Dr. Markus Rübenstahl, Mag. iur.

Italienisches Steuerstrafrecht – Befristete Möglichkeit zur strafbefreienden Nacherklärung in Italien durch Neueröffnung der „collaborazione volontaria“ („Voluntary Disclosure“) mit Gesetzesdekret Nr. 193 vom 22.10.2016

I. Allgemeines

Durch Art. 7 („Riapertura dei termini della procedura di collaborazione volontaria e norme collegate“) des mit dem Haushaltsgesetz 2017 verbundenen Gesetzesdekrets (decreto-legge; „dl“) 193/2016[1] hat die italienische Regierung die bereits 2015/2016 zeitweise bestehende Möglichkeit zur strafbefreienden Nacherklärung („collaborazione volontaria“, d.h. freiwillige Zusammenarbeit, umgangssprachlich „Voluntary Disclosure“ oder „VD“) wieder eröffnet. Dies erfolgte, indem durch das eingangs genannte Gesetzesdekret ein (mehrseitiger) Art. 5-octies in das Gesetzesdekret Nr. 167 vom 28.6.1990 – in Gesetz umgewandelt durch das Gesetz Nr. 227 vom 4.8.1990 – eingefügt wurde. Art. 5-octies ergänzt und modifiziert dort die gewissermaßen reaktivierten Normen der vorherigen Selbstanzeigeregelung von 2014 in Gestalt der Art. 5-quater – 5-septies[2] des dl 167/1990.[3]

Dem Grunde nach richtet sich die neue selbstanzeigeartige Regelung somit im Wesentlichen nach den Art. 5-quater bis 5-septies dl 167/1990 (unten II.), d.h. der zwischenzeitlich als solchen nicht mehr anwendbaren Vorgängerregelung (hier: „Voluntary Disclosure“ bzw. „VD“ 2014), die durch Art. 1 des Gesetzes Nr. 186 vom 15. Dezember 2014 eingefügt und später modifiziert und in ihrem zeitlichen Anwendungsbereich ausgedehnt worden war. Die neuen Regelungen zur VD 2016 (unten III.) gehen soweit abweichend oder darüber hinausgehend vor.

II. Kernregelungsgehalt gemäß den Vorschriften zur VD 2014

Vor diesem Hintergrund ist zunächst der im Rahmen der VD 2016 erneut geltende Kernregelungsgehalt dieser Vorschriften zur VD 2014 kurz darzustellen:

Art. 5-quater Abs. 1 dl 167/1990 enthält die Regelung, dass derjenige, der bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (s.u.) seine steuerlichen Erklärungspflichten im Sinne des Art. 4 Abs. 1 des dl 167/1990 verletzt hat, sich des Verfahrens der freiwilligen Zusammenarbeit bedienen kann, um die Verhängung minimierter Sanktionen für eventuelle Verletzungen von Erklärungspflichten und die Festsetzung abschließend aufgeführter verkürzter Steuern (insbesondere Ertragsteuern (Einkommensteuer und das italienische Äquivalent der Körperschaftsteuer), diese Steuern ergänzende und substituierende Steuern, regionale Produktionsteuern sowie die Mehrwertsteuer) zu erreichen. Gemäß Art. 5-quinquies kann er zugleich für bestimmte Katalogstraftaten bezüglich der erklärungsgegenständlichen Steuern strafbefreiende Wirkung erlangen.

Hierzu ist bei der Finanzverwaltung ein entsprechender formularmäßiger Antrag[4] zu stellen, der – zusammenfassend und vereinfachend ausgedrückt – alle für die korrekte (Mehr-)Steuerfestsetzung, die Strafsteuer und die Zinsen erforderlichen steuerlich relevanten Angaben (näher definiert in Art. 5-quater Abs. 1 Buchst. a)) enthält und dem darüber hinaus die für die korrekte Festsetzung notwendigen Dokumente und Informationen beigefügt sind. Dem Antrag müssen die (unversteuerten bzw. nicht korrekt versteuerten) finanziellen Aktivitäten und Investitionen zu entnehmen sein, d.h. vergleichbar zu § 370 Abs. 1 AO ist eine (gegebenenfalls komplexe) Sachverhaltsschilderung bezüglich der steuerlich relevanten Tatsachen erforderlich. Ausgangspunkt wird allerdings voraussichtlich wieder – wie bei der VD 2014 – ein Formular der italienischen Finanzverwaltung sein.[5] Wie seinerzeit ist ergänzend jedoch ein erläuternder Bericht des Steuerpflichtigen bzw. seines Beraters vorgesehen.[6] Die für die korrekte Besteuerung erforderlichen Sachverhaltsangaben müssen für alle Besteuerungszeiträume gemacht werden, die zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht der Festsetzungsverjährung unterliegen (heute an sich: 2011-2015).

Das Verfahren der freiwilligen Zusammenarbeit ist unzulässig (und im Ergebnis unwirksam), wenn der Antrag hierauf gestellt wurde, nachdem derjenige, der steuerlichen Erklärungspflichten im Sinne des Art. 4 Abs. 1 verletzt hat, formale Kenntnis von – im Gesetz näher definierten und abschließend aufgeführten – steuerlichen Prüfungen bzw. Verfahren der Finanzverwaltung oder von Strafverfahren bezüglich der Verletzung von steuerlichen Normen hat, soweit diese Prüfungen bzw. Verfahren den sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich des Verfahrens der freiwilligen Zusammenarbeit betreffen (Art. 5-quater Abs. 2 S. 1). Die vorgenannten Sperrgründe greifen auch ein, wenn eine formale Kenntnis von den Sperrgründen bei solchen Personen besteht, die in einer entsprechenden steuerlichen Pflichtenstellung sind oder bei solchen Personen, die an den Steuerstraftaten in strafbarer Weise beteiligt sind (S. 2). Der Antrag auf freiwillige Zusammenarbeit ist unwiderruflich und kann nicht mehr als einmal gestellt werden, auch nicht indirekt oder mittelbar unter Zwischenschaltung einer anderen Person (S. 3).

Die freiwillige Zusammenarbeit gem. VD 2014 wurde gemäß Art. 5-quater Abs. 1 Buchst. b) mit der (fristgerechten) Überweisung der von der Finanzverwaltung gemäß Art. 5 Abs. 1 Legislativdekret Nr. 218 vom 19. Juni 1997 auf der Basis der Nacherklärung ausgesprochenen Steuernachforderung (zuzüglich Strafsteuer und Zinsen) durch den Steuerpflichtigen abgeschlossen. Hierzu enthält die VD 2016 jedoch abweichende Regelungen. Der Steuerpflichtige ist nach der VD 2016 zur freiwilligen fristgerechten Zahlung des eigenständig zu errechnenden Zahlbetrags aufgerufen, wenn er in den Genuss der Rechtsvorteile kommen will (siehe unten). Hierin wird in der Presse – verglichen mit der VD 2014 – ein erhebliches Erschwernis der VD 2016 zulasten des Steuerpflichtigen gesehen, da naturgemäß die notwendigerweise der Berechnung und Zahlung zu Grunde liegenden steuerrechtlichen Bewertungen durchaus opinabel sind und fehleranfällig sein können. Besonders deutlich wird dies im Vergleich zur Regelung des § 371 AO, die weder eine rechtlich und rechnerisch korrekte Berechnung der Mehrsteuern noch gar der steuerlichen Nebenleistungen voraussetzt, sondern einen vollständigen und zutreffenden Tatsachenvortrag genügen lässt. Den vollständigen und zutreffenden Tatsachenvortrag bezüglich aller relevanten Besteuerungszeiträume und Steuerarten muss derjenige, der von der Rechtswohltat der VD 2016 profitieren will, überdies leisten.

Innerhalb von 30 Tagen nach Ausführung der o.g. Überweisungen gemäß Art. 5-quater Abs. 1 Buchst. b) teilt die Finanzverwaltung den zuständigen Strafverfolgungsbehörden die Beendigung des Verfahrens der freiwilligen Zusammenarbeit zum Zwecke der Straffreistellung des Verhaltens im Rahmen der Reichweite des Art. 5-quinquies Abs. 1 Buchst. a) und b) mit.

Nach Art. 5-quinquies Abs. 1 Buchst. a) ist zu Gunsten desjenigen, der die freiwillige Zusammenarbeit im Sinne des Art. 5-quater geleistet hat, die Strafbarkeit nach den Artikeln 2, 3, 4, 5, 10-bis und 10-ter des italienische Steuerstrafgesetzes (decreto legislativo, „d.lgs.“, d.h. Legislativdekret Nr. 74 vom 10. März 2000, in der aktuellen Fassung) ausgeschlossen bzw. nachträglich aufgehoben. Damit sind in die Strafbefreiungswirkung der freiwilligen Zusammenarbeit (VD 2016) sowohl die Vorschriften der italienischen Steuerhinterziehung durch aktives Tun bzw. Unterlassen (Art. 4 und Art. 5) sowie die strenger bestraften Steuerbetrugsdelikte (Art. 2 und Art. 3) einbezogen. Hinsichtlich der Art. 2 und 3 geht die strafbefreiende Wirkung der freiwilligen Zusammenarbeit über die Möglichkeit der Regularisierung („ravvedimento operoso“) in den ständig geltenden Steuerverfahrensvorschriften hinaus, die allenfalls eine Strafbefreiung bezüglich der Art. 4 und 5 ermöglicht. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass weitere nicht genannte steuerstrafrechtliche Tatbestände, insbesondere das Ausstellen falscher Rechnungen zum Zweck der Steuerhinterziehung Dritter (Art. 8 d.lgs. 74/2000), die Verdeckung und Zerstörung von Buchhaltungsunterlagen (Art. 10 d.lgs. 74/2000) und einige weitere steuerliche Sondertatbestände nicht von der Strafbefreiungswirkung der freiwilligen Zusammenarbeit erfasst werden. Grundsätzlich zudem – und ohne dass dies näherer Erwähnung im Gesetz bedürfte – bleiben alle allgemeinen Straftatbestände (man denke z.B. an die Urkundenfälschung) trotz der freiwilligen Zusammenarbeit anwendbar. Strafbefreiungswirkung hat der Gesetzgeber der VD nur für folgende Straftatbestände zuerkannt: Gemäß Buchst. b) ist für den Fall der freiwilligen Zusammenarbeit die Strafbarkeit nach Art. 648-bis („riciclaggio“; Geldwäsche) und 648-ter  („Impiego di denaro, beni o utilità di provenienza illecita“; Verwendung von Geld oder geldwerten Gütern aus Straftaten) des italienischen Strafgesetzbuchs (Codice Penale, abgekürzt „CP“[7]) ausgeschlossen, soweit sich diese Straftaten auf Vortaten im Sinne der oben aufgeführten legalisierungsfähigen Steuerstraftatbestände beziehen. Dies kann unter dem normalerweise geltenden Rechtsregime durch steuerliche Korrekturerklärungen („ravvedimento operoso“) nicht erreicht werden. Die Strafbarkeit nach den Straftatbeständen unter Art. 5-quinquies Abs. 1 Buchst. a) und b) ist allerdings nur bezüglich desjenigen grundsätzlich strafbaren Verhaltens ausgeschlossen, welches die Steuern der konkret durchgeführten freiwilligen Zusammenarbeit betrifft (Art. 5-quinquies Abs. 2). Gemäß Art. 5-quinquies Abs. 3 ist auch die Strafbarkeit nach Art. 648-ter 1 CP („autoriciclaggio“; Selbstgeldwäsche) im Hinblick auf diejenigen ursprünglich strafbaren Aktivitäten ausgeschlossen, die Gegenstand der freiwilligen Zusammenarbeit sind, soweit sie sich auf die oben näher bezeichneten Steuerstraftaten beziehen und bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der Geltungsfrist des Verfahrens der freiwilligen Zusammenarbeit begangen werden. Die Vorschriften des italienischen Geldwäschepräventionsrechts (Legislativdekret Nr. 231 vom 21. November 2007[8]) bleiben hingegen im Wesentlichen anwendbar und werden durch die Regelungen der freiwilligen Zusammenarbeit nicht abbedungen (Art. 5-quinquies Abs. 1 Buchst. b-bis)).

Art. 5-quinquies Abs. 4, 5, 6 und 7 regeln ergänzend die im Falle der freiwilligen Zusammenarbeit anwendbaren steuerverwaltungsrechtlichen Sanktionen (Strafsteuer, vgl. Art. 5 Abs. 2) auch unter Verweis auf andere steuerverfahrensrechtliche Gesetze. Diese Regelungen können hier im Einzelnen nicht dargestellt werden. Im Verhältnis zu den normalerweise geltenden Regelungen sind die steuerverwaltungsrechtlichen Sanktionen im Falle der freiwilligen Zusammenarbeit weitestgehend optimiert. Die Strafsteuern sind nach den vorgenannten Vorschriften im bestmöglichen Fall auf 1/8 des Minimums der Strafsteuern (d.h. 1/8 von 90 % der nacherklärten verkürzten Steuern, d.h. 11,25 %) reduziert.

Wichtig ist der ergänzende Hinweis, dass bezüglich der Nacherklärung im Rahmen der freiwilligen Zusammenarbeit gemäß Art. 5-septies Abs. 1 auch aus strafrechtlichen Gründen höchste Sorgfalt und Genauigkeit geboten ist. Nach dieser Vorschrift wird derjenige, der seine Erklärungspflicht ursprünglich verletzt hat und im Rahmen des Verfahrens der freiwilligen Zusammenarbeit mindestens bedingt vorsätzlich ganz oder teilweise falsche Unterlagen oder Dokumente den zuständigen Behörden zugänglich macht oder diesen im Rahmen des Verfahrens nicht zutreffende Daten und Nachrichten übermittelt, mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten bis zu 6 Jahren bestraft. Im Hinblick hierauf ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass bei Kenntnis von der Unrichtigkeit nach den allgemeinen Grundsätzen (Einheitstäterschaft des it. Strafrechts, s. Art. 110 CP) eine Mittäterschaft von steuerlichen oder rechtlichen Beratern oder (bei Unternehmen) z.B. von Mitarbeitern von einschlägigen Fachabteilungen in Betracht kommen kann.

III. Ergänzende bzw. modifizierende Regelungen speziell zur VD 2016

Die nunmehr ergänzte Vorschrift des Art. 5-octies zur VD 2016 regelt zunächst – naturgemäß von der Vorgängerregelung abweichend – den zeitlichen Anwendungsbereich der neuen VD 2016. Dieser beginnt mit dem Inkrafttreten der Regelung (der Veröffentlichung im Gesetzesblatt, der gazzetta ufficiale vom 24. Oktober 2016 bzw. am Folgetag[9]) und endet am 31. Juli 2017. Letzteres ist so zu verstehen, dass die ursprüngliche Nacherklärung mit dem oben beschriebenen Antrag und Anlagen bis zum Ablauf dieses Tages abgegeben werden muss, um die strafbefreiende Wirkung und die sonstigen Rechtswohltaten zu erlangen. Der Antrag muss zudem entsprechend den (formalen und inhaltlichen) Vorgaben des Direktors der Agenzia dell´Entrate abgefasst sein, d.h. z. B. grds. und jedenfalls im Ausgangspunkt formularmäßig.[10] Vervollständigungen der Nacherklärung, ergänzende Informationen und die Dokumentation – wie sie in Art. 5-quater vorgesehen ist – können bis zum 30. September 2017 eingereicht werden.

Die Zahlung der eigenständig zu errechnenden geschuldeten Summe (nicht nur die Mehrsteuer, sondern z.B. Zinsen und Strafsteuer) ist grundsätzlich freiwillig in einem einzigen Zahlungsvorgang zwingend bis zum Ablauf des 30. September 2017 zu bewirken (Art. 5-octies Abs. Buchst. e) S. 1). Im Falle der ebenfalls zulässigen Ratenzahlung – max. 3 monatliche Raten in gleicher Höhe – muss zumindest die erste Rate vor Ablauf des 30. September 2017 gezahlt werden (Art. 5-octies Abs. Buchst. e) S. 2). Für den Fall dass bis zum 30. September 2017 keine freiwillige Zahlung oder keine vollständige freiwillige erfolgt, beschreibt Art. 5-octies Abs. Buchst. f) das durch die italienischen Finanzverwaltung bis zum 31. Dezember 2018 durchzuführende Verfahren. Von der näheren Darstellung wird hier abgesehen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Finanzbehörden den seitens des Steuerpflichtigen errechneten und gezahlten Betrag (Steuerschuld, Nebenleistungen, Strafsteuer) natürlich überprüfen dürfen. Die Zahlung hat nicht etwa die konstitutive Wirkung einer Tilgung auch bezüglich eines tatsächlich zu zahlenden, höheren Betrages bezüglich der betroffenen Besteuerungszeiträume und Steuerarten.[11]

Eine fehlende rechtzeitige Zahlung des geschuldeten Betrags im Nachgang zu einer korrekten und rechtzeitigen Nacherklärung hat gemäß Art. 5-octies Abs. 1 Buchst. g) Nr. 1 auch negative Auswirkungen auf das Ausmaß der oben beschriebenen steuerverwaltungsrechtlichen Strafsteuerzahlung. Je nach den Umständen des Einzelfalles sind abweichend von Art. 5-quinquies Abs. 4 60 % (50 % in der VD 2014) oder auf 85 % der in Art. 5 Abs. 2 gesetzlich vorgeschriebenen Strafzahlungen zu leisten. Für den Fall, dass bis zum 30. September 2017 nicht vollständig gezahlt wird, sehen die nachfolgenden Art. 5-octies Abs. 1 Buchst. g) Nr. 2 und 3 ebenfalls negative Konsequenzen vor. Für Fehlbeträge von unter 10% (Einbehaltungs-/Abzugssteuern, insb. Lohnsteuer etc.) bzw. unter 30% (sonstige Steuern) der Gesamtsumme ist die Finanzverwaltung berechtigt, die Gesamtsumme um 3 % zu erhöhen. Sind die Fehlbeträge höher als 10 % bzw. 30 %, ist die Finanzverwaltung sogar zur Erhöhung des Gesamtzahlbetrages um 10 % berechtigt. Bei freiwilligen Überzahlungen des Steuerpflichtigen innerhalb der Frist besteht ein Herausgabeanspruch oder Anrechnungsanspruch des Steuerpflichtigen (Art. 5-octies Abs. 1 Buchst. g) Nr. 4).

Die strafbefreiende Wirkung der VD 2016 erfasst bzgl. von Vortaten gem. Art. 5-quinquies Abs. 1 Buchst. a) – den o.g. Steuerstraftaten – den Tatbestand der Selbstgeldwäsche („autoriciclaggio“) gem. Art. 648-ter 1 CP bis zum Zeitpunkt der einzigen oder ersten (bei Ratenzahlung) Zahlung des geschuldeten Betrags an die Finanzverwaltung, d.h. ggf. bis 30. September 2017. Anders als die Vorgängerregelungen („scudo fiscale“ etc.) aus den Jahren 2003, 2008 und 2009 lässt die VD 2016 keine Anonymität derjenigen (natürlichen und juristischen) Personen zu, die von ihr Gebrauch machen.[12] Sie sind vielmehr im Antragsformular zu benennen.[13]

Nur steuerliche Verstöße, die spätestens bis zum 30. September 2016 begangen wurden, können Gegenstand der Nacherklärung sein (Art. 5-octies a)). Sofern somit etwa für das Steuerjahr 2015 unrichtige Steuererklärungen nach diesem gesetzlich vorgesehenen Abgabezeitpunkt verspätet, aber nicht notwendigerweise in strafbarer Weise – d.h. ab dem 1. Oktober 2016 – abgegeben werden, möglicherweise auch, soweit bzgl. des Steuerjahres 2015 Steuerhinterziehungsdelikte erst durch ein Unterlassen (vgl. Art. 5 d.lgs. 74/2000) nach diesem Zeitpunkt begangen werden, kann wohl keine Strafbefreiung erlangt werden.

Die strafbefreiende Nacherklärung ist aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung keinen Personen zugänglich, die an der vorherigen VD 2014 teilgenommen haben. Die Nutzer der VD 2016 sollen zudem gegenüber denjenigen Personen, die bereits das Straffreiheitsangebot 2014 wahrgenommen haben, grds. nicht besser gestellt werden. Der Gesetzgeber hat deshalb vorgesehen, dass in der VD 2016 die Steuerjahre 2010-2015 zu korrigieren sind, nicht nur wie in der Vorgängerregelung – entsprechend den steuerverfahrensrechtlichen Verjährungsvorschriften – der unmittelbar vorhergehende Fünfjahreszeitraum (seinerzeit: 2010-2014). Steuerpflichtige, die über die VD 2014 eine Korrektur zu vergleichbar günstigen Bedingungen hätten vornehmen können und dies – möglicherweise hoffend auf eine nochmals verbesserte Amnestieregelung – unterlassen haben, sollen offenbar gehalten sein, nunmehr so weitgehend zu korrigieren, als hätten sie vorhergehende VD wahrgenommen. Die Festsetzungsverjährung soll den erforderlichen Korrekturzeitraum insoweit nicht zu ihren Gunsten beschränken. Unter bestimmten Voraussetzungen soll die Verdopplung der steuerlichen Festsetzungsverjährungsfrist im Falle von Steuerstraftaten bei Nutzung der VD 2016 nicht eingreifen.[14]

Die neue Regelung enthält zudem eine zusätzliche Strafvorschrift, die dem Missbrauch der VD 2016 vorbeugen soll (Art. 5-octies Abs. 1 Buchst. h)). Danach ist derjenige strafbar, der sich in betrügerischer Weise des Verfahrens der freiwilligen Zusammenarbeit gemäß Art. 5-quater ff. bedient, um auf diesem Wege finanzielle Aktivitäten, Vermögenswerte und Bargeld aus anderen Straftaten als denen des Art. 5-quinquies Abs. 1 Buchst. a) zu legalisieren. Es ist auch hier – wie auch im Falle der oben bereits erwähnten und fortgeltenden Strafvorschrift, die Falschangaben unter Strafe stellt – eine Freiheitsstrafe von einem Jahr 6 Monaten bis zu 6 Jahren vorgesehen. Im Fall des Art. 5-octies Abs. 1 Buchst. h) bleibt auch die Strafbarkeit nach den oben genannten Geldwäschedelikten bestehen.

[1] Abrufbar unter: http://www.gazzettaufficiale.it/eli/id/2016/10/24/16G00209/sg .

[2] Die Art. 5-quater – 5-septies wurden seinerzeit im Rahmen der Gesetzgebung zur VD 2014 durch Art. 1 Abs. 1 und 2 des Gesetzes Nr. 186 vom 15. Dezember 2014 in das Gesetzesdekret Nr. 167/1990 eingefügt.

[3] Neue Fassung des dl 167/1990 abrufbar unter: http://www.agenziaentrate.gov.it/wps/file/Nsilib/Nsi/Home/CosaDeviFare/Richiedere/Collaborazione+volontaria+(voluntary+disclosure)/Normativa+Prassi+Collaborazione+volontaria/decreto+legge+167/Decreto-legge+del+28_06_1990+n.+167+-+.pdf f.; soweit in der Folge das dl 167/1990 zitiert ist, wird von der Wiedergabe von Nr. und Jahrgang abgesehen u. lediglich der Art. bezeichnet.

[4] Das Formular für die VD 2016 existiert derzeit (31. Oktober 2016) noch nicht. Außer der zusätzlichen Besteuerungszeiträume ist nicht mit einem wesentlichen Abweichen von dem Formular für die VD 2014 zu rechnen.

[5] http://www.agenziaentrate.gov.it/wps/file/Nsilib/Nsi/Home/CosaDeviFare/Richiedere/Collaborazio ne+volontaria+%28voluntary+disclosure%29/Modello+Collaborazione+volontaria/Collaborazione+volontaria+modello/VD_modello_+Allegato+1.pdf; nach Angaben der italienischen Finanzverwaltung kann ab dem Inkrafttreten der neuen Vorschriften (25. Oktober 2016) bis auf weiteres das Formular zur VD 2014 auch für die VDI 2016 benutzt werden, vgl. http://www.agenziaentrate.gov.it/wps/content/Nsilib/Nsi/Home/CosaDeviFare/Richiedere/Collaborazione+volontaria+%28voluntary+disclosure%29/ und http://www.agenziaentrate.gov.it/wps/file/Nsilib/Nsi/Agenzia/Agenzia+comunica/Comunicati+Stampa/Tutti+i+comunicati+del+2016/CS+Ottobre+2016/cs+25102016+disclosure/204_Com.+st.+Riapertura+Voluntary+25.10.2016.pdf.

[6]http://www.agenziaentrate.gov.it/wps/file/Nsilib/Nsi/Agenzia/Agenzia+comunica/Comunicati+Stampa/Tutti+i+comunicati+del+2016/CS+Ottobre+2016/cs+25102016+disclosure/204_Com.+st.+Riapertura+Voluntary+25.10.2016.pdf.

[7] Abrufbar hier: http://www.altalex.com/documents/codici-altalex/2014/10/30/codice-penale.

[8] D.lgs. 231/2007 abrufbar hier: http://def.finanze.it/DocTribFrontend/getAttoNormativ oDetail.do?ACTION=getSommario&id={C34AE818-6744-412E-83D3-F5BA751A4010}.

[9] Die italienische Finanzverwaltung geht ausweislich ihrer Pressemitteilung offenbar von einer Anwendbarkeit ab dem 25. Oktober aus, vgl. http://www.agenziaentrate. gov.it/wps/file/Nsilib/Nsi/Agenzia/Agenzia+comunica/Comunicati+Stampa/Tutti+i+comunicati+del+2016/CS+Ottobre+2016/cs+25102016+disclosure/204_Com.+st.+Riapertura+Voluntary+25.10.2016.pdf.

[10] Das entsprechende Formular für die VD 2016 wird offenbar noch erstellt; b.a.w. kann laut der it. Finanzverwaltung das Formular der VD 2014 verwandt werden; die Finanzverwaltung ist gehalten, innerhalb von 30 Tagen für die Umsetzung zu sorgen, vgl. http://www.agenziaentrate.gov.it/wps/file/Nsilib/Nsi/Agenzia/Agenzia+comunica/Comunicati+Stampa/Tutti+i+comunicati+del+2016/CS+Ottobre+2016/cs+25102016+disclosure/204_Com.+st.+Riapertura+Voluntary+25.10.2016.pdf.

[11] Capolupo, Decreto fiscale, voluntary disclosure: riapertura con novità, IPSOA Quotidiano, 26.10.2016, S. 4 http://www.ipsoa.it/documents/fisco/accertamento/quotidiano/2016/10/26/decreto-fiscale-voluntary-disclosure-riapertura-con-novita?p=1.

[12] Capolupo, Decreto fiscale, voluntary disclosure: riapertura con novità, IPSOA Quotidiano, 26.10.2016, S. 4 http://www.ipsoa.it/documents/fisco/accertamento/quotidiano/2016/10/26/decreto-fiscale-voluntary-disclosure-riapertura-con-novita?p=1.

[13] Ob insoweit vergleichbar den Anforderungen des § 371 AO Vollständigkeit zumindest im Hinblick auf Bevollmächtigung bzw. Anschlusserklärungen nötig ist, ergibt sich nicht eindeutig aus dem Normtext.

[14] Capolupo, Decreto fiscale, voluntary disclosure: riapertura con novità, IPSOA Quotidiano, 26.10.2016, S. 3 http://www.ipsoa.it/documents/fisco/accertamento/quotidiano/2016/10 /26/decreto-fiscale-voluntary-disclosure-riapertura-con-novita?p=1.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Markus Rübenstahl, Mag. iur.
    Der Autor ist Gründer der Kanzlei Rübenstahl Rechtsanwälte in Frankfurt am Main und Lehrbeauftragter der Universität Freiburg i. Br. Er ist seit 2002 als Verteidiger, Unternehmensvertreter und beratend im Bereich Wirtschafts- und Steuerstrafrecht tätig und befasst sich auch mit internationalen Aspekten des Wirtschaftsstrafrechts sowie mit Internal Investigations und Tax Compliance. Er ist Mitherausgeber der wistra, Mitglied des Vorstands der WisteV und Mitherausgeber sowie Redaktionsmitglied der WiJ.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung