Tagungsbericht zur WisteV-wistra-Neujahrstagung 2017 am 20./21.1.2017 in Frankfurt am Main
Am 20. und 21.1.2017 fanden sich über 170 Vertreter aus Wissenschaft und Praxis zur achten Neujahrstagung der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. (WisteV) und der Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (wistra) in Frankfurt am Main zusammen. Unter dem Thema „Das Wirtschaftsstrafrecht der Zukunft“ referierten elf Redner zu den aktuellen Entwicklungen in der Gesetzgebung und Gesetzesanwendung eines unter dem besonderen Einfluss der Digitalisierung und Europäisierung stehenden Strafrechts. Im Rahmen der abendlichen Podiumsdiskussion des ersten Veranstaltungstages wurde den Teilnehmern ein Einblick in die Bedeutung des unlängst reformierten Doping- und Betrugsstrafrechts für den Spitzensport gewährt.
Themenblock 1: Entgrenzung des Wirtschaftsstrafrechts – Über- und Ausblick unter Moderation von Rechtsanwalt Dr. Oliver Kipper
Traditionsgemäß führte mit MinDgt. Dr. Matthias Korte (BMJV) ein Mitherausgeber der wistra in die Tagung ein. Nach der erfreulichen Feststellung, dass die Tagung von Wissenschaftlern und Praktikern sowohl aus der Wirtschaft wie zunehmend auch aus dem öffentlichen Dienst wahrgenommen und damit einem ihrer Zwecke – dem Perspektivenaustausch – gerecht werde, übernahm Rechtsanwalt Dr. Thomas Nuzinger die Einführung in die Themen. Im thematischen Überblick werde deutlich, dass die neuen Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung, namentlich die Internationalisierung und der Digitalisierung, das Wirtschaftsstrafrecht nicht unberührt ließen. Exemplarisch stünden etwa Cyberangriffe auf Großunternehmen und entsprechende Herausforderungen der Compliance. Mit Blick auf die Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten am Veranstaltungstag könne sich die Frage aufdrängen, ob eine Emanzipierung der Europäer auch Auswirkungen auf ein (gemeinsames) Strafrecht habe.
Rechtsanwalt Dr. Oliver Kipper übernahm sodann die Moderation mit einer ersten thematischen Abschichtung des ersten Themenblocks in die geographische, tatbestandliche und institutionelle Dimension der „Entgrenzung“. Für letztere stünden etwa organisatorische Zusammenschlüsse wie die Vereinigung Europäischer Strafverteidiger, die European Criminal Bar Association (ECBA), Pate.
Prof. Dr. Frank Meyer, Zürich, hielt den ersten Vortrag der Veranstaltung mit dem Thema „Europäisches Wirtschaftsstrafrecht – Die praktische Bedeutung Europäischen Rechts für das geltende Wirtschaftsstrafrecht“. Die Entwicklung des Europäischen Wirtschaftsstrafrechts stünde in einem Spannungsfeld von unionalen Regelungsvorgaben, loyalitätsgetragenen Vollzugsprinzipien (Art. 4 Abs. 3 AEUV) und rechtlichen Schranken aus unionalem und nationalem Verfassungsrecht. Der durch die Vollzugsprinzipien getriebenen „Entgrenzung“ stünden insbesondere die in der Grundrechte-Charta (GrCh) der Union normierten Grundrechte als „Eingrenzung“ gegenüber. Die Unwägbarkeit des europäischen Wirtschaftsstrafrechts ergebe sich materiell u.a. aus dem Fehlen einer unionsrechtlich begründeten autonomen Zurechnungs- und Beteiligungslehre und fehlenden definitorischen Vorgaben zu Versuch und Vorsatz. Auf der Vollzugsseite seien die Mitgliedsstaaten zur unionsrechtsakt- und richtlinienkonformen Auslegung verpflichtet. Nationale Regelungen dürften eine wirksame Strafverfolgung insbesondere nicht unmöglich machen oder exzessiv erschweren und die Rechtsanwendung müsse auf wirksame Umsetzung der unionalen Regelungsziele ausgerichtet sein (Effektivitätsprinzip). Im Einzelnen, so führte der Referent aus, bliebe durch die Vagheit der Bindungen und das Fehlen klarer europäischer Standards die Berechenbarkeit der Rechtsanwendung insgesamt erschwert. Am Beispiel der Taricco-Entscheidung des EuGH (Urt. v. 8.9.2015 – C-105/14 = StV 2017, 65 m. Anm. Kubiciel), in der eine Verjährungsregelung des italienischen Rechts für nicht anwendbar erklärt worden war, wurde ein praktisches Beispiel für die Bedeutung des europäischen Strafrechts diskutiert. In einem Ausblick gab Meyer zu erkennen, außerhalb der fiskalischen Interessen der Union auch in Ansehung der Taricco-Entscheidung keine generelle Durchgriffsoffensive des EuGH zu erwarten. Es bliebe abzuwarten, ob die Effektivitätsmaxime auch für andere Konstellationen zum Einsatz komme und wie „mutig“ der EuGH zukünftig sein werde. Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel, Universität zu Köln, ergänzte in einer Anmerkung den Vortrag um den Einzelfallcharakter der Taricco-Entscheidung, die insbesondere der Bewältigung einer Ausnahmesituation in Italien gedient habe. Es wurde in der weiteren Diskussion darauf hingewiesen, dass in der Ausgestaltung des europäischen Rechtswegs stets ein Vorabentscheidungssystem Voraussetzung für eine verbindliche Klärung der Unionsrechtskonformität deutschen Rechts ist. Um konkret den Weg zum EuGH als Teil der Verteidigung zu beschreiten, sei immer Voraussetzung, das Gericht von der Notwendigkeit einer Vorlage nach Art. 267 AEUV zu überzeugen.
Das zweite Referat des Freitagnachmittag wurde von Corinna Ullrich gehalten, die beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) bei der Europäischen Kommission in Brüssel tätig ist. Thema war das „Europäische[s] (Wirtschafts-)Strafverfahrensrecht – die praktische Bedeutung Europäischen Rechts für das geltende Strafprozessrecht“. Die Referentin führte in den aktuellen Gesetzgebungsstand bei der Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) zur Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der fiskalischen Interessen der Union ein. Die Probleme bei grenzüberschreitenden Ermittlungen in Gestalt von Mehrsprachigkeit, erforderlichen Übersetzungen und aufwändiger Koordinierung ließe angesichts jährlicher Fiskalschäden der Union von 500 Mio. EUR (Dunkelziffer bei 3 Milliarden EUR) die Zentralisierung der Ermittlungstätigkeit notwendig werden. Die zu diesem Zweck erarbeitete Verordnung, die im Zustimmungsverfahren gem. Art. 86 AEUV verabschiedet werden solle, sei letztmalig am 8.12.2016 im Rat verhandelt worden. Der aktuelle Entwurf sehe – in Abweichung des ursprünglichen Kommissionsvorschlags und mit Ausnahme u.a. kleinerer Fälle (Schadenssumme unter 10.000,– EUR) – eine geteilte Zuständigkeit des EPPO und dem Mitgliedstaat mit einem Evokationsrecht des EPPO vor. Des Weiteren solle die Durchführung von Ermittlungen stärker als im Kommissionsentwurf an das nationale Recht angebunden werden. OLAF werde nach dem aktuellen Verhandlungsstand den EPPO im Wege des Informationsaustausch und der Durchführung ergänzender verwaltungsrechtlicher Ermittlungen unterstützen, um das bestehende Schutzniveau zu erhalten. Prof. Dr. Robert Esser, Passau, erfragte die Bedeutung von Beschuldigtenrechten im Gesetzgebungsverfahren – ein Mehr an Befugnissen lasse die Frage nach dem Verfahrensgleichgewicht zwischen Ermittlungsbefugnissen und Beschuldigtenrechten aufkommen. Ullrich verwies auf eine Evaluierung, von der man sich hierzu Ergebnisse erhoffe. Auf Frage von Rechtsanwalt Prof. Dr. Holger Matt erläuterte Ullrich, dass Fragen von Legal Aid („Pflichtverteidigung“, Formen der Prozesskostenhilfe o.ä.) sowie der justiziellen Kontrolle sich weiterhin nach nationalen Vorschriften richten sollen, mithin kein übergeordnetes Rechtsinstitut geschaffen werde.
Im dritten Referat des ersten Veranstaltungstages stellte OStA Dieter Kochheim die Frage: „Weltweites Wirtschaftsstrafrecht? Die Bedeutung der Digitalisierung des (Wirtschafts-) Lebens für das Wirtschaftsstrafrecht“. Die Frage, so konnten die Zuhörer schnell feststellen, wird durch den Referenten uneingeschränkt bejaht. Im historischen Abriss des Cybercrime seit 1996 stellte Kochheim dar, dass Unternehmen und Privatpersonen weiter zunehmend von Internetkriminalität bedroht seien. Aktuell komme es zunehmend – wie die Zuhörer am Beispiel des Trojaners „Tox“ aus dem Jahre 2016 im Einzelnen nachvollziehen konnten – zu maßgeschneiderten Ausspähaktionen gegen Umsatzbeteiligung („Crimeware as a Service“). Hierdurch seien Unternehmensdaten und –geheimnisse erheblichen Bedrohungen ausgesetzt. Es bedarf aus Sicht des Referenten insbesondere geschulter Mitarbeiter, um kritische Bedrohungen der digitalen Infrastruktur zu prüfen und zu verhindern („Kümmerer“). Untersuchungen hätten gezeigt, dass selbst Mitarbeiterschulungen nicht immer erfolgreich seien und der Umgang etwa mit E-Mail-Anhängen noch immer von wenig Problembewusstsein selbst bei betrieblich sensibilisierten Mitarbeitern zeuge. Kipper berichtete den Vortrag ergänzend von einem Fall, in dem selbst Polizeibeamte zu großen Teilen auf Bots „hereingefallen“ seien. Auf die Frage, was aus behördlicher Sicht fehle, betonte Kochheim die grundsätzlich gute Rechtshilfepraxis im Schengen-Raum. Der Gleichlauf verfahrensrechtlicher Vorschriften sei auf internationaler Ebene aber wünschenswert.
Nach dem Abendessen fanden sich die Teilnehmer zu der in diesem Jahr von Anno Hecker, Leiter der Sportredaktion der FAZ, moderierten Podiumsdiskussion unter dem „Spitzensport und Wirtschaftsstrafrecht“ zusammen. Der Einstieg in das Thema gelang schnell: Mit den Beispielen FIFA, dem Vorwurf des Staatsdopings in Russland und den Korruptions- und Erpressungsvorwürfen um den ehemaligen IAAF-Präsidenten warf Hecker die generelle Frage nach der Bedeutung solcher Ereignisse für den Spitzensport und nach dem Schützenswerten an der „schönsten Nebensache der Welt“ auf. Nach der Vorstellung der Referenten stellte Hecker die konkrete Frage, welcher Unterschied angesichts der wirtschaftlichen Dimension etwa des FC Bayern München noch zu großen Wirtschaftsunternehmen bestünde. Zuerst kam Rechtsanwältin Inka Müller-Schmäh zu Wort, die u.a. als Schiedsrichterin im Profi-Fußball einen besonders anschaulichen Einblick in die Sportwelt geben konnte. Sie hob nachdrücklich die schützenswerte Dimension des Sports und das „einmalige“ deutsche Vereinssportsystem in Deutschland hervor, das eine nicht zu unterschätzende soziale Kraft entfalte. LOStA Michael Loer, Abteilungsleiter der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen Frankfurt am Main, betonte, dass zwischen Spitzensport und Breitensport nicht generell sondern nur individuell unterschieden werden könne. Der überwiegende Teil von Fällen (95 %) käme jedenfalls durch den im Breitensport verbreiteten Handel mit inkriminierten Mitteln ans Tageslicht. Ein staatlicher Zugriff sei aus seiner Sicht notwendig, da die früher verbreitete Ansicht, Sportler seien „bessere Menschen“, angesichts der durch die wirtschaftliche Bedeutung des Sports hervorgerufene Gefährdungslage nicht mehr gelte. Dr. Lars Mortsiefer, Vorstandsmitglied und Leiter des Ressorts Recht der NADA, warnte davor, den Sport zu überfordern, die Mittel der Verbände reichten nicht aus, um wirksam gegen Straftaten vorzugehen und diese entsprechend zu sanktionieren. Daher könne der Kampf insbesondere gegen Doping im Sport nur durch ein Zusammenwirken von Staat und Verband gelingen. Müller-Schmäh wies exemplarisch auf den Verbandsaustritt hin, der reiche, um dem sportrechtlichen Sanktionensystem zu entgehen. Für den Spitzensport sei indes auf den Schutz von Persönlichkeitsrechten hinzuweisen. Der Anstoß von Ermittlungen durch Weitergabe von Dopingproben an die Staatsanwaltschaften müsste stets – darüber bestand Einigkeit – unter sorgfältiger Abwägung geschützter Interessen vorgenommen werden. Das derzeitige Kontrollsystem lasse allerdings, so Mortsiefer, noch internationale Standards vermissen. Nuzinger richtete sich nach Freigabe der Diskussion mit der Frage ans Podium, warum sich die Verbände mit der Öffnung für Reformen schwer getan hätten. Mortsiefer führte u.a. die festen Verbandsstrukturen an. Müller-Schmäh schloss die Diskussion mit einem lebhaften Plädoyer für ein Engagement im Sport.
Themenblock 2: Kapitalmarktstrafrecht im Wandelunter Moderation von Rechtsanwalt Dr. Tobias Eggers
Den Auftakt am Samstagmorgen zum zweiteiligen Thema „Der digitalisierte Kapitalmarkt als Gegenstand strafrechtlicher Beurteilung“ machte Bernd Mack von der Eurex Frankfurt AG mit einem „Erfahrungsbericht aus der kapitalmarktrechtlichen Praxis“. An diesen tatsächlichen Einblick in den Alltag einer der weltweit größten Terminbörsen schloss StA Dr. Thorsten Krach, Frankfurt am Main, mit dem zweiten Teil, dem „Erfahrungsbericht aus der staatsanwaltschaftlichen Praxis“, an. Mack lieferte anhand von Daten einen Überblick über den hochtechnisierten Hochfrequenzhandel mit einem Tagesvolumen von 400-500 Milliarden Euro aus 1.5 Milliarden gehandelten Kontrakten. In der aktuellen zum Einsatz kommenden Systemarchitektur liege die Latenz eines auszuführenden Kontrakts etwa zwischen 3.3 Millisekunden für Amsterdam und 48 Millisekunden für Chicago. Die hohe Geschwindigkeit habe vor allem den positiven Effekt („risk management tool“), ungewollte Transaktionen zu verhindern und damit Liquiditätsrisiken zu minimieren. Die potentiellen Risiken des algorythmenbasierten und hochfrequenten Tradings würden durch elektronische Filter, Plausibilitätschecks und Geschwindigkeitsanpassungen minimiert. Krach schloss mit drei Fallbeispielen aus der staatsanwaltschaftlichen Praxis an: Der erste Fall hatte die Untreue eines Wertpapierhändlers durch Teilabwicklung von Geschäften über ein inländisches Privatkonto zum Gegenstand. Fall 2 schilderte Varianten des Scalping und mit Fall 3 wurde die handelsgestützte Marktmanipulation durch Phantomorders, die nicht zur Ausführung gedacht seien, Spoofing und Layering dargestellt. An die Vorträge schloss Rechtsanwalt Prof. Dr. Gerson Trüg die Frage an, wie bei den Terminbörsen die einzelnen Trades dokumentiert würden. Mack machte deutlich, dass über die Orderbücher hinaus keine Dokumentation erfolge.
Zu dem zweiten Thema des Samstagvormittags unter dem Titel „Neue Entwicklungen im Kapitalmarktstrafrecht referierte Rechtsanwalt Dr. Philipp Gehrmann, Berlin. Er stellte die gesetzgeberischen Neuerungen durch das am 3.7.2016 in Kraft getretene 1. FiMaNoG sowie den Regierungsentwurf zum 2. FiMaNoG vor. Im Insiderstrafrecht sei neben der Entkriminalisierung der Leichtfertigkeit eine Verschärfung u.a. durch Aufgabe der Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärinsider erfolgt. Im Bereich der Marktmanipulation kommt der Referent neben der Reform des „Naming and Shaming“ (§ 40d Abs. 1 WpHG) und der Ausweitung der Bußgeldtatbestände des § 39 WpHG insbesondere auf die Einführung der Verbrechensqualifikation in § 38 Abs. 5 WpHG zu sprechen, für die u.a. das Libor-, Euribor- und Tiborfixing wesentlicher Auslöser gewesen sei. Der Referent stellt anhand einzelner Beispielsfälle dar, dass die Strafschärfung Fälle erfasse, bei denen das Strafbedürfnis als Verbrechen zumindest fraglich sei. Des Weiteren wird die Ausweitung der Ermittlungsbefugnisse der BaFin gemäß § 4 WpHG vorgestellt und insbesondere das Betretensrecht in Verbindung mit dem Beschlagnahmeantragsrecht (§ 4 Abs. 4b WpHG) kritisch hinterfragt. Abschließend diskutiert der Referent die durch ein „Versehen des Gesetzgebers“ begründete unbeabsichtigte Generalamnestie für Verstöße im Bereich des Kapitalmarktrechts. Diese sei dadurch entstanden, dass das 1. FiMaNoG einen Tag vor Inkrafttreten der Marktmissbrauchsverordnung (MAR), am 2. Juli 2016, in Kraft getreten sei und damit wichtige Vorschriften „ins Leere“ verwiesen hätten. Der BGH habe – zeitlich passend zur Veranstaltung – am 20.1.2017 indes gegen eine Generalamnestie entschieden (5 StR 532/16). Die „Reparaturvorschrift“ im Regierungsentwurf des 2. FiMaNoG sei wegen des Verfassungsrangs des Meistbegünstigungsprinzips (Art. 49 GrCH, Art. 7 EMRK) verfassungs- und europarechtswidrig. In der anschließenden Diskussion wird die Frage erörtert, ob es – wie Gehrmann vertrat – zukünftig wegen § 38 Abs. 5 WpHG vermehrt zu Einstellungsentscheidungen nach § 170 Abs. 2 StPO komme, da Opportunitätsentscheidungen verwehrt seien. Krach führt hiergegen das Legalitätsprinzip ins Feld, ein mögliches Korrektiv der Überpönalisierung könne allenfalls in dem Merkmal der „Gewerbsmäßigkeit“ liegen. Zu der von Gehrmann geforderten gesetzgeberischen Konsequenz, die ein Erwägen der Aufnahme von § 38 Abs. 5 WpHG in den Katalog des § 100a StPO verlangt hätte, wies Korte auf das Fehlen einer notwendigen Aufnahme von Verbrechenstatbeständen in § 100a StPO hin.
Sebastian De Schmidt, BaFin, Frankfurt am Main, konnte mit seinem Referat „Die neue Rolle der BaFin im Aufsichts- und Strafverfahren – Darstellung der neuen strafprozessualen Ermittlungsbefugnisse der BaFin nach § 4 WpHG-E“ unmittelbar an den vorherigen Vortrag anknüpfen und um die behördliche Perspektive erweitern. Nach einem Überblick über die unterschiedlichen Aufsichtsansätze (Solvenzaufsicht, Marktaufsicht) kam der Referent auf die Vorgaben der erwähnten MAR für die BaFin im Aufsichtsverfahren zu sprechen. Die Befugnisse der BaFin folgten insbesondere aus § 4 Abs. 2-4 WpHG als nationale Umsetzung von Art. 22 MAR. Die in § 40d WpHG geregelte Bekanntmachung von Maßnahmen und Sanktionen wegen Verstößen gegen die MAR enthalte nunmehr eine Pflicht, grundsätzlich sogar nicht rechtskräftige Entscheidungen auf der Internetseite der BaFin zu veröffentlichen. Im Anschluss stellte der Referent die Beteiligung der BaFin im Strafverfahren (§ 40a WpHG) in Gestalt der bestehenden Informations-, Mitteilungs-, Anhörungs- und Akteneinsichtsrechte dar. Ausführlich widmete er sich dabei der Zulässigkeit des Heranziehens von Angehörigen der BaFin als Sachverständige im Ermittlungsverfahren (etwa für die Erstellung von Gutachten zu Preiseinwirkung). Rechtsanwalt Thomas Richter schloß an den Vortrag die Frage an, ob gesetzgeberische Vorhaben auch durch die BaFin motiviert seien. De Schmidt erläuterte hierzu die Aufgaben des Referates MA11 der BaFin, die u.a. darin bestehe, die aufsichtsrechtliche Perspektive in Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Eggers artikulierte abschließend die Befürchtung, dass die doppelfunktionale Rolle der BaFin zu einer Verfahrenspraxis von Deals ohne angemessene Beteiligung der Staatsanwaltschaft führen könnte, wie sie in Kartellsachen etabliert sei.
Themenblock 3: Modernisierung der Vermögensermittlung und –abschöpfung sowie der Unternehmenssanktionierung unter Moderation von Rechtsanwalt Dr. Markus Rübenstahl
Nach der Mittagspause fanden sich die Teilnehmer zu dem dritten Themenblock ein. Nach einer Vorstellung der Referenten durch den Moderator Rechtsanwalt Dr. Rübenstahl machte OStA beim BGH Marcus Köhler, BMJV, Berlin, den Auftakt mit dem Referat zu der „Reform der Vermögensabschöpfung nach §§ 73 ff. StGB und Einführung einer non-conviction-based confiscation“. Der Referent gab einen ausführlichen Einblick in den Stand des Gesetzgebungsverfahrens, bei dem im ersten Quartal 2017 der Abschluss der parlamentarischen Beratungen erfolgen könne. Kernpunkte des Entwurfs seien die Reform der Opferentschädigung und die konzeptionelle Vereinfachung. Das leitende Prinzip solle hierbei Gläubigergleichbehandlung statt des vielfach kritisierten „Windhundprinzips“ sein. Eine Konkretisierung des Bruttoprinzips erfolge durch eine Neubestimmung des „erlangten Etwas“ in der Systematik: Grundsatz – Ausnahme – Rückausnahme. Das Unmittelbarkeitskriterium werde durch die Änderung der Formulierung „aus“ der Tat zu „durch“ die Tat verabschiedet. Die Einziehung nachträglich entdeckter Vermögenswerte sowie die erweiterte selbstständige Einziehung würden die Einziehung Vermögens unklarer Herkunft erleichtern. Die Beschlagnahme von Vermögenswerten solle des Weiteren zukünftig insolvenzfest sein (§ 111d Abs. 1 Satz 2 StPO-E). In der Diskussion zum Vortrag von Köhler wurden einige Aspekte des Reformvorschlags kritisch hinterfragt. Grundsätzlich stellte Kubiciel die Frage nach der Rolle des Staates als Garant rechtmäßiger Vermögenszuteilung. Köhler verwies hierzu auf die Rechtsprechung des BVerfG zum erweiterten Verfall, auf die man sich direkt berufe. Rübenstahl verwies auf die Probleme, die sich im Bereich grenzüberschreitender europäischer und internationaler Sachverhalte im Hinblick auf die doppelte Abschöpfung von Vermögenswerten stellten und dachte die Anwendung des ne bis in idem aus Art. 54 SDÜ an. Dessen Anwendung hinge vom Sanktionscharakter der Abschöpfung ab, der durch Köhler auch für die Neuregelung verneint wurde. Gehrmann machte auf mögliche Widersprüche aufmerksam, die in einzelnen Fallkonstellationen bei nicht bestehendem Strafcharakter entstehen könnten.
Da der Vortrag von RA Dr. Wolfram Kessler, St. Julians/Malta zu „Geldwäsche aus europäischer Sicht: Umsetzung der 4. Geldwäscherichtlinie am Beispiel des Umgangs mit den ‚Panama Papers’“ leider ausfallen musste, kamen Prof. Dr. Thomas Weigend, Kubiciel und Jun.-Prof. Dr. Elisa Hoven schließlich mit der Vorstellung der „Grundlinien eines modernen Sanktionenrechts für Unternehmen – das Kölner Modell“ zu Wort. Die Referenten gaben in dem Vortrag Einblick in die fortlaufende Arbeit der Forschungsgruppe Verbandsstrafrecht an der Universität zu Köln. Die Ziele der Forschungsgruppe seien die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten einer sinnvollen Umsetzung einer Verbandsstrafbarkeit und die Erarbeitung eines kommentierten Entwurfs für ein Verbandssanktionenmodell. Arbeitsgebiete der Forschungsgruppe seien dabei das Wirtschaftsstrafrecht, das Strafprozessrecht, das Wirtschaftsrecht und die Erarbeitung empirischer Grundlagen. Zu letztgenanntem Zweck habe die Forschungsgruppe durch Aktenauswertung, quantitative Fragebogenerhebung und qualititative Leitfadeninterviews erste Erkenntnisse gewonnen. Auffällig sei hiernach die geringe Anzahl von OWi-Verfahren nach § 30 OWiG. Von 48 kontaktierten Staatsanwaltschaften hätten 19 angegeben, keine solche Verfahren betrieben zu haben. Die Anwendungspraxis sei bundesweit uneinheitlich, wobei sich ein Ost- und ein Nordgefälle abzeichneten. Als Gründe für die geringe Zahl der Verfahren wurden u.a. fehlende Expertise (kein Teil der juristischen Pflichtausbildung) und der hohe Aufwand bei hohem Arbeitsdruck genannt. Rechtsvergleichend berichteten die Forscher aus qualitativen in den USA geführten Interviews, nach denen die Verbandsstrafbarkeit dort hohe praktische Anerkennung genieße. Auch in Österreich habe sich die mit dem öVbVG eingeführte Verbandsstrafbarkeit bewährt. Sodann kamen die Referenten auf Inhalte des ordoliberal angelegten Kölner Modells zu sprechen. Verantwortungssubjekt bei Straftaten soll nach den entwickelten Grundstrukturen der Verband sein, während für Ordnungswidrigkeiten (OWi) die §§ 30, 130 OWiG weiterhin Anwendung fänden. In Abweichung zu der OWi-Systematik kämen als verantwortungsauslösende Personen grundsätzlich alle Mitarbeiter des Verbandes in Betracht, weil der Verband mit und durch sie seine Freiheit ausübe. Einen Verantwortungsausschluss soll für Exzesstaten einer Leitungsperson, nicht aber eine generelle „Compliance Defense“ gelten. Verfahrensrechtlich sei eine Ermittlungspflicht vorgesehen, die indes ein Ermessen bei der Entscheidung über die Erhebung der Anklage belasse. Im Vordergrund stünde der spezialpräventive Charakter, nach dem Sanktionen, insbesondere in Gestalt umsatzbezogener Geldbußen, nur dann verhängt würden, wenn eine Einstellung gegen Auflagen nicht möglich sei. In der an die Vorstellung anschließende Diskussion wurde deutlich, dass die Umsetzung eines effektiven Verbandsstrafrechts auch von der personellen und sachlichen Ausstattung der zuständigen Behörden, insbesondere vor dem Hintergrund des durch Rübenstahl angeführten Legalitätsprinzips abhänge. LOStA Folker Bittmann brachte in die Diskussion den erforderlichen individuellen Zuschnitt von Sanktionen auf das betroffene Unternehmen ein. Kubiciel machte des Weiteren auf die guten präventiven Wirkungen in Österreich aufmerksam. Prof. Dr. Roland Schmitz, Osnabrück, hob die Problematik von zu viel Verfahrensopportunität hervor, die rechtsstaatswidrige Settlements begünstigen könnten. Dem könnte, so Kubiciel, auch durch gerichtliche Kontrolle begegnet werden. Rechtsanwältin Kathie Schröder befragte die Forschergruppe darauf, ob das (geographische) wirtschaftliche Gefälle in Deutschland hinreichenden Eingang in die Datenauswertung finde.
In abschließender Würdigung der Vorträge spannte Rübenstahl einen Bogen über die einzelnen Themen der Veranstaltung und entließ die Teilnehmer in den Samstagabend.