Fremdpersonaleinsatz – Der Anfang vom Ende?
I. Einführung
Die große Koalition hat sich auf gesetzliche Änderungen zum Dienst- bzw. Werkvertragsrecht sowie zum Recht der Arbeitnehmerüberlassung verständigt. Das „monatelange Gezerre“[1] hat eine beachtliche Vorgeschichte. Seit der AÜG-Novelle 2011 sind es insbesondere die Arbeitnehmervertretungen, welche vortragen, die Regelungen zur Arbeitnehmerüberlassung würden durch den Abschluss von Scheinwerk- bzw. Scheindienstverträgen umgangen. Im Positionspapier des DGB Bundesvorstandes gegen die missbräuchliche Nutzung von Werkverträgen war davon bereits Ende 2012 zu lesen.[2]
Eine belastbare empirische Untersuchung mit solchem Ergebnis fehlt indes. Vielmehr ergibt sich aus einer vom BMAS in Auftrag gegebenen und im Dezember 2012 vorgelegten „Machbarkeitsstudie zur Erfassung der Verbreitung und Problemlagen der Nutzung von Werkverträgen“[3], dass die „bisher vorhandene Evidenz zur Nutzung von Werkverträgen durch Unternehmen […] wenig systematisch“[4] sei.
Dessen ungeachtet bereitete u.a. diese Studie den Weg zum aktuellen Gesetzesvorhaben, denn darin wurde schon formuliert: „Es liegt in der Natur von profitorientierten Unternehmen, nach betriebswirtschaftlich profitablen Flexibilisierungsmöglichkeiten zu suchen, unter anderem auch im Bereich der Beschäftigung. Einige dieser Flexibilisierungsstrategien können jedoch volkswirtschaftlichen und/oder sozialpolitischen Zielen zuwiderlaufen. Darum besteht ein öffentliches Interesse an Informationen, wie Arbeitgeber rechtliche Möglichkeiten zur Flexibilisierung nutzen, wie dadurch arbeits- und sozialrechtliche Absicherungen beeinflusst werden, und wie viele Beschäftigte davon betroffen sind. Dies gilt erst recht dann, wenn arbeitsrechtliche Vorschriften mit rechtlich kritischen Beschäftigungskonstruktionen umgangen werden.“[5]
Schon im Oktober 2013 gab es eine gesetzgeberische Initiative zur Bekämpfung missbräuchlicher Werkvertragsgestaltungen. In dem damaligen Gesetzesentwurf hieß es: „Industrie- und Dienstleistungsunternehmen in Deutschland gehen nach der letzten Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Jahr 2011 zunehmend dazu über, bislang durch eigenes Personal oder Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer erledigte Arbeiten nunmehr durch Fremdpersonal auf der Basis von Werkverträgen ausführen zu lassen. In den letzten Monaten aufgedeckte Fälle nicht nur in der Fleischindustrie, sondern auch in anderen Branchen mit erheblicher Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, offenbaren dabei nicht nur die allein profitorientierte Umgehung arbeits- und tarifrechtlicher Standards zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie dokumentieren darüber hinaus, dass mitten in Deutschland tausende vor allem aus den südosteuropäischen Mitgliedstaaten stammende Menschen wegen fehlender Beschäftigungsalternativen in den Heimatländern bei uns unter nicht mehr für möglich gehaltenen, nach sozialstaatlichen Maßstäben untragbaren und zum Teil sogar menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen arbeiten müssen.“[6]
II. AÜG-Novelle 2017
Dem Anliegen, dies zu ändern, hat sich die Bundesregierung nun angenommen. Die Koalition einigte sich auf die „Begrenzung der Leiharbeit“[7], das Bundeskabinett hat den Gesetzesentwurf des BMAS inzwischen gebilligt.[8] Ein Fassungsvergleich zwischen dem Referentenentwurf Stand April 2016 und dem jetzt zugänglichen Gesetzesentwurf offenbart noch einige beachtliche Anpassungen, z.B. im Ordnungswidrigkeitentatbestand § 16 AÜG-E.
Im Übrigen lässt der Gesetzesentwurf deutlich erkennen, dass mit der Novelle nicht nur die Rechte von Leiharbeitnehmern gestärkt, sondern vor allem die Unternehmen angehalten werden sollen, Leistungen mit eigenem Personal zu erbringen. Ob diese arbeitsmarktpolitische Steuerung vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklungen im Bereich flexibler Erwerbsformen wirksam sein kann, wird sich zeigen.
Für Unternehmen, die sich wie bisher insbesondere zur Abdeckung von Auftragsspitzen, zum Schließen von Personallücken und vor dem Hintergrund des vielbeklagten Fachkräftemangels das Instrument des Fremdpersonaleinsatzes erhalten wollen, wird insbesondere Folgendes bedeutsam:
1. Farbe bekennen
Künftig müssen sich Unternehmen bereits bei Vertragsschluss darüber bewusst sein, ob sie einen Auftrag an Nachunternehmen vergeben, d.h. einen Werk- oder Dienstvertrag schließen wollen, oder ob Personal zur Auftragsausführung entliehen werden soll. Für den letzten Fall sieht § 1 AÜG-E vor, Arbeitnehmerüberlassungsverträge entsprechend zu bezeichnen. Dieser „Transparenz-Offensive“ ist auch geschuldet, dass Leiharbeitnehmer vor ihrem Einsatz über ihren Verleih zu unterrichten sind. Beachtlich ist vor allem die Konkretisierungspflicht in Bezug auf den einzelnen Leiharbeitnehmer. Dass eine Überlassungserlaubnis vorliegen muss, versteht sich von selbst.
Abgesehen davon, dass Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des AÜG-E gemäß §§ 9, 10 AÜG-E unter gewissen Voraussetzungen die Unwirksamkeit des Überlassungsvertrags nach sich ziehen (können), werden sie allesamt bußgeldbewehrt sein, § 16 AÜG-E.
2. Abschaffung des Ketten-Verleihs
Mit der angestrebten Regelung, Leiharbeitnehmer nur noch einsetzen zu dürfen, wenn zwischen ihnen und dem Auftragnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht, soll der Ketten-Verleih in Zukunft ausgeschlossen werden.
3. Gleichbehandlungsgrundsatz
Der Referentenentwurf sieht des Weiteren vor, dass die Arbeitnehmer des Einsatzunternehmens und die entliehenen Arbeitnehmer den gleichen Arbeitsbedingungen unterliegen sollen. Hervorzuheben ist der im Entwurf verankerte Grundsatz der Gleichstellung, § 8 AÜG–E. Auf diese Regelung sollte man sich frühzeitig einstellen. Zwar gibt es Übergangsfristen zum Equal Pay – Grundsatz vor. Dies wird in der Praxis Auswirkungen auf bereits bestehende Verträge haben, die ab in Kraft Treten des AÜG 2017 unter Umständen anzupassen sind.
4. Vorübergehender Fremdpersonaleinsatz
§ 1 Abs. 1b AÜG-E begrenzt die Überlassungshöchstdauer pro Leiharbeitnehmer auf 18 aufeinanderfolgende Monate. In bestimmten Fällen ist eine Höchstdauer bis zu 24 Monaten möglich.
5. Übergangsfristen
Für die Berechnung der Einsatzdauer sind Übergangsfristen vorgesehen, § 19 Abs. 2 AÜG-E.
III. Dienst-/Werkvertragsrechts-Novelle
Die AÜG-Novelle wird flankiert werden durch die Einführung des § 611a BGB-E mit einer Legaldefinition des Arbeitnehmerbegriffs. Auf diese Weise soll eine rechtssichere Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses vom Werk- oder Dienstvertrag ermöglicht werden.
Der gegenwärtige Entwurf sieht folgenden Wortlaut vor: „Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann; der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.“
Zu begrüßen ist, dass der aktuelle Entwurf des § 611a BGB-E auf die zuerst vorgesehene, umgekehrte, jedoch widerlegliche Vermutung für das Bestehen eines Arbeitsvertrags verzichtet, die davon abhängig gemacht werden sollte, dass die Deutsche Rentenversicherung im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV zu einer – sozialversicherungspflichtigen – Beschäftigung i.S.d. § 7 SGB IV gelangt.
Auch der im Referentenentwurf vom 16.11.2015 noch enthaltene Kriterienkatalog zur vorgeblich rechtssicheren Abgrenzung von Dienst-, Werk- und Arbeitsverträgen ist gestrichen.[9] Abgesehen davon, dass in ständiger Rechtsprechung ebensolche Kriterien entwickelt wurden, welche im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung bei jeweiliger Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zugrunde zu legen sind, darf an das Schicksal des § 7 Abs. 4 SGB IV a.F. erinnert werden: Der im Sozialversicherungsrecht eingeführte Kriterienkatalog zur Abgrenzung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von der selbständigen Betätigung wurde trotz verschiedentlicher Anpassungen abgeschafft, nachdem er sich als praxisuntaugliches Regelungsinstrument erwiesen hatte.
IV. Ins Licht gerückt: Die „Schattenwirtschaft“ im Fokus der Strafverfolgung
Die regulatorischen Eingriffe arbeitsmarktpolitischer Natur komplettieren letztlich, was mit der Bekämpfung von Scheinselbständigkeit, dem Missbrauch von Werk- und Dienstverträgen, sowie der Bekämpfung der illegalen Arbeitnehmerüberlassung schon heute verfolgt wird: Der „Flucht“ von Unternehmen aus Arbeitgeberverpflichtungen soll begegnet werden.
Zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung werden seit Langem in nahezu allen Bundesländern konzertierte Aktionen gegen die „Schattenwirtschaft“ durchgeführt. Schwerpunktprüfungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) sind freilich keine Neuigkeit. Bemerkenswert ist aber die intensivierte Zusammenarbeit der Beamten der Bundeszollverwaltung mit der Polizei, Vertretern der Ausländerbehörden, der Deutschen Rentenversicherung, der Arbeitsverwaltung sowie den nach Landesrecht für die Kontrolle der handwerks- und gewerberechtlichen Vorschriften zuständigen Behörden.
Laut dem 12. Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung[10] lassen sich Umfang und Entwicklung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung nach wie vor nicht messen bzw. nicht mit verlässlichem Zahlenmaterial belegen. Gleichwohl wird von Politik, Gewerkschaft und den Verbänden gefordert, die Kontrollmöglichkeiten zu verbessern, Befugnisse der zuständigen Behörden zu erweitern, Schwerpunktstaatsanwaltschaften für die Bekämpfung illegaler Beschäftigung einzurichten und Strafen zu verschärfen.
Gleichsam durch die Hintertür, nämlich im Zuge der Migrationsdebatte[11], wurde per 1.1.2015 noch die Gewerbeanzeigenverordnung geändert. Nunmehr obliegt es den Gewerbeämtern, Gewerbeanzeigen auf Anhaltspunkte für Scheinselbständigkeit zu prüfen und Verdachtsfälle an die Behörden der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu übermitteln.[12] In § 3 Abs. 3 GewAnzV ist die Verpflichtung der Gewerbeämter enthalten, den Behörden der Zollverwaltung, also der FKS, Daten aus der Gewerbeanmeldung bei Anhaltspunkten für eine Scheinselbständigkeit oder Schwarzarbeit zu übermitteln. Mithin wird auf die Gewerbeämter eine Art Vorprüfung verlagert, die dazu führen soll, dass die FKS „(…) nur die Daten [erhält], die diese für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Rahmen der Bekämpfung von Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit“[13] benötigt. Das Bundesministerium der Finanzen und die Länder haben im Rahmen einer Verwaltungsvereinbarung einvernehmlich festgelegt, in welchen Fällen Anhaltspunkte für eine Scheinselbständigkeit oder für Schwarzarbeit vorliegen.
V. Konsequenzen
Gesetzliche Verschärfungen oder der Abbau von Vollzugsdefiziten beseitigen die „Schattenwirtschaft“ nicht allein. Die regelmäßig auf Umgehungskonstellationen fokussierte Berichterstattung lässt häufig genug den Hinweis vermissen, dass der politische Wille in den vergangenen Jahren und vom Gesetzgeber verursachte bzw. nicht beseitigte Rechtsunsicherheiten Teil des beklagten Problems sind.
Es darf nicht übersehen werden, dass Existenzgründer-Unterstützung und Instrumente zur Förderung der Selbständigkeit wie die „Ich-AG“ heute zunehmend als „scheinselbständig“ qualifizierte Beschäftigungen oft erst hervorgebracht haben. Nach einem Bericht der Europäischen Kommission (Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit) vom September 2010 gab es im Jahr 2009 32,5 Mio. selbständig Erwerbstätige in 27 EU-Mitgliedstaaten. In Deutschland – so die Kommission – hätten offensichtlich Fördermaßnahmen starken Einfluss auf die Zahl der Unternehmensgründungen, da eine „bemerkenswert hohe Zahl geförderter Arbeitsloser eine eigene Existenz gegründet hat und 20% aller Unternehmensgründer im Jahr 2009 vorher arbeitslos waren“.[14]
Zugleich liefern die von allen Seiten befürwortete Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt und der sozioökonomische Strukturwandel bei Wegfall einfacher Tätigkeiten im Industriesektor, aber auch im Bereich des Handwerks sowie Hochspezialisierung und Arbeitsteilung Gründe für atypische Beschäftigungen.
Die bußgeldrechtlichen, strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Folgen bei Zuwiderhandlungen gegen die diffizilen Vorschriften werden noch immer unterschätzt. Es drohen Kriminalstrafen und empfindliche Geldbußen bis hin zu hohen Verbandsgeldbußen.
Verstöße gegen das Recht der Arbeitnehmerüberlassung werden nach § 16 AÜG-E als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert. Für die Mehrzahl der vorsätzlichen Verstöße ist ein Bußgeldrahmen von bis zu EUR 30.000,– vorgesehen.
Wegen der Rechtsfolgen aus §§ 9, 10 AÜG-E gerät der Entleiher überdies in strafrechtlich relevantes Fahrwasser, da bei Unwirksamkeit des Verleihvertrages Arbeitsverhältnisse fingiert werden. Entsprechend obliegen dem Entleiher die Arbeitgeberpflichten, deren Verletzung in Form des Vorenthaltens und Veruntreuens von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 266a StGB mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe bedroht ist. Die damit regelmäßig verbundene Hinterziehung von Lohnsteuer, ggfs. auch Umsatzsteuer gemäß § 370 AO zieht ebenfalls Kriminalstrafe nach sich.
Bedenklich ist, dass künftig der Leiharbeitnehmer „das Zünglein an der Waage“ sein soll, wenn es um die Unwirksamkeit eines Überlassungsvertrages mit den vorbeschriebenen Folgen geht. Denn ihm möchte das BMAS ein Widerspruchsrecht zubilligen, § 9 AÜG-E. Macht der Leiharbeitnehmer hiervon fristgerecht Gebrauch, bleibt das mit dem Verleiher begründete Arbeitsverhältnis bestehen. Für den Entleiher bedeutet dies, dass er nicht in die Arbeitgeberstellung einrückt, und damit – z.B. – auch nicht Normadressat des § 266a StGB wird.
VI. Fazit: Contractor-Compliance – Das Gebot der Stunde
Zur Vermeidung etwaiger bußgeld- und/oder strafrechtlicher Sanktionen sowie finanzieller Nachteile empfiehlt es sich, frühzeitig und vorausschauend auf die angestrebten Gesetzesänderungen zu reagieren, d.h. die Themen „Fremdpersonaleinsatz und Fremdleister“ im Rahmen einer adäquaten Contractor-Compliance[15] zu behandeln.
Die unter Transparenzgesichtspunkten durchzuführende Abgrenzung bei Auftragsvergabe zwingt die Auftraggeber zu der Festlegung, ob Arbeitnehmerüberlassung gewollt ist oder nicht. Entsprechende Mechanismen müssen dann im Rahmen des Vertragswesens die Gewähr dafür bieten, dass die gesetzlichen Vorgaben vertraglich festgehalten und in praxi umgesetzt werden.
Die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Vergabe von Leistungen an Werk- oder Dienstvertragsunternehmen bildet die Weichenstellung sowohl für das Vertrags- als auch das Dokumentenmanagement.
Die zur Haftungsvermeidung zu implementierenden oder zu optimierenden Compliance-Maßnahmen stehen in Abhängigkeit zu der gewählten Vertragsform.
Z.B. sind vor dem Hintergrund verschuldensunabhängiger Auftraggeberhaftung bei der Vergabe von Werk- und Dienstleistungen bei Vertragsschluss unter Umständen Verpflichtungserklärungen aufzunehmen. Die Vorlage von Nachweisen zur Einhaltung steuerlicher wie beitragsrechtlicher Pflichten ist im Rahmen des Dokumentenmanagements nachzuhalten. Dies gilt auch und gerade bei branchenspezifischen Pflichten.
Demgegenüber erfordert die legale Arbeitnehmerüberlassung künftig nicht nur den Besitz und die Vorlage einer gültigen Überlassungserlaubnis, sondern die entsprechende Bezeichnung des Vertrages, Vereinbarungen zur Konkrektisierungspflicht, ggf. Nachweise zum Bestand des Arbeitsverhältnisses zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer sowie Passagen bezogen auf das zu zahlende Entgelt. Das Dokumentenmanagement ist zwingend auf die laufende Kontrolle des Fortbestands der Überlassungserlaubnis, die gesetzlich vorgesehene Konkretisierungspflicht zu erstrecken.
Angesichts der zu erwartenden Übergangsvorschriften sowie der geplanten Begrenzung der Arbeitnehmerüberlassung in zeitlicher Hinsicht wird künftig personenbezogen (!) eine Fristenkontrolle durchzuführen sein. Bei mittel- und langfristigen Projekten sollten die vorgenannten Aspekte zum Gegenstand der Projektplanung gemacht werden.
Die Unternehmensorganisation ist auf das Bestehen geeigneter Compliance-Strukturen zu überprüfen. Bei der Übertragung von Unternehmerpflichten und der Erstellung von Arbeitsanweisungen sollten Fragestellungen rund um den Fremdpersonaleinsatz und/oder die Fremdvergabe von Leistungen ausreichend abgebildet werden. Aus Haftungsgründen ist dringend anzuraten, noch nicht oder nicht ausreichend vorhandene Compliance-Strukturen aufzusetzen und die entsprechenden Maßnahmen flankiert von Mitarbeiterschulungen zu implementieren.
Je nach Branche und Unternehmensgröße wird die Compliance-Struktur Besonderheiten unterliegen. Das gilt auch für die Entscheidung, wo Prüfungskompetenzen anzusiedeln sind. Dies kann z.B. mit Blick auf Vertragsgestaltungen in der Rechtsabteilung und/oder Personalabteilung sein, genauso gut kommen die Einkaufsabteilungen, Vertrieb oder Logistik als entscheidende Organisationseinheiten in Betracht. Alle vorgenannten Einheiten müssen im Rahmen einer Schnittstellenüberwachung in die Lage versetzt werden, Abgrenzungsprobleme zu erkennen.
Ein Baustein einer wirksamen Contractor-Compliance ist es, Fehlentwicklungen zu erkennen und gegenzusteuern. In der Praxis ist häufig zu beobachten, dass rechtskonform geschlossene Verträge auf operativer Ebene „verschliffen“ oder – wie es im Referentenentwurf vom 14.04.2016 heißt – umgewandelt werden – in ggf. illegale Arbeitnehmerüberlassungen oder Konstellationen der Scheinselbständigkeit.
Gerade diese Konstellationen sollten durch wirksame Kontrollmechanismen identifizierbar sein. Nachgeordnete Mitarbeiter sind vom Führungspersonal wegen des erheblichen finanziellen, bußgeldrechtlichen und strafrechtlichen Risikos zu sensibilisieren. Auch bei Delegation von Leitungsaufgaben, zu denen zweifellos die Einhaltung der maßgeblichen Unternehmer- und Arbeitgeberpflichten gehört, verbleibt auf Seiten der Geschäftsführer und Vorstände eine weitreichende Organisations- und Überwachungspflicht.
Die Aufgabe ist schwierig genug. Auf die in der Praxis auftretenden Fragen geben die Gesetzesvorhaben keine Antwort. Die Legaldefinition des § 611a BGB-E beseitigt Abgrenzungsprobleme nicht, zumal in den betroffenen Rechtsgebieten kein einheitlicher Arbeitgeberbegriff zugrunde gelegt wird.[16] Im Gegenteil. Deshalb sollte die gebotene Beurteilung stets fachgebietsübergreifend vorgenommen werden. Nur so lassen sich Risiken identifizieren und eindämmen, lässt sich (persönliche) Haftung vermeiden.
Die administrativen Hürden beim Fremdpersonaleinsatz werden höher – was wohl intendiert sein dürfte.
[1] Beitrag in der FAZ vom 11.05.2016 „Koalition einigt sich auf Begrenzung der Leiharbeit“.
[2] Positionspapier des DGB Bundesvorstandes Arbeitsmarkt aktuell Nr. 5, Juni 2012, abrufbar unter www.dgb.de.
[3] Abrufbar unter http://www.bmas.de.
[4] Abrufbar unter http://www.bmas.de.
[5] Forschungsbericht Nr. 432 des BMAS vom Dezember 2012, Machbarkeitsstudie zur Erfassung der Verbreitung und Problemlagen der Nutzung von Werkverträgen, S. 1, abrufbar unter http://www.bmas.de.
[6] BT-Drs. 18/14 vom 28.10.2013.
[7] Beitrag in der FAZ vom 11.05.2016 „Koalition einigt sich auf Begrenzung der Leiharbeit“.
[8] Entwurf abrufbar unter http://www.bmas.de.
[9] Zu dieser Entwurfsfassung äußerst kritisch Thüsing/Schmidt, ZIP 2016, 54 ff.
[10] BT-Drs. 17/14800 vom 27.09.2013, S. 3 f.
[11] Dazu auch http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/08/ abschlussbericht-armutsmigration.html.
[12] BGBl. 2014 I vom 25.07.2014, S. 1208.
[13] BR-Drs. 240/14 vom 28.05.2014, S.12.
[14] Bericht des Europäischen Beschäftigungsobservatoriums, Selbständige Erwerbstätigkeit in Europa 2010, S. 6, abrufbar unter http://ec.europa.eu.
[15] Dazu umfassend Klösel/Klötzer-Assion/Mahnhold (Hrsg.), Contractor Compliance, 2016.
[16] Klösel/Klötzer-Assion/Mahnhold – Klötzer-Assion, Contractor Compliance, Teil 2, 5. Kapitel, Gemeinsamkeiten und Divergenzen bei der Bestimmung des Arbeitgeberbegriffs.