Milena Piel

Editorial

Liebe Leser der WiJ,

wir befinden uns in Zeiten des Umbruchs, im Großen und im ganz Kleinen.

„Ausnahmezustand in der Türkei“ – der Rechtsstaat wird abgeschafft, die türkische Regierung setzt die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) aus. Nimmt Deutschland, nimmt die EU auch das in Kauf? Wann wird der „Preis“ zu hoch, den man in Europa für den „Flüchtlingsdeal“ zu zahlen bereit ist in Zeiten der Angst vor einem nächsten Attentat? Begangen von einem Flüchtling? Nachträglich angeeignet und zu eigen gemacht durch den IS? Was ist aus der ursprünglichen Politik „der offenen Arme“ geworden?

Aber der Umbruch findet auch mitten im „Alten Europa“ statt – Großbritannien stimmt für den Austritt aus der EU (BREXIT). Ganz Großbritannien? Nein! Schottland strebt nach einem Unabhängigkeitsreferendum und möchte in der EU bleiben, in Nordirland werden Stimmen zur Wiedervereinigung mit Irland (EU) laut, und Gibraltar möchte sich auf lange Sicht Spanien anschließen und in der EU bleiben; während rechtslastige Stimmen im restlichen Europa ihrerseits den Austritt ihrer jeweiligen Nation aus der EU fordern.

Und Deutschland? Bundesjustizminister Heiko Maas verweist in seiner zur Eröffnung des 67. Deutschen Anwaltstages im Juni 2016 in Berlin gehaltenen Rede auf die nach den Strafrechtsreformen der 60er und 70er Jahre gewonnene Erkenntnis, dass es beim Strafrecht weder um Zeitgeist noch um Moralvorstellungen gehe, und dass das Strafrecht immer das Mittel der letzten Wahl sein müsse. Kriminalpolitik sei ein „Gradmesser für die Gemütsverfassung einer Nation“. Diese Aussagen stehen in Kontrast zu den umfangreichen strafrechtlichen Gesetzgebungsaktivitäten der Bundesregierung, seitdem Bundesjustizminister Maas sein Amt angetreten hat; in der Öffentlichkeit wurden dabei zuletzt das neue Sexualstrafrecht und die Abschaffung des Beleidigungstatbestandes zum Nachteil ausländischer Staatsoberhäupter diskutiert. Weit bedeutender für die Strafrechtspraxis und insbesondere auch das Wirtschaftsstrafrecht sind jedoch die umfassenden, teilweise bereits erfolgten und teilweise noch umzusetzenden weiteren Änderungen sowohl des Straf- als auch des Strafprozessrechts, die in ihrer Gesamtheit durchaus zu einem Umbruch des deutschen Strafrechts führen werden.

Die vorliegende Ausgabe der WiJ steht ganz im Zeichen dieser Gesetzesnovellen: Sie finden hier die von der WisteV abgegebenen Stellungnahmen zu der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, die zu dem im März 2016 vorgelegten Referentenentwurf abgegeben wurde und bereits in den nun aktuell vorgelegten Regierungsentwurf eingeflossen ist; sowie zu dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens (insoweit Wirtschaftsstrafverfahren davon betroffen sein können).

Dr. Max-Niklas Blome, Preisträger des WiJ-Aufsatzwettbewerbes 2016, unterbreitet einen eigenen Reformvorschlag zur Vereinheitlichung des Kartellbußgeldrechts, der insbesondere die bestehenden Diskrepanzen zwischen dem deutschen und europäischen Recht beseitigen soll, um die „goldene Mitte“ zwischen dem deutschen und dem EU-Haftungsregime zu finden. Antje Klötzer-Assion nimmt kritisch Stellung zu den gesetzlichen Änderungen zum Dienst- bzw. Werkvertragsrecht sowie zum Recht der Arbeitnehmerüberlassung, auf die sich die Große Koalition jüngst verständigt hat.

Die WiJ schafft überdies mit der vorliegenden Ausgabe einen eigenen, kleinen, aber (hoffentlich) ganz und gar positiven Umbruch: das wirtschaftsstrafrechtliche Journal präsentiert sich Ihnen heute im neuen Gewand. Die WiJ-Homepage wurde auf den aktuellen Stand der Technik gebracht, sie passt sich nunmehr Ihren mobilen Geräten an und bietet vor allem eine optimierte und zuverlässig funktionierende Suchfunktion.

Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre der aktuellen Sommerausgabe und beim Ausprobieren der neuen Homepage viel Vergnügen!

Milena Piel, Düsseldorf

Autorinnen und Autoren

  • Milena Piel

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung