellungsakts, S. 288 f., 293 – das dürfte im Kern tragfähig sein) untreuerechtlich der Grundlagenvariante „Gesetz“ zuzuordnen (z.B. S. 158). Nachhaltig besteht Reiß auf der Maßgeblichkeit allein der rechtlich begründeten Pflichten mit der Folge, dass es anders als bei der Unterlassungsstrafbarkeit (dazu S. 161-179, 251-257) nicht auf die tatsächliche Übernahme der Pflichtenstellung ankommen könne (S. 202-205, 248-251, 292, 446-450). Das lässt sich hören und führt zur Strafbarkeit auch des Strohmanns.Mit leichter Hand belegt Reiß zudem die Fragwürdigkeit der allgemein akzeptierten Sicht, Untreue schütze gegen Gefahren von „innen“: denn dies ernstgenommen fielen Makler und Anwälte nicht unter den Tatbestand (S. 217). Wünschenswert wäre es allerdings gewesen, er hätte bei diesem Befund nur inne-, aber an ihm nicht auch als Endergebnis festgehalten. Seine Betrachtung zeigt nämlich zwar die mangelnde Präzision der Formulierung auf. Diese ist aber gleichwohl nicht nur eingängig, sondern als Abgrenzung zu anderen Vermögensdelikten, insbesondere zum Betrug, auch richtig und damit geeignet: Untreue befasst sich mit den Gefahren für das Vermögen nur aus dem Lager des Vermögensinhabers, hat das Verhältnis von Inhaber (Geschäftsherrn) zu dessen Betreuer und damit dieses Innenverhältnis zum Gegenstand. Letzteres ist Abstufungen zugänglich (Eltern, GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer sind enger mit dem Vermögensträger verbunden als Vormundschaftsgericht und Makler), muss aber vorhanden sein, weil es andernfalls an der Differenz zwischen Vermögensträger und Verwalter fehlte, beide identisch wären, § 266 StGB, das Strafrecht allgemein, eine Treuepflicht zum eigenen Vermögen aber nicht kennt.b) aa) Weniger überzeugend ist die strikte Ablehnung einer Betreuungspflicht im Abwicklungsstadium eines (unbenannten) Treueverhältnisses. Ein solches insoweit zu verneinen, wird zwar dem von Reiß entwickelten System gerecht, das allein auf gegenwärtiges tatsächliches Vertrauen abstellt (S. 435 f.), ist aber als letztes Wort weder ausreichend begründet noch im Ergebnis überzeugend. Ausgangspunkt dieser seiner Überlegungen ist das Abstellen auf das außerjuristische Entstehen des Treuverhältnisses. Demgemäß endet es konsequenterweise mit dem Ende des Vertrauenstatbestands. Zutreffend erkennt Reiß allerdings, dass dessen Herbeiführen zur Unzeit durchaus selbst treuwidrig sein kann (S. 334 f.). Dann aber drängt sich die Frage auf, ob nicht nur das „Ob“ der Beendigung des „gemeinsamen Wollens“, sondern auch das „Wie“ untreuerelevant sein kann. Das gilt erst recht angesichts seiner eigenen Erkenntnis, dass zwischen außerjuristischer Begründung des Treuverhältnisses und der juristischen Anerkennung darauf aufbauender Pflichten unterschieden werden müsse. Warum soll das nur für die Phase der Begründung, nicht aber auch für das Stadium der Beendigung gelten? Seiner der untreuerechtlichen Behandlung des faktischen Geschäftsführers zugrundeliegenden Dogmatik gemäß müsste Reiß zumindest die Abwicklungsphase (oder vielleicht gar jegliche inhaltliche Ausgestaltung aller Betreuungsverhältnisse?) als eine solche ansehen, die kraft Gesetzes Pflichten enthält. Strukturell Gleiches gilt für seine Ablehnung jeglicher Vermögensbetreuungspflicht nicht nur eines Gesellschafters, sondern auch der Obergesellschaft (Konzernmutter) gegenüber einer abhängigen Gesellschaft (S. 509 f.). Für beide parallelen Strukturen bleibt die Frage ungestellt, ob hier Untreue, wenn nicht auf Basis eines „Treueverhältnisses“, so doch wegen Verletzung von auf Grundlage des „Gesetzes“ entstandenen Pflichten in Betracht kommt.bb) Untreuerechtlich könnte die (von Reiß sowieso verneinte) Anerkennung der Beendigungslage als Verwirklichung einer Grundlagenvariante allerdings nicht allein ausschlaggebend sein. Vielmehr käme es auch insoweit darauf an, welche der Abwicklungspflichten den qualitativen Anforderungen an das Gebot, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, genügten. Hier schmerzt das Defizit der Aussparung jeglicher Erwägungen zu diesem Thema. Aber nicht nur das. Die pauschale Ablehnung der Abwicklungsphase als untreuerechtliche Grundlagenvariante begründet Reiß allein im Blick auf legale Abwicklungspflichten. Insoweit mag man ihm durchaus zustimmen, dass etwa die Herausgabepflicht eines Geschäftsführers vergleichbar ist mit jeglicher anderen Herausgabepflicht (z.B. nach Rücktritt vom Vertrag). Damit ist jedoch nur ein Teil der einschlägigen tatsächlichen Varianten aufgegriffen. Ausgeblendet bleiben dabei andere, per se illegitime Verhaltensweisen wie z.B. das Ausnutzen von innerhalb des Treuverhältnisses erlangten Kenntnissen. Ist das Behalten des geschäftlichen Laptops (missachtete Herausgabepflicht) vergleichbar mit dem privaten Eintreiben von Gesellschaftsforderungen am Insolvenzverwalter vorbei? Betrug scheidet mangels Schadens aus, § 407 BGB, wenn und weil der Schuldner in seinem Vertrauen, an den Berechtigten, eben den (unerkannt: früheren) Geschäftsführer (als Repräsentanten des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens), geleistet zu haben, geschützt ist und nicht nochmals in Anspruch genommen werden kann. Warum in aller Welt soll derartiges Verhalten aber auch sub specie Untreue straflos sein? Anerkannt ist die Tatbestandsmäßigkeit während des Bestehens des (privaten) Amtes. Ist das Handeln weniger illegitim, nur weil das Amt im Extremfall um 0,01 Uhr gerade mal seit einer Minute förmlich beendet ist? Man mag ja unterschiedliche Antworten auf diese Frage geben können – stellen muss man sie jedoch!

III. Fazit: Eine Arbeit mit trotz der ersichtlichen Skepsis gegenüber Teilen der Argumentation wichtigen, mit bleibenden, mit Erkenntnissen, die die Praxis beeinflussen, ja (mit-) bestimmen sollten,  sind sie doch nicht nur (mehr oder weniger) wissenschaftlich abgesichert, sondern auch (weitgehend) in sich schlüssig.

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Baden-Baden 2014, 536 S., 119 €

  1. Die (zutreffende) Besinnung auf die systematische Auslegung eines heiß diskutierten Tatbestands bietet zwei allgemein anerkannten wissenschaftlichen Kapazitäten des (auch: Wirtschafts-)Strafrechts (Prof. Dr. Ulf Neumann und Prof. Dr. Walter Kargl) genügenden Anlass, die Dissertation von Roman Reiß uni sono mit summa cum laude zu bewerteten, begleitet von dem Fazit, die Arbeit belege, dass die Instrumente herkömmlicher Strafrechtsdogmatik noch nicht stumpf geworden seien (Kargl). Dem nicht wissenschaftlich geprägten Rezensenten gebietet solcherart Lob Schweigen dort, wo er nicht zu Hause ist, und die Beschränkung auf die Sicht eines Praktikers.
  2. 1. a) Roman Reiß befaßt sich in seiner Dissertation mit dem „Treueverhältnis“ des § 266 StGB. Er gelangt mit bloßem Blick auf den Tatbestand zu der ebenso richtigen wie möglicherweise dem allgemeinen (Rechts-)Bewußtsein entratenen Erkenntnis, dass zwischen dem Urgrund, der Begründung eines Treuverhältnisses einerseits, und dem Betreuungsverhältnis andererseits unterschieden werden müsse, „Treueverhältnis“ also nicht der Oberbegriff sei (S. 73 f., 109, 111 f. und passim), während der Tatbestand in jedem Fall eine Vermögensbetreuungspflicht voraussetze (S. 499). Ersteres betrifft das „ob“, den Einstieg, Letzteres das „Wie“, die Qualitätsanforderungen, die nach dem ersten Schritt, dem Einstieg, erfüllt sein müssen, um das auf Gesetz, behördlichem Auftrag, Rechtsgeschäft oder Treue ruhende Grundverhältnis  zu einem Betreuungsverhältnis zu erheben (S. 94), verstanden als Zusammenfassung der Umstände, nur deren Verletzung innerhalb des jeweiligen Grundverhältnisses untreuerelevant ist.b) Diese Differenzierung ist wichtig, sie ist grundlegend – keine Frage. Und es ist in der Tat ein alles andere als gering einzuschätzendes Verdienst, sie gegen die allzu häufige Vermengung beider Aspekte nachhaltig zu betonen. Gleichwohl: mag das bei aktuellem Stand der Diskussion auch ein ausreichendes Thema für eine Dissertation sein, und bewundernswert, dazu über 500 Seiten zu schreiben – der Rezensent steht mit offenem Mund davor – so bleibt es aus praktischer Sicht trotzdem die Befassung allein mit den Einstiegsvarianten des Tatbestands. Wer angesichts der seit Jahren geführten Diskussion über die Anforderungen, die aus einem Schuldverhältnis ein (untreuerelevantes) Betreuungsverhältnis machen, Ausführungen zu diesem Thema erwartet, muss sich mit der als spröde empfundenen Disziplin von Reiß abfinden, dessen Blick strikt auf den Basics verharrt oder nach kurzen Ausflügen wieder zu diesen zurückkehrt. Wiewohl das weniger gegen Reiß als gegen die üblich gewordene Art der Befassung mit dem Tatbestand spricht, stellt sich doch der Wunsch ein, auch zum Thema „Anforderungen an die Betreuungspflicht“ Näheres erfahren zu wollen, anstatt das Grundverhältnis in einer (gefühlt) 360-Grad-Betrachtung in kleineren als Zehnerschritten (allerdings durchaus interessant) erklärt zu bekommen.2. Löst man sich von der Frage nach der Berechtigung der vorgenommenen thematischen Konzentration, so fokussiert sich der Blick auf die tatbestandsbegründenden Einstiegsvarianten. Der Extrakt ist griffig: die aus Gesetz, behördlichem Auftrag und Rechtsgeschäft gebildete Gruppe verlange gewahrte Rechtsförmigkeit in jeglicher Hinsicht. Demgegenüber erfahre das unbenannte, vorjuristisch in zwischenmenschlich (S. 230) aufgrund (tatsächlichen) gemeinsamen Wollens gebildete Vertrauen im Treueverhältnis (zu dessen Voraussetzungen S. 239-243, auch 499 f.) juristische Anerkennung. Daran ändere selbst Sittenwidrigkeit (S. 295-304. S. 296: Ganovenuntreue), eingeschränkte oder sogar fehlende Geschäfts- bzw. Schuldfähigkeit nichts, entstehe es direkt im Verhältnis zum Geschäftsherrn, d.h. unter dessen Beteiligung, oder (wie bei Eltern für ihre Kinder) gegenüber einem Dritten, aber zu dessen Gunsten (z.B. 478 f.). In all diesen Fällen gründe das Betreuungsverhältnis notwendigerweise auf Vertrauen, aber auch nur bei diesen, während es bei den anderen Grundvarianten ersetzt werden könne, so dass es dort zuweilen von allem anderen, nur nicht von Vertrauen getragen sei. Alle vier Eingangsmerkmale setzten sich aus zwei Komponenten zusammen: dem Grundverhältnis als solchem und dessen Entstehung in einem Bestellungsakt (S. 84 f. und passim). Die Wahrnehmung fremder (Vermögens-)Interessen allein genüge deshalb nicht. Vielmehr müsse der Geschäftsherr an der Entstehung mitwirken, allerdings nur tatsächlich, nicht notwendig in rechtlich anerkannten Bahnen (S. 84 f., 88, 226 f., 286, 508). In der Variante des (unbenannten) Treuverhältnisses fehle es andernfalls an einer das Vertrauen begründenden Basis. Macht allein begründe keine (Vermögensbetreuungs-) Pflicht (S. 450-453).

    3. Diese Überlegungen bilden ein systematisch plausibles Gerüst. Die Frage nach dessen Tragfähigkeit ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Auf die Verprobung seiner dogmatischen Abgrenzung an realen Beispielen legt Reiß keinen besonderen Schwerpunkt. Ein wirklicher Fall: der Geschäftsführer fiel aufgrund Schlaganfalls aus, seine Gattin kümmerte sich um ihn, aber nicht ums Geschäft. Dies besorgte seine „rechte Hand“ – schon zuvor unersetzlich, aber ohne formale Funktion. Bleibt er straflos, entdeckt er angesichts der Agonie des Übervaters seinen Eigennutz? Einen Tatbestand, auf den der nun sieche Geschäftsführer auch nur de jure vertrauen könnte, hat er nicht gesetzt: Glück des Fitten = Pech des Kranken? Der Nicht-Wissenschaftler fühlt sich allein gelassen, obwohl Reiß sein theoretisches Gebäude nicht nur methodisch, sondern auch mit Blick auf das Verfassungsrecht (Bestimmtheit, Verhältnismäßigkeit, S. 308-327) und – innovativ – in ökonomischer Analyse (S. 339-433) sowie teleologisch (S. 434-506) absichert. Es wird der Ungeduld des Rezensenten geschuldet sein, dass ihn die vorhergesehene und tatsächlich auch ebenso verlässlich wie schnell wiederkehrende Bestätigung des immer gleichen Ergebnisses eher langweilt als überzeugt.

    4. a) Nicht aus dem Blick geraten dürfen allerdings die durchaus verallgemeinerungsfähigen Erkenntnisse: Das Rekurrieren auf die zumindest vorstrafrechtliche Begründung eines (unbenannten) Treuverhältnisses, auf dessen zwischenmenschliches Entstehen, ist durchaus überzeugend. Daran ändert auch der Verzicht auf eine methodische Einordnung nichts, so dass letztlich offenbleibt, ob Reiß mit seiner faktisch-akzessorischen Betrachtungsweise das „rein strafrechtlich“ zu bestimmende (S. 159, auch 500, 498) Treueverhältnis als normatives Tatbestandsmerkmal versteht (dafür spricht wohl S. 230: „blankettartig“ ist eben gerade kein „Blankett“) oder (wahrscheinlicher, S. 498) doch als Blankett (S. 158 f., 230, 456 f., 498). Der Urgrund liege weder im Tatsächlichen noch im Rechtlichen (S. 493-496): was nun? Tertium non datur! Vielleicht hilft das Einfügen von „ausschließlich“. Zutreffend erscheint jedenfalls die Differenzierung zwischen außerjuristischer Entstehung des Treuverhältnisses und dessen juristischer Adaption. Konsequent ist es, die zivilistische Anerkennung faktischer Geschäftsführung (nach Reiß zutreffend nur bei Vorliegen eines willensgestützten, nicht aber notwendig auch auf Wahrung der Rechtsförmigkeit abzielenden Bestellungsakts, S. 288 f., 293 – das dürfte im Kern tragfähig sein) untreuerechtlich der Grundlagenvariante „Gesetz“ zuzuordnen (z.B. S. 158). Nachhaltig besteht Reiß auf der Maßgeblichkeit allein der rechtlich begründeten Pflichten mit der Folge, dass es anders als bei der Unterlassungsstrafbarkeit (dazu S. 161-179, 251-257) nicht auf die tatsächliche Übernahme der Pflichtenstellung ankommen könne (S. 202-205, 248-251, 292, 446-450). Das lässt sich hören und führt zur Strafbarkeit auch des Strohmanns.

    Mit leichter Hand belegt Reiß zudem die Fragwürdigkeit der allgemein akzeptierten Sicht, Untreue schütze gegen Gefahren von „innen“: denn dies ernstgenommen fielen Makler und Anwälte nicht unter den Tatbestand (S. 217). Wünschenswert wäre es allerdings gewesen, er hätte bei diesem Befund nur inne-, aber an ihm nicht auch als Endergebnis festgehalten. Seine Betrachtung zeigt nämlich zwar die mangelnde Präzision der Formulierung auf. Diese ist aber gleichwohl nicht nur eingängig, sondern als Abgrenzung zu anderen Vermögensdelikten, insbesondere zum Betrug, auch richtig und damit geeignet: Untreue befasst sich mit den Gefahren für das Vermögen nur aus dem Lager des Vermögensinhabers, hat das Verhältnis von Inhaber (Geschäftsherrn) zu dessen Betreuer und damit dieses Innenverhältnis zum Gegenstand. Letzteres ist Abstufungen zugänglich (Eltern, GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer sind enger mit dem Vermögensträger verbunden als Vormundschaftsgericht und Makler), muss aber vorhanden sein, weil es andernfalls an der Differenz zwischen Vermögensträger und Verwalter fehlte, beide identisch wären, § 266 StGB, das Strafrecht allgemein, eine Treuepflicht zum eigenen Vermögen aber nicht kennt.

    b) aa) Weniger überzeugend ist die strikte Ablehnung einer Betreuungspflicht im Abwicklungsstadium eines (unbenannten) Treueverhältnisses. Ein solches insoweit zu verneinen, wird zwar dem von Reiß entwickelten System gerecht, das allein auf gegenwärtiges tatsächliches Vertrauen abstellt (S. 435 f.), ist aber als letztes Wort weder ausreichend begründet noch im Ergebnis überzeugend. Ausgangspunkt dieser seiner Überlegungen ist das Abstellen auf das außerjuristische Entstehen des Treuverhältnisses. Demgemäß endet es konsequenterweise mit dem Ende des Vertrauenstatbestands. Zutreffend erkennt Reiß allerdings, dass dessen Herbeiführen zur Unzeit durchaus selbst treuwidrig sein kann (S. 334 f.). Dann aber drängt sich die Frage auf, ob nicht nur das „Ob“ der Beendigung des „gemeinsamen Wollens“, sondern auch das „Wie“ untreuerelevant sein kann. Das gilt erst recht angesichts seiner eigenen Erkenntnis, dass zwischen außerjuristischer Begründung des Treuverhältnisses und der juristischen Anerkennung darauf aufbauender Pflichten unterschieden werden müsse. Warum soll das nur für die Phase der Begründung, nicht aber auch für das Stadium der Beendigung gelten? Seiner der untreuerechtlichen Behandlung des faktischen Geschäftsführers zugrundeliegenden Dogmatik gemäß müsste Reiß zumindest die Abwicklungsphase (oder vielleicht gar jegliche inhaltliche Ausgestaltung aller Betreuungsverhältnisse?) als eine solche ansehen, die kraft Gesetzes Pflichten enthält. Strukturell Gleiches gilt für seine Ablehnung jeglicher Vermögensbetreuungspflicht nicht nur eines Gesellschafters, sondern auch der Obergesellschaft (Konzernmutter) gegenüber einer abhängigen Gesellschaft (S. 509 f.). Für beide parallelen Strukturen bleibt die Frage ungestellt, ob hier Untreue, wenn nicht auf Basis eines „Treueverhältnisses“, so doch wegen Verletzung von auf Grundlage des „Gesetzes“ entstandenen Pflichten in Betracht kommt.

    bb) Untreuerechtlich könnte die (von Reiß sowieso verneinte) Anerkennung der Beendigungslage als Verwirklichung einer Grundlagenvariante allerdings nicht allein ausschlaggebend sein. Vielmehr käme es auch insoweit darauf an, welche der Abwicklungspflichten den qualitativen Anforderungen an das Gebot, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, genügten. Hier schmerzt das Defizit der Aussparung jeglicher Erwägungen zu diesem Thema. Aber nicht nur das. Die pauschale Ablehnung der Abwicklungsphase als untreuerechtliche Grundlagenvariante begründet Reiß allein im Blick auf legale Abwicklungspflichten. Insoweit mag man ihm durchaus zustimmen, dass etwa die Herausgabepflicht eines Geschäftsführers vergleichbar ist mit jeglicher anderen Herausgabepflicht (z.B. nach Rücktritt vom Vertrag). Damit ist jedoch nur ein Teil der einschlägigen tatsächlichen Varianten aufgegriffen. Ausgeblendet bleiben dabei andere, per se illegitime Verhaltensweisen wie z.B. das Ausnutzen von innerhalb des Treuverhältnisses erlangten Kenntnissen. Ist das Behalten des geschäftlichen Laptops (missachtete Herausgabepflicht) vergleichbar mit dem privaten Eintreiben von Gesellschaftsforderungen am Insolvenzverwalter vorbei? Betrug scheidet mangels Schadens aus, § 407 BGB, wenn und weil der Schuldner in seinem Vertrauen, an den Berechtigten, eben den (unerkannt: früheren) Geschäftsführer (als Repräsentanten des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens), geleistet zu haben, geschützt ist und nicht nochmals in Anspruch genommen werden kann. Warum in aller Welt soll derartiges Verhalten aber auch sub specie Untreue straflos sein? Anerkannt ist die Tatbestandsmäßigkeit während des Bestehens des (privaten) Amtes. Ist das Handeln weniger illegitim, nur weil das Amt im Extremfall um 0,01 Uhr gerade mal seit einer Minute förmlich beendet ist? Man mag ja unterschiedliche Antworten auf diese Frage geben können – stellen muss man sie jedoch!

III. Fazit: Eine Arbeit mit trotz der ersichtlichen Skepsis gegenüber Teilen der Argumentation wichtigen, mit bleibenden, mit Erkenntnissen, die die Praxis beeinflussen, ja (mit-) bestimmen sollten,  sind sie doch nicht nur (mehr oder weniger) wissenschaftlich abgesichert, sondern auch (weitgehend) in sich schlüssig.

Autorinnen und Autoren

  • Folker Bittmann
    Nach dem ersten Staatsexamen 1980 in Heidelberg und dem zweiten 1985 in Stuttgart war LOStA a.d. Rechtsanwalt Folker Bittmann zunächst kurze Zeit Rechtsanwalt in Heidelberg. 1986 wechselte er zur Staatsanwaltschaft Darmstadt, 1987 zur Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main und übernahm dort nach gut einem halben Jahr ein insolvenzrechtliches Dezernat und 1992 zusätzlich die Koordination der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, bevor ihm 1993 die Leitung der Wirtschafts- und Korruptionsabteilungen der Staatsanwaltschaft Halle übertragen wurde. Seit 2005 leitete er die Staatsanwaltschaft Dessau, seit 2007 Dessau-Roßlau. Seit Sommer 2018 ist er Rechtsanwalt bei verte|rechtsanwälte.

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)