Editorial
WiJ – Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V., erste Ausgabe 2017
Wenn die diesjährige WisteV-wistra-Neujahrstagung am 20. und 21. Januar die Frage nach einem modernen Wirtschaftsstrafrecht stellt, mag es verwundern, dass sie mit der „Europäisierung des Wirtschaftsstrafrechts“ beginnt – einem prima facie vertrauten Phänomen, das die Strafrechtsentwicklung seit den 1980er Jahren begleitet und inzwischen als erschlossen gelten kann. Doch wird die Europäisierung des Wirtschaftsstrafrechts aller Wahrscheinlichkeit nach auch künftig ein bedeutsamer und praktisch schwieriger Faktor in der Strafrechtsentwicklung bleiben. Ein Rückblick auf Gesetzgebung und Rechtsprechung des Jahres 2016 kann dies schlaglichtartig erhellen.
Seit jeher galten das Geldwäsche- und Kapitalmarktrecht als Rechtsgebiete, in denen Strafvorschriften durch EU-Sekundärrecht geschaffen wurden, was mit der seit dem 03.07.2016 geltenden Verordnung (EU) 596/2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und der am 02.07.2016 durch das 1. Finanzmarktnovellierungsgesetz umgesetzten Richtlinie 2014/57/EU über strafrechtliche Sanktionen gegen Marktmanipulation erneut bestätigt wurde (vgl. hierzu den Themenkomplex „Kapitalmarktstrafrecht im Wandel“ auf der Neujahrstagung). Dabei fällt u.a. das vom EU-Gesetzgeber verschärfte Regime des Bußgeldrechts ins Auge, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, allgemein Geldbußen von bis zu dem Dreifachen des aus dem Verstoß erzielten Vorteils zuzulassen und darüber hinaus in bestimmten Fällen bei natürlichen Personen Bußgeldrahmen von bis zu 5 Mio. Euro und bei juristischen Personen Bußgeldrahmen von bis zu 15 Mio. Euro oder 15 % des jährlichen Gesamtumsatzes vorzusehen. Dass es sich dabei um keine ausschließlich auf den Kapitalmarkt bezogene Reaktion handelt, belegen ähnliche Sanktionsbefugnisse in der älteren Kartellverordnung (EU) 1/2003 vom 16.12.2002 sowie in der Datenschutz-Grundverordnung (EU) 679/2016 vom 27.04.2016, die ab Mai 2018 gelten wird. Möglicherweise zeichnet sich damit eine dauerhaft durch das Europarecht forcierte Verschärfung des Ordnungswidrigkeitenrechts ab, bei dem Unternehmen und Unternehmensvereinigungen mehr denn je im Mittelpunkt stehen.
Auf der anderen Seite sind nationale, auf EU-Recht verweisende Strafvorschriften wegen ihres zwangsläufigen Verweisungs- bzw. Blankettcharakters seit jeher anfällig für Verweisungsfehler, die zu einem Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot führen können. Dies hat sich abermals in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21.09.2016 (2 BvL 1/15) gezeigt und belegt die Rechtsrisiken, die sich gerade aus dem Bemühen einer Rechtsharmonisierung oder Rechtsvereinheitlichung ergeben können. Das Gericht hat einen lebensmittelrechtlichen Blankettstraftatbestand für verfassungswidrig und nichtig erklärt, der sich zwar auf EU-Rechtsakte bezog, die Bestimmung der konkreten Verhaltensgebote und -verbote aber einer Rechtsverordnung des Bundesministeriums überließ. Die Entscheidung macht einerseits den nicht geringen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers deutlich, aber auch das – im Vergleich zu inhaltlichen Unklarheiten eventuell unverhältnismäßig hohe – Gewicht, das Mängel in der Gesetzgebungstechnik erlangen können. Zu den wichtigen Gesetzesvorhaben, deren Beschluss noch vor Ende der Legislaturperiode in diesem Sommer erwartet wird, rechnet der Regierungsentwurf über ein Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.07.2016 (BT-Drs. 18/9525). Die WisteV hat unter Beteiligung von Berufsträgern aus Justiz und Anwaltschaft bereits im Mai 2016 eine Stellungnahme zum Referentenentwurf abgegeben; sie wird dieses Gesetzesvorhaben auf ihrer Neujahrstagung im dritten Themenblock unter Berücksichtigung verwandter Gesichtspunkte – der Verbandssanktionierung und dem Geldwäscheverbot – weiter begleiten.