Raimund Weyand

Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht

I. Strafprozess- und Ordnungswidrigkeitenrecht

1. Beschlagnahme persönlicher Aufzeichnungen – § 97 Abs. Abs. 1 Nr. 1 StPO

Die Staatsanwaltschaft darf auch persönliche Aufzeichnungen, durch die ein Beschuldigter mit seinen engsten Angehörigen kommuniziert, sicherstellen und auswerten. Beschlagnahmefrei sind solche Mitteilungen nur dann, wenn sie sich im Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten befinden. Bei Mitgewahrsam auch des Tatverdächtigten besteht kein Beschlagnahmeverbot.

LG Saarbrücken, Beschluss vom 14.07.2016 – 2 Qs 16/16, n.v.

In der entschiedenen Sache hatte die Staatsanwaltschaft bei Durchsuchungsmaßnahmen einen Schreibblock sichergestellt, mit dem der krankheitsbedingt sprachunfähige Beschuldigte Informationen an seine Umgebung weitergab. Anders als das AG sah das LG in der Durchsicht und Auswertung keinen Eingriff in die Intimsphäre, da keine Zurechnung zum absolut geschützten Kernbereich persönlicher Lebensführung anzunehmen sei: Der Beschuldigte habe den Block für die alltägliche Kommunikation genutzt, weshalb man einen Geheimhaltungswillen ausschließen könne.

2. Überschuldung und Fluchtgefahr – § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO

Eine bestehende Überschuldung bzw. finanzielle Probleme begründen für sich genommen keine Fluchtgefahr.

OLG München, Beschluss vom 20.05.2016 – 1 Ws 369/16, StraFo 2016, 291

Zu der Entscheidung s. zust. Güttner, FD-StrafR 2016, 379659.

3. Pflichtverteidigung bei Bilanzdelikten – § 140 Abs. 2 StPO, §§ 283 Abs. 1 Nr. 7, 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB

Die Strafbarkeit wegen Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB bzw. wegen Verletzung der Buchführungspflicht gem. § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB entfällt grundsätzlich bei rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit der Bilanzerstellung. Die Rechtslage im Einzelnen ist jedoch ungeklärt.

Werden entsprechende Vorwürfe erhoben, ist wegen der schwierigen Rechtslage regelmäßig die Bestellung eines Pflichtverteidigers geboten.

KG, Beschl. v. 9.02.2016 – (4) 121 Ss 231/15 (5/16), ZInsO 2016, 1527 = ZWH 2016, 235. S. zu der Entscheidung krit. Brand, ZWH 2016, 236. Vgl. ferner zur Frage der Anwendung der omissio libera in causa auf derartige Konstellationen (jeweils bejahend) Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, 10.Aufl. 2016, Rn. 86 und Püschel in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwalt-Kommentar-StGB, 2. Aufl. 2015, § 283 Rn. 20, 27.

4. Strafklageverbrauch bei Insolvenzverschleppung – § 264 StPO

Fasst der durch Strafbefehl wegen Insolvenzverschleppung rechtskräftig verurteilte Täter einen neuen von dem ersten qualitativ verschiedenen Tatentschluss, ist eine zweite Verurteilung ohne Verstoß gegen das Schuldprinzip möglich.

OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 30.06.2015 – 2 Ss 106/15, ZInsO 2016, 1468.

Zu der Entscheidung s. Floeth, EWiR 2016, 349 und Lilie-Hutz, FD-StrafR 2016, 375751. A.A. indes OLG München, Beschluss vom 14.06.2012 – 3 Ws 493/12, ZInsO 2013, 736 mit abl. Anm. Weyand, ZInsO 2013, 737. S. hierzu gleichfalls abl. Ebner, NZWiSt 2013, 356 sowie Kring, wistra 2013, 357; zust. jedoch Fingerle, ZWH 2013, 295 sowie Grosse-Wilde, wistra 2014, 130.

5. Nachweis der Erbenstellung im Adhäsionsverfahren – § 403 StPO

Im Adhäsionsverfahren (§ 403 StPO) ist zum Nachweis der Erbfolge die Vorlage des Erbscheins regelmäßig erforderlich.

BGH, Urteil vom 17.02.2016 – 2 StR 328/15, ZInsO 2016, 1583

Zu der Entscheidung und allg. zum Nachweis der Erbenstellung im Nachlassinsolvenzverfahren vgl. Greiner, ZInsO 2016, 1570. Umfassend zur Bedeutung und zu Anwendungsmöglichkeiten des Adhäsionsverfahrens im Zusammenhang mit Insolvenzen s. Weyand, ZInsO 2013, 865.

6. Durchsetzung von Geldbußen während des laufenden Insolvenzverfahrens – § 98 OWiG

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht für sich genommen der Anordnung der Erzwingungshaft gem. § 96 OWiG gegenüber dem Schuldner nicht entgegen.

Bestehende Zahlungsunfähigkeit lässt nicht den zwingenden Schluss zu, dass ein Insolvenzschuldner eine Geldbuße im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht leisten kann. Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit ist im Ordnungswidrigkeitenrecht deutlich enger auszulegen.

LG Potsdam, Beschluss vom 12.01.2016 – 24 Qs 52/15, ZInsO 2016, 1113 m. krit. Anm. Pauka, NZI 2016, 652; s. zu der Entscheidung auch Lampe, jurisPR-StrafR 10/2016 Anm. 4.

II. Materielles Strafrecht

1. Betrug durch Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht durch Verschweigen vergütungsrelevanter Umstände – § 263 StGB

Der (vorläufige) Insolvenzverwalter hat gegenüber dem Insolvenzgericht vollständige und zutreffende Angaben über die für die festzusetzende Vergütung relevanten Umstände zu machen. Hierzu zählen die Darlegung der für zuschlagsberechtigt gehaltenen Tätigkeiten sowie für den Fall einer Beauftragung von Dritten eventuell aus der Insolvenzmasse geleistete Zahlungen.

Verschweigt der Verwalter zu Lasten der Masse erfolgte Delegationen oder stellt diese unzutreffend dar, um Ab- oder Zuschläge zu beeinflussen, erfüllt dies den Tatbestand des Betruges.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 25.04.2016 – 1 Ws 508/15, ZInsO 2016, 1659 m. Anm. Weyand

Die unendliche Geschichte um die schon im Jahre 2007 insolvent gewordene Wiesmoorer Unternehmensgruppe Bohlen & Doyen geht weiter. Mit dem Beschluss vom 25.04.2016 hat das OLG Oldenburg die Nichteröffnungsentscheidung des LG Aurich (Beschluss vom 27.07. 2015 – 15 KLs 1000 Js 17239/10 (3/14), ZInsO 2015, 1809 m. Anm. Weyand, ZInsO 2015, 1843) aufgehoben. Zur vergütungsrechtlichen Seite vgl. LG Aurich, Beschluss vom 29. 10. 2013 – 4 T 206/10, ZInsO 2013, 2388 m. Anm. Haarmeyer. Der Versuch, auch den für Vergütungssachen zuständigen Insolvenzrechtspfleger wegen Untreue bzw. Rechtsbeugung zur Rechnung zur ziehen, ist bereits 2013 gescheitert (LG Aurich, Beschluss vom 13.05.2013 – 15 KLs 1000 Js 55939/12 (2/13), ZInsO 2014, 343 m. Anm. Weyand).

2. Bankrott und Firmenbestattung – § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB

Wird im Rahmen einer geplanten „Firmenbestattung“ ein neuer Geschäftsführer bestellt, ist dieser jedenfalls dann tauglicher Täter eines Bankrottdeliktes, wenn er als Vertretungsberechtigter der Gesellschaft auftritt, und die Geschicke der Gesellschaft faktisch leitet.

Handlungen, die aufgrund eines gemeinsamen Tatplans arbeitsteilig vorgenommenen werden, sind den Beteiligten wechselseitig gem. § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen.

Derjenige macht sich wegen Beihilfe zum Bankrott (§§ 283 Abs. 1 Nr. 8, 27 StGB) strafbar, wer als „Firmenbestatter“ die Organisation der angebotenen „Firmenbestattung“ übernimmt, sowie die hierfür erforderlichen Strukturen und Mitarbeiter stellt. Dieser Grundsatz gilt auch für denjenigen, der in Kenntnis der geplanten „Firmenbestattung“ die Übertragung der Gesellschaftsanteile ermöglicht.

LG Saarbrücken, Urteil vom 26.06.2015 – 2 KLs 23/14, ZInsO 2016, 1115

3. Schuldnerbegünstigung durch einen mit der Schuldenregulierung beauftragten Rechtsanwalt – §§ 283 Abs. 1, 283d StGB

Verheimlichen i.S.d. § 283 Abs. 1 StGB ist jedes Verhalten, durch das ein Vermögensbestandteil oder dessen Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse der Kenntnis des Insolvenzverwalters oder der Gläubiger entzogen wird.

Vollendet ist das Verheimlichen erst durch Eintritt eines zumindest vorübergehenden Täuschungserfolgs; das auf die Verheimlichung gerichtete Verhalten allein genügt nicht.

Ein Beiseiteschaffen i.S.d. § 283 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn ein zum Vermögen des Schuldners gehörender Vermögensgegenstand dem alsbaldigen Gläubigerzugriff entzogen oder der Zugriff zumindest wesentlich erschwert wird. Fließt ein zunächst entnommener Geldbetrag an den Schuldner zurück, ist dessen Vermögen nicht zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger verringert worden.

BGH, Beschluss vom 12.05.2016 – 1 StR 114/16, ZInsO 2016, 1436

4. Strafbarkeit wegen Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB bzw. wegen Verletzung der Buchführungspflicht gem. § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB

S. hierzu die oben unter I.3. wiedergegebene Entscheidung des KG

III. Zivilrechtliche Entscheidungen mit strafrechtlichem Bezug

1. Rückwirkende Anwendung der Inhabilitätsregelung – § 76 Abs. 3 AktG, § 6 Abs. 2 GmbHG

Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die Sanktionsfolge des § 76 Abs. 3 AktG auch für vor Inkrafttreten des MoMiG am 01.11.2008 begangene zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Katalogtaten gilt.

OLG München, Beschluss vom 26.04.2016 – 31 Wx 117/16, ZInsO 2016, 1168

2. Haftung des faktischen Geschäftsführers für missbräuchliche Verwendung betrieblicher Einnahmen – § 266 StGB, § 43 Abs. 2 GmbHG

Für die Beurteilung der Frage, ob jemand faktisch wie ein Organmitglied gehandelt und als Konsequenz seines Verhaltens sich wie ein nach dem Gesetz bestelltes Organmitglied zu verantworten hat, kommt es auf das Gesamterscheinungsbild seines Auftretens an. Danach ist es nicht erforderlich, dass der Handelnde die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdrängt.

Entscheidend ist, dass der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft – über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus – durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat. Auch ein mit der Insolvenzschuldnerin über einen Arbeitsvertrag verbundener Mitarbeiter agiert als ein faktischer Geschäftsführer wenn er z.B. Einstellungsgespräche selbstständig führt oder ein betriebsfremdes Konto einrichtet, auf das er Einnahmen der Insolvenzschuldnerin einzahlt und über das nur er selbst und der nicht bestellte Geschäftsführer verfügen darf.

Stellt der eigentliche Kontoinhaber sein Konto einem Dritten zur Verfügung, auf das der faktische Geschäftsführer treuwidrig Beträge, die der Insolvenzschuldnerin zustanden, einzahlt, erlangt die wahre Kontoinhaberin einen rechtsgrundlosen Auszahlungsanspruch gegen die Bank.

LG Hannover, Urteil vom 08.02.2016 – 1 O 169/13, ZInsO 2016, 806

S. zu der Entscheidung die Anm. von Wilhelm V, ZInsO 2016, 809; vgl. weiter Wozniak, jurisPR-InsR 11/2016 Anm. 2.

IV. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen mit strafrechtlichem Bezug

1. Gewerberechtliche Unzuverlässigkeit und Insolvenzverfahren – § 35 GewO

12 Satz 1 GewO schließt eine Gewerbeuntersagung nur in dem Zeitraum zwischen etwaigen vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO und der Erfüllung eines Insolvenzplans aus.

Angesichts des ordnungsrechtlichen Charakters des Gewerbeuntersagungsverfahrens kommt es auf das Verschulden für aufgelaufene Steuerrückstände grundsätzlich nicht an.

Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs wird von einem Gewerbetreibenden erwartet, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt.

BayVGH, Beschluss vom 25.05.2016 – 22 ZB 16.837, ZInsO 2016, 1466

2. Gewerbeuntersagung bei mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit – § 35 GewO

Unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt.

Tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Unzuverlässigkeit bestehen insbesondere im Fall der Begehung gewerbebezogener Straftaten und/oder Ordnungswidrigkeiten, wobei bereits ein einmaliger gewerbebezogener Verstoß gegen Strafgesetze die Unzuverlässigkeit indizieren kann.

Als unzuverlässigkeitsbegründende Tatsache kommt auch die (Fort-)Führung eines Gewerbebetriebs trotz mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden in Betracht.

Eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit ergibt sich überdies, wenn die gewerbliche Betätigung im Rahmen von Strohmann-Verhältnissen erfolgt.

VG Arnsberg, Beschluss vom 04.05.2016 – 1 L 1671/15, ZInsO 2016, 1165

3. Widerruf einer Gaststättenerlaubnis bei strafrechtlicher Vorverurteilung – §§ 15, 31 GastG

Eine gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit kann sich aus strafgerichtlichen Verurteilungen insbesondere dann ergeben, wenn die Straftat von einigem Gewicht ist und die Tathandlung einen Gewerbebezug aufweist. Sowohl eine einzelne Straftat ist dabei ausreichend, wenn sie schwerwiegend ist, als auch eine Häufung kleinerer Verstöße.

Dies gilt auch, wenn die Sanktion im Strafverfahren zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Prüfung der Sozialprognose unterliegt anderen Prüfungsmaßstäben als die Prognose im Rahmen der gewerberechtlichen Zuverlässigkeitsprüfung.

VG Augsburg, Urteil vom 25.02.2016 – AU 5 K 15.507, BeckRS 2016, 46128

Autorinnen und Autoren

  • Raimund Weyand
    Raimund Weyand war bis zum seinem Eintritt in den Ruhestand am 31.12.2021 stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Insolvenz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und hat auf diesen Themengebieten bereits zahlreiche Beiträge publiziert. Weyand ist (Mit-)Verfasser mehrerer insolvenz- und wirtschaftsstrafrechtlicher Buchveröffentlichungen, Mitautor des Kommentars von Graf/Jäger/Wittig zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht und gehört seit deren Gründung dem Herausgebergremium der Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) an.

WiJ

  • Dr. Elias Schönborn , Jan Uwe Thiel

    Gesetzliche Regelungen zur Handy-Sicherstellung sind verfassungswidrig (Österreich)

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Tino Haupt

    Der Zugriff auf Fahrzeugdaten aus strafprozessualer Perspektive

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Florian Neuber

    Verteidigung ohne Grenzen?

    Internationales Strafrecht