Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht – Straftaten gegen staatliche Vermögenswerte
C.F. Müller, 2015, 713 Seiten, ISBN 978-3-8114-4101-9, 99,99 Euro.
Die Herausgeber Markus Adick und Jens Bülte widmen sich in ihrem Buch gemeinsam mit 20 weiteren Autoren sehr konzentriert einem kleinen Ausschnitt des Wirtschaftsstrafrechts, den Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gegen öffentliche Haushalte. Die Autoren gehören dabei zum größten Teil der Anwaltschaft an, das Werk empfiehlt sich jedoch nicht nur für diesen Adressatenkreis, sondern aufgrund seines Ansatzes auch für Juristen in Rechtsabteilungen sowie für Mitarbeiter von Justiz und Verwaltung.
Adick/Bülte erheben in ihrem Vorwort den Anspruch, „nicht nur ein weiteres Werk zum Steuerstrafrecht oder zum Wirtschaftsstrafrecht“ herauszugeben (Seite V). Das Konzept, die Konzentrierung auf Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gegen öffentliche Haushalte, soll dabei die „europaweit zu beobachtende Tendenz, Schädigungen öffentlicher Vermögenswerte verstärkt mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen“ (Seite V) aufgreifen. Diese inhaltliche Beschränkung der Straftatbestände weicht von den bisher erschienen Handbüchern zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht ab und stellt einen neuen, begrüßenswerten, Ansatz dar, der eine höchst detaillierte und in der Praxis sehr gut anwendbare Darstellung von Handlungen zum Nachteil öffentlicher Haushalte mit sich bringt. Jedem Kapitel vorangestellt ist eine gute Auswahl von Literatur, speziell zu dem sodann zu behandelnden Themenkreis. Dies ermöglicht es dem Leser, sich schnell noch vertiefter in eine Fragestellung einzuarbeiten. Da das Werk fast 700 Seiten umfasst, sollen im Folgenden nicht alle Kapitel exemplarisch besprochen werden.
Die Europäisierung des Strafrechts auf nationaler und europäischer Ebene ist eines der Hauptanliegen der Herausgeber und wird gleich in zwei Kapiteln besonders behandelt. Die „Europäisierung des Strafrechts“ (2. Kapitel, ab S. 11 ff.) von Bülte bringt dabei dem Einsteiger in diesem Bereich die grundlegenden Basics des „Mehrebenensysstems“ (S. 12.) kompakt und verständlich formuliert näher. In einem weiteren Kapitel widmet sich Rathgeber nach einem informativen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der europäischen Kooperation auf dem Gebiet des Strafrechts (S. 101 ff.) den „Europarechtlichen Verfahrensvorschriften“ (S. 100 ff., 6. Kapitel), und handelt etwa das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung OLAF (S. 105 ff.) in Abgrenzung zu Europol (S. 109 ff.) und Eurojust (S. 116 ff.), die sog. gemeinsamen Ermittlungsgruppen GEG (S. 119 ff.) oder den europäischen Haftbefehl (S. 121 ff.) ab. In der notwendigen Kürze geht der Autor sodann noch auf die Verfahrensgrundrechte Verdächtiger oder Beschuldigter ein, die sich innerhalb der EU teilweise erheblich unterscheiden (S. 135 ff.), bevor die wissenschaftlich fundierten Ausführungen mit einem Überblick über die aktuellen Entwicklungen auf diesem sich ständig weiterentwickelnden Gebiet schließen (S. 141 ff.).
Auf den ersten Blick verwundern mögen die folgenden Kapitel sieben bis zehn. Hier finden sich auf immerhin gut 130 Seiten umfassende Ausführungen zum allgemeinen Teil des Strafrechts, die man so vielleicht eher in einem Lehrbuch für Erstsemester vermuten würde. Das 7. Kapitel von Krell widmet sich dabei „Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld“ (S. 144 fff.), wobei das Anliegen des Werkes, sich auf Fiskalstrafrecht zum Nachteil öffentlicher Haushalte zu konzentrieren, auch bei diesen Ausführungen konsequent befolgt wird. Auch Bülte widmet sich in seinen Ausführungen zu „Vorsatz und Fahrlässigkeit“ (8. Kapitel, S. 175 ff.) den Grundlagen dieses Tatbestandsmerkmals unter Berücksichtigung der „Besonderheiten im Fiskalstrafrecht“ (S. 189 ff.), wobei der Irrtumslehre, einem häufigen Diskussions –und Problempunkt in Verteidigungsstrategien, erfreulicherweise viel Raum eingeräumt wird (S. 191 ff.). Auch das Kapitel 9 von Hüttemann zu „Versuch, Vollendung, Beendigung und Verjährung“ (S. 218 ff.) und das mit vielen praktischen Beispielen versehene Kapitel 10 von Kuhli zu „Täterschaft und Teilnahme“ (S. 264 ff.) stellen die Regeln des allgemeinen Teils unter dem Blickwinkel des Fiskalstrafrechts dar. Damit sind diese Kapitel auch dem geübten Verteidiger zur Rekapitulation durchaus ans Herz zu legen, da dadurch der Blick auf das Fiskalstrafrecht gerade unter Berücksichtigung vermeintlich altbekannter Diskussionen und Problempunkte des allgemeinen Teils des Strafrechts geschärft werden kann.
Im Anschluss führen Kämpfer/Buhlmann in Kapitel 11 eingehend zu den strafrechtlichen Risiken für Berater aus (S. 277 ff.) und stellen eingangs zu Recht fest, dass die „Beratertätigkeit in steuerlichen Angelegenheit und anderen Fragestellungen mit Bezug zum Fiskalvermögen“ unter dem strafrechtlichen Blickwinkel durchaus als „gefahrgeneigte Tätigkeit“ bezeichnet werden muss (S. 279). Es folgen Darstellungen möglicher Straftatbestände, die der Berater – vor allem in Form der Beihilfe – verwirklichen kann. Die Autoren gehen jedoch auch auf das gestiegene Risiko des Beraters ein, in den Bereich strafbarer Geldwäsche zu gelangen (S. 285 ff.).
Ebenfalls gelungen und in der Praxis gut anwendbar sind die Ausführungen von Schoop zu „Durchsuchung und Beschlagnahme“ im 13. Kapitel (S. 219 ff.) als bewährte Maßnahmen der Ermittlungsbehörden, um in Steuerstrafverfahren an aus ihrer Sicht benötigte Beweismittel zu gelangen (S. 320). Den allgemeinen Ausführungen zu den rechtlichen Grundlagen für Durchsuchung und Beschlagnahme (S. 320 ff.) folgen Verhaltensempfehlungen (S. 338 ff.) und Ratschläge (S. 343 ff.) zu vorbereitenden Maßnahmen, die vor allem für Mitarbeiter in Rechtsabteilungen größerer Unternehmen hilfreich sein können.
Im 15. Kapitel widmet sich Rosinus der „Sicherung von Vermögenswerten“ (S. 378 ff.). In einer prägnanten Kurzdarstellung der jeweils relevanten Vorschriften konzentriert sich auch hier der Verfasser auf die wesentlichen Probleme im fiskalstrafrechtlichen Kontext und geht insbesondere auf den dinglichen Arrest zur Rückgewinnungshilfe (S. 379 ff.), den steuerlichen und den zivilprozessualen Arrest nach § 324 AO bzw. § 716 ff. ZPO (S. 391 ff. bzw. S. 396 ff.) und die Handlungsmöglichkeiten der Sozialversicherungsträger im Zusammenhang mit der Einziehung von Sozialversicherungsbeiträgen (S. 399 f.) ein, bevor explizit das Verhältnis zwischen diesen Sicherungsmöglichkeiten und dem strafprozessualen Arrest beleuchtet wird (S. 400 ff.). Das Kapitel schließt mit einem berechtigten Appell des Autors an die behördlichen und gerichtlichen Stellen, mit der Anordnung vermögenssichernder Maßnahmen sorgsam umzugehen, da die Auswirkungen für den Betroffenen sehr einschneidend sind und durch spätere Schadensersatzansprüche aufgrund unberechtigter Maßnahmen nicht immer ausgeglichen werden können (S. 403).
Die zweite Hälfte des umfassenden Werkes ist ab Kapitel 17 (S. 419 ff.) der eingehenden Erläuterung der eigentlichen Fiskalstraftaten gewidmet. Den Auftakt macht hier Adick mit einer 50 Seiten umfassenden Darstellung der „Steuerhinterziehung“ (S. 419 ff.), beginnend mit allgemein gehaltenen Ausführungen zu § 370 AO als Zentralnorm des Fiskalstrafrechts (S. 419 ff.), Täterkreis (S. 424 f.) und Steuerhinterziehung durch Unterlassen (S. 425 f.), bevor ausführlich die Tathandlungen (S. 426 ff.) und der Taterfolg (S. 434 ff.) des § 370 AO beschrieben werden. Es folgen sodann praktische Ausführungen zu Hinterziehungen bei einzelnen Steuerarten (S. 439 ff.), insbesondere der Umsatzsteuer (S. 439 ff.) mit Blick auf die Versagung des Vorsteuerabzugs (S. 440 ff.), innergemeinschaftliche Lieferungen (S. 443 ff.) und Karussellgeschäfte (S. 445 ff.) sowie ausgewählte Probleme bei Einkommensteuer (S. 447 ff.), Lohnsteuer (S. 449 ff.), Verrechnungspreisen (S. 451 f.), Erbschafts- und Schenkungsteuer (S. 452 f.) und Verbrauchssteuern (S. 453 f.). Nach einem kurzen, an den Problemen der Verteidigung orientierten Abschnitt über den „Subjektiven Tatbestand“ (S. 454 f.) stellt Adick ausführlich die „Rechtsfolgen der Steuerhinterziehung“ (S. 455 ff.), unterteilt nach möglichen Strafen (S. 455 ff.), steuerlicher Haftung (S. 461 ff.) und etwaigen Nebenfolgen (S. 463) der Steuerhinterziehung etwa für Beamte, Steuerberater und Ärzte dar. Hinweise auf die Besonderheiten des Strafverfahrens in Steuersachen (S. 463 ff.) runden das gelungene Kapitel 17 ab.
Groß befasst sich im Kapitel 19 der „Korrektur steuerlicher Verfehlungen“ (S. 526 ff.) mit einem wichtigen Thema, das in der alltäglichen Beratungspraxis, aber zunehmend auch für Unternehmensjuristen im Bereich Steuern, von sehr großer Bedeutung ist. Neben den kurz dargestellten formalen Voraussetzungen der Selbstanzeige gemäß § 371 AO (S. 528 ff.) geht Groß auch auf die gesetzlich normierten Sperrgründe (S. 535 ff.) und auf die zum 01.01.2015 wiedereingeführte und vor allem für Unternehmen wichtige Möglichkeit der Teilselbstanzeige für Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung (S. 541 f.) ein. Ebenfalls dargestellt wird die „Berichtigung von (Steuer-)Erklärungen nach § 153 AO“ (S. 548 ff.).
„Nicht jede Steuerhinterziehung ist eine Zollhinterziehung, aber jede Zollhinterziehung ist eine Steurhinterziehung“ (S. 561). Darauf aufbauend beginnen Retemeyer und Möller im 20. Kapitel „Zölle und Marktordnungen“ (S. 554 ff.) zunächst mit Grundlagenwissen zu Zöllen, das für Leser mit geringen Kenntnissen auf diesem Gebiet von großem Nutzen ist, und führen sodann ab S. 561 zu den Parallelen dieser Fachgebiete zur Steuerhinterziehung aus. Damit stellen diese Ausführungen eine sinnvolle und gut verständliche Ergänzung jener von Adick in Kapitel 17 dar. Der auf S. 584 beginnende zweite Teil des Kapitels führt zu den „Marktordnungen“ aus und schließt mit einem Abschnitt über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EU (S. 593 ff.) durch die Vorschriften zum Subventionsbetrug nach § 264 StGB und der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO. Thematisch passend folgt sodann das ebenfalls von Retemeyer verfasste 21. Kapitel zum „Subventionsbetrug“ (S. 598 ff.), das einen guten Überblick über diesen Straftatbestand bietet und auch auf besondere Verfahrensfragen (S. 612 ff.) und weitere Auswirkungen einer Verurteilung wegen Subventionsbetruges, wie etwa zivilrechtlicher Schadensersatzpflichten (S. 615 f.), der finanzrechtlichen Haftung nach § 71 AO (S. 616) und dem seitens der Verteidigung bereits im Vorfeld zu beachtenden Ausschluss von weiteren Subventionen (S. 616), hinweist.
Hervorragend für den praktischen Gebrauch eignen sich die Ausführungen von Möller/Zimmermann zur Schwarzarbeit in Kapitel 22 (S. 618 ff.). Diese, in der anwaltlichen Praxis sehr häufig auftauchende Problematik, wird von den Autoren eingehend abgehandelt, wobei praktische Fragestellungen wie der Mitteilungen zwischen der FKS und den Landesfinanzbehörden (S. 621 ff.), Ermittlungskompetenzen der FKS (S. 623) und eine mögliche Tatententdeckung im Sinne von § 371 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Ermittlungen der FKS (S. 623 ff.) zunächst im Zentrum stehen, bevor Möller/Zimmermann hilfreiche Verteidigungsansätze im Abschnitt „Gesichtspunkte zur Verteidigung bei Vorwürfen im Zusammenhang mit Schwarzarbeit“ (S. 626 ff.) darstellen.
Die letzten beiden Kapitel greifen sodann noch umfassend und kommentarmäßig die Problemkreise der Haushaltsuntreue (S. 653 ff.) und des Betrugs gemäß § 263 zu StGB zu Lasten öffentlichen Vermögens auf (S. 683 ff.). Auch hier ist es den Autoren Adick/Krell/Wackernagel (Kapitel 23) bzw. Voigtel (Kapitel 24) gelungen, einen prägnanten Überblick über diese speziellen Fallgruppen zum Nachteil öffentlicher Haushalte zu bringen.
Fazit: Adick/Bülte ist es gelungen, ein umfassendes Werk zum „Fiskalstrafrecht“ herauszubringen. Die Autoren haben es geschafft, dem Anspruch der Herausgeber, „nicht nur ein weiteres Werk zum Steuerstrafrecht oder zum Wirtschaftsstrafrecht“ auf den Markt zu bringen, gerecht zu werden. Eine tatsächliche Stärke des Handbuchs ist die thematische Vernetzung untereinander und die Konzentration auf ausgewählte Straftatbestände. Dies ermöglicht dem Adressatenkreis eine tatsächliche Verwendung des Handbuchs in der täglichen Praxis und ist sämtlichen mit Steuerrecht beschäftigten Berufsgruppen uneingeschränkt zu empfehlen.