Dr. Sascha Straube, M.A.

Denis Lanzinner: Scheinselbständigkeit als Straftat

Duncker & Humblot, Berlin 2014, 231 Seiten, 74,90 EUR

Die Arbeit wurde im Wintersemester 2013/14 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen und hat sich das auch in der Praxis außerordentlich aktuelle Thema der Scheinselbständigkeit als Phänomen der jüngeren Rechtsgeschichte genauer angesehen.

Damit leistet die Arbeit einen wertvollen Beitrag zur Durchdringung der komplexen Thematik und hat sich dabei eine umfassende Beleuchtung der strafrechtlichen Systematik vorgenommen.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist dabei die Frage, welche Beweggründe bestehen, den Status der (Schein-) Selbständigkeit mit all ihren Risiken zu wählen und wie die nach Sozial- und Steuerrecht bestimmbare Arbeitnehmereigenschaft bzw. Arbeitgeberstellung mit dem Strafrecht verknüpft ist.

Nach einer Einführung im 1. Kapitel, in welcher zunächst die Terminologie geklärt wird, erläutert Lanzinner „vorstrafrechtliche Grundlagen“ insbesondere aus dem Sozialversicherungsrecht. Es werden aber auch außerstrafrechtliche Rechtsfolgen des Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts in den Blick genommen. Dabei erläutert der Autor, dass das Strafrecht im Wesentlichen die Verletzung von Rechtspflichten aus diesen außerstrafrechtlichen Rechtsgebieten sanktioniert. Lanzinner wirft dabei die Frage auf, warum am Wirtschaftsleben Beteiligte ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu vermeiden suchen und vergleicht hierfür die unterschiedliche Rechtslage bei selbständiger und unselbständiger Tätigkeit im Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht. Er arbeitet die Vorteile einer Selbständigenkonstruktion für beide Parteien heraus und geht auf sozial-, arbeits- und steuerrechtliche Risiken im Falle „der Enttarnung“ ein.

Lanzinner formuliert, dass die Selbständigenkonstruktion nicht nur für den Auftraggeber nach Sozial- und Arbeitsrecht, weniger im Steuerrecht, vorteilhaft ist, sondern auch für den Auftragnehmer. Zwar erleidet dieser spiegelbildlich zu den Vorteilen des Auftraggebers im Sozial- und Arbeitsrecht entsprechende Nachteile, jedoch sind wesentliche steuerrechtliche Vorteile für den Auftragnehmer vorhanden, auch wenn im Regelfall die Vorteilhaftigkeit für den Auftraggeber überwiegt. Am Ende des 1. Kapitels stellt Lanzinner dar, dass die Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis besteht in strafrechtlicher Hinsicht eine Vorfrage darstellt, da das Behandeln eines materiell-rechtlich bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in formeller Hinsicht als selbständige Tätigkeit im Strafrecht als solches noch nicht bezugsfähig ist.

Da es keinen Straftatbestand der Scheinselbständigkeit gibt, ergibt sich eine strafrechtliche Relevanz einzig aus den Pflichten, die mit einem Beschäftigungsverhältnis einhergehen.

Anknüpfend an die im 1. Kapitel dargestellten Grundlagen geht Lanzinner im 2. Kapitel detailliert auf die Straftatbestände des § 266a StGB und der §§ 370 ff. AO ein. Hier liegt ein Schwerpunkt der Arbeit. Dabei gliedert der Autor seine Ausführungen in objektiven und subjektiven Tatbestand, Strafzumessung, Beteiligung und Verfolgungsverjährung. Im Rahmen der Einkommenssteuerhinterziehung erläutert der Autor die Möglichkeit der Selbstanzeige nach § 371 AO zur Erlangung persönlicher Straffreiheit.

Kritisch beleuchtet er dabei, dass der Anzeigende persönlich zwar bezüglich der Steuerstraftat Straffreiheit erlangt, sich jedoch durch die Offenlegung selbst der Strafverfolgung nach weiteren Straftatbeständen aussetzt. Der Autor geht dabei nicht nur auf die Rechtsprechung des BGH ein, sondern setzt sich auch mit den Risiken einer auf die Umsatzsteuer beschränkten Selbstanzeige auseinander.

Die Darstellung der Tatbestände ist ausführlich und interessiert nicht nur den wissenschaftlichen Leser, sondern gibt auch dem Praktiker einen tiefen und gut strukturierten Einblick.

Im 3. Kapitel wendet sich Lanzinner dann den Auswirkungen behördlicher Feststellungsverfahren zu. Ausführlich geht er dabei zunächst auf das Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV ein. Dieses grenzt der Autor zu anderen Verfahrensarten zur Statusfeststellung nach der Bedeutsamkeit für die Scheinselbständigkeit ab und erläutert die Einleitung und den Ablauf des Verfahrens, sozialrechtliche Wirkungen wie die verzögerte Beitragspflicht und die Fälligkeit nach § 7a Abs. 6 SGB IV sowie die Bindungswirkung der Entscheidung für andere Sozialversicherungsträger und im Besteuerungsverfahren.

Lanzinner stellt ausführlich die Auswirkungen des Verfahrens nach § 7a SGB IV auf das Beitragsstrafrecht dar. Er zeigt auf, dass aufgrund der Sozialrechtsakzessorietät der Beitragsstrafrechtstatbestände die Einleitung des Anfrageverfahrens Auswirkungen auf eine mögliche Strafbarkeit haben kann. Die grundlegende Rückwirkung der Antragsstellung auf bereits entstandene Gesamtsozialversicherungsbeiträge lehnt der Autor mit Blick auf die Grenzen zivilrechtlicher Rückwirkungsfiktionen im Strafrecht ab. Er kommt nach ausführlicher Diskussion auch zu dem Ergebnis, dass der Feststellungsentscheidung nach § 7a SGB IV keine echte Bindungswirkung im strafrechtlichen Bereich zukommt, sie jedoch durchaus „entsprechend den Grundsätzen zur Einbeziehung von Erfahrungswissen zu beachten und eine Abweichung daher besonders zu begründen“ (S. 170) ist. An dieser Stelle sei jedoch die praktische Anmerkung gestattet, dass das Anfrageverfahren auch gerne einmal rechts von strafrechtlichen Ermittlungen überholt wird und gar nicht abgeschlossen wird.

Der Autor stellt als zweites Verfahren die Lohnsteuer-Anrufungsauskunft nach § 42e EStG dar und kommt hierbei zu dem Schluss, dass eine objektive Auswirkung auf die Beitragsstraftatbestände der §§ 266a Abs. 1 und Abs.2 StGB nicht besteht.

Im 4. Kapitel befasst sich Lanzinner mit Sachverhalten mit Auslandsbezug und behandelt dabei das Sonderproblem der Entsendung im Ausland Beschäftigter ins Inland, die illegale Ausländerbeschäftigung sowie den möglichen Einfluss der unionsrechtlichen Grundfreiheiten auf die strafrechtliche Behandlung.

Im 5. Kapitel schließlich stellt der Autor Reformüberlegungen zum materiellen Beitragsstrafrecht an. Konkret schlägt er die Einführung einer Leichtfertigkeitsstrafbarkeit mit geringerem Strafrahmen vor. Dadurch soll nach seiner Auffassung nicht die Strafbarkeit erweitert, sondern die „Alles-oder-Nichts-Situation“ im Rahmen des Vorsatzes abgemildert werden. Weiter schlägt Lanzinner vor, eine mit § 371 AO vergleichbare Möglichkeit zur Selbstanzeige für das Beitragsstrafrecht zu schaffen, da die gesetzgeberischen Intentionen übertragbar seien. Als besonders dringlich sieht er ferner die Anpassung der fünfunddreißigjährigen Verjährungsfrist des § 266a StGB auf ein „verhältnismäßiges Maß“ (S. 215) an.

Die Arbeit setzt sich umfangreich und detailliert mit der aktuellen Thematik der Scheinselbständigkeit auseinander und schlüsselt die einzelnen Aspekte systematisch auf. Der Leser kann sich hier einen Überblick verschaffen, gezielt einzelne Aspekte herausgreifen oder tiefer in das Phänomen der Scheinselbständigkeit mit all seinen Facetten und Erscheinungsformen einarbeiten. Die Rechtslage wird mit Stand September 2013 sowohl für Wissenschaftler als auch für Praktiker attraktiv und übersichtlich dargestellt.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Sascha Straube, M.A.
    Dr. Sascha Straube ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in der Kanzlei WITTING CONTZEN & KOLLEGEN in München und ausschließlich auf dem Gebiet des Strafrechts und dort insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht tätig. Weitere Informationen finden Sie unter: www.leokanzlei.de

WiJ

  • Dr. Elias Schönborn , Jan Uwe Thiel

    Gesetzliche Regelungen zur Handy-Sicherstellung sind verfassungswidrig (Österreich)

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Tino Haupt

    Der Zugriff auf Fahrzeugdaten aus strafprozessualer Perspektive

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Florian Neuber

    Verteidigung ohne Grenzen?

    Internationales Strafrecht