Jennifer Sinn

6. Herbsttagung der WisteV am 14.10.2016 in der Bucerius Law School Hamburg

Am 14.10.2016 luden Herr Prof. Dr. Karsten Gaede, Inhaber des Lehrstuhls an der Bucerius Law School für deutsches, europäisches und internationales Straf- und Strafprozessrecht, einschließlich Medizin-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und Herr Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Jes Meyer-Lohkamp, Partner der Hamburger Rechtsanwaltskanzlei Meyer-Lohkamp & Pragal, zur 6. Herbsttagung der Wirtschaftsrechtlichen Vereinigung e.V. in die Bucerius Law School ein. Diese stand unter dem Thema „Ungleiche Berufsrisiken?“ – Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Beteiligten in straf- und zivilgerichtlichen Verfahren.

In die Veranstaltung führte Herr Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Dr. Wilhelm Krekeler aus Dortmund mit seinem Vortrag „Es wird schon schiefgehen…“ – Strafbarkeitsrisiken für Verteidiger anschaulich ein. Dabei hob er insbesondere die Stellung des Strafverteidigers hervor, der als Garant für ein justizförmiges Verfahren einstehe, sich bei der Verteidigung jedoch oftmals in einem Grenzbereich zwischen strafprozessual zulässiger und unzulässiger, strafbarkeitsbegründender Tätigkeit befinde. Das Vorgehen des Strafverteidigers werde dabei an den allgemeinen Gesetzen, insbesondere der Strafvorschrift des § 258 StGB gemessen. Herr Dr. Krekeler nannte anschauliche Beispiele für noch zulässiges und verbotenes prozessuales Vorgehen. Exemplarisch stellte er die seit langem umstrittene und von der Literatur und Rechtsprechung uneinheitlich beantwortete Frage in den Vordergrund, ob ein Verteidiger, der durch die Akteneinsicht von einer beabsichtigten Zwangsmaßnahme – beispielsweise einem noch zu vollstreckenden Haftbefehl – gegen seinen Mandanten Kenntnis erlangt, diesen darüber unterrichten dürfe. Während Teile der Literatur und die Rechtsprechung eine Unterrichtung des Mandanten für unzulässig erachten und hierin einen Missbrauch des Rechts auf Akteneinsicht sehen, machte Herr Dr. Krekeler deutlich, dass er eine differenzierte Betrachtung für angezeigt halte: Seiner Ansicht nach sei eine Weitergabe der durch die Akteneinsicht gewonnen Informationen zulässig, wenn diese selbst in zulässiger Weise erlangt wurden. Denn schließlich stehe der Staatsanwaltschaft in Fällen, in denen ein Untersuchungserfolg möglicherweise gefährdet werden könne, das Recht der beschränkenden Akteneinsicht gemäß § 147 Abs. 2 StPO zu.

Abschließend resümierte Herr Dr. Krekeler, dass die Grenzen zwischen zulässiger und gesetzeswidriger Verteidigung auch aufgrund uneinheitlicher Bewertungen oftmals nicht klar und eindeutig zu ziehen seien mit der Folge, dass es sich bei der Strafverteidigung um eine gefahrengeneigte Tätigkeit handele.

Im Anschluss referierte Herr Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Prof. Dr. Ferdinand Gillmeister aus Freiburg zum Thema „Wer beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient…“ – Parteiverrat. Fallstricke für Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Herr Prof. Dr. Gillmeister wies eingangs darauf hin, dass sich mit der anwaltlichen Problematik der Vertretung widerstreitender Interessen sowohl § 356 StGB als Straftatbestand als auch § 43a Abs. 4 BRAO als Reglementierung der anwaltlichen Berufsausübung befassen, an die jedoch unterschiedliche Voraussetzungen und Rechtsfolgen geknüpft sind. Das gleiche Verbot finde sich für Steuerberater in § 57 StBErG und § 6 BOStB sowie für Wirtschaftsprüfer in § 53 WPO. Gemein sei allen Rechtsvorschriften, dass der weit gefasste Begriff der widerstreitenden Interessen durch die Rechtsprechung konkretisiert und nicht allein objektiv, sondern stets durch die jeweilige Mandatsbegründung im Einzelfall festgelegt werde. Dieses zum Mandanten begründete Vertrauensverhältnis bilde dabei neben der Wahrung der Unabhängigkeit der Advokatur und dem Interesse an einer funktionsfähigen Rechtspflege die Grundlage des statusbildenden Tätigkeitsverbots. Ergänzt werde das anwaltliche Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen durch § 3 BORA. Diese Bestimmung enthalte in den Absätzen 2 und 3 eine Sozietätserstreckung und lasse nur ausnahmsweise die Tätigkeit von Angehörigen derselben Berufsausübungsgemeinschaft auch bei widersteitenden Mandaten zu. Herr Prof. Dr. Gillmeister legte dar, dass ein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO regelmäßig auf einem Sorgfaltspflichtverstoß des Rechtsanwaltes beruhe und eine berufsrechtliche Sanktion nach § 114 BRAO nach sich ziehe, während für eine Verletzung des § 356 StGB Vorsatz in dem Sinne erforderlich sei, dass der Rechtsanwalt die Tatumstände erkennt, aus denen sich ergibt, dass er beiden Parteien pflichtwidrig in derselben Rechtssache dient. Dabei betonte Herr Prof. Dr. Gillmeister, dass es sich unter den Voraussetzungen des § 356 Abs. 2 StGB, dem kollusiven Zusammenwirken mit der Gegenpartei zum Nachteil des eigenen Mandanten, gar um ein Verbrechen handele, weshalb eine Verurteilung unweigerlich den Widerruf der Anwaltszulassung zur Folge habe.

Zum Abschluss seines Vortrages zeigte Herr Prof. Dr. Gillmeister auf, dass das Verbot der widerstreitenden Interessen in der anwaltlichen Praxis vor allem im Familienrecht eine große Bedeutung habe, wenn sich Eheleute durch einen gemeinsamen Rechtsanwalt beraten oder im Scheidungsverfahren einvernehmlich vertreten lassen wollten. Einer derartigen Mandatsübernahme wohne stets eine potenzielle Strafbarkeit wegen Parteiverrats inne. Allerdings komme eine solche selbst dann nicht in Betracht, wenn sich nach Abschluss dieses Mandates ein Rechtsstreit zwischen denselben Parteien anschließen sollte, wenn das Grundmandat für den für beide Parteien tätig gewordenen Rechtsanwalt keinen Anlass zur Annahme widerstreitender Interessen gegeben hatte.

Auf besonderen Anklang im Plenum stieß der Vortrag von Frau PD Dorothea Magnus (LL.M., Universität Hamburg) zum Thema „Das Ziel des Rechts ist der Friede, das Mittel dazu der Kampf.“ – Strafrechtliche Haftungsrisiken wegen Nötigung bei der Verfolgung von Mandanteninteressen, der im Anschluss eine lebhafte Diskussion nach sich zog. Frau Magnus rief zunächst den vom BGH im Jahr 2013 entschiedenen Fall über die Strafbarkeit des anwaltlichen Mahnschreibens in Erinnerung, der insbesondere in der Anwaltschaft auf großen Unmut gestoßen ist. In der zu Grunde liegenden Entscheidung bestätigte der BGH die Verurteilung eines Rechtsanwaltes wegen versuchter Nötigung, der zur Geltendmachung der – unberechtigten – Forderungen seines Mandanten zahlreiche Mahnschreiben verschickt und gleichzeitig angekündigt hatte, im Falle einer nicht fristgerechten Zahlung den Sachverhalt der zuständigen Behörde zur Überprüfung wegen des Verdachts des Betruges vorzulegen. Der BGH sah den Tatbestand des § 240 StGB hierdurch als erfüllt an. Frau Magnus zeigte auf, dass diese Entscheidung in der (anwaltlichen) Praxis weitreichende Konsequenzen haben dürfte: Während es für eine Straflosigkeit früher ausgereicht habe, dass der Anwalt keine positive Kenntnis vom Nichtbestehen der Forderung haben durfte, sei nunmehr für eine potenzielle Strafbarkeit ausreichend, wenn dem Anwalt die vom Mandanten einzutreibende Forderung verdächtig vorkomme. Die Androhung einer Strafanzeige sei lediglich zulässig, wenn das Bestehen der Forderung des Mandanten bzw. eine Straftat von dessen Schuldnern hinreichend wahrscheinlich sei. Frau Magnus schloss sich in ihrem Vortrag der Rechtsauffassung des BGH an und legte – unter Protest aus dem stark anwaltlich vertretenen Plenum – dar, dass sie das Urteil des BGH sowohl dogmatisch für richtig halte als auch das Ziel der Rechtsprechung, nicht nur nachlässiges Verhalten von Anwälten im Einzelfall, sondern auch die generelle Praxis der Massenabmahnung einzudämmen, für richtig erachte. In der anwaltlichen Praxis habe dies gleichwohl zur Folge, dass Anwälte Abmahnungen zur Geltendmachung der von ihren Mandanten behaupteten Forderungen künftig sorgfältiger zu prüfen haben, wenn sich ihnen der Verdacht eines unlauteren Verhaltens ihrer Mandanten aufdränge. Andernfalls setzten sie sich einem erhöhten Strafbarkeitsrisiko aus.

In der im Plenum in deutlicher Überzahl vertretenen Anwaltschaft stieß diese Entscheidung und ihre dogmatische Begründung gleichwohl auf wenig Verständnis, da doch die Androhung strafrechtlicher Konsequenzen zum adäquaten und elementaren Handwerkszeug eines jeden Anwalts gehöre und die Vorgaben des BGH mit dem anwaltlichen Berufsrecht kaum zu vereinbaren seien.

Im Kontext ihres Vortrages befasste sich Frau Magnus zudem in gebotener Kürze mit der eher akademischen Frage, ob ein Strafbarkeitsrisiko auch für die an einer Verständigung nach § 257c StPO Beteiligten bestehen könne. Dabei stellte sie auf verschiedene mögliche Tathandlungen durch den Strafverteidiger oder das Gericht ab. Im Ergebnis verneinte sie jedoch – im Einverständnis mit dem Plenum – eine Strafbarkeit der Verfahrensbeteiligten wegen (versuchter) Nötigung durch Handlungen im Zusammenhang mit einer verfahrensbeendigenden Absprache.

Zum Abschluss der Veranstaltung widmete sich Herr Rechtsanwalt Dr. Ali B. Norouzi aus Berlin in seinem Referat „Niemand schafft größeres Unrecht als der, der es in der Form des Rechts begeht.“ – Strafbarkeitsrisiken für Richter und Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung – jüngere Tendenzen und Anwendbarkeit auf Verständigungen der Problematik der Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB – einer Rechtsvorschrift, die speziell auf Richter zugeschnitten ist und teilweise auch auf Entscheidungen der Staatsanwaltschaft Anwendung findet. Herr Dr. Norouzi erläuterte, dass sich ein Richter dann wegen Rechtsbeugung strafbar mache, wenn er bei der Entscheidung einer Rechtssache vorsätzlich das Recht falsch anwende und dadurch einem Verfahrensbeteiligten zu Unrecht einen Vor- oder Nachteil verschaffe. Dieser Tatbestand solle folglich den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe stellen. Dies erläuterte Herr Dr. Norouzi anschaulich an einem vom BGH im Jahr 2013 entschiedenen Fall, in dem ein Richter seine eigene Zuständigkeit hinsichtlich des Erlasses mehrerer Haftbefehle auf sachfremde Beweggründe gestützt hatte und stellte dabei mit der Rechtsprechung des BGH heraus, dass nicht jede unrichtige Anwendung des Rechts eine Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB darstelle, da bei der Subsumtion stets ein normatives Element zu berücksichtigen sei. Von § 339 StGB erfasst würden daher nur elementare und schwerwiegende Rechtsverstöße, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entferne. Der subjektive Tatbestand der Rechtsbeugung setzte mindestens bedingten Vorsatz hinsichtlich eines Verstoßes gegen geltendes Recht sowie einer Bevorzugung oder Benachteiligung einer Partei voraus. Das darüber hinausgehende subjektive Element einer bewussten Abkehr von Recht und Gesetz müsse sich auf die Schwere des Rechtsverstoßes beziehen. Indizien für das in der Praxis schwer nachweisbare Vorliegen des subjektiven Tatbestands der Rechtsbeugung könnten sich dabei aus der Gesamtheit der konkreten Tatumstände ergeben, insbesondere auch aus dem Zusammentreffen mehrerer gravierender Rechtsfehler. Herr Dr. Norouzi machte deutlich, dass er die schon von Fischer geäußerte Kritik an diesem Tatbestand teile, die insbesondere durch die tatbestandsfremden Verhältnismäßigkeitserwägungen und die unbestimmten normativen Wertungen zu Tage trete, sodass es sich bei § 339 StGB letztlich um eine Billigkeitsjudikatur handele.

Zum Schluss widmete sich Herr Dr. Norouzi dem Kern seines Vortrages und zeigte die möglichen Strafbarkeitsrisiken auf, an die bei Verständigungen im Strafverfahren zu denken sei: So komme für Richter eine Strafbarkeit nach § 339 StGB in Betracht, wenn diese die Transparenz- und Dokumentationspflicht verletzten, um einen Rechtsmittelverzicht zu ermöglichen. Gleiches gelte bei einer allzu unkritischen Übernahme eines Formalgeständnisses oder der Ausnutzung einer besonderen Druck- oder Anreizsituation, wenn dabei die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet werde, ohne dass jedoch ein konkreter Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein müsse.

Den Abschluss fand die Veranstaltung im Foyer der Bucerius-Law-School, wo die zuvor gehörten interessanten Vorträge bei einem kleinen Imbiss und einem Glas Wein weiter diskutiert und vertieft wurden.

Autorinnen und Autoren

  • Jennifer Sinn
    Rechtsreferendarin Jennifer Sinn, Hamburg

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung