Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht
I. Strafprozessrecht
1. Strafprozessualer Arrest – § 111i StPO
Die Wirksamkeit eines bereits vollzogenen allein der Sicherung des staatlichen Auffangrechtserwerbs dienenden dinglichen Arrests in das Vermögen einer Gesellschaft wird durch ein nachfolgendes Insolvenzverfahren nicht berührt.
OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 09.07.2015 – 3 Ws 355/15, ZInsO 2016, 453
Das Gericht ändert explizit seine bisherige Rechtsprechung (s. etwa OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.06.2009 – 3 Ws 214/09, ZInsO 2009, 1446) und schließt sich der gegenteiligen Auffassung des KG (Beschluss vom 10.06.2013 – 2 Ws 190/13, ZInsO 2013, 2444) an. Mit dem Beschluss wurde die Entscheidung der Vorinstanz (LG Frankfurt, Beschluss vom 15.01.2015 – 5 – 24 KLs 7580 Js 230342/12 (13/14), ZInsO 2015, 644 m. zust. Anm Bittmann, ZWH 2015, 58) aufgehoben. S. zu der Entscheidung noch Claus, jurisPR-StrafR 9/2016 Anm. 4.
2. Erstreckung des Rechtserwerbs nach § 111i Abs. 5 S. 1 StPO auf gepfändete Drittforderungen – § 111i StPO
Der Rechtserwerb nach § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO erstreckt sich nicht auf bei einer dritten Person gepfändete Forderungen, wenn mit dem Urteil keine Entscheidung gemäß § 73 Abs. 3 StGB, § 111i Abs. 2 StPO hinsichtlich der dritten Person getroffen wurde.
OLG Hamm, Beschluss vom 03.12.2015 – 5 Ws 219/15, NZI 2015, 322 m. Anm. Köllner/Lendermann
3. Vollstreckung von Geldstrafen nach insolvenzrechtlicher Anfechtung – § 458 StPO
Geldstrafenforderungen leben nach Anfechtung der Zahlung wieder auf (§§ 143, 144 InsO). Eine Geldstrafe kann anschließend nach den Bestimmungen der StPO vollstreckt werden. Sie ist aus dem pfändungsfreien Teil des Vermögens des Schuldners zu zahlen. Dabei hat die Vollstreckungsbehörde auf Antrag des Verurteilten nach pflichtgemäßem Ermessen über Zahlungserleichterungen zu entscheiden.
LG Göttingen, Beschluss vom 19.01.2016 – 5 Qs 3/15, ZinsO 2016, 858 = wistra 2016, 167. S. zu der Entscheidung die zust. Anm.von Cranshaw, juris-PR-InsR 7/2016 Anm. 2
4. Akteneinsichtsrecht des von Insolvenzgericht bestellten Sachverständigen – § 475 StPO
Der im Insolenzverfahren bestellte Sachverständige ist zu einer umfassenden Einsicht in die über den Insolvenzschuldner geführten Strafakten berechtigt, wenn sich daraus Hinweise dazu ergeben können, ob mit der Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Insolvenzschuldner zu rechnen und mit welcher Wahrscheinlichkeit von einer Durchsetzung behaupteter Ansprüche Dritter auszugehen ist. Weil der gerichtlich bestellte Sachverständige im Insolvenzverfahren gem. § 203 Abs. 2 Nr. 5 StGB zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, gilt dies auch für aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes ansonsten Dritten nicht zugänglichen Aktenbestandteilen.
OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.03.2016 – 1 Ws 56/16, ZInsO 2016, 1011.
II. Materielles Strafrecht
1. Bestimmung des Markt- bzw. Verkehrswertes – § 263 StGB
Bei Betrugstaten im Kontext von gegenseitigen Verträgen, die Dienst- oder Sachleistungen eines existierenden Marktes zum Gegenstand haben, ist der maßgebliche objektiv zu verstehende Verkehrs- oder Marktwert entweder auf der Grundlage eines von der individuellen Parteivereinbarung unabhängigen Marktwertes oder auf derjenigen der Wertbestimmung der Parteien mittels des zwischen diesen vereinbarten Preises festzulegen.
BGH, Beschluss vom 02.02.2016 – 1 StR 435/15, StraFo 2016, 169
2. Überweisung auf neu eingerichtetes Geschäftskonto – §§ 266, 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB
Veranlasst der Beschuldigte Gesellschaftsgläubiger dazu, geschuldete Geldbeträge auf ein hierfür eigens neu eingerichtetes aber auf den Namen der späteren Schuldnerin geführtes Konto zu überweisen, verwirklicht er weder den Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB) noch den des Bankrotts (§ 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Beiseitegeschafft iSd § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB sind zur Insolvenzmasse gehörende Vermögenswerte erst dann, wenn diese in eine veränderte rechtliche oder tatsächliche Lage verbracht werden, in der den Gläubigern der alsbaldige Zugriff unmöglich gemacht oder erschwert wird.
BGH, Beschluss vom 17.03.2016 – 1 StR 628/15, ZInsO 2016, 516
3. Tatbestandsverwirklichung des Bankrotts bei natürlichen Personen – § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB
Vorsätzlicher Bankrott durch Verheimlichen von Bestandteilen des Vermögens im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist im Falle der Insolvenz einer natürlichen Person bei fortdauerndem Verheimlichen bis zur Restschuldbefreiung erst dann beendet, wenn diese erteilt wird.
BGH, Beschluss vom 14.03.2016 – 1 StR 337/15, ZInsO 2016, 792
Erst mit Tatbeendigung beginnt die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 78a StGB). Insoweit ist auf den Zeitpunkt abzustellen, bis zu dem der Angriff auf das geschützte Rechtsgut fortdauert. Dieses besteht bei Insolvenzdelikten im Schutz der Insolvenzmasse vor unwirtschaftlicher Verringerung, Verheimlichung und ungerechter Verteilung zum Nachteil der Gesamtgläubigerschaft. Verheimlichen ist dabei jedes Verhalten, durch das ein Vermögensbestandteil oder dessen Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse der Kenntnis der Gläubiger oder der des Insolvenzverwalters entzogen wird. Hiervon ist auch auszugehen, wenn der Täter eine Auskunfts- oder Anzeigepflicht (§§ 20 97 InsO) verletzt. In diesem Fall ist eine beantragte Restschuldbefreiung zwingend zu versagen (§ 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Wenn sie ausgesprochen wird, perpetuiert bzw. vertieft der Täter das Tatunrecht nicht weiter. Erst mit ihr findet das Verfahren also seinen endgültigen Abschluss.
III. Zivilrechtliche Entscheidungen mit strafrechtlichem Bezug
1. Disziplinarverfahren gegen einen Urkundsnotar bei Beteiligung an „Firmenbestattungen“ – § 14 Abs. 2 BNotO
Ein Notar muss seine Mitwirkung bereits bei Handlungen versagen, bei denen erkennbar der Verdacht besteht, dass unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt werden sollen.
BGH, Senat für Notarsachen, Beschluss vom 23.11.2015 – NotSt (Brfg) 4/15, ZInsO 2016, 393
S. zu der Entscheidung die Anm. von Schmittmann, NZI 2016, 124. In der zu entscheidenden Sache waren Anteilsübertragungen auf 19 Gesellschaften mit Sitz in England erfolgt, für die nur 16 Personen aufgetreten waren; überdies war die Mehrzahl der Gesellschaften inaktiv oder gar schon gelöscht. Bei einem derartigen Sachverhalt muss der Notar konkret ergründen, was mit den von ihm beurkundeten Transaktionen bezweckt werden soll, weil mögliche Aktivitäten von „Firmenbestattern“ (s. hierzu etwa Kümmel, wistra 2012, 165; Werner, NZWiSt 2013, 148; Schütz, wistra 2016, 53) hier auf der Hand liegen.
2. Auskunfts- und Mitteilungspflichten des Schuldners – §§ 20, 97 InsO
Die den Schuldner im eröffneten Verfahren treffenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten gelten auch im Nachtragsverteilungsverfahren; sie können mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden.
BGH, Beschluss vom 25.02.2016 – IX ZB 74/15, ZInsO 2016, 898
Zu der momentan verbreitet diskutierten strafrechtlichen (Verwendungs- und Verwertungs- ) Problematik im Zusammenhang mit den insolvenzrechtlichen Auskunfts- und Mitteilungspflichten nach §§ 20, 97 InsO vgl. etwa Püschel/Paradissis, ZInsO 2015, 1786; Weyand, ZInsO 2015, 1948; Püschel, ZInsO 2016, 262; Haarmeyer ZInsO 2016, 545.
IV. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen mit strafrechtlichem Bezug
1. Auswirkung einer Verurteilung wegen verspäteter Insolvenzantragstellung auf die Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung – § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV
Die Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen die Insolvenzantragspflicht begründet Zweifel an der charakterlichen Eignung zur Beförderung von Fahrgästen.
VG München, Beschluss vom 02.09.2015 – 6b E 15.2962, ZInsO 2016, 582 m. krit. Anm. Weyand
2. Widerruf der Approbation wegen Insolvenzverschleppung – §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 4 Abs. 2 Satz 1 ZHG
Ein Zahnarzt, der wegen Insolvenzverschleppung, Subventionsbetruges und Betruges zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, genießt nicht mehr das für die Ausübung seines Berufes als Zahnarzt unabdingbar nötige Ansehen und Vertrauen.
BVerwG, Beschluss vom 16.02.2016 – 3 B 68/14, ZInsO 2016, 795
Zur Problematik des Widerrufs der Approbation als Nebenwirkung von Strafverfahren vgl. zusammenfassend von Dorrien, PStR 2016, 114
3. Widerruf der Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeister bei anhängigem Insolvenzverfahren – § 11 Abs. 2 Nr. 1 SchfG Sachsen Anhalt
Ein Bezirksschornsteinfegermeister, der erhebliche Zahlungsrückstände bei öffentlich-rechtlichen Gläubigern hat entstehen lassen, ist persönlich und fachlich bzgl. der Ausübung seines Berufs unzuverlässig. Die persönliche Zuverlässigkeit für die Berufsausübung setzt voraus, dass sie der Kläger sowohl willentlich wie hinsichtlich der notwendigen Fähigkeiten aus eigenem Antrieb erbringt. Die für deren Wiedererlangung erforderliche grundlegende Verhaltensänderung ergibt sich nicht bereits aus der Durchführung eines Insolvenzverfahrens.
OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom0 3. 12. 2015 – 1 L 27/14, ZInsO 2016, 796
Mit der Entscheidung führt das Gericht seine bisherige Rechtsprechung fort; vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2013 – 1 L 112/13, ZInsO 2014, 1371.