Folker Bittmann

„Wie entscheide ich richtig? – Funktion, Entstehen und Feststellung des bedingten Vorsatzes aus Sicht des Wirtschaftsstrafrechts und Risikopsychologie“ – Tagungsbericht, Saarbrücken 24.2.2017

Das Institut für Wirtschafts-, Internationales und Europäisches Strafrecht der Universität Saarbrücken (WIE) hatte für den 24.2.2017 gemeinsam mit dem WisteV-Arbeitskreis Compliance, Fraud und Investigations, zu einer Ganztagesveranstaltung zum Thema: „Wie entscheide ich richtig? – Funktion, Entstehen und Feststellung des bedingten Vorsatzes aus Sicht des Wirtschaftsstrafrechts und der Risikopsychologie“ in das Gebäude der Juristischen Fakultät eingeladen. Die Veranstalter konnten nichts dafür, hatten einfach nur Pech, dass der Referent, der als einziger den Part der Risikopsychologie übernommen hatte, absagen musste. Das veränderte zwar den Charakter des Treffens, minderte aber dessen Qualität nicht.

Nach einem Grußwort der saarländischen Staatssekretärin Dr. Anke Morsch aus dem Justizministerium sollte der Co-Leiter des WisteV-Arbeitskreises Compliance, Rechtsanwalt Dr. Christian Wagemann, eigentlich nur in die Thematik einführen. Er verschaffte den Teilnehmern jedoch mit seinen weit über die übernommene Aufgabe hinausreichenden Ausführungen nicht nur einen breit gestreuten Überblick auch zu vergleichbaren Phänomenen im außerjuristischen Bereich, die er mit geschickt ausgewählten literarischen Versatzstücken eingängig und auch den Kern bekannter juristischen Fragen offenlegend schilderte, sondern bereitete allen Zuhörern einen herzöffnenden Genuß, der sie über die gesamte Tagung hinweg in eine offene und freundliche Stimmung versetzte. Seine Ausführungen sind nachfolgend für alle zum Nachlesen noch einmal abgedruckt.

Das Hauptreferat hielt Prof. Dr. Marco Mansdörfer zum Thema „Funktion des dolus eventualis im Wirtschaftsstrafrecht“. Er stellte, zugespitzt auf unbestimmte Rechtsbegriffe und insbesondere auf normative Tatbestandsmerkmale, eine Verbindung zwischen der Irrtumslehre und dem subjektiven Tatbestand her. Unter Berücksichtigung außerjuristischer, z.B. risikopsychologischer Forschung trat er mit Nachdruck dafür ein, Fragen nicht nur des Verkennens der tatsächlichen Umstände, sondern auch der Rechtslage nicht erst im Rahmen der Schuld, je nach Lehrmeinung entweder als Tatbestands- oder (häufiger) als Verbotsirrtum, abzuhandeln, sondern sie als Thema des subjektiven Tatbestands als solches zu begreifen. Das erinnert an die frühere Vorsatztheorie, die das Erfordernis des subjektiven Tatbestands auch auf die Rechtswidrigkeit bezog. Mansdörfer verlangte, sich nicht allein auf die Wahrnehmung eines Risikos (kognitives Element) zu kaprizieren, sondern stärker als bislang das Ziel des Handelnden zu berücksichtigen: Das voluntative Element liege nur bei einer „Entscheidung gegen das Rechtsgut“ vor. Es werde nicht nur konstituiert von bewußten Überlegungen, sondern auch von den die Handlungssituation mitprägenden Umständen. So wirke z.B. das Einhalten gesetzlich oder auf andere Weise vorgesehener Entscheidungsprozesse für den Handelnden entlastend. Der zutreffende Gedanke, dass das Recht das Eingehen von Risiken z.B. für das betreute Vermögen bei der Untreue, keineswegs verbiete, sondern im Grunde als evolutionär wünschenswert, ja in Grenzen gar als geboten betrachtet, übertrug Mansdörfer auf das Eingehen von Rechtsrisiken bei ungeklärter Rechtslage. Im Ergebnis lehnte er die Annahme billigenden Inkaufnehmens einer Rechtsgutsverletzung bei Feststellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen der Möglichkeit zur Verwirklichung der Chance, die wahrgenommen werden soll, und der Vermeidbarkeit der Realisierung des erkannten Risikos ab.

Wie die im Grundton zustimmende Diskussion allerdings ergab, verlangen Mansdörfers Überlegungen nach tatbestandsbezogen konkretisierender Anwendung. So wird man z.B. bei der Untreue die beim Geschäftsherrn liegende Zuständigkeit für die Definition des Rahmens zulässigen Eingehens von Risiken zu berücksichtigen haben, die Prägung des Anstellungsverhältnisses, die Erfordernisse des Einholens der Zustimmung der Eigentümer (oder ihrer Repräsentanten) für bestimmte Geschäfte, auch die Folgen im Fall der (wenngleich nicht angestrebten) Realisierung des Risikos (Stichwort: Existenzvernichtung). Wiewohl es gerade in Deutschland und für unsere Rechtsordnung nötig ist, stärker chancenorientiert zu denken, und dafür die Überlegungen Mansdörfers einen vielversprechenden Ansatz bieten, ist damit allein das Verhältnis zwischen normativen Grenzen und dem wirklichen Antrieb des Handelnden, auch seiner etwaig davon abweichenden nachträglichen Erklärungen, keineswegs ausreichend geklärt. Dass die selbstgestellte Aufgabe noch nicht abschließend gelöst ist, stellt jedoch alles andere als einen Vorwurf dar, markiert doch der erste Schritt die Richtung – ob es die richtige ist, in die Mansdörfers Vorstoß weist, bedarf unvermeidlich näherer Prüfung ebenso wie die Klärung seiner Tragweite.

Dem theoretisch-wissenschaftlich orientierten, sehr zuhörerfreundlich dargebrachten Vortrag Mansdörfers folgte ein äußerst lebendiger Überblick Rechtsanwalts Dr. Richard Beyer über die Erlebnisse eines Verteidigers mit der Steuerfahndung, den Bußgeld- und Strafsachenstellen sowie der Strafjustiz unter dem Titel „Dolus und Leichtfertigkeit im Steuerstrafrecht“. Obwohl seinen Beobachtungen zufolge der subjektive Tatbestand auf diesem Gebiet nicht im Fokus der Praxis der genannten Stellen stehe, könne es einer sachkundig die Interessen der Mandanten nachhaltig vertretenden Verteidigung doch immer wieder gelingen, sie dazu zu veranlassen, den Vorwurf einer Straftat gemäß § 370 AO auf den einer Ordnungswidrigkeit leichtfertiger Steuerverkürzung, § 378 AO, herabzustufen. Von Beyer beispielhaft vorgestellte Rechtsprechung zeigte nicht nur auf, wie insbesondere der BGH den dolus eventualis im Steuerstrafrecht handhabt, sondern auch, welche Ansätze sich in der Praxis auch der Rechtsprechung der Gerichte in den Bundesländern zur Unterscheidung zwischen Leichtfertigkeit und sanktionsloser einfacher Fahrlässigkeit herausgebildet haben.

Dieser Vortrag bot ebenso eine Fundgrube praxisrelevanter Erkenntnisse wie das die Tagung abschließende Referat von Frau Richterin am BGH Dr. Louisa Bartel zum Thema „Die Feststellung von dolus eventualis nach der Rechtsprechung des BGH insbesondere in wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhalten“. Die Referentin verwies nicht nur auf ausgewählte Entscheidungen, in denen sich verschiedene Senate des BGH zum Thema positioniert haben, sondern verdeutlichte in ebenso glaubhafter wie überzeugender Weise, dass das höchste deutsche Strafgericht das Erfordernis des Vorliegens auch des subjektiven Tatbestands gerade im Grenzbereich zwischen dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit wirklich ernst nähme und sich der Tatsache sehr bewusst sei, damit häufig über Strafe oder Straflosigkeit zu befinden. Das gelte für sämtliche Kriminalitätsfelder. Die Entscheidung im Einzelfall hänge aber doch auch von Spezifika des in Rede stehenden Delikts ab. Das Ausmaß typisierender Elemente bestimme den Umfang der vorgegebenen Aspekte, anhand derer die Klärung stattzufinden habe. Es liege z.B. bei Kapitaldelikten relativ hoch. Die dort üblicherweise herangezogenen Indikatoren (etwa situative Erregung, Alkoholisierung, Gefährlichkeit der Handlung) ließen sich schon deshalb nicht unverändert auf das Wirtschaftsstrafrecht übertragen. Für dieses konstatierte Frau Dr. Bartel, dass die Umstände des Einzelfalls eine deutlich größere Rolle einnähmen, unvermeidlich spielen müssten.

Dass die von der Judikatur gerade für die white-collar-Kriminalität gefundenen Ergebnisse von den Beteiligten unterschiedlich beurteilt werden, ist danach nicht verwunderlich und liegt nicht nur an den unterschiedlichen Rollen der (nicht nur Verfahrens-)Beteiligten, sondern unbeschadet persönlicher Interessen eben auch daran, dass die Abgrenzung nie mit mathematischer Sicherheit erfolgen kann, sondern immer Ergebnis einer wertenden Betrachtung der für das Gericht sichtbar gewordenen konkreten Gesamtumstände ist. Da bei den Beteiligten unvermeidlich ein mehr oder weniger unterschiedlicher Kenntnisstand (zumindest in Details, manchmal aber eben auch zum Kerngeschehen) herrscht und sich ein gewisser subjektiver Einfluss auf Wertungen nicht umgehen lässt, fällt die uneinheitliche Rezeption des forensischen Geschenens nicht als Vorwurf auf die Justiz zurück: sie ist prinzipiell zwingend, nur in ihrem Grad beeinflussbar. Hinzunehmen ist dies dann, wenn sich die Richter auf „den Fall“ einlassen und erkennbar um dessen sachgerechte Beurteilung ringen. Dass dies in Karlsruhe tatsächlich tagein tagaus geschieht, zeigte Frau Dr. Bartel fraglos auf: Herzlichen Dank für dieses Beispiel an Wahrhaftigkeit.

Wie die lebhaften Diskussionen auch in den Pausen zeigten, bot die Tagung zahlreiche Anregungen. Ihr Inhalt, insbesondere der auf die Praxis zielende Vorstoß Prof. Dr. Mansdörfers, bietet auch über den Tag in Saarbrücken hinaus Anlaß zu weiteren sachlichen und fruchtbaren Auseinandersetzungen. So will, so soll WisteV sein!

Autorinnen und Autoren

  • Folker Bittmann
    Nach dem ersten Staatsexamen 1980 in Heidelberg und dem zweiten 1985 in Stuttgart war LOStA a.d. Rechtsanwalt Folker Bittmann zunächst kurze Zeit Rechtsanwalt in Heidelberg. 1986 wechselte er zur Staatsanwaltschaft Darmstadt, 1987 zur Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main und übernahm dort nach gut einem halben Jahr ein insolvenzrechtliches Dezernat und 1992 zusätzlich die Koordination der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, bevor ihm 1993 die Leitung der Wirtschafts- und Korruptionsabteilungen der Staatsanwaltschaft Halle übertragen wurde. Seit 2005 leitete er die Staatsanwaltschaft Dessau, seit 2007 Dessau-Roßlau. Seit Sommer 2018 ist er Rechtsanwalt bei verte|rechtsanwälte.

WiJ

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