Dr. Florian Neuber

Verteidigung ohne Grenzen?

Herausforderungen der Unternehmensverteidigung in staatenübergreifenden Ermittlungsverfahren am Beispiel Deutschland und den USA

A. Einleitung

Globalisierung, Digitalisierung und Internationalisierung des Wirtschaftslebens führen zwangsläufig dazu, dass auch wirtschaftsstrafrechtlich relevante Sachverhalte und die damit einhergehenden Wirtschaftsstrafverfahren zunehmend einen internationalen Bezug aufweisen.[1]

Für den in Deutschland tätigen „Unternehmensverteidiger“ birgt dieser Umstand die besondere Herausforderung, auch den transnationalen Interessen des zu verteidigenden Unternehmens gerecht werden zu müssen. Denn eine „staatenübergreifende Verteidigung“ birgt zwar Risiken, bietet auf der anderen Seite aber auch besondere Verteidigungsmöglichkeiten.

Ungeachtet des internationalen Aspekts bleibt das Ziel einer erfolgreichen Unternehmensverteidigung in der Regel gleich: die Verfahrensbeendigung bei bestmöglicher Wahrung der Interessen des Mandanten. Allerdings enden die Interessen des Mandanten bei internationalen Sachverhalten nicht an der Staatsgrenze; der Unternehmensverteidiger muss vielmehr immer im Blick haben, wie sich die nationale Verteidigungsstrategie (gegenüber einer deutschen Strafverfolgungsbehörde) auf die Interessen des Mandanten im Ausland und mögliche parallellaufende Ermittlungsverfahren auswirken könnte.

B. Definition des internationalen bzw. staatenübergreifenden Ermittlungsverfahrens

Unternehmensverteidigung kann aus vielen Gründen eine internationale Dimension aufweisen. Sei es, dass das zu verteidigende Unternehmen ein Tochterunternehmen eines ausländischen Konzerns ist oder aber, dass das deutsche Unternehmen (mit eigenen lokalen Tochterunternehmen) international tätig ist. Gleichermaßen können Ermittlungen wegen desselben oder verwandter Sachverhalte parallel in mehreren Ländern durch die jeweiligen örtlichen Strafverfolgungsbehörden geführt werden. Ebenso kommt in Betracht, dass das Ermittlungsverfahren durch eine inter- oder supranationale Strafverfolgungsbehörde geführt wird. Das diesem Beitrag zugrunde liegende Verständnis definiert ein staatenübergreifendes Ermittlungsverfahren als solches, das in jedem Fall in Deutschland durch eine Behörde mit entsprechenden Strafverfolgungsrechten geführt wird und unmittelbare strafprozessuale Auswirkungen auf die Interessen des Unternehmens bzw. der Unternehmensgruppe in mindestens einem weiteren Land hat.[2]

C. Die Identifizierung eines potenziell staatenübergreifenden Ermittlungsverfahrens durch den Unternehmensverteidiger

Da auch Wirtschaftsstrafverfahren nicht selten – insbesondere bis zu einer etwaigen Durchsuchung des betroffenen Unternehmens – geheim geführt werden, ist auf Seiten des Unternehmens und des Verteidigers häufig nicht bekannt, ob und gegebenenfalls, wo parallel weitere Ermittlungen gegen das zu verteidigende Unternehmen geführt werden. Insofern gehört es zu den frühen Aufgaben des Unternehmensverteidigers, zu prüfen, ob das Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen eine internationale Dimension aufweisen könnte.

Gerade in der „Stunde Null“, wenn Unternehmen und Verteidiger erstmals von den Ermittlungen erfahren (zum Beispiel im Rahmen einer Durchsuchung), verfügen die Unternehmen aufgrund der „dezentralen Wissensverteilung“ selbst und erst recht auch die Verteidiger nicht über alle relevanten Sachverhaltsinformationen, um abschließend bewerten zu können, ob es sich um ein staatenübergreifendes Ermittlungsverfahren handelt.

Die Identifizierung als solches kann dennoch gelingen, soweit der Verteidiger möglichst frühzeitig in Erfahrung bringt, ob es Anhaltspunkte für grenzüberschreitende Erfolgs- oder Handlungsorte gibt, ob das Unternehmen international tätig oder Tochterunternehmen eines ausländischen Konzerns ist, ob Mutter-, Tochter- oder Schwesterunternehmen im Ausland in die Sachverhalte, welche Gegenstand des hiesigen Verfahrens sind, involviert sein könnten, ob es personelle internationale Verflechtungen gibt oder ob sonstige Anhaltspunkte für ein- oder ausgehende Rechtshilfeersuchen existieren.[3]

D. Beweiserhebung und Beweisverwertung im internationalen Kontext

Kommt es zu einer Durchsuchung bei dem zu verteidigenden Unternehmen, wird die Frage der Internationalität insbesondere bei der Datenerhebung virulent.

Dokumente, die sich nicht in den Geschäftsräumen des Unternehmens in Deutschland, sondern zum Beispiel in den Geschäftsräumen des Mutterunternehmens in den USA befinden, sind vom Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss zunächst einmal nicht erfasst.

Es gilt der Grundsatz, dass die Ermittlungsbefugnisse der deutschen Behörden grundsätzlich an der Staatsgrenze enden.[4] Für eine Beweiserhebung im (außereuropäischen) Ausland sind deutsche Verfolgungsbehörden darauf angewiesen, ein Rechtshilfeersuchen an den entsprechenden Staat zu richten[5].

Allerdings gibt es heute kaum noch Informationen, die nicht auch digital gespeichert sind. In kaum einem Wirtschaftsstrafverfahren werden heutzutage nicht auch elektronische Beweismittel relevant. Nach Schätzungen des Europäischen Parlaments sind elektronische Beweismittel in 85 % aller strafrechtlichen Ermittlungen bedeutsam.[6]

Weil sich die für die Strafverfolgungsbehörden relevanten Daten aber häufig nicht im Inland, sondern auf Servern im Ausland befinden,[7] ergeben sich für den Unternehmensverteidiger Besonderheiten, welche auch besondere Verteidigungsmöglichkeiten bereithalten.

I. Grenzen der Online-Durchsuchung

Bei einer Durchsuchung steht der Staatsanwalt bzw. deren Ermittlungspersonen nach § 110 Abs. 1 StPO auch die Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien zu. Die Regelung des § 110 Abs. 3 S. 2 StPO sieht zudem vor, die Durchsicht auch auf Speichermedien zu erstrecken, die von dem durchsuchten Computer aus zwar zugänglich sind, sich aber auf einem räumlich getrennten Speichermedium, wie etwa einem Server des Intra- oder Internets, befinden.[8]

Als problematisch erweist es sich, wenn sich diese Server im (außereuropäischen) Ausland befinden. Befindet sich der Server in einem Land, welches in den Geltungsbereich der sogenannten Cybercrime-Konvention[9] fällt, darf auf offen zugängliche Informationen zugegriffen werden (Art. 32 Buchst. a). Für den Zugriff auf die meisten Daten werden jedoch Sicherheitsvorkehrungen vorhanden sein, bei denen nur mit Zustimmung des Berechtigten auf die Daten zugegriffen werden darf, Art. 32 Buchst. b.[10] Sofern der Berechtigte (das durchsuchte Unternehmen) nicht zustimmt, wäre ein Rechtshilfeersuchen bzw. ein Herausgabeverlangen nach der E-Evidence-VO erforderlich.

Ist wiederum unklar, ob die (zugangsgeschützten) Daten auf einem Server im Ausland gespeichert sind, soll ein Zugriff und eine Sichtung „freilich ohne weiteres“ erlaubt sein.[11]

II. Die E-Evidence-VO für grenzenlose Beweiserhebung zumindest in den Mitgliedstaaten

Für elektronische Beweismittel, welche auf Servern in den Mitgliedstaaten gespeichert sind, wurde am 12. Juni 2023 die VO (EU) 2023/1543, die sogenannte E-Evidence-VO erlassen. Kern dieser neuen Verordnung ist, dass den Ermittlungsbehörden eines Mitgliedstaats ermöglicht wird, direkt bei einem Diensteanbieter, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen oder vertreten ist, den Zugang zu elektronischen Beweismitteln anzufordern.[12]

Es bleibt abzuwarten, ob dieser vereinfachte Prozess die Online-Durchsuchung von Servern im europäischen Ausland, welche von einem Computer im Inland zugänglich sind, ersetzen wird. In jedem Fall kann es unter besonderen Umständen (dazu sogleich) strategisch ratsam sein, statt einer freiwilligen Herausgabe dieser Daten auf die neuen vereinfachten Möglichkeiten hinzuweisen, wie die Verfolgungsbehörden die ausländisch gespeicherten Informationen ohne Mitwirkung des Unternehmens erlangen können.

III. Die Verwertung von Beweisen aus einer rechtswidrigen Online-Durchsuchung

Bei festgestellter Rechtswidrigkeit einer im Ausland durchgeführten Beweiserhebung der dort gespeicherten elektronischen Daten, zum Beispiel unter Missachtung der erforderlichen Rechtshilfe, ist für den Unternehmensverteidiger entscheidend, ob und wann aus der rechtswidrigen Beweiserhebung auch ein Beweisverwertungsverbot folgt. Dem deutschen Strafverfahrensrecht ist der Grundsatz fremd, dass aus jedem Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften auch ein Beweisverwertungsverbot folge.[13] Teilweise wird argumentiert, dass bei einer rechtswidrigen „transborder search“ nur in den seltensten Fällen ein Beweisverwertungsverbot angenommen werden könne, nämlich, wenn der fremde Staat der Online-Ermittlung bereits im Vorfeld widersprochen habe[14].

Gegen diese eher praxisferne Ansicht spricht, dass es in der Regel gerade um Fälle geht, in denen der fremde Staat keine Kenntnis von der Online-Durchsuchung hat und daher ein Widerspruch im Vorfeld nicht in Betracht kommt[15].

Die gefestigte, gleichwohl kritikwürdige[16] Rechtsprechung des BGH zu den Beweisverwertungsverboten spricht dafür, ein Verwertungsverbot zumindest im Ausnahmefall eingreifen kann. Nach Auffassung des BGH ist im Rahmen einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Interessen auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen[17]. Kategorische Antworten verbieten sich demnach zu Lasten der Rechtssicherheit[18]. Nach Auffassung des BVerfG ziehen jedenfalls bewusste oder willkürliche Verfahrensverstöße ein Beweisverwertungsverbot nach sich.[19]

Die darauf beruhende Ansicht, dass bei Unkenntnis des Standorts des durchsuchten Servers jedenfalls kein willkürlicher Verstoß gegen die Beweiserhebungsvorschriften vorliege,[20] ist jedoch insgesamt abzulehnen. Die Unkenntnis des Serverstandorts spricht gerade dafür, dass dieser sich im Ausland befindet, da sich ein deutscher Server – etwa mittels Traceroute – durchaus ermitteln ließe.[21] Gleichwohl kann es für die Verteidigung angezeigt sein, die Beamten auf die Möglichkeit eines ausländischen Serverstandortes hinzuweisen und dies sogar in dem Durchsuchungsprotokoll vermerken zu lassen, um zu dokumentieren, dass der Serverstandort jedenfalls nicht im Inland liegt. Verschließen sich die Ermittlungsbehörden diesem Hinweis, kommt es zumindest eher in Betracht, darin einen willkürlichen Verstoß zu sehen.

E. Die Gretchenfrage: Kooperation oder streitige Verteidigung des Unternehmens?

Auch den Ermittlungsbehörden sind die rechtlichen Herausforderungen bei der „Online-Durchsuchung“ bekannt. Daher haben auch die Ermittlungsbehörden ein gesteigertes Interesse daran, es gar nicht darauf ankommen zu lassen. Einfacher und in der Praxis häufig ist die freiwillige Herausgabe der Daten durch das Unternehmen im Rahmen einer zugesagten Kooperation. Dem Unternehmensverteidiger in einem grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren stellt sich spätestens zu diesem Zeitpunkt die vermeintliche Gretchenfrage: Soll die Verteidigung des beteiligten Unternehmens, welches entweder als Adressat einer Unternehmensgeldbuße (zum Beispiel nach §§ 30, 130 OWiG) oder als Nebenbeteiligter in dem Verfahren agiert, mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren und die Daten freiwillig herausgeben oder „streitig“ verteidigen und die Herausgabe verweigern?

In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass die Staatsanwaltschaft schon in der „Stunde Null“, also im Rahmen der laufenden Durchsuchung bei dem Unternehmen, die Frage nach der Kooperationsbereitschaft des Unternehmens und der Herausgabebereitschaft von Daten stellt. Die oftmals überwiegenden Interessen des Unternehmens, frühzeitig auf eine konsensuale Verfahrensbeendigung durch vollumfängliche Kooperation[22] hinzuwirken, müssen bei grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren im Besonderen auf den Prüfstand gestellt und sorgsam abgewogen werden.

Denn jede Verteidigungshandlung (ob streitig oder kooperativ) muss nicht nur hinsichtlich des Für und Wider in Deutschland durchdacht sein, sondern auch auf die Auswirkungen in anderen Jurisdiktionen hin überprüft werden.

I. Kooperation birgt rechtliche Risiken in anderen Jurisdiktionen

In der vorangestellten Konstellation, einer in der Praxis besonders häufig vorkommenden Situation, ist dann besonderes Augenmaß gefordert, wenn mit deutschen Behörden kooperiert wird: Die Kooperation könnte sich nachteilig auf die Rechtsstellung des Mandanten in ausländischen Verfahren auswirken. Bezogen auf die USA ist der Verlust von sog. Legal Privileges von besonderer Bedeutung.

In US-amerikanischen Verfahren kann die Pflicht bestehen, in einem sogenannten pre-trial Discovery Verfahren relevante Dokumente aus der Sphäre des Unternehmens offenzulegen[23]. Von der Herausgabepflicht ausgenommen und einem Beschlagnahmeschutz unterworfen sind indes Dokumente, die durch ein sogenanntes Legal Privilege geschützt werden, wobei unterschieden wird zwischen dem Attorney Client Privilege und der Word Product Doctrine[24].

Das Attorney Client Privilege schützt die zwischen Anwalt und Mandant ausgetauschten Inhalte, also Dokumente und Gespräche.[25] Unter den Schutz der Work Product Doctrine fällt das anwaltliche Arbeitsergebnis, das in Erwartung eines Rechtsstreites angefertigt wurde. Hierunter fallen Gutachten, aber auch Aufzeichnungen über Mitarbeiterbefragungen oder Informationen von Dritten, wie etwa Zeugenaussagen.[26] Erforderlich ist dabei jedoch, dass es sich bei den Dokumenten nicht um eine bloße Zusammenstellung von Fakten handelt, sondern dass auch die rechtliche Expertise Ausdruck gefunden hat; denn nur diese Work Opinion fällt in den Schutzbereich.[27]

Die Kenntnis dieser Legal Privileges ist für den deutschen Verteidiger im Rahmen der nationalen Verteidigungsstrategie von besonderer Bedeutung, sofern das zu verteidigende Unternehmen einen USA-Bezug aufweist: Denn bei unvorsichtigem Verhalten, welches als freiwilliger Verzicht auf das Privilege gewertet werden könnte, droht ein Verlust des Schutzes (sog. Legal Privilege Waiver). Der Verlust kann durch bewussten oder unbewussten Verzicht auf das Privilege erfolgen[28]. Werden geschützte Informationen zwecks Kooperation mit deutschen (!) Behörden offengelegt, kann dies zu einem Verlust des Schutzes in laufenden oder späteren US-amerikanischen Verfahren führen, da das zu verteidigende Unternehmen hierzu nicht verpflichtet war; der Verzicht auf die Vertraulichkeit der Information also freiwillig erfolgte[29]. Insbesondere die freiwillige Herausgabe an in- wie ausländische Behörden kann also einen Privilege Waiver zur Folge haben.[30]

Da nur die freiwillige Herausgabe zu einem Verlust führt, müsste gegenüber deutschen Ermittlungsbehörden und Gerichten jede freiwillige Herausgabe abgelehnt werden und möglichst gegen jede Sicherstellung und Beschlagnahme gerichtlich vorgegangen werden. Dieser vermeintliche „Mangel“ an Kooperation könnte zu erheblichen atmosphärischen Kommunikationsproblemen mit den Ermittlungsbehörden führen. Hier bietet sich an, die deutschen Behörden auf die zwingenden Vorgaben der US-amerikanischen Rechtslage hinzuweisen und formal den Weg des Rechtsschutzes zu bestreiten. Aus Sicht des Praktikers scheint es mit Blick auf die USA ausreichend, einer Sicherstellung zu widersprechen und eine gerichtliche Entscheidung bzw. Beschlagnahmeanordnung zu erwirken. Nicht erforderlich dürfte es sein, eine etwaige Beschlagnahmeanordnung zusätzlich im Weg der Beschwerde anzugreifen, wobei keine Präzedenzfälle aus den USA bekannt sind, welche sich mit dieser Frage beschäftigt hätten.

II. Die Bindungswirkung eines Settlement Agreement auf die streitige (Sachverhalts-)Verteidigung

Ebenso wie die Kooperation mit den Behörden im deutschen Ermittlungsverfahren Risiken birgt, kann es dem deutschen Unternehmensverteidiger auch verwehrt sein, für das Unternehmen mit den deutschen Ermittlungsbehörden über Feststellungen bezüglich des Sachverhalts zu „streiten“. In Fällen eines „nachgelagerten“ deutschen Ermittlungsverfahrens kann das verfolgte Unternehmen in den USA bereits ein sogenanntes Settlement Agreement mit dem dortigen Department of Justice geschlossen haben. Dementsprechend ist das Verfahren dort – zumeist gegen Zahlung einer hohen Geldauflage – vorerst beendet. Jedoch kann diese Beendigungswirkung wieder entfallen, wenn dem Settlement Agreement zuwidergehandelt wird. Ein Bestandteil des Settlement Agreements ist in der Regel auch ein sogenanntes Statement of Facts, durch das sich das Unternehmen an die Sachverhaltsdarstellung bindet – auch über die Grenzen der USA hinweg. Im Rahmen der Unternehmensverteidigung in Deutschland sollte der Unternehmensverteidiger es vermeiden, gegenteilige Aussagen zum Statement of Facts zu treffen bzw. in einer Stellungnahme gegen einen beabsichtigten Bußgeldbescheid aktenkundig zu machen.

F. Anrechnung von ausländischen Strafen

Ist es im Ausland bereits zu einer „Strafe“ gegen das Unternehmen gekommen, kann sich dies auf die Verteidigung im inländischen Ermittlungsverfahren auswirken. Denn eine im Ausland verhängte „Strafe“ könnte einer Geldbuße gegen das Unternehmen entgegenstehen oder zumindest dazu führen, dass die ausländische „Strafe“ bei der Höhe der Geldbuße zu berücksichtigen ist.

Nach § 51 Abs. 3 StGB ist eine im Ausland verhängte und vollstreckte Strafe anzurechnen. Bei der Geldstrafe kommt es nicht darauf an, ob diese von der ausländischen Behörde verhängte Strafe ihrem Wesen nach einer Kriminalstrafe oder einer Geldbuße vergleichbar ist.[31] Im Falle der Geldbuße für ein Unternehmen nach § 30 OWiG fehlt es an einer entsprechenden Anrechnungsregel wie § 51 Abs. 3 StGB. Jedoch hat auch hier aus Gründen der Billigkeit und des Rechtsstaatsprinzips eine formelle Anrechnung zu erfolgen.[32] Unter Umständen ist von der Verfolgung gänzlich abzusehen und das Verfahren gem. § 47 OWiG einzustellen.[33]

Der Verteidiger muss daher alle im Ausland verhängten (oder zu verhängenden) Sanktionen im Blick haben. Insbesondere steht einer Anrechnung nicht entgegen, dass im Ausland eine Sanktion wegen eines anderen Delikts verhängt wurde, da für eine Anrechnung ausreichend ist, dass es sich um dieselbe prozessuale Tat handelt.[34]

G. Fazit

Ein staatenübergreifendes Ermittlungsverfahren stellt den Unternehmensverteidiger vor rechtliche und faktische Herausforderungen. Selbst gängige Prozesshandlungen, wie die freiwillige Herausgabe von Daten und Unterlagen, können sich nachteilig auf die Interessen des Mandanten im Ausland auswirken. Detailkenntnisse der ausländischen Rechtsordnung können von einem deutschen Unternehmensvertreter nicht verlangt werden, die Sensibilität für mögliche Implikationen in anderen Jurisdiktionen sollte im Interesse der Mandanten gleichwohl stets vorhanden sein.

 

[1] Der Beitrag basiert auf einem im Oktober 2019 in Frankfurt/Main gehaltenen Vortrag im Rahmen der Veranstaltung „Junges Wirtschaftsstrafrecht 2.0“.

[2] Vgl. hierzu Schomburg, in: MAH Wirtschaftsstrafrecht, 3. Auflage, § 15, Rn. 35.

[3] Vgl. insgesamt Ahlbrecht/Rüschendorf, in: MAH Wirtschaftsstrafrecht, 3. Auflage, § 16, Rn. 55.

[4] Schmitt, in: Meyer-Goßner, § 110, Rn. 7a; ebenso Herrman/Soiné, NJW 2011, 2922, 2925.

[5] Graßie/Hiéramente, CB 2019, 191, 193.

[6] Vgl. hierzu Europäische Kommission, Arbeitspapier, SWD (2018), 118 final, S. 4.

[7] Vgl. zu dieser Feststellung auch Babucke, wistra 2024, 57.

[8] Hegmann, in: BeckOK StPO, 50. Ed. 1.1.2024, § 110 Rn. 14.

[9] Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität vom 23. November 2001.

[10] So auch Gaede, StV 2009, 96, 101.

[11] So statt vieler Hegmann, in: BeckOK StPO, 50. Ed. 1.1.2024, § 110 Rn. 16.

[12] Hierzu insbesondere Babucke, wistra 2024, 57f.

[13] BGHSt 14, 358, 365; BGHSt 38, 214, 219; BGHSt 44, 243, 249.

[14] So Bär, ZIS 2011 53, 59.

[15] Gercke, StraFo 2009, 271.

[16] Vgl. hierzu Neuber, NStZ 2019, 113f.

[17] BGH NJW 1978, 1390; BGH NJW 1964, 1139; BGHSt 38, 214, 219; BGHSt 44, 243, 249

[18] Zu dieser fundamentalen Schwäche der Abwägungslehre nach dem BGH auch Neuber, Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, Berlin 2017.

[19] BVerfG NJW 2005, 1917, 1923.

[20] Bär, ZIS 2011 53, 59; ebenso Wicker MMR 2013, 765, 768f.

[21] Vgl. hierzu Gercke, StraFo 2009, 271.

[22] Vgl. hierzu statt vieler Trüg, NZWiSt 2022, 106, 109.

[23] Michaelis/Krause, CCZ 2020, 343, 344.

[24] Michaelis/Krause, aaO.

[25] Siehe hierzu die Entscheidung Upjohn Co. v. United States, 449 U.S. 383 (1981).

[26] Insgesamt hierzu Mann, ZVglRWiss 2011, 302, 317.

[27] Michaelis/Krause CCZ 2020, 343, 345.

[28] Nietsch, CCZ, 2019, 49, 54.

[29] Nietsch, CCZ, 2019, 49, 55.

[30] Michaelis/Krause CCZ 2020, 343, 347.

[31] Maier, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 51 Rn. 43.

[32] Mitsch, in: KK-OWiG, 5. Aufl. 2018, OWiG § 17 Rn. 164.

[33] Bohnert, in: Krenberger/Krumm, 7. Aufl. 2020, OWiG § 5 Rn. 50.

[34] Maier, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 51 Rn. 47.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Florian Neuber
    Dr. Florian Neuber ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Köln. Er verteidigt, berät und vertritt Einzelpersonen und Unternehmen in allen Bereichen des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten.

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)