Dr. Markus Rübenstahl, Mag. iur.

Markus Ebner, Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht

Duncker & Humblot GmbH, Berlin, 2015 (89,90 Euro)

I. Problematik

„Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht“ – ein denkbar weit gefasster Titel, und dennoch legt Ebner mit seiner 2015 erschienen Dissertationsschrift eine präzise und klar strukturierte Untersuchung vor. Die Arbeit gibt einen umfassenden Überblick zur Rechtslage der Strafverfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht und liefert anhand bedeutsamer Hinterziehungsfallgruppen eine alle Steuerstraftatbestände erfassende Auseinandersetzung mit dem Verjährungsbeginn. Der Autor wird damit – so viel sei vorweggenommen – dem Ziel in außergewöhnlich hohem Maße gerecht, eine „Lücke zur Schicksalsfrage der Verjährung im Steuerstrafrecht (zu) schließen“ (S. 32). Das gelingt zudem mit besonderer sprachlicher Klarheit und praxisorientierter Anschaulichkeit.

In der Einführung weist Ebner zutreffend auf die Situation hin, dass die Strafverfolgungsverjährung in der Praxis des Steuerstrafrechts eine zentrale Rolle spielt (S. 29 f.). Einerseits würden Abgabendelikte erst spät aufgedeckt, andererseits könnten überlastete Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zahlreiche Akten oft nicht zeitnah bearbeiten. Hierüber hinausgehend ist aber auch die beratende Praxis mit Fragen der Strafverfolgungsverjährung konfrontiert, weil wirtschaftsstrafrechtliche Konstellationen in der Regel steuerliche Implikationen haben. Ebners Untersuchung ist somit für Staatsanwälte und Richter, Unternehmensjuristen und Strafverteidiger gleichermaßen hoch interessant.

Die Schrift geht von vier Grundfragen (S. 31) aus, die sich als rote Linie durch den Text ziehen:

1.) Welche Verjährungsfrist gilt (§ 78 III StGB, § 376 I AO)?,

2.) Ab wann hat der Verjährungsfristlauf begonnen, d.h. wann war die konkrete Steuerstraftat beendet (§ 78a StGB)?,

3.) (Wann) Ist der Fristablauf (rechtzeitig) unterbrochen worden (§ 78c StGB, § 376 II AO)?,

4.) ruht(e) der Lauf der Verjährungsfrist (§ 78b StGB, § 396 II AO)?

Der Unterbrechung des Fristlaufs wird richtigerweise besonderes Gewicht eingeräumt, weil diese in der Kommentarliteratur bisher vernachlässigt ist, was – so Ebner – auf die Vielschichtigkeit und Komplexität des Steuerrechts zurückzuführen ist.

II. Teil 1: Grundlagen und -begriffe

Teil 1. betrifft die Grundlagen und Begriffe der Verjährung im Steuerstrafrecht (S. 35-126). Ausgegangen wird von der kriminologischen Erkenntnis, dass bei der Steuerkriminalität ein enormes Dunkelfeld vorliege (S. 39), was in Verbindung mit den vom BMF nachgewiesenen jährlichen Hinterziehungsvolumina zu erheblichen Steuerausfällen in Deutschland führt. Dies unterstreicht die praktische Relevanz von Ebners Ausführungen, weil die Präventionswirkung des Steuersanktionenrechts auch von einer effektiven Anwendbarkeit der Vorschriften abhängt, der die Verjährung entgegenstehen kann (dazu auch Ebener auf S. 44 ff.).

Die Untersuchung widmet sich schließlich der seit dem 1.1.2008 neu gestalteten Rechtslage, durch welche die sog. „Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen“ erfolgt ist. Hiermit einher ging die Änderung bzw. Aufhebung der §§ 370, 370a, 373, 374 AO (S. 51), was der Verfasser im Einzelnen erläutert. Anschließend betrachtet Ebner das Phänomen des „Zigarettenschmuggels“, das besondere Schwierigkeiten bereite, weil die Abgrenzung zwischen den zum Teil nebeneinander, zum Teil alternativ in Betracht kommenden Tatbeständen der §§ 370, 373 und § 374 AO (Steuerhehlerei) selten behandelt werde (S. 58). Auf dieser Grundlage werden Beispielsfälle genannt, anhand derer § 370 I Nr. 2 AO (Steuerhinterziehung durch pflichtwidriges In-Unkenntnis-lassen) und § 374 AO erörtert werden. Anschließend erarbeitet Ebner Grundlagen des allgemeinen Verjährungsrechts, unter besonderer Berücksichtigung der steuerstrafrechtlichen Implikationen (S. 60 ff.). Dieser Teil verdient besondere Hervorhebung, weil mit dogmatischer Sorgfalt auch die Wechselwirkungen zwischen Straf- und steuerrechtlichen Normen aufbereitet werden (S. 70 ff.).

Dem denktheoretisch und dogmatisch vorherrschenden Verständnis über das Wesen der Strafverfolgungsverjährung (Rechtsfrieden, S. 79 ff., und weitere Gesichtspunkte wie schwindendes Strafbedürfnis, mögliche Beweisschwierigkeiten, Gegenimpuls gegen Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden, S. 81 f.) erteilt Ebner – aus der Sicht eines Verteidigers eher: bedauerlicherweise – eine Absage. Sie seien nicht geeignet, die Berechtigung einer Verjährung hinreichend zu begründen, weil staatliches Handeln dogmatisch von der Wirkung eines Eingriffes in die Freiheitsrechte des Einzelnen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz her gedacht werden müsse (S. 82). Hieraus ergebe sich, dass ein langer Zeitablauf zwischen Tat und Verurteilung bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sei. Bei Überschreitung der Grenzen von § 78 II StGB führe diese zum absolut wirkenden Strafverfolgungshindernis der Verjährung. Diese als „verfassungsrechtliche Verjährungstheorie“ zu bezeichnende Begründung (S. 84) ist gut nachvollziehbar und belegt Ebners Absicht, mit der Untersuchung nicht im Elfenbeinturm der Strafrechtsdogmatik zu verharren. Ebners Versuch, Wesen und Zweck des Rechtsinstituts der Verjährung im normativen Kontext des Grundgesetzes zu interpretieren, erscheint verdienstvoll, auch wenn man – wie der Autor – mit dem Ergebnis nicht ganz glücklich ist.

Auf den Seiten 89-127 folgt eine Darstellung der allgemeinen Verfolgungsverjährungsregeln hinsichtlich Beginn, Ruhen und Unterbrechung.

III. Teil 2.: Die Verfolgungsverjährungsfristen

Teil 2. wird durch einen historischen Abriss über die früheren Regelungen zur steuerstrafrechtlichen Verjährung eingeleitet (A., S. 128-132), wobei die Darstellung problemorientiert auf die heutigen Fristen bezogen ist. Zusammengenommen mit den Abschnitten 3. und 4., die den Beginn der Verjährungsfrist betreffen, wird somit der Grundstein und Bezugspunkt für die weiteren Überlegungen gelegt. Ebner gelingt trotz der straffen Darstellung auch eine Erörterung einzelner Anwendungsfragen, wie zu den besonders schweren Fällen bei § 370 AO (S. 152 ff.) und der Verjährungsfrist beim Versuch (S. 157 ff.).

IV. Teil 3: Der Verjährungsbeginn bei § 370 AO

Teil 3. widmet sich ausschließlich den Einzelheiten des Beginns der Verfolgungsverjährung bei § 370 AO. Dieser erfolgt gem. § 78a S. 1 StGB mit der „Beendigung“ der jeweiligen Tat (S. 188). Die Darstellung unterscheidet die Gruppen der Veranlagungs- (A., S. 191 ff.) und der Fälligkeitssteuern (B., S. 312 ff.). Die Trennung sorgt für Übersichtlichkeit. So behandelt Ebner die praktisch möglichen Fälle der Steuerhinterziehung (Vollendung, Versuch, Unterlassen) in Bezug auf das Festsetzungsverfahren nach §§ 155 ff. AO. Ebenso erfolgt eine bei anderen Werken häufig zu kurz kommende Integration der Hinterziehungsvergehen im Ermittlungs-, Erhebungs-, Vollstreckungs-, Rechtsbehelfs- oder finanzgerichtlichen Verfahren.

Zuletzt wird eine empirische Befunderhebung zu der Frage geliefert, ob und wenn ja, wie und zu welchem Zeitpunkt der nach herrschender Meinung für den Verjährungsbeginn bei Vergehen gem. § 370 I Nr. 2 AO maßgebliche „allgemeine Veranlagungsschluss“ in den einzelnen Bundesländern festgelegt wird (A. III. 4. b., S. 261 ff.). Hierbei kommt Ebner zur interessanten Feststellung, dass in den Ländern unterschiedliche (steuerstraf-)rechtliche Fachkenntnisse vorhanden sind, was sich auf die Handhabung auswirkt (S. 292). Er stellt im Folgenden anhand von Fallbeispielen dar, wie der Zeitpunkt bestimmt werden kann (S. 293 ff.), wobei auch die praxisrelevante Fallgruppe der „Kindergeldhinterziehung“ eingehend behandelt wird (C., S. 325-342).

V. Teil 4.: Der Verjährungsbeginn bei den übrigen Steuerstraftatbeständen

Der kürzere Teil 4. (S. 344-365) behandelt die übrigen Steuerstraftatbestände hinsichtlich Verjährungsbeginn innerhalb und außerhalb der Abgabenordnung. Namentlich berücksichtigt werden die Steuerzeichenfälschung und Begünstigung von Steuerstraftaten (S. 345 ff.), die Steuerhehlerei (S. 350 ff.), Schmuggel und Bannbruch (S. 354 ff.), Gewerbs- oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens (S. 357 ff.) und die Lotteriesteuerhinterziehung (S. 363 ff.). Gegenüber den in der Literatur zum Teil einseitig auf § 370 AO reduzierten Darstellungen der Verjährungsproblematik zeigt sich in diesem Punkt, dass die Untersuchung ein vollständiges Gesamtbild zur Verjährung vermittelt.

VI. Teil 5: Schlussbetrachtung und „Verjährungskompass“

Teil 5. beinhaltet eine kritische Stellungnahme zur vom SPD-Parteivorstand im Wahlkampf zur 18. Bundestagswahl gemachten Ankündigung, die Verjährungsfristen durch eine Anpassung an die „Praxis in den Vereinigten Staaten“ zu vereinfachen. Nach Auffassung Ebners herrschten im deutschen Steuerstraf(-verjährungs-)recht zwar bereits „amerikanische Verhältnisse“ (S. 371), das US-amerikanische Recht sei im Übrigen aber nicht übertragbar, weil dies eine Verletzung der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit des Täters zur Folge haben würde (S. 373). Dem kann man auf Basis der intensiven Darlegungen nur zustimmen. Den Abschluss der Arbeit bilden als Verjährungskompass bezeichnete Abbildungen (S. 374 ff.), die dem Rechtsanwender einen schnellen Zugang zu den im Einzelfall maßgeblichen steuerstrafrechtlichen Regelungen ermöglichen sollen und für die Arbeit des Rechtsanwenders von hohem Wert sind.

VII. Fazit

Ebner liefert mit der Untersuchung „Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht“ ein in sich stimmiges Werk, das tiefgehend und dogmatisch schlüssig ist. Aus Sicht des Beraters hätte der Aspekt der begrenzenden Wirkung der Verjährung stärker in den Fokus gerückt werden können. Dessen ungeachtet ist die Monographie für Steuerstrafrechtler als hochgradig praxistauglicher Leitfaden zur Bestimmung der anwendbaren Verfolgungsverjährung auf der Basis geltenden Rechts von großem Wert – ein Lob, welches man Dissertationen eher selten ausspricht. Das Werk kann nicht nur Wissenschaftlern, sondern besonders auch allen Rechtsanwendern uneingeschränkt empfohlen werden, die eine detaillierte, fallgruppenbezogene und verlässliche Darstellung der Verfolgungsverjährung im Steuerstrafrecht suchen.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Markus Rübenstahl, Mag. iur.
    Der Autor ist Gründer der Kanzlei Rübenstahl Rechtsanwälte in Frankfurt am Main und Lehrbeauftragter der Universität Freiburg i. Br. Er ist seit 2002 als Verteidiger, Unternehmensvertreter und beratend im Bereich Wirtschafts- und Steuerstrafrecht tätig und befasst sich auch mit internationalen Aspekten des Wirtschaftsstrafrechts sowie mit Internal Investigations und Tax Compliance. Er ist Mitherausgeber der wistra, Mitglied des Vorstands der WisteV und Mitherausgeber sowie Redaktionsmitglied der WiJ.

WiJ

  • Dr. Elias Schönborn , Jan Uwe Thiel

    Gesetzliche Regelungen zur Handy-Sicherstellung sind verfassungswidrig (Österreich)

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Tino Haupt

    Der Zugriff auf Fahrzeugdaten aus strafprozessualer Perspektive

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Florian Neuber

    Verteidigung ohne Grenzen?

    Internationales Strafrecht