Dr. Michael Racky

LG Bochum, Beschluss vom 16.03.2016 – 6 Qs 1/16

Durchsuchung bei einer als Ombudsfrau tätigen Rechtsanwältin

I. Sachverhalt

In seinem Beschluss vom 16.03.2016 verwirft das Landgericht Bochum die Beschwerde einer als Ombudsfrau tätigen Rechtsanwältin gegen einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bochum als unbegründet. Die Rechtsanwältin hatte als Ombudsfrau eines Unternehmens eine anonyme Anzeige erhalten, in der der Vorwurf der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr im Rahmen eines Unternehmensverkaufs gegen einen Manager der Firma erhoben wurde. Dieser soll Geld dafür erhalten haben, um Einfluss auf die Veräußerer des Unternehmens auszuüben, damit ein bestimmter Dritter bei dem Verkauf auf unlautere Weise bevorzugt werde.

Das anonyme Schreiben hatte die Rechtsanwältin an die Integritätsbeauftragte des Unternehmens weitergeleitet. Bei einer dort durchgeführten Durchsuchung erlangten die Ermittlungsbehörden Kenntnis von dem anonymen Brief.

Das Amtsgericht Bochum hatte auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bochum die Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei angeordnet. Im Laufe der Durchsuchung der Geschäftsräume übergab die Rechtsanwältin das Original der anonymen Anzeige zur Abwendung der Durchsuchung. Gleichzeitig widersprach sie dieser und legte Beschwerde ein.

Das Landgericht Bochum wertet die Beschwerde als zulässig, jedoch als unbegründet.

II. Entscheidungsgründe

Seine Rechtsauffassung erläutert das Gericht wie folgt:

Nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO unterlägen der Beschlagnahme solche Gegenstände nicht, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO genannten Personen erstrecke.

Gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO seien zur Verweigerung des Zeugnisses unter anderem Rechtsanwälte über das berechtigt, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden sei.

Entgegen ihrem umfassenden Wortlaut sei die Regelung in § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO nach herrschender Meinung aber dahingehend einschränkend auszulegen, dass das Beschlagnahmeverbot nicht das allgemeine Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts aus § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO im Sinne einer ebenso umfassenden Freistellung von der Beschlagnahme widerspiegele. Allein das Vertrauensverhältnis des Beschuldigten im Strafverfahren zu einem von ihm in Anspruch genommenen Zeugnisverweigerungsberechtigten soll durch ein Beschlagnahmeverbot geschützt sein, nicht jedoch die Beziehung eines Nichtbeschuldigten zu einem Berufsgeheimnisträger.[1]

Diese Zielrichtung der Vorschrift lasse sich insbesondere den Regelungen in § 97 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StPO entnehmen, die ausdrücklich allein auf den Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Beschuldigtem und Zeugnisverweigerungsberechtigtem ausgerichtet sind. Als Ergänzung dieser Regelungen hat § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO die Bedeutung, den Anwendungsbereich des Beschlagnahmeverbots auf „andere Gegenstände“ als die in § 97 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StPO genannten zu erweitern, nicht dagegen den Zweck, das Beschlagnahmeverbot nunmehr umfassend und unter Einschluss am Strafverfahren nicht direkt beteiligter Dritter zu erweitern, wodurch die Ausdifferenzierung des für den Beschuldigten geltenden Beschlagnahmeschutzes aus § 97 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StPO teilweise unterlaufen würde.[2]

Dieses Verständnis der Vorschrift, wonach die Beziehung eines Nichtbeschuldigten zu einem Berufsgeheimnisträger nicht der Schutznorm des § 97 Abs. 1 StPO unterliegt, sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.[3]

Im vorliegenden Fall ist der anonyme Hinweisgeber nicht Beschuldigter, sondern kommt in dem Ermittlungsverfahren lediglich als Zeuge in Betracht.

Zudem sei vorliegend zwischen dem anonymen Hinweisgeber und der Rechtsanwältin auch kein „mandatsähnliches Vertrauensverhältnis“ entstanden, aus dem sich eine Schutzwirkung des § 97 StPO zugunsten der Beschwerdeführerin ergeben könnte.

Die Durchsuchung sei deshalb in der Sache unbegründet.

III. Anmerkungen

1. Mandatsverhältnis des Ombudsmann besteht mit beauftragendem Unternehmen

Die Entscheidung erscheint auf den ersten Blick in gewisser Weise streng zu sein, wird doch die Kommunikation zwischen der Ombudsfrau und dem anonymen Hinweisgeber nicht durch ein Beschlagnahmeverbot geschützt. Die Tätigkeit eines sog. Ombudsmannes für ein Unternehmen gehört mittlerweile zu den gängigen Instrumenten aus dem Compliance-Werkzeugkasten. Oft bedient man sich hierzu externer Rechtsanwälte, die weisungsfrei und unabhängig sowie in räumlicher Trennung diese Funktion ausüben sollen. Umso mehr erscheint es ungerechtfertigt, dass dessen Unterlagen „einfach so“ beschlagnahmt werden können. Besteht dann nicht die Gefahr, dass sich ein potentieller Hinweisgeber – wissend um diese „Gefahr“ – dem Ombudsmann gegenüber nicht anzuvertrauen getraut?

Diese Sichtweise, die auf den ersten Blick einleuchtend klingt, vermag auf den zweiten Blick wenig zu überzeugen. Ein Blick auf das eigentliche Mandatsverhältnis bringt hier schnell Aufklärung. Der Zweck eines Ombudsmannes besteht darin, die Interessen eines Unternehmens dahingehend wahrzunehmen, dass Meldungen über Regelverstöße im Unternehmen entgegengenommen und anonymisiert an dieses weiterzuleiten sind. Das Mandatsverhältnis mit all seinen Pflichten besteht mit dem Unternehmen.

Würde man soweit gehen und von einer konkludenten Mandatsübernahme für den Hinweisgeber ausgehen, könnte dies einen strukturellen, die Standespflichten des Rechtsanwalts berührenden, Konflikt mit den gegenläufigen Interessen des beauftragten Unternehmens hervorrufen.[4]

Auch die Zusicherung der Vertraulichkeit durch den Ombudsmann an den Hinweisgeber reicht für den Aufbau eines mandatsähnlichen Verhältnisses, das ein Beschlagnahmeverbot begründet, nicht aus. Eine solche Zusage ist als privatrechtliche Disposition ohne Wirkung auf strafprozessualer Maßnahmen zu werten.[5]

2. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt hier ein Beschlagnahmeverbot nicht in Betracht. Zwar können sich nach dessen Rechtsprechung Beschlagnahmeverbote unmittelbar aus dem Grundgesetz ergeben, wenn wegen der Eigenart des Beweisthemas in grundrechtliche geschützte Bereiche unter Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingegriffen wird.[6]

Jedoch bedarf es dann, wenn ausnahmsweise über das geschriebene Strafprozessrecht hinaus unmittelbar von Verfassungs wegen ein Zeugnisverweigerungsrecht oder ein dieses Recht flankierendes Beschlagnahmeverbot bestehen soll, im Einzelfall einer näheren Begründung, weil Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote die im Interesse der Allgemeinheit bestehende Pflicht der staatlichen Strafverfolgungsorgane zur umfassenden Sachaufklärung begrenzen. Fehlt es an einer eindeutigen Begründung für das Vorliegen eines besonderen Ausnahmefalles, welche die Beschränkung der Strafverfolgungstätigkeit über gesetzliche Ausnahmetatbestände hinaus rechtfertigen soll, dann geht das öffentliche Interesse an vollständiger Wahrheitsermittlung im Strafverfahren dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen vor.[7]

Derartige besondere Gründe, die im Verhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und dem anonymen Hinweisgeber unmittelbar von Verfassungs wegen einen Vertrauensschutz mit der Folge eines Beschlagnahmeverbots auslösen könnten, sind in diesem Fall nicht ersichtlich. Weder ist ein besonders sensibler Bereich der Privatsphäre des Hinweisgebers betroffen, noch würden durch die Beschlagnahme prozessuale Schutzvorschriften umgangen, da dieser lediglich als Zeuge in dem Ermittlungsverfahren in Betracht kommt.

Auch auf einen weiteren Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts lässt sich hier nicht rekurrieren: Zwar besteht nach dessen Rechtsprechung dann, wenn sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung richtet, regelmäßig die Gefahr, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten – etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts – zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen.[8] Dadurch würden nicht nur die Grundrechte der Mandanten berührt; der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant läge auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Deshalb verlangt der Erlass eines Beschlusses zur Durchsuchung in einer Anwaltskanzlei die besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme. Da im vorliegenden Fall die zu beschlagenden Gegenstände zweifelsfrei und eindeutig im Beschluss genannt wurden, ist dieser ansonsten überaus wichtige Prüfungsmaßstab hier nicht einschlägig.

Der Compliance-Praxis kann im Ergebnis nur mit auf den Weg gegeben werden, dass von Hinweisgebern an Ombudsmänner und -frauen überlassene Informationen auch in deren Kanzleiräumen in der Regel keinem Beschlagnahmeverbot unterliegen. Dies gilt es bei der Beratungspraxis entsprechend zu berücksichtigen.

[1] Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn. 10.

[2] LG Hamburg, B. v. 15.10.2010, 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942.

[3] BVerfG, B. v. 27.10.2003, 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83; BVerfG, B. v. 11.07.2008, 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281.

[4] Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn. 10b.

[5] LG Hamburg a.a.O.

[6] BVerfG, B. v. 27.10.2003, 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83.

[7] BVerfG, a. a. O.

[8] BVerfG, B. v. 11.07.2008, 2 BvR 2016/06, BeckRS 2008, 40691.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Michael Racky
    Rechtsanwalt Dr. Michael Racky, Frankfurt am Main.

WiJ

  • Dr. Tino Haupt

    Der Zugriff auf Fahrzeugdaten aus strafprozessualer Perspektive

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Florian Neuber

    Verteidigung ohne Grenzen?

    Internationales Strafrecht

  • Dr. Max Schwerdtfeger , Philip N. Kroner

    Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und parallel geführte Wirtschaftsstrafverfahren

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)