Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht
I. Strafprozessrecht
Keine Vorabfestlegung der Höchstdauer der Sicherstellung – § 110 StPO
Die Durchsicht nach § 110 StPO dient dazu, die als Beweisgegenstände in Betracht kommenden Aufzeichnungen, gleichgültig auf welchem Informationsträger sie festgehalten sind, inhaltlich darauf zu prüfen, ob die richterliche Beschlagnahme zu beantragen ist oder ob die Rückgabe erfolgen muss. Die Strafverfolgungsorgane sind insoweit zwar verpflichtet, die Durchsicht zügig durchzuführen. Das Gesetz enthält indes keine Vorschrift über die zulässige Höchstdauer einer vorläufigen Sicherstellung. Welcher Zeitraum für die Durchsicht angemessen erscheint, beurteilt sich im Wege einer Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls. Die unangemessen lange Dauer einer vorläufigen Sicherstellung kann in entsprechender Anwendung des § 98 Absatz 2 S. 2 StPO sowie gegebenenfalls im Beschwerdeverfahren nach § 304 StPO gerichtlich überprüft werden.
LG Saarbrücken, Beschluss vom 20.09.2016 – 2 Qs 26/16, ZInsO 2016, 2207 = NStZ-RR 2016, 346
II. Materielles Strafrecht
1. Notwendige Tatsachenfeststellung eines Schuldspruchs – § 266a StGB
Der Tatrichter muss bei einem Schuldspruch nach § 266a Abs. 1 StGB Feststellungen zu der Anzahl der Arbeitnehmer, deren Beschäftigungszeiten, der vom Arbeitgeber zu zahlenden Vergütung und zu den Beitragssätzen der einzelnen Krankenkassen treffen, es sei denn, die Feststellungen dazu beruhen auf Beitragsnachweisen. Bei einer rechtsfähigen Personengesellschaft wird das die Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB begründende besondere persönliche Merkmal der Arbeitgebereigenschaft nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf die für diese handelnden vertretungsberechtigten Gesellschafter erstreckt.
OLG Celle, Beschluss vom 12.01.2016, 2 Ss 188/15, ZInsO 2016, 1665 = wistra 2016, 334 = ZWH 2016, 234
2. Herbeiführen einer Krise – § 283 Abs. 2 StGB
Der Vorwurf des Herbeiführens einer Krise i.S.d. § 283 Abs. 2 StGB durch Auszahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen erfordert die Darstellung der konkreten Auswirkungen dieser Abflüsse auf die Zahlungsfähigkeit einer GmbH. Soll die (drohende) Zahlungsunfähigkeit einer GmbH durch eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung fälliger Verbindlichkeiten einerseits und die zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel festgestellt werden, ist eine aussagekräftige Darstellung der Liquiditätslage notwendig. Der bloße Hinweis auf eine vorhandene Unterdeckungsquote genügt nicht.
BGH, Beschluss vom 25.08.2016 – 1 StR 290/16, ZInsO 2016, 2012
3. Herbeiführung einer Krise – § 283 Abs. 2 StGB
Der Tatbestand des § 283 Abs. 2 StGB ist auch dann erfüllt, wenn die jeweilige Tathandlung lediglich mitursächlich für den Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist.
BGH, Beschluss vom 28.09.2016 – 4 StR 293/16, ZInsO 2016, 2249
4. Kapitalerhöhungsschwindel durch Falschangabe gegenüber dem Registergericht – § 82 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG
Verhindert die kreditgebende Bank eine Verfügung über die auf dem Geschäftskonto gut geschriebene Beträge zu anderen Zwecken als zur Rückführung einer Verbindlichkeit, liegt eine Falschangabe gegenüber dem Registergericht auch vor, wenn der Geschäftsführer nicht über die Anlagebeträge verfügen kann, dies aber nicht wahrheitsgemäß offenbart.
BGH, Urteil vom 29.06.2016 – 2 StR 520/15, GmbHR 2016, 1088
III. Zivilrechtliche Entscheidungen mit strafrechtlichem Bezug
1. Verwirkung eines Vergütungsanspruches – § 63 Abs. 1 InsO
Ein Insolvenzverwalter kann seinen Vergütungsanspruch verwirken, wenn er bei seiner Bestellung verschweigt, dass er in einer Vielzahl früherer Insolvenzverfahren als Verwalter an sich selbst und an von ihm beherrschte Gesellschaften grob pflichtwidrig Darlehen aus den dortigen Massen ausgereicht hat.
BGH, Beschluss vom 14.07.2016 – IX ZB 52/15, ZInsO 2016, 1656
2. Örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts bei Inhaftierung des Schuldners – § 3 Abs. 1 InsO
Bei einer Inhaftierung des Schuldners bestimmt sich die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach dem Haftort, wenn der bisherige Wohnsitz aufgegeben worden ist.
OLG München, Beschluss vom 01.07.2016 – 34 AR 77/16, ZInsO 2016, 1702 = NZI 2016, 698; Zu der Entscheidung s. den Beitrag von Greiner, ZInsO 2016, 1928.
IV. Finanz- bzw. verwaltungsgerichtliche Entscheidungen mit strafrechtlichem Bezug
1. Vermutung des Vermögensverfalls bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach englischem Recht
Der Eintritt eines Vermögensverfalls ist nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG auch dann zu vermuten, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters oder Steuerbevollmächtigten nicht in Deutschland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach dessen Recht eröffnet worden ist.
BFH, Beschluss vom 17.08.2016 – VII B 59/16, ZInsO 2016, 2033
2. Lohnsteuerhaftung eines Geschäftsführers bei bevorstehender Insolvenz der Gesellschaft – §§ 34, 69 AO
Weist der Geschäftsführer einer GmbH vor dem Fälligkeitstermin die Hausbank des Unternehmens an, Lohnsteuer an das Finanzamt zu überweisen, liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung auch dann nicht vor, wenn anschließend die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt, die beauftragte Bank die Überweisung in für ihn nicht vorhersehbarer Weise verweigert und der am Tag der Insolvenzantragstellung bestellte vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt die Überweisung trotz Aufforderung nicht genehmigt.
Unternehmensgröße und –bedeutung können den Geschäftsführer verpflichten, bereits vor Insolvenzantragsstellung und des damit verbundenen Verlusts der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsmacht sowie über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Entrichtung von Lohnsteuer noch vor dem eigentlichen Fälligkeitstermin sicherzustellen.
An die Beurteilung der Geeignetheit von über die Vermögens- und Mittelvorsorge hinausgehenden Maßnahmen zur Tilgung der Lohnsteuer noch vor dem Fälligkeitszeitpunkt darf kein allzu hoher Maßstab angelegt werden. Entscheidend ist hier lediglich, ob die von Organ ergriffenen Maßnahmen unter normalen Umständen, als bei typischem Verlauf der Dinge, potentiell geeignet waren, die Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer zu bewirken. Nicht entscheidend ist dagegen, ob ein alternatives Vorgehen aus ex-post-Sicht möglicherweise „besser“ geeignet gewesen wäre.
FG Münster, Urt. v. 3.3.2016 – 1 K 2243/12 L, ZInsO 2016, 1760
Die breit begründete Entscheidung fasst die aktuelle Rechtslage zu steuerlichen Haftungsfragen sehr systematisch und konzise zusammen.
3. Haftung für Vergnügungssteuer bei Geldspielgeräten – § 12 Abs. 1 KAG NRW
Der Geschäftsführer einer GmbH ist verpflichtet, für das Vorhandensein ausreichender Mittel zu sorgen, um fällige Steuerforderungen begleichen zu können. Hierzu muss er entsprechende Rückstellungen bilden. Das Organ einer GmbH ist zur ordnungsgemäßen Buchführung sowie zur Sicherstellung der Aufbewahrung und Verfügbarkeit der Geschäftsunterlagen verpflichtet (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a KAG NRW i.V.m. § 140 AO, § 41 GmbHG). Auf das Fehlen entsprechender Unterlagen kann er sich gegenüber den Steuerbehörden nicht berufen. Liegt eine vorsätzliche Pflichtverletzung des Haftenden vor, ist ein etwaiges Mitverschulden des Steuergläubigers stets unbeachtlich.
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 27.7.2016 – 14 A 1007/16, ZInsO 2016, 2265