Dr. Daniel Gutman, LL.M.

VGH München, Beschluss vom 02.09.2016 – 11 ZB 16.1359

Grenzen der Berücksichtigung der Strafverfahrenserkenntnisse und des§ 153a StPO im verwaltungsrechtlichen Fahrerlaubnisverfahren.

I. Sachverhalt

Der Kläger wendet sich gegen die Aberkennung des Rechts, von seiner slowakischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen und gegen die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr.

Das Landgericht Amberg stellte mit Beschluss vom 15. September 2014 ein Strafverfahren gegen den Kläger wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 153a StPO ein. Dem Verfahren lag zugrunde, dass der Kläger am 13. August 2013 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,19 ‰ mit einem Fahrrad am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hatte. Aus dem gerichtspsychiatrischen Gutachten des Landgerichtsarztes ergibt sich, dass zwar nicht ausgeschlossen werden könne, dass die medizinischen Voraussetzungen des § 21 StGB vorgelegen hätten, der Kläger sei aber zum Tatzeitpunkt trotz seiner Alkoholisierung in der Lage gewesen, eine Einwilligung zur Blutentnahme zu erteilen.

Die Stadt Amberg forderte ihn daraufhin mit Schreiben vom 1. Oktober 2014, gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV auf, bis 19. Dezember 2014 ein Fahreignungsgutachten beizubringen. Es sei zu klären, ob zu erwarten ist, dass der Kläger zukünftig ein fahrerlaubnisfreies Kraftfahrzeug oder sonstige Fahrzeuge unter Alkoholeinfluss führen wird und ob als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorliegen, die das sichere Führen eines fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugs und/oder von sonstigen Fahrzeugen in Frage stellen. Darüber hinaus sei zu klären, ob auch nicht zu erwarten ist, dass das (zukünftige) Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugs und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Der Kläger legte kein Gutachten vor.

Mit Bescheid vom 26. März 2015 erkannte die Stadt Amberg dem Kläger das Recht ab, von seiner slowakischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen und forderte ihn auf, unverzüglich eine eidesstattliche Versicherung über den Verlust seines slowakischen Führerscheins abzugeben. Zugleich untersagte die Stadt Amberg ihm das Führen von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen. Die Regierung der Oberpfalz hat den dagegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid zurückgewiesen. Die gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 31. Mai 2016 mit der Begründung abgewiesen, dass die Gutachtensanordnung rechtmäßig gewesen, insbesondere habe die durchgeführte Blutprobenuntersuchung im Fahrerlaubnisverfahren verwertet werden können.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.

II. Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG, § 46 Abs. 5 FeV die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von (fahrerlaubnisfreien) Fahrzeugen, wozu auch Fahrräder zählen (vgl. § 2 Abs. 4 StVO), hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 FeV). Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines Fahrzeugs zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, finden (ebenfalls) die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 2 FeV). Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV ist ein medizinisch psychologisches Gutachten beizubringen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist ein medizinisch psychologisches Gutachten beizubringen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Dies gilt auch für das Fahrradfahren im Straßenverkehr mit entsprechenden Werten. Bringt der Betreffende das Gutachten nicht fristgerecht bei, kann nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Ungeeignetheit geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist.

Nach Ansicht des VGH hat die Fahrerlaubnisbehörde hier zu Recht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen und fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen geschlossen, weil er das nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV angeordnete medizinisch psychologische Gutachten nicht beigebracht hat.

Zur Verwertbarkeit der Blutuntersuchung des Ermittlungsverfahrens führt der VGH aus, dass die Einwilligung in die Blutentnahme wirksam und eine richterliche Anordnung nach § 81a Abs. 1 und 2 StPO nicht notwendig war. Denn der Kläger hatte freiwillig einen Atemalkoholtest durchgeführt und konnte dabei trotz der Alkoholisierung den Ausführungen der Polizeibeamten folgen und hat in die Blutentnahme eingewilligt. Einen geordneten Denkablauf sowie einen zwar deutlichen aber weder starken noch sehr starken äußerlichen Anschein des Einflusses von Alkohol stellten auch der blutentnehmende Arzt und das im Strafverfahren eingeholte Sachverständigengutachten fest. Darüber hinaus sind sowohl das erstinstanzliche VG als auch der VGH der Auffassung, es würde auch bei einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt kein Beweisverwertungsverbot bestehen, da auf der Hand liege, dass der Richter einem solchen Eingriff die Genehmigung nicht hätte versagen können und auch sonst keine Anhaltspunkte für eine gezielte oder systematische Umgehung des Richtervorbehalts zur Fahrerlaubnisentziehung bestehen.

Ferner stellt der VGH fest, dass auch die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO nicht verbietet, in Verfahren mit anderer Zielsetzung Feststellungen über Tatsachen, die einen Straftatbestand erfüllen, in dem für die dortige Entscheidung erforderlichen Umfang als Grundlage für die daran anknüpfenden außerstrafrechtlichen Rechtsfolgen zu verwerten. Der VGH betont hierbei, dass die Einstellung eines Strafverfahrens nach § 153a Abs. 2 StPO nicht bedeutet, dass davon auszugehen ist, dass die Straftat nicht begangen wurde. Zwar trifft es zu, dass die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK bei der Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO nicht widerlegt wird. Auch darf allein aus der Verfahrenseinstellung auf dieser Rechtsgrundlage, die nur mit Zustimmung des Angeklagten möglich ist, nicht auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der angeklagten Straftaten geschlossen werden. Die Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO bringt aber keineswegs zum Ausdruck, dass der Tatverdacht gegen den Betroffenen ausgeräumt wäre. Vielmehr wird darauf abgestellt, ob von der Strafverfolgung unter Auflagen und Weisungen abgesehen werden kann, weil die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Nach Auffassung des VGH ist die Anwendung des § 153a StPO gegenüber einem möglicherweise Unschuldigen untersagt, es muss vielmehr nach dem Verfahrensstand mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von einer Verurteilung ausgegangen werden können und etwaige Rechtsfragen, ob ein Straftatbestand erfüllt ist, müssen zuvor geklärt sein. Einschränkend sieht der VGH, dass die Verwaltungsbehörde sich auf dieselben Beweismittel stützen kann wie das Strafgericht, an dessen Bewertung jedoch nicht gebunden ist.

III. Anmerkungen

1. Die Grundproblematik von § 153a StPO und der Unschuldsvermutung

Der Umgang mit § 153a StPO ist heikel.

In der öffentlichen Wahrnehmung gilt regelmäßig schon als Verbrecher, bei dem die Polizei klingelt, spätestens aber, wenn staatsanwaltschaftliche Ermittlungen eingeleitet werden. Das rechtliche Konzept der Unschuldsvermutung in seiner wahren rechtlichen Ausprägung ist für weite Teile der Bevölkerung offenbar nicht begreiflich. Gleichwohl: Nach Art.11 Abs. 1 der UN Menschenrechtscharta sowie Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 48 Abs. 1 der in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren EU Grundrechtecharta ist unschuldig – und zwar absolut – bis die Schuld in einem ordnungsgemäßen Verfahren rechtskräftig festgestellt wurde. Für einen Rechtsstaat ist dies gemäß den Anforderungen von Art. 20 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 S.1 Grundgesetz existentiell.

Bedauerlicherweise müssen hin und wieder selbst Juristen an das ultimative Prinzip der Unschuldsvermutung erinnert werden. Ein kleines diesbezügliches Versäumnis scheint 1973/74 den Juristen im Bundestag durchgerutscht zu sein, als sie bei der Formulierung des § 153a Abs. 1 S. 1 StPO entweder nicht ganz aufgepasst oder von ihren nicht-juristischen Abgeordnetenkollegen überstimmt wurden. Denn diese Regelung nimmt ausdrücklich Bezug auf „die Schuld“, deren Schwere einer Einstellung nicht entgegenstehen darf. Eine konkrete Schuld ist allerdings in den Fällen des § 153a StPO niemals in dem Umfang festgestellt, wie es oben angeführtes Rechtsstaatlichkeitsprinzip erfordert. Denn wenn die Schuld rechtskräftig durch Urteil festgestellt wäre, dann bliebe überhaupt kein Raum mehr für eine Einstellung. Maßgeblich kann daher nur sein, um noch verfassungsgemäß zu bleiben, ob die Schwere der Schuld abstrakt, d.h. der Grad der Kriminalität, der in dem möglicherweise begangenen Delikt zum Tragen kommt, schwer ist oder nicht. Klar ist, dass ein Mord nicht nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Auflage eingestellt werden kann. Dies stellt jedoch schon die Einleitung des § 153a Abs. 1 StPO klar, wonach der Anwendungsraum überhaupt nur bei Vergehen und nicht mehr bei Verbrechen eröffnet ist. Da jedoch § 12 Abs. 1 StGB bereits alles mit einer Eingangsstraferwartung von einem Jahr oder mehr als Verbrechen definiert, wäre die zumindest für den laienhaften Leser eher missverständliche Formulierung der Schwere der Schuld wahrscheinlich besser weggelassen.

2. Klarstellung durch das BVerfG

Dem Ansatz § 153a StPO gleich „ein bisschen Schuld“ bewusst – es ist ja für Folgeentscheidungen aller Art auch verlockend, sich auf den § 153a StPO zu stützen – stellte das BVerfG mit seiner Entscheidung aus 1991[1] mit großer Keule klar, dass das so nicht geht:

„Auf der Grundlage [der Einstellung nach § 153a StPO] kann nicht einmal davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfenen Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verübt hat. Mit einer Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO wird keine Entscheidung darüber getroffen, ob der Beschuldigte die ihm durch die Anklage vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht. Eine Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO setzt keinen Nachweis der Tat des Angeklagten voraus. Dies entspricht auch dem Gebot der Unschuldsvermutung. Dabei handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG um eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips […]. Die Unschuldsvermutung verlangt, dass dem Täter in einem justizförmig geordneten Verfahren, das eine wirksame Sicherung der Grundrechte des Beschuldigten gewährleistet, Tat und Schuld nachgewiesen werden müssen […]. Bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet […]. Damit ist davon auszugehen, dass allein aus einem Einstellungsbeschluss nach § 153a Abs. 2 StPO und auch einer dabei abgegebenen Zustimmungserklärung des Beschuldigten nicht geschlossen werden darf, die dem Beschuldigten in der Anklageschrift zur Last gelegte Tat sei ihm in tatbestandlicher Hinsicht nachgewiesen.“

Diese Entscheidung ist zwar schon 25 Jahre alt, aber immer noch der uneingeschränkte Maßstab der Rechtsanwendung und der Lesart des § 153a StPO.

3. Kritik an vorliegender Entscheidung

Zwar geht der VGH vorliegend auf das Prinzip der Unschuldsvermutung ein und ignoriert natürlich auch die ihm bekannte BVerfG-Entscheidung nicht, zitiert sie sogar. Bedrohlich weit wird nach Anführung der richtigen Grundsätze jedoch ausdrücklich betont, dass „die Anwendung des § 153a StPO gegenüber einem möglicherweise Unschuldigen untersagt“ ist. Zwar findet sich diese Aussage auch in der Literatur wieder, bezeichnender Weise hält sich die Rechtsprechung mit einer solchen Aussage bisher – soweit erkennbar – strikt zurück. Denn: wenn jemand nicht möglicherweise unschuldig ist, dann ist er den zwingenden denklogischen Grundsätzen nach eben schuldig. Eine solche Aussage ist allen vor- und nachgelagerten relativierenden Auseinandersetzungen in den Urteilsgründen mit dem Rechtsstaatsprinzip der Unschuldsvermutung und der klaren Aussage des BVerfG m.E. nicht mehr vereinbar und gießt Öl ins Feuer der verwaltungsrechtlichen und sonstigen Entscheidungen sowie landläufigen Meinungen, die ganz selbstverständlich den § 153a StPO mit zumindest ein „bisschen schuldig“ gleichsetzen.

Dies ist jedoch rechtlich und auch tatsächlich schlicht in vielen Fällen nicht zutreffend. § 153a StPO ist ein Mittel der Verfahrensökonomie – auf Seiten der Verteidigung wie auch der Ermittlungsbehörden – und eben keine Vorverurteilung. Die Anwendung des § 153a StPO ist auch keine „unrechtmäßige Mauschelei“. Indes führt oftmals eine Auflagenzahlung zu mehr Gerechtigkeit als ein Freispruch mangels Beweisen nach zäher Hauptverhandlung. Aber auch für einen objektiv und absolut Unschuldigen kann die Zahlung einer Auflage trotz Rechtsanspruch auf Freispruch mehr Lebensqualität einbringen, als zusammen mit seinem teuren Starverteidiger Tage und Wochen auf der Anklagebank zu sitzen.

Hieran darf nicht leichtfertig gerüttelt werden und die Verwaltungsgerichte, die regelmäßiger mit solchen Konstellationen zu tun haben, täten gut daran, nicht einen solchen Anschein zu erwecken.[2]

[1] BVerfG NJW 1991, 1530.

[2] Vorbildlich insofern zB VG Hannover (5 A 3398/13), NZS 2014, 879 (Volltext BeckRS 2014, 56900).

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Daniel Gutman, LL.M.
    Dr. Daniel Gutmann ist Vorsitzender einer Wirtschaftsstrafabteilung am Amtsgericht Tiergarten von Berlin

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)